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PR-Kampagnen E-Book

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Beschreibung

Kampagnen haben durch das Social Web an Bedeutung gewonnen. Der Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama oder die Greenpeace-Kampagne gegen Nestlé, haben gezeigt, dass durch geschickte Inszenierung und Mobilisierung von Zielgruppen auch mächtige Institutionen – wie regierende politische Parteien oder Weltkonzerne – empfindliche Niederlagen einstecken müssen. Das vorliegende Buch vermittelt Grundlagenwissen über PR-Kampagnen und erklärt am Beispiel von Case Studies, wie man erfolgreiche Kampagnen plant, durchführt und bewertet. Es gliedert sich in die drei Teile Theorie, Praxis und Ausblick. Nach drei Beiträgen zu grundlegenden Fragen von Kampagnen folgen acht Case Studies aus der Kampagnenpraxis, die nach einem einheitlichen Raster aufgebaut sind: vier aus Unternehmen sowie jeweils zwei von politischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen. Dabei werden auch Schwierigkeiten und Probleme bei der Durchführung der Kampagnen beschrieben. Der letzte Block mit vier Beiträgen wirft einen Blick auf die Zukunft der Kampagnenpraxis – auf die wachsende Bedeutung von Social Media und auf die USA. Ziel des Bandes ist es, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen und in Form einer kompakten und zugleich lesefreundlichen Einführung handhabbares Wissen zu PR-Kampagnen zu vermitteln.

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[1][2]

Ralf Spiller ist Professor für Kommunikationsmanagement/Public Relations an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln. Studium der Rechts- und Politikwissenschaften, Promotion über Kommunikationsprozesse in Verhandlungen, Besuch der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten, Redakteur beim »Handelsblatt«, Produkt- und Projektmanager im Verlagswesen, Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Marketing und PR.

Christina Vaih-Baur ist Professorin für PR und Kommunikationsmanagement an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Stuttgart. Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin, Mitarbeiterin in der Unternehmenskommunikation eines internationalen Konzerns sowie bei einer führenden, global agierenden Kommunikationsagentur, wissenschaftliche Angestellte an der Universität der Künste Berlin und Promotion im Bereich »Multisensuelle Produkt- und Markengestaltung«.

Hans Scheurer ist Professor für Public Relations/Kommunikationsmanagement an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln. Studium der Medienwissenschaft und Germanistik, Promotion über die »Industrialisierung des Blicks«, journalistische Tätigkeit (Kölner Stadt-Anzeiger, WDR), Geschäftsführender Gesellschafter der PR-Agentur »Scheben Scheurer & Partner«.

[3]Ralf Spiller Christina Vaih-Baur Hans Scheurer (Hg.)

PR-Kampagnen

[4]PR Praxis

Band 24

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISSN 1863-8988

ISBN 978-3-86496-076-5

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Dieses eBook ist zitierfähig. Es ist dadurch gekennzeichnet, dass die Seitenangaben der Druckausgabe des Titels in den Text integriert wurden. Sie finden diese in eckigen Klammern dort, wo die jeweilige Druckseite beginnt. Die Position kann in Einzelfällen inmitten eines Wortes liegen, wenn der Seitenumbruch in der gedruckten Ausgabe ebenfalls genau an dieser Stelle liegt. Es handelt sich dabei nicht um einen Fehler.

© UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2011

Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz

Titelfoto: Istockphoto Inc.

Satz und Lektorat: Klose Textmanagement, Berlin

UVK Verlagsgesellschaft mbH

Schützenstr. 24 · 78462 Konstanz · Deutschland

Tel.: 07531-9053-0 · Fax: 07531-9053-98

www.uvk.de

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

[5]Inhalt

Vorwort

TEIL 1– THEORIE

1   Definitionen und Merkmale von PR-Kampagnen

Jan Lies

2   Zum Management von Kampagnen auf Basis von Theorien der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung

Michael Bürker

3   Wirkungsforschung zu Kampagnen – was funktioniert?

Ralf Spiller

TEIL 2 – PRAXIS

4   Konzeption, Durchführung und Bewertung von Kampagnen – ein Praxisleitfaden

Karl-Ernst Schäfers

5   Kampagnen von Unternehmen

Fall 1: Siemens – der »grüne Infrastrukturpionier«

Marc Langendorf und Monika Langendorf

[6]Fall 2: Die Präventionskampagne »Aktion sicherer Auftritt« der gewerblichen Berufsgenossenschaften

Michael Ehring und Hans Scheurer

Fall 3: Horst Schlämmer fährt Golf im Social Web – »Ich mach jetzt Führerschein«

Sonja Kastner

Fall 4: Der Qualität auf der Spur – die McDonald’s Transparenzkampagne 2004 bis 2009

Christine Walther

6   Kampagnen von politischen Institutionen

Fall 5: Mit Emotion zur Prävention – die nationale Verkehrssicherheitskampagne »Runter vom Gas!«

Nadine Remus

Fall 6:»Studieren mit Meerwert« – die erste integrierte Hochschulmarketingkampagne auf Landesebene

Petra Friedlaender und Christine Harcks

7   Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen

Fall 7: Gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel – eine Kampagne des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland

Michael Handrick

Fall 8: Begeisterung für politische Themen wecken – die Kampagne »Gold für Menschenrechte« von Amnesty International

Jessica Schallock

[7]TEIL 3 – AUSBLICK

8   PR-Kampagnen und Social Media

Günther Suchy

9   Kampagnen in den USA

Bradley E. Wiggins, Mary Beth Leidman und Matthew McKeague

10 Kampagnen in Religion und Politik

Wolfgang Kreuter

11 PR-Kampagnen und ihre gesellschaftspolitische Relevanz

Thomas Döbler und Anna-Maria Wahl

Autoren

Index

Vorwort

[8][9]Kampagnen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Dies liegt zum einen an der immer stärkeren Nutzung des Internets und der sozialen Onlinenetzwerke, mit deren Hilfe auch bei geringen Budgets schon wirkungsvolle Kampagnen initiiert werden können. Zum anderen werden mittlerweile höhere Erwartungen an das gesellschaftspolitische Engagement von Organisationen gestellt. Große Unternehmen und Konzerne setzen daher PR-Kampagnen oftmals im Zusammenhang mit ausgeklügelten Corporate-Social-Responsibility-Strategien um.

Schließlich haben einige Kampagnen der jüngeren Vergangenheit, wie z. B. der Präsidentschaftswahlkampf von Barack Obama oder die Greenpeace-Kampagne gegen Nestlé, gezeigt, dass durch geschickte Inszenierung und Mobilisierung von Zielgruppen auch mächtige Institutionen – wie regierende politische Parteien oder Weltkonzerne – empfindliche Niederlagen einstecken müssen.

Obwohl das Thema in der Praxis einen hohen Stellenwert einnimmt, sind wissenschaftliche Werke zu PR-Kampagnen selten. Es gibt relativ viele Publikationen zum politischen Wahlkampf und zu Marketingkampagnen. Literatur zu PR-Kampagnen, wissenschaftlich fundiert, aber mit engem Bezug zur Praxis, ist dagegen Mangelware.

