Professor Zamorra 1206 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1206 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Am sich verdunkelnden Himmel zogen Kondore ihre Kreise.
Seit der Tross von Bord gegangen war, hatte Kelan die riesigen Vögel zweimal aus nächster Nähe beobachten können, als sie neben Tierkadavern gelandet waren und sich über das Aas hergemacht hatten. Am meisten beeindruckte ihn ihre Flügelspannweite. Sie erklärte, warum die Einheimischen sie ehrfürchtig Gigantes de los cielos nannten.
Riesen der Lüfte.
Dort, wo Kelan geboren war, gab es nichts Vergleichbares.
Wobei die Kondore, dessen war sich der Ordensmann sicher, noch das Harmloseste war, was hier lauerte.
Wie aufs Stichwort fiel ein Schatten über die karge Landschaft und stahl ihr ihre Farben.

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Seitenzahl: 133

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Ritter der Nacht

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: FXQuadro/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7517-0127-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ritter der Nacht

von Adrian Doyle

Anno Domini 1253, Bastion der Tausend

Die Spannung innerhalb der Festung war beinahe mit Händen zu greifen.

Eben erhob der Meister des Ordens sich von dem Tisch, um den herum er seine engsten Vertrauten versammelt hatte. Er spreizte die Arme ab, sodass seine Rechte die Linke des einen Nachbarn und seine Linke die Rechte des anderen berührte.

Nachdem das Rad gebildet war, entfuhr dem Turm aus zehn übereinanderliegenden metallisch schimmernden Scheiben in der Tischmitte ein silbern flimmernder Strahl, der wie suchend über die Karte der Welt kroch.

Als er schließlich zur Ruhe kam, zeigte sein Ende auf einen der blinden Flecke, die noch keines Menschen Fuß betreten hatten.

Zumindest war noch niemand von solcher Reise zurückgekehrt, um darüber zu berichten …

Manch einem am Tische wich das Blut aus den Wangen.

Stimmen wurden laut: »Das muss ein Irrtum sein!« Oder: »Gottvater – das kann wahrhaftig nicht sein!« Ein anderer brachte nicht mehr als ein Röcheln hervor, das so abrupt erstarb, als hätte ihm eine Klinge die Stimmbänder durchtrennt.

Zu denjenigen, die stoisch-beherrscht blieben, gehörte der Prior. Er war es auch, der zu bedenken gab: »Wann hätte das Orakel sich je geirrt?«

Ein jeder am Tisch kannte die Antwort: Nie! Niemals!

Wenn jemals ein Zauber verlässlich gewesen war, dann dieser. Unstrittig aber auch, dass die Spitze der Nadel aus Licht und Magie einen Ort markierte, über den es bis dahin keinerlei Aufzeichnungen gab, keinerlei Vorwissen.

Unbekanntes Land.

Terra incognita.

Irgendwo in den noch unentdeckten Weiten der Meere wucherte dem Orakel zufolge eines jener Geschwüre, die zu bekämpfen der Orden sich verschrieben hatte. Und auch wenn sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen ließ, wie genau der Widersacher in einem Fall wie diesem, für den es keine Präzedenz gab, beschaffen sein würde, war eines sicher: dass er existierte. Und dass er, wie jedes Beispiel zuvor, daran gehindert werden musste, sich auszubreiten, die Macht, über die er bereits verfügte, noch zu mehren.

Wehret den Anfängen, proklamierte schon die Heiligste aller Schriften, auf die die Ordensritter eingeschworen wurden. Denn erstickte man Brutzellen des Bösen nicht in ihren Anfängen, würden sie sich über kurz oder lang unkontrollierbar ausbreiten. Entfernungen spielten für die Magie des Bösen nur eine untergeordnete Rolle und so auch für diejenigen, die sich ihrer bedienten.

Um den Preis ihrer Seele, durchströmte es den Meister kalt, als hätte sein warmes Blut sich in Eiswasser verwandelt.

