Preppy - Er wird dich verraten - T. M. Frazier - E-Book

Preppy - Er wird dich verraten E-Book

T. M. Frazier

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Beschreibung

Nachdem Preppy sich aus seiner schrecklichen Kindheit befreit hat, lebt er endlich das Leben, von dem er immer geträumt hat. Doch als er die hübsche Dre Capulet kennenlernt, ist er augenblicklich gefangen zwischen einem unaufhaltbaren Verlangen nach ihr und der Angst, dass sie das Leben, das er so liebt, für immer verändern könnte. Doch so sehr er auch versucht, sich von der gebrochenen Schönheit fernzuhalten, spürt er doch mit jeder Berührung, dass sein Herz immer Dre gehören wird, und zwar bis über den Tod hinaus ...


"Preppy ist großartig!" Kylie Scott

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Inhalt

TitelZu diesem BuchAnmerkung der AutorinWidmungProlog123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839404142DankDie AutorinWeitere Bücher von T. M. Frazier bei LYXImpressum

T. M. FRAZIER

Preppy

Er wird dich verraten

Roman

Ins Deutsche übertragen von Anja Mehrmann

Zu diesem Buch

Ich wusste nicht, was echte Angst ist, bis ich dem Bösen höchstpersönlich begegnete. Es trug ein teuflisches Grinsen und eine Fliege.

Samuel Clearwater aka Preppy liebt gute Fliegen, gute Pfannkuchen, gute Freunde, gute Partys, gute Drogen und gute Orgien mit schöne Frauen. Nachdem er sich zusammen mit King aus seiner schrecklichen Kindheit befreit hat, lebt er endlich das Leben, von dem er immer geträumt hat. Doch als er eines Nachts die hübsche Dre Capulet davon abhält, sich von einem Wassertum in den Tod zu stürzen, ist er augenblicklich gefangen zwischen seinem unaufhaltbaren Verlangen nach ihr und der Angst, dass sie das Leben, das er so liebt, für immer verändern könnte. Doch so sehr er auch versucht, sich von der gebrochenen Schönheit fernzuhalten und ihr zu zeigen, dass ein Leben mit ihm nur in eine Richtung – nämlich bergab – geht, spürt er doch mit jeder Berührung, dass sein Herz immer Dre gehören wird, und zwar bis über den Tod hinaus …

Für die meisten Menschen ist der Tod das Ende ihrer Geschichte. Für Preppy und Dre ist der Tod erst der Anfang!

Anmerkung der Autorin

Liebe Leserinnen und Leser,

vielen Dank, dass Ihr Preppy so liebt! Zuerst war er einfach nur eine Stimme in meinem Kopf. Eigentlich sollte er gar kein Charakter bei King werden, doch dann wurde die Stimme immer lauter, und irgendwann konnte ich sie nicht mehr ignorieren.

Aber so ist Preppy nun einmal.

Um Preppys Geschichte besser verstehen und genießen zu können, empfehle ich Euch, vorher die anderen vier Bücher aus der King-Serie zu lesen: King – Er wird dich besitzen, King – Er wird dich lieben, Lawless und Soulless. Vielen Dank fürs Lesen und für Eure anhaltende Unterstützung! Ohne Euch könnte ich all dies nicht tun.

Ich liebe Euch alle.

T. M.

Für Mister Frazier

Prolog

PreppyGegenwart

Kleine Lichtblitze zucken durch die dunklen Ecken meines Bewusstseins. Ganz langsam geht der Sonnenuntergang in die Morgendämmerung über, und mein Verstand erwacht, während mein inneres Licht immer heller zu leuchten beginnt.

Ich höre ein Geräusch wie von einem laufenden Wasserhahn, und mir wird klar, dass es das Blut ist, das in meinen Ohren rauscht. Ich würge, als es mein Herz erreicht, es mit einem Paukenschlag zum Leben erweckt. Bumm! Babumm! Es schlägt immer weiter, bis es in einen schnellen, aber gleichmäßigen Rhythmus verfällt. Das neue Leben in mir wird lauter und stärker, bis der Tod sich zurückzieht und ich keuchend erwache.

Ich schlage die Augen auf. Ich versuche Luft zu holen, aber nichts passiert. Ich versuche es noch einmal, und meine Lunge brennt, bis sie endlich zu kooperieren beschließt. Ich kann atmen, aber es tut verdammt weh.

Fuck, ich lebe!

Meine ersten Gedanken erschrecken mich zu Tode. Sie gelten einem Mädchen. Einem traurig aussehenden Mädchen mit glänzendem schwarzem Haar und großen dunklen Augen, das auf dem Rand des Wasserturms sitzt. Mein Herz gerät aus dem Takt, klopft schneller und immer schneller, bis es wie ein Presslufthammer gegen meine Rippen schlägtklopft.

Sie.

Obwohl ich nur verdammt verschwommen sehen kann, sind meine Gedanken an sie klarer als je zuvor, und zum ersten Mal in meinem Leben als Erwachsener habe ich Angst.

Das Riesenarschloch, das mit einem Baseballschläger über mir steht, muss ich gar nicht sehen, um zu wissen, dass ich absolut und total erledigt bin.

1

PreppyDrei Jahre früher

Verdammt, ist das guter Stoff!

Ich wischte das Pulver weg, das mir noch unter der Nase klebte, und rieb es mir auf das Zahnfleisch. »Erstklassiger Stoff. Danke, Mann! Jetzt ist dieser Scheißtag ein kleines bisschen weniger beschissen«, sagte ich. Wir waren gerade bei Grace’ Haus vorgefahren, nachdem wir King im Knast abgeliefert hatten, wo er seine Haftstrafe antreten würde. Wir würden ihn wiedersehen, aber erst in zwei bis vier Jahren.

»Verdammt«, sagte Bear und wiederholte mein Urteil über das Kokain, indem er eine Line vom Armaturenbrett zog. Er kniff sich in die Nase und schüttelte den Kopf. Als der Stoff sein Gehirn erreichte, flogen ihm die langen blonden Haare um den Kopf, als wäre er ein Schäferhund, der sich trocken schüttelte.

Ich kannte das Gefühl.

Ich kannte es gut.

Und ich liebte es.

Bear wischte die verbliebenen Spuren unserer kleinen Trauerfeier vom Armaturenbrett. Er stieg aus, aber ich zögerte, die Hände immer noch auf dem Lenkrad. Ich blickte zu Grace’ kleinem Haus hinauf und seufzte. »Kommst du?«, fragte Bear und beugte sich zum offenen Wagenfenster herein. Dann zündete er zwei Zigaretten an und lehnte sich an das Auto. Sein Arsch, der in einer Jeans steckte, versperrte mir die Sicht.

