Profil und Profilentwicklung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) - Joachim Merchel - E-Book

Profil und Profilentwicklung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) E-Book

Joachim Merchel

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Beschreibung

Immer, wenn über Kinderschutz und über Hilfen in schwierigen familiären Erziehungssituationen gesprochen wird, ist der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) gefragt. Dieser arbeitet in jeder Kommune ein wenig anders. Wie genau? Das untersuchte ein bundesweites Forschungsprojekt der FH Münster und der Bundesarbeitsgemeinschaft ASD e. V. Wie werden Team-Absprachen organisiert? Was braucht wieviel Arbeitszeit? Wie läuft die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen? Das Buch bietet erhellende Erkenntnisse über die Funktion regionaler ASDs. Fachkräfte können "ihren" ASD als Organisation und ihre persönliche Rolle darin besser verstehen. Ein vorgeschlagener Profilrahmen definiert Selbst- und Aufgabenverständnis sowie professionelles Handeln und bietet ein Grundgerüst für die strukturierte Selbstbewertung und Weiterentwicklung im ASD.

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Joachim Merchel • Michaela Berghaus • Adam Khalaf

Profil und Profilentwicklung im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD)

Mit Online-Material

Mit 46 Abbildungen und 2 Tabellen

Ernst Reinhardt Verlag München

Prof. i.R. Dr. Joachim Merchel lehrte an der FH Münster im Bereich „Organisation und Management in der Sozialen Arbeit“.

Prof.in Dr. Michaela Berghaus lehrt an der FH Münster „Kinder- und Jugendhilfe“. Sie war zuvor mehrere Jahre im ASD eines Kreisjugendamtes tätig.

Adam Khalaf M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Sozialwesen an der FH Münster.

Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:

Merchel, J. (Hrsg.): Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD)

(3. akt. u. erw. Aufl. 2019; ISBN 978-3-497-02865-8)

Merchel, J.: Evaluation in der Sozialen Arbeit

(3. akt. Aufl. 2019; ISBN 978-3-8252-5200-7)

Merchel, J.: Jugendhilfeplanung. Anforderungen, Profil, Umsetzung

(2016; ISBN 978-3-8252-4677-8)

Merchel, J.: Leiten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit

(2010; ISBN 978-3-497-02123-9)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03180-1 (Print)

ISBN 978-3-497-61767-8 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61768-5 (EPUB)

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Covermotiv: © iStock.com/FooTToo

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de · E-Mail: [email protected]

Inhalt

1Ausgangspunkt: Legitimität organisationaler Eigenständigkeit eines jeden ASD?

1.1Zur Bedeutung von Profilbildung im ASD

1.2Profil(rahmen) als notwendiges Struktur- und Prozesselement im ASD

2Grundlagen einer Profilbildung

2.1Eckpunkte rechtlicher Art

2.2Eckpunkte fachlicher Art

2.3Eckpunkte organisationaler Art

3Forschungskonzept und methodisches Vorgehen

3.1Konzeptioneller Rahmen

3.2Quantitative Erhebung

3.3Qualitative Erhebung

4Forschungsergebnisse

4.1Organisationsaufbau des ASD

4.1.1Aufgabenprofil und Arbeitszeitverteilung

4.1.2Fallzuordnung zu den Fachkräften

4.1.3(De)zentrale Organisationsweise

4.1.4Teamorganisation

4.2Fachkräfte im ASD

4.2.1Personalbestand

4.2.2Personalfluktuation

4.2.3Personalbemessungsverfahren

4.3Arbeitsprozesse

4.3.1Regelungen zu Arbeitsprozessen auf dem Prüfstand

4.3.2Arbeitsweisen im Team

4.3.3Digitalisierung und Kommunikation

4.4Schnittstellen zu spezialisierten Diensten

4.5Entscheidungsprozesse im ASD

4.5.1Rolle der Leitung in Entscheidungsprozessen

4.5.2Fallbezogene Entscheidungsprozesse

4.5.3Fachkraft, Team und Leitung in Entscheidungsprozessen

4.5.4Verhältnis von Entscheidungen und Verantwortung

4.6Der ASD im internen und externen Kooperationsgefüge

4.6.1Hintergründe und Zielsetzungen

4.6.2Kooperationsformen

4.6.3„Interne“ Kooperationen des ASD

4.6.4„Externe“ Kooperationen des ASD

4.6.5Kriterien gelungener und misslungener Kooperationen

4.6.6Einflussmöglichkeiten des ASD

4.7Profilmerkmale in der Arbeit des ASD

4.7.1Profilelemente

4.7.2Entwicklungsperspektiven

4.7.3Umgang mit Spannungsfeldern als Profilelement

4.7.4Umgang mit Verantwortung

4.8Wechselverhältnis der ASD-Merkmalsausprägungen

4.8.1Methodischer Exkurs

4.8.2Schrittweise Darstellung der Zusammenhänge

4.8.3Fazit

5Bedeutung der Forschungsergebnisse

5.1Ähnlichkeiten zwischen den ASD

5.2Unterschiede zwischen den ASD

5.3Zukunftsperspektiven

5.3Fazit

6Vorschlag für einen ASD-Profilrahmen

6.1Selbstverständnis und Aufgabenverständnis

6.2Professionelles Handeln

6.3Leitorientierungen zu Vorgehensweisen und methodischem Handeln

6.3.1Fokus auf junge Menschen und deren Eltern

6.3.2Interne Aufgabenbearbeitung

6.3.3Innerorganisatorische Struktur im ASD

6.3.4Kooperationsgestaltung innerhalb des Jugendamtes

6.3.5Kooperationsgestaltung mit Externen

6.3.6Sozialraumorientierung und sozialraumbezogenes Handeln

6.4Perspektiven

6.4.1Inklusion als Auftrag an den ASD

6.4.2Digitalisierung im ASD

7Vorschlag zur Nutzung des Profilrahmens

Literatur

Sachregister

 

