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Das 21. Jahrhundert steht nicht erst an seinem Anfang. Die vergangenen fünfzehn Jahre liefern uns bereits genügend Anhaltspunkte, um die kommenden ökonomischen, geopolitischen und sozialen Entwicklungen einschätzen zu können. Eines steht schon heute fest: In den ersten fünfzehn Jahren des 21. Jahrhunderts wurde das Triumphgeheul widerlegt, mit der Auflösung der Sowjetunion habe die Geschichte ihren Endpunkt erreicht und der Kapitalismus und die bürgerliche Demokratie verkörperten den Gipfelpunkt der Entwicklung der Menschheit. Mit Ende des Jahres 2014 scheinen sich die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen mit wachsendem Tempo auf den Abgrund zuzubewegen. Im vergangenen Jahr – hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs – spitzten sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems gravierend zu. Die 'friedlichen' Pausen zwischen den geopolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen sind so kurz geworden, dass man sie kaum mehr als Pausen bezeichnen kann. Krisen dagegen sind keine isolierten 'Episoden' mehr, sondern ein Dauerzustand. Das Muster ständiger Krisen, das 2014 gekennzeichnet hat, ist ein deutlicher Hinweis, wie sehr der Kapitalismus global aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das wird sich 2015 verschärft fortsetzen.
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2015
Das 21. Jahrhundert steht nicht erst an seinem Anfang. Die vergangenen fünfzehn Jahre liefern uns bereits genügend Anhaltspunkte, um die kommenden ökonomischen, geopolitischen und sozialen Entwicklungen einschätzen zu können.
Das 21. Jahrhundert steht nicht erst an seinem Anfang. Die vergangenen fünfzehn Jahre liefern uns bereits genügend Anhaltspunkte, um die kommenden ökonomischen, geopolitischen und sozialen Entwicklungen einschätzen zu können.
Eines steht schon heute fest: In den ersten fünfzehn Jahren des 21. Jahrhunderts wurde das Triumphgeheul widerlegt, mit der Auflösung der Sowjetunion habe die Geschichte ihren Endpunkt erreicht und der Kapitalismus und die bürgerliche Demokratie verkörperten den Gipfelpunkt der Entwicklung der Menschheit. Mit Ende des Jahres 2014 scheinen sich die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Strukturen mit wachsendem Tempo auf den Abgrund zuzubewegen.
Im vergangenen Jahr – hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs – spitzten sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems gravierend zu. Die »friedlichen« Pausen zwischen den geopolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen sind so kurz geworden, dass man sie kaum mehr als Pausen bezeichnen kann. Krisen dagegen sind keine isolierten »Episoden« mehr, sondern ein Dauerzustand. Das Muster ständiger Krisen, das 2014 gekennzeichnet hat, ist ein deutlicher Hinweis, wie sehr der Kapitalismus global aus dem Gleichgewicht geraten ist. Das wird sich 2015 verschärft fortsetzen.
Lasst uns einen Blick auf die grundlegenden Elemente der gegenwärtigen Krise werfen:
1. Die 2008 durch den Wall Street Krach ausgelöste weltweite Wirtschaftskrise dauert an. Wirtschaftliche Erholung ist nicht ansatzweise in Sicht, stattdessen demonstriert der zunehmend fieberhafte Börsenboom an den internationalen Finanzmärkten den Triumph wirtschaftlichen Parasitentums. In historisch beispiellosem Ausmaß hat sich die Anhäufung persönlichen Reichtums seitens der Wirtschafts- und Finanzeliten von der Wertschöpfung im Produktionsprozess losgelöst. Die Wall Street ist von den scheinbar unerschöpflichen Geldspritzen der Federal Reserve Bank abhängig.
Die Börsenkurse steigen, obwohl die »reale« Wirtschaft stagniert. Der namhafte Ökonom Barry Eichengreen schrieb dazu im Magazin Current History vom Januar 2015:»Es zeichnet sich ab, dass das neue Jahr erneut enttäuschend für die Weltwirtschaft sein wird.« Die Bezeichnung der mageren weltweiten Wachstumsraten durch IWF-Direktorin Christine Lagarde als »neues Mittelmaß« sei vermutlich zu optimistisch. Es gebe keinen nationalen oder regionalen Bereich der Weltwirtschaft, der ein robustes Wachstum verzeichne.
