Professor Zamorra 1110 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1110 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Endlich ist Nele wieder aufgewacht - und doch können ihre Freunde Zamorra, Nicole und der ehemalige Scotland Yard-Inspector Paul Hogarth nicht so richtig glücklich darüber sein. Zu viele Geheimnisse umgeben Neles geheimnisvolles Koma - und auch ihr Erwachen. Sicher scheint nur, dass Navesh, der Schöpfer Edens, etwas damit zu tun hat - und das scheint selbst dem mit allen Wassern gewaschenen Zamorra etwas weit hergeholt zu sein ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Äon

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4135-5

www.bastei-entertainment.de

Äon

von Adrian Doyle

Gerade noch hatte der Geflügelte eitel auf dem Altarpodest posiert, und in der nächsten Sekunde schwang er sich auch schon in die Lüfte. Ein in Stein gepresster Albtraum.

Stein, so geschmeidig in seinen Bewegungen, als wäre er aus Fleisch und Blut. Seine Präsenz füllte die Kathedrale Notre-Dame de Paris mühelos bis in ihre entferntesten Winkel und machte sich beinahe jeden untertan, den es hierher gezogen hatte …

VergangenheitNele

Ich war die wohl einzige Ausnahme, die der Geflügelte nicht für sich vereinnahmte. Aber in Sicherheit wiegen durfte ich mich deshalb nicht. Bei Gott nicht. Denn seit ich mich den entmenschten Toten und ihrem steinernen Herrn mithilfe meiner wiedererwachten Gabe entzogen hatte, war ich offenbar erst richtig in dessen Fokus gerückt.

Obwohl der geflügelte Koloss kaum weniger zu wiegen schien als der umgebende Kirchenbau mit seinen Tausenden und Abertausenden Bausteinen, hatte es ihn keine erkennbare Anstrengung gekostet, sich in die Lüfte zu erheben, wo er nun über den Köpfen seiner Jünger Kreise zog.

Er sucht nach mir.

Noch nie zuvor hatte mein Herz so hart und panisch gehämmert wie in dem Augenblick, da mir dies klar wurde. Und vorhin, als Nikolaus, meine Liebe, sich mit den anderen Erweckten auf mich hatte stürzen und mich mit seinen Klauen und Zähnen zerfleischen wollte … vorhin hatte ich kurz davor gestanden, vor der geballten Niedertracht, die mir entgegenschlug, zu kapitulieren und den Tod willkommen zu heißen.

Nur war es mit dem Sterben so eine Sache, seit der Tod vor gut achthundert Jahren aus meinem Leben verbannt worden war. Die von Nikolaus erhaltene Edenfrucht hatte nicht nur das Altern meines Körpers gestoppt, sondern ihn zugleich auch im wortwörtlichen Sinne unsterblich, ja, unzerstörbar gemacht. Doch obwohl dies so war – immer gewesen war –, ertappte ich mich dabei, an meiner Unangreifbarkeit, mehr noch: an meiner Unsterblichkeit im Angesicht dieses Feindes zu zweifeln.

Vom ersten Moment an, da ich ihn erblickt hatte, hatte er mir Grauen eingeflößt; erst recht, als ich erkennen musste, welche Macht er über die Menschen hatte, die seinem unwiderstehlichen Ruf in die Kathedrale gefolgt waren.

Zunächst hatte ich irrtümlich angenommen, der Alasharer Narvesh habe sie hierher zitiert. Aber schnell war offenbar geworden, dass Narvesh, dieser vermeintliche König der Magier, ebenso vor ihm kapituliert hatte, wie all diejenigen, die vorher ihm hörig gewesen waren; all die vom Tode Erweckten, die er im falschen Paris, diesem »Gegenentwurf« des echten, um sich geschart hatte.

Unweigerlich verfingen sich meine Gedanken in dem Wust aus Informationen, die ich aus Narveshs eigenem Munde erfahren hatte. Wer er war, wie er zu beinahe gottgleicher Macht aufgestiegen war – zumindest in den von ihm selbst erschaffenen Welten. Über eine Finte war er in die reale Welt gelangt – und war erst einmal zurechtgestutzt worden, weil ihn seine Kräfte hier bei Weitem nicht mehr zu dem befähigten, wozu er in den Sphären, zu denen auch Eden gehört hatte, fähig gewesen war.