Diese Lücke soll das vorliegende Buch schließen. Dabei wird in diesem Werk ein breites Verständnis von Public Relations zugrunde gelegt, d. h., es geht zunächst einmal um Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Thema. Warum ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit geraten soll, kann unterschiedliche Gründe haben. Infrage kommen z. B. der Schutz des Einzelnen (öffentliche Gesundheitskampagnen), die Einhaltung von Grundrechten (Menschenrechtskampagnen) oder die Ankurbelung des Absatzes (Vertriebskampagnen). Die vorliegende Publikation behandelt entsprechend dieses breiten Ansatzes sowohl Kampagnen von Unternehmen als auch von politischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen.

Das dreiteilige Werk gliedert sich in Theorie (I), Praxis (II) und Ausblick (III).

Im ersten Block finden sich drei Aufsätze, die in das Thema einführen. Im ersten Beitrag wird der Kampagnenbegriff erläutert und von anderen Formen der Kommunikation abgegrenzt. Es folgt ein Aufsatz zum Management von Kommunikationskampagnen auf Basis der Theorien der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung. Schließlich skizziert der letzte Beitrag die Ergebnisse der Medienwirkungsforschung zu Kampagnen.

[10]Der zweite Block beginnt mit einem Beitrag, der als Leitfaden für eine Kampagnenkonzeption genutzt werden kann. Erläutert wird Schritt für Schritt, wie eine Kampagne in idealer Weise geplant, inszeniert und evaluiert werden sollte. Anschließend folgen acht Fälle aus der Kampagnenpraxis, vier aus dem Unternehmensumfeld sowie jeweils zwei von politischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen.

Alle Fälle sind nach einem einheitlichen Raster bearbeitet worden, das ihren Vergleich erleichtert. Dabei wurde besonders viel Wert auf die Abschnitte Aufgetretene Probleme und Evaluation gelegt. Probleme, die vor, während und nach der Kampagne aufgetreten sind, sollten von den Autoren explizit angesprochen werden. Die Beiträge sollen helfen, den einen oder anderen Fallstrick in der Praxis zu vermeiden. Gleichzeitig grenzt sich das Buch auf diese Weise von anderen Werken mit Case-Studies ab, bei denen in der Regel vornehmlich Erfolgsgeschichten ohne Darlegung der Hindernisse und Probleme präsentiert werden.

Wie oben erwähnt, wurden ausschließlich Fälle ausgewählt, die evaluiert worden sind. Da sich bisher kein einheitlicher Standard für die Kampagnenevaluation herausgebildet hat und in der Praxis häufig aus Kostengründen nur rudimentär oder gar nicht evaluiert wird, konnten jedoch an die Evaluationsergebnisse nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Letztlich war es jedoch nur durch die durchgeführten Evaluationen möglich, den Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne zu beurteilen.

Der letzte Block mit vier Beiträgen soll einen Blick in die Zukunft werfen. Dort wird sowohl das Thema Social Media für die Kampagnenpraxis genauer unter die Lupe genommen als auch der Blick in die USA gerichtet, um von dortigen Tendenzen und Entwicklungen in der Kampagnenpraxis zu erfahren.

Die letzten beiden Beiträge beschäftigen sich mit Religion und Politik als Inhalte von Kampagnen und mit der gesellschaftspolitischen Relevanz von Kommunikationskampagnen. Insbesondere der letzte Beitrag zeigt auf, dass Kampagnenmacher zukünftig dem Dialog mit ihren Zielgruppen deutlich mehr Gewicht beimessen müssen, um nicht von den geringen oder auch konträren Wirkungen ihrer Kampagnen überrascht zu werden.

Wir danken allen Autoren herzlich für ihr Engagement, ohne das diese Publikation nicht entstanden wäre.

Köln und Stuttgart, Juli 2011

Ralf Spiller Christina Vaih-Baur

[11]Teil 1

Theorie

[12][13]1   Definitionen und Merkmale von PR-Kampagnen

Jan Lies

»Wie viele Begriffe und Praktiken der Public Relations ist auch der von der PR verwendete Kampagnen-Begriff nicht eindeutig definiert. Insbesondere eine Abgrenzung von Werbe-, Marketing- und PR-Kampagne ist in der Praxis kaum möglich« (Röttger 2009: 9). Dieses Eingangszitat signalisiert, dass die Analyse und Bestimmung des Kampagnenbegriffs nicht nur die Abgrenzungsdiskussion unterschiedlicher Kommunikationsdisziplinen wie Werbung, Marketing und Public Relations (PR) reflektiert. Er führt darüber hinaus zu der Frage, was Kampagnen mit integrierter Kommunikation, mit Konzepten und mit Strategien verbindet bzw. trennt.

Eine erste begriffliche Annäherung

Bei der Erklärung des Kampagnenbegriffs wird oft auf seine militärischen Ursprünge verwiesen, die viele Spuren im Management hinterlassen haben. Die campagna (hergeleitet von lateinisch »campus«: Feld) bezeichnete die Zeitspanne, die ein Heer im Feld verbrachte, also die Dauer von Feldzügen. Der Kampagnenbegriff bezeichnet heute über die Kommunikation hinaus eine zielgerichtete, zeitlich zusammenhängende und befristete Handlungsserie. In der Landwirtschaft ist hiermit etwa der Saisonbetrieb einer von der Erntezeit abhängigen Produktionsweise gemeint. In der Metallerzeugung meint der Kampagnenbegriff die Zeit, in der der Hochofen in Betrieb ist. Mit Blick auf den unten erklärten Campaigning-Begriff ist auch zu erwähnen, dass Campaigns im 17. Jahrhundert die Sitzungsperioden des englischen Parlaments bezeichneten (vgl. Althaus 2005: 114 f.; Baringhorst 1998: 67; Röttger 2009: 9 ff.). Überträgt man diese Aspekte auf die Organisationskommunikation könnte man in einer ersten Annäherung Kommunikationskampagnen wie folgt definieren (Bonfadelli/Friemel 2006: 15):

•   »Die Konzeption, Durchführung und Kontrolle von

•   systematischen und zielgerichteten

•   Kommunikationsaktivitäten zur

•   Förderung von Problembewusstsein und Beeinflussung von Einstellungen und Verhaltensweisen gewisser

•   Zielgruppen in Bezug auf

[14]•   soziale Ideen, Aufgaben oder Praktiken, und zwar im

•   positiven, d. h. gesellschaftlich erwünschten Sinne.«

Diese soweit sicher zunächst zustimmungsfähigen Merkmale von Kampagnen …

a)   führen zu der Problematik, dass eigentlich jede Form von konzeptioneller und/ oder strategischer Kommunikation Kampagnen wären. An diese Problematik wird unten mit der Frage angeknüpft, was Kampagnen eigentlich methodischinstrumentell kennzeichnet.

b)   dokumentieren mit der Betonung sozialer Ideen und gesellschaftlich gewünschten Inhalten die US-amerikanische Tradition des Kampagnenbegriffs. »Öffentliche Kampagnen sind ein vertrauter und wesentlicher Teil der amerikanischen bürgerschaftlichen Kultur« (Paisley 2001: 3).

Die Trennung von öffentlichen und unternehmerischen Kampagnen macht sie auch zu einem Kristallisationspunkt der unterschiedlich verlaufenden Debatten von Kommunikation als (normativer) gesellschaftlicher Institution sowie von Kommunikation als Funktion und Managementinstrument. Diese Debatte wird unten mit dem Begriff der Sozialkampagne nur angedeutet, da in der Praxis der Unterschied dieser Kampagnenformen vielleicht in den Auftraggebern und ihren Zielen, aber methodisch nicht in den Vorgehensweisen und Instrumenten besteht.

