Prävention und Intervention bei Verhaltensstörungen -  - E-Book

Prävention und Intervention bei Verhaltensstörungen E-Book

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Beschreibung

Verhaltensprobleme, Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung und Verhaltensstörungen stellen in der sich inklusiv entwickelnden Schullandschaft eine große Herausforderung für alle an und in Schule Beteiligte dar. Diese täglichen Herausforderungen bedürfen einerseits gut vorbereiteter Fachkräfte und andererseits eines "Systems der gestuften Hilfen", das bedarfsgerecht der Heterogenität der Zielgruppe entspricht. Die Autorinnen und Autoren stellen präventive Maßnahmen in der allgemeinen Schule, früh-interventive Hilfen durch Mobile Dienste und intensivpädagogische Ansätze entsprechend dem "System der gestuften Hilfen" vor und zeigen die Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung im Schulalltag auf.

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Die Herausgeber

 

Apl. Prof. Dr. Heinrich Ricking forscht und lehrt an der Universität Oldenburg in der Fachgruppe Pädagogik bei Verhaltensstörungen und verfügt als Förderschullehrer über langjährige Praxiserfahrungen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen schulische Erziehungshilfe, Schulabsentismus und Dropout sowie Didaktik unter besonderer Berücksichtigung der Schwerpunkte Lernen und emotionale und soziale Entwicklung.

 

Tijs Bolz (M. Ed.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Oldenburg in den Fachgruppen Pädagogik bei Verhaltensstörungen sowie Sonder- und Rehabilitationspädagogische Psychologie. Während des Studiums der Sonderpädagogik arbeitete er als pädagogischer Mitarbeiter an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt ESE sowie in einer therapeutischen Wohngruppe. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Schüler-Lehrer-Beziehung, Diagnostik und Intervention unter besonderer Berücksichtigung intensivpädagogischer Unterstützungsmaßnahmen.

 

Bastian Rieß (M. Ed.) ist an der Universität Oldenburg als Koordinator für den Ausbau Sonderpädagogik tätig. Nach dem Studienabschluss arbeitete er als Lehrkraft im intensivpädagogischen Schulangebot einer Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Pädagogik bei Verhaltensstörungen und Koordinator für das Qualifizierungsprogramm Weiterbildung Sonderpädagogik kehrte er an die Universität Oldenburg zurück. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich sonderpädagogischer Beratung und Qualifizierung.

 

Prof. Dr. habil. Manfred Wittrock arbeitete nach seinem Lehramtsstudienabschluss als Lehrer und nach seiner Promotion in Psychologie zuerst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Akademischer Rat. Als Professor für Pädagogik bei Verhaltensstörungen war er ab 1993 an der Universität Rostock und anschließend bis 2019 an der Universität Oldenburg tätig. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich internalisierender Verhaltensstörungen und Behavioral Literacy.

Heinrich Ricking,

Tijs Bolz,

Bastian Rieß,

Manfred Wittrock (Hrsg.)

Prävention und Intervention bei Verhaltensstörungen

Gestufte Hilfen in der schulischen Inklusion

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036330-4

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-036331-1

epub:  ISBN 978-3-17-036332-8

mobi:  ISBN 978-3-17-036333-5

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

1     Einleitung

Heinrich Ricking, Tijs Bolz, Bastian Rieß & Manfred Wittrock

2     Gegenstand und Entwicklungen

Heinrich Ricking & Manfred Wittrock

2.1    Problemaufriss

2.2    Begriffe & Definitionen

2.3    Erscheinungsformen und Klassifikation

2.4    Genese und Erklärungsansätze

2.5    Prävalenz und Persistenz

2.6    Schulische Förderung

2.7    Fazit & Ausblick

3     Organisationsformen

3.1    Gestuftes System der Hilfen

Tijs Bolz & Bastian Rieß

3.1.1    Einleitung

3.1.2    Modelle und Konzepte gestufter Systeme sonderpädagogischer Förderung

3.1.3    Grundlegende, gemeinsame Prinzipien der dargestellten Modelle und Konzepte

3.1.4    Gestuftes System der Hilfen im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

3.1.5    Praktische Impulse und Ausblick

3.2    Die Inklusive Schule

Marie-Christine Vierbuchen & Frederike Bartels

3.2.1    Einleitung und Begriffsklärung

3.2.2    Zielgruppe und beeinflussende Faktoren

3.2.3    Rahmung und Strukturen

3.2.3    Professionalität

3.2.4    Beispiel und Praxiskonzeptionen

3.2.5    Konklusion

3.3    Mobile Dienste – Beratungs- und Unterstützungssysteme

Frank Ockenga

3.3.1    Einleitung

3.3.2    Zielgruppen und indirekte Unterstützung

3.3.3    Handlungsformen und Strukturen Mobiler Dienste

3.3.4    Aufgabenfelder und Rahmenkonzepte von Mobilen Diensten

3.3.5    Aufgabenredefinition – Professionelle definieren ihre Aufgaben in Mobilen Diensten

3.3.6    Fortwährende Weiterentwicklung: Der Mobile Dienste der Stadt Emden (MESEO)

3.3.7    Die Beratung der Lotte-Lemke-Schule Braunschweig

3.3.8    Fazit und Perspektiven

3.4    Kurzzeitinterventionen

Tijs Bolz & Heinrich Ricking

3.4.1    Einleitung und Begriffsklärung

3.4.2    Zielgruppe

3.4.3    Rahmung und Strukturen

3.4.4    Beispiel und Praxiskonzeptionen

3.4.5    Fazit und Ausblick

3.5    Förderschule als Durchgangsschule

Heinrich Ricking

3.5.1    Einleitung

3.5.2    Förderschulen

3.5.3    Förderschule mit dem Schwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung

3.5.4    Das Prinzip des Durchgangs

3.5.5    Fazit

3.6    Intensivpädagogische Betreuungsformen zur Schulpflichterfüllung

Menno Baumann

3.6.1    Einleitung

3.6.2    Versuch einer Begriffsklärung und Zielgruppenfassung

3.6.3    Rahmung und Strukturen

3.6.4    Professionalität

3.6.5    Praxisbeispiele

3.6.6    Ausblick

3.7    Schulische Bildung in in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und im Jugendstrafvollzug

Viviane Albers & Manfred Wittrock

3.7.1    Einleitung

3.7.2    Personengruppe(n)

3.7.3    Rahmung und Strukturen

3.7.4    Professionalität

3.7.5    Beispiel und Praxiskonzeptionen

3.7.6    Fazit

4     Aufgabenfelder und Konzepte

4.1    Beziehung als Grundlage der Pädagogik bei Verhaltensstörungen?!

Tijs Bolz

4.1.1    Einleitung

4.1.2    (Soziale) Beziehung in pädagogischen Kontexten

4.1.3    Beziehung und unterrichtliches Handeln im Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung

4.1.4    Bindungs- und beziehungsorientierte Förderung und Unterstützung

4.1.5    Schlussfolgerungen und Ausblick

4.2    Erziehung und Förderung

Heinrich Ricking

4.2.1    Ausgangspunkte

4.2.2    Pädagogische Professionalität

4.2.3    Erfahrungs-, theorie- und evidenzorientierte Förderung

4.2.4    Zentrale Grundlagen der Förderung

4.2.5    Pädagogisch-therapeutisch orientierte Intervention

4.2.6    Grenzen pädagogischen Handelns

4.2.7    Fazit

4.3    Diagnostik in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen

Bastian Rieß & Tijs Bolz

4.3.1    Einleitung

4.3.2    Begriffsklärung und Einordnung in das sonderpädagogische Handlungsfeld

4.3.3    Spezifika einer Diagnostik im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

4.3.4    Ablauf eines diagnostischen Prozesses und Förderplanung

4.3.5    Abschluss und Ausblick: Diagnostik im Rahmen eines Systems der gestuften Hilfen

4.4    Beratung

Bastian Rieß

4.4.1    Einführung – Beratung als (sonder-)pädagogische Aufgabe

4.4.2    Begriffsklärung – Beratung in sonderpädagogischen Handlungsfeldern

4.4.3    Systematisierung von Beratung

4.4.4    Fazit und Ausblick – Beratung im System gestufter Hilfen

4.5    Präventive Förderung durch Trainingsprogramme im inklusiven schulischen Setting

Dennis Hövel

4.5.1    Einleitung/Begriffsklärung

4.5.2    Bedeutung

4.5.3    Strukturen und Konzepte

4.5.4    Trainingsüberblick – Beispiele

4.6    Didaktik, Methodik, Unterricht

Heinrich Ricking

4.6.1    Problemstellung

4.6.2    Selbstgesteuertes Lernen als Unterrichtsziel

4.6.3    Unterrichtsstörungen begegnen

4.6.4    Didaktische Eckpunkte im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung

4.6.5    Zentrale Leitlinien

4.6.6    Fazit

4.7    Kooperation in multiprofessionellen Settings

Tomke Weihrauch & Manfred Wittrock

4.7.1    Einleitung und Bedeutung

4.7.2    Begriffsklärung

4.7.3    Herausforderungen & Gelingensbedingungen

4.7.4    Ausblick

4.8    Qualifizierung und Kompetenzerwerb

Bastian Rieß & Simona Selle

4.8.1    Einleitung: Bedarf an qualifizierten Fachkräften im Bereich Sonderpädagogik

4.8.2    Phasen der Qualifizierung im Rahmen der grundständigen Lehramtsausbildung

4.8.3    Alternative Qualifizierungsmöglichkeiten für das Lehramt für Sonderpädagogik

4.8.4    Fazit und Ausblick

5     Offene Fragen und Herausforderungen – Ein Fazit

Heinrich Ricking & Manfred Wittrock

Quellen- und Literaturverzeichnis

Autorinnen und Autoren

1          Einleitung

Heinrich Ricking, Tijs Bolz, Bastian Rieß & Manfred Wittrock

Das Problem

Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen bzw. Förderbedarfe im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung1 stellen in dem heutigen, sich inklusiv entwickelnden Bildungssystem eine große Herausforderung für alle an und in Schule und Jugendhilfe tätigen Professionellen dar. Die Betrachtung dieser schulischen und auch gesellschaftlichen Problematiken bilden den Kern des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses des vorliegenden Werkes. Dabei sind die Ausführungen aus sonderpädagogischer Perspektive insbesondere den Kindern und Jugendlichen gewidmet, die sich in psychosozialen Fehlentwicklungen und in beständiger Gefahr befinden von schulischer und gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen zu werden. Der überwiegende Teil der Schülerschaft, der hier im Fokus steht, wächst in risikobeladenen Lebenssituationen auf, die v. a. durch psychosoziale Problemlagen und sozioökonomische Belastungen gerahmt werden. Die entstehenden Probleme und Störungen im emotionalen Erleben und sozialen Handeln erweisen sich im Entwicklungsverlauf als relativ stabil. Sie treten in mehreren Settings auf und betreffen den Umgang mit sich selbst, mit anderen und wirken sich sehr häufig negativ auf das schulische sowie außerschulische Handlungsfeld aus. Die Betroffenen haben oftmals deutliche Probleme den schulischen Anforderungen zu genügen – die Entwicklungsprobleme der ersten Lebensjahre artikulieren sich u. a. in mangelnder sozialer Integration, in emotionaler Instabilität und in schulischen Leistungsproblemen. In einigen Schulformen erscheinen sie in geballter Weise und bringen die pädagogisch Handelnden nicht selten an den Rand der Überforderung. Schließlich führen die Bedingungen Schülerin bzw. Schüler und Schule in zunehmende Distanzierung, begleitet und verstärkt durch außerschulische Risikolagen, schulische Verhaltens- und Disziplinprobleme, Schulversagen und Schulabsentismus (Ricking, Schulze & Wittrock, 2009).

