Praterglück - Berndt Anwander - E-Book

Praterglück E-Book

Berndt Anwander

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Beschreibung

Eine kriminalistische Imbiss-Groteske in Briefen, Post-its, E-Mails und SMS: Das Praterglück - eine Institution im Wiener Würsteluniversum. Am Grill: zwei Brüder, so unterschiedlich wie Currywurst und Käsekrainer. Die beiden, der eine Berliner, der andere Wiener, können sich nicht ausstehen. Also beschließen sie, nur noch schriftlich miteinander zu kommunizieren - mit Schmäh und Schnauze. Den gegenseitigen Arbeitsanweisungen folgen üble Beschimpfungen, skurrile Betrachtungen über das Leben, deutsch-österreichische Missverständnisse - und schließlich eine Verabredung zum Mord.

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Seitenzahl: 181

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Ähnliche


Berndt Anwander | Thomas A. Vierich

Praterglück

Eine Krimi-Groteske

Atlantik

[Post-it, 15. Mai]

Hey Bruder,

 

wenn du noch mal vergisst, das Licht in unsrer »Würstchendiele«, »Imbissbude« – oder wie immer du unseren Würstelstand nennst – auszumachen, komm ich persönlich vorbei, um dir die Lampe auszuknipsen, ein für alle Mal! Das heißt, ich werde dir eine betonieren, dass du drei Wochen lang mit dem Arsch auf die Uhr schaust, falls du das besser verstehst!

 

Balthasar

[Rückseiten dreier Quittungen, 16. Mai]

Geschätzter Balthasar,

 

wenn’s nur das dämliche Licht wäre … Den Strom können wir uns gerade noch leisten. Nur leider keine Putzfrau. Und nach deinen Schichten hätten wir die dringend nötig. Ist es dem Herrn nicht möglich, die Spuren seiner Tätigkeit so weit zu beseitigen, dass andere an gleicher Stelle ihrem Broterwerb nachgehen können?

Wie heißt es so schön in Zugtoiletten: »Verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorfinden möchten.« Ich weiß nicht, wie du Zugtoiletten respektive Würstelbuden vorfinden möchtest, ich zumindest möchte den Rost ohne Wursthautreste, den Schneideplatz ohne fettige Semmelbrösel und die Kasse ohne senfverklebte Tasten vorfinden.

Der Job des Wurstgrillens ist ohnehin nicht der erbaulichste, darin sind wir uns wohl ausnahmsweise einig. Aber immer noch der am stetigsten Euros einbringende meiner Karriere. Wenn auch längst nicht ausreichend, um mir den Lebenswandel zu ermöglichen, der mir mit 45 Jahren zusteht – und ich schätze, bei dir sieht es nicht viel besser aus, Bruderherz, was?

Würstelbude bleibt Würstelbude und ist very old economy. Tante Hertas Gefasel von der Goldgrube war etwas hoch gegriffen, aber irgendwie musste sie uns dieses Arrangement ja schmackhaft machen, die alte Schreckschraube – oder wie sagt man bei euch in Wien zu einer weiblichen Erscheinung jenseits ihrer besten Jahre?

Also: Hygiene am Arbeitsplatz ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch eine zwischenmenschliche Notwendigkeit. HACCP, mein österreichischer Kamerad!

 

Auf Besserung hoffend,

Paul

[Rückseiten zweier Lieferscheine, 20. Mai]

Hallo Pauli, du gschissenes Oa …

 

Obwohl, »Mehlnase« passt eigentlich besser zu deiner einfältigen Pappn!

Wenn ich all deine Anschüttungen, Gutmeinungen und Zurechtweisungen in der notwendigen Ausführlichkeit beantworten würde, die mir meine schwellenden Kabel gebieten, käme dabei wohl ein ganzes Buch heraus mit dem Titel Mein Bruder, der Vollkoffer oder Würstchen, die fleischfarbene Melodie meines Herzens. Vielleicht bringt das sogar mehr ein als der Würstelstand. Dafür hätte ich dann eh keine Zeit mehr.