In Europa wuchs die Wirtschaft im Jahr 2014 kaum. Die größte Wirtschaftsmacht, Deutschland, entging nur knapp einer offenen Rezession. Russland befindet sich in einer tiefen Krise, der Rubel im freien Fall. In Asien fiel Japan im dritten Quartal in die Rezession. Die chinesische Wirtschaft hat sich merklich abgeschwächt.
In den USA hat die von Präsident Obama lautstark verkündete wirtschaftliche »Erholung« keinerlei Auswirkung für die breite Masse der Bevölkerung, die unter sinkenden Löhnen und andauernder Massenarbeitslosigkeit leidet. Zinsraten von nahezu null Prozent sind ohne sichtbare Auswirkung auf das Wachstum geblieben. Die Wirtschaft in Lateinamerika und in den Entwicklungsländern reagiert äußerst verwundbar auf die unsicheren Finanz- und Kapitalmärkte.
Der drastische Ölpreisverfall am Ende des Jahres 2014 geht zum Teil auf den bewussten Versuch der USA und ihrer Verbündeten zurück, Russland zu schwächen. Er ist zugleich Bestandteil eines allgemeinen Preisverfalls auf den globalen Rohstoffmärkten und drückt deflationäre Tendenzen in Verbindung mit einem Einbruch der Nachfrage und niedrigen Wachstumsraten aus. Es gebe gute Gründe anzunehmen, bemerkt Eichengreen, dass der globale Kapitalismus mitten in »eine Jahrhundert-Stagnation« geraten sei. Darin sei nicht »das unglückliche Zusammentreffen von Übergangsproblemen einiger der größten Wirtschaftsnationen ausgedrückt, sondern eine dauerhafte ökonomische Abschwächung aufgrund tiefer struktureller Probleme.«
2. Die andauernde Wirtschaftskrise verschärft die geopolitischen Spannungen, die sich aus dem unlösbaren Widerspruch zwischen globaler kapitalistischer Produktion und globalen Finanz- und Absatzmärkten auf der einen Seite und dem Nationalstaatensystem, in dem der Kapitalismus historisch wurzelt, auf der anderen Seite ergeben. Wie 1914 und 1939 versuchen die imperialistischen Mächte, die jeweilige »eigene« Nation in der Weltarena zu stärken, um einen Ausweg aus der Krise auf Kosten der Konkurrenten zu finden. In diesem gewaltsamen und gefährlichen Prozess spielen die Vereinigten Staaten die führende Rolle. Der endlose »Krieg gegen den Terror« hat sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten als das Mittel entpuppt, mit dem die USA ihre potenziellen Rivalen ausschalten und ihre Position als globaler Hegemon bewahren wollen.
Das brutale Vorgehen der Vereinigten Staaten auf globaler Ebene braucht keinen Vergleich mit Nazi-Deutschland zu scheuen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Das deutsche NS-Regime wollte »nur« Europa beherrschen. Die amerikanische herrschende Klasse beansprucht die Weltherrschaft. Im Verlauf des Jahres 2014 war die Obama-Regierung in praktisch allen Teilen der Welt in Kriege oder Kriegsvorbereitungen verwickelt. Das Pentagon und die CIA-Zentrale in Langley, Virginia, wo die entscheidenden Regierungsbeschlüsse getroffen werden, lassen sich bei ihren Operationen von der Ansicht leiten, China stelle ein inakzeptables Hindernis für die amerikanische Dominanz in Asien und der asiatisch-pazifischen Region und somit für die amerikanische Hegemonie dar.