Das Online-Material zum Buch können Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags unter https://www.reinhardt-verlag.de herunterladen. Auf der Homepage geben Sie den Buchtitel oder die ISBN in der Suchleiste ein. Hier finden Sie das passwortgeschützte Online-Material unter den Produktanhängen. Das Passwort zum Öffnen der Dateien finden Sie im Buch hinter der Literatur.

1Ausgangspunkt: Legitimität organisationaler Eigenständigkeit eines jeden ASD?

1.1Zur Bedeutung von Profilbildung im ASD

Betrachtet man den Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) im Spiegel der Fachdebatten und der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, so kommt man zu einem widersprüchlichen Eindruck. Einerseits werden die Bedeutung des ASD als eines zentralen Organisationsteils des Jugendamtes sowie der Stellenwert des ASD für eine fachlich angemessene Gestaltung von erzieherischen Hilfen hervorgehoben. Die Art und die Verfahren, wie in einem ASD Problemmeldungen und Problemsituationen wahrgenommen, verarbeitet und zu einem spezifischen „Fall“ verdichtet werden und wie Hilfen konstruiert, in die Wege geleitet und begleitet werden, bilden die zentrale Grundlage für die individuelle Passung und für die Wirkungsoptionen der erzieherischen Hilfen. Der ASD bildet mit seinen Handlungsmodalitäten und seiner Fachlichkeit eine zentrale Schaltstelle für die Qualität der Leistungserbringung in der Kinder- und Jugendhilfe. Andererseits bleibt der Kenntnisstand zu Strukturen, Verfahren, konzeptionellen Ausrichtungen in den ASD sehr überschaubar. Der mangelnde Kenntnisstand zum ASD verfestigt sich dadurch, dass innerhalb der ASD-Fachszene vielfach die regionale und organisationale Spezifität und die Andersartigkeit der unterschiedlichen ASD betont werden, die eine Einschätzung darüber, was den ASD fachlich und fachpolitisch ausmache und wie der fachliche und organisationale Stand des ASD in Deutschland zu bewerten sei, erheblich erschwert. Die Frage nach den fachlichen Merkmalen, dem „Profil“ des ASD als Organisationstypus, wird unterlaufen durch den Hinweis auf die jeweilige organisationale Eigenständigkeit der ASD. Dieser Hinweis wird argumentativ untermauert mit dem Verweis auf regionale Besonderheiten in der Kommunalverwaltung, in den örtlichen sozialräumlichen Konstellationen oder in der Organisationsgeschichte und auf die personellen und organisationalen Besonderheiten des jeweiligen Jugendamtes. Der ASD scheint trotz seiner offenkundig großen Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfe ein schwieriges organisationales Feld zu sein.

Dementsprechend scheint sich auch die Fachliteratur eher auf Aufgaben des ASD als auf seine organisationale Verfasstheit auszurichten. So existieren mittlerweile vielfältige Studien und Ausarbeitungen zu zentralen Aufgabenbereichen und Handlungsfeldern des ASD, insbesondere zum Kinderschutz bzw. zum Handeln bei drohender oder manifester Kindeswohlgefährdung (Ackermann 2017; Biesel/Urban-Stahl 2022; Schone/Tenhaken 2015) oder zur Hilfeplanung (Schwabe 2019; Schäuble/Wagner 2017) oder zur sozialpädagogischen Diagnostik (Ader/Schrapper 2022). Jedoch wird in diesen Arbeiten nur selten (so aber – als Ausnahme – bei Böwer 2012) oder eher marginal dem Faktum Rechnung getragen, dass methodisches Handeln nicht nur eine Frage der Qualifikationen und Kompetenzen der Fachkräfte ist, sondern dass die Fachkräfte in ihren Handlungsmodalitäten immer eingebettet und beeinflusst sind von der sie umgebenden Organisation mit ihren personellen, finanziellen und sachlichen Ressourcen, mit Strukturen, Verfahrensweisen, Konzeptionen, mit über längere Zeiträume entstandenen und mehr oder weniger gefestigten Wahrnehmungsmustern und Alltagsroutinen, mit impliziten und expliziten normativen Prägungen. Andere soziologische Studien fokussieren eine Gesamtbetrachtung des „Systems Kinderschutz“ (Bode/Turba 2014, S. 1) oder analysieren Strukturdilemmata in Jugendämtern (Bode/Turba 2015), ohne dabei die Spezifika des ASD genauer in den Blick zu nehmen und ohne auf den ASD als dafür maßgebliche Organisationseinheit spezifischer einzugehen. Die „Organisation ASD“ bleibt eine weitgehende Leerstelle oder – zurückhaltender formuliert – ein insgesamt marginaler Aspekt im wissenschaftlichen und fachpraktischen Diskurs.