 

Aber der Reihe nach: Putzfrau ist super, und wir werden eine einstellen. Ich kenn da eine sehr nette und begabte junge Serbin, oder wo immer die herkommt, die dringend Kohle braucht und wirklich picobello sauber ist. Nachdem es deine Idee war und ich den Kontakt habe, werden wir es so machen, dass du ihr zehn Euro die Stunde bezahlst und ich den Rest.

Dass du unseren Würstelstand mit einem Scheißhaus, diesmal mit einer Zugstoilette vergleichst, ist mal wieder typisch. Ich weiß ja nicht, wie viele Würstel du schon in Zugstoiletten verspeist hast, ich jedenfalls keines. »Verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorfinden möchten.« Ja, was gibt’s denn noch Blöderes? Unser Gast möchte den Stand ja eben nicht so verlassen, wie er ihn vorgefunden hat. Er möchte ihm zumindest ein Würstel entreißen, und vielleicht noch ein Bier dazu und einen Pfefferoni. Das ist unser »Broterwerb«, wie du dich auszudrücken pflegst.

Apropos Broterwerb: Was für ein Leben steht dir denn zu mit 45? Altern allein genügt nicht für ein besseres Leben. Und mir fällt nichts ein, was du sonst auf die Reihe gebracht hättest.

Auf deine Vergleiche zwischen uns beiden kann ich übrigens gern verzichten. Du bist einfach ein abgehalfterter Irgendwas, ein piefkinesischer Negerant sozusagen. Ich dagegen hatte in letzter Zeit einfach nur Pech, und was für eins, das würde leicht für uns beide und noch zwei, drei andere ausreichen, aber deswegen lasse ich mich noch lang nicht mit dir vergleichen, »Bruderherz«. Schon sehr bald wird alles ganz, ganz anders aussehen, du darfst gespannt sein. Und wenn du mir dann nicht mehr auf den Sack gehst, dann schenk ich dir vielleicht meinen Würstelstandanteil.

Zu deiner Frage sprachlicher Natur (da schaust du, was?): »Schreckschraube« ist schon wieder so ein bescheuerter Ausdruck, den du wohl aus deiner Lieblingslektüre Hanni und Nanni herübergerettet hast. Eine »Schreckschraube« gibt es in Wien nicht, das hiesige Pendant dazu ist die gemeine »Trappn«, die lästige »Funsn« oder die sehr gebräuchliche »Schaastrommel«. Und noch etwas: Wenn Würstelbude very old economy ist, dann ist Witzigmann dein zweiter Vorname.

 

So, jetzt hab ich noch kein Wort zum Geschäftlichen gesagt und muss schon weg. Die Arbeit ruft, und diesmal ist das sicher keine Bratwurst. Alles andere später. Übrigens, Andjelina – du kannst sie auch Andjela oder Andja nennen – wird bei deiner nächsten Schicht kommen, um sich ihr Geld für das Putzen abzuholen.

 

Arrivederci,

B.

[Ausgerissene Ringbuchseite, 22. Mai]

Balthasar, du alte Drecksau,

 

zwischen aufgetauten, aber nie gebackenen Pommes, fettverschmierten Rechnungen deines letzten Einkaufs (was haben da eigentlich die fünf Stangen Memphis verloren? Ich denke, man darf in eurem Österreich keine Zigaretten verkaufen, außer in diesen Trafiken, wo die Nachkommen von Kriegswitwen und einbeinigen Veteranen ihr klägliches Dasein mit dem Verkauf von Tabak und anderen Volksseuchen – euren Medienerzeugnissen zum Beispiel – fristen?) und einer ausgelaufenen Dose Schwechater Bier fand ich die verklebten CD-Hüllen von Boney M’s Greatest Hits, Red Star von Showaddywaddy und Falcos neuester posthumer Hitsammlung. Jesus, Allmächtiger, das mutest du unserer Kundschaft zu? Kein Wunder, dass deine Umsätze zu wünschen übriglassen!