Zögernd stieg ich aus, und als ich um das Auto herumging, strich ich meine Hose glatt, rückte meine Fliege zurecht und holte tief Luft. Ich lehnte mich neben Bear an den Wagen, und schweigend starrten wir auf Grace’ Veranda. Er reichte mir eine der brennenden Zigaretten. Ich griff danach und inhalierte tief.

»Bist du sauer, weil King uns verboten hat, ihn zu besuchen?«, fragte ich. Bear hakte einen Daumen in seine Hosentasche und kickte mit der Stiefelspitze eine Muschel weg.

Ich nahm einen weiteren Zug und atmete langsam aus.

Bear zuckte die Achseln. »Ein paar meiner Brüder sagen dasselbe, wenn sie eingelocht werden. Keine Anrufe, keine Besuche. Wenn sie im Knast sind, müssen sie sich auf das Leben im Knast konzentrieren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es besonders hilfreich ist, Besuch zu bekommen, der einen ständig an die Freiheit erinnert, die man nicht mehr hat.«

»Ich rede nicht von deinen Beach Bitches, Glücksbärchi. Ich rede von King«, sagte ich und trat meine Zigarette aus.

Bear verdrehte die Augen, schnippte die Zigarette auf die Straße und stieß den Rauch durch die Nase aus. »Na komm, bringen wir es hinter uns.«

»Bear?«, fragte ich. Plötzlich fühlte ich mich unwohl, als wir den Weg entlanggingen. Ich klopfte meine Hose ab und zog meine Fliege noch einmal gerade.

»Ja, Prep?«

Ich folgte ihm auf die Veranda und senkte meine Stimme zu einem Flüstern. »Ich glaube, Gras wäre eine bessere Idee gewesen als Koks.«

Bear drehte sich um. Seine Pupillen hatten die Größe von Pfannkuchen. Er deutete auf meine Augen. »Ja, Mann«, stimmte er mir zu, und wir brachen beide in Gelächter aus. »Ich glaube, da könntest du recht haben.«

»Meiner Meinung nach gibt es für unser verdammtes Problem nur eine verdammte Lösung«, verkündete ich. Ich blickte zwischen Grace und Bear und ihren beschissen deprimierten Mienen hin und her. Sie starrten beide auf den Tisch, als könnte der auf magische Art die Antwort hervorbringen, nach der wir alle suchten. Grace’ Augenbrauen zeigten nach unten und erzeugten noch mehr Falten in ihrem ohnehin schon runzeligen Gesicht. Immer wieder ließ sie ihren Löffel auf dem Rand des Glases kreisen. Es machte mich fertig, dass ich das nicht für sie in Ordnung bringen konnte. Für uns.

»Samuel«, sagte Grace. Sie bedeckte meine Hand mit ihrer und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das alles andere als aufmunternd wirkte.

»Du musst das jetzt nicht in Ordnung bringen. Du musst nicht dafür sorgen, dass es besser wird. Wir werden uns etwas einfallen lassen.« Es klang, als müsste sie sich selbst genauso überzeugen, wie sie mich zu überzeugen versuchte.

Wir sprachen über Max. Kings kleines Mädchen, das in dem Moment in das System der staatlichen Fürsorge geraten war, in dem sie ihm die Handschellen angelegt hatten. Wir drei hatten alles versucht, um das Mädchen da rauszuholen und zu einem von uns nach Hause zu verfrachten, aber der Staat kann verdammt willkürlich sein. Offensichtlich wollten sie weder einen Biker noch einen verwahrlosten Typen oder eine kränkliche ältere Dame die Verantwortung für ein Kind übernehmen lassen.

Verdammte Scheiße! Bears Knöchel traten weiß hervor. Er warf einen Serviettenring aus Plastik von einer Hand in die andere und zerbrach ihn schließlich mit einem tiefen Knurren. Er knallte das Ding auf den Tisch und warf Grace einen entschuldigenden Blick zu, dann stützte er den Kopf in beide Hände.

Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und brachte den Krug mit Grace’ berühmtem Mojito zum Klirren, womit es mir endlich gelang, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. »Also gut, dann ist es also beschlossene Sache.« Ich streckte die Hand aus und drückte Bears Hand, so, wie Grace meine gedrückt hatte. Er zog sie weg, als hätte ich Läuse. »Wir beide müssen heiraten.«

»Halt die Klappe, Prep«, knurrte Bear und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. Er versuchte, mir seitlich gegen den Kopf zu schlagen, aber ich war zu schnell und duckte mich, bevor er mich treffen konnte.

»Jungs«, warnte Grace uns, obwohl meine Worte die gewünschte Wirkung zu haben schienen, denn ihre Mundwinkel bewegten sich nach oben, und ihre Stirn glättete sich. Ein winziges Licht ließ ihre Augen leuchten, als sie wie von selbst wieder in die Rolle verfiel, die sie in unserem verrückten Leben spielte. Ihre Rolle als unsere Mutter.

»Bear, du könntest wenigstens so tun, als würde dieser ganze Bullshit dich etwas angehen«, sagte ich und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Grace’ Schultern sich entspannten und sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte. »Ich meine, sieh dich doch mal an, du Arschloch. Um Himmels willen, sie werden uns Kings Baby niemals geben, wenn mein Ehemann nicht mal bereit ist, ein verdammtes Hemd anzuziehen!« Ich deutete auf Bear, der, seitdem er als Prospect, als Neuling, bei den Beach Bastards angefangen hatte, kein Hemd mehr unter seiner Kutte getragen hatte. Ehrlich, man hätte glauben können, dass der Kerl allergisch war oder so.

»Wovon redest du? Ich bin vollständig bedeckt«, sagte Bear, blickte an sich herab und richtete die Kutte so aus, dass sein linker Nippel bedeckt war, der rechte aber entblößt.

Ich verdrehte die Augen. »Tattoos zählen nicht«, sagte ich. Dann hörte ich Grace leise lachen, und innerlich lachte ich auch.

»Jawohl«, erwiderte Bear und klatschte mit beiden Händen auf die Tinte auf seinem Bauch, als ob das irgendwas beweisen würde.

»Samuel«, sagte Grace. Sie klang ein bisschen müde. »Sosehr ich deinen Enthusiasmus auch begrüße, wir leben hier im Süden, mein Lieber, und da ist der Gedanke an Homo-Ehen noch nicht recht angekommen.«

Ich stand auf und lief die drei Schritte zwischen Terrasse und Hof hin und her. Natürlich wusste ich, dass gleichgeschlechtliche Ehen nicht legal waren, und ich wusste auch, dass der Gedanke absolut lächerlich war, aber ich würde alles tun, um eine Lösung zu finden. Abgesehen davon, dass jemand die dicke dunkle Wolke, die über unserer kleinen Familie schwebte, fortblasen musste.

