Post, Mord und Provinzgeflüster - Der Mörder ohne Adresse - Jill Kaltenborn - E-Book
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Jill Kaltenborn

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Beschreibung

Ein ermittelnder Briefträger in Luxemburg: Fallanalytiker Sully Morland braucht nach einem Schicksalsschlag und seiner Suspendierung beim BKA einen Neuanfang. Bei seiner Patentante Rose findet er Zuflucht in einem idyllischen Dorf in Luxemburg. Dort springt er spontan als Aushilfsbriefträger ein und verteilt mit dem Rad die Post. Als er dabei buchstäblich über eine Leiche stolpert und der Polizistin Claire Bofferding bei den Ermittlungen hilft, wird Sully zu Luxemburgs erstem und einzigen radelnden Detektiv.

Über diese Folge:

Der Bürgermeister liegt tot im Regen vor seinem Haus - tragischer Unfall oder Mord? Sully Morland, eigentlich Fallanalytiker in Deutschland, nach dem Tod seiner Frau nun aber Aushilfsbriefträger in Luxemburg, entdeckt die Leiche. Und er ahnt: Das war kein Unfall.

Die Polizistin Claire Bofferding ist von seiner Einmischung zunächst gar nicht begeistert. Und auch Sully will mit Mord und Totschlag nichts mehr zu tun haben. Doch dann geschehen weitere seltsame Unfälle, und Zeugen wollen den leibhaftigen Sensenmann dabei gesehen haben. Claires Vorgesetzte möchten nicht ermitteln, also wendet sie sich an Sully ...

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über diese Folge

Post, Mord und Provinzgeflüster – Die Serie

Titel

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5

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In der nächsten Folge

Über die Autorin

Impressum

 

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Über diese Folge

Der Bürgermeister liegt tot im Regen vor seinem Haus – tragischer Unfall oder Mord? Sully Morland, eigentlich Fallanalytiker in Deutschland, nach dem Tod seiner Frau nun aber Aushilfsbriefträger in Luxemburg, entdeckt die Leiche. Und er ahnt: Das war kein Unfall.

Die Polizistin Claire Bofferding ist von seiner Einmischung zunächst gar nicht begeistert. Und auch Sully will mit Mord und Totschlag nichts mehr zu tun haben. Doch dann geschehen weitere seltsame Unfälle, und Zeugen wollen den leibhaftigen Sensenmann dabei gesehen haben. Claires Vorgesetzte möchten nicht ermitteln, also wendet sie sich an Sully …

Post, Mord und Provinzgeflüster – Die Serie

Ein ermittelnder Briefträger in Luxemburg: Fallanalytiker Sully Morland braucht nach einem Schicksalsschlag und seiner Suspendierung beim BKA einen Neuanfang. Bei seiner Patentante Rose findet er Zuflucht in einem idyllischen Dorf in Luxemburg. Spontan springt er dort als Aushilfsbriefträger ein und verteilt mit dem Rad die Post. Als er dabei buchstäblich über eine Leiche stolpert und der Polizistin Claire Bofferding bei den Ermittlungen hilft, wird Sully zu Luxemburgs erstem und einzigen radelnden Detektiv.

JILL KALTENBORN

Der Mörder ohne Adresse

1

Von den blutigen Fußspuren vor der Tür war kaum noch etwas zu sehen.

Der Regen peitschte wütend gegen die Fassaden der uralten Steinhäuser. Die Nacht war vorüber, und doch konnte sich die Sonne nicht gegen die Wolken behaupten. Alles war grau. Ein Martinshorn ertönte in der Ferne. Vielleicht war es auch das Jaulen des Windes. Die Straßen waren leer. Nicht nur wegen des Unwetters. Um diese Zeit waren fast alle Bewohner des kleinen Örtchens im Norden des Großherzogtums zur Arbeit aufgebrochen. Trotz der Dunkelheit brannte kein Licht in den Fenstern.

Nur Maison Quinze bot eine Ausnahme. Das Haus Nummer Fünfzehn lag hinter einem kleinen Hügel ein Stück abseits, weder neben Nummer Vierzehn noch Sechzehn.