Der Konflikt mit Russland über die Ukraine, der 2014 ausbrach, ist nur ein Schauplatz in diesem globalen Machtkampf. Die amerikanische herrschende Klasse ist der Ansicht, sie könne es mit China in Asien nur aufnehmen, wenn sie sich zuvor die Kontrolle über die eurasische Landmasse gesichert hat. Die Errichtung eines pro-amerikanischen Marionettenregimes in Kiew zielte darauf ab, Russland geopolitisch entscheidend zurückzuschlagen und das Putin-Regime, oder ein Nachfolgeregime, zu zwingen, sich der amerikanischen Vorherrschaft unterzuordnen.
Die USA sind jedoch nicht die einzigen Akteure des Weltimperialismus. Großbritannien ist zwar durch innere Krisen zerrissen, hofft aber auf seine »besondere Beziehung« zu den USA, um ein Stück seiner alten kolonialen Herrlichkeit wiederzugewinnen. Frankreich, das noch vor einem Jahrzehnt der schärfste Kritiker des amerikanischen Irakkriegs war, hat sich zum engsten Verbündeten Washingtons gemausert. Im Gegenzug hofft es auf amerikanische Unterstützung bei seinen Beutezügen in Nord- und Zentralafrika. Sämtliche Mitglieder der Nato gleichen heute einem Rudel Wölfe, das nach dem nächsten Opfer Ausschau hält, auf das es sich stürzen kann. Tausende von Kilometern von Europa entfernt unterstützt die australische herrschende Klasse mit Begeisterung Washingtons »Pivot to Asia«.
Eine besonders bedeutsame Entwicklung 2014 war das unverhüllte Wiederaufleben imperialistischer Ambitionen Deutschlands und Japans. Beide Länder rüsten auf und bereiten den internationalen Einsatz ihrer Armeen vor. Auch wenn sie derzeit mit den Vereinigten Staaten gegen Russland und China verbündet sind, ist es ohne weiteres möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass die Entscheidungsträger in Berlin und Tokio bei der Verfolgung ihrer imperialistischen Ziele in Konflikt mit Washington geraten werden.
2015 jährt sich zum siebzigsten Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem Dutzende Millionen Menschen ihr Leben verloren. Von 1939 bis 1945 zeigten die herrschenden Eliten aller konkurrierenden imperialistischen Mächte, der faschistischen wie der »demokratischen«, zu welch grausamer Barbarei die kapitalistische Gesellschaftsordnung fähig ist. Und doch wurde im Verlauf der Ukraine-Krise die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs offen diskutiert, der höchstwahrscheinlich den Einsatz von Atomwaffen bedeuten würde.
Bei einer Beurteilung der Strategie und Politik der herrschenden Eliten der verschiedenen Länder wäre es ein Fehler, ihre Rücksichtslosigkeit zu unterschätzen – ebenso wie es falsch wäre, ihre Intelligenz und Klugheit zu überschätzen. Aber die drohende Gefahr eines dritten Weltkriegs entsteht nicht aus den Absichten dieses oder jenes kapitalistischen Politikers und auch nicht einfach aus geopolitischen Fehleinschätzungen dieser oder jener Großmacht. Vielmehr folgt Krieg logisch und konsequenterweise aus dem Kampf der imperialistischen Mächte um eine möglichst vorteilhafte Position und sogar, wie im Fall der USA, um die Hegemonie im internationalen kapitalistischen System. Krieg kann daher nur durch den Sturz des Nationalstaatensystems verhindert werden. Dies erfordert die revolutionäre Machtübernahme der Arbeiterklasse und die Errichtung eines internationalen sozialistischen Systems.
Das ist die einzig fortschrittliche und, so sollte man hinzufügen, die einzig realistische Alternative zur imperialistischen Aggression. Es gibt keine progressive nationalistische Alternative zum Programm der sozialistischen Weltrevolution. Die Versuche Putins, das post-sowjetische Russland auf der Grundlage einer Wiederbelebung des zaristischen großrussischen Chauvinismus zu »verteidigen«, können nur in die Katastrophe führen. Die Oktoberrevolution 1917 war nicht nur die Antwort der russischen Arbeiterklasse, als Avantgarde der internationalen Arbeiterklasse, auf die Verbrechen der zaristischen Autokratie, sondern hat zugleich das imperialistische Weltsystem und seine nationalstaatlichen Grundlagen herausgefordert.