Kampagnen – nichts als angewendete strategische Kommunikation?

Was also kennzeichnet Kampagnen methodisch? Lässt sich eine kennzeichnungsstarke Verbindung und Unterscheidung zur strategischen und/oder integrierten Kommunikation herausarbeiten?

Metzinger geht mit dem Ansatz des Business Campaigning über die kommunikations- oder disziplinenbezogene Kampagnenanwendung hinaus und setzt die Begriffe »Unternehmen« und »Kampagne« synonym, da jede Kampagne ein Unternehmen (als Vorhaben) sei (vgl. Metzinger 2004: 4). Er betont den überbauartigen Charakter von Kampagnen, der Fachdisziplinen der Kommunikation und Unternehmensführung mithilfe einer »Leitidee« verbindet und die nötige Feldarbeit für die Umsetzung integriert. Als eine Facette des Business Campaigning wird das Element der Intervention von Kampagnen hervorgehoben, die als direkter Eingriff in Prozesse und Zustände auf ein bestimmtes Ziel hin definiert wird. Als Beispiele nennt er Preissenkungen oder Reorganisationen (vgl. Metzinger 2004: 34 f.), so dass mit diesen Beispielen das Business Campaigning im ideen- und prinzipiengesteuerten (strategischen) Management untergeht (zur Definition von Strategie mehr unten).

Röttger betont die Charaktereigenschaft der Doppelstrategie von Kampagnen (Röttger 2009: 10): Einerseits sind sie demnach darauf ausgerichtet, Aufmerksamkeit [15]aufzubauen; andererseits sind sie von ihrer Medienorientierung gekennzeichnet, um möglichst Medienresonanz zu erreichen. Dabei richten sich Kampagnen nicht nur nach Routinen der Medien, sondern sollen eine Eigendynamik der Medien entfachen, indem sie das Thema eigeninitiativ aufgreifen und weiterentwickeln. Hier wird also eine systemisch-instrumentelle Eigenschaft (selbststeuernd, eigendynamisch) von durch Kampagnen angestoßenen Kommunikationsprozessen hervorgehoben. Wenn aber mental-kognitive Phänomene wie Image und Reputation die Ziele von Organisationskommunikation an sich sind, ist diese Doppelstrategie ein generelles Charakteristikum von gruppenbezogener Kommunikation. Reputation ist z. B. ein gruppenabhängiges Phänomen, das das Ergebnis eines mediengestützten Prozesses sein kann. Das heißt, dass das Merkmal der »Doppelstrategie« zwar ein normatives Kennzeichen von Kampagnen ist. Es unterscheidet sie aber nicht von anderen Disziplinen der Organisationskommunikation, sondern qualifiziert die Kampagne als fokussierte Methodik, deren Charakteristika noch zu benennen sind.

Zudem ist der Kampagnenbegriff schwerlich notwendig an Medien (hier: Zeitungen, Fernsehen, Hörfunk, Internet) zu binden. Besonders deutlich wird dies in der Debatte um die Frage nach Auslösern von Eigendynamik etwa bei viraler Kommunikation (Viruskommunikation). Anders als bei herkömmlichen Image- und Reputationsbildungsprozessen basiert diese Eigendynamik auf Ansteckungseffekten, die weder die klassischen Medien unbedingt benötigen, noch auf Vertrauen auf der Basis von Erfahrungswissen basieren. Dass Medien ein wichtiger Hebel für den Kampagnenerfolg sein können, ist sicher unstrittig. Wenn man aber an Mitarbeiterkampagnen, Aktionen für Fangemeinschaften oder Flashmobs denkt, ist die Eigendynamik sozialer Vernetzung auch durch entfernte persönliche Bekanntschaft bereits hinreichend für den Kampagnenerfolg, so dass ihre Ausrichtung an Medien nicht unbedingt notwendig ist.

Althaus betont im Anschluss an den militärischen Kampagnenbegriff das Terrain und den Gegner als zentrale Elemente politischer Kampagnen. »Wie ihr militärisches Pendant geht es bei einer politischen Kampagne um Terrain, das innerhalb einer Zeitspanne von mehreren Monaten zu verteidigen oder zu erobern ist, und einen Gegner, der niederzuhalten, zu schlagen und zu vertreiben ist« (Althaus 2005: 115). Dieser martialische Aspekt ist übertragend jedoch für den Spezialfall unterschiedlicher Interessenlagen bezüglich des Kampagnenziels vorbehalten, der vorliegen kann, aber nicht vorliegen muss, wenn man etwa an Positionierungs- oder Imagekampagnen für bestimmte Produkte denkt.

Die Charakteristika von Kampagnen als Unternehmen, als Doppelstrategie, als Medienkommunikation oder als Instrument des »Terraingewinns« sind Kannbestimmungen, aber nicht notwendig, um sie zu kennzeichnen. Was also ist das kennzeichnende Merkmal von Kampagnen?

Zentrale Kennzeichen einer Kampagne

[16]Hier wird als Kennzeichnung von Kampagnen herausgehoben, dass es das dramaturgische Element ist, das unterschiedliche Kommunikationsmaßnahmen/-instrumente und/oder -disziplinen einer Kampagne prozessual innerhalb einer bestimmten Frist in Bezug auf ein bestimmtes Ziel vereint: »Unter PR-Kampagnen werden hier dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit verstanden, die auf ein Set unterschiedlicher kommunikativer Instrumente und Techniken – werbliche Mittel, marketing-spezifische Instrumente und klassische PR-Maßnahmen – zurückgreifen« (Röttger 2009: 9). Die Kampagne als dramaturgische Kommunikationsmethodik dient dazu, angesichts des Überangebots an Informationen mehr Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Organisationsziel zu erhalten, als singuläre oder integrierte Kommunikation (inhaltliche, sachliche, zeitliche, instrumentelle Abstimmung) ohne dramaturgischen Rahmen dies leisten könnte.

Kritisch zu hinterfragen sind in dieser Definition die Merkmale »strategisch« und »öffentlich«:

•   Das Strategiemerkmal von Kampagnen: Vermutlich ist das Merkmal der Strategie nicht per se als Kampagnenmerkmal zulässig, auch wenn das in der Literatur immer wieder behauptet wird (vgl. Avenarius 2000: 198 f.; Leipziger 2009: 19). Der Begriff »Strategie« stammt – wie auch der Kampagnenbegriff – aus dem Militär. Er lässt sich auf die griechischen Begriffe »stratos« (Heer) und »agein« (führen) zurückführen. Der Strategiebegriff wird heute so vielfältig verwendet, dass er inhaltlich verwässert ist. Besonders deutlich wird dies bei Übersichtsbüchern wie der »Strategy Safari« von Mintzberg et al.: Strategie kann demnach Vorgehensplan und -funktion, Verhaltensweisen sowie Entwicklungsmethodik und -prozess hierfür sein, und zwar als »Eintopf« (vgl. Mintzberg et al. 2007: 22 f., 413). Das trägt nicht unbedingt zu mehr Klarheit bei, so dass hier vereinfachend auf das so genannte St. Galler Managementmodell als eine wichtige Leitlinie für die strategische Unternehmensführung verwiesen wird. Dabei kennzeichnet das strategische Management den Aufbau, die Pflege und Nutzung von Erfolgspotenzialen, die den langfristigen und nachhaltigen Organisationserfolg sichern (vgl. Bleicher 2002: 7). Das mag man als zu einfach kritisieren, macht aber sofort klar, dass damit nicht jede Kampagne strategisch wäre. Der Beitrag zum Aufbau und zum Erhalt von Erfolgspotenzialen im Sinne des managementorientierten Strategiebegriffs ist im Fall von Image- oder Produkteinführungskampagnen sicher oft erfüllt. Im Kundenmanagement können Kampagnen eher den Charakter einer intensiv-aktionistischen Vertriebsinitiative haben, die eher operativ als strategisch ist. Auch eine Werbekampagne für ein kleineres Produkt in einem größeren Sortiment wäre eine unechte Strategie, wenn sie methodisch zum Beispiel mithilfe des Managementkreislaufs entwickelt wurde. Dies ist methodisch hilfreich. [17]Deswegen sichern sie jedoch nicht unbedingt langfristig kritische Erfolgspotenziale einer Organisation (vgl. Lies 2008a: 227).