Die Tür stand offen und gab den Blick auf die erleuchtete Eingangshalle frei. Der Regen hatte die Steinplatten im Eingangsbereich überschwemmt.

Ein Wandtelefon war aus den Angeln gehoben, baumelte an seiner Schnur und schlug mit dumpfem Pochen gegen die elfenbeinfarbene Tapete. Lediglich die dunkelroten Spritzer darauf zeugten von dem, was sich soeben ereignet hatte.

Zudem war die nackte Leiche, die bäuchlings am Ende des Kieswegs im Vorgarten lag, nicht wegzudiskutieren. Das schmiedeeiserne Tor schlug in unregelmäßigem Rhythmus gegen einen leblosen Fuß. Das andere Bein des Toten war angewinkelt, als wäre er mitten im Lauf niedergestreckt geworden. Der Körper war athletisch, ein weißer Hautstreifen zeugte von frühjährlichen Ausflügen in die Sonne. Nur das grau melierte Haar ließ Rückschlüsse auf das Alter des Verstorbenen zu. Die Arme von sich gestreckt, den Kopf zur Seite gewandt, lag er dort im strömenden Regen. Den ewig leeren Blick auf das gerichtet, was er mit der rechten Hand umklammert hielt: eine blutverschmierte Spiegelscherbe, die wenige Momente vor seinem gewaltsamen Tod in der nun klaffenden Wunde an seinem Hals gesteckt hatte. Fichtennadeln klebten wie trauriges Konfetti auf der Haut.

Ein fremder Mann kniete am Kopf der Leiche. Deutlich jünger war er, mit schlankem Körper. Sein Gesicht zeigte trotz des sich nähernden Martinshorns keine Regung.

Langsam richtete er sich auf, streifte sich den übergroßen Regenmantel ab, breitete ihn behutsam über dem Leichnam aus und beschwerte ihn mit Steinen.

Er bückte sich und griff nach dem Stapel durchnässter Briefe neben dem Toten. Die blaue Tinte auf dem obersten Umschlag war bereits verlaufen, der Adressat kaum zu entziffern. Nass bis auf die Haut reckte sich der Mann in Richtung des Briefkastens neben dem Gartentor, wobei er aufpassen musste, den reglosen Fuß nicht zu berühren. Er öffnete die Klappe und ließ den Stapel Briefe hineingleiten. Ein Seufzen. Aber Pflicht war eben Pflicht.

Das Martinshorn verstummte einige Meter hinter ihm. Er zuckte nicht zusammen. Reifen schleppten sich über den Kies. Die Szenerie wurde in blaues Licht getaucht. Die Regentropfen blinkten gespenstisch. Das Quietschen des Scheibenwischers erzählte von einem unerbittlichen Kampf gegen die Wassermassen.

Autotüren wurden hektisch geöffnet und geschlossen. Notarzt und Rettungssanitäter sprangen mit schwerem Gepäck aus dem Wagen.

Der Mann drehte sich um. »Ihr kommt zu spät.« Seine Stimme war ruhig und verlangsamte die Schritte der Ankömmlinge. »Der Bürgermeister ist tot.«

Es dauerte nur wenige Minuten, bis ein Polizeiauto eintraf.

»En Accident«, sagte der Notarzt von der trockenen Fahrerkabine des Krankenwagens aus, als eine junge Frau in Uniform aus dem Polizeiwagen stieg.

»Sie haben uns gerufen?« Sie versuchte, die blonden Haare unter die Kapuze zu stopfen.

Der Notarzt nickte.

Die Polizistin ließ den Blick über das Gelände gleiten und entdeckte den fremden Mann, der einige Meter im Abseits neben einem Mountainbike mit vollbepackten Satteltaschen stand. »Und er hat den Toten gefunden?«

»Ja, aber der Notruf stammte vom Opfer selbst«, erwiderte einer der Sanitäter.