Nimmt man also den ASD als „Organisationstypus“ in den Blick und sucht man nach tragfähigen Antworten auf die Frage, was den ASD jenseits organisationaler und regionaler Spezifika als Organisationstypus ausmacht, so bleiben die Antwortmöglichkeiten bisher eher lückenhaft. Die Unterschiedlichkeit beginnt mit den Begriffen, mit denen dieser kommunale Soziale Dienst bezeichnet wird: neben „ASD“ sind es regional Begriffe wie „Bezirkssozialdienst“ (z.T. mit dem Kürzel „BSD“ versehen, nicht zu verwechseln mit aufgabenbezogenen Spezialdiensten, die als „Besondere Soziale Dienste“ markiert werden), „Regionaler Sozialer Dienst“, „Regionaler Dienst“, „Jugendhilfedienst“ u.a.m. Ferner sind unzulängliche empirische Kenntnisse darüber zu konstatieren, in welchen verschiedenartigen Strukturvariablen und unterschiedlichen Arbeitsprozessen die ASD tätig sind. Und es endet in dem Zugeständnis, dass trotz der seit vielen Jahren festgestellten „Schaltstellen-Funktion“ des ASD in der kommunalen Kinder- und Jugendhilfe nur wenig fachliche und fachpolitische Diskussionen zu einem fachlichen und organisationalen Profil des ASD erkennbar sind, auf deren Grundlage bewertende Debatten darüber stattfinden könnten, was einen fachlich qualitätvoll arbeitenden ASD von einem weniger gut arbeitenden ASD unterscheidet und welche fachlich-normative Kriterien für ASD-interne Überlegungen und Diskussionen als Orientierung eingebracht werden können.

Veröffentlichungen zum ASD – neben dem „ASD-Handbuch“ (Merchel 2019f) – richten sich entweder auf konzeptionelle Aspekte (Gissel-Palkovich 2011) oder auf Teilbereiche des ASD wie Personalmanagement (Pamme/Merchel 2014) oder Arbeitsbelastung und Belastungsempfinden von ASD-Fachkräften (Klomann 2016; Petry 2013). Forschungsergebnisse zu einzelnen Aspekten, die den Handlungsbereich des ASD betreffen oder berühren (zur Hilfeplanung, zu Aktivitäten im Personalmanagement [Merchel et al. 2012], zur Arbeit an Kinderschutzfällen [Berghaus 2020; Biesel 2011], zur methodischen Gestaltung von Hausbesuchen [Urban-Stahl et al. 2018]), sind zum einen auf Teilaspekte bezogen und lassen zum anderen die generellen Aspekte des organisationalen und fachlichen Profils der ASD weitgehend unbeachtet. Empirische Untersuchungen, die über Einzelaspekte hinaus den ASD in umfassender Weise im Hinblick auf Gesamtentwicklungen in den Blick zu nehmen beabsichtigen, konzentrieren sich auf Organisationsentwicklungsprozesse in einzelnen ASD als Antworten auf den „Reformdruck“ (Gissel-Palkovich/Schubert 2015), oder sie bleiben angesichts methodischer Ungenauigkeiten in ihrer Aussagekraft begrenzt bzw. umstritten (Beckmann et al. 2018). In dem DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel“ (Gadow et al. 2013) wird eher die Entwicklung von Leistungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe wissenschaftlich beobachtet, während der ASD als ein eigentlich zentrales Strukturelement der örtlichen Jugendhilfe nicht oder nur am Rande betrachtet wird. Auch in den von Sachverständigenkommissionen erstellten Kinder- und Jugendberichten wird der ASD als eine zentrale Organisationseinheit der Jugendämter kaum eigens erörtert, und es fehlen dort Aussagen zum ASD, die auf entsprechenden empirisch erhobenen Erkenntnissen gründen. In den Arbeiten der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendhilfestatistik (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2021, S. 55 ff.; 2019, S. 181 ff.) wird der ASD erfreulicherweise explizit berücksichtigt, jedoch müssen sich die Angaben entsprechend den Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik auf den Umfang der Personalressourcen in den Jugendämtern insgesamt und auf bestimmte Merkmale des Personals (Altersstruktur, Geschlecht, Grad der Befristung von Arbeitsverträgen, Anteil der fachbezogenen Hochschulabschlüsse) beschränken, ohne dass weitere Strukturvariablen und Merkmale der Arbeitsprozesse erhoben werden können.

Die Verweise auf die Verschiedenartigkeit der regionalen ASD als Argumente zum einen für die begrenzten empirischen Kenntnisse und zum anderen für die beschränkten Möglichkeiten zur Konstruktion eines einigermaßen einheitlichen fachlichen Profils des ASD sind einerseits zutreffend. Andererseits sind sie problematisch, wenn es darum geht, für den ASD ein Profil oder einen Profilrahmen zu konturieren, der die Qualität des ASD-Handelns kenntlich macht und in der Praxis Orientierung für die Gestaltung eines „guten ASD“ vermitteln kann:

■Zutreffend angesichts der bereits bei einem oberflächlichen Blick erkennbaren Unterschiede, angefangen bei den Begriffen, mit denen dieser Dienst bezeichnet wird, bis hin zu unterschiedlichen organisationalen Einordnungen (eher zentral oder eher dezentral organisiert, mit mehreren oder mit nur wenigen Spezialdiensten verkoppelt, in unterschiedlichen Teamgrößen organisiert, mit verschiedenartigen konzeptionellen Schwerpunkten und methodischen Ausrichtungen etc.).