Der Fokus des vorliegenden Herausgeberwerks liegt somit auf Beeinträchtigungen in der sozial-emotionalen Entwicklung, die in den Lebensabschnitten Kindheit und Jugend v. a. im Bezugsfeld Schule verdichtet werden. Dabei spielt die Partizipation dieser Schülerinnen und Schüler am schulischen Unterricht und Schulleben die dominierende Rolle. Die Aktualität der bereits angedeuteten Problemlagen steht dabei außer Frage (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2018). Die empirischen Erkenntnisse aus nationalen sowie internationalen Studien zu Prävalenzraten psychischer Auffälligkeiten (bzw. Störungen), der grundlegende Anstieg der Förderquote und die Zunahme an Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf in der allgemeinen Schule unterstreichen die Relevanz, gezielte Unterstützungsstrukturen und -maßnahmen auf verschiedenen Ebenen des Schulsystems zu implementieren ( Kap. 2.5). Auch qualitativ werden im Praxisfeld zunehmende Herausforderungen wahrgenommen und benannt, was sich u. a. in dem Belastungsempfinden von pädagogisch Tätigen in diesem Handlungsfeld und im Professionalisierungsbedarf widerspiegelt (Herz, 2016; Zimmermann, Fickler-Stang, Dietrich & Weiland, 2019). Um diesen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler sowie weiteren Bezugssystemen annähernd Rechnung zu tragen, bedarf es aus Sicht der Herausgeber einerseits gut ausgebildete und vorbereitete Fachkräfte und andererseits eines gestuften und vernetzten Systems (sonder-)pädagogischer Unterstützung (Willmann & Reiser, 2007; Rieß & Bolz, 2015), das im Folgenden differenziert dargestellt werden soll. Somit richtet sich dieses Buch an alle in einem sich inklusiv entwickelnden Setting mit Kindern und Jugendlichen arbeitenden Berufsgruppen, also sowohl Regelschullehrerinnen und -lehrer, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter, Sonderpädagoginnen und -pädagogen als auch weitere Akteurinnen und Akteure in diesem Feld.

Gegenstandsverständnis

Der Gegenstand der nachfolgenden Beiträge besteht in der grundlegenden Auseinandersetzung mit der Prävention im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung sowie der Intervention bei bereits verfestigten Verhaltensstörungen. Hintergründig beziehen wir uns auf die aktuell relevanten Definitionen von Myschker & Stein (2018), Opp & Unger (2003) und der KMK (2000). Die Definitionen von Myschker & Stein (2018) mit der klaren Bezugnahme auf die Bedeutung der Erwartungsnormen und die von Stein (2019) mit der deutlichen interaktionistischen Perspektive sind dabei theoretisch leitend. Erst die professionelle Wahrnehmung von Verhaltensweisen bzw. Störungen des Verhaltens (in externaler und internaler Form) schafft die Voraussetzung dafür, ein pädagogisches Verstehen zu ermöglichen. Dieses ist aus Perspektive der Herausgeber die Grundlage für professionelles Handeln: Jedes menschliche Verhalten ist ein subjektiv problemlösendes. Da nur auf der Grundlage von fachlich gesichertem Wahrnehmen und Verstehen ein planvolles, theoriegeleitetes Handeln im Rahmen wirksamer Erziehung und Bildung möglich ist, findet dieses Buch im interaktionistischen Ansatz die zentrale Orientierung (Seitz, 1992; Müller & Stein, 2015). In den Beiträgen werden, stets bezugnehmend auf das System der gestuften Hilfen ( Kap. 3), sowohl die theoriebezogenen Grundlagen als auch konkrete Konzepte für »Wahrnehmen, Verstehen, Handeln« dargestellt (Vernooij & Wittrock, 2008). Hohe begriffliche Relevanz zeigen dabei »Verhaltensauffälligkeit«, »Beeinträchtigung der emotionalen und sozialen Entwicklung« (auch »Förderbedarf im Bereich der ESE«) und »Verhaltensstörung«. Gerade im Hinblick auf die »International Classifikation of Functioning, Disability and Health« (ICF; DIMDI, 2005) erscheint die Verwendung des Begriffes »Beeinträchtigung« als einen weiter gefassten Begriff zur Beschreibung der Personengruppe in Ergänzung zum engeren Verständnis einer »Verhaltensstörung« sinnvoll (s. Kasten unten). Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung müssen dabei stets unter Berücksichtigung von Resilienzkonzepten, Ergebnissen der Resilizenzforschung und insbesondere dem Risiko- und Schutzfaktorenkonzept betrachtet werden (Opp & Fingerle, 2008; Wustmann-Seiler, 2015).

Präventiver und früh-interventiver Zugang

Dass eine Förderung im Entwicklungsverlauf oft zu spät einsetzt – häufig erst dann, wenn das Vollbild einer Störung oder Behinderung bereits vorliegt und so viele Optionen verschenkt werden, den Entwicklungsgradienten früh zu beeinflussen kann als Grundproblem der Fachdisziplin der Pädagogik bei Verhaltensstörungen verstanden werden. Eine manifeste Verhaltensstörung steht erst am Ende eines Prozesses, in dem Kinder und Jugendliche oft unangemessene und schädigende Lebensbedingungen vorfanden, dann mit ungünstigen Voraussetzungen in die Schule kommen, dort mit den sozialen und akademischen Anforderungen kämpfen und vielfach an ihnen scheitern (Ricking, 2018). Die psychosoziale Entwicklung ist als sukzessiver Aufbauprozess zu verstehen, in dem Entwicklungsergebnisse immer auch als Voraussetzungen für weitere Entwicklungsschritte gelten. Fehlende Resultate in einer Phase bleiben somit kein isoliertes Problem, sondern wirken sich negativ in den folgenden Phasen mit neuen Entwicklungsaufgaben aus. Damit wird auch die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen und frühen Interventionen betont. In der pädagogischen Praxis lassen sich spezifische Ausprägungsgrade einer (drohenden) Beeinträchtigung in der emotionalen und sozialen Entwicklung insbesondere in Bezug auf die Dimensionen »zeitliche Dauer«, »Situation/Rahmung« und »Ausprägungsgrad« identifizieren. Die Betonung der Prozessgestalt bei der Herausbildung von Verhaltensstörungen mit spezifischen Ausprägungsmerkmalen ist daher notwendig.

Dimensionen der Herausbildung von Verhaltensstörungen

Zeitliche Dauer:

vereinzelt

punktuell

andauernd

Situation/Rahmung:

eine

mehrere Situationen

mehrdimensional

Ausprägungsgrad:

leicht

mittel

schwer

Zu unterstreichen ist die Notwendigkeit Verzögerungen zu vermeiden, präventive Bedingungen zu schaffen und Interventionen früh wirksam werden zu lassen (Hennemann, Ricking & Huber, 2018).

Angesichts der oftmalig lebenslangen Auswirkungen von Maladaptionen in bedeutenden Entwicklungsphasen ist dieses basale Verständnis, Fehlentwicklungen im Entwicklungskontext durch Prävention oder frühe Interventionen abzuwenden, von größter pädagogischer Bedeutung. In der Auseinandersetzung mit diesem Prozess werden daher allen Stufen der Herausbildung von Verhaltensstörungen bearbeitet und so ein konzeptioneller Rahmen für die Anpassung von Förderbedingungen und Maßnahmen an die Bedarfe und Bedürfnisse der Zielgruppe geschaffen. Das im Folgenden skizzierte gestufte System sonderpädagogischer Unterstützung verfolgt den Grundsatz der Prävention (Caplan, 1964; Munoz, Mrazek & Haggerty, 1996; Beelmann & Rabe, 2007; Hillenbrand, 2008) und vereint Angebote auf universeller, selektiver und indizierter Unterstützungsebene in möglichst verlässlicher und flexibler Weise. Zwar ist es das Ziel präventiv der Notwendigkeit der Angebote der nächsten Stufe vorzubeugen (Subsidiarität), doch auch nach dem Scheitern früher Unterstützungsangebote bleibt das System gestufter Hilfen im Spannungsfeld von Prävention und Intervention nutzbar und bietet Handlungsoptionen, um den Bedarfen der Zielgruppe Rechnung zu tragen.

Aspekte im Themenfeld schulische Inklusion

Aktuell befindet sich das deutsche Bildungssystem, gebrochen durch die unterschiedlichen Ansätze der Bundesländer, auf dem (langen) Weg hin zu einem inklusiven Schulsystem. Aus unserer Perspektive bildet dabei Teilhabe (Partizipation) die zentrale Zieldimension. Wenn es eine Schule für alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen geben soll, dann sollte diese eine Schule für alle Schülerinnen und Schüler eine passende pädagogische Rahmung bieten. In einer Zeit, in der die Entwicklung von Konzepten und Modellen für eine inklusive Schule (d. h. einen non-kategorialen Zugang aller Kinder zur Schule bzw. für eine gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung) die (sonder-)pädagogische Diskussion bestimmt, stellt sich zudem die Frage: Sollte die Schule mit dem Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung ersatzlos aufgelöst werden oder kann bzw. muss sie – bei klarer Priorisierung der allgemeinen Schule – einen sinnvollen Beitrag für die (zeitlich befristete) Förderung von Schülerinnen und Schülerin mit emotional-sozialem Förderbedarf, beträchtlichen Funktionsstörungen und abweichenden Verhaltensmustern leisten (Wittrock, 2007; Ricking & Wittrock, 2012)? Und wenn ja: Wie müsste diese Schule für Erziehungshilfe im Rahmen eines Systems der gestuften Hilfen in Zukunft aussehen, d. h. welche pädagogischen, methodischen und organisatorischen Standards müssen entwickelt, eingefordert und erreicht werden? Die erhebliche Heterogenität im Schulsystem erfordert die Schaffung von Passungen zwischen pädagogischen Angeboten und den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler. Diese ist aus Sicht der Herausgeber nur durch ein gestuftes System der Hilfen leistbar, in dem die professionelle Tätigkeit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Evidenzorientierung (Stark, 2017) folgen und hierbei die Möglichkeit zur Entwicklung individualisierter, flexibler und bedarfsorientierter Unterstützungsangebote und -settings unter Anerkennung einer verstehenden Perspektive bieten (Baumann, Bolz & Albers, 2017).