•   Das Öffentlichkeitsmerkmal von Kampagnen: Der Öffentlichkeitsbegriff ist bei der Definition des Kampagnenbegriffs mit Vorsicht zu verwenden. In der kommunikationswissenschaftlichen Debatte wechselt er zwischen einem gesamtgesellschaftlichen Anspruch, dem Gruppenaspekt, der im Gegensatz zu einer räumlich definierten Öffentlichkeit (alles was außerhalb der eigenen vier Wände passiert) durch eine gemeinsame Idee oder ein gemeinsames Interesse verbunden ist, und dem Zielgruppenaspekt, also der Ansprache bestimmter Bezugsgruppen. Das heißt, der Öffentlichkeitsbegriff ist adressaten- oder wahrnehmungsspezifisch zu interpretieren, was etwa der Arena-Begriff in der Kampagnendebatte ausdrückt. »Arena ist die Chiffre für die Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation […]. Der Begriff beschreibt bildhaft die Vieldimensionalität und die Dynamik, die den öffentlichen Raum prägen […]. Er beinhaltet die Aggressivität, die Schaulust, aber auch die Lust, im Scheinwerferlicht zu stehen. […] Er steht für die spezifische Atmosphäre des Unberechenbaren, der Überraschungen und gelungener Coups. Und die Arena steht für den intensiven Wettbewerb um die Aufmerksamkeit zwischen allen Akteuren – und nicht nur um den eigenen Markt« (Behrent/Mentner 2001: 21). Im Rahmen der internen Kommunikation sind z. B. Mitarbeiter oder Führungskräfte die Adressaten von Kampagnen und bei der Vertriebskommunikation steht etwa nur die Händlerkommunikation im Fokus, also weder »die Medien« noch »die Öffentlichkeit«, und dennoch ist die dramaturgisch-integrierte Kommunikation als Kampagnenmerkmal erfüllt.

Aufgrund dieser Kritikpunkte wird hier nicht nur sowohl auf das Strategiemerkmal als auch auf den erklärungsbedürftigen Öffentlichkeitsaspekt von Kampagnen verzichtet, sondern es werden auch die Merkmale der Zielorientierung, der prozessbestimmenden Story/Idee, der Dramaturgie und Inszenierung mit einer gemeinsamen kommunikativen Klammer zur Wiedererkennbarkeit festgehalten. Dass Kampagnen mit dem Kommunikationsbegriff als Mitteilungshandlung unzureichend charakterisiert sind und an sich mit dem reputationsrelevanten Verhalten als Wahrnehmungsmanagement zu kennzeichnen wäre, gilt für die gesamte PR-Diskussion und wird hier nicht weiter vertieft (vgl. Lies 2010b: 215 ff.).

Kampagnenmerkmal: Zielorientierung

•   Die Zielorientierung von Kampagnen kann – muss aber nicht – mithilfe von Konzepten als strukturierende Planungsmethodik hergeleitet werden.

•   Das Konzept beschreibt die (Soll-)Positionierung (verdichtet Kommunikationsinhalte und Kernbotschaften in Abgrenzung zu Wettbewerbern), den Kommunikationsansatz [18](Idee mit Weg zum Ziel, Phasen, Dramaturgie), der strategisch sein kann, die Maßnahmen, die Evaluierung (Messung) sowie die Kosten.

Kampagnenmerkmal: Prozessbestimmende Story und Idee

•   Die Story konkretisiert die Idee der Kampagne, den Kampagnenansatz.

•   Sie fokussiert den prozessbestimmenden Kampagnenansatz mit Aussagen zu Zielen, Aufgaben, Prioritäten und Meilensteinen.

•   Fischoeder spricht von der Kampagnen-DNS in Anlehnung an die Desoxyribonukleinsäure (DNS) als Trägerin der Erbinformation (vgl. Fischoeder 2003, zit. n. Mast et al. 2005: 280).

•   Die DNS wird hier mit der Story gleichgesetzt. In der Story ist damit die Leitidee enthalten, ein ggf. kreativer Ansatz, um sich aufmerksamkeitsbezogen aus der Vielfalt von Wahrnehmungsangeboten herauszuheben.

•   Die Story oder Kampagnen-DNS ist ein Hybridinstrument, da sie nicht nur die Idee enthält, indem sie sich wie ein roter Faden durch den Kampagnenverlauf zieht und Aufbereitung und Umsetzung der Kampagnenidee deutlich macht, sondern auch ein Aspekt des Wissensmanagements ist, indem durch sie eine Informationsveränderung mit dem didaktischen Prinzip der Erzählstruktur vereinfacht gelingen soll. Sie gibt damit die notwendigen Teilkommunikationsziele (informative, edukative, emotionale Teilziele) vor.

•   Die Story bildet die inhaltliche Klammer für den Kampagnenzeitraum, gibt Hinweise zur Dramaturgie, zur Inszenierung und ggf. zur Phasenbildung der Kampagne und findet sich in Form von Kernbotschaften in allen Maßnahmen der Kampagne wieder.

Kampagnenmerkmal: Dramaturgie und Inszenierung

•   An den griechischen Ursprungsbegriff angelehnt, geht es bei der Dramaturgie um die innere Struktur des Dramas – wobei Drama im Sinne des griechischen Begriffs »Handlung« meint (vgl. Herbst 2003:167 ff.). Die Dramaturgie beinhaltet im Theater auch die Erzählstruktur und formt damit die Szenen und das »Bühnenbild der Arena«.

•   Die Dramaturgie bezeichnet auf der Bühne den Aufbau eines Spannungsbogens. Auf die Kampagne übertragen und aus Kommunikationssicht interpretiert, geht es wie im Theater um Handlungsaufbau: Abgeleitet aus der Story wird festgelegt, ob und welche Teilziele innerhalb bestimmter Kampagnenphasen zu verfolgen sind.

•   Der Begriff Inszenierung, aus der Bedeutung des Theaters abgeleitet, meint die Vorbereitung, Gestaltung und Umsetzung einer Handlung innerhalb eines gegebenen Rahmens als Bühnenstück. Inszenierung ist die Umsetzung eines Drehbuchs [19]als bewusste Gestaltung von Begegnungssequenzen, Szenarien und Handlungsabläufen, ist also eng mit der Dramaturgie verwoben.