■Problematisch angesichts der Schwierigkeiten, einen fachlich tragfähigen und in der Praxis Orientierung gebenden Profil- und Qualitätsrahmen zu konturieren, mit dessen Hilfe die ASD eine Grundlage zum einen für interne Qualitätsreflexionen zu Strukturen und Handlungsmustern erhalten können sowie zum anderen sich nach außen als verlässlicher und an reflektierbaren Qualitätskriterien bewertbarer Leistungserbringer darstellen können.

Die regionalen Unterschiedlichkeiten der ASD zeigen sich nicht nur in den verschiedenartigen Strukturen, sondern sie werden auch besonders deutlich erkennbar in höchst differenten Fallzahlen als Ausdruck unterschiedlichen Entscheidungsverhaltens in den ASD. Die erheblichen regionalen Unterschiede in den Fallzahlen sind nicht allein über unterschiedliche regional sichtbare soziale Belastungen erklärbar; in ihnen kommen auch bedeutsame Unterschiede im Entscheidungsverhalten in den ASD zum Ausdruck. Für das Jahr 2016 wird festgestellt:

„Die Inanspruchnahmen in den einzelnen Jugendamtsbezirken variieren zwischen einem Minimalwert von 72 Hilfen pro 10.000 der unter 21-Jährigen bis zu einem Maximum von 924. Würden im Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes mit der höchsten Quote genauso viele junge Menschen leben wie im Jugendamtsbezirk mit der niedrigsten Quote, würden dort also fast 13-mal so viele Hilfen zur Erziehung gewährt. Solch große Unterschiede dürften kaum dadurch zu erklären sein, dass der erzieherische Bedarf in einem Ort um das 13-fache höher ist als in einem anderen“ (Mühlmann, in: Fendrich et al. 2018, S. 27).

Selbst wenn man Extremwerte oben und unten auf der Skala herausrechnet, so „werden in Kommunen mit der höchsten Inanspruchnahme viermal so viele Hilfen gewährt wie in den Jugendamtsbezirken mit den niedrigsten Quoten“ (Fendrich et al. 2018, S. 34). Dies verweist darauf, dass das Entscheidungsverhalten in den ASD in den Formen, in denen fachlich gehandelt wird, und in den Modalitäten der Finanzsteuerung deutliche Varianten zeigt. Die Andersartigkeit der verschiedenen ASD dokumentiert sich somit auf eine offensichtlich markante Art in den divergenten Fallzahlen bei den Hilfen zur Erziehung.

Gissel-Palkovich/Schubert (2015) verweisen auch bei den als „reformerisch“ bezeichneten ASD, die sie in ihre Untersuchung einbezogen haben, auf z.T. erhebliche Differenzen in den „Innovationsprofilen“. Dies betrifft u.a. den Umgang mit Qualitätskriterien und Qualitätsstandards, den Grad und Modus der Spezialisierung innerhalb des ASD und am Rande des ASD, Formen der Arbeitsteilung, das konzeptionelle Verständnis und den entsprechenden praktischen Umgang mit der Konzeptvokabel „Sozialraumorientierung“, die Handhabungen zum „Case Management“ sowie die fallbezogene Teamkommunikation. Gissel-Palkovich und Schubert sehen auch bei den reformorientierten ASD einen „hohen Einfluss der Eigenstrukturen des jeweiligen ASD: Zwar ähneln sich manche Organisationen, aber insgesamt weisen die verschiedenen ASD ein hohes Maß an Individualität auf. An dieser Stelle kommen die Ausrichtung anhand lokaler Spezifika und die kommunale Selbstverwaltung zum Ausdruck. Jede Kommune, so scheint es, ‚geht ihren eigenen Weg‘, und die Einbettung des ASD in seine lokale Umwelt erfolgt auf individuelle Weise“ (Gissel-Palkovich/Schubert 2015, S. 147).

Dass ASD trotz eines – oberflächlich betrachtet – gemeinsamen gesetzlichen Auftrags und Handlungsrahmens markante Unterschiede aufweisen, ist plausibel erklärbar und – in Grenzen – als fachlich produktiv zu werten.

Zweckprogrammierung bei der Bearbeitung der gesetzlichen und fachlichen Aufgaben: Die Anforderungen des SGB VIII und der daran anschließenden Landesgesetze, die einen Großteil des gesetzlichen Aufgabenrahmens der ASD ausmachen, verweisen auf Handlungsprogramme vom Typus der Zweckprogrammierung. Der Organisation ASD steht bei ihrem Bemühen, den Mitarbeiter/innen Orientierung bei der Aufgabenerledigung zu geben und die Leistungserstellung stärker kalkulierbar zu machen, zwei generelle Typen von Handlungsprogrammen (Konzepte, methodisch strukturierte Vorgehensweisen, Verhaltensvorschriften, Routinen, Regeln und Gewohnheiten) zur Verfügung: Konditionalprogramme und Zweckprogramme.