Neben Kindern und Jugendlichen mit erheblichen Verhaltensproblemen gibt es weitere Gruppen in unserer Gesellschaft, die einer Unterstützung im Rahmen einer vorurteilsfreien Akzeptanz ihres So-Seins bedürfen. Viele Menschen werden im Kontext von Gruppenzuschreibungen wahrgenommen und leicht diskriminiert. Diese Benachteiligungen und Herabwürdigungen beziehen sich insbesondere auf die Bedeutung von Geschlecht, sexueller Orientierung, Familiensprache, Religion, Herkunft, Migrationshintergrund, Hautfarbe, sozialer Klasse, sozialer Schicht, Alter und Generation und/oder geistiger und körperlicher Beeinträchtigung. Das ist den Autorinnen und Autoren bewusst, soll aber nicht Schwerpunkt dieses Buches sein.

Zum Aufbau des Buches

Das vorliegende Buch weist eine klare fachliche Logik in seinem Aufbau und seiner Gliederung auf, die sich an Unterstützungsbedarfen der jungen Menschen im Handlungsfeld der Pädagogik bei Verhaltensstörung orientiert. Nach einer Klärung des Gegenstandes ( Kap. 2) stehen die Organisationsformen und Handlungsformate ( Kap. 3) und nachfolgend die Aufgabenfelder und Konzepte ( Kap. 4) im Fokus der fachlichen Auseinandersetzung. Als Einstieg in diese beiden zentralen Inhaltsbereiche wird in den Kapiteln 3.1 (Gestuftes System der Hilfen) und 4.1 (Professionalität in veränderten Aufgabenfeldern) ein konzeptioneller Überblick geschaffen, der sich entsprechend der unterschiedlichen Organisationsformen und Arbeitsbereiche in den nachfolgenden Kapiteln ausdifferenziert und vertieft.

Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser dieses Buches Hinweise für ihr eigenes Handlungsfeld und förderliche Anregungen für ihren professionellen Alltag finden.

Unser herzlicher Dank gilt allen, die an diesem Werk mitgewirkt haben. Ein ganz herzliches Dankeschön richten wir zudem an Felicitas Beine, die die erstredaktionelle Bearbeitung übernommen hat.

1     Da sehr unterschiedliche Verwendungen und Schreibweisen des Begriffs »Förderschwerpunkt im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung« im Fachgebiet bestehen, orientiert sich das Herausgeberteam an der Orthografie der Empfehlung zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung der KMK vom 10.03.2000. »Emotionale und soziale Entwicklung« wird im Folgenden oft in der Kurzform »ESE« genutzt.

2          Gegenstand und Entwicklungen

Heinrich Ricking & Manfred Wittrock

2.1       Problemaufriss

Erschwerte Erziehungs- und Bildungsprozesse bilden in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen den Kern des Faches. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind zumeist durch die unzureichende pädagogische Qualität ihrer Lebenswelten in ihrem Werden beeinträchtigt, oft gerahmt von Vernachlässigung und anderen Formen der Gefährdung des Kindeswohls. Eine Vielzahl von psychosozialen und sozioökonomischen Risiken schaffen für sie ungünstige Bedingungen des Aufwachsens, was in Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung, deutlichen Funktionsstörungen und abweichenden Verhaltensweisen zum Ausdruck kommt. Aus sonderpädagogischer Perspektive geht es um junge Menschen, denen es häufig an Halt gebenden Bindungen mangelt (Bolz, Wittrock & Koglin, 2019). Sie sind durch diverse Stressoren oft hochbelastet und geben markante Probleme zu erkennen, um den schulischen Anforderungen zu genügen, z. B. im Bereich der sozialen Integration, der emotionalen Stabilität, der Selbststeuerung und bei der Leistungserbringung (Myschker & Stein, 2018). Die Kinder erleben einerseits einen konfliktreichen schulischen Alltag mit aggressiven Auseinandersetzungen, häufigen Erfahrung den Erwartungen nicht entsprechen zu können, vielen negativen Rückmeldungen und Zurückweisungen. Die Lehrkräfte und andere schulische Mitarbeitenden erleben andererseits Schülerinnen und Schüler, die sich selbst oder anderen schaden, zu viel Nähe suchen, andere bestehlen, weglaufen, die Mitarbeit verweigern oder nicht zur Schule kommen (Müller, 2018b). Pädagogische Situationen können in der Folge auf beiden Seiten sowohl von Distress und Frustrationen als auch von Hilflosigkeit und Ohnmacht geprägt sein.

Im Laufe der Schulzeit entwickeln sich in vielen Fällen erfahrungsbedingte Aversionen gegenüber der Schule, die zu einer Entzweiung führen und die schulische Biografie schwer beeinträchtigen können (Schulze & Wittrock, 2008; Ricking & Hagen, 2016). Die zunehmende Entfremdung endet nicht selten in der Entkopplung von Lernenden und Schule und wird begleitet von außerschulischen Risikolagen, Verhaltens- und Disziplinproblemen, Schulversagen und Schulabsentismus (Ricking, Schulze & Wittrock, 2009). Der Weg der Desintegration führt zu beruflichen und gesundheitlichen Schwierigkeiten und endet laufend in sozialer Randständigkeit. Derartige Problemlagen stellen die Pädagogik bei Verhaltensstörungen vor erhebliche Herausforderungen und setzen die schulischen wie außerschulischen Unterstützungssysteme beträchtlich unter Druck (KMK, 2020). Diese haben die Aufgabe, sich weiterzuentwickeln und regional passende Formate und Prozesse zu etablieren, die einem interdisziplinären Versorgungsanspruch für die gesamte Breite und Vielfalt der Förderbedarfe entsprechen (Hennemann, Ricking & Huber, 2017). Viele Heranwachsende bedürfen vor diesem Hintergrund komplexer Förderarrangements unter Berücksichtigung der Jugendhilfe, pädagogisch-therapeutischer Hilfen und mitunter medizinischer/psychiatrischer Therapie, mit allen Folgen für die Kooperation und Vernetzung der professionellen Akteurinnen und Akteure (Vernooij & Wittrock, 2008). Das dabei zu adressierende fachliche Spektrum reicht von intensivpädagogischen Arrangements (Baumann, Bolz & Albers, 2017) bis zu einer institutionell wie auch konzeptionell abgesicherten Umsetzung inklusiver Leitideen in der Schule (Stein, 2011). Dabei verlangt die gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Beeinträchtigungen nach hoher fachlicher Kompetenz; sie schafft auch einen Rahmen für eine stärkere präventive und früh-interventive Ausrichtung (Hillenbrand & Hennemann, 2006).

2.2       Begriffe & Definitionen

Die Disziplinen, die mit Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen befasst sind, treffen in der Begriffswahl unterschiedliche Entscheidungen für vergleichbare Zielgruppen und Phänomene: In der Schule spricht man von Schülerinnen und Schülern mit einem »Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung« (KMK, 2000, S. 10), der fachwissenschaftliche Zugang der Sonderpädagogik lautet Kinder und Jugendliche mit einer »Verhaltensstörung« (Myschker, 2009, S. 49) oder »Gefühls- und Verhaltensstörung« (Opp & Unger, 2003, S. 45), während in medizinischen und klinisch-psychologischen Kontexten insbesondere die Kennziffern »F90–F98 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend« der ICD (International Classification of Diseases 10-GM, DIMDI, 2020) herangezogen werden. In der Kinder- und Jugendhilfe ist mit dem Verweis auf das SGB VIII (KJHG) traditionell von seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen die Rede.

Unzweifelhaft, auch im Hinblick auf die inklusive Beschulung, ist den verwendeten Begrifflichkeiten im fachlichen Diskurs eine hohe Bedeutung zuzusprechen. Sie sollten klar definiert und anerkannt sein und so eine notwendige Voraussetzung für eine gelingende professionelle Kommunikation schaffen. Diverse Begriffe werden auch in der (Sonder-)Pädagogik bemüht, um diesen Gegenstand terminologisch zu fassen: Erziehungsschwierigkeit, Entwicklungsverzögerung, Verhaltensauffälligkeit oder -beeinträchtigung, Verhaltensoriginalität oder herausforderndes Verhalten (Vernooij, 2005). Neben historischen Entwicklungen mag das Unbehagen mit dem Begriff Verhaltensstörung ein Grund für diese Vielfalt bzw. Ausweichbewegungen sein und tatsächlich zieht er unschwer Kritik auf sich: Er ist defizitorientiert und so fehlt ihm die finale Ausrichtung auf Förderbedarfe. Der Wortteil Verhalten könnte auf ein verhaltenstheoretisches Gegenstandsverständnis verweisen, das äußerlich erkennbares Verhalten fokussiert und innere Prozesse ausblendet. Ein fraktioniertes Bild vom Menschen und verzerrtes Erziehungsverständnis könnten die Folge sein (Stein & Müller, 2018). Der zweite Teil Störung beschreibt eine negative Abweichung bzw. Nicht-Funktionalität, wobei die Gefahr in der Personalisierung im Sinne von ›gestörten Kindern‹ liege und unbeachtet bliebe, dass es v. a. um die Auseinandersetzung mit interaktionalen Störungen in bestimmten Situationen geht. Trotz dieser und weiterer Kritikpunkte (z. B. Schlee, 1989) macht es Sinn, an diesem Konsensbegriff festzuhalten – auch mangels überzeugender Alternativen. Bei der Klärung und differenzierten Betrachtung hilft die relativ umfassende Definition von »Verhaltensstörung« nach Myschker & Stein (2018, S. 56) weiter:

»Verhaltensstörung ist ein von zeit- und kulturspezifischen Erwartungsnormen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann.«

Eine Aufschlüsselung der Aspekte verdeutlicht die Dimensionen.

1.  das Phänomen: Verhaltensabweichung, nicht-funktionale Anpassung, kulturelle und zeitspezifische Erwartungen als Bezugsgröße;

2.  die Verursachung: organisch und/oder milieureaktiv;

3.  die Klassifikation: mehrere Handlungsbereiche sind betroffen, Häufigkeit und Schwere;

4.  die Konsequenzen: Auswirkungen auf Entwicklung, Lernen, Arbeiten und Interaktion;

5.  die Forderung nach Hilfen: Besondere pädagogisch-therapeutische Hilfen sind zur Überwindung bzw. Verbesserung notwendig.