»Zu Ihnen komme ich gleich noch«, rief sie dem Radfahrer forsch zu. »Bleiben Sie dort am Zaun stehen und passen Sie auf, dass sie nichts mehr anfassen, ja?« Sie nahm Einmalhandschuhe aus der Jackentasche und hatte Schwierigkeiten, die klammen Finger hineinzuzwängen. »Vermutlich hat er ohnehin schon alle Spuren vernichtet«, murmelte sie finster.

Den amüsiert zuckenden Mundwinkel des Fremden konnte sie nicht sehen.

»Sie haben den Leichnam abgedeckt.« Die Polizistin sah die Sanitäter an. Es war eine Feststellung, keine Frage. »Das war eine kluge Entscheidung. Der Regen …« Sie kniete sich an die gleiche Stelle, an der sich vor wenigen Minuten noch der Mann befunden hatte, und lupfte einen Zipfel des Regenmantels. Bei dem Anblick des Toten verzog sie keine Miene.

»Ist es wirklich Jacques?«, ertönte die Stimme ihres Kollegen, der auf dem Fahrersitz versuchte, dem Unwetter zu entgehen.

»Ja, das ist er.« Sie richtete sich auf. »Jacques Eichner.«

»Bist du sicher?«, fragte der Kollege.

Sie ließ den Regenmantel zurückgleiten und richtete sich auf. »Er sieht aus wie der Bürgermeister, und er liegt vor dem Haus des Bürgermeisters. Einen Ausweis hat er nicht dabei. Weißt du, er ist nicht bekleidet. Aber komm doch einfach raus und überzeug dich selbst.« Ihre Stimme blieb sachlich.

Keine Reaktion aus dem Streifenwagen. Der Kollege schien nicht erpicht darauf zu sein, eine Leiche zu sehen. Vielleicht war er an diesem beschaulichen Fleckchen Erde bisher davon verschont geblieben. Das wäre durchaus denkbar.

»Wann ist der Notruf eingetroffen?«, fragte die Polizistin.

»Vor etwa einer halben Stunde.« Der Fahrer des Krankenwagens hatte den Blick auf seinen Schuh gerichtet, der in einer Pfütze auf dem Kies stand. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen.

»Vor einer halben Stunde? Das ist eine lange Zeit.« Sie hob skeptisch eine Augenbraue, senkte sie dann wieder, als Regentropfen ihre Augen trafen.

»Nun ja, wir … Also wir haben uns verfahren. Es war nicht einfach, das Haus zu finden. So versteckt hier hinten im Wald und dann die fehlende Beschilderung … Wir sind nicht so oft hier in der Gegend.«

»Verstehe.« Sie wandte sich an ihren Kollegen, der noch immer auf dem Fahrersitz wartete. »Dann informieren wir mal die Spurensicherung aus der Stadt. Könnte eine Weile dauern, bis die Kollegen kommen. Bei dem Wetter.«

»Spurensicherung? Claire, du hast doch gehört, dass er selbst den Rettungswagen gerufen hat. Es war ein Unfall. Meinst du echt, das ist nötig?«

Claire. Der nun regenmantellose Mann am Fahrrad speicherte ihren Namen ab.

»Spitzes Penetrationstrauma, offenbar vom Opfer selbst gemeldet«, teilte der Arzt mit, wobei er nicht von dem Papier auf seinem Schoß aufblickte. »Sieht aus, als wäre er an der Stichwunde am Hals verblutet. Die Frage, wie er zu der Wunde kam, müsst ihr beantworten. Ich weiß nur, dass dies ein nicht natürlicher Tod ist und wie ich da meine Kreuze auf dem Totenschein zu setzen habe.« Achselzucken und weiter unbeeindrucktes Kritzeln auf seinem Formular.

Claire fasste zusammen: »Also Spurensicherung, Paul. Und noch einmal danke für die Abdeckung der Leiche, Jungs. Vielleicht finden wir dann doch noch irgendetwas Brauchbares. Habt ihr sonst noch etwas verändert?«

»Also eigentlich …«, meldete sich der Fahrer des Krankenwagens wieder zu Wort, nicht weniger kleinlaut, »… war das er, nicht wir.« Er nickte in Richtung des Fahrradmannes.