Bei Konditionalprogrammen wird ein kausaler Bezug zwischen handlungsauslösenden Ereignissen (z.B. Antrag auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung für ein dreijähriges Kind; Offenlegung des Einkommens der Eltern) und spezifischen Folgehandlungen (Zuweisung eines entsprechenden Platzes aufgrund des gesetzlich geregelten Rechtsanspruchs und Festlegung des Elternbeitrags aufgrund landesgesetzlicher oder kommunaler Regelungen) hergestellt. Solche relativ eindeutigen Wenn-dann-Bezüge sind jedoch in den Aufgabenfeldern des ASD die Ausnahme. In der Regel sind im gesetzlichen Anforderungsrahmen lediglich Zwecke und/oder allgemeine Konstellationen für das Auslösen eines Rechtsanspruchs benannt, deren Vorliegen in interpretativen Verfahren konstatiert werden muss und bei denen die Hilfeziele entsprechend den allgemeinen Zielformulierungen im SGB VIII konkretisiert werden müssen.

Die Organisationen müssen also Zweckprogramme entwerfen und eine Praxis entsprechend diesen Programmen herausbilden, die den Entscheidungsprozess strukturieren, aber auch offen sind für individuelle und situativ flexible Anpassungen. Demnach sind Verfahrensweisen gewünscht, bei denen ein Entscheidungsrahmen mit entsprechenden Handlungsoptionen für jeweils spezifisch zu definierende Zwecke benannt und als Orientierungskorridor eingesetzt wird. Zweckprogrammierte Aufgabenbearbeitung impliziert somit organisationsspezifische Modellierungen von Strukturen und Handlungsmodalitäten, wodurch die Unterschiede zwischen den ASD deutlich markanter werden als z.B. zwischen den regionalen Behörden der Arbeitsverwaltung in deren Praxis der Bearbeitung von Anträgen der materiellen Grundsicherung („Hartz IV“). Diese folgt viel stärker dem Muster der Konditionalprogrammierung und ermöglicht weniger eigene Entscheidungsspielräume der einzelnen Sachbearbeiter/innen, mit der Folge, dass die Strukturen und Handlungsweisen zwischen den regionalen Behördenstellen nur wenig divergieren.

Herausbildung einer eigenen organisationalen Handlungs- und Strukturlogik: In jeder Organisation entwickelt sich im Laufe der Zeit ein bestimmter Rahmen des Verständnisses von Aufgaben und Arbeitsweisen. Der jeweils sichtbare Zustand eines ASD ist somit ein Ergebnis organisationsspezifischer Entwicklungsprozesse, bei denen nicht nur sachliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben, sondern auch individuelle und soziale Interessen und Neigungen bestimmter Akteur/innen und Akteur/innengruppen auf den unterschiedlichen Hierarchieebenen, in denen diese ihren Interessen und Sichtweisen mehr oder weniger machtvoll Geltung verschaffen konnten. Jedoch nicht nur Interessen und mehr oder weniger offene oder verdeckte Auseinandersetzungen um deren organisationale Geltung haben Dynamiken bei der Herausbildung und Veränderung von Organisationslogiken erzeugt, sondern auch solche impliziten und informellen Normen und Gewohnheiten, die unter dem Begriff „Organisationskultur“ zusammengefasst werden können (zur Bedeutung und Beeinflussbarkeit von Organisationskultur s. Merchel 2007 und Gesmann/Merchel 2021, S. 123 ff.). Die Herausbildung einer organisationsspezifischen Handlungslogik hat der Organisation und den in ihr entwickelten Handlungs- und Strukturmustern einen „Sinn“ gegeben, der von Organisationsmitgliedern in den Grundzügen akzeptiert und geteilt werden kann. Diese sinnorientierte Handlungslogik wirkt für die Organisationsmitglieder integrierend und kann maßgeblich zur Orientierung für alte und neu hinzukommende Organisationsmitglieder wirken. Sie verleiht der Organisation ein gewisses Maß an Stabilität und ermöglicht produktives Handeln. Jeder ASD hat somit eine eigene Organisationsgeschichte mit eigenen organisationsdynamischen Prozessen, die sich z.T. deutlich von anderen ASD unterscheiden. Insofern muss „jeder ASD anders sein“, weil

■unterschiedliche Personen – verstanden als selbstständige und eigensinnige „psychische Systeme“ mit einer eigenen „persönlichen Logik“ – in einem ASD aufeinanderstoßen und zusammenwirken,

■dadurch eine spezifische organisationale Dynamik der Sinnerzeugung entsteht, die zyklisch infrage gestellt wird und Veränderungsimpulsen unterliegt, und

■sich in diesen Prozessen soziale Dynamiken der Aushandlung und Verarbeitung von Interessen, Normen und Sichtweisen vollziehen.