Ausgangspunkt dieser Definition sind Erwartungsnormen. Sie bestimmen weitgehend, was aus der Beobachterperspektive (Stein, 2019) als abweichend bzw. maladaptiv eingeschätzt wird. Diese Erwartungsnormen sind jedoch nicht einheitlich in der Gesellschaft verbreitet, sondern subjektiv und darüber hinaus milieuspezifisch. Was für das neue Bildungsbürgertum abweichendes Verhalten ist, wird in Teilen jugendlicher Subkultur als erstrebenswert und Zeichen der Zugehörigkeit eingeschätzt. Insofern ist herauszustellen, dass es jenseits der gesellschaftlichen Pluralität v. a. um fachlich begründete und legitimierte Erwartungsnormen geht, was u. a. in einer professionellen Diagnostik zum Ausdruck kommt. Opp & Unger (2003, S. 55) bieten eine alternative Definition, die sich an der Begriffsfassung des US-amerikanischen Council for Children with Behavior Disorders (CCBD) orientiert:

»Der Begriff Gefühls- und Verhaltensstörungen beschreibt Beeinträchtigungen (disability), die in der Schule als emotionale Reaktionen und Verhalten wahrgenommen werden und sich von altersangemessenen, kulturellen oder ethnischen Normen so weit unterscheiden, dass sie auf die Erziehungserfolge des Kindes oder Jugendlichen einen negativen Einfluss haben. Erziehungserfolge umfassen schulische Leistungen, soziale, berufsqualifizierende und persönliche Fähigkeiten. Eine solche Beeinträchtigung ist mehr als eine zeitlich begrenzte, erwartbare Reaktion auf Stresseinflüsse in der Lebensumgebung; tritt über einen längeren Zeitraum in zwei verschiedenen Verhaltensbereichen (settings) auf, wobei mindestens einer dieser Bereiche schulbezogen ist; und ist durch direkte Intervention im Rahmen allgemeiner Erziehungsmaßnahmen insofern nicht aufhebbar, als diese Interventionen bereits erfolglos waren oder erfolglos sein würden. Gefühls- und Verhaltensstörungen können im Zusammenhang mit anderen Behinderungen auftreten und erfordern für ihre Beschreibung Informationen aus verschiedenen Quellen und Messverfahren.«

Sie berücksichtigen explizit die emotionale Dimension, indem sie von Gefühls- und Verhaltensstörungen sprechen, nehmen Bezug auf den gefährdeten Erziehungserfolg (Schule, soziale Fähigkeiten, berufliche Qualifikation, persönliche Kompetenzen), betonen ebenso die Notwendigkeit spezifischer Hilfen und die häufige Komorbidität mit anderen Beeinträchtigungen (Schröder & Wittrock, 2002). Um das Phänomen näher zu spezifizieren, ergänzen Opp & Unger (2003) wichtige Kriterien: Bei Kindern und Jugendlichen mit Gefühls- und Verhaltensstörungen zeigt sich der unangemessene Umgang mit normativen Verhaltenserwartungen demnach nicht punktuell und kurzfristig, sondern längerfristig und überdauernd, sodass oft von einer hohen Persistenz auszugehen ist; ihr Verhalten entspricht vielfach nicht dem Alter und ist nicht auf außergewöhnliche Lebensumstände zurückzuführen; es tritt in unterschiedlichen situativen Kontexten auf und ist in seinem Ausmaß als schwerwiegend bzw. entwicklungsgefährdend einzuschätzen.

2.3       Erscheinungsformen und Klassifikation

Im Förderschwerpunkt ESE werden spezifische Störungsbilder subsumiert, sodass der Terminus Verhaltensstörung auch als phänomenologischer Kontraktionsbegriff fungiert und die Aufgabe hat deutlich unterscheidbare Verhaltensmuster zusammenzufassen. Einerseits sind Kinder zu beachten, die angstvoll und gehemmt wirken und sich in sozialen Situationen verunsichert zurückziehen (Hillenbrand, 2008). Überdies fallen Kinder und Jugendliche innerhalb eines externalisierenden Modus als ausagierende Personen auf, die impulsiv auf Reize reagieren und ihre Aufmerksamkeit nur schwer zu steuern vermögen; auch als solche, die mit aggressiven Verhaltensmustern oder Meidungsverhalten versuchen, Konflikte zu regeln (Myschker & Stein, 2018).

Im Kontext externalisierenden Verhaltens sind v. a. Erscheinungsformen zu rücken, die nach außen gerichtet sind und vielfach soziale Konflikte evozieren. Aufmerksamkeitsstörungen, aggressives und delinquentes Verhalten, chronisches Schulschwänzen oder der Gebrauch illegaler Drogen sind dazuzurechnen und zeigen einen Bezug zu dissozialem Verhalten (Beelmann & Raabe, 2007). Personale Gewalt kann als Beispiel für diese Gruppe fungieren. Es ist zu verstehen als Handlungsform, die absichtlich verletzt oder zerstört, mitunter schwere Störungen in die Interaktion sozialer Gruppen einträgt und dort negative Reaktionen hervorruft. Dabei kann es sich sowohl um offen-gezeigte oder verdeckte, körperliche oder verbale wie auch direkte oder indirekte Aggression handeln (Petermann & Koglin, 2013). Ein großer Teil gewalttätiger Kinder und Jugendlicher ist selbst im Laufe seines Lebens Opfer von Gewalt gewesen. Im Kontext von Erfahrungen persönlicher Entwertung wird Gewalt dann als Möglichkeit zur Erlangung von Macht und Achtung verstanden, als subjektiv notwendige Antwort auf erlebte Missachtung. Vor dem Hintergrund gewaltaffiner Interpretation alltäglicher Situationen verselbständigt sich Gewalt als legitimes Machtmittel (Sutterlüty, 2003). Eine auch in schulischen Zusammenhängen viel diskutierte Form der Gewalt bildet Mobbing (auch: Bullying), ein Muster personaler Gewalt, die sich weniger physisch als verbal und paraverbal zeigt. Es folgt einem Schema und betrifft wiederkehrende Verhaltensweisen (z. B. lächerlich machen, Gerüchte und Lügen streuen, Gewalt androhen, erniedrigen oder quälen), denen das Opfer sozial isoliert über längere Zeit preisgegeben ist (Kindler, 2009). Die zielgerichtete Aggression erscheint innerhalb eines einseitigen Machtverhältnisses, das die oft an Körperkraft überlegene Täterin oder Täter nutzt, um das hilflose Opfer längerfristig unter Druck zu setzen. Dabei kann es im schulischen Kontext entstehen oder in der Freizeit aufkommen (z. B. Cybermobbing) und im Klassenraum oder auf dem Pausenhof konkret werden (Alsaker, 2016). Die Gepeinigten suchen das Problem oft zuerst bei sich und wenden sich nicht oder erst spät an hilfreiche Erwachsene. Mobbing erzeugt Angst, Verunsicherung und negativen Stress, der zu psychischen Erkrankungen und Schulmeidung führen kann (Ricking et al., 2009).

Damit sind auch internalisierende Verhaltensprobleme angesprochen, die oftmals mit Angststörungen, sozial unsicherem Verhalten und depressiven Stimmungen in Verbindung stehen. Angst wird von Menschen als ein negativer emotionaler Zustand empfunden, die in als bedrohlich erlebten Situation aufkommt (Essau, 2014). Angst wird ganzheitlich erlebt und wird auf unterschiedlichen Ebenen offenkundig. Das vegetative System wird aktiviert: Herzrasen oder Blässe; im emotional Erleben bedeutet Angst Pessimismus, Unsicherheit oder Hilflosigkeit; in kognitiver Hinsicht: negative, fatalistische Gedanken; schließlich auf Verhaltensebene: Ersatzhandlungen, Verweigerung, Flucht oder Aggression (Schwarzer, 2000). Angst muss als pädagogisch unerwünschtes Phänomen bewertet werden, weil sie das subjektive Wohlbefinden der Schülerin oder des Schülers beeinträchtigt, habitualisiert werden kann, das Selbstkonzept beeinträchtigt und die Leistungsfähigkeit angreift (Stein, 2012). Behandlungsbedürftigkeit entsteht, wenn

»ihre Dauer und Intensität dem Potenzial einer Gefährdung nicht angemessen ist, sie in harmlosen Situationen oder ohne jegliche wahrnehmbare Bedrohung auftritt, sie überdauernden (chronischen) Charakter hat, das Individuum keine Möglichkeit der Erklärung, Reduktion oder Bewältigung der Angst hat und seine Lebensqualität massiv beeinträchtigt wird« (Essau, 2003, S. 29).

Aufgrund der »stillen Problematik« begegnet den Betroffenen jedoch mitunter nur wenig Aufmerksamkeit, sie benötigen in der Schule und darüber hinaus pädagogische und/oder therapeutische Unterstützung (Schneider, 2004). Die nachfolgende Tabelle verdeutlicht die unterschiedlichen Dimensionen von maladaptiven Verhaltensmustern ( Tab. 2.1).

Klassifikationssysteme wie das ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder DSM-V (Diagnostic Stastical Manual-V) der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie (APA) definieren aus medizinischer bzw. psychiatrischer Perspektive Symptome, die oft in der Diagnostik von Gefühls- und Verhaltensstörungen unterstützend Einsatz finden. Stein und Müller (2018) warnen in diesem Zusammenhang

Tab. 2.1: Entwicklungshemmende Verhaltensmuster (orientiert an Myschker & Stein, 2018, S. 63)

jedoch davor, dass bei einer Fokussierung auf die Klassifikation der Störungen diejenigen verloren gehen, die hinter dem Ganzen stehen – die »Kinder und Jugendlichen mit spezifischen biografischen Erfahrungen und Lebensbewegungen, die mit sich und anderen in Konflikte geraten sind, welche sie alleine nicht mehr lösen können und aus denen nicht nur eine situative, sondern eine geradezu existenzielle Bedürftigkeit im Sinne einer ontologischen Sicherheit erwächst« (S. 37).

2.4       Genese und Erklärungsansätze

In der Sonderpädagogik – wie auch in anderen Disziplinen – liegen verschiedene wissenschaftliche Erklärungsmodelle vor, die versuchen abweichendes Verhalten auszulegen, verstehbar zu machen und daraus Handlungsansätze abzuleiten (Myschker & Stein, 2018; Vernooij & Wittrock, 2008). Erst in einem theoretischen Interpretationsrahmen werden z. B. Motive und Wechselwirkungen in Handlungsweisen sichtbar. Dabei bezieht sich das biomedizinische Modell v. a. auf genetische und organische Ursachen, das sozialwissenschaftliche Modell versteht die Verhaltensproblematik als Ergebnis sozialer Bewertung und Stigmatisierung, verhaltenstheoretisch geht es um nicht vollzogene oder fehlgeleitete Lernprozesse während in psychoanalytischer Perspektive das Verhalten eine Funktion psychischer Prozesse darstellt, die zu einer inadäquaten ICH-Entwicklung geführt haben. Schließlich begreift der systemische Ansatz das Kind als Symptomträger gestörter sozialer Verhältnisse. Es wird deutlich, dass die Entstehung und Ausformung von Gefühls- und Verhaltensstörungen als sehr komplexer Prozess verstanden werden kann, der vielfältig interpretierbar und von vielen inneren wie äußeren Faktoren abhängig ist. In der Entwicklung sind Risikoeinflüsse v. a. hinsichtlich biopsychosozialer Voraussetzungen des Kindes, familiale Erziehungs- und Lebensbedingungen, schulische Lernbedingungen und Beziehungen sowie Wirkungszusammenhängen zu berücksichtigen, die von Gleichaltrigen ausgehen. Insofern ist auf multikausal bedingte Beeinträchtigungen Bezug zu nehmen, bei denen Wirkungen aus unterschiedlichen Lebensräumen in fließendem Interaktionszusammenhang stehen. Der Mehrdimensionalität des Gegenstandes ist es geschuldet, dass sich die Notwendigkeit zeigt (auch in der Praxis) theoretische Erklärungsansätze miteinander in Verbindung zu bringen, um die Reichweite, die Klärung oder das Verstehen des Verhaltens zu optimieren (Schmitz & Wittrock, 2010).