»Samuel, uns wird schon etwas einfallen. Es dauert eben seine Zeit«, versuchte Grace, mich zu beruhigen. Ich blickte auf sie hinab und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Dann beugte ich mich über sie, umarmte sie, und sie schlang mir ihre dünnen Arme um die Taille. Sie roch nach Pfefferminze und dieser Mischung, die immer auf dem Tisch im Wohnzimmer stand und die ich ein- oder zweimal mit Studentenfutter verwechselt hatte.

Oder sechsmal.

»Okay, Grace, verstanden«, sagte Bear und sprach aus, was ich dachte. Allerdings schien er nicht so überzeugt zu sein wie ich.

Ich setzte mich neben Grace. »Wir müssen nur ein bisschen … kreativer werden.«

Sie tätschelte mir die Wange. »Du bist ein guter Junge, Samuel«, sagte sie, und wenn ich ein Hund gewesen wäre, hätte ich so schnell mit dem Schwanz gewedelt, dass er vermutlich abgefallen wäre. »Oh, und bevor ich es vergesse: Vergiss nicht, bei Mirna vorbeizuschauen. Ich hatte dich ja bereits darum gebeten. In letzter Zeit ist sie ein bisschen neben der Spur, mehr als sonst, und ich will sicher sein, dass jemand nach ihr sieht, solange ich weg bin.«

»Geht in Ordnung«, sagte ich, gab ihr einen letzten Kuss auf die Stirn, stand auf und glättete die Falten meiner Hose. Mirnas Haus war eines unserer ersten Granny-Treibhäuser gewesen. Außerdem machte sie diese fantastischen Schokoladencookies, die so gut waren, dass ich ernsthaft darüber nachgedacht hatte, sie mir auf die Eier zu reiben. »Ich sehe heute bei ihr vorbei, versprochen«, versicherte ich ihr.

»Wann kommst du zurück?«, fragte Bear.

»In ein paar Wochen oder so. Länger wird es nicht dauern«, antwortete Grace mit etwas zu viel Enthusiasmus in der Stimme. Bear und ich wechselten einen wissenden Blick über Grace’ Kopf hinweg. Sie verließ die Stadt für einige Wochen, um sich in eine Einrichtung zu begeben, von der sie geredet hatte, als handelte es sich um einen Ferienclub oder eine Schönheitsfarm. Bear und ich hatten jedoch unsere Zweifel, also riefen wir dort an, nachdem sie zum ersten Mal davon gesprochen hatte. Und natürlich war es eine Einrichtung für Patienten mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Grace benutzte dieses Wort nur selten, wenn wir in der Nähe waren, und sie schwor, dass sie ewig leben würde.

»Brauchst du jemanden, der dich da hinbringt?«, fragte ich.

Grace winkte ab. »Jungs, hört auf, euch Sorgen um mich zu machen. Sie holen mich morgen früh ab. Und jetzt geht! Verschwindet von hier! In ein paar Wochen sehen wir uns wieder.«

Ich war zwar jemand, der immer eine Pistole mit sich herumtrug. Aber nicht mal ich war dumm genug, mich mit Grace zu streiten, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und wenn sie sagte, dass sie ewig leben würde, dann war es das Beste, ihr einfach zu glauben und es dabei zu belassen.

Bear ging um den Tisch herum und verabschiedete sich, und ich folgte ihm über den Hof zur Vorderseite des Hauses. »Hast du noch die Nummer von diesem Laden?«

»Ja, ich habe angerufen und ein Privatzimmer für sie klargemacht«, sagte ich.

»Gut, einer von den Brüdern hat eine Stiefschwester, die dort arbeitet. Sie wird sie im Auge behalten«, sagte Bear.

Bear und ich waren nur selten einer Meinung, aber dass wir uns um Grace kümmern würden, und wenn es hinter ihrem Rücken war, darüber waren wir uns einig, ohne Streit und ohne Stinkefinger.

»Setz mich beim Club ab«, sagte Bear. »Ich krieg meine Karre erst morgen von Dunn’s wieder, kurz bevor wir losfahren.«

Ich nickte. Solange Grace weg war, würde Bear mit den Bastards unterwegs sein, weil die wegen irgendeiner Geschichte irgendwohin mussten. Ich kannte die Einzelheiten nicht genau, weil ich nie richtig zuhörte, wenn er etwas erzählte, und außerdem störte mich noch etwas an dem Gespräch, das wir gerade geführt hatten. »Sag mal, würdest du mich wirklich nicht heiraten, um Kings Kind zu helfen? Das ist doch Bullshit.« Ich wusste, es war bescheuert, sich darüber aufzuregen, dass mein sehr heterosexueller Freund seinen ebenfalls sehr heterosexuellen Freund nicht heiraten wollte, um das Kind eines weiteren ausgesprochen heterosexuellen Freundes zu retten, aber ich hätte alles getan, um diese beschissene Sache wieder geradezubiegen. Es ging nicht um die verdammte gleichgeschlechtliche Ehe, sondern mich nervte der Gedanke, dass Bear weniger dahinterstand als ich.

Die einen so, die anderen so.

Mit einer Hand am Gartentor vor Grace’ Haus blieb Bear stehen und drehte sich zu mir um. »Willst du die Wahrheit hören? Es gibt nichts, was ich nicht tun würde, um Kings Kind zurückzuholen. Und jetzt hör auf, dich wie ein Arschloch zu benehmen, Preppy, du weißt das ganz genau. Ob du’s glaubst oder nicht, hier geht es nicht nur um dich.«

Ich fühlte mich gleich besser, als ich wusste, dass wir auf einer Wellenlänge waren. »Das ist wahr, aber genauso wahr ist es, dass das alles ganz schön beschissen ist.«

»Allerdings, mein Freund«, stimmte Bear mir zu und stieß das Tor auf.

»Hey, Bear, willst du wissen, wie sie die gleichgeschlechtliche Ehe in den Staaten nennen, in denen sie legal ist?«, fragte ich, als wir den Wagen erreicht hatten.

»Nein, aber irgendwas sagt mir, dass du es mir trotzdem erzählen wirst«, erwiderte er lachend und bemühte sich, seinen üblichen genervten Gesichtsausdruck beizubehalten.

»Ehe, du dämlicher Idiot«, sagte ich, schlug ihm auf den Hinterkopf und lief zu meinem Auto.

Er zeigte mir einen tätowierten Mittelfinger.

»I came in like a wrecking baaaalll«, schmetterte ich einer Gruppe Teenager, die den Fahrdamm überquerten, durch das offene Fenster zu. Die Mädels rümpften verwirrt die Nase, als wären sie noch nie zuvor aus einem Auto heraus angesungen worden.

»Verdammte Teenies«, murmelte ich, legte meinen Ellbogen in den Türrahmen und winkte mit der Hand im Rhythmus der Musik gegen den Wind. Ich setzte meine Gesangsdarbietung in einer Lautstärke fort, die den meisten Leuten nicht besonders gefallen haben dürfte, und ganz besonders dem Spielverderber neben mir nicht, der ein Gesicht machte, als würde er von meinem Gesang einen Knoten im Schwanz bekommen.