•   Insgesamt integriert die dramatische Denkweise künstlerische, kommunikative, didaktische und auch management-logische Aspekte in psychologisch wirksame Abläufe (vgl. Gundlach 2007: 85).

•   Denkbar – aber zielabhängig – ist, sich didaktisch dem Kommunikationsziel zu nähern, so dass z. B. zuerst Informations-, dann Edukations- und schließlich Emotionsziele verfolgt werden, die aufeinander aufbauen könnten und in Phasen akzentuiert werden. Diese Phasen werden geprägt durch Teilziele der Kommunikation, sind also durch die dort eingesetzten Instrumente in Kombination mit deren Zielbeiträgen abgrenzbar.

Kampagnenmerkmal: kommunikative Klammer zur Wiedererkennbarkeit

•   Kampagnen beanspruchen Zeit, um ihre Ziele zu erreichen. Zudem können sie aus einer Vielzahl von Teilprojekten bestehen, die für die Adressaten allein über die inhaltlichen Botschaften im Informationswettbewerb nicht sichtbar sind.

•   Beides führt dazu, dass Kampagnen kommunikative Klammern benötigen, um die Wiedererkennbarkeit inhaltlich, prozessual und auch visuell zu gewährleisten. Daher brauchen Kampagnen instrumentenübergreifende visuelle und verbale Elemente wie Logo, Claim, Bilderwelten und Wording, um die inhaltliche Botschaft besser zu transportieren.

Die eingangs erwähnte disziplinäre Abgrenzungsdiskussion von Kampagnen erweist sich hier als unfruchtbar, weil die Kampagnenidee gerade in der Kombination unterschiedlicher Verfahren und Instrumente aus Werbung und Marketing liegen kann. Hier muss der Gedanke der integrierten Kommunikation als Methodik der Kampagne betont werden: »Erfolgreiche Kampagnenkommunikation ist zugleich integrierte Kommunikation« (Röttger 2007: 382). Wenn man an Werbe- oder Eventkampagnen denkt, zeigt sich jedoch, dass dies optionale Kampagnenkriterien sind.

[20]Merkmale von Kampagnen

Quelle: eigene Darstellung

Definition: Kampagnen und Campaigning

Erfolgreiche Kampagnen sind dramaturgisch angelegte und zeitlich geschlossene Kommunikationsprozesse, die durch eine gemeinsame Idee zu einem bestimmten Ziel beitragen, indem sie Resonanz in mindestens definierten Teilöffentlichkeiten bewirken.

Resonanz (von lateinisch resonare, »widerhallen«) meint hier, abgeleitet vom physikalischen »Mitschwingen«, die gemeinsam bewirkte Aufmerksamkeit einer erreichten Teilöffentlichkeit, die durch gemeinsame Wahrnehmung gekennzeichnet ist. Zu diskutieren wäre, ob darüber hinaus auch eine handlungsbezogene Resonanz gemeint sein müsste. Fehlt diese zumindest wahrnehmungsbezogene Resonanz, kann trotzdem eine Kampagne stattgefunden haben, aber eben nicht erfolgreich. Campaigning als Anwendung von Kampagnenkommunikation ist damit ein Instrument der integrierten Kommunikation, die durch die inhaltliche, prozessuale, instrumentelle und zeitliche Abstimmung und oft von der Anwendung unterschiedlicher Kanäle gekennzeichnet ist (vgl. Lies 2008c: 117).

[21]Typologisierung und Kennzeichen von Kampagnen

Beispielhafte Typologisierung von Kampagnen

Quelle: in Anlehnung an Mast et al. 2005: 272

Die in der Praxis und in diesem Buch beispielhaft dokumentierten Kampagnen sind ebenso vielfältig, wie es Kommunikationsanlässe, -ziele, -instrumente, -strategien und -ideen gibt. Unterschieden werden Kampagnen unter anderem nach

•   Absendern (politische Kampagnen, Sozialkampagnen),

•   Zielgruppen (Mitarbeiterkampagne, Händlerkampagne),

•   Anlässen (Markteinführungskampagnen, Relaunchkampagnen),

[22]•   Zielen (Wählerstimmenanteil, Rechtsfahren),

•   Methodik (Mobilisierungskampagne, Emotionalisierungskampagnen),

•   Inhalten (X-Hilfskampagne, Y-Unterstützungskampagne),

•   Instrumenten (Eventkampagne, Onlinekampagne)

•   und auch nach Ideen oder Motto (»Du bist Deutschland«-Kampagne, »Mach’s-Mit«-Kampagne).

Entwicklung 1: Stakeholdergesellschaft und Sozialkampagnen

Die oben angedeutete Problematisierung des Öffentlichkeitsbegriffs verweist auf kampagnenrelevante gesellschaftliche Veränderungen, die mit Begriffen wie der Entwicklung der so genannten »Stakeholdergesellschaft« skizziert werden. Demnach werden Bürger kritischer gegenüber Institutionen und Themen und können gleichzeitig Mitglied unterschiedlicher Stakeholdergruppen sein, auch wenn diese logisch widerstreitenden Interessen folgen. So ist der Begriffe der Sozialkampagne für sich heute diskussionsbedürftig: Sozialkampagnen werden zum Teil so bezeichnet, weil ihre Initiatoren aus dem Bereich »Soziales« (gemeinnützige Institutionen wie Vereine, Verbände oder die öffentliche Hand) stammen und/oder weil ihr Ziel in Verhaltensänderungen mit mehr Gemeinwohlorientierung (Spendenaufrufe, Einforderung ethischer oder ökologischer Verhaltensweisen) bestehen. Hier ist jedoch zwischen Absender und Ziel der Kampagne klar zu differenzieren, da die gleichen Absender auch andere Ziele oder andere Institutionen die gleichen Ziele verfolgen können. An unternehmerischen Positionierungszielen wie der Corporate Social Responsibility – also die Sollwahrnehmung von Unternehmen als gesellschaftlich verantwortlich Handelnde – zeigt sich, dass Kampagnen kommerzieller Absender auch ethisch-gesellschaftliche Inhalte prägen können. Umgekehrt nimmt die Zahl von Stiftungen zu, die von Unternehmen gegründet werden und sicher nicht immer vollständig autark von den Stiftern arbeiten, die zugleich auch unternehmerische Interessen verfolgen.

Entwicklung 2: Findet eine Professionalisierung politischer Kampagnen statt?

Mit Blick auf die Prominenz des politischen Kampagnenbegriffs ist auf die Entwicklung der so genannten Professionalisierung der hiesigen politischen Kommunikation hinzuweisen. Hiermit ist oftmals die Amerikanisierung der Wahlkämpfe in Deutschland seit etwa der 1990er-Jahre gemeint, die vor allem mit der Übernahme von Wahlkampfmitteln, -instrumenten und -technologien erklärt wird. Hiermit ist aber auch die Trivialisierung der Kommunikation von Parteien verbunden, was die Kampagnenkommunikation vor dem Hintergrund des Reputationsmanagements in einem auch kritischen Licht erscheinen lässt (vgl. Kuhn 2007: 22; Lies 2008b: 394). Das führt zu einer hier nur kurz angedeuteten Anwendung der aktualisierten Kampagnendefinition [23]zurück: Kampagnenkommunikation vor allem in Zeiten politischer Wahlkämpfe ist heute wohl als Standard zu bezeichnen. Professionalität ergibt sich aber nicht nur durch die instrumentelle Anwendung, sondern vor allem durch die strategische Zielerreichung. Ist aber die Reputation als strategisches Erfolgspotenzial der Politik seit dieser so genannten Professionalisierung gestiegen oder sollte die Politikverdrossenheit vielleicht sogar beschleunigt worden sein, weil eben nur taktisch die kurzfristigen Wählerstimmen maximiert wurden, statt am Erfolgsfaktor Reputation zu arbeiten? Hier zeigt sich, wie hilfreich der radikal vereinfachte strategische und damit auch zielbezogene Kampagnenbegriff in der Bewertung von erfolgreicher Kommunikation ist.

