Professor Zamorra 1121 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1121 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

1816 ist "das Jahr ohne Sommer". Auch England wird von Kälteeinbrüchen, Missernten und Hungersnöten heimgesucht. Die Bevölkerung leidet - und ahnt nicht, dass ihr noch weit Schlimmeres als die Folgen der Wetterkapriolen droht ...

Und so wird Albert Hawk bei Hofe einbestellt. Hawk ist ein Mann mit besonderen Fähigkeiten: Er kann in Toten lesen - und genau so einen Mann braucht die Krone in jenen schicksalhaften Augusttagen dringend.

Der Nekromant nimmt die Fährte eines Feindes auf, der auf Gedeih und Verderb versucht, sich Menschen untertan zu machen.

Ein Überwesen, das Myriaden winzige, fast unsichtbare Diener hat: Der Gott der Asche ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Gott der Asche

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Arndt Drechsler

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4713-5

www.bastei-entertainment.de

Der Gott der Asche

Von Adrian Doyle

London, in den ersten Augusttagen 1816

Die halbe Nacht hatte es Bindfäden geregnet, aber seit einer Weile fiel kein Tropfen mehr, und das Straßenpflaster war im steten Wind, der aus dem Inselinnern kam, bereits abgetrocknet. Den meisten Bewohnern der englischen Hauptstadt war das Wetter zu dieser späten Stunde ohnehin egal; sie lagen in ihren Betten, wälzten sich im Schlaf und suchten Erholung von der Plackerei des Tages.

Wenn Ira Banks sich in ein Bett legte, fing die Plackerei erst an. Ihre Nächte waren ein Vorgeschmack auf das Höllenfeuer, in dem sie einmal, das war so sicher wie das Amen in der Kirche, braten würde.

Von dem Geld, das die Hure von ihren Freiern erhielt, musste sie den Großteil an Carel Slaughter, ihren Zuhälter, abgeben, der sie grün und blau prügelte, wenn er glaubte, von ihr hintergangen zu werden oder dass sie sich nicht genügend anstrengte, zahlungswillige Kunden an Land zu ziehen.

Wenigstens muss ich nicht mehr, wie noch zu Beginn meiner Schicht, Angst haben, aufs Maul zu fallen, weil der Boden schleimig wie die Möse einer Jungfrau ist, dachte sie, während sie auf hohen Absätzen durch ihr Revier stöckelte.

Das Licht der weit auseinanderstehenden Straßenlaternen verlor sich zwischen den Nebelschwaden, die den Regen abgelöst hatten und von der Themse her kamen.

Für Ira Banks eine Nacht wie jede andere, vielleicht kälter, als man es um diese Jahreszeit erwartet hätte, aber selbst daran gewöhnte man sich. Der mieseste Sommer, an den sie sich erinnern konnte, war nun schon etliche Wochen alt und Besserung nicht in Sicht. Die Gazetten schrieben, dass nicht England allein betroffen war, sondern die ganze bekannte Welt. Über den Grund wurde viel spekuliert; wirklich belegtes Wissen kursierte kaum. Das fiel selbst einer kleinen Hure wie Ira auf, die nicht müde wurde, anderen gegenüber zu betonen, wie schrecklich dumm sie war und deshalb von einem Schlamassel ins nächste schlitterte.

Mitleid erntete sie für ihre Offenheit nicht. Von niemandem. Schon gar nicht von diesem dauerbesoffenen Arschloch, das sich einbildete, sie wäre eine Kuh, die er nach Belieben melken konnte.

Aber waren nicht alle Männer Scheißkerle, selbst die sogenannten bessergestellten? Gerade Letzteren begegnete Ira zuhauf und lernte deren wahres Gesicht kennen. All die feinen, scheinbar untadeligen Fassaden bröckelten, sobald sie die Hose herunterließen.

Sie lächelte zynisch.