Ich hingegen bereite nicht nur exquisite Käsekrainer zu, sondern beschenke die Kundschaft auch noch mit exquisiten Klängen von Paul Weller bis Pavement – Musik für Erwachsene also, schön abgehangen und mit Niveau. Bitte, an welchem öffentlichen Ort in Wien kann man schon den herrlich schlecht gelaunten Nuscheleien eines Mark E. Smith lauschen? Dabei würde der alte Grantler von The Fall eigentlich prima nach Wien passen, oder? Nimm dir das zum Vorbild!

 

Enttäuscht:

Paul

[Rückseite eines Lieferscheins, 25. Mai]

Ausgefressnes Arschgesicht, waachgsoffner Schneebrunzer!

 

Ich hoffe für dich, dass du betrunken warst, als du mir die Anrede »alte Drecksau« verpasst hast. So kannst du meinetwegen deine schwulen Freunde in Berlin begrüßen – die freuen sich dann wohl noch darüber und kudern tuntenmäßig blöd –, aber wenn du mich noch ein Mal alte Drecksau nennst, komm ich an meinem freien Tag persönlich ins Praterglück, reiß dir deinen Schweinskopf ab und scheiß dir in den Hals. Und verschon mich mit deinen saublöden unsäglichen Musikausflügen, Jessasmarantjosef! Wir sind ein Würstelstand und keine Tuntendisco. Paul Weller, das ist wohl der ledige Sohn von Herrn Schwarzkopf, oder wie? Zum In-die-Hoaar-Schmiern!

Ja, leck du mich, und dann willst du den Leuten noch einen schlechtgelaunten Nuschler zumuten? Von denen gibt es in dieser Stadt ungefähr zwei Millionen, da brauchen sie sich nicht noch deinen Mark E. Smith (ist der eigentlich verwandt mit dem olympischen Schwimmheini aus 19hundertirgendwas?). Bei uns am Stand hören die Leute am liebsten Radio Arabella, und dann gibt es ja noch zwei, drei ganz gute Sendungen auf Radio Burgenland und Radio Niederösterreich, da bleibt immer mal einer hängen, summt mit und sagt: »Geh, gib ma no a Bier.«

 

Balthasar

[Ausgerissene Ringbuchseiten, 28. Mai]

Lieber Balthasar,

 

glaub bloß nicht, dass du mich mit deinen Untergriffen dazu bringst, auch unhöflich zu werden. Davor bewahrt mich meine Hölderlin-Lektüre. Auch wenn die schon eine Weile zurückliegt. Ich glaube, ich habe die fadengebundene Dünndruckausgabe in Berlin stehen lassen. Soll ich sie holen? Brauch ich sie jetzt wieder?

Wir kennen uns ja noch nicht lange. Eigentlich kennen wir uns überhaupt nicht. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dich überhaupt kennenlernen will. Aber leider wird sich das wohl nicht vermeiden lassen.

Mama hat uns nie vorgestellt. Nicht mal erwähnt, dass es da noch einen Bruder in Wien gibt. Vermute, bei dir war es ähnlich, o du Erstgeborener unserer lieben, aber etwas unzuverlässigen Mama. Gott, wenn es denn einen gibt, wovon ich nicht ausgehe, sei ihrer Seele gnädig.

Da ich mir die Rückfahrkarte nach Berlin nicht leisten kann (und, um die Wahrheit zu sagen, weder Barbara noch diesen Obi-Markt-Typen mit seinen Katalogen wiedersehen will), bleib ich eben hier. Tante Herta scheint es zu freuen. Und dir kam ihr Angebot auch gerade recht, was? Jedenfalls warst du ja ganz geil drauf, deine dicken Finger an diesen Würstelstand zu bekommen. Praterglück. Saublöder Name übrigens. Sollen wir uns nicht was Peppiges überlegen? Aber da hätte Tantchen bestimmt wieder was dagegen.

Wie blöd ist die eigentlich, dass sie sich in all den Jahren nichts auf die hohe Kante gelegt hat? Jetzt müssen wir ihr die Hälfte unseres Umsatzes geben und uns ewig und drei Tage anhören, bei ihr seien die Geschäfte viel besser gelaufen. 50 Prozent sind schon ein bisschen heftig, findest du nicht? Was uns dann noch bleibt, ist zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben.