»Wir fühlen uns alle mies wegen King und Max, Bear, aber musst du wirklich ein Gesicht aufsetzen, als hättest du Verstopfung?«, fragte ich und schlug ihm auf die Schulter.

Bear schwieg einen Augenblick. Er atmete geräuschvoll aus und kratzte sich im Nacken. »Es ist nicht nur wegen King. Auch wegen meinem alten Herrn. In letzter Zeit hackt er ständig auf mir herum, sogar noch öfter als sonst.«

Ich parkte vor dem Tor, außerhalb des Geländes. Bear schaute auf das verdunkelte Clubhaus. Er starrte es an, als könnte er mehr sehen als nur Fenster und Mauern.

»Scheiß auf deinen alten Herrn«, sagte ich. »Das Arschloch kommt mir besser nicht zu nahe, sonst zeige ich ihm das Preppy-Special.«

»Und was genau ist das Preppy-Special?«, fragte Bear und zog eine buschige Braue hoch.

Mit Daumen und Zeigefinger deutete ich den Umriss einer Pistole an und richtete sie auf das Clubhaus. »Eine Kugel mit einer Fliege als Beilage.« Ich feuerte meine Fingerpistole ab, begleitet von einer gekonnten Lautimitation eines Pistolenschusses.

Bear lachte, und dieses Lachen war nicht dieser gekünstelte Dreck, den er mir seit Wochen ständig verkaufen wollte, sondern ein richtiges, lebendiges, echtes Lachen. Es war eine Erleichterung, es zu hören, besonders wenn man die Wolke von Unheil berücksichtigte, unter der er in den letzten Wochen herumgelaufen war. Das Arschloch konnte manchmal so ernst sein, dass mir der Schwanz wehtat.

Bear stieg aus, salutierte zum Abschied und verschwand hinter dem Tor.

Ich machte mich auf den Weg zu Mirna, entschlossener denn je, Max an Kings Stelle zurückzuholen und die Menschen zu beschützen, die ich meine Familie nannte.

Es gab nichts, was ich nicht tun würde.

Niemanden, den ich nicht töten würde.

Wenn es nur so einfach gewesen wäre.

2

Dre

Ich habe Sperma im Haar.

Verkrustetes Blut unter den Fingernägeln.

Abschürfungen zwischen den Beinen.

Ich war so angekotzt von mir selbst, dass man ein neues Wort für angekotzt brauchen würde. Und ich brauchte ein neues Scheißleben. Ich berührte meinen BH unter dem Shirt, tastete zum hundertsten Mal nach meinem Busticket und atmete erleichtert auf, als ich das Papier auf meiner Haut knistern hörte. Meine Erinnerung daran, dass der Neustart nur eine Busreise entfernt war.

Ich strich mein Shirt glatt und sah mir die Umgebung an. Das kleine Haus war mir einmal sehr vertraut gewesen. Es kam mir vor, als wäre das in einem anderen Leben gewesen, aber in Wirklichkeit lag es erst ein paar Jahre zurück. Ich hatte mich dort zu Hause gefühlt.

Oh, wie die Dinge sich verändert haben.

Nervös schlug ich die Beine übereinander und öffnete sie wieder, während Mirna in der Küche hantierte. Ich empfand alles Mögliche, aber ich fühlte mich nicht zu Hause. Das hatte nichts mit Mirna (ich hatte sie immer schon beim Vornamen genannt), aber sehr viel mit mir zu tun.

Ich zog den Saum meiner Shorts herunter, als könnte ich sie damit irgendwie verlängern. Auf einmal war ich mir des Loches in der Tasche allzu bewusst, das die Haut meines Oberschenkels entblößte. Nachdem ich ohne nennenswerten Erfolg an dem abgetragenen Jeansstoff herumgezupft hatte, beschäftigte ich mich mit den Ärmeln. Ich zog mir den Stoff über die Handflächen und klemmte ihn mit den Fingern fest. Die Sonne schien durch das große Wohnzimmerfenster herein. Das letzte Licht des Tages ließ den dünnen Stoff meines Shirts total durchsichtig werden, und ich hoffte inständig, dass Mirna meine Arme nicht sehen würde.

Mir drehte sich der Magen um. Das H, das ich in der letzten Woche gehabt hatte, hatte nicht annähernd gereicht, um mich high zu machen. Es war gerade genug, um mich vor den schlimmsten Entzugserscheinungen zu bewahren. In meinem Kopf hämmerte es, und mein Körper schmerzte, als hätte ich die Grippe. Ein gigantischer Kater, der niemals ganz wegging.

Möglicherweise wurde mir aber auch nur deshalb schlecht, weil ich in dem Moment, in dem ich das Haus meiner Großmutter betreten hatte, offiziell zum verkommensten menschlichen Wesen auf diesem Planeten geworden war.

Inoffiziell hielt ich diesen Titel schon seit einiger Zeit.

Ich krümmte mich nach vorn, um die Übelkeit zu unterdrücken, aber das Einzige, das mir hätte helfen können, wäre eine Spritze oder ein weniger erschöpfter und missbrauchter Körper gewesen.

Ich fragte mich, wofür Mirna so lange brauchte, denn ich wusste nicht, wie lange ich hier noch sitzen konnte, ohne in den Blumentopf neben der Haustür zu kotzen. Eine neue Welle von Übelkeit überkam mich, und ohne nachzudenken, biss ich mir in die Unterlippe, um den Inhalt meines Magens unten zu halten. Ich leckte mir das Blut von der Lippe, und der Geschmack von Kupfer gesellte sich zu dem ohnehin schon widerlichen Geschmack von Kotze auf meiner Zunge.

Mit einem breiten Lächeln kam Mirna zurück ins Wohnzimmer. Sie stellte das Silbertablett auf den Kaffeetisch, das sie immer benutzte, wenn sie Besuch bekam.

Meine Großmutter schien mein Unwohlsein nicht zu bemerken und goss Tee in zwei unterschiedliche Tassen. Eine war hellblau und hatte eine Macke am Rand, und ich erkannte sie sofort wieder. Die Macke kam daher, dass ich als Kind mit meinem Dreirad gegen ihren Kaffeetisch gefahren war. Ihr komplettes Teeservice, ein Hochzeitsgeschenk meines verstorbenen Großvaters, war auf den Boden gefallen. Mirna hatte mich auf den Schoß genommen und sich mit mir auf den Küchenboden gesetzt, mir über das Haar gestreichelt und mich stundenlang getröstet, obwohl ich ihr komplettes Teeservice rettungslos zerstört hatte. Alles war kaputtgegangen, bis auf eine Tasse.