»Wir dürfen es nicht ignorieren«, proklamierte er deshalb nach üblicher Beratung und schob die Frage hinterher: »Wer ist bereit, das Wagnis auf sich zu nehmen?«

Die Zurückhaltung seiner Ritter machte ihn dennoch betroffen. Umso erleichterter war er, als doch noch einer den Waffenarm hob.

»Thibaut – du machst deinem Ruf und Namen Ehre! Doch du kannst nicht allein gehen, nicht in einem Fall wie diesem und zu einem Ort wie diesem, der …«

»… in der Weißen Finsternis liegt?« Thibaut gab sich unbeeindruckt – nach außen hin zumindest.

Weiße Finsternis, so nannte der Orden die noch blinden Flecken auf der Karte der Welt.

Thibaut klopfte sich dreimal in Herzhöhe gegen den Harnisch. »Das Finstere schreckte mich nie. Zumal …«

»Zumal?« Der Meister blickte fragend.

»… meine Neugier meine Bedenken auch in diesem Fall überstimmt. Mag der Ort, den das Orakel uns nennt, auch bislang auf keinem Verzeichnis zu finden sein, muss es dort doch Menschen geben. Oder täusche ich mich? Gab es je den Fall, dass ein Höllenstern sich mit bloßem Getier abgab, wenn es darum ging, jemanden für seiner ‚würdig’ zu erachten?«

»Nicht dass es uns bekannt wäre.«

Thibaut nickte, wobei er weiterhin die Faust gegen sein Kettenhemd gepresst hielt. »Dann werde ich uns auch was das angeht Gewissheit verschaffen. Und ich weiß auch schon, wer mich in die Fremde begleiten und mit mir über die Verderbnis triumphieren wird, deine Erlaubnis vorausgesetzt, Prior.«

Der Meister des Ordens nickte salbungsvoll. »So sei es. Nenne mir nun die Namen.«

☆☆☆

10 Jahre zuvor

Anno Domini 1243

Das Schwein quiekte so schrill, dass es weithin zu hören war. Was den Knaben, der mit ihm balgte, aber nicht davon abhielt, sich weiter auf dem Stroh am Boden des Gatters zu wälzen. Immer wieder übertönte sein helles Lachen die Tierschreie, und so nahm es nicht Wunder, dass sich bereits die ersten Gaffer und Zaungäste eingefunden hatten, um der Rangelei beizuwohnen. Deren Gejohle steigerte sich von Minute zu Minute und machte das borstige Ding regelrecht tobsüchtig.

Kelan bemerkte das Verstummen der Anfeuerungsrufe zunächst nicht, so sehr war er in sein Ungestüm verstrickt. Dann aber durchfuhr jäher Schmerz ihn, als sich Finger um sein Ohr krallten, so grob, als wollten sie es abreißen. Unter wildem Gefluche wurde der junge Mann aus dem Gatter geführt.

»Du hast nur Flausen im Kopf!«

Der Onkel war außer sich, und im gleichen Maße, wie das Schwein, von dem Kelan abgelassen hatte, sich hinter ihnen beruhigte, nahm die Rage des Mannes zu. »Du Taugenichts! Wolltest du es umbringen, bevor es die Schlachtreife hat? Wenn das deine arme Mutter erfährt, wird sie dir die Leviten lesen! Und wenn sie es nicht tut, werde ich dafür sorgen, dass du deinen Übermut künftig im Zaum hältst und …«

Weiter kam er nicht, weil die Person, die er gerade heraufbeschworen hatte, mit flatterndem Kleid herangeeilt kam. Lilianes Rotschopf flog im Takt ihres wogenden Busens hin und her. Kelans Mutter war wohl ohne Übertreibung das schönste Weib im Dorf und noch weit darüber hinaus – obwohl die Wenigsten das wohl wirklich beurteilen konnten, war doch kaum einer je großartig über die unmittelbare Umgebung hinausgekommen.

Liliane war mit anderen Frauen am Fluss gewesen, um zu waschen, und nun kehrte sie mit ihrem schweren Flechtkorb zurück, in dem sich die ausgewrungenen Kleidungsstücke stapelten. Schon von Weitem musste der Lärm sie alarmiert haben. Der Ausdruck auf ihrem sommersprossigen, schmalen Gesicht verriet, dass ihr nichts Gutes schwante.