Spezifität regionaler Umweltkonstellationen: Jeder ASD steht vor der Anforderung, die spezifischen Konstellationen in seiner Umwelt aufzunehmen und in Leistungen zu verarbeiten, Erwartungen relevanter Umweltakteur/innen wahrzunehmen und sein Handeln auf diese Erwartungen abzustimmen sowie seine Strukturen und Verfahrensweisen so auszurichten, dass ihm Legitimität zugesprochen werden kann (Drepper 2010). Ein ASD ist mit politischen und fachlichen Anforderungen und Erwartungen konfrontiert, die zum Teil eine markante örtliche Mitprägung aufweisen. Ein ASD muss seine Handlungsweisen ausrichten auf die regional spezifisch sichtbaren Lebenssituationen und Unterstützungsanforderungen von Kindern, Jugendlichen und Familien sowie auf Organisationen des Gesundheits-, des Bildungs- und des Justizsystems, mit denen der ASD zum Zwecke einer angemessenen Leistungserstellung kooperieren muss. Interorganisationale Bezüge müssen auch zwischen dem ASD und den örtlichen Jugendhilfeträgern (innerhalb und außerhalb der Erziehungshilfen) aufgebaut und am Leben erhalten werden, wobei diese interorganisationalen Bezüge durch Eigenheiten der jeweiligen Organisationen und durch langjährig gewachsene Traditionen und Routinen beeinflusst sind. All dies bedeutet für den ASD ein Sich-bewegen-müssen in einem spezifischen Set von Umweltkonstellationen, die sich von den jeweiligen Umweltkonstellationen anderer ASD unterscheiden und die in spezifischen Struktur-, Handlungs- und Reflexionsmustern eines ASD verarbeitet werden müssen.

Somit sind einerseits gute Gründe zu konstatieren für die spezifische organisationale Ausrichtung eines jeden ASD und dafür, dass sich ein örtlicher ASD in seinen strukturellen Prägungen und Handlungsweisen von anderen ASD unterscheiden muss. Wenn – ähnlich wie in der Arbeitsverwaltung – die ASD strukturell weitgehend gleich wären, hätten sie eine wesentliche Anforderung, nämlich die Orientierung an der Lebenswelt und den sozialräumlichen Konstellationen, sowie die erforderliche Flexibilität angesichts organisationaler Zustände und Dynamiken tendenziell verfehlt. Regionale Differenzen in den ASD spiegeln spezifische Handlungsbedingungen und Muster zur Bearbeitung lokal interpretierter Aufgaben und Anforderungen wider, und sie ermöglichen regional flexibles Handeln – sowohl entsprechend den jeweiligen politischen und sozialen Anforderungen als auch entsprechend den fachlichen, sozialen und persönlichen Prägungen durch die jeweiligen örtlichen Akteur/innen.

Andererseits erzeugt ein allzu starker Verweis auf die Notwendigkeit organisationaler Spezifität auch Risiken sowohl für die einzelnen ASD als auch für den ASD als einen „fachlichen Organisationstypus“. Risiken für den ASD als „fachlichen Organisationstypus“ bestehen

■in einer mangelnden Sichtbarkeit und Transparenz dessen, was den ASD als Organisation ausmacht,

■im Anschein einer oberflächlichen relativen Beliebigkeit des Handelns in den ASD, verbunden mit Legitimationseinschränkungen des ASD als Teil der Kinder- und Jugendhilfe,

■in der mangelnden Möglichkeit einer fachpolitischen Interessenvertretung des ASD gegenüber dem regionalen und überregionalen Politikbereich sowie gegenüber anderen institutionellen Feldern (u.a. Gesundheitssystem, Schulsystem; aber auch gegenüber anderen, verbandlich organisierten Handlungsfeldern innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe).

Risiken durch eine allzu starke Betonung einer organisationalen Eigenständigkeit für die einzelnen ASD sind vor allem zu sehen

■in einer sukzessiven Ablösung von den Fachdebatten mit der Folge allmählicher Legitimationsverluste,

■in einer organisationalen Starrheit durch mangelnde Sensibilität für und unzureichende Aufnahme von Irritationen, die von einer Beobachtung von Entwicklungstendenzen in der Fachszene und die in der Bewertung solcher Entwicklungstendenzen für die eigene Struktur- und Handlungsprägung ausgehen können,

■in einer mangelnden Verankerung in einer Fachszene, die mit entsprechenden Legitimationsanforderungen die organisationale Beweglichkeit eines einzelnen ASD herausfordern kann.

Der einzelne ASD kann zur Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit, seiner fachlichen Produktivität und seiner Legitimation also nicht allein auf seine organisationale Einzigartigkeit, auf seine organisationale, durch örtliche Bedingungen begründete Spezifität bauen, sondern bedarf gleichermaßen der Einbettung in ein übergreifendes Organisationsprofil des „Typus ASD“, das seine Eigenheiten in einen Gesamtkontext einordnet und innerhalb dessen sich ein ASD legitimatorisch verorten kann.

1.2Profil(rahmen) als notwendiges Struktur- und Prozesselement im ASD

In ihrem Diskussionspapier „ASD – mehr als Kinderschutz“ formuliert die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (AGJ): „Der ASD als Fachdienst vor Ort braucht ein eigenes Konzept sowie ein klares, nach innen und außen abgestimmtes und kommuniziertes Profil“ (2010, S. 6). Die Eigenschaft „klar“, mit der das AGJ-Profil in der AGJ-Vorstellung ausgestattet sein soll, markiert einen Anspruch, der angesichts der Spannungen, Widersprüche und Paradoxien des Handlungsfeldes kaum zu erfüllen ist. Denn es ist ein Merkmal im Handlungsfeld „ASD“, dass sich widersprechende, in ihren Polen jeweils zutreffende und legitime Anforderungen vom ASD erfüllt werden müssen, so u.a.: Elternorientierung – Kindorientierung im methodischen Handeln, Hilfeauftrag einerseits und Normalisierungs- und Kontrollauftrag andererseits, Verantwortungsübernahme gleichermaßen als Individuum und im Teamkontext, persönliche Fallverantwortung bei gleichzeitiger Wahrung professioneller Distanz u.a.m. (Hansbauer et al. 2020, S. 232 ff.). Ein ASD, der hier in seinem Profil „Klarheit“ und damit eine Orientierung zu jeweils einem der Pole hin anstrebte, würde die ASD-Fachkräfte fachlich fehlleiten; das Ausbalancieren der Widersprüche, das Handeln im Paradox macht gerade die Fachlichkeit im ASD aus.