Das größte Problem ist aber die Zusammenarbeit. Das hat sich Tante Herta wohl auch anders vorgestellt. Nix da Teamwork! Gemeinsam halten wir es in der Bude doch keine zehn Minuten aus, das musste ich ihr schnell stecken. Da ist es schon besser, wie es jetzt ist: Wir wechseln uns einfach weiter im Dreitagerhythmus ab. Hat sie ja dann auch eingesehen. Und das mit der schriftlichen Kommunikation klappt doch ganz gut. Auch wenn deine Zettel immer eingesaut sind mit Fetträndern, Ketchup- und Senfresten. Dein Organ halte ich nämlich echt nicht aus. Außerdem verstehe ich dein Genuschel nicht. Soll das Wienerisch sein? Irgendwie reden die hier aber anders. Verzichten wir also auf jeden direkten Kontakt, der Seelenhygiene zuliebe. Schreiben reicht völlig. Das kannst du ja überraschenderweise halbwegs. Also, zumindest so, dass man ungefähr versteht, was du einem mitteilen möchtest.

 

Übrigens, wir brauchen dringend neue Pommes! Hast du endlich kapiert, dass meine Idee, Currywurst mit Pommes nach Berliner Art anzubieten, super war? Das läuft mittlerweile fast so gut wie unser Klassiker, die Eitrige aus der Krain … Und angebrochene Pommes-Packungen bitte wieder in die Tiefkühltruhe zurücklegen, gell? HACCP! Und bring bitte auch einen Zehn-Liter-Kanister Öl mit. Aber nimm das bessere. Ich kann den Gestank deines Billigöls nicht mehr ertragen!

 

Andjelina hat sich schon gut eingelebt. Sie kommt jeden Vormittag Punkt halb zehn, bevor es losgeht, und putzt unsere kleine Hütte einmal durch. Ich bin sehr nett zu ihr – ist ja auch das Mindeste bei dem Hungerlohn. Habe mich gar nicht getraut zu fragen, wie viel sie von dir bekommt … Sie ist wirklich süß. Tolle Haare. Wie alt schätzt du sie? 21? Und woher kennst du sie eigentlich? Als ich sie fragte, wollte sie nicht so recht damit rausrücken. Ist ja auch egal eigentlich, was interessiert mich dein erbärmliches Vorleben.

 

Kundschaft.

 

Da bin ich wieder. Heute ist wenig los. Schietwedder, kaum Laufkundschaft. Was machen wir eigentlich im Winter? Zu? Urlaub? Soll Tante Herta übernehmen, oder? Mann, die geht mir vielleicht auf den Senkel. Weiß alles besser. Ständig muss ich zu ihr zum Rapport, und dann zieht sie in einer Tour über dich her. Vermute, dir geht es genauso mit ihr. Dann bist du wohl bald bestens informiert über meine Vergangenheit. Die muss jahrelang einen Privatdetektiv auf mich angesetzt haben.

Ihr kennt euch ja schon ein Leben lang. Sagst du eigentlich »Mama« zu ihr? Die hat doch schließlich deine Erziehung verbrochen, und ich erfahre jetzt bei jeder Begegnung mit ihr, was dabei alles schiefgegangen ist. Ich sage nur: Arnie II. aus Wien-Favoriten – das war wohl nichts. All die Quälerei vergebens. Eine Karriere als Profi-Bodybuilder, was für eine doofe Idee, darauf kann nur ein Österreicher kommen … Die Folgen sieht man noch heute. Und es sieht scheiße aus, mein Lieber. Alles hängt runter. Und mit »alles« meine ich alles. Aus der mühsam antrainierten Muskelmasse ist schlaffes Gewebe geworden. Ekelhaft. Dein Sexleben muss erbärmlich sein. Müsstest mal wieder trainieren und weniger saufen. Und hättest weniger Pulver fressen sollen. Das ganze Anabolikazeug macht ja impotent. Aber egal, ist jetzt wohl eh besser für dich.