»Lass ihn los, Armand! Hörst du? Lass ihn sofort los!«

Wer sie nicht kannte, hätte eine so resolute Stimme kaum in einem so zierlichen Körper erwartet. Aber auch bei ihrem Bruder, der tagtäglich mit ihr zu tun hatte, verfehlte sie ihre Wirkung nicht.

Schwankend zwischen dem Drang, seiner Wut weiterhin ein Ventil zu verschaffen, und der Einsicht, dass er das Feld nun besser der Mutter dieses »Taugenichts« überlassen sollte, stand der Onkel da und knetete die fleckige Lederschürze, die er umgebunden hatte. Das meiste Blut darauf war eingetrocknet und dunkel, aber es gab auch hellrote Spritzer, die verrieten, womit er beschäftigt gewesen war, als das Geplärre ihn angelockt hatte.

In aller Herrgottsfrühe hatte Liliane ihn im Beisein von Kelan gebeten, einem »trauernden« Huhn – so nannte man es, wenn Hennen oder Hähne kränkelten – den Kopf abzuhacken und es von seinem Leid zu erlösen. Anschließend, so lautete sein Auftrag, sollte er es vergraben, was ungewöhnlich war, weil die Familie es sich normalerweise nicht leisten konnte, Fleisch zu verschmähen. In diesem Fall jedoch schien Vorsicht geboten, zumindest war Liliane der Meinung, während Armand etwas verächtlich geschaut hatte, als sie ihn unterwies. Grund für die »Vorsichtsmaßnahme«, wie sie es nannte, war, dass die Eier, die im Nest des Huhns gefunden hatten, schon verdorben waren, wenn sie seinen Körper verließen. Obwohl frisch gelegt, sahen sie beim Aufschlagen aus, als wären sie mit Kloake gefüllt, und entsprechend stanken sie auch.

Nicht nur Kelans Mutter, auch andere Dörfler, die davon erfuhren, hatten darauf gedrungen, dass das »Omen« beseitigt wurde. Es waren dunkle Zeiten, und die Furcht, die ein wahrhaftiger Diener der Hölle noch bis vor wenigen Generationen in dieser Gegend gesät hatte, wohnte noch heute in den Herzen der Leute.

Die Alten wurden nicht müde, das Wissen darum an die Kinder weiterzugeben. Und die Kinder wuchsen heran, zeugten eigenen Nachwuchs, vermittelten wiederum diesem, was sich in vergangenen Tagen zugetragen und dem Landstrich sein Stigma eingebrannt hatte. Nie sollte der Schrecken in Vergessenheit geraten. Nur wer seiner gedachte, war gefeit gegen neue Ausbrüche des Bösen – so zumindest die Hoffnung. Tatsächlich aber, das hörte Kelan aus den Unterhaltungen der Alten heraus, glaubte niemand, dass Leute ihres Standes auch nur das Geringste gegen Mächte verrichten konnten, wie sie die Bewohner der Gegend vor Zeiten geknechtet und mitleidlos in den Tod getrieben hatten.

Oder noch Schlimmeres antaten, musste Kelan denken, während die Geschwister sich seinetwegen stritten.

Armand nahm seit jeher den Platz von Kelans Vater Guillaume in der Familie ein und füllte die Rolle, wie Kelan wusste, im Großen und Ganzen auch zur Zufriedenheit der Mutter aus. In Zeiten wie diesen, flüsterte sie ihm manchmal zu, wenn sie unter sich waren, musste man dankbar sein, überhaupt einen blutsverwandten Beschützer zu haben, noch dazu, wenn es an Muskelkraft nicht mangelte. Und mochte man auch viele Einwände gegen Onkel Armand vorbringen können, an den körperlichen Voraussetzungen, sich Respekt innerhalb des Dorfes zu verschaffen, mangelte es ihm gewiss nicht. Dennoch war er ein Grobian, äußerlich wie auch vom Wesen her, und damit so gar nicht vergleichbar mit dem abwesenden Vater, den Kelan über alle Maßen liebte und verehrte. Und der auch Kelan liebte und ihn das bei vielen Gelegenheiten spüren ließ.