Mit der Gründung der Union der Sowjetrepubliken 1922, in der die Ukraine ein wichtiges Element bildete, hat die bolschewistische Regierung einen ersten Schritt vollzogen, das historisch veraltete Nationalstaatensystem zu überwinden. Die historische Bedeutung dieser Errungenschaft der Oktoberrevolution, der Schaffung der UdSSR, kann auch durch die nachfolgenden Verrätereien des Stalinismus, die sich auf das nationalistische Programm des Sozialismus in einem Land stützten, nicht herabgemindert werden. Putins nationalistische Politik, mit der er dem kapitalistischen Russland einen gewissen politischen und ökonomischen Einfluss in einer kapitalistischen Ukraine sichern will, hat nicht das Geringste mit dem Programm und den Prinzipien zu tun, die der Entstehung der Sowjetunion zugrunde lagen, und steht ihnen in Wirklichkeit feindlich gegenüber.
Das Fortbestehen des Nationalstaatensystems auf kapitalistischer Grundlage steht im Widerspruch zu den globalen Bedürfnissen der Menschheit und führt nicht nur zum Weltkrieg, sondern auch zu blutigen Bruderkriegen der Menschen innerhalb der anachronistischen Staatsgrenzen. Großbritannien, das durch den Zusammenschluss Englands und Schottlands im »Act of Union« 1707 entstanden ist, droht auseinanderzubrechen, nachdem eine reaktionäre nationalistische Bewegung für ein unabhängiges Schottland eintritt. Wenn ihre Kampagne Erfolg hat, würde dies die Arbeiterklasse auf beiden Seiten der Grenze schwächen. Ein weiterer Beweis für die schrecklichen Folgen des Nationalismus ist die Entwicklung des Staates Israel. Der jüdische Staat, der sich bei seiner Entstehung auf die reaktionäre Ideologie des Zionismus stützte und seine Existenz mit dem faschistischen Holocaust begründete, rechtfertigt heute die erbarmungslose Unterdrückung und Zerstörung demokratischer Rechte des palästinensischen Volks mit primitivem Rassismus.
3. »Politische Reaktion auf der ganzen Linie ist eine Eigenschaft des Imperialismus«, schrieb Lenin 1916. »Der Unterschied zwischen der demokratisch-republikanischen und der reaktionär-monarchistischen Bourgeoisie verwischt sich, weil beide bei lebendigem Leib verrotten …« (»Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus«, in: Gesammelte Werke, Bd. 23)
Der Zusammenbruch elementarer Normen der bürgerlichen Herrschaft, dokumentiert durch die jüngsten Enthüllungen über den Bruch des nationalen und des Völkerrechts durch höchste amerikanische Staatsbeamte, bestätigt die Analyse Lenins. Der US-Senatsbericht über die Folterpraktiken der CIA hat unwiderlegbar bewiesen, dass der Präsident, der Vizepräsident, der Verteidigungsminister, der CIA-Direktor sowie weitere wichtige Angehörige der Regierung Bush Verbrechen begangen haben. Doch wie die Reaktion der Regierung Obama zeigt, sollen diejenigen, die das Folterprogramm der USA geplant, genehmigt und praktiziert haben, rechtlich nicht belangt werden.
Die Gewaltanwendung außerhalb der Grenzen der USA – Folter, Drohnenmorde, usw. – und die rapide Aushöhlung demokratischer Rechte in den USA selbst sind zwei Facetten des gleichen reaktionären Prozesses. Die Vereinigten Staaten gleichen mehr und mehr einem Polizeistaat. Im Einklang mit der neuen Militärdoktrin und in krasser Verletzung des Posse Comitatus-Gesetzes werden die lokalen Polizeitruppen in den militärischen Apparat eingebunden, oder wie man sagt, zu einem Teil der »Total Army«.