Als sie an einer Gasse vorbeikam, die von der Goulston Street abzweigte, hörte sie im Dunkel der Häuserschlucht ein Geräusch, das sie innehalten ließ. In der Gasse gab es keine Laternen. Nur aus einem der linkerhand gelegenen Gebäude fiel etwas Licht nach draußen. Der Nebel schien den Bereich zu meiden. Ira glaubte, eine schemenhafte Gestalt zu erkennen, die vielleicht dreißig Yards von ihr entfernt mit einem Besen das Pflaster fegte. Keine bedrohlich wirkende Erscheinung, sondern entweder ein Kind oder ein Kleinwüchsiger, der ganz vertieft in eine Arbeit schien, die keinen Sinn machte, nicht den geringsten.

Nicht für Ira Banks jedenfalls.

Die Neugier lenkte sie wie ein Magnet auf die emsig kehrende Gestalt zu. Selbst dabei wackelte sie mit dem Hintern und schwenkte ihr Handtäschchen, in dem sich die Schminkutensilien und die paar Scheine befanden, die sie während dieser Schicht eingenommen hatte. Die Routine war eben schwer abzustellen. Und warum auch. Immer in Bewegung bleiben, pflegte ihr Lude zu sagen. Dann frierst du auch nicht.

Ira drängte die hässliche Visage des Muskelprotzes zurück, dem sie vor Jahren auf den Leim gegangen war und der einmal ihr Untergang sein würde.

Nur noch ein paar Schritte trennten sie von der Gestalt, die den Kehrbesen schwang, als gelte es, die Gasse auf Hochglanz zu bringen. Dabei verirrte sich hierher kaum jemand. Nicht einmal bei Tag.

Die Hure keuchte überrascht, als ihr klar wurde, wer sich da vor ihren Augen abmühte. Schnell legte sie auch noch die letzten Yards zurück, die sie trennten.

»Hey, was soll das? Was tust du denn da, Mädchen? Wie kommst du bloß auf die Idee, mitten in der Nacht die Straße zu fegen?«

Ihr Blick huschte zunächst kurz zu dem Haufen, der sich auf dem Pflaster auftürmte; Dreck, von dem die Kleine im Nachthemd die umliegenden Pflastersteine befreit hatte. Anschließend richtete Ira ihre Augen auf das Fenster, aus dem trübes Licht auf die Straße fiel. Die schmale Tür darunter stand offen, sodass festzustehen schien, wo das Kind zu Hause war.

Das Mädchen schaute scheu und irgendwie geistesabwesend zu ihr auf. Erst da fiel Ira auf, wie schmutzig es beim Kehren geworden war. Haare, Gesicht, Kleidung, Hände … alles war mit einer Staubschicht überzogen.

Staub?

Die Hure stutzte, erkannte ihren Irrtum. Was war das? Ruß? Ruß, den der Regen aus der Luft gewaschen hatte und der dann am Boden vom Wind, der durch die Gassen pfiff, getrocknet worden war?

»Du musst doch frieren, du Arme. Nur im Nachthemd und barfuß …! Wissen deine Leute, was du hier treibst? Haben sie es dir etwa aufgetragen?«

Die Gegend genoss nicht grundlos einen schlechten Ruf. Wer hier wohnte, gehörte zur untersten Unterschicht, war im Grunde nicht besser gestellt als Ira und ihresgleichen. Der Weg des Mädchens in die Gosse war schon jetzt vorgegeben.

Als sie keine Antwort erhielt, wollte sie sich abwenden, brachte es dann aber doch nicht übers Herz, versuchte es anders. »Du hast hier ganz prima sauber gemacht. Aber jetzt geh rein, leg dich wieder in dein Bettchen und schlaf dich aus. Deine …« Sie räusperte sich, um die Verachtung, die sie empfand, nicht durchschlagen zu lassen. »… deine Eltern können stolz auf dich sein. Geh jetzt, geh. Ich warte, bis du drinnen bist.«

Noch immer schien der Blick der Kleinen durch sie hindurchzugehen.

Vielleicht schlafwandelte sie. Man hörte immer wieder Geschichten, wenngleich Ira ein derartiger Fall noch nie zu Ohren gekommen war.

Plötzlich ging ein Ruck durch das Kind. Es wandte sich um und stakste auf die Tür zu, den Besenstiel mit einer Hand umfasst und hinter sich herziehend.

Ira war erleichtert. Auch wenn das Mädchen sie nichts anging, wurde ihr ganz weh ums Herz, es so verloren vor sich zu sehen.