Mein jüngeres Ich, war einer der Lieblingsnamen, die Guillaume für ihn benutzte, dann, wenn Kelan etwas gut machte, nicht nur bei der täglichen Feldarbeit oder Jagd, sondern – und das zeichnete den Vater aus und hatte offenbar auch die Hohen beeindruckt – mehr noch, wenn er jemandem half, den Schwachen des Dorfes etwa, den Alten und Kranken, die Kelan, wann immer seine Zeit es zuließ, unterstützte, Holz für sie hackte, das Vieh fütterte, wenn sie selbst es gerade nicht konnten.

Nächstenliebe ist wichtig, Liebe überhaupt, pflegte sein nobler Vater zu sagen …

… verlor aber nie auch nur ein Wort darüber, was genau er in den Tagen und Wochen seiner Abwesenheit tat, wenn die Hohen ihn irgendwohin schickten, selten allein, meistens begleitet von einem ganzen Trupp, dessen Pferde ebenso mit dem Hoheitszeichen des Ordens geschmückt waren wie die Reiter selbst. Kelan fühlte sich in solchen Zeiten – jetzt! – in einer Weise einsam, die ihn bisweilen dazu brachte, über die Stränge zu schlagen und damit für Gelächter bei den einen, für Wut bei den anderen – dem Onkel etwa – zu sorgen.

Letzte Nacht hatte er schlecht geschlafen und geträumt, und als er mit dem ersten Hahnenschrei aufgewacht war, hatte er eine Sehnsucht wie noch niemals zuvor nach seinem Vater verspürt, der selten so lange fort war und wenn doch, abgeschlagen, müde und manchmal mit Schrammen und Blessuren übersät heimkehrte. Dann musste Liliane sich um ihn kümmern, ihn umsorgen und hätscheln, wie sie es sonst nur mit Kelan tat, wenn der bettlägerig war – was selten genug vorkam.

Auf jeden anderen wäre Kelan eifersüchtig gewesen, nicht aber auf seinen Vater, sein Vorbild und Freund.

Er seufzte. Ach, wie sehr wartete er auf das Lächeln im Gesicht der Mutter, das nur Guillaume darauf zu zaubern vermochte. Dieses besondere Lächeln war anders als jenes, das sie Kelan schenkte. Darin gab es eine Note, die nur dem Gemahl vorbehalten war, und auch das war in Ordnung. Alles war in Ordnung, wenn …

»Du verwöhnst ihn, den Taugenichts! So wird nie ein rechter Kerl aus ihm!«

Die heisere Stimme des Onkels zerstörte den seltsam zeitlosen Moment, in den es Kelan schaffte, sich zu flüchten, wann immer er in tröstlichen Erinnerungen schwelgte.

Aber vor Armands Gebrüll musste jedes noch so schöne Gedächtnisbild kapitulieren.

Liliane ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie kannte des Bruders Marotten besser als jeder andere. »Lass ihn in Ruhe, ich regele das schon!«

Zu Kelans und wohl auch Lilianes Erstaunen setzte Armand zwar neuerlich zu Widerworten an, brachte sie aber nicht über die Lippen.

Obwohl seine Augen immer noch wie in Rage geweitet waren, starrte er doch nicht auf sie, sondern … an ihnen vorbei.

Im nächsten Moment drang der Hufschlag mehrerer Pferde an Kelans Ohr, und er glaubte die Reaktion des Onkels richtig zu deuten, hoffte, dass seine Gebete endlich erhört worden waren und genau zur rechten Zeit Vater Guillaume wiederkehrte.

Die Erleichterung und Freude brachte sein Herz schier zum Übersprudeln, erst recht, als die Ritterschar an der Dorfgrenze auftauchte, die Banner hoch im Winde flatternd – unverkennbar darauf das Symbol der Tausend. Sie kamen, wie schon so oft, die gestampfte Straße heraufgetrabt, die im weiteren Verlauf über Serpentinen bis hinauf zur Ordensburg führte.