2014 ist der Unterdrückungsapparat, der im »Krieg gegen den Terror« aufgebaut wurde, direkt gegen die innenpolitische Opposition eingesetzt worden. Nach Protesten gegen die Ermordung des 18-jährigen Michael Brown stellte die Polizei, ausgerüstet mit militärischen Waffen, die Stadt Ferguson in Missouri praktisch unter Kriegsrecht.
Diese Tendenz zu autoritären Regierungsformen tritt in jedem Land zutage und zeigt, dass die herrschende Klasse auf die sozialen Spannungen mit dem Aufbau eines Unterdrückungsapparats reagiert. Es ist sehr bezeichnend, dass im Jahr 2014 gerade Ägypten, wo eine brutale Militärdiktatur demokratische Rechte abgeschafft hat und mit Massenmord jeden Widerstand unterdrückt hat, zu den attraktivsten Ländern für Finanzinvestoren zählte. Die herrschende Klasse auf der ganzen Welt sieht im Vorgehen des ägyptischen Regimes ein Vorbild für ähnliche Maßnahmen, sollten ihr Reichtum und ihre Interessen in Gefahr geraten.
4. Die Zerstörung der demokratischen Fassade steht im Zusammenhang mit der explosiven Verschärfung der sozialen Ungleichheit. Seit 2008 richtet die herrschende Klasse ihre Politik zielstrebig darauf aus, ihren Reichtum zu bewahren und zu vergrößern, indem sie Billionen in Aktienwerte investiert, und gleichzeitig unablässig Arbeitsplätze und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse angreift.
Als direkte Folge dieser Politik ist das Gesamtnettovermögen der 400 reichsten Personen der Welt 2014 um 92 Mrd. Dollar auf 4.1 Billionen Dollar gestiegen. Die Zahl der Milliardäre stieg 2014 auf 2.325, ein neuer Rekord und sieben Prozent über dem Stand von 2013. Das Nettovermögen dieses winzigen Teils der Weltbevölkerung stieg um 12 Prozent auf 7.3 Billionen Dollar.
Das Nettovermögen der 400 reichsten Amerikaner stieg 2014 auf 2,29 Billionen Dollar, was annähernd doppelt so viel ist wie 2009. Seit 2010 ist das mittlere Haushaltseinkommen in den USA um fünf Prozent gefallen. Diese Entwicklung findet in jedem Land statt. Von den drei Milliardären, deren Reichtum im letzten Jahr am stärksten stieg, leben zwei in China. Nach Zahlen von Credit Suisse konnte das reichste Prozent der Weltbevölkerung seinen Anteil am weltweiten Reichtum 2014 von 46 Prozent (2013) auf 48.2 Prozent steigern.
5. Im Jahr 2015 wird sich die ökonomische, geopolitische und soziale Krise verschärfen. Aber mit den zunehmenden Widersprüchen des kapitalistischen Systems werden auch Wut und Unzufriedenheit der großen Mehrheit der Bevölkerung zunehmen. Die Ereignisse der letzten fünfzehn Jahre haben im Bewusstsein der Massen ihre Spuren hinterlassen. Die endlosen Kriege, die Enthüllungen über die Korruptheit der Finanzelite, die verbrecherischen und sadistischen Praktiken, die das elementare Gerechtigkeitsempfinden verletzen, der unaufhörliche Niedergang des Lebensstandards der großen Mehrheit der Bevölkerung, die Frustration der Jugend, die spürt, dass diese Welt weder eine Zukunft noch Hoffnung für sie bereithält, die groteske Zurschaustellung von Reichtum bei um sich greifender Armut, und die täglichen Härten und Entsagungen für die meisten Menschen – dies sind Aspekte einer objektiven Realität, die zu einem tiefgreifenden Wandel im Bewusstsein und der politischen Orientierung der Arbeiterklasse führen wird.
Wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung und der Ausbruch offener Klassenkonflikte werden aber nicht ausreichen, um die großen Probleme, die die Krise des Kapitalismus hervorbringt, zu lösen. Die entscheidende Aufgabe ist die Entwicklung von sozialistischem Bewusstsein in der Arbeiterklasse.