Soll ich Andjelina mal danach fragen? Von der hast du doch deine dicken Finger sicher nicht lassen können. Besonders begeistert scheint sie nicht mehr von dir zu sein. Muss ich sie halt trösten. Vielleicht lässt sie dann etwas mehr über eure gemeinsame Geschichte raus. Wenn’s mich denn interessieren würde.

Heute Nachmittag will sie noch mal vorbeikommen. Weiß gar nicht, wieso, aber sie ließ sich nicht abhalten … Ein bisschen Abwechslung kann jedenfalls nicht schaden. Bevor ich dich noch länger vollsülzen muss.

 

Da sehe ich die Süße schon mit wippendem Pferdeschwanz herannahen. Sie hat sich richtig feingemacht. Kann dem Geschäft nur gut tun, wenn sie häufiger hier rumhängt …

Übrigens findet sie Mark E. Smith total süß. Und dein beklopptes Radio Arabella bescheuert. Von Showaddywaddy hat sie Gott sei Dank keine Ahnung. Und lass die Finger von ihr, hörst du? Du hast deine Chance gehabt und sie offensichtlich vergeigt. Muss ich’s halt wieder richten.

 

Immer der Deine,

P.

[Post-it, 3. Juni]

Schau in den Computer, Paul – das ist das eckige Teil, das am Boden steht, mit dem lustigen Fernseher, der keinen Empfang hat! –, und öffne die Datei »Mehlnase«, mach schon! Wir sind jetzt digital. Ich habe keine Lust mehr, mir dein Gejeier wegen Fetträndern anzuhören.

[Textdatei Mehlnase, 2. Juni]

Paule, Paule!

 

So geht das nicht weiter, du schreibst Seite um Seite. Mir wird schon beim Lesen schwindlig und erst recht beim Antworten.

Wenn du die Anleitung auf dem Post-it verstanden und befolgt hast, sind wir jetzt bei der digitalen Kommunikation angekommen, sofern du den Computer bedienen kannst. Ich erinnere nur an die Glühbirne, die du nicht wechseln konntest, weil du die Deckenverkleidung nicht abbekamst, oder die Gasflasche, die du verkehrt rum angeschlossen hast, dass der ganze Dreck fast in die Luft geflogen wäre, mit Mann und Maus und Wurst und Paul. Wäre eigentlich eh ganz ok gewesen, ich glaube, die alte Herta hat den Scheißladen gut versichert. Na ja, wie auch immer, was nicht ist, kann ja noch werden.

Du kannst meinetwegen gerne weiterhin auf Zettel und alte Lieferscheine schreiben, mir ist das zu blöd. Ich verkehre nur mehr digital mit dir. Mir fällt sonst noch der Arm ab, wenn ich alles mit dem Federkiel ins Papier stanzen muss. So viel zum Technischen, nun zum Inhaltlichen:

Du machst es mir wirklich schwer, mich über meinen plötzlich aufgetauchten Bruder zu freuen. Was haben sie dir als Kind nur zu fressen gegeben, dass da so viel Mist rauskommt?

Was soll der Scheiß, dass ich kein richtiges Wienerisch spreche? Bist du jetzt auch noch zum Dialektforscher geworden?

 

Bevor wir weitermachen, muss ich ein paar Dinge klarstellen:

Erstens war ich nie scharf darauf, dich kennenzulernen, geschweige denn, einen Würstelstand mit dir zu betreiben. Eigentlich bin ich immer ganz gut mit der Alten ausgekommen. Versteh noch immer nicht, warum sie dich aus dem Hut gezaubert hat und darauf besteht, dass wir den Laden gemeinsam führen.

Zweitens: Du bist ja wahrlich kein Wirtschaftsprofessor, drum lass dir gesagt sein, wir teilen den Gewinn mit der Alten und nicht den Umsatz. Ganz wichtig! Am besten, du lässt dir das irgendwo auf die Stirn tätowieren. In Spiegelschrift, damit du es jedes Mal lesen kannst, wenn du in den Spiegel schaust – das machst du ja seit frühester Kindheit den ganzen Tag lang, wie Tante Herta mir verraten hat.