Aber schon ein flüchtiger Blick genügte, um zu erkennen, dass etwas anders war als sonst. Dass dies keine triumphale Heimkehr wie die Male davor war, sondern …

Kelan erkannte den Mann an der Spitze trotz des Helms, der nur die Augen freiließ. Aber die Haltung war unverkennbar die eines der Anführer der Tausend. Sein Name war Thibaut, und wann immer der Vater von ihm sprach, schwang in seiner Stimme eine Hochachtung mit wie bei keinem anderen, die er ihnen je beschrieben hatte.

Dass Thibaut den Trupp anführte, war somit die normalste Sache der Welt. Nur vermisste Kelan den Ritter, der dicht hinter ihm hätte reiten müssen. Stattdessen führte Thibaut ein reiterloses Pferd an dem Zügel hinter sich her, zumindest hatte es zunächst den Anschein, weil er das Tier mit dem eigenen und dem Körper seines Pferdes hinter sich verbarg. Nun aber, da sie näherkamen, wurde ersichtlich, dass ein Mann festgezurrt quer über den Rücken des Rappen gebunden hing, und sowohl die Gestalt als auch das Pferd hätte Kelan im Schlaf zuordnen können.

Unter tausend Rittern, unter Millionen Männern, gab es für ihn doch nur diesen einen, und um nichts auf der Welt durfte wahr sein, was der Tote auf dem Rappen ihm entgegenschrie – um nichts auf der Welt!

Kelan merkte kaum, wie seine Mutter hinter ihn trat und die Arme um ihn schlang. Erst als sie vor Schmerz so fest zudrückte, dass die Betäubung, die über ihn gekommen war, durchbrochen wurde, wurde ihm bewusst, dass ihr Zittern auch auf ihn übergesprungen war, ihre Tränen, die auf sein Haar tropften, sich mit seinen, die über das wie versteinerte Gesicht rannen, vermengten.

Das Nächste, was zu ihm durchdrang, war die Stimme des Anführers, der vor ihnen zum Halten kam, schwerfälliger als jemals bei einem Ordensmann gesehen aus dem Sattel glitt und mit gesenktem Haupt vor sie trat.

Nie würde Kelan den Moment vergessen, als der Leichnam des Vaters an sie übergeben wurde und der Ritter Worte der Anteilnahme sprach; all das brannte sich tief in sein Gedächtnis.

Viel mehr aber wurde ihm in jener Stunde nicht gewahr, weil sein Denken von einem Strudel zerrissen und sein Bewusstsein in eine Hölle aus Schmerz und Traurigkeit gezerrt wurde. Nie mehr würde die Welt, das Leben, so sein, wie vor jenem furchtbaren Tag.

Aber der einen Tragödie folgte alsbald auch schon die nächste.

☆☆☆

Drei Tage war es erst her, dass man den Vater auf dem kleinen Friedhof am Dorfrand beerdigt hatte. Es sei sein Wunsch gewesen, hatte Liliane ihrem Sohn gegenüber beteuert. Woher sie das wisse, hatte er gefragt, wo doch einem Ritter, das war allgemein bekannt, ein Ehrengrab oben auf der Burg zustehe. Auch der Onkel habe das bestätigt.

Aber seine Mutter beharrte darauf, dass sie zu Lebzeiten des Vaters oft über die Möglichkeit seines Todes gesprochen hatte. Und genauso oft, wie Kelan den Vater gefragt hatte, warum sie hier unten im Dorf lebten, wo doch alle anderen Ordensmänner mit ihren Familien – so sie eine hatten – droben in der Festung wohnten, hatte Guillaume ihm erklärt, dass er in diesem Dorf geboren und aufgewachsen sei und seine Wurzeln nicht verleugnen wolle. Was könne die Burg ihm und den Seinen Besseres bieten als die Häuser, die von keiner Mauer umringt waren und aus denen man nur heraustreten musste, um vor sich die wunderbaren Wiesen und Auen des Flusstals zu sehen, die man durchstreifen konnte, ohne sich je eingesperrt zu fühlen, hatte er seinen Sohn gefragt.