2014 konnten das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine nationalen Sektionen unter Arbeitern und Jugendlichen, die von der Krise radikalisiert werden, größeren Einfluss gewinnen. Das politische Ansehen der World Socialist Web Site ist gewachsen, weil seine Analysen durch die Ereignisse bestätigt werden.
Anlass für Selbstzufriedenheit gibt es jedoch nicht, denn wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. 2015 wird die kapitalistische Krise noch schärfere Formen annehmen und der Widerstand der Bevölkerung wird rapide wachsen. Wir appellieren an die vielen Leser der WSWS, sich unserem Kampf zum Aufbau der Vierten Internationale als der Weltpartei der Sozialistischen Revolution anzuschließen.
Am Donnerstag hielten die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) eine sehr erfolgreiche Veranstaltung an der Humboldt Universität Berlin ab. Etwa 200 Besucher, darunter viele Studierende der HU, aber auch Gruppen von Studenten der andern Berliner Universitäten, sowie Auszubildende und Arbeiter drängten in den zu kleinen Hörsaal, der aus allen Nähten zu platzen drohte.
Das Thema der Versammlung »Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?« rief großes Interesse hervor. Teilnehmer berichteten, sie hätten die Einladungs-Plakate gesehen und spontan entschieden, da muss ich hin. Schon in den vergangenen Tagen hatte die IYSSE gut besuchte Versammlungen in Frankfurt und Bochum organisiert. Weitere Veranstaltungen sind geplant.
Der ausführliche Vortrag von Peter Schwarz, dem Vorstandsmitglied der PSG und Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) wurde mit großer Konzentration und Aufmerksamkeit verfolgt. Der Sprecher der IYSSE Hochschulgruppe an der HU begrüßte Peter Schwarz mit den Worten, es gäbe wohl kaum jemanden, der besser in der Lage wäre die Frage des Abends zu beantworten. Denn als Mitglied der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site (WSWS) habe Schwarz eine wichtige Rolle gespielt, die historischen und politischen Gründe für Deutschlands erneuten Griff nach der Weltmacht zu analysieren.
Zu Beginn stellte Schwarz fest, dass es in Deutschland seit etwa einem Jahr eine grundlegende Veränderung gibt. »Scheinbar plötzlich rufen die deutschen Eliten wieder nach Krieg. Politiker fordern Militärinterventionen und die Aufrüstung der Bundeswehr. Die Medien hetzen gegen Russland und selbst Nachrichtensendungen wie die Tagesthemen produzieren vor allem Propaganda.« Viele Menschen seien über diese Entwicklung zu tiefst besorgt und die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lehne sie ab. Allerdings fehle ein tieferes historisches Verständnis und eine politische Perspektive, um gegen Krieg zu kämpfen.
Peter Schwarz spricht zu der Versammlung der IYSSE
Im ersten Teil seines Vortrags zeigte Schwarz detailliert auf, wie die Wiederkehr des deutschen Militarismus hinter dem Rücken der Bevölkerung systematisch vorbereitet wurde. Über ein Jahr lang hätten mehr als 50 Vertreter von politischen Thinktanks, Ministerien, Universitäten, Parteistiftungen, politischen Parteien, NGO’s, der Wirtschaft und den Medien unter Federführung der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des Washingtoner Think Tanks German Marshall Fund (GMF) eine neue außenpolitische Strategie ausgearbeitet.
Das Strategiepapier mit dem bezeichnenden Titel »Neue Macht – Neue Verantwortung«, das am Ende der Diskussionen stand, fordere, dass Deutschland auch bei Militäreinsätzen mehr »Führung« übernehmen müsse, da es als »Handels- und Exportnation« wie kaum ein anderes Land auf »auf die Nachfrage aus anderen Märkten sowie Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen« angewiesen sei.