Sie wollte sich wieder der Goulston Street zuwenden, als hinter dem erleuchteten Fenster Bewegung entstand. Das rußbestäubte Mädchen tauchte hinter der Scheibe auf und blickte zu ihr herunter. Das Gesicht war immer noch ausdruckslos, die Augen von einer Leere, wie sie Ira sonst nur aus dem Spiegel entgegenblickte.

Sie hob die Hand und winkte.

Genug jetzt, dachte sie energisch und löste sich von der Stelle, an der sie stand.

Im Augenwinkel zuckte etwas, und sie drehte automatisch das Gesicht dorthin, wo sich knöchelhoch der Haufen wölbte, den das Mädchen zusammengefegt hatte.

Was sie sah, war noch grotesker als ein Kind, das in der Nacht die Straße kehrte. In dem Haufen regte sich etwas! Die Hure vermutete zunächst, ein mausgroßes Tierchen könnte die ganze Zeit darin bedeckt gelegen haben. Betäubt, aber nicht tot. Jetzt erwachte es und wühlte sich durch den Dreck.

Dass etwas anderes dahintersteckte, sickerte nur langsam ins Begreifen der Frau. Das ascheartige Material hatte nichts unter sich begraben; vielmehr klumpte es zusammen, als würden unsichtbare Hände versuchen, etwas daraus zu formen.

Und die Bewegung, die Ira aufmerksam hatte werden lassen, rührte nicht von etwas, das sich zu befreien versuchte, sondern von der Masse an sich – von jedem einzelnen der winzigen Flöckchen, die den Haufen bildeten!

Ira merkte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie machte ein paar unbeholfene Schritte auf das abstruse Phänomen zu, blieb dann abrupt wieder stehen, als wäre sie gegen ein Hindernis gelaufen und beugte sich schaudernd vor. Eine grausige, unwiderstehliche Faszination ging von dem Prozess aus, der sich vor ihr im Dunkel der Gasse abspielte. Der Klumpen gewann immer mehr an Details. Der unsichtbare Modellierer erschuf eine Figur von zunehmend menschlicherem Aussehen, handspannengroß und mit Feinheiten versehen, die sogar Haare, Kleidung und Accessoires andeuteten.

Es dauerte nicht länger als ein ausgewachsener Mann brauchte, um einen Humpen Ale in einem Zug auszutrinken, bis Ira dämmerte, wen die Statuette darstellte: sie selbst! Die winzige, aus Asche und Ruß geformte Frau war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten und trug zudem auch die gleiche Art von Kleidung wie sie!

Selbst die Handtasche sieht aus wie meine. Nur die Haarfarbe kriegt es nicht hin.

Die aufkeimende Gänsehaut stahl sich bis unter ihre Kopfhaut. Ihre Nackenhärchen richteten sich auf.

Der Blick der Hure irrte hinauf zu dem erleuchteten Fenster, wo immer noch das namenlose Mädchen stand, bestäubt mit dem gleichen Schmutz, aus dem gerade ein miniaturisiertes Ebenbild von Ira entstanden war.

Das Gesicht hinter der Scheibe war nicht länger maskenhaft starr und teilnahmslos, sondern wurde von einem bösen und schadenfrohen Grinsen entstellt.

Ira Banks warf sich herum und rannte der Goulston Street entgegen. Im Laufen blickte sie über die Schulter zu der Stelle, wo sie die graue Statuette hinter sich zurückgelassen hatte.

Zu ihrem Entsetzen fand sie den Flecken leer.

Die Hure wollte schreien, aber das Grauen schnürte ihr die Kehle zu. Mehr als ein verzweifeltes Krächzen brachte sie nicht zustande.

Die Goulston Street erschien ihr wie ein rettender Hafen, den sie erreichen musste, bevor … Ein Schatten tauchte am Übergang zwischen Gasse und Straße auf. Die Proportionen wirkten irgendwie falsch, aber Ira glaubte einen der Constables zu erkennen, die regelmäßig ihre Runden fingen.

Vor Erleichterung kam ein kurzes Stoßgebet über ihre Lippen.

Aber der Constable schien sie nicht bemerkt zu haben, ging weiter, entschwand ihrem Blick.