Fazit: Kampagnen als integrierte Kommunikation mit zeitlicher, inhaltlicher und dramaturgischer Dimension

Kampagnen arbeiten dramaturgisch und zeitlich befristet. Ihre Phasen und Instrumente durchzieht eine Story, die als roter Faden die inhaltliche Dimension ausfüllt. Das dramaturgische Element macht die Kampagnenziele besser wahrnehmbar gegenüber singulärer oder nur zeitlich-sachlich integrierter Kommunikation. Die Story mit Dramaturgie und Inszenierung qualifiziert Kampagnen als einen Teil des nach innen oder außen gerichteten Wissensmanagements. Kampagnen sind angewendete integrierte Kommunikation und stehen idealerweise für die Nutzung von Synergieeffekten, wenn sie disziplinenübergreifend arbeiten. »Disziplinenübergreifend« heißt nicht nur, dass Kampagnen unterschiedliche Kommunikationsinstrumente und -disziplinen vereinen können, sondern auch idealerweise wahrnehmbares Verhalten einbeziehen – also über Kommunikation als Mitteilungshandlung hinausgehen. Es gibt auch disziplinengebundene Kampagnen wie Werbekampagnen, die z. B. »nur« als Werbung in Tageszeitungen stattfinden. Ein sequenziell geplantes Aneinanderreihen von Werbeschaltungen allein reicht nicht aus, um eine Kampagne zu kennzeichnen, da weder die gemeinsame Idee noch die dramaturgische Dimension als Definition von Kampagne erfüllt sind. Kampagnen können strategisch, aber auch »nur« unechte Strategien sein.

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[25]2   Zum Management von Kampagnen auf Basis von Theorien der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung

Michael Bürker

Wann ist eine Kampagne eine Kampagne?

Die Sarrazin-Debatte über Migration und Integration in Deutschland, die Verlängerung der AKW-Laufzeiten, die Sozialstaatsdiskussion über Hartz-IV-Leistungen, der Boykottaufruf gegen Nestlé oder der Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler: Debatten, zumal öffentliche und politische, tragen, gewollt oder nicht, in zunehmendem Maße Züge von Kampagnen. Damit ist nicht nur gemeint, dass der Kampf um die zunehmend knappe Ressource ›öffentliche Aufmerksamkeit‹ immer härter wird (Röttger 2006a: 9 – 11), dass öffentliche Legitimation zu einer conditio sine qua non für die »licence to operate« geworden ist, dass der Druck zu mehr Effektivität und Effizienz zu immer ausgefeilteren Techniken der Kommunikation im Themen- und Meinungswettbewerb geführt hat (Donges 2006: 126 f.). Auch wo unter Umständen keine Planer am Werk sind, werden sie vermutet oder ggf. »konstruiert«1. Frei nach dem Motto: Es ist eine Kampagne, wenn sie danach aussieht, und sei es auch nur im Nachhinein.2

So sieht wahlweise die Anti-Atomkraft-Bewegung eine Kampagne der Energieversorger am Werk, wenn es um die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken geht; Die Linke erkennt in der Diskussion um Hartz-IV eine Kampagne der FDP; die wiederum sieht einen der Gründe für sinkende Umfragewerte in einer persönlichen Diffamierungskampagne gegen ihren Vorsitzenden; und die Gegner von »Stuttgart 21« befürchten, dass die Befürworter »Astroturfing« betreiben, also die Inszenierung einer Bewegung von unten als Gegenentwurf zu einer Kampagne von oben.3 An solche vermeintlichen oder tatsächlichen Kampagnentechniken hängen sich unverzüglich »Kampagnen« an, die dies kritisieren und öffentlich machen. Ein Beispiel dafür ist die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (www.insm.de) – Nuernbergk spricht von einer »Imitation von ›Protest-Strategien‹ sozialer Bewegungen« (Nuernbergk 2006: 167). Deren Akteure und Aktivitäten werden von einem »eigenen« Watchblog (http://insmwatchblog.wordpress.com) »begleitet«.4

[26]Allein die Unterstellung genügt, um Kampagnen »real« werden zu lassen.5 Und zunächst ist nicht immer ganz klar, ob dabei wirklich eine Kampagne vorliegt. So betont Zerfaß, dass sich Kommunikationskampagnen überhaupt »erst im Umsetzungsprozess herausbilden und laufend verändern« (Zerfaß 2010: 413). Er sieht darin den wesentlichen Unterschied zu herkömmlichen Kommunikationsprogrammen und hebt die besondere Bedeutung der dramaturgischen Integration – auch von Gegenstimmen und -argumenten – im Ablauf von Kampagnen als »konsequente Abstimmung aller Kommunikationshandlungen im Hinblick auf die Wirkung« hervor.6 Er verweist darauf, dass dies auch die Antizipation und Berücksichtigung der (möglichen) Reaktionen von Gegnern, Massenmedien, Rezipienten, Entscheidern und Meinungsführern bereits in der Kampagnenplanung einschließt. Ergänzend muss hinzugefügt werden, dass Unternehmen bei öffentlichen Kampagnen mitunter gar nicht die Ersten sind, die über ein bestimmtes Thema reden. Sie geraten vielmehr erst als Zielscheibe von Anspruchsgruppen ins Fadenkreuz medialer Berichterstattung und öffentlicher Meinungsbildung.

Kampagnen verfolgen dann vielfach eine »kommunikative Doppelstrategie« (Röttger 2006a: 10): Sie streben Mobilisierung durch direkte Publikumskontakte an (›Publikumsorientierung‹), und zeitgleich suchen sie nach einer indirekten Verstärkung durch möglichst hohe Medienresonanz (›Medienorientierung‹), wobei im wechselseitigen Aufschaukeln zugleich die Gefahr der Verselbstständigung besteht. Dies kann zusätzlichen Auftrieb dadurch erhalten, dass im Verlauf öffentlicher Auseinandersetzungen das zu Beginn nur mäßig interessierte und weitgehend unbeteiligte Publikum in zunehmendem Maße an der Diskussion teilnimmt. Oftmals erfährt es überhaupt erst durch die Akteure von einer Sache, um sich dann deren Positionen anzuschließen oder ggf. eine eigene Meinung zu bilden. Dies geschieht in einer zunehmend komplexen Welt immer seltener auf der Grundlage eigener Erfahrungen oder erworbener Kompetenz, sondern auf Basis von in der öffentlichen Auseinandersetzung bekannt gewordenen Sachverhalten, Informationen, Positionen und Argumenten. Daraus resultieren wiederum Strategien, die dies ins Kalkül ziehen und auf Meinungsführer in der Öffentlichkeit und Meinungsbildner im sozialen Umfeld (Familie, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Nachbarn usw.) setzen.