Mit Hilfe einer Power Point Präsentation verdeutlichte Schwarz das Ausmaß der politischen Verschwörung. »Es ist kein Zufall, dass die Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck vom 3. Oktober letzten Jahres teilweise wörtlich mit dem Strategiepapier »Neue Macht – Neue Verantwortung« übereinstimmt«, so Schwarz. »Mit Thomas Kleine-Brockhoff arbeitet nun einer der Hauptinitiatoren des Projekts als Redenschreiber von Gauck im Bundespräsidialamt.« Auch die Einbindung aller Bundestagsparteien, der Medien und der Universitäten in die Kriegsoffensive sei keine Überraschung, wenn man die Liste der Mitwirkenden am Projekt studiert. Für die Linkspartei sei beispielsweise der Außenpolitiker Stefan Liebich mit von der Partie gewesen und für die HU der Völkerrechtler Prof. Georg Nolte.
Schwarz erklärte, dass die Diskussionen über eine Veränderung der Außenpolitik keinesfalls nur Theorie geblieben sind. »Seit die neue Bundesregierung im Amt ist, setzt sie diesen Kurs mit aller Macht um. Zunächst mit dem rechten Putsch in der Ukraine und der Aufrüstung der NATO in Osteuropa und ganz aktuell mit der deutschen Intervention im Nahen und Mittleren Osten.«
In einem Zweiten Teil widmete Schwarz sich dann direkt der Frage »Warum wollen die deutschen Eliten wieder Krieg?« Dazu zitierte er die Resolution »Die Rückkehr des deutschen Imperialismus und die Aufgaben der Partei für Soziale Gleichheit«, welche die PSG auf einer Sonderkonferenz gegen Krieg im September verabschiedet hat. Ein Schlüsselpassage darin laute: »Grund für diese Rückkehr des deutschen Militarismus ist die historische Krise des Weltkapitalismus und des Systems von Nationalstaaten, auf dem er beruht.«
Schwarz erklärte, dass die deutschen Eliten wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in den 1930er Jahren mit einer zunehmend aggressiven Außenpolitik auf die Krise des Kapitalismus reagieren. Trotzki habe 1932 die objektiven Triebkräfte untersucht, die zum Aufstieg Hitlers führten und Deutschland als den »fortgeschrittensten Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit« bezeichnet. Wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg strebe die Deutsche Bourgeoisie erneut danach Europa zu dominieren, um Weltmacht zu werden.
Es sei keine Übertreibung, wenn man von einer direkten historischen Linie spreche, die vom wilhelminischen Kaiserreich über das Dritte Reich zum Außenministerium unter Steinmeier führt. Wie damals habe sich »der deutsche Imperialismus das Ziel gesetzt, die Ukraine, Georgien und andere Länder, die einst der Sowjetunion und dem Zarenreich angehörten, aus dem Einflussbereich Moskaus zu lösen und in den Einflussbereich der von Deutschland dominierten Europäischen Union einzugliedern. Er arbeitet dabei mit politischen Kräften wie der Partei Swoboda und der Vaterlandspartei zusammen, die Skoropadsky und den Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera als Nationalhelden verehren.«
Um diese Aussage zu untermauern zitierte Schwarz einen Aufsatz auf der offiziellen Seite des Außenministeriums mit dem bezeichnenden Titel: »Deutschlands Bestimmung: Europa führen um die Welt zu führen.« Ein anderes Beispiel sei das gerade erschienene Buch Joschka Fischers mit dem Titel »Scheitert Europa?«. Darin schreibe der ehemalige Außenminister: »Zwei Jahrzehnte nach der Zweiten deutschen Einigung werden Deutschland und Europa von dem alten Widerspruch der deutschen Mittellage wieder eingeholt: Deutschland ist und bleibt zu groß für Europa und zu klein für die Welt, zu klein für eine eigenständige weltpolitische Rolle.«
Schwarz zeigte auf, dass die Rückkehr zu deutscher Großmachtpolitik mit einer Revision der Geschichte einhergeht. Gerade an der HU gebe es mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler und dem Leiter des Lehrstuhls Geschichte Osteuropas Jörg Baberwoski Professoren die systematisch daran arbeiten, das bisherige Verständnis der Ursachen beider Weltkriege und der Verantwortung Deutschlands zu revidieren. Beide würden dabei gleichzeitig ihre akademische Position benutzen, um öffentlich für eine aggressivere deutsche Außenpolitik zu trommeln.