Claire blickte verwundert auf und fixierte den Fremden argwöhnisch. Man konnte es ihr nicht verübeln. Durchnässt mit schwarzen Sporthandschuhen und dem im Blaulicht fahl schimmernden Gesicht mit den dunklen Strähnen in den Augen war er ein suspekter Anblick. Zumal sie eigentlich geglaubt hatte, die meisten Bewohner der Gemeinde zu kennen.

»Ich erzähle Ihnen gleich alles«, meldete sich der Mann zu Wort. »Aber vielleicht informieren Sie wirklich erst die Spurensicherung, bevor der Dauerregen alles verwischt. Ich habe mit dem Handy ein paar Fotos gemacht, die ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stelle.«

»Sie haben was? Und wer bitte schön sind Sie überhaupt?« Claire näherte sich dem Mann. Dabei sprach sie »wer« mit einem langgezogenen Ä aus.

Er zuckte ob der Feindseligkeit in den Worten der Polizistin zusammen. Niemand, wollte er gerade auf ihre Frage antworten, und ärgerte sich nicht das erste Mal, dass ausgerechnet er die Leiche hatte finden müssen. Ich bin hier doch eigentlich ein Niemand.

Doch Paul kam ihm zuvor. Er erhob sich aus dem Streifenwagen, der bedrohlich wankte, ging einige Schritte auf die Gruppe zu und schirmte die Augen gegen den Regen ab. Seine Miene hellte sich auf, als er den Mann erkannte. Mit einer geschmeidigen Bewegung des dicken Armes deutete er auf den Fremden und glich dabei einem Zirkusdompteur, der seine nächste Attraktion ankündigte. »Das ist doch unser neuer Briefträger!«, rief er aus. »Das ist Sully. Sully Morland!« Pauls französischer Akzent war nicht zu verkennen.

»Sully-Morland?« Wieder hob Claire eine Augenbraue. »Wie die Pariser Métro-Station?«

Sully seufzte. »Also eigentlich …«

»Sie haben das Opfer also zufällig bei der Arbeit gefunden, Monsieur Bréifdréier Sully-Morland?«, unterbrach ihn Claire.

Sully war sich nicht sicher, ob sie ihn damit aufziehen wollte, dass sie ihn als Herr Briefträger ansprach, aber er ignorierte es.

Für Außenstehende mochte dies eine seltsame Unterhaltung sein, die fließend zwischen drei Sprachen hin und her sprang. Für alle Beteiligten sowie den Rest dieses kleinen Landes eine Normalität.

»Einfach Sully genügt.« Er hätte ihr erklären können, dass sein Vater Brite und er noch nie an dieser verdammten Pariser Métro-Station gewesen war, hielt es aber für überflüssig.

»Und was haben Sie noch alles angefasst? Ich brauche Ihre Fingerabdrücke und Ihre Schuhe.«

Sully blickte auf seine nassen Treter.

»Also nicht jetzt, aber …« Claire schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen, da mischt sich jeder einfach in die Kriminalarbeit ein. Wissen Sie, wie viele Spuren Sie verwischt haben könnten?«

»Hatten Sie nicht eben gesagt, die Abdeckung der Leiche wäre eine gute Idee gewesen?«, konterte Sully.

Eine Pause. Nur das Heulen des Windes und das Quietschen des Scheibenwischers waren zu hören.

»Ihre Adresse, Ihre Telefonnummer, die Fotos«, sagte Claire mit Nachdruck.