Aber er hatte sich der neuen Herausforderung gestellt und gelernt, mit den verbliebenen Fähigkeiten das Optimum zu erzielen. So war die Nekropole entstanden, in der ich mich befinde, obwohl ich nicht in Narveshs Beuteschema passe – nie gepasst habe.

Mein Blick ging zu ihm. Was für eine Ironie, dass der Geflügelte ihn an das Marmorkreuz geschlagen hatte wie eine Christusfigur. Wie einen zweiten Jesus. Selbst die Dornenkrone hatte er ihm übergestülpt; eine Reliquie, die zuvor in der Vitrine eines Schauraums der Kathedrale ausgestellt gewesen war. Nun krönte sie den Kopf des Mannes aus grauer Vergangenheit. Des Schöpfers von Jachhwa, Eden und unzähligen weiteren Welten, die seiner Phantasie entsprungen und sogleich real geworden waren.

Das Gesicht des Alasharers hatte die Überheblichkeit verloren, mit der er mir bei früheren Gelegenheiten gegenübergetreten war. Jetzt waren seine Züge wie eingefroren. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob er wirklich tot war oder ob nicht vielleicht doch noch ein Fünkchen Leben in ihm brannte.

Klar war nur, dass er besiegt war, und dies in einer so absoluten, allumfassenden Weise, wie er es niemals für möglich gehalten hätte.

Und ich auch nicht.

***

Weg. Nur weg hier!

Die Kälte zog sich um mich zusammen wie Gänsehaut. Erstaunlicherweise konnte ich sie spüren, obwohl ich auf ein leicht erhöhtes Wirklichkeitslevel gewechselt war.

Aber vielleicht war es auch einfach nur Einbildung, die mich glauben machte, zu frösteln. Zu frisch noch war der Eindruck, wie sich die Kathedrale von außen darstellte: von einem zentimeterdicken Eispanzer überzogen. Eis, das die Farbe des Zwielichts hatte, in das dieses abseitige Paris für eine lange Zeit getaucht gewesen war, bei Tag ebenso wie bei Nacht.

Inzwischen hatte sich dies geändert. Zuletzt hatten Nikolaus und ich, bevor wir auseinandergerissen worden waren, sogar eine Nacht kennengelernt, die sich kaum noch von der in der wahren Welt unterscheiden ließ. Eine Nacht voller Sterne. Wir hatten in ein atemberaubendes Firmament geblickt, das sich über die Stadt der Toten spannte.

Mit Wehmut und Schmerz dachte ich an diese Momente scheinbarer Normalität an Nikolaus’ Seite zurück. Momente, die es so – Stand jetzt – wahrscheinlich nie wieder geben würde. Dazu hätte ich nicht nur dem geflügelten Schrecken entkommen, sondern es auch schaffen müssen, Nikolaus mit zu befreien.

Nach Letzterem zumindest sah es momentan nicht aus. Der Mann, der anno 1212 den Kinderkreuzzug initiiert und die halbwüchsigen Teilnehmer gen Jerusalem geführt hatte, der Mann, den ich auf diesem beschwerlichen Weg voller Gefahren und Heimtücken bis an die fernen Gestade Afrikas begleitet hatte, durchkämmte gerade wie all die anderen Marionetten des Bösen die Bankreihen der Kirche, ferngesteuert von dem Geflügelten, der die Hetzjagd auf mich eröffnet hatte. Nikolaus hatte seinen freien Willen, sein ureigenes Wollen eingebüßt. Es war ersetzt worden durch den archaischen Willen eines Wesens, von dem ich nicht wusste, woher es kam und welche Motive es leiteten.

Ich versuchte, mich von dem Gedanken freizumachen, dass Narvesh, der Gekreuzigte, so verzweifelt gewesen war, dass er mir in seinen letzten Atemzügen eine Spur zur Kathedrale gelegt hatte. Als hätte ich ihm helfen und etwas gegen ein Monstrum ausrichten können, dem er unterlegen war!

Mitleidig forschte ich erneut in der Physiognomie des Alasharers nach Hinweisen, dass noch Leben in ihm war. Aber die Augen waren geschlossen, keine noch so kleine Erschütterung durchlief den ans Marmorkreuz genagelten Körper. Narvesh war nackt bis auf eine Art Stoffschurz, der seine Lenden bedeckte. Auch das sah stilecht aus. Als hätte sein Bezwinger es sich von den Heiland-Darstellungen, die es in Notre-Dame zuhauf gab, abgeschaut.