Jene Tasse, die mir Mirna jetzt über den Kaffeetisch reichte.

Meine Hände zitterten, und die Tasse landete klappernd auf der Untertasse. Ich lächelte so freundlich, wie ich konnte, und stellte die Tasse vorsichtig auf den Tisch, ohne auch nur einen Schluck zu trinken. Meine Großmutter erwiderte mein Lächeln. Sie beobachtete mich neugierig über den Rand ihrer Teetasse hinweg, und genau wie wenige Minuten zuvor, als ich an ihre Tür geklopft hatte, wartete ich ab.

Nichts.

Schon bei meinem letzten Besuch hatte Mirna Schwierigkeiten gehabt, sich zu erinnern. Wo sie die Schlüssel hingelegt hatte. Oder um wie viel Uhr ihre Freundin Hilda sie zum Bingo abholen wollte.

Offenbar hatte sich nicht nur für mich, sondern auch für Mirna alles verändert. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass die Frau, bei der ich seit meinem vierten Lebensjahr jeden Sommer meiner Kindheit verbracht hatte, mich, ihr einziges Enkelkind, nicht erkennen würde.

Seit wann war es so schlimm?

»Weißt du, wer ich bin?«, fragte ich leise. Ein letzter Versuch, irgendeine Art des Erkennens heraufzubeschwören. Ich starrte sie an, ohne zu blinzeln, und versuchte, das Erkennen in ihre Augen zu zwingen. Augen, die aussahen wie meine. Augen, die früher äußerst lebhaft gewesen waren und jetzt so stumpf wirkten, als wären sie eingefroren.

Aber vielleicht war ja auch alles in Ordnung. Vielleicht war sie voll orientiert und erkannte mich nur einfach nicht. Immerhin, als sie mich das letzte Mal gesehen hatte, hatte ich glänzendes schwarzes Haar und gebräunte Haut gehabt, und jetzt war ich nicht mehr als ein Schatten meines früheren Selbst. Ausgemergelt, mit knochigen Schlüsselbeinen und spitzen Ellenbogen. Tiefe, braun-gelbe Ringe unter den Augen. Blasse, gräuliche Haut.

Ich musste nicht in den Spiegel sehen, um zu wissen, dass ich mich selbst nicht erkennen würde.

»Ich bin’s. Andrea«, sagte ich. Immer noch nichts. »Dre?« Ich wechselte zu meinem Spitznamen. Vielleicht würde der ja etwas auslösen.

»Oh!«, rief Mirna aus und hob den Zeigefinger. Ich saß auf dem Rand des Sitzpolsters, beugte mich über den Tisch und wartete auf die Bestätigung, dass ich zu ihr durchgedrungen war. »Sie sind von der Kirche, stimmt’s? Sie schicken immer Leute, die mir Gesellschaft leisten sollen, solange Rick in Übersee ist, aber mir geht es gut. Meine Schwesternausbildung hält mich beschäftigt, und in meiner Freizeit lerne ich, besser zu kochen, obwohl ich noch daran arbeiten muss, Mamas Hackbraten zu perfektionieren, sonst kommt sie nie zum Sonntagsessen vorbei.«

Das Herz rutschte mir in die Hose, als Mirna sich auf meinen Großvater bezog, als wäre er noch am Leben und kämpfte im Krieg in Übersee.

Schuldgefühle, krankhafte, verdrehte Schuldgefühle überkamen mich und krallten sich in meinem verdorbenen Inneren fest. Im Großen und Ganzen war es wahrscheinlich besser, wenn sie nicht wusste, wer ich war.

Oder warum ich da war.

Ein Krachen aus dem hinteren Teil des Hauses erinnerte mich an den Grund meiner Anwesenheit. Ich zuckte zusammen, während Mirna der Tumult völlig kaltzulassen schien. Wie die sittsame Südstaatendebütantin, die sie einmal gewesen war, schlürfte sie ihren Tee mit vornehm abgespreiztem kleinem Finger.

Gerade als ich mir einreden wollte, dass sie den Lärm nicht gehört hatte, legte sie den Kopf schief und deutete mit dem Kinn auf den Korridor. »Wie lange, glaubst du, werden sie noch da sein, Liebes?«, fragte sie, als hätte ich mich gerade genau dasselbe gefragt.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Oh … äh … ich weiß nicht … ähm … Wer denn?« Erneut zog ich mir die Ärmel über die Hände.

Sie lächelte, beugte sich vor und bedeutete mir mit gekrümmtem Zeigefinger, dass ich dasselbe tun sollte, und ich gehorchte. »Da sind zwei Männer im Hinterzimmer«, flüsterte sie. »Sie haben mein Fenster kaputt gemacht, und sie bestehlen mich.« Sie schlug sich auf die Knie und brach in Gelächter aus, als hätte sie mir gerade einen Witz erzählt. »Ist das zu glauben? Ist das nicht furchtbar aufregend?«

»Ich … ich gehe zu ihnen und sage ihnen, dass sie weggehen sollen«, erwiderte ich. Ich sprach so gleichmütig wie möglich und ignorierte das Schwindelgefühl, das mich überfiel, als ich abrupt von der Couch aufstand. Dann betrat ich scheinbar gelassen den Korridor.

»Vielen Dank, Liebes!«, rief Mirna aus. »Aber das brauchst du nicht, da ist schon jemand unterwegs. Er wird bald hier sein.«

»Wer denn?«, fragte ich und drehte mich um.

»Samuel«, antwortete sie, als wäre das ein Name, den ich kennen müsste. Sie nahm ihre Tasse hoch, schlug die Beine übereinander, lehnte sich im Sofa zurück und fing an, aus dem Fenster in den Hof zu starren.

Mit abgespreiztem kleinem Finger.

Ich drehte mich um, rannte den Flur entlang und stieß die Tür zum Hinterzimmer auf. Der Anblick warf mich beinahe um. Was früher einmal ein Gästezimmer und Mirnas Zeichenraum gewesen war, war jetzt mit mehreren Reihen grüner Pflanzen vollgestellt. Und nicht mit irgendwelchen Pflanzen.

Gras.

Mirna pflanzte in ihrem Gästezimmer Gras an.

Grüne Blätter breiteten sich in jede Richtung aus, über ein kompliziertes Netz aus durchsichtigen Röhren und Glastöpfen, die von der Decke und an den Wänden hingen und mehrere Gänge gestapelter Pflanzen bildeten. Und die beiden Männer, von denen mich das Busticket in meinem BH so weit wie möglich wegbringen sollte, stolperten durch den Raum, stopften so viele Pflanzen wie möglich in Müllsäcke und ließen dabei die Glastöpfe und Röhren krachend auf den Boden fallen.