Wie schon die oben aufgeführte Definition von Myschker & Stein (2018) durch die Begriffe »organogen und/oder milieureaktiv« hervorhebt, spielen bei der Herausbildung von Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung grundsätzlich die Wechselwirkungen zwischen individueller Anlage und primärer Umwelt eine zentrale Rolle. Es entstehen nach heutigem Wissen einerseits Dispositionen, die auf genetische Einflüsse und frühe Erfahrungen zurückgehen und eine höhere oder niedrigere Empfindlichkeit oder Vulnerabilität für einen eingrenzbaren Verhaltensbereich bewirken, z. B. für Angststörungen (Fingerle, 2008). Ob sich eine Störung tatsächlich manifestiert, ist andererseits wesentlich abhängig von risikoerhöhenden oder -mindernden Umwelteinflüssen. Besondere Entwicklungsrisiken entstehen, wenn ungünstige Anlagenbedingungen mit einer hohen Vulnerabilität auf schwierige Umweltbedingungen wie z. B. ein dissoziales Milieu treffen (Beelmann & Raabe, 2007; Steinhausen, 2019). Und dennoch ist auch in einem solchen Fall kein Entwicklungsdeterminismus angemessen. Menschen sind ihren Lebensbedingungen nicht ausgeliefert, sondern selbst Akteurinnen bzw. Akteure ihrer Entwicklung, in der sie auf ihre Verhältnisse und Konditionen Einfluss nehmen – in förderlicher wie auch hemmender Weise (Scheithauer, Mehren & Petermann, 2003). Vor diesem Hintergrund schlagen Beelmann & Raabe (2007, S. 55) folgende Charakterisierung vor:

»Fehlentwicklung (gleich welcher Art) kann nach dieser Konzeption als das Resultat eines dynamischen Entwicklungsprozesses verstanden werden, der durch ein relativ ungünstiges Verhältnis von Vulnerabilitäten (als personale Risiken) und Stressoren (als soziale Risiken) zu Resilienz (personale Schutzfaktoren) und Ressourcen (soziale Schutzfaktoren) gekennzeichnet ist.«

Es ist davon auszugehen, dass bei Individuen in psychosozialen Fehlentwicklungen regelhaft mehrere Risikofaktoren wirken (Multikausalität), die leicht kumulieren und interagierende Belastungskomplexe bilden. D. h., eine multiple Risikobelastung ist bei Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen eher die Regel als die Ausnahme. So geraten mitbedingende Faktoren in den Blick, u. a. frühkindliche Beziehungserfahrungen, häuslich-familiäre Strukturen und Interaktionen, gruppendynamische (Peergroup), schulisch-unterrichtliche, gesamtgesellschaftliche und organogene Faktoren. Die Anhäufung von individuellen und umfeldbezogenen Risikofaktoren führt zumeist zu einer Verstärkung der pädagogisch ungünstigen Wirkungen, die die Wahrscheinlichkeit von Lern- und Verhaltensstörungen in der Entwicklungskonsequenz steigen lässt (Beelmann & Raabe, 2007; Ihle & Esser, 2008). Ob und wie Lebens- und Lernbelastungen verarbeitet werden können, ist auch stark abhängig von den zeitlichen Ausmaßen, in denen die Heranwachsenden ihnen ausgesetzt sind. Häufig wiederkehrende und langandauernde Negativeinflüsse (persistente im Gegensatz zu situativen Risikofaktoren), zu Verbünden kumuliert, sind nur schwer konstruktiv zu verarbeiten, wirken sich am massivsten aus und überfordern mitunter die Möglichkeiten der konstruktiven Bewältigung (Fingerle, 2008). Dabei ist auf kritische Phasen erhöhter Vulnerabilität hinzuweisen, auf Entwicklungsstadien, die besonders sensibel erfahren werden: Übergänge (z. B. zwischen Zuhause und Kindergarten oder Kindergarten und Schule), in denen sich vertraute Abläufe ändern, neue Bezugspersonen hinzukommen und veränderte Anforderungen gestellt werden. Sie stellen immer ein gewisses Risiko dar, bieten aber auch die Chance einer neuen positiven Entwicklung. In individueller Perspektive sind Beeinträchtigungen im Verhalten die sichtbaren Folgen eines Mangels von angemessenen und flexibel einsetzbaren Anpassungsleistungen angesichts neuer Herausforderungen und Aufgaben.

Mit dem Übergang in das schulische Setting sind gesellschaftlich definierte Entwicklungsaufgaben verbunden, bei denen besonders Kinder, die in bildungsfernen und anregungsarmen Verhältnissen aufwachsen, größere Schwierigkeiten zeigen (Quenzel, 2015). Im Umgang (gelingend oder nicht gelingend) damit bilden sich (re-)aktive Verhaltensweisen heraus, die sich prozessual zu zunehmend verfestigenden Verhaltensmustern entwickeln können. Je nachdem, ob diese Bewältigungsstrategien den zeit- und kulturspezifischen Normen (Myschker & Stein, 2018) entsprechen oder nicht, werden sie im gesellschaftlichen Rahmen, wie z. B. in der Schule, als »maladaptiv« wahrgenommen und ggf. etikettiert. Insofern ist im Sinne einer Ausgangsannahme jedes menschliche Verhalten als ein subjektiv problemlösendes zu verstehen und auch in abweichenden, wenig funktionalen Verhaltensweisen ein aktiver Bewältigungsversuch zu sehen (Wittrock, 2008). Dieses Gegenstandsverständnis unterliegt aber auch einer zeitlichen Dimension. So kann das hoch aggressive Verhalten eines Grundschulkindes auf den für es unerklärlichen Tod der geliebten Großmutter von den familialen und schulischen Bezugspersonen als ein ›reaktives‹ verstanden und ihm durch verstehendes, zugewandtes Verhalten bzw. geeignete Angebote begegnet und in der Folge gemildert werden. Erhält das Kind, insbesondere in der Familie, jedoch andauernd keine geeigneten verstehenden Angebote bzw. sogar verletzendes Verhalten durch die primären Bezugspersonen, dann kann sich die Fehlentwicklung verfestigen. In der englischen Fachsprache wird dann von »adverse-childhood-experiences (ACEs)« gesprochen (Felitti et al., 1998). In Kombination mit weiteren entwicklungshemmenden Faktoren kann dies nachfolgend zu Verhaltensstörungen bzw. delinquentem Verhalten führen. Aus dem Verständnis der Herausbildung von Verhaltensstörungen als prozesshaftes Geschehen ergibt sich die Schlussfolgerung, dass

  reaktives Verhalten auf Problemkonstellationen bzw. kritische Lebensereignisse,

  maladaptive Verhaltensmuster der Kinder und

  chronifizierte Verhaltensstörungen

im Prozess des fachlichen Verstehens und für das professionelle Handeln zu unterscheiden sind.

Wird der emotional-soziale Förderbedarf im Rahmen eines interaktionistischen Verständnisses betrachtet, bildet eine Verhaltensstörung eine Problematik im Person-Umfeld-Bezug (Myschker & Stein, 2018; Schulze & Wittrock, 2018). Diese spezifische Sicht führt zur Fokussierung der Entstehung und Entwicklung von Störungen auf der Basis von Einflüssen der Person, der Situation wie auch der Interaktion und der beurteilenden und diagnostizierenden Beobachtenden (Stein, 2019). In diesem Sinne kann der Gegenstandsbereich somit »als ein System begriffen werden, das die betroffenen Kinder und Jugendlichen impliziert, sie jedoch nicht als Gegenstand betrachtet« (Stein & Müller, 2015). Diese Perspektive bedingt die Berücksichtigung von Beiträgen der Person (z. B. habitualisierte dissoziale Verhaltensmuster, Persönlichkeitsstörungen), der Situation bzw. des Umfeldes (z. B. Zwangssituationen, aversiv erlebtes Setting) wie auch der interaktionalen Prozesse und Formen der Kommunikation (z. B. Provokationen). Sie sind in der Erklärung und im Verstehen des Verhaltens zu berücksichtigen wie auch in ihren Wechselwirkungen zu betrachten ( Kap. 4.3). In der Schule sollten somit Problemkonstellationen im Umfeld von Schülerverhalten als Interaktionsaufgaben erkannt und verstanden werden, was einem pädagogischen Zugang durchaus entgegenkommt (Willmann, 2010b). Umfassendere Darstellungen der Ursachen und Prozesse der Herausbildung von maladaptiven Verhaltensmustern finden sich u. a. bei Myschker & Stein (2018) und bei Vernooij & Wittrock (2008). Es bleibt festzuhalten: Verhaltensstörungen

  sind ernst zu nehmen und schaffen gravierende Probleme für die Betroffenen und ihr Umfeld,

  sind in ihrer Bestimmung abhängig von Normen und Wertvorstellungen aus (fachlicher) Beobachterperspektive,

  benötigen zu ihrer Einschätzung Kriterien/einen Bezugsmaßstab (interindividueller Vergleich, Leidensdruck …),

  sind ein relatives Phänomen und abhängig von Epoche, Ort, soziokulturellen Normen (z. B. geschriebene und ungeschriebene Gesetze) oder institutionellen Regeln und Erwartungen (z. B. Schule) und

  sind vielfältig. D. h., der Begriff hat sehr unterschiedliche Verhaltensweisen zusammenzufassen (Kontraktionsbegriff).

2.5       Prävalenz und Persistenz

Prävalenzraten zu Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen variieren grundsätzlich in Abhängigkeit von in Ansatz gebrachten definitorischen Kriterien, eingesetzten Instrumenten, die verwendeten Erhebungsmethoden sowie bildungs- und finanzpolitischen Gesichtspunkten. Vor dem Hintergrund der Normabhängigkeit weisen die vorliegenden Daten über die Verbreitung von Beeinträchtigungen im emotionalen Erleben und sozialen Verhalten im Kindesalter eine relativ große Schwankungsbreite auf (Scheithauer et al., 2003; Steinhausen, 2019). Ihle & Esser (2008) benennen in ihrer metaanalytischen Untersuchung eine Prävalenzrate von 18 % und machen auf eine hohe Persistenz der Störungen von über 50 % über alle Altersstufen des Kindes- und Jugendalters aufmerksam. Hennemann & Casale (2016, S. 209) geben nach einer Analyse der internationalen Studien »einen validen Wert von 12–15 % als klinisch relevante Verhaltensstörungen« an. Dabei ist unter Komorbiditätsbedingungen allgemein von einer problemverschärfenden Entwicklung auszugehen. »Als häufigste Störungen in relevanten epidemiologischen Studien zeigen sich Angststörungen mit einer durchschnittlichen 6-Monatsprävalenz von 10,4 %, gefolgt von dissozial-aggressiven Störungen mit 7,5 % sowie depressiven Störungen und hyperkinetischen Störungen mit jeweils 4,4 %« (Ihle & Esser, 2008, S. 54). Die Analysen von Forness et al. (2012) bestätigen diese Verteilungen.