Wahrscheinlich sollte es die Demütigung komplettieren, wie schon die Dornenkrone belegte. Narveshs Hang zum Biblischen war dem neuen Herrn der Sphäre offenbar nicht verborgen geblieben, und er konterkarierte sie nun.

Ich bog den Kopf weit in den Nacken, fing das kreisende Steinwesen ein und dachte: Wer bist du? Welcher Höllenpfuhl hat dich ausgespien?

Für einen Moment schienen das einzelne Auge, das im »Gesicht« des Geflügelten prangte – ein Gesicht, das nichts Menschliches hatte, nicht einmal entfernt – meinen Blick aufzufangen. Zufällig, wie ich hoffte, denn wäre es anders …

Ich merkte, wie mir schwindelig wurde. Wie mich das Gefühl überkam, Jahrzehnte, wenn nicht mehr, meines unsterblichen Lebens aus dem Leib gesaugt zu bekommen von diesem … Unding, dessen Kopf dreieckig und voller scharfer Kanten war. Darüber verteilten sich Mäuler ohne Zahl. Teils winzig, teils wie klaffende Wunden, die aber keine waren, sondern einzig dazu dienten, anderen Verletzungen zuzufügen. Ein jeder dieser Schlünde, die sich unablässig öffneten und schlossen, war gespickt mit spitzen Zähnen, auf denen es feuchtrot glänzte, als hätten sie gerade ein blutiges Mahl verzehrt.

Ich wollte die Augen niederschlagen, um dem Starren zu entkommen, von dem ich mehr denn je hoffte, es wäre bloßer Zufall, dass es mich hinter meinem magischen Schutzwall erspäht hatte. Und nicht einmal erspäht, sondern lediglich gestreift.

Schon einmal hatte ich in dieses Zyklopenauge an der »Kinnspitze« des Kopfdreiecks geschaut und mich nur mühsam wieder aus seiner Fesselung, mit der die kalte Intelligenz dahinter sich meiner bemächtigen wollte, befreien können.

In diesem Augenblick explodierte der Geflügelte dort oben unter dem hohen Kirchendach, zerstob in einer lautlosen Detonation!

Ich wurde völlig überrumpelt. Doch dann erkannte ich meinen Irrtum, denn die Monstrosität schwebte weiter über mir, sie hatte lediglich etwas abgestoßen, das sich nun wie eine Splitterwolke dem Boden entgegen senkte. Steinsplitter, ein jeder von der Größe eines kleinen Fingers. Absprengungen des gleichen Materials, aus dem die Monstrosität selbst bestand. Und sie regneten nicht einfach herab, sondern entwickelten schon nach kurzem Fall die Fähigkeit, ihre Richtung zu verändern und von der vertikalen in die waagrechte Bewegung zu wechseln. Als beherberge jedes dieser Gebilde einen eigenen Antrieb, der den Anweisungen folgte, die ihn auf unhörbare Weise erreichten.

Genau wie bei den Marionetten. Dieses verdammte Ding hat Teile von sich abgespalten, um … ja, um was genau zu machen?

Ich vermutete sofort eine neue Teufelei. Und wohl nicht zu Unrecht. Die Splitter trotzten auch weiterhin erfolgreich der Schwerkraft und begannen, die Kathedrale wie Schrappnelle zu … der Begriff »kartographieren« drängte sich mir auf. Tatsächlich erinnerte der Vorgang an Drohnen oder Satelliten, die Gelände aus der Luft vermaßen oder Ausschau nach etwas Bestimmtem hielten.

Worum es sich dabei handeln könnte, stand außer Frage.

Noch fühlte ich mich in meinem Mikrokosmos sicher. Nur wusste ich nicht, wie lange ich ihn aufrechterhalten konnte, da die Gabe eng mit meiner körperlichen Vitalität gekoppelt war. Beanspruchte ich sie zu stark oder zu lange, konnte das Handicaps bis hin zur völligen Erschöpfung oder Ohnmacht nach sich ziehen. Was gleichbedeutend mit dem Erlöschen meines einzigen wirksamen Schutzes sein würde.

Wirksam?

Noch während ich darüber nachdachte, tauchte einer der Splitter wie selbstverständlich innerhalb meiner »Blase« aus anders gepolter Realität auf.