Eine soziale Dienstleistungsorganisation wie der ASD hat aufgrund seines Status als „Träger der öffentlichen Jugendhilfe“ Bestandsgarantie und muss sich nicht gegen „Konkurrenten am Markt“ behaupten. Dennoch benötigt er ein Profil, um den o.g. Risiken eines permanenten Verweises auf die organisationale Spezifität der jeweiligen regionalen ASD etwas entgegensetzen zu können. Angesichts der Gefahr, dass „immer wieder die Besonderheiten der einzelnen kommunalen ASD“ [herausgestellt werden und], dass der ASD konzeptionell auseinanderdriftet“ (Gissel-Palkovich 2013, S. 213), wird die „Entwicklung eines tragfähigen ASD-Rahmenprofils“ (Gissel-Palkovich 2013, S. 215) für notwendig gehalten. Nur dadurch könne sich der ASD „seiner äußeren Grenzen und binnenstrukturellen Merkmale versichern und sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung deutlich machen, was ihn von anderen sozialen Diensten unterscheidet“ (Gissel-Palkovich 2013, S. 215). Profilgewinnung als Organisationstypus bei gleichzeitig regionalem Profil in der Verarbeitung regionaler und organisationsspezifischer Anforderungen und Entwicklungen scheint eine der zentralen künftigen Herausforderungen für den ASD darzustellen (Hansbauer et al. 2020, S. 236 f.).

„Profil“ als nach innen und außen definierter und kommunizierter konzeptioneller Rahmen erweist sich für drei Ebenen des Organisationsgeschehens als angebracht:

■Innerhalb des ASD: Mit dem Profil erfolgt eine Verständigung auf die Art der Aufgaben und auf elementare Modalitäten der Aufgabenerledigung bzw. der Leistungserbringung. Ein in der Fachdiskussion verankertes und fachlich tragfähiges sowie relativ transparentes Profil verschafft den Organisationsmitgliedern (sowohl den Leitungspersonen als auch den ASD-Fachkräften) eine Orientierung im Hinblick auf das, was die Organisation von ihnen erwartet. Es vermittelt ein elementares Selbstverständnis der Organisation und es setzt den Organisationsmitgliedern ein Signal zur Interpretation der Aufgabenbreite und zur Diskussion über Legitimität von Handlungsweisen. Ferner wird mit dem Profil eine Basis geschaffen für die Mitteilung an die Leistungsadressat/innen im Hinblick auf das, was sie vom ASD an Leistungen und Modalitäten der Leistungserbringung erwarten können.

■Im regionalen Kooperationsgefüge: Durch die Kommunikation ihres Profils verdeutlicht die Organisation gegenüber anderen relevanten Institutionen und Organisationen ihre spezifischen Zuständigkeiten und ihre Möglichkeiten, zur Bearbeitung von gemeinsamen Aufgaben bzw. Problemen und von Schnittstellen beizutragen. Mithilfe des Profils grenzt sich eine Organisation einerseits gegenüber anderen Organisationen der relevanten Umwelt ab, markiert aber andererseits auch Anknüpfungs- bzw. Ankoppelungspunkte zu anderen Organisationen der Umwelt.

■Im fachpolitischen Diskurs und zur fachpolitischen Interessenvertretung: Mit dem Profil positioniert sich eine Organisation im fachpolitischen Diskurs, indem sie konzeptionelle Entwicklungen markiert und für ihr Handeln interpretiert sowie diese Interpretationen in ein Verhältnis setzt zu anderen Konzeptionsverständnissen und zu Konzeptionen in anderen benachbarten Handlungsfeldern. Damit schafft sie – gemeinsam mit anderen Organisationen des Handlungsfeldes – eine Basis für die Artikulation und Vertretung ihrer fachpolitischen Vorstellungen und Interessen im jeweiligen politischen Raum.

Gerade für den ASD, der im Gefolge der breiten öffentlichen Diskussionen zum Kinderschutz in Gefahr gerät, primär oder fast ausschließlich mit dem Thema „Kinderschutz“ identifiziert und öffentlich wahrgenommen zu werden – und dies häufig beschränkt auf die kontrollierenden Interventionsvarianten des Kinderschutzes –, bedarf es einer offensiven Profildebatte, einer Profildefinition und einer Profilkommunikation, um die Breite seiner Aufträge und die Spezifik seiner Handlungsprogramme deutlicher sichtbar zu machen. Ferner ist eine Profildebatte erforderlich, um die regionalen und organisationalen Spezifika in den einzelnen ASD einzuordnen in einen Gesamtzusammenhang, der den Stellenwert des „Organisationstypus ASD“ stärker sichtbar macht und einen fachpolitischen Rahmen für Interessenvertretung und für professionsspezifische Fachdiskurse bietet. Das Bestreben, zu einem organisationsübergreifenden Profil zu gelangen, steht jedoch vor zwei Schwierigkeiten:

■Zum einen bedarf es der Kenntnisse zu elementaren Organisationsweisen in den ASD. Ohne solche Kenntnisse würde die Proklamation eines Profils im günstigen Fall als „fachlich idealistisch, aber die Realität nur gebrochen aufnehmend“ eingeordnet. Im ungünstigen Fall würde es als „überflüssig, weil die Realität völlig negierend“ oder als „weitentfernt vom ASD und realitätsentrückt mit dem Fernblick der Wissenschaft betrachtet“ abgelehnt. Einigermaßen verlässliche Kenntnisse zum ASD liegen jedoch, wie oben erläutert, nur sehr begrenzt vor. Es bedarf also einer Verbesserung des Kenntnisstandes, eines empirischen Vorgehens, um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den ASD besser auszuleuchten und kenntlich zu machen.