»Selbstverständlich.«

»Claire, der wohnt doch bei Rose und Fernand«, sagte ihr Kollege Paul, als würde das alles erklären, und klopfte Sully auf die Schulter wie einem alten Bekannten. »Der läuft uns schon nicht weg. Sind Sie ein Neffe oder so etwas?«

»Patensohn. Und Entschuldigung, ich wollte mich wirklich nicht einmischen.«

Claire funkelte ihn weiterhin wütend an. Sie hatte hellblaue Augen, die durch das Licht des Krankenwagens betont wurden. Ihre Gesichtszüge waren fein, die Oberlippe leicht asymmetrisch. Vermutlich hatte sie als Kind an einer Hasenscharte gelitten. »Für einen Briefträger war das mit dem Mantel nicht schlecht«, knurrte sie fast. »Wir melden uns wegen der Fingerabdrücke.«

»Kein Problem.« Sully strich sich die Haare demonstrativ mit der behandschuhten Hand aus dem Gesicht und erinnerte dabei entfernt an einen Meisterdieb. Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, was er vor seiner Zeit als Briefträger gewesen war.

Aber das sollte sich bald ändern.

2

Knapp drei Stunden später stellte Sully sein Mountainbike in der Garage neben dem gemauerten Brunnen ab. Die Leute wollten schließlich ihre Post erhalten, ob nun ein Mord passiert war oder nicht. Ein ungeklärter Todesfall, korrigierte sich Sully. Zum Glück hatte der Regen inzwischen aufgehört. Durchnässt und fröstelnd überquerte Sully den kopfsteingepflasterten Hof des Anwesens.

Das Kutschenhäuschen, das er derzeit sein Zuhause nannte, ließ er rechts liegen und ging direkt auf das Haupthaus zu. Es war fast Mittagszeit, und in seinem Kühlschrank herrschte gähnende Leere. Er hatte ihn in den letzten drei Wochen, seit er kurzerhand hier eingezogen war, noch nicht gebraucht. Rose kümmerte sich zu gut um ihn.

Er öffnete die Holztür, streifte sich Turnschuhe und nasse Socken von den Füßen, nicht ohne dabei an das finstere Gesicht der Polizistin zu denken, und zog den schweren Vorhang zur Seite, der die Wärme des Kamins in den alten Steinmauern halten sollte. Es roch nach frisch Gebackenem und Kaffee. Stimmen drangen aus der Küche an sein Ohr, als er sich den Weg an der Sitzecke vor dem Kamin vorbei bahnte. Wie immer bückte er sich instinktiv unter dem massiven Rundbogen hindurch ins Esszimmer. Er griff nach einem Croissant auf dem großen Tisch, das vom Frühstück übrig geblieben war, strich großzügig Rhabarbergelee darauf, und füllte eine leere Steinguttasse mit Kaffee aus der Thermoskanne. Man hätte meinen können, Rose erwartete noch Besuch, aber so war der Tisch schon immer jeden Morgen gedeckt. Nur für den Fall.

»Nee, Fernand, hal op!«, hörte er Roses Stimme aus der Küche. Gefolgt von einem Klatschen.

»Au«, das war Fernand.

»Der Kuchen ist für Maude, nicht für dich. Schließlich ist ihr Noch-Ehemann tot aufgefunden worden. Also, Finger weg!«

»Aber du weißt, wie sehr ich deinen Schokelaskuch liebe, Chérie.«

»Ich werde in meinem Testament vermerken, dass du an meinem Todestag einen erhältst. So, und jetzt geh mir aus dem Weg, bevor die Kuvertüre wieder fest wird.«

Sully biss beherzt in das Croissant und lehnte sich in den hölzernen Türrahmen. Die Neckereien der beiden gehörten ebenso in diese Küche wie die farbigen Kerben der jährlichen Wachstumsschübe der Kinder in den Türrahmen.

»Oh Sully«, Rose fuhr herum, als sie das Knarzen des Holzes vernahm. »Du bist ja völlig durchnässt.« Sie hatte eine hellgrüne Leinenschürze um den schlanken Körper geschlungen und hielt einen Löffel mit flüssiger Schokolade in die Luft. Mischling Louis fixierte einen laufenden Tropfen mit sabbernder Schnauze. Ebenso Fernand.

»Möchtest du vielleicht ein Stück Kuchen?«

Fernands Augen vergrößerten sich empört.

»Ach guck nicht so, mein Schatz! Heute nur für alle, die eine Leiche gesehen haben.« Sie legte den Löffel ab, eilte aus der Küche, kam mit einer Wolldecke in den Händen wieder und legte sie Sully um die Schultern.