Außerdem hat sie angedeutet, dass du ein bisschen angeschwult gewesen bist, auch wenn das nicht ganz ihre Worte waren. Recht hat sie. Ich denke nur an das Foto, das sie mir gezeigt hat: himmelblauer »Jeansanzug« – war der etwa aus Trevira, diesem unkaputtbaren Polyesterzeugs –, ein rosaroter Pullunder darunter, und erst die Schuhe! Ich hoffe nur, dass das Foto keiner meiner Kumpel sieht, das färbt ja auch auf mich ab: mein Bruder, der bachene Rosettenkavalier. Und mit so was soll ich einen Würstelstand teilen?

Wenn ich finanziell nicht in einer so verfickten Scheißarschlochsituation wäre, wäre ich schon längst über alle Berge, und du könntest den Drecksladen mit der alten Kuh alleine führen, aber das kommt schon noch. So schnell kannst du dann gar nicht schauen, wie ich weg bin, wenn meine Investitionen endlich abwerfen, was ich mir ausgerechnet habe. Aber von so was hast du ja keine Ahnung. Statt was zu riskieren, willst du lieber in Bioöl und nachhaltige Naturdarmwürste mit blutdrucksenkendem Senf investieren. Seit du da bist, haben wir lauter so Biodrecksware herumstehen, die doppelt so viel kostet wie der normale Dreck, dafür zahlt aber keiner einen Cent mehr oder kommt so wie die Damen in der blöden Fernsehwerbung für sauteures Joghurt am nächsten Tag vorbei und sagt: »Seit ich Ihre Käsekrainer gegessen habe, kann ich scheißen wie ein Uhrwerk.«

Sei’s drum, ich werde ja nicht ewig mit dir da herumhängen.

 

Also, was soll denn eigentlich das brunftige Herumgesabbere wegen Andjelina? Ich kann dir nur im Guten raten, lass die Finger von ihr, das ist das falsche Revier für so einen angewärmten Dackel wie dich. Wie alt sie ist? Versuch mal ihre Jahresringe zu zählen, das kann eine sehr lustige Aufgabe sein. Woher ich sie kenne, geht dich nichts an. Und verschon mich bitte mit dem Gefasel von ihrem »süßen Pferdeschwanz«, sonst wird dich noch ein Pferd treten und zwar dort hin, wo es richtig weh tut, falls da bei dir überhaupt was ist. Geh du lieber Tante Herta trösten, das liegt dir sicher besser. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie du an ihren Lippen hängst, um ja jede Kleinigkeit, die sie von mir zu wissen glaubt, aufzusaugen. Was glaubst du wohl, warum Andjelina zu dir kommt, na? Um dich ordentlich einzuwickeln, Alter! Die will an deine Marie! (So nennen wir bei uns das, was bei euch, glaube ich, Penunsen heißt.) Oder denkst du tatsächlich, sie sieht dich, einen 45-jährigen, mittellosen, teutonischen Schwabbelbauch, und verliebt sich knallfall in dich? Aufwachen, Bruder, aufwachen!

Und wer ist diese Barbara? Ist das die Transe, mit der du zusammengelebt hast?

 

Als Kind habe ich immer davon geträumt, einen Bruder zu haben. Einen großen Bruder, mit dem ich alles machen kann, der mir hilft, wenn’s wieder mal eng wird. Ehrlich, dieser Bruder hatte nichts von dir, oder richtiger: Du hast nichts von ihm. Und dann habe ich plötzlich einen Bruder, und der sieht aus wie du, ist Piefke und steht auch noch in dem Würstelstand, den mir Tante Herta schon vor Jahren überschreiben wollte. Warum dich die Alte ausgegraben hat, geht mir nicht in den Kopf, irgendwer muss ihr ein paar Scheißlügen über mich erzählt haben, dass sie glaubte, es wäre gut, dich mit einzubauen. Bist wohl ihr Blockwart, oder was wart ihr in der DDR? Was war denn dein Deckname? IM Burenwurst oder IM Ölpfefferoni? Wenn ich mal draufkomme, dass du der alten Kuh irgendwelche Lügen über mich erzählst, wird’s kurz lustig werden mit uns zweien, das kann ich dir garantieren.