Schwarz ging in diesem Zusammenhang auf die Auseinandersetzung zwischen den IYSSE und der Universitätsleitung im Vorfeld der Veranstaltung ein. Diese habe versucht, die IYSSE-Veranstaltung politisch zu zensieren, indem sie die Kritik der Studierenden an den rechten Professoren als »Beschimpfung« und »Schmähung« darstellte, die gegen den akademischen Diskurs verstoße. Schwarz wies diesen Vorwurf entschieden zurück. Die IYSSE hätten nie jemanden beschimpft oder geschmäht, sondern, lediglich »recht nüchtern und objektiv analysiert, was die Humboldt- Professoren Münkler und Baberowski in Talkshows, Radiointerviews, Zeitungsartikeln und auf öffentlichen Podiumsdiskussionen vertreten«.
Ein Ausschnitt der Versammlung der IYSSE an der HU
Vor allem die Aussagen Baberowskis seien regelrecht »skandalös«. Studierende hätten nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, dagegen zu protestieren. Schwarz präsentierte einige Zitate. Am 10. Februar habe Baberowski im Spiegel erklärt: »Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.« Anfang Oktober habe er auf einer Podiumsdiskussion im Deutschen Historischen Museum zur militärischen Bekämpfung von nichtstaatlichen Kräften wie ISIS und den Taliban gesagt: »Und wenn man nicht bereit ist, Geiseln zu nehmen, Dörfer niederzubrennen und Menschen aufzuhängen und Furcht und Schrecken zu verbreiten, wie es die Terroristen tun, wenn man dazu nicht bereit ist, wird man eine solche Auseinandersetzung nicht gewinnen.«
Am Ende seines Vortrags stellte Schwarz die entscheidende Frage: »Was tun gegen Krieg und die Rückkehr des aggressiven deutschen Militarismus?« Er erklärte, dass der Kampf gegen Krieg untrennbar mit der Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms verbunden ist. »Es kann keinen Kampf für Sozialismus ohne Kampf gegen Krieg geben, und umgekehrt keinen Kampf gegen Krieg ohne Kampf für Sozialismus.«
Die PSG und ihre Jugendorganisation, die IYSSE, stützten »den Kampf gegen Militarismus und Krieg theoretisch, politisch und organisatorisch auf die Arbeiterklasse. Sie ist als internationale Klasse die einzige Kraft, die einen Dritten Weltkrieg verhindern kann. Ihre Interessen bringen sie in Widerspruch zum kapitalistischen System. Aber die sozialistische Revolution ist kein automatischer Prozess. Die Entscheidung über ihr Tempo und ihren Erfolg fallen im Bereich der Politik. Wie Trotzki am Vorabend des Zweiten Weltkriegs schrieb, läuft die geschichtliche Krise der Menschheit auf die Krise der revolutionären Führung hinaus. Die Lösung dieser Krise hängt von den Entscheidungen, dem Handeln und dem Aufbau unserer Partei ab.«
Aufgrund des großen Interesses an dem Vortrag wurde vereinbart, am kommenden Montag ein Follow-up Meeting zu organisieren, um die Diskussion fortzusetzen.
Das Institut für Geschichtswissenschaften der Berliner Humboldt Universität hat auf seiner Website eine »Stellungnahme zu den Angriffen auf Prof. Dr. Jörg Baberowski« veröffentlicht. Sie greift die Partei für Soziale Gleichheit und ihre Jugend- und Studentenorganisation IYSSE heftig an, weil sie die rechten politischen Auffassungen und Ziele des Lehrstuhlinhabers für Geschichte Osteuropa kritisieren. Sie schafft einen Präzedenzfall für eine moderne Form der Gleichschaltung. Wir veröffentlichen hier einen offenen Brief an den Präsidenten der Universität, Prof. Jan-Hendrik Olbertz, mit dem die PSG und die IYSSE gegen diesen unerhörten Angriff protestieren.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Olbertz,
wir verlangen, dass die »Stellungnahme zu den Angriffen auf Prof. Dr. Jörg Baberowski«[1]