»Was zum Teufel soll das hier werden?«, fragte ich. Als ich begriff, blieb mir der Mund offen stehen. »Und warum ist das Zeug überhaupt hier?«

Eric und Conner sahen beide aus, als hätten sie in der Graslotterie gewonnen. Gelbe Zähne grinsten mich aus ihren hageren Gesichtern an. Erics zerrissenes T-Shirt hing wie ein Kartoffelsack um seinen mageren Körper. Seine Wangen waren eingefallen. Seine Sneakers passten nicht zueinander. Farblich nicht, weil der eine schwarz und der andere weiß war, und auch ihr Zustand war nicht gleich. Ein Schuh hatte ein Loch, aus dem Erics Zehen hervorlugten, beim anderen löste sich an der Seite die Sohle ab. Conner sah auch nicht besser aus, obwohl seine Schuhe immerhin die gleiche Farbe hatten.

»Sagt mir, was zum Teufel hier vorgeht!«, verlangte ich und wünschte, Nüchternheit würde sich nicht so verdammt schrecklich anfühlen.

»Du bist eine dämliche Schlampe, weißt du das?«, schnauzte Eric mich an. »Das hier …« Er hielt eine der Pflanzen hoch und schwenkte sie in der Luft herum. »… ist genau der Grund, warum wir hier sind. Hast du wirklich geglaubt, wir wären den ganzen Weg in diese Scheißstadt gefahren, um deiner Großmutter ihren billigen Schmuck zu klauen?« Er schüttelte ungläubig den Kopf und fuhr fort, seinen Müllsack zu füllen. »Dämliche, blöde Schlampe«, murmelte er.

Conner mischte sich ein. »Als wir davon hörten, hielten wir das Ganze für ein Gerücht. Aber wir haben genau ins Schwarze getroffen. Weißt du, wie viel der Scheiß hier auf der Straße wert ist?« Er durchquerte den Raum und drückte mir einen Müllsack in die Hand. Auch nur in seiner Nähe zu sein widerte mich mehr an als jeder Entzug. »Hilf uns, das einzupacken! Das Zeug, das du dir so gerne spritzt, gibt es nicht umsonst, das weißt du.«

Ja, ich weiß es, denn ich habe dafür bezahlt.

Schluss damit!

»Ihr habt gewusst, dass dieses Zeug hier ist?«, fragte ich, ließ den Sack fallen und trat einen Schritt zurück.

»Fuck, ja, das haben wir«, sagte Eric. Er hielt die Hand hoch, um Conner abzuklatschen. Conner zeigte ihm stattdessen den Finger und fuhr fort, den Raum zu verwüsten. Er warf Sachen um und riss die Röhren von der Wand. Das Wasser aus den Röhren bewässerte den Raum wie ein Sprinkler und durchnässte alles, inklusive Conner und Eric, die das jedoch gar nicht zu bemerken schienen. Aber vielleicht war es ihnen auch einfach nur egal. »Wir haben gesehen, wie deine Oma die Tür aufgemacht hat. Die Schlampe hat keine Ahnung, wer du bist, oder?«, fragte Eric. »Vielleicht sollte ich mal nachsehen, ob sie genauso leicht fickbar ist wie ihre Enkelin«, sagte er und fasste sich in den Schritt seiner Jogginghose.

Conner, der sonst immer der Erste gewesen war, der mich verteidigte, lachte jetzt über meine Demütigung. Über den kranken Witz, den Eric über etwas nicht ansatzweise Witziges gemacht hatte.

»Wer hätte gedacht, dass eine alte Dame so etwas auf die Beine stellen kann?«, sagte Conner und warf irgendeine Maschine um, die am Fenster stand. Sie zerschellte und zeigte ihre Innereien aus roten und blauen Drähten.

Und da begriff ich.

Conner hatte tatsächlich recht. Mirna konnte all dies nicht allein bewerkstelligt haben. Nicht einmal, als sie noch im Vollbesitz ihrer Kräfte war. Mirna war ein Mensch, der sich weigerte, Aspirin zu nehmen, wenn sie Kopfschmerzen hatte. Also verstand sie nichts von Drogen jedweder Art. Auch ihre botanischen Fähigkeiten reichten nicht über den kleinen Blumentopf vor dem Wohnzimmerfenster hinaus.

»Seht euch doch mal um, ihr verdammten Idioten!« Die Worte schienen in Zeitlupe aus meinem Mund zu kommen, aber angesichts der Tatsache, dass mein Kopf hämmerte, als hätte jemand auf ihn eingeschlagen, war es ein Wunder, dass ich überhaupt reden konnte. »Das hier ist Hightech-Kram. Wen auch immer ihr gerade beraubt, es ist nicht meine Großmutter, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr genug Filme gesehen habt, um zu wissen, dass es niemals gut endet, wenn man jemandem Drogen stiehlt, der damit handelt. Also werden sie euch das hier wohl kaum durchgehen lassen. Sie werden hinter euch her sein.«

Conner lachte und deutete abwechselnd auf jeden von uns. »Ja, wenn er herausfindet, was WIR getan haben. Alle drei. So gern du auch glauben willst, dass du was Besseres bist als wir: Bist du nicht. Du steckst genauso mit drin wie wir.«

»Was? Ihr wisst, wem das Zeug gehört?«

Conner verdrehte die Augen. Augen, in denen früher Freundlichkeit und Sympathie zu sehen waren, die jetzt aber nichts außer Hass und Verachtung widerspiegelten. »Hör auf, dumme Fragen zu stellen, und hilf uns, das Zeug rauszutragen!« Sein Grinsen verwandelte sich in ein krankes, vielsagendes Lächeln. »Oder lass es sein. Aber dann kann ich nicht versprechen, dass wir heute Nacht so nett zu dir sind wie letzte Nacht.«

Ich habe Waffen noch nie gemocht. Selbst das Jagdgewehr meines Vaters, das in seinem Büro hing, verursachte mir Unwohlsein.

Aber dann sagte Conner etwas, das mich daran erinnerte, dass ich, selbst wenn ich eine Pistole besäße, niemals den Abzug drücken könnte. »Oder vielleicht rufe ich einfach Mellie an, und sie kann ein bisschen auf meinem Schwanz reiten«, sagte Conner. Er trat zu mir und blickte hasserfüllt auf mich herab. »Ach, stimmt ja. Geht nicht. Weil sie ja tot ist.«

Die vertrauten Schuldgefühle brodelten in meinen Eingeweiden und explodierten in meinem Herzen. Die schweren, niemals endenden Schuldgefühle, die für einen einzelnen Menschen viel zu viel waren. Aus ihnen bestanden die Gitter der unsichtbaren Zelle, die Conner mit Worten um mich herum errichtet hatte und in die er mich wieder zurückgestoßen und eingesperrt hatte.