Mit rudernden Armen erhöhte die Hure noch einmal ihr Tempo, tauchte endlich in die nebeldurchzogene, breite Straße ein und wandte sich in die Richtung, in die der Uniformierte gegangen war.

Für einen Moment sah sie ihn, fünf, sechs Schritte nur von sich entfernt.

Dann fiel er in sich zusammen – wie eine Staubmotte, die mitten im Flug von zwei Händen erwischt und zwischen ihnen zerrieben wurde.

***

Ira war zu Tode erschrocken. Noch nie hatte sie einen Menschen vor ihren Augen zu einer Wolke aus wallendem Staub zerfallen sehen, als wäre er völlig ausgedörrt und von innen heraus explodiert. Sie presste die Hand vor den Mund, als müsste sie verhindern, etwas von dem Staub einzuatmen, der schnell zu Boden sank. Mit angehaltenem Atem sah sie sich nach beiden Richtungen um, in die die Goulston Street sich von hier aus erstreckte, und zuletzt blickte sie auch ängstlich zur Mündung, die in die Gasse führte, aus der sie gerade gerannt gekommen war, als wären ihr Höllenfurien auf den Fersen.

Weit und breit war außer ihr keine Menschenseele zu entdecken. Der Nebel dräute um die Glaszylinder der Straßenbeleuchtung, als wären es Köpfe mit Heiligenscheinen. Aber da Ira nach ihrem ersten Freier, einem fetten, stinkenden Fleischberg, jeder Religion abgeschworen hatte, schenkte ihr der Anblick keinerlei Trost. Im Gegenteil. Die geisterhaften Lichter verstärkten ihr Entsetzen noch.

Widerstrebend lenkte sie ihren Blick zurück zu der Stelle, wo ihre Sinne ihr den Streich gespielt und glauben gemacht hatten, ein patrouillierender Constable löse sich in einer Wolke grauen Staubes – grauer Asche – auf.

Von dem Uniformierten gab es keine Spur mehr. Dafür ein klackerndes Geräusch, erzeugt von etwas Handspannengroßem, das auf winzigen Stöckelschuhen über das Pflaster auf sie zu rannte: ihre Doppelgängerin, von der Ira gehofft hatte, sie möge die Verfolgung aufgeben. Aber womöglich hatte sie die Hure in der dunklen Gasse sogar unbemerkt überholt und war zu dem mutiert, was sie für einen Polizisten gehalten hatte.

So abwegig der Gedanke im ersten Moment auch erscheinen mochte, war er doch auch nicht widersinniger als das, was die Hure vor dem Haus des Mädchens hatte beobachten müssen.

Sie wollte sich abwenden und in die andere Richtung fliehen. Doch die Nebelschwaden, die ihr um die Beine strichen, hielten sie fest.

Hielten sie fest?

Ira Banks verlor den letzten Rest von Selbstbeherrschung. Nicht einmal ihr um keine Brutalität verlegener Zuhälter schaffte es gemeinhin, sie so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass sie die Gewalt über jeden Muskel ihres Körpers verlor.

Und es war auch keine bloße Einbildung, dass etwas an ihr zerrte und rupfte. Sie musste nur genauer an sich herabsehen, um zu erkennen, dass es gar kein Nebel war, der sie umwaberte, sondern …

… Ruß und Asche wie die, die das Mädchen zusammengekehrt hatte!

Staubfeine Teilchen, die plötzlich von überallher heranstoben, um sich mit der Miniatur zu vereinigen, die nur noch wenige Schrittchen von der Person entfernt war, der sie nachempfunden war!

Vor den Augen der Hure wuchs die von unseligem Leben erfüllte Miniatur wie im Zeitraffer. Als sie bei ihr ankam, reichte sie ihr schon bis zu den Knien.

Genau in dem Moment, als ihre Doppelgängerin vom Boden ab und auf sie zu sprang, fiel die Erstarrung von Ira ab. Sie konnte noch die Arme abwehrend hochreißen, aber das schützte sie nicht vor der Monstrosität, die gegen sie auf ihrem Busen landete, der von einem viel zu eng geschnürten Mieder zusammengequetscht wurde.