***

Sekundenlang konnte ich den Fremdkörper nur anstarren. Zusehen, wie er die Ghost-Blase passierte … und wieder verließ.

Zum Aufatmen gab es jedoch keinen Grund, denn noch während ich das Geschehen verarbeitete, kehrte das Fragment des Geflügelten wieder zurück, durchstach die Membran der Blase erneut und stoppte diesmal seinen Weiterflug. Reglos verharrte es nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

Damit nicht genug beendete die Monstrosität unter der Kathedralen-Decke abrupt ihre bis dahin eher ziellos anmutenden Flugbewegungen und stieß geradewegs auf die Stelle herab, wo ich noch immer dem Irrglauben – oder inzwischen wohl doch nur der Irrhoffnung – anhing, mich den Nachstellungen meiner Feinde entziehen zu können.

Verdammt!

Ich wusste mir nicht anders zu helfen, als blitzschnell von dem Punkt zu fliehen, an dem ich mich gerade noch befunden hatte. Den Splitter wünschte ich weg, beziehungsweise schloss ihn aus meiner Fluchtbewegung aus, was erfreulicherweise funktionierte. Er blieb dort im realen Raum zurück, wo er gerade noch meinen eigenen Kosmos betreten hatte. Der Geflügelte jagte wie ein Geschoss darauf zu und zermalmte seinen Ableger in dem Moment, als er mit den Füßen voran, wie ein Greifvogel, der seine Beute schlägt, auf dem Kirchenboden landete und dort, wo seine Füße aufsetzten, Krater in die Steinplatten sprengte.

Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits fünfzig Meter entfernt. Das Ghosten ermöglichte mir nicht nur das Verlassen der angestammten Realität, sondern auch eine Geschwindigkeit, die ich unter normalen Bedingungen mit meinem Körper nicht hätte erzielen können.

Wieder flogen Steinsplitter wie Schrappnelle durch die Gegend, diesmal aber offenbar unbeabsichtigt, als reine Folge der harten Landung des Ungetüms. Das offenbar davon ausgegangen war, den Schild, den sein Späher bereits überwunden hatte, selbst erst mit Brachialgewalt durchschlagen zu müssen. Entweder um mich augenblicklich auszulöschen, oder weil es davon ausgegangen war, noch Widerstand brechen zu müssen.

Ich hielt mich nicht mit der Frage auf, wie es dem Geflügelten gelungen war, einen Spion in meine Ghost-Blase zu schleusen. Das Kircheninnere verwandelte sich mehr und mehr in eine Vorhölle. Was auch die Erweckten zu spüren bekamen. Denn die Splitterschwärme, die nach wie vor nach mir suchten, machten keinen Unterschied zwischen Freund und Feind. Ich sah, wie sie auf ihrer Suche die Leiber mehrerer Toter wie Bleikugeln durchschlugen – nur mit dem Unterschied, dass sie keine blutenden Wunden hinterließen, sondern sich die von ihnen verursachten Verletzungen zeitrafferschnell wieder schlossen. Die Gefallenen rappelten sich auch sofort wieder auf und setzten ihre Suche nach mir fort, als wäre nichts geschehen. Nikolaus gehörte auch zu denen, die scheinbar durchlöchert wurden. Dass er keinen erkennbaren Schaden davontrug, beruhigte mich nicht wirklich. Aber was war an diesem Ort, diesem Szenario überhaupt beruhigend? Nichts. Der Status quo, mit dem ich mich über Wochen allmählich angefreundet hatte, hauptsächlich, weil ich Nikolaus an meiner Seite gewusst hatte, war zerbröckelt. Narveshs Reich war dem Untergang geweiht, und in diesem Augenblick reichten meine Erkenntnisse nur, um wilde Spekulationen anzuheizen, was es mit dem Eroberer auf sich hatte. Gesichertes Wissen, ihn betreffend, gab es so gut wie nicht. Und wenn er mich in seine steinernen Fänge bekam, würde ich auch keine Gelegenheit mehr erhalten, etwas darüber zu erfahren.