■Zum anderen bedarf es eines breiter angelegten Diskurses, um angesichts der vielfältigen Verweise auf regionale Eigenheiten solche Profilmerkmale herauszudestillieren und in die Diskussion zu bringen, die den ASD als Organisationstypus ausmachen, die den ASD nach außen deutlicher kenntlich machen und die den einzelnen ASD zur Orientierung in der internen Bewertung ihrer Strukturen und Handlungsweisen sowie von diesen als Reflexions- und ggf. Organisationsentwicklungsimpuls genutzt werden können.

Ein solcher Diskurs hat jedoch immer eine Balance zwischen der grundlegenden Autonomie von Organisationen als sozialen Systemen und der fachlichen Produktivität organisationaler Eigenheiten einerseits sowie der notwendigen Einbettung in einen von übergreifenden fachlichen, sozialen und politischen Erwartungen und Anforderungen gekennzeichneten Zusammenhang andererseits zu wahren.

Anzusteuern ist also nicht ein mit engen Merkmalen und Anforderungen versehenes Profilpapier, sondern ein Profilrahmen als ein fachlicher und fachpolitischer Vorschlag zur Profilbestimmung des ASD als Organisationstypus, und dies auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse, die genauere Auskünfte und Einschätzungen zu Strukturen und Handlungsweisen in den bundesdeutschen ASD ermöglichen. Ein solcher, vor dem Hintergrund empirischer Erkenntnisse formulierter „Profilrahmen“ bietet einen fachpolitischen Impuls zur Profilbestimmung des ASD. Bereits der Begriffsbestandteil „Rahmen“ deutet an, dass es dabei nicht um eine eng verstandene Vereinheitlichung gehen kann; jeder ASD wird sich weiterhin mit seinen jeweils spezifischen Organisationskonstellationen, mit den jeweiligen Erwartungen und Anforderungen der örtlichen Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, mit den regionalen Anforderungsrahmen der Leistungsadressat/innen und organisationalen Kooperationspartnern auseinandersetzen und dafür eigene Strukturen und Arbeitsweisen finden müssen. „Rahmen“ bedeutet, dass damit ein in der Fachdiskussion legitimierter Vorschlag mit einigen fachlichen Markierungen unterbreitet wird: Zum einen als Impuls für organisationsinterne Konzept- und Profildebatten und zum anderen als Legitimationsfolie zur Erörterung der Frage, ob und wie die Akteur/innen (Leitungspersonen und Fachkräfte) sich in den Strukturen und Verfahren eines ASD innerhalb eines fachpolitisch legitimierbaren Rahmens bewegen. Mit dem Profilrahmen wird eine fachlich legitimierte Kontur präsentiert mit dem Anspruch, dass sich ein ASD und die in ihm tätigen Fachkräfte innerhalb dieses Rahmens bewegen sollen, wenn sie nicht in die Gefahr einer Delegitimierung geraten wollen.

2Grundlagen einer Profilbildung

Profilbildung für einen Organisationstypus wie den ASD kann selbstverständlich nicht wie in einem relativ leeren, neu konstruierbaren Definitionsraum erfolgen, sondern wird immer gerahmt von einem bereits existierenden Aufgabenfeld und vor einem Hintergrund mit Mustern der Organisation und Aufgabenbearbeitung, die sich bereits in diesem Feld herausgebildet haben. Würde der Versuch einer Profilbildung bzw. Profilschärfung eines Organisationstypus solche bereits entwickelten Felder und deren Markierungen und Orientierungen nicht einbeziehen, daran anknüpfen und diese verarbeiten, wäre ein solcher Versuch nicht anschlussfähig. Er würde von den bestehenden Organisationen und den darin tätigen Leitungspersonen und Fachkräften sowie von relevanten Umweltakteur/innen nicht aufgenommen, als nicht relevant für deren Alltag wahrgenommen; er liefe ins Leere.

Anschlussfähige Profildiskurse zum ASD bedürfen somit des Bewusstmachens derjenigen Eckpunkte, die sich in der Aufgabenstellung und in den sozial artikulierten Anforderungen, in der Wahrnehmung und Interpretation dieser Anforderungen in den Organisationen sowie in den Strukturbildungen herausgebildet haben. Dies betrifft auch die fachlichen Verfahrensweisen, in denen die Organisationen und die in ihnen tätigen Akteur/innen die Anforderungen zu bearbeiten und die Leistungen zu erstellen beabsichtigen.

Im „Handbuch ASD“ (Merchel 2019f) ist der ASD als Organisationstypus – trotz der regionalen Unterschiede und trotz der verschiedenen Begriffe, mit denen dieser