 

Zu deinen übermotivierten Umbenennungsideen: Praterglück, so heißt es, und so bleibt es. Das Praterglück ist sozusagen eine Institution im Wiener Würsteluniversum. Das wär genauso idiotisch, wie wenn das Riesenrad ab morgen Große Kreisbahn heißen würde. Wenn du den Namen vom Praterglück änderst, ist die Tante Herta auf der Stelle hin, was andererseits gar nicht so blöd wäre. Wir könnten ja mal einen Versuch machen, den Laden rosa anmalen und »Paulis warme Würstchen« draufschreiben. Möchte gerne sehen, wie sie darauf reagiert.

 

Zum Organisatorischen: Einer organisiert, und der andere macht das Drumherum. Der eine bin ich, der andere bist du. Du wirst doch nicht ernsthaft glauben, dass du aus Berlin angereist kommst, um mir hier zu erklären, wie ich meinen Würstelstand zu führen habe. Ok, das mit deinen Currywürsten stimmt, die gehen ganz gut, aber früher oder später wär ich selbst draufgekommen. Hab ja auch was von der Welt gesehen – ehrlich gesagt ist das meiste ja ein ungenießbarer Dreck und nicht zu vergleichen mit unserer jahrhundertealten Würsteltradition. Ich glaube, die Wiener haben schon beim Bau des Stephansdoms Würstel zur Jause gefressen.

 

Und noch was: Bitte sag nicht »Eitrige mit an Bugkel« oder »Eitrige aus der Krain«, wenn Kundschaft da ist, nur um dich auf Wienerisch einzuschleimen. Sag einfach »Käsekrainer«, und versuch wenigstens das richtig auszusprechen.

 

So, Kundschaft ist da. Morgen Vormittag werde ich einkaufen fahren, auch deine 10 Liter Spezialöl, wenn du so scharf drauf bist. Schmier dich nur nicht wieder ein damit.

 

Der Heini ist wieder weg. Hat doch glatt drei Packerln Manner-Schnitten gekauft statt einer anständigen Wurst. War wohl einer von deinen veganen Freunden.

 

Und nun wie in der Kirche zum Schluss das Allerwichtigste. Aber nicht der Segen, sondern sozusagen ein Packungshinweis: Die Messerstecherei, ausgerechnet vor unserem Praterglück, das war vielleicht eine Sauerei. Muss kurz nach der Sperrstund gewesen sein. Hat dir die Tante Herta wohl auch brühwarm erzählt. Der Typ ist noch kaum stöhnend am Boden gelegen, da hat mich die alte Schachtel schon angerufen und gefragt, was bei uns los ist. Hört die nicht nur uns, sondern auch den Polizeifunk ab? Die junge Beamtin, die den Fall aufnehmen sollte, hat sich jedenfalls ordentlich ausgekotzt, als sie den Halbhinigen am Boden hat liegen sehen mit offenem Bauch und dem ganzen Blut drum rum. Gentleman, der ich bin, hat sie zwei Jägermeister aufs Haus bekommen – kommt immer gut, wenn man mit der Kieberei gut steht –, und dann hab ich das ramponierte Mädel ein bisserl ausgfratschelt. Und wie die erzählt hat!

Also, die Polizei geht davon aus, dass der Mann mit dem Messer im Bauch keinen Selbstmordversuch unternommen hat – nona –, sondern ziemlich sicher Opfer eines Bandenkriegs war, weil ausgeraubt ist er nicht worden, und die Kieberer kennen ihn als Mitglied der Serbenmafia, Albanermafia oder Wasweißich-Mafia. Hat eigentlich jede Region ihre eigene Mafia? Gibt’s auch eine Piefkemafia oder Preußenmafia? Egal, wenn einer unserer Freunde und Helfer zu dir kommt und dich zu dem Vorfall befragen will, sei ahnungslos wie auch sonst immer, und schick ihn einfach zu mir. Du hast den Typen, den sie so unschön zurechtgemacht haben, nämlich noch nie gesehen, das war kein