»Ich möchte nicht unterbrechen«, flötete Mirna und stellte sich neben mich in die Tür, die Hand auf meiner Schulter. Conner trat einen Schritt zurück und stopfte weiterhin seinen Müllsack voll. »Aber möchte jemand von Ihnen vielleicht Kekse?«, fragte sie und hielt einen Teller mit ihren berühmten Schokokeksen mit extra viel Schokolade hoch. Eric und Conner ignorierten sie und fuhren fort, den Raum seiner Pflanzen zu berauben und alles andere zu zerstören.

»Es tut mir so leid«, sagte ich und drehte mich zu Mirna um. Ohne mich darum zu kümmern, ob sie mich erkannte oder nicht, schlang ich meine Arme um sie und suchte selbstsüchtig Trost bei meiner Großmutter. Genau wie damals, als ich ihr Teeservice zerbrochen hatte.

Sie tätschelte mir sanft den Rücken. »Ist schon gut, Liebes«, sagte sie, zog sich zurück und hielt den Teller wieder hoch. »Reg dich nicht auf! Was immer dich auch stören mag, es kommt wieder in Ordnung. Das Morgen kommt immer, und immer ist es ein neuer Tag.« Sie biss in einen Keks und redete mit vollem Mund weiter. »Das sagt mein Rick immer, wenn ich einen schlechten Tag habe. Hier, nimm dir einen Keks. Ich habe sie gerade erst gebacken. Es sind Samuels Lieblingskekse.«

Da war der Name wieder.

»Wer ist Samuel?«, fragte ich. Ich erwartete, von jemandem aus ihrer Vergangenheit zu hören, von einem Menschen, der schon lange tot war, aber dann sah ich aus dem Augenwinkel, dass Eric und Conner plötzlich erstarrten. Ich nahm an, dass sie wussten, wer Samuel war, und hätte ich Geld gehabt, hätte ich hohe Beträge darauf gewettet, dass das hier sein Zeug war.

»Wo ist er jetzt?«, fragte Eric. Das selbstgefällige Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.

Mirna biss noch einmal in ihren Keks und kaute langsam. Eine Autotür wurde zugeschlagen. Sie wartete, bis sie hinuntergeschluckt hatte, dann sagte sie: »Er ist hier.«

Conner und Eric stürmten schneller aus der Hintertür, als ich sie je hatte rennen sehen. Mein erster Impuls war nicht, ebenfalls zu fliehen. Ich wollte Mirna in diesem Zustand nicht allein lassen, und außerdem hatte ich ja nichts mit dem eigentlichen Diebstahl zu tun. Andererseits würde dieser Samuel das möglicherweise ein bisschen anders sehen. Ich zögerte gerade lange genug, um sie noch einmal zu umarmen. »Noch mal: Es tut mir schrecklich leid«, sagte ich und küsste sie auf die Stirn, bevor ich zur Hintertür hinausrannte.

»Komm schon!«, rief Conner und winkte mir vom Feld hinter dem Haus zu, das zu den Eisenbahnschienen führte.

Vielleicht war dies meine einzige Chance, und wenn ich morgen in dem Bus sitzen wollte, blieb mir keine Wahl. Ich musste diese Chance nutzen.

Mit einem letzten Blick auf Conner schüttelte ich die Stimme der Schuld ab, jene Stimme, die mir sagte, dass ich ihm für das, was ich getan hatte, etwas schuldig war. Ich rannte genau in die entgegengesetzte Richtung, über den Hof und in den Wald hinein. Als ich über den verwilderten Pfad immer tiefer in das Dickicht lief, hörte ich ihn immer wieder meinen Namen rufen.

Plötzlich explodierte die Rinde eines Baumes in meiner Nähe. Spitze Rindenstücke bohrten sich in meine Schenkel, warmes Blut lief an meinen Waden hinunter. Mein Herz raste. Mein Körper, der einfach nur aufgeben wollte, kämpfte gegen meinen Verstand an, der mich adrenalingetrieben in Bewegung hielt, immer einen Fuß vor den anderen setzen ließ.

Etwas pfiff an meinem Ohr vorbei. Ein zweiter Baum explodierte. Diesmal direkt vor mir. Ich hielt an, drehte mich um und erhaschte einen Blick auf einen Mann, der in Mirnas Hinterhof stand. Sofort blickte ich wieder in die andere Richtung. Ich hatte nicht viel von dem Mann gesehen, aber ich wusste sofort, dass sich das, was ich gesehen hatte, für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hatte und mich bis in alle Ewigkeit verfolgen würde.

Ein boshaftes Lächeln, eine Fliege … und eine Pistole.

3

Dre

Was zum Teufel habe ich nur getan?

Immer wieder ging mir dieser Gedanke durch den Kopf, während ich von meinem Hochsitz – oben auf dem Wasserturm – zusah, wie die Welt sich weiterdrehte. Hinter den Wipfeln der Pinien, gleich unterhalb der Blätter, lag die Kleinstadt Logan’s Beach, ein Ort, den ich einmal geliebt hatte.

Ich schlich um den Wassertank herum, und zu meiner großen Überraschung gab es überall Lebenszeichen. Autos fuhren die zweispurige Straße hinauf und hinunter. Lichter flackerten auf und erloschen wieder. Der schwache Duft eines Barbecues wehte durch die Luft. Irgendwo wurde Musik gespielt, und die Bässe ließen die kalte Metallplattform unter mir leicht vibrieren. Der Boden weit unten wirkte wie planiert, ungefähr so, wie ich mir die Erde vom All aus gesehen vorstellte.

Alles war so weit weg.

Irgendwo dort unten waren Menschen, die aßen und zu der Musik tanzten. Glückliche Menschen. Ich erinnerte mich an den letzten Tag, an dem ich glücklich gewesen war. Ein Film in Zeitlupe, aber in kräftigen Farben. Geschichten und Witze wurden erzählt, ich konnte mich an jedes einzelne Lächeln oder Lachen und an jede übertriebene Geste erinnern.

Was mich verfolgte, war, wie die Sache geendet hatte. Eine Szene, die nie lange von dem inneren Bildschirm verschwand, auf dem ich sie in meinen Albträumen wie in einer Endlosschleife betrachten musste.

Mit zitterndem Handrücken wischte ich mir die Tränen von der Wange und verschmierte dabei mein kräftiges schwarzes Augen-Make-up.

Plötzlich krampfte sich mein Magen zusammen. Aber keine noch so intensive Reinigung meiner Eingeweide hätte den faulenden Dreck verschwinden lassen können, der mich in einem Leben gefangen hielt, das ich hasste.

Langsam atmete ich ein und aus, ein Versuch, meine Gedanken zu ordnen und die Übelkeit zu unterdrücken, aber sosehr ich mich auch anstrengte und zusammenriss – die Welt um mich herum wollte einfach nicht aufhören, sich zu drehen. Hinter meinen Augen wütete ein brutaler Schmerz, als wollte sich jemand durch meine Schädeldecke einen Weg nach draußen graben.