Wieder schoss ein Splitter-Schwarm heran und näherte sich mir bedenklich, sodass ich mich entscheiden musste, ob ich eine weitere Situation, wie gerade überstanden, riskieren wollte oder doch die Flucht ganz aus der Kathedrale heraus ergriff. Nur: Wohin sollte ich flüchten? Die ganze Stadt, so groß sie auch scheinen mochte, war genaugenommen ein Gefängnis. Nullhorizonte grenzten sie nach allen Richtungen ein, und bislang hatte ich keine Möglichkeit gefunden, dem Konstrukt einer sonderbaren Magie zu entrinnen. Die Kräfte, mit denen Narvesh hier spielte – gespielt hatte –, unterschieden sich gravierend von denen, mit denen ich es in beinahe tausend Jahren mal hier, mal da zu tun bekommen hatte. Anders als in seinen zuvor geschaffenen Weltensphären bediente der Alasharer sich in der Paris-Fälschung nekromanter Zauber und Energieströme, die aus dem Tod an sich und denen, die ihm anheimgefallen waren, genährt wurden.

So sehr ich mich innerlich auch dagegen sträubte, musste ich mir bei kritischer Betrachtung dessen, was Nikolaus hier an »Leben« demonstriert hatte, eingestehen, dass ich ihn nach seinem Tod nie wirklich zurückgewonnen hatte. Er war schon verloren gewesen, als er auf Château Montagne sein Leben aushauchte. Allein, ich hatte es nicht akzeptieren wollen, nicht akzeptieren können. Niemand gibt seine große Liebe einfach auf, kein Normalsterblicher tut das. Wie hätte ich es da tun können? Mit diesem Mann verbanden mich Abenteuer und Geschicke, wie sie keinem anderen Menschen je wieder vergönnt sein würden. Nein, spätestens mit der Entdeckung Edens hatten wir aufgehört, Normalsterbliche zu sein. Nikolaus’ unerwarteter Besuch seinerzeit in Rostock, als er mir die Frucht vom Baum des Lebens mitbrachte, hatte dies auch für mich besiegelt und mein Leben fortan auf den Kopf gestellt.

Wie lange all das her war. Und wie wenig wir seither Zeit zum Ausleben unserer Liebe zugestanden bekommen hatten! Jahrhundertelang war Nikolaus verschollen gewesen, und als ich ihn endlich wiedergefunden hatte, war uns unsere gemeinsam verbrachte Zeit einfach wie Sand zwischen den Fingern zerronnen.

Ich hievte den letzten symbolischen Anker, der mich in Nikolaus unmittelbarer Nähe hielt – war es doch auch die Nähe eines Feindes, wie ich es mir nie erträumt hätte, ihm jemals zu begegnen.

Noch Dutzende andere Gegenstände als die Absplitterungen des Steinernen wirbelten durch die Kirche, weil der Geflügelte mit dem Zyklopenauge aus Zorn über das Scheitern seiner Attacke gegen mich seine Muskeln spielen ließen. Wutentbrannt peitschten seine Schwingen und erzeugten Böen von Sturmstärke, die nach allem griffen, was nicht fest verankert war. Selbst seine willfährigen Diener, die davon getroffen wurden, kämpften um ihr Gleichgewicht, einige strauchelten.

Ich hatte genug gesehen. Während die steinernen Späher des Eroberers immer näher schwebten, wandte ich mich in die Richtung, aus der ich auch gekommen war. Das Portal jedoch mied ich, weil ich eine Falle fürchtete, und durchdrang stattdessen die Wand aus Stein und Eis, die mich von draußen trennte. Die Ghost-Blase ermöglichte es mir, mich zwischen den Atomen der anderen Realität hindurchzuquetschen, ohne dass sie für mich zur Barriere wurden.

Einen Lidschlag später schon stand ich jenseits der Mauern in finsterer Nacht und suchte vergeblich nach den Sternen, die doch gerade erst den Weg hierher gefunden hatten.

Aber der Himmel war lackschwarz und die Finsternis von einer Dichte, als würde ein Gewicht, schwer wie der Mond, über der gefälschten Stadt, nur darauf warten, von der Kraft, die es hielt, losgelassen zu werden.

Mich schauderte.

***

In den folgenden Stunden blieb ich in Sichtweite der Eisfestung, in die Notre-Dame sich verwandelt hatte und deren Kälte bis zu meinem Versteck strahlte. Als der Morgen dämmerte und der Lack des Himmels wegschmolz, als wäre er ebenfalls aus Eis gemacht, das von einer unsichtbaren Sonne aufgelöst wurde, entstand am Eingang der Kathedrale plötzlich Bewegung.