Nach den Ergebnissen der KiGGS Basiserhebung (2003–2006), die Daten (gemessen mit dem SDQ) zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (3–17 Jahre) in Deutschland erhebt, waren ca. 20 % der Kinder und Jugendlichen als auffällig zu bezeichnen. Die derzeit aktuellsten Ergebnisse der KiGGS-Studie (Robert Koch Institut, 2018a; 2018b) ergeben eine leicht rückläufige Tendenz bei den psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen:

»Die Prävalenz psychischer Auffälligkeiten liegt zu KiGGS Welle 2 bei 16,9 %. Der rückläufige Trend betrifft insbesondere Jungen im Alter von 9 bis 17 Jahren. Mädchen und Jungen aus Familien mit niedrigen sozioökonomischen Status sind deutlich häufiger als Gleichaltrige aus Familien mit mittlerem und hohem sozioökonomischen Status psychisch auffällig« (2018b, S. 37).

Dazu wird des Weiteren ausgeführt: »Jungen zeigen mit 19,1 % eine signifikant höhere Prävalenz als Mädchen mit 14,5 %. Dies trifft insbesondere für die Altersstufen von 3 bis 14 Jahren zu. […] So ist beinahe jedes vierte Mädchen und fast jeder dritte Junge aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status psychisch auffällig« (Robert Koch Institut, 2018b, S. 39 f.).

Neben dem Hinweis auf den Risikofaktor ›niedriger sozioökonomischer Status‹ ist für die professionelle (sonder-)pädagogische Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen noch ein weiteres Resultat der KiGGS-Studie (Welle 2) bedeutsam. So zeigen die Ergebnisse, dass

»der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die zum ersten Erhebungszeitraum psychisch auffällig waren und die bei der Folgeerhebung psychische Auffälligkeiten zeigten, bei den 3- bis 5-jährigen Jungen am höchsten ist (im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen sowie zu den Mädchen): er betrug in dieser Gruppe 52 %. Der Anteil der Jungen mit wiederholt kritischen Symptomen sank für die Gruppe der 9- bis 11-Jährigen auf 38 %. Für Mädchen nahm der Anteil derjenigen, die über beide Erhebungszeiträume psychisch auffällig waren, mit steigender Altersgruppe zu (38 % vs. 45 % vs. 47 %)« (Robert Koch Institut, 2018a, S. 61).

Besorgniserregend erscheinen daneben die Ergebnisse einer Studie zur Verbreitung selbstverletzenden Verhaltens unter Jugendlichen in Deutschland: »25–35 % of adolescents in random samples drawn from German schools have been found to have manifested at least one episode of non-suicidal self-injury (NSSI)« (Plener et al., 2018, S. 23).

Aktuelle Befunde aus sonderpädagogischer Perspektive im deutschen Sprachraum und insbesondere für den Förderschwerpunkt ESE liefern Hennemann et al. (2020). Sie konnten im Rahmen einer Erhebung zur psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern an sechs Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt ESE aus dem Großraum Köln empirische Erkenntnisse zur differenzierten Beschreibung der Schülerschaft generieren. Mittels Screening (Screening-Bogen des DISYPS-III; Döpfner & Görtz-Dorten, 2017) beurteilen die Klassenlehrkräfte psychischer Auffälligkeiten von 698 Schülerinnen und Schülern (84,6 % männlich, 15,4 % weiblich; Alter zwischen 6 und 17) störungsspezifisch (Hennemann et al., 2020). Die ersten Teilergebnisse der Studie deuten u. a. darauf hin, dass Lehrkräfte bei einem Großteil der Schülerschaft externalisierende Verhaltensweisen als auffällig (58,6 %) oder sogar als stark auffällig (34,1 %) einschätzen (ebd.). Internalisierende Verhaltensweisen schätzen die Lehrkräfte insgesamt bei 22,3 % als auffällig (16,3 %) bzw. als sehr auffällig (6 %). Darüber hinaus weisen 85 % nach Urteil der Lehrkräfte Funktionsbeeinträchtigungen auf. Insgesamt deuten die Ergebnisse somit auf eine sehr hohe Problembelastung der Schülerinnen und Schüler und auf einen Schwerpunkt im Bereich externalisierender Verhaltensprobleme hin. Hennemann et al. (2020) stellen nach Betrachtung epidemiologischer Studien zusammenfassend fest, dass fast ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland psychische Auffälligkeiten und ca. ein Siebtel, ausgehend von eng gefassten klinischen Kriterien, psychische Störungen aufweisen. Dabei ist jedoch zu unterstreichen, dass die Anzahl an Kindern und Jugendlichen, die psychische Auffälligkeiten bzw. Störungen aufweisen, nicht mit dem Anteil der Schülerinnen und Schüler mit diagnostizierten Förderbedarf im Bereich ESE in der Schule gleichzusetzen ist.

Generell sind die Prävalenzquoten vor dem Hintergrund des verwendeten Erhebungsinstrumentes sowie möglichen Beurteilungsfehlern (Bezugsnormen, Referenzen etc.) einzuordnen. Dennoch kann aus diesen Studien gefolgert werden, dass in der (sonder-)pädagogischen Arbeit eine besondere Beachtung der präventiven bzw. früh-interventiven Arbeit im Vorschul- und Grundschulalter und die gezielte Beachtung genderspezifischer Aspekte erforderlich sind. Ein Blick auf die Zahlen von Schülerinnen und Schülern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf ergibt folgendes Bild: Nach den aktuellen Daten der KMK (2020) wurden 2018 in Deutschland 556.317 Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. Davon entfielen 95.765 auf den Förderschwerpunkt ESE, was einem Anteil von 17,2 % aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf entspricht. Im Zuge des Ausbaus inklusiver Bildungsstrukturen (z. B. unterschiedliche Formen gemeinsamen Lernens, Stärkung des Elternwahlrechts bei der Entscheidung über den Förderort) in den letzten zehn Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf im Bereich ESE in der allgemeinen Schule (bei gleichbleibender Anzahl an den Förderschulen) zu beobachten. In der Zeit von 2006 bis 2018 ist ihre Zahl bundesweit von 48.217 auf 95.765 gestiegen. Die Förderquote1 kletterte entsprechend auf 1,3 % (KMK, 2020, S. 3 ff.). Mit der Förderquote ist auch die Inklusionsquote gestiegen: Im Bundesdurchschnitt haben 2018 54.326 Kinder und Jugendliche mit diesem Förderschwerpunkt eine allgemeine Schule besucht, was einer Quote von 56,7 % inklusiv beschulter Kinder entspricht (ebd., S. 5).

Tab. 2.2: Schüler mit Förderbedarf (im Schwerpunkt ESE) in Deutschland 2006–2018 (KMK, 2016; 2018a, b; 2020)

Die Ursachen für den grundlegenden Anstieg der Prävalenzrate im schulischen Kontext in den letzten zehn Jahren werden in der Fachdisziplin darüber hinaus kritisch diskutiert und sind vielschichtig (z. B. Herz, 2011; Popp, 2014). Gesellschaftliche Entwicklungen, diagnostische Fortschritte, eine zunehmende Sensibilisierung der Akteure in Schulen bezeichnen mögliche Einflüsse (Herz, 2012). Die Bestrebungen der allgemeinen Schule, frühzeitig auf ›Problemfälle‹ aufmerksam zu machen und mit Ressourcen reagieren zu können, kann ebenso einen Faktor darstellen. Die Diskrepanz zwischen Prävalenzangaben aus epidemiologischen Studien von psychischen Auffälligkeiten bzw. Störungen und dem Anteil der Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbedarf im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung ist kritisch zu beleuchten. Vermutlich könnte deren Zahl deutlich höher liegen, da der Förderbedarf nur einer Teilgruppe zukommt, die dauerhaft gegen schulische Ordnungskategorien verstößt ( Kap. 5).

2.6       Schulische Förderung

Die strukturelle Komplexität und Anforderungsvielfalt im Förderschwerpunkt ESE haben ein beträchtliches Maß erreicht (Ahrbeck & Willmann, 2010; Vernooij & Wittrock, 2008). Der Förderbedarf bedingt eine beziehungsintensive Rahmung zwischen den Kindern und pädagogischen Fachkräften (Bolzet et al., 2019), alternative didaktische Ansätze, spezifische Fördermaßnahmen, eine ausgeprägte Kooperation mit Erziehungsberechtigten und die Einbindung in funktionierende Netzwerke unterstützender Dienste (Ellinger & Stein, 2012). Es zeigt sich jedoch deutlich, dass den Anforderungen an den Förderschwerpunkt, die sich aus den Veränderungen im Zuge der Entwicklungen hin zu einem inklusiven Schulsystem ergeben, nicht allein mit der bisherigen Expertise zu genügen ist. Inklusion bedeutet im Bildungsbereich die weitgehende gemeinsame Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen und divergierender Leistungsfähigkeit in einer Schule (Deutsche Unesco Kommission, 2009). So ist in der inklusiven schulischen Förderung eine hohe Fachlichkeit gefordert, die sich auf ein flexibel auf die Bedarfe in der Praxis ausgerichtetes System professioneller Förderung stützen kann (Rieß & Bolz, 2015; Hennemann, Ricking & Huber, 2017). Dieses bietet ein abgestimmtes Hilfsangebot und schafft für Eltern, Schülerinnen sowie Schüler und Lehrkräfte bedarfsgerechte Möglichkeiten der inklusiven bzw. separierenden Förderung (Hegarty, 2001). Zahlreiche internationale Berichte und Studien weisen auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer erfolgreichen schulischen Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen hin (Dyson, 2010; Farell et al., 2007; Lindsay, 2007) und auch die deutschsprachigen Untersuchungen berichten von größeren Problemen bei der sozialen Integration und emotionalen Entwicklung, weniger von leistungsbezogenen Nachteilen gegenüber der Förderbeschulung (Speck, 2010; Bless, 2007; Ahrbeck, 2011; Vernooij, 2010). Ellinger & Stein (2012, S. 104) resümieren nach einer metaanalytischen Betrachtung der einschlägigen Studien:

»Im Gesamtbild ergeben sich unter bestimmten Umständen leicht günstigere Befunde für inklusive Settings im Hinblick auf Leistungsaspekte, Sozialverhalten und Selbstkonzept (vgl. Goetze, 1990; Preuss-Lausitz, 2004). Dagegen stehen deutlich problematische Erkenntnisse im Hinblick auf soziale Integration und die Wirkung auf die Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Förderbedarf«.

Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe der Sonderpädagogik, im schulischen Bildungssystem innerhalb eines ressourcenorientierten Ansatzes die allgemeinen Schulen in der Entwicklung von Förderkompetenz zu unterstützen und ihre soziale Integrationskraft sowie ihr Förderpotenzial zu stärken (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2014). Dabei ist es unabdingbar, auf eine offene, unvoreingenommene Haltung bei den pädagogisch Tätigen hinzuwirken und so die soziale Eingliederung der Schülerinnen und Schülern zu begünstigen. Die Bereitstellung personaler Ressourcen (z. B. für eine Doppelbesetzung) schafft erst den Rahmen für eine kompetente sonderpädagogische Begleitung der Förderung innerhalb eines gemeinsamen Förderkonzepts mit differenzierenden Lernhilfen und didaktischer Individualisierung (Ricking, 2011, 2016). Notwendigerweise ist dieser Wandlungsprozess einzubetten in die Schulentwicklung, deren Ziel u. a. ein integratives Handlungskonzept an jeder allgemeinen Schule und ein gelebtes Reintegrationskonzept an Förderschulen sein sollte. Lindmeier (2009) schlägt in diesem Kontext vier Strukturmerkmale (4-A-Schema) eines inklusiven (Bildungs-)Systems vor:

1.  Adaptability: die flexible Anpassung des Systems an die Bedürfnisse der Betroffenen und den Wandel der Gesellschaft

2.  Availability: die Verfügbarkeit des Bildungssystems ohne systematische Trennung und Ausschluss

3.  Accessibility: die Zugänglichkeit des Bildungssystems sowie die Verfügbarkeit der nötigen Ressourcen

4.  Acceptablity: die Akzeptierbarkeit von Bildung (gemeinsame Bildungsziele) sowie eine hohe Akzeptanz der Beteiligten.

Insbesondere das dritte Strukturmerkmal betont die dringende Forderung, dass die notwendigen pädagogischen Maßnahmen jeweils für alle beteiligten Personen im Bildungssystem unmittelbar erreichbar sein müssen (Lindmeier, 2009). Dies hat für die schulische Inklusion zur Folge, dass effektive Maßnahmen zur Vorbeugung oder Verminderung von Gefühls- und Verhaltensstörungen sowie von Lernstörungen bereits an den allgemeinen Schulen als individuelle Ressource zur Verfügung stehen und damit zu einer gezielten Förderung der Kinder und Jugendlichen beitragen können (Hennemann et al., 2017b). Die Gestaltung des Prozesses sollte so angelegt sein, dass exkludierende Bedingungen und Prozesse abzubauen und Veränderungen im System zu vollziehen sind, die zu höheren Passungen und störungsärmeren Relationen führen (Reiser, Willmann & Urban, 2008). Es ist somit elementar, dass Schulen ihr Potenzial stärken, auch leistungsschwache Schülerinnen und Schüler, solche mit Migrationshintergrund, aus Familien mit Multiproblemlagen oder mit problematischem Verhalten einzubinden und bedarfsgerecht zu fördern (Wittrock & Ricking, 2017). In diesem Kontext werden professionelle Interventionen in der Fachliteratur zunehmend (z. B. Kearney, 2016) in drei Ebenen/Stufen (»Tiers«) unterteilt, die sich vornehmlich in der pädagogischen Praxis von Ländern mit etablierter schulischer Inklusion zeigen. Allgemein werden dabei

  »Universelle Maßnahmen« für alle Mitglieder der Gruppe (z. B. Klasse) = »Prävention« als »Tier 1«,

  »Selektive Maßnahmen« für Kinder und Jugendliche mit einem speziellen Unterstützungsbedarf (unter Einbezug von Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen) = »(frühe) Intervention« als »Tier 2« und

  »Indizierte Maßnahmen« für spezifische Teilgruppen bzw. Individuen = »Intervention und Rehabilitation« als »Tier 3« bezeichnet.

Spätestens in der dritten Stufe (»Tier 3«) wird die fachliche Expertise der Sonderpädagogik allgemein bzw. der Fachkräfte im Förderschwerpunkt ESE für notwendig erachtet. Diese Modellvorstellung wird im Konzept der »Response to Intervention (RTI)« verwandt (Berkeley et al., 2009), die insbesondere in der präventiven (sonder-)pädagogischen Arbeit (auch in Deutschland) verbreitet ist (Huber & Grosche, 2012). Im pädagogischen Alltag zeigen sich jedoch auch Ausprägungsformen von Verhaltensproblemen aufgrund schwerer Traumatisierungen oder verfestigter selbst- und fremdverletzender Verhaltensmuster, von Substanzmissbrauch oder massiv schulaversivem Verhalten. Sie stellen sowohl schulische als auch außerschulische Erziehungshilfe vor beträchtliche Herausforderungen in der aktuellen pädagogischen Praxis (Bolz, Albers & Wittrock, 2018; Ricking & Wittrock, 2012). Kearney (2016) spricht dabei von einer Gruppe »beyond tier 3«. Die Förderung von jungen Menschen mit den unterschiedlichen Ausprägungen von massiv störenden Verhaltensweisen scheint die Möglichkeiten und Grenzen ›inklusiver‹ Beschulung besonders auszureizen. Die Herstellung individueller Passung bei dieser Zielgruppe stellt eine Aufgabe dar, der oft nur mit einzelfallorientierten, indikationsbasierten, interdisziplinär vernetzten und somit komplexen Fördersettings begegnet werden kann. Aufgrund ihrer teilweise massiv (ver-)störenden Verhaltensweisen werden sie nicht selten von einer zur anderen Einrichtung im Unterstützungssystem ›hindurchgereicht‹ und bewegen sich in der Folge in einer Pendelbewegung zwischen Schule, Kinder- und Jugendhilfe, der Kinder- und Jungendpsychiatrie und/oder dem Jugendstrafvollzug (Baumann, 2010; Bolz, 2019). Nicht jedes Kind ist zu jedem Zeitpunkt seiner Entwicklung in einer Schule mit über 1000 Schülerinnen und Schülern, einer Klasse mit 25 Mitschülerinnen und Mitschülern und einem Fachlehrkraftsystem im 45-Minuten-Takt gut aufgehoben (Baumann et al., 2017). Psychische Problemlagen können dazu führen, dass der Kontext Schule für den jungen Menschen eine massive Überforderung darstellt und alternativ der Bedarf nach einem geschützten Rahmen besteht. Es handelt sich um Erscheinungsformen sozial-emotionalen Verhaltens, die zwar nur bei einer kleinen Anzahl von Kindern und Jugendlichen wahrzunehmen sind, die jedoch Inklusions- und auch Integrationskraft der derzeit existierenden pädagogischen Systeme übersteigen können (Kauffman & Hallahan, 2005). Diese Zielgruppe, die sowohl im Praxisfeld als auch zunehmend im fachlichen Diskurs als sog. ›Systemsprenger‹ bezeichnet werden, ist durch universelle oder selektive Maßnahmen, aber oft auch durch indizierte Maßnahmen nicht erreichbar (Baumann et al., 2017) ( Kap. 3.6). Die gegenwärtige Situation vermittelt den Eindruck, dass diese Kinder und Jugendlichen nicht zur Schule passen. Die fehlende Passung führt zu massiven Schwierigkeiten für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte, denn »jedes menschliche Verhalten ist ein subjektiv problemlösendes« (Wittrock, 2008) und genau dieses subjektiv problemlösende Verhalten zeigen Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte in Schule heute.

2.7       Fazit & Ausblick

Der Förderschwerpunkt ESE konfrontiert alle fachlichen Akteure mit Problemstellungen innerhalb einer größer werdenden Zielgruppe und sich verändernder Phänomene psychosozialer Beeinträchtigungen (Schad & Stein, 2005). Die schulische Inklusion stellt dabei eine aktuelle Herausforderung dar. Sie sollte für Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten Förderbedarf im Schwerpunkt ESE umfassender gedacht werden als nur in Bezug auf die gemeinsame Beschulung von allen Kindern in einer Klasse. Für das professionelle pädagogische Handeln sollten Grundannahmen die Basis bilden: Menschen (Kinder) benötigen eine adäquate Versorgung, positive Beachtung, Wertschätzung und Selbstwirksamkeitserleben (Bandura, 1997). Gerade unter Berücksichtigung der Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen mit komplexen und langfristigen Förderbedarfen leuchtet ein, dass nur ein differenziertes System der Förderung den wachsenden Anforderungen und Inanspruchnahmen gerecht werden kann ( Kap. 3.1). Es ist heute als Entwicklungsaufgabe von Schulen zu verstehen, sich auf die zunehmende Heterogenität ihrer Schülerschaft systematisch einzustellen und bedarfsgerecht Unterstützungsangebote anzubieten. In einer solchen Schule kann nicht das Curriculum der Kristallisationspunkt des Handelns sein, sondern die Lern- und Entwicklungsbedürfnisse sowie die pädagogischen Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen (Stein, 2011).

Nicht Selektionsmaßnahmen wie Rückstellung, Klassenwiederholung oder Schulwechsel sind die pauschalen Antworten auf Leistungs- und Verhaltensheterogenität, sondern ein differenziertes Lernarrangement innerhalb einer Schulgemeinschaft, in der eine gute Balance herrscht zwischen dem Spektrum der Voraussetzungen auf Schülerseite und dem Bildungsangebot wie auch den Erwartungen auf Seiten der Schule. Positive Entwicklungsbedingungen unterstützender Strukturen sind deshalb für alle Kinder und Jugendlichen herzustellen, insbesondere für die, die bildungsfern, psychosozial belastet unter benachteiligenden Bedingungen aufwachsen. Ein entsprechendes Förderpotenzial aufzubauen und zu optimieren kann als eine zentrale Zukunftsaufgabe von Schule betrachtet werden (Hennemann, Ricking & Huber, 2017). In diesem Rahmen sind wichtige Ziele zu definieren: Zum einen die Stärkung der Bewältigungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit risikobelastenden Lebenslagen und zum anderen die Schaffung von Förderbedingungen in der Schule, die eine störungsarme und gesunde Entwicklung ermöglichen.