Trotz alledem wollte ich es immer noch. Dieses Hochgefühl, das nichts damit zu tun hatte, dass ich hoch oben auf dem Wasserturm war.

Heroin.

Ich weiß nicht mehr, wer es dabeihatte und wann wir beschlossen haben, es zu versuchen. Ich kann mich nur an die Welle der Euphorie erinnern, die mich bei diesem ersten Mal überkam.

Ich befand mich auf einem Irrweg, und irgendwann merkte das Heroin es, zog bei mir ein und fing an, den Laden zu schmeißen. Es war der Grund für all meine schrecklichen Entscheidungen. Es hatte in meinem Leben nicht nur die Führung übernommen, es war mein Leben. Je mehr das Heroin das Denken für mich übernahm, desto weniger musste ich es selbst tun. Heroin bot mir einen Zufluchtsort, den es nüchtern nicht gab.

Besinnungslosigkeit.

Eine Besinnungslosigkeit, die ich meinen Freunden, meiner Familie und dem College vorzog.

Ich rutschte an den Rand der Plattform und ließ die Füße über die Kante baumeln. Einer meiner Schuhe, billige Flipflops von der Tankstelle, rutschte mir vom Fuß. Ich beugte mich über das Geländer und sah zu, wie er zu Boden segelte. Mit immerhin genug Schwung, um eine kleine Staubwolke aufzuwirbeln, kam er auf dem Boden auf.

Ein verrücktes Lachen, das überhaupt nicht nach mir klang, drang aus meinem Mund und hallte in den Spitzen der Pinien wider, die die unbefestigte Straße neben dem Wasserturm säumten. Ich kickte den anderen Schuh hinterher und beobachtete erstaunt, wie er dem Weg seines Kollegen folgte und nur wenige Zentimeter entfernt von ihm ebenfalls in einer Staubwolke landete.

Ich fragte mich, wie sich das wohl anfühlte. Das Fliegen. Über allem zu schweben wie ein Vogel. Vielleicht würde es genauso enden wie meine Schuhe … peng!

Ich stand zu schnell auf und fiel nach hinten auf meinen knochigen Hintern. Meine Knie bebten. Ich versuchte es noch einmal, viel langsamer diesmal. Ich hielt mich am Geländer fest und richtete den Blick konzentriert nach unten auf meine Schuhe, als ich einen nackten Fuß auf die unterste Strebe des Geländers setzte. Das scharfkantige Metall schnitt mir in die Zehengelenke. Mein ganzer Körper begann heftiger zu zucken als je zuvor, fast so, als hätte ich einen Schlaganfall. Und es lag nicht daran, dass ich einen Schuss brauchte. Es lag daran, dass mein ganzes Wesen erkannt und begriffen hatte, was ich gleich tun würde.

Das war’s dann.

Ich ging in die Hocke, zog den anderen Fuß nach, und wieder schnitt mir das Geländer ins Fleisch. Ich legte meine Hände auf die obere Strebe und drückte langsam die Knie durch, bis ich aufrecht stand. Das Einzige, was mich vom Hinunterfallen abhielt, war das dünne Geländer, gegen das ich die Oberschenkel drückte und das sich unter meinem Gewicht bog. Vorsichtig ergriff ich den Saum meines T-Shirts und zog es mir über den Kopf. Ich hielt es in den Nachthimmel, öffnete die Faust und sah zu, wie die Brise es aufnahm und zu den Pinien hinübertrug, und ich war froh darüber. Ich drückte kurz meine Lippen auf das silberne Kreuz, das Mirna mir zur Erstkommunion geschenkt hatte, und ließ es wieder zwischen meine Brüste fallen. Vorsichtig, ein Bein nach dem anderen, zog ich meine Shorts und meine Unterwäsche aus, bis ich entblößt vor der Welt stand.

Rein.

Es war der Anfang vom Ende.

Die Todestaufe.

Weit streckte ich die Arme aus und umarmte die Nacht.

Ich war bereit zu fliegen.

Auf drei.

Eins.

Zwei.

Drei.

Ich WILL das nicht tun.

Aber es war zu spät. Schließlich konnte ich nicht zurückspringen und es mir noch einmal überlegen. Ich fiel bereits.

Oder auch nicht.

Starke Arme rissen mich von der Schwelle des Todes zurück, und eine Sekunde lang glaubte ich sogar, dass Gott selbst meine letzte Meinungsänderung gehört und mir das Leben gerettet hatte. Ein Leben, das ich in einem Moment der Schwäche und Verblendung törichterweise einfach hatte wegwerfen wollen.

Was zum Teufel stimmt nicht mit mir? Was mache ich hier nur?, dachte ich, als ich wieder zur Vernunft kam, weil mein Körper zur Seite geworfen wurde und Ellbogen, Schultern und Knie gegen das Metallgeländer, die Wand und schließlich gegen einen anderen Körper prallten. Wie bei einer fallenden Katze bog sich mein Rückgrat von der Plattform weg, und mit einem Knirschen, das mir das Wasser in die Augen trieb, landete ich auf dem Steißbein.

Ich wurde auf den Rücken geworfen. Kräftige Schenkel umklammerten mich, und wieder war ich dumm genug zu glauben, dass mich vielleicht jemand beschützen wollte. Der Gedanke verschwand augenblicklich, als mir meine Arme in einem so unangenehmen Winkel über den Kopf gezogen wurden, dass sie zu pochen begannen. Nach ein paar qualvollen Sekunden ließ der Schmerz in meinem Steißbein nach, ich öffnete die Augen und sah verschwommen die Welt um mich herum.

Rasch blinzelte ich mehrmals hintereinander. Als sich meine Sicht klärte, starrte ich in die bernsteinfarbenen Augen eines Mannes, der mit ziemlicher Sicherheit nicht Gott war.

Er war älter als ich, aber höchstens ein paar Jahre. Noch nie hatte ich jemanden wie ihn gesehen. Eine Seite seines Halses war mit farbenfrohen und komplizierten Tattoos bedeckt, die im Kragen eines gelben Hemds mit verdeckter Knopfleiste verschwanden. Als er meine Handgelenke auf den Boden presste, rutschten seine Ärmel hoch und entblößten Unterarme, auf denen ebenfalls kaum noch unbemalte Haut zu sehen war. Seine sandfarbenen Haare waren an den Seiten kurz geschnitten, oben länger und nach hinten gegelt. Sein Bart war gepflegt, kurz und einige Nuancen dunkler als das Haar auf seinem Kopf.

Einen Moment lang war ich erleichtert, dass es sich bei dem Mann – wer auch immer er sein mochte – weder um Conner noch um Eric handelte.

Doch nach kurzer Zeit verwandelte sich die Erleichterung in pure Panik.