Es hätte ihn nicht wundern sollen, dass die Nachricht von dem Leichenfund bereits zu Rose und Fernand vorgedrungen war. Vermutlich zu fast jedem in ganz Gréngdall.

»Mensch Sully, setz dich doch, erzähl uns …« Sie deutete zu dem runden Holztisch mitten in der kleinen Küche, die mit ihrer technisch hochmodernen Ausstattung wie dem sechsflammigen Gasherd im Kontrast zu dem uralten Anwesen stand. In der Ecke vor dem geschnitzten Wandschrank hing ein Schinken zum Trocknen. Zwiebeln, Kartoffeln und Kräuter lugten aus bunten Keramikschüsseln hervor.

Rose ging zurück zu dem Kuchen auf der Arbeitsplatte und nahm ein großes Messer zur Hand.

»Danke, ich brauche keinen Kuchen.« Sully reckte sein Croissant in die Höhe, schlang die Decke enger um die Schultern und blieb im Türrahmen stehen. Sowohl Hund als auch Fernand schienen über diese Aussage empört.

Rose senkte das Messer, beäugte ihren Patensohn, trat nervös von einem Bein aufs andere.

»Nun frag ihn schon, Chérie. Ich denke, er ist der Letzte, der nicht darüber reden kann.«

Sie stieß ihrem Mann mit dem Ellenbogen in die Seite. »Wir wollen nicht in Sullys Gegenwart über L-Ä-I-C-H-E-N reden«, flüsterte sie ihm auf Luxemburgisch zu.

»Rose, ich bin weder taub, noch habe ich ein Problem mit dem Luxemburgischen oder kann nicht buchstabieren. Und da Leichen nun einmal mein Beruf sind, oder vielmehr waren, komme ich auch nach Saras Tod mit ihnen klar.« Noch immer musste er sich überwinden, ihren Namen auszusprechen.

Rose sah ihn aufmunternd an. Für ihre zweiundsiebzig Jahre hatte sie ein ausgesprochen faltenfreies Gesicht, wofür sie Apfelessig, Sonnencreme und das morgendliche Schwimmen im Stausee bei Wind und Wetter verantwortlich machte, dem sie dreimal wöchentlich nachging. Sully hatte sich trotzdem immer vorgestellt, dass sie mit ihrer Grazie in einem anderen Leben Filmschauspielerin hätte werden können.

In diesem Leben aber besaß sie einen Abschluss in Psychologie. Zwar hatte sie nie praktiziert, jedoch verlieh ihr die Ausbildung in prekären Situationen ein gewisses Fingerspitzengefühl. Und machte aus ihr einen der angenehmsten Gesprächspartner, die Sully kannte.

»Vermutlich darfst du uns gar nichts sagen, aber war es tatsächlich ein Spiegel? Jacques wurde von einer Spiegelscherbe aufgespießt?« Sollte bei diesen Worten eher Sorge oder Ekel in den Augen einer alternden Frau liegen, meinte er seltsamerweise ein aufgeregtes Funkeln zu erkennen.

»Ich bin nicht an den Ermittlungen beteiligt. Ich kann dir alles sagen, was ich weiß, aber das ist nicht viel. Ich habe ihn nur gefunden.«

»Ich habe gehört, Claire wäre auch dort gewesen?«

»Claire?«, fragte Fernand.

»Bofferding. Die neue Polizistin der Polizeistation hier in Gréngdall. Eine sehr nette und kompetente Person, wie ich finde.«

Geht so, dachte Sully. Die kleine Polizeistation befand sich zentral in Gréngdall gelegen, nur wenige Straßen von dem Flammang’schen Anwesen entfernt. Eine kleine Truppe, die es hauptsächlich mit Diebstählen und Ordnungswidrigkeiten zu tun gehabt hatte. Bisher.

Rose straffte die Schultern, als wäre es an ihr, die Frauenwelt zu verteidigen.

»Richtig. Bofferding … Wie das Bier«, kommentierte Fernand.

Rose schüttelte den Kopf. »Und Sully, hast du ihr gesagt, dass du auch …?«

»Nein. Bin ich ja auch nicht mehr. Der Teil meines Lebens ist vorbei.«

»Aber vielleicht könntest du …?«

»Nein, Rose. Ich möchte gerade nichts mit Mord und Totschlag zu tun haben.«

»Dann glaubst du also, es war Mord?« Wieder dieses Leuchten in Roses Augen.

»Nun mach mal langsam, Nancy Drew, das war eine Redewendung.« Fernands Stimme klang so beiläufig, als hätte er über den morgendlichen Regen gesprochen, während er die Gelegenheit nutzte, den Finger in die Schüssel mit der übrig gebliebenen Schokolade zu stecken.

»Fernand!« Rose zischte seinen Namen peinlich berührt.

Doch er ließ es sich nicht nehmen, Sully von Roses kleiner Besessenheit zu berichten. »Wusstest du, dass sie alle Bände gelesen hat? Nancy Drew, meine ich. Ein großer Krimi-Fan, unsere Rose. Ich habe gehört, als Kind trug sie immer Lupe und Notizblock mit sich herum. Hätte ich ja zu gerne gesehen.«

»Tante Rose! Das sind ja ganz neue Seiten!« Die Vorstellung dieser akkuraten Frau als Detektivin amüsierte Sully. Zwar fiel ihm auf, dass sie schon immer gerne über seine Arbeit geredet und er viele Krimis neben ihrem Lesesessel gesehen hatte, aber er hatte sich nie etwas dabei gedacht. An dem heutigen Vorfall schien seine Patentante aber tatsächlich mehr als interessiert zu sein.

»Kanntet ihr den Bürgermeister denn gut?«, fragte Sully, auch wenn er beabsichtigte, sich nicht in die Sache einzumischen.

»Was heißt schon gut? Er war eben der Bürgermeister. Manches, wofür er stand, war gut, anderes meiner Meinung nach nicht sonderlich. Ganz zu schweigen von der Sache mit Maude, seiner Frau …« Rose biss sich auf die Lippe.

Rose wusste tatsächlich alles über jeden.

»Bald wird es ja ohnehin jeder wissen«, fuhr sie fort. Offensichtlich hielt sie Sully für einen würdigen Empfänger dieser Neuigkeiten. »Er hat Maude verlassen und lebt mit einer jungen Flugbegleiterin zusammen. Lebte. Jacques meine ich. In Maudes Haus. Es ist noch recht frisch, und so kurz vor den Neuwahlen wollten sie die Sache noch unter Verschluss halten. Ich weiß nicht genau, wieso Maude da mitgemacht hat. Offenbar hat er ihr trotzdem noch viel bedeutet. Oder sie hat gehofft, dass diese Flugbegleiterin nur eine von Jacques’ Launen war. Allerdings hat er Maude nun doch um die Scheidung gebeten. Sie hatten einen immensen Streit ums Vermögen, der nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte. Er ist … war … sehr eigen.«

»Ganz im Gegensatz zu uns natürlich«, sagte Fernand augenzwinkernd. »Aber Feinde hat man als Politiker vermutlich ohnehin genug. Apropos Vermögen … Ich muss los, Manuel hat mich gebeten, ihm bei einer Sache zu helfen. Er scheint in einem kleinen Dilemma zu stecken.«

Rose rollte kaum merklich mit den Augen, während ihr Mann ihr einen Kuss gab. Seitdem Fernand sich aus der Finanzwelt in den Ruhestand verabschiedet hatte, versuchte er mit kleineren Tricks Bekannten und örtlichen Unternehmen aus finanziellen Engpässen zu helfen. So offenbar auch Kneipenbesitzer Manuel, den nächsten Nachbarn der Flammangs.

»Ich fahre zu Maude.« Rose nahm die Schürze ab, und hängte sie an den Haken an einem Holzbalken. »Sie wohnt derzeit bei ihrer Schwester. Und Zucker hilft bekanntermaßen.«