Nichtöffentlichkeit und Geheimnismanagement als Kampagnenmerkmale

Doch auch der umgekehrte Fall kann eintreten: Die Akteure inszenieren sich und ihr Thema als Nichtinszenierung, als Authentizität. Oder sie treten gar nicht erst in Erscheinung und erblicken nie das Licht der Öffentlichkeit. Dazu zählt auch das so genannte »negative campaigning« bzw. die »schwarze PR«, die vor allem auf den öffentlichen Gegner und die Schädigung von dessen Reputation abzielt.7 Das ist, wenn man so will, die Antimaterie öffentlicher Kommunikation oder Öffentlichkeitsarbeit [27]als »Geheimnismanagement«. So bezeichnet Westerbarkey Geheimnisse als »Schattenseite von Öffentlichkeit« (Westerbarkey 1993: 88 – 92), und Szyszka sieht die zentrale Aufgabe des Kommunikationsmanagements gerade darin, »die Funktionsfähigkeit des geheimen Raumes durch Kontrolle des öffentlichen und privaten Raumes sicherzustellen« (Szyszka 1993: 208). An anderer Stelle hat er herausgearbeitet, dass Organisationen ›funktionale Transparenz‹ nur anstreben, wenn Zugewinn versprochen, Schaden abgewandt oder eingegrenzt bzw. behoben werden soll (Szyszka 2004: 157). Entsprechend unterscheidet er Öffentlichkeit und Nichtöffentlichkeit durch den Ein- bzw. Ausschluss von Beobachtungen, wobei er Letzteres – gegen normative Aussagen der Berufspraxis – organisationspolitisch als »strategisch anzustrebende Ausgangsbedingung« einstuft (ebd.: 155 f.).

Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass der Begriff ›Kampagne‹ seine Bedeutung in den letzten hundert Jahren signifikant verändert hat: Verstanden Bauern darunter noch das Einholen der Ernte und Militärs den dann nur noch metaphorischen »Feldzug«, so ist die Kampagne bei den britischen Abgeordneten nur noch die Sitzungsperiode (vgl. Leggewie 2006: 106 f.; Röttger 2007: 382). Im 20. Jahrhundert verliert der Begriff dann zusehends seine handlungsbezogene Bedeutung und verlagert sie mehr und mehr auf die der gewünschten Handlung vorgelagerte Kommunikation. Nicht mehr die gemeinsame Aktion, sondern die kommunikative Überredung bzw. Überzeugung zu einer möglichst kooperativen bzw. gemeinsamen Handlungsweise steht im Mittelpunkt.8 Mit der dadurch entstehenden raumzeitlichen Trennung von Kommunikation und Aktion eröffnet sich erst jener Spielraum, der Freiräume schafft für Inszenierungen, aber auch Täuschungs- und Ablenkungsmanöver sowie Vernebelungs- und Vertuschungstaktiken.

Binnendynamik und Reflexivität als Kennzeichen von Kampagnen

Mit Blick auf die Komplexität öffentlicher Kommunikationsphänomene und -dynamiken wird deutlich, dass herkömmliche Kampagnenbegriffe nur noch wenig tragfähig erscheinen, um sie beschreiben und verstehen zu können. Die Definition von Kampagnen als »dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit« (Röttger 2006a: 9) lässt außer Acht, dass die Kommunikation über Kampagnen längst zu einem zentralen Moment von Kampagnen geworden ist. Erst die »Mund-zu-Mund-Propaganda«, die öffentliche Kritik an Inhalten und immer häufiger am Stil von Äußerungen, verschafft ihnen jene Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum, die sie dann auch ins öffentliche Bewusstsein tragen. So haben die »Kitkat«-Kampagne von Greenpeace gegen Nestlé und die Kritik an den Äußerungen des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, die dann zu seinem Rücktritt geführt hat, erst dann in größerem Ausmaß in die klassischen Medien Eingang gefunden, nachdem die Kritik nicht mehr »in der Sache« festgemacht wurde, sondern an der Kommunikation. [28]Auch bei der Schlichtung um das Bahnhofsprojekt ›Stuttgart 21‹ durch Heiner Geißler wurde viel schneller und häufiger über Begriffe und unterschiedliche Wahrnehmungen »diskutiert«, als über die Faktenlage oder gar ein besseres Lösungskonzept.

Abb. 1:   Netzwerk und Resonanzraum direkter und indirekter Kommunikation in der Öffentlichkeit

Quelle: eigene Darstellung

Doch Kommunikation über Kommunikation erfordert eine zeitliche Differenz zwischen vorherigen Kommunikationsereignissen und ihrer nachträglichen Thematisierung. Erst die Rückbezüglichkeit im Verlauf der öffentlichen Auseinandersetzung ermöglicht jene Dynamik, die die öffentliche Meinungsbildung vorantreibt.9 ›Reflexivität‹ tritt im Anschluss an Luhmann in der Gesellschaft vor allem dann auf, wenn Leistungssteigerungen notwendig sind: in der Sachdimension in Form von Meinungen als »Aussagen über Aussagen«, in der Sozialdimension als Nachahmung auf der Basis der Beobachtung anderer und in der Zeitdimension durch Wiederholungen von Aussagen (Merten 2009: 11). Wenn Kommunikation also mehr leisten [29]soll als »einfache« Kommunikation, dann wird sie zur Kampagne. Als reflexivitätsorientierte Wirkungsmodelle führt Merten die Theorie des Meinungsführer/Two-Step-Flow, die Theorie der Schweigespirale und den Third-Person-Effekt an (ebd.: 10 – 19). Solche systemischen Medienwirkungen bezeichnet er an anderer Stelle als »Öffentlichkeitseffekte« und schreibt ihnen im Vergleich mit den »direkten, ›eigentlichen‹ Wirkungen der Medien« eine stärkere Konsenswirkung zu (Merten 1994: 308). Dementsprechend ist es kein Zufall, wenn sich in der Instrumentalisierung zugleich spezifische Kampagnentechniken erkennen lassen.

Anschlüsse an Medientheorien und Kommunikationsmodelle

Mit diesen einleitenden Überlegungen sind sechs Aspekte benannt, die über bisherige Kampagnenbegriffe hinausgehen:

a)   die Reduktion von Kampagnen auf Kommunikationsereignisse und -prozesse,

b)   der Prozesscharakter öffentlicher Auseinandersetzungen und Meinungsbildung mit seiner Binnendynamik,

c)   die Vereinnahmung und sukzessive Beteiligung des in der Sache häufig nicht verständigen Laienpublikums,

d)   dessen ersatzweise Orientierung an den Meinungen anderer Dritter im sozialen und öffentlichen Umfeld,

e)   Metakommunikation als Katalysator für Aufmerksamkeit in öffentlichen Auseinandersetzungen und

f)   die Rückwirkung dieser Aspekte auf die Akteure und deren Kommunikationsverhalten in der Öffentlichkeit.