In dem schulischen Handlungsplan sollte die frühzeitige Förderung von Lebenskompetenzen enthalten sein, v. a. in den Bereichen Emotionalität, Soziabilität, Sprache und Kognition, Ernährung und Bewegung, um Kinder und Jugendliche bei der erfolgreichen Bewältigung der jeweiligen Entwicklungsaufgaben gezielt durch pädagogische Maßnahmen zu unterstützen (Ricking, 2016). Für (schulische) Inklusion und ihre Gelingensbedingungen sind adäquate Ressourcen (in allen Altersstufen), eine Mitwirkung und Vernetzung im System der »gestuften Hilfen«, multiprofessionelle (Zusammen-)Arbeit und Gemeinwesenorientierung (im Sozialraum) relevant. In Bezug auf Schule und Unterricht ist für jede Einrichtung ein Schulkonzept notwendig, das von allen getragen wird und besondere Angebote für ein positives Klima, zur Orientierung, Probehandeln und gezielten Förderung enthält. Dazu sollte Schule ein Arbeitsort verschiedener Disziplinen sein, die die Ganzheitlichkeit der Förderung repräsentiert und auf die Lernbedürfnisse (z. B. Lehrkraft), die psychosozialen Bedarfe (z. B. Sozialarbeiterinnen, Therapeuten) und die Erfordernisse der körperlichen Gesundheit(-spflege) (z. B. Krankenpflegepersonal) einzugehen vermag (Heimlich, 2014). So lassen sich Bedingungen kreieren, die dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche nicht in Handlungsbereitschaften abdriften, die von Schulaversion genährt werden. Die weitere Entwicklung präventiver gestufter Hilfen im Förderschwerpunkt ESE sollte, gerade unter dem Gesichtspunkt spezifischer Teilgruppen, z. B. mit gewaltförmigen Verhaltensmustern, sorgfältig fachlich begleitet und evaluiert werden. Schließlich ist auch die Lehrkräfteausbildung durch eine stärkere Verzahnung von Sonder- und allgemeiner Schulpädagogik weiterzuentwickeln (Burns, 2007). Für die Lebenschancen dieser Kinder und Jugendlichen ist somit die Qualität und Angemessenheit der Erziehungs- und Bildungsarbeit an Schulen von entscheidender Bedeutung. Davon hängt letztlich auch ab, ob es gelingt, die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft zu mindern und mehr strukturelle Gerechtigkeit zu etablieren (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2016).

Zum Abschluss ein Zitat zum Nachdenken:

»Children have an inalienable right to high-quality, appropriate education. This should be provided in as inclusive a manner as possible, but there are times when inclusion is difficult or even impossible and must be set aside. The right to high-quality, appropriate education can never be set aside« (Hegarty, 2001, S. 248).

1     Als Förderquote wird der Anteil der Schülerinnen und Schüler in Förderschulen und der in allgemeinen Schulen unterrichteten Schüler mit sonderpädagogischer Förderung an der Gesamtzahl der Schüler im Alter der Vollzeitschulpflicht (Klassenstufen 1 bis 9/10 der allgemeinbildenden Schulen einschließlich Förderschulen) bezeichnet.

3          Organisationsformen

Aufgrund der Heterogenität und Komplexität in dem Handlungsfeld der Pädagogik bei Verhaltensstörung ( Kap. 2) und den sich daraus ergebenen Bedarfen und Herausforderungen, sind spezifische Organisationsformen für die Planung, Umsetzung und Evaluation von Förderung und Unterstützung erforderlich. Bereits in den 1990er Jahren werden in einschlägigen fachwissenschaftlichen Publikationen unterschiedliche, teilweise miteinander verbundene Organisationsformen (sonder-)pädagogischer Förderung im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung skizziert. Neben einer fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung ist die Fragestellung der Organisation bzw. der Organisationsformen auch auf politischer, wirtschaftlicher, kommunaler und gesellschaftlicher Ebene relevant. Im nachfolgenden Kapitel wird zunächst ein organisatorischer Überblick zu Unterstützungssystemen gegeben und ein aktuelles System gestufter Hilfen abgeleitet. Die darauffolgenden Beiträge werden die einzelnen Stufen dieses Systems bzw. unterschiedliche Organisationsformen differenziert darstellen und die Umsetzung in Praxisprojekte konkret vorstellen. Diese werden vor dem Hintergrund eines sich inklusiv entwickelnden Bildungssystems kritisch diskutiert.

3.1       Gestuftes System der Hilfen

Tijs Bolz & Bastian Rieß

3.1.1     Einleitung

Ziel dieses Beitrags soll es sein, ein gestuftes System der Unterstützung zu skizzieren, das die organisatorischen und strukturellen Eckpunkte der sonderpädagogischen Förderung im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung berücksichtigt, die unterschiedlichen Formen der Hilfen miteinander verbindet und hierbei die Spezifität und Heterogenität der Zielgruppe beachtet. Sowohl in der Fachliteratur als auch in der Praxis etabliert, finden sich unterschiedliche Modelle und Konzepte gestufter Systeme, die die Förderung und Unterstützung in diesem Förderschwerpunkt fokussieren. Neun nationale und internationale ausgewählte Modelle bzw. konzeptionelle Überlegungen sowie deren spezifische Entwicklungslinien aus dem fachwissenschaftlichen Diskurs sollen im Folgenden kurz skizziert und anschließend hinsichtlich grundlegender gemeinsamer Prinzipien analysiert werden. Dies stellt die Grundlage für das entwickelte gestufte System der Hilfen dar, das in unterschiedlicher Ausgestaltung im Praxisfeld zu beobachten ist.

3.1.2     Modelle und Konzepte gestufter Systeme sonderpädagogischer Förderung

Einführend wird zunächst das »Stufenmodell der Institution zur Prävention und Rehabilitation von Verhaltensstörungen« von Myschker und Stein (2018, S. 348), erstmals von Myschker 1993 veröffentlicht, beschrieben. Dieses Modell fasst die Angebote schul-, sozial- und kriminalpädagogischer, pädagogisch-psychiatrischer und berufspädagogischer Institutionen in sieben aufeinander aufbauenden Stufen der Förderung zusammen. Die Extreme bilden auf der untersten Ebene »Elternschulungen und Früherkennungsuntersuchungen« und auf der obersten Ebene »Anstalten und Schulen der Kinder- und Jugendpsychiatrie« ( Abb. 3.1.1).

Abb. 3.1.1: Stufenmodell der Institutionen zur Prävention und Rehabilitation von Verhaltensstörungen (Myschker & Stein, 2018, S. 356)

Myschker und Stein (2018) weisen darauf hin, dass dieses Stufenmodell integrative bis hin zu separierenden und segregierenden Organisationsformen enthält. Diese Möglichkeiten erstrecken sich von stark präventiven (z. B. Elternschule, Frühförderung) bis hin zu rehabilitativen bzw. pädagogisch-kurativen Einrichtungen (z. B. Förderschule, Anstalt, Schule des Strafvollzugs, Klinik und Schule der Kinder und Jugendpsychiatrie).

Ein weiteres frühes Modell skizziert Bach (1995) für den deutschen Sprachraum. Unterschieden wird hierbei zwischen den vier Stufen:

1.  Förderung durch eine Lehrkraft der allgemeinen Schule,

2.  Förderung durch eine Förderschullehrkraft im Umgang von wenigen, maximal zwei Unterrichtsstunden,

3.  Förderung durch eine Förderschullehrkraft in Kooperation mit der Lehrkraft der allgemeinen Schule im Umgang von i. d. R. maximal sechs Stunden,

4.  Förderung in der Förderschule.

Zielsetzung ist es, ein »System weitmöglicher integrierter Förderung mit der Tendenz, sich selbst als abnehmende Größe zu verstehen und durch Förderung eine Reduzierung der Förderung zu ermöglichen« (Bach, 1995, S. 7). Im Vergleich zu Myschker & Stein (2018) ist anzumerken, dass Bach (1995) primär den schulischen Kontext der Förderung fokussiert.

Aus den Empfehlungen zum Förderschwerpunkt ESE der KMK (2000) geht ebenfalls eine übergeordnete Darstellung zu den Formen und Orten sonderpädagogischer Förderung im schulischen Kontext hervor. Unterschieden werden vorbeugende Maßnahmen, zu denen bspw. spezielle Fortbildungsangebote, Diagnose- und Förderklassen, mobile Beratungs- und Unterstützungsdienste sowie kooperative Zusammenarbeit zwischen allgemeinen Schulen und Förderzentren zählen. Eine weitere Form stellt der gemeinsame Unterricht an allgemeinen Schulen dar, der in Zusammenarbeit von sonderpädagogischen Lehrkräften mit Lehrkräften der allgemeinen Schule für Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf ESE durchzuführen ist. Als weitere Institutionen werden Sonderschulen und Sonderpädagogische Förderzentren angegeben (ebd.). Die Unterscheidung liegt darin, dass sich die sog. Sonderschule primär der Aufgabe der Unterrichtung von Schülerinnen und Schülern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf ESE widmet, während ein Förderzentrum die »sonderpädagogische Förderung […] in einzelnen oder mehreren Förderschwerpunkten an unterschiedlichen Förderorten nach Möglichkeit in der allgemeinen Schule kompetent und möglichst wohnortnah« (ebd., S. 26) durchführen soll. Darüber hinaus werden noch der berufsorientierende und berufsbildende Bereich ausgewiesen, der primär im gemeinsamen Unterricht, durch die Kooperation mit beruflichen Schulen und in Berufsbildungswerken umgesetzt werden soll. Es ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei um Empfehlungen handelt und die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität erfolgt.

Der Versuch, diese institutionelle Vielfalt empirisch zu erfassen, erfolgte u. a. durch Willmann (2005) im Rahmen des SfE-Survey 2004/2005, einer bundesweiten Totalerhebung zu schulischen Institutionen im Förderschwerpunkt ESE (hier unter der Bezeichnung »Schule für Erziehungshilfe«), inklusive eines Vergleichs von Bundes- und Länderergebnissen. Aus den Ergebnissen von Willmann (2005, S. 446 f.; 2007) lässt sich ebenfalls ein System sonderpädagogischer Förderung ableiten. Dabei werden insbesondere schulische Organisationsformen fokussiert, die ausschließlich spezialisierte Einrichtungen für Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen darstellen oder von ihnen ausgehen. Im Rahmen dieser Darstellung werden die folgenden Institutionen als Bestandteile eines Systems sonderpädagogischer Förderung skizziert:

  Schulen für Erziehungshilfe/Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt ESE,

  Heimschulen (bzw. Schulen im Jugendhilfeverbund),

  Klinikschulen (Schulen im Verbund mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie),

  sonderpädagogische Förderzentren (Verbundschulen) oder Beratungs- und Förderzentren,

  Sonderberufsschulen,

  Gefängnisschulen,

  ambulante schulische Erziehungshilfe durch Förderschule/Förderzentren.

Auch wenn Willmann (2005) primär spezialisierte Einrichtungen für Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensstörungen fokussiert, betont er deutlich den starken Anstieg und die Ausweitung ambulanter Formen der schulischen Erziehungshilfe, die organisatorisch und personell von Förderschulen und Förderzentren ausgehen. Weitestgehend unberücksichtigt bleiben – vermutlich aufgrund der Ausrichtung des Surveys – integrative bzw. inklusive Förder- und Unterstützungsangebote, die organisatorisch und personell an der allgemeinen Schule verortet sind.