In einem Reflex versuchte Ira, das unmögliche Ding von sich zu schleudern. Aber ihre Faust ging einfach durch sie hindurch, als verlöre sie für einen Moment wieder ihre Dichte und Kompaktheit, die sie aber zurückgewann, als die Faust ins Nichts stieß und Ira von ihrem eigenen Schwung überrumpelt zu Boden stürzte. Sie schlug sich die Knie auf, und der Schmerz ernüchterte sie für einen Moment. Dummerweise verschwand der Spuk, gegen den sie kämpfte, aber nicht, sondern festigte seinen Status als real gewordener Albtraum.

Ira musste mit ansehen, wie das Ding unerschütterlich weiter an ihr hochkletterte und mit einem aberwitzigen Salto auf ihrem Gesicht landete, das vollständig unter der Masse begraben wurde. Eine Substanz, die in jede erreichbare Kopföffnung kroch und sich auch nicht davon zur Räson bringen ließ, dass die Hure ihren Mund so fest zusammenpresste wie an dem Tag, als der erste Mann ihr seinen Prügel hatte hineinschieben wollen. So mühelos die einzelnen Flöckchen sich zusammenballen konnten, so mühelos lösten sie ihren Verbund auch wieder auf, wann immer es ihnen beliebte. Ihr Bestreben schien aber stets zu sein, den Kontakt untereinander nicht völlig zu verlieren. Das Kriechende, von dem Ira penetriert wurde, wahrte selbst in der scheinbaren Auflösung noch den Zusammenhalt.

Nicht dass die Hure noch in der Lage gewesen wäre, das festzustellen.

Ihr Leben erfuhr eine noch radikalere Wendung als damals, an dem Tag, da sie von zu Hause weggelaufen war und sich in die Arme des Erstbesten, der ihr Komplimente machte, geworfen hatte.

Sie krümmte sich und zappelte am Boden, als litte sie unter der heiligen Krankheit, unter schwerster Fallsucht. Aber das, was sich in rasendem Tempo in ihr ausbreitete, ihren Körper gleichsam eroberte, war so neu, dass es noch keinen Namen dafür gab.

Ira Banks wurde eines seiner ersten Opfer.

***

Carel Slaugther spielte an einem der hinteren Tische des »The Rotten Hole« Piquet, als sein bestes Pferd im Stall, die Rote Ira, das Alehouse betrat.

Slaughters blasser Teint verriet, dass er das Tageslicht mied. Meistens stand er gegen acht Uhr abends erst auf, dafür legte er sich aber auch erst früh um Sechs in die Falle. Wirklich nüchtern hatte ihn noch niemand erlebt. Neben seinem Bett stand immer eine volle Pulle, aus der er nachtankte, wenn er zwischendurch wach wurde. Sein Dauerdelirium verleitete immer wieder Ortsfremde dazu, sich auf Glücksspiele mit ihm einzulassen. Er wirkte wie leichte Beute, war es aber nicht. Selbst sein benebeltes Hirn war intuitiv imstande, das jeweils Beste aus einem Blatt herauszuholen. Zwar verlor er zwischendurch auch einmal, aber die großen Pötte kassierte in aller Regel er ein, und am Ende einer durchzechten Nacht klimperte nicht nur Kleingeld in seinem Beutel. Wer ihm doch einmal eine ernstzunehmende Schlappe zufügte, bereute dies spätestens auf dem Heimweg durch eine dunkle Gasse, wo Slaughter ihm auflauerte und sich mit Zinsen zurückholte, was er zuvor verloren hatte.

Für ihn war diese »Nachspielzeit«, wie er es nannte, legitimer Bestandteil des Kartenspiels, und seine Opfer konnten von Glück reden, wenn sie den Knüppel, den er ihnen überbriet, ohne schwere Folgen überlebten. Nicht selten »entsorgte« der Zuhälter die besinnungslos Geprügelten, mit Steinen beschwert, im nächstgelegenen Kanal, und sie wurden nie wieder gesehen.

So ein Mensch war Carel Slaughter, der, als Ira ihn erspähte und zu ihm stöckelte, gerade einen Capot gelandet, also alle Stiche einer Runde gemacht hatte, und entsprechend aufgekratzter Laune war.

Nicht unbedingt das, was seine »Pferdchen« von ihm kannten.