Daraus ergeben sich Ansatzpunkte für die Kampagnenführung, die sie von der Planung und Umsetzung von Einzelmaßnahmen unterscheiden und zugleich über sie hinausgehen. Diese Aspekte treten seltener bei kommunikativ einseitig gerichteten Werbe-, Informations- und Aufklärungskampagnen auf, werden aber auch dort im Rahmen von ›viralem Marketing‹ und ›Mund-zu-Mund-Propaganda‹ zunehmend reflektiert, um Zielgruppen als Multiplikatoren einzusetzen, Budgets zu schonen und die Effizienz von Kampagnen zu steigern. Anders ist es bei Mobilisierungskampagnen, die gezielt Entscheidungen und Verhalten anderer beeinflussen wollen, deswegen deren Eigendynamik in Rechnung stellen müssen und spätestens dann in zweiseitige Kommunikation münden.10

Welche Konsequenzen hat dies für die Analyse, Planung, Evaluation und Steuerung von Kommunikationskampagnen? Wo liegen ihre realistischen Wirkungspotenziale und Funktionen? Wonach ist im Rahmen der Analyse differenzierter zu fragen? [30]Welche zusätzlichen Aspekte sind bei der Planung zu berücksichtigen? Welche bislang ausgeblendeten Faktoren machen Messungen und Bewertungen von Kommunikationskampagnen aussagekräftiger? Und mithilfe welcher Größen lassen sich Kampagnen zielgenauer steuern?

Um diese Fragen zu beantworten, lassen sich theoretische Anschlüsse finden bei den ›Arena‹- und ›Spiegel‹-Modellen der Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung, beim ›doppelten Meinungsklima‹ in der Theorie der Schweigespirale, beim Koorientierungsansatz sowie Verzerrungen im Meinungsklima durch ›pluralistic ignorance‹, ›looking glass perception‹ und den ›third-person effect‹. Für das Kampagnenmanagement lassen sich Verbindungen knüpfen mit Wirkungsstufen-Modellen für Kommunikation, Communication Scorecards, zu Ansätzen zur Reputationsanalyse und zum Koorientierungsmodell für Kommunikationsbeziehungen.

Ziel und Anspruch der folgenden Ausführungen ist es, der gestiegenen gesellschaftlichen und medialen Komplexität Rechnung zu tragen, Konsequenzen für die Kampagnenführung aufzuzeigen und der Kampagnenforschung neue Perspektiven zu eröffnen. Dazu soll vor allem ein verändertes Verständnis von Öffentlichkeit und öffentlicher Meinung vor dem Hintergrund veränderter Medienlandschaft und Mediennutzung beitragen. Daraus sollen verfeinerte Methoden und Instrumente zur Analyse, Planung, Evaluation und Steuerung von Kommunikationskampagnen abgeleitet werden. Sie sollen schließlich helfen, realistische Zielsetzungen zu entwickeln und verlässlichere Aussagen über Kampagneneffekte und Beiträge zur Erreichung übergeordneter Organisationsziele zu ermöglichen.11 Dafür wird der Gegenstandsbereich wie folgt präzisiert und eingeschränkt:

a)   Der Kampagnenbegriff von Röttger wird ergänzt um die im zeitlichen Verlauf der öffentlichen Thematisierung erfolgende Abstimmung von Kampagnenaktivitäten auf eigene und fremde Kommunikationsaktivitäten. Die Antizipation von Wahrnehmungen, Meinungen, Argumenten und Aktivitäten der (vermeintlichen) Gegenseite sowie deren vermutete Wirkung in der Öffentlichkeit wirken dann auf die eigene Kampagnenplanung und -steuerung zurück.

b)   Reflektiert werden öffentliche Kommunikationskampagnen von Organisationen und deren Stakeholdergruppen zur Themensetzung (»agenda setting«) und Meinungsbildung zugunsten spezifischer Unterstützungs- und Organisationsziele, ganz gleich, ob die Kommunikationsaktivitäten und -maßnahmen in Kleingruppen, auf Veranstaltungs- oder Organisationsebene, in der massenmedialen Berichterstattung oder auf den Plattformen und in den Foren des Internets stattfinden.

c)   Der Fokus liegt auf Öffentlichkeiten, die von gegensätzlichen Interessen, Wahrnehmungen, Meinungen und Verhaltensweisen geprägt sind. Die Stakeholdergruppen sind im Gegensatz zu klassischen Marken- und Werbekampagnen gekennzeichnet [31]durch einen höheren Grad an Betroffenheit, Bewusstsein, Aktivität und Organisation.

Wenn man diese Prämissen zugrunde legt, wird deutlich, dass a) der Einfluss von Öffentlichkeit, b) interpersonelle Beziehungen zwischen Akteuren und ihrem Publikum sowie c) die Vernetzung und Einbettung von Akteuren und Publikum in ihrem jeweiligen sozialen Umfeld stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung von Analyse, Planung und Evaluation und Steuerung rücken als bei anderen, weniger komplexen Kampagnen- und öffentlichen Kommunikationsformen.

In der Öffentlichkeit verhalten sich Individuen sowie Organisationen kommunikativ anders, insbesondere wenn von dieser Öffentlichkeit das Erreichen der eigenen Ziele abhängt. Und ausschließlich absenderzentrierte oder zielgruppenorientierte Ansätze greifen zu kurz: Durch Kommunikation erzielte Veränderungen einseitig an der Organisation oder an den Stakeholdergruppen festzumachen, verkürzt das Verständnis von Kampagnen auf die Angebotsseite der Kommunikation. Damit würde ›doppelte Kontingenz‹12 als Möglichkeit des Andersseins auf beiden Seiten der Kommunikation ausgeblendet. Die Konsequenzen von »systematischer Einäugigkeit« lassen sich an der Auseinandersetzung über das Bahnhofsprojekt ›Stuttgart 21‹ erkennen: Trotz ordnungsgemäßer Planfeststellungsverfahren gerät nicht nur das Projekt, sondern eine ganze Landesregierung ins Wanken.

Gerade die wechselseitige Antizipation von Vorstellungen, Meinungen, Erwartungen, Absichten, Plänen und Verhaltensweisen in der Kommunikation macht es unmöglich, Kommunikation auf einen der Beteiligten zu reduzieren. Nicht zuletzt auch deswegen, weil sich Kampagnenführende ansonsten der Möglichkeit berauben würden, eigene Positionen und Ziele zu verlassen und sich zum Vorteil der eigenen Organisation – häufiger aber zur Abwehr größerer Nachteile – überzeugen zu lassen. Dies kann aber nicht mehr glaubwürdig gelingen, wenn von Beginn an »felsenfest« auf einer Position bestanden wird, die konsequent »durchgezogen« werden soll. Damit ist allerdings nicht impliziert, von Beginn an »ergebnisoffen« in eine Auseinandersetzung gehen zu müssen, wie dies die »Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit« von Burkart in der Tradition der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas vorsieht (Burkhart 1993). Ziele sind vielmehr für alle Akteure notwendig, um überhaupt Selbststeuerungsmöglichkeiten und ausreichend Binnenmotivation für die je eigene Organisationen entwickeln zu können. Das Ergebnis der öffentlichen Auseinandersetzung ist schließlich Resultat eines alle Beteiligten umfassenden Prozesses, der sich nach den evolutionären Prinzipien Variation (Veränderung), Selektion (Aus-/Abwahl) und Retention (Stabilisierung/Verstärkung) selbst steuert und gerade deswegen nicht von einer Seite allein bestimmt werden kann – es sei denn, die Anderen lassen dies zu. 13 Aber selbst dann sind beide Seiten beteiligt.

Öffentlichkeit und öffentliche Meinung als Resonanzräume von Kampagnen

[32]Öffentlichkeit und öffentliche Meinung sind immer wieder als zentrale Ziele und Merkmale von Kampagnen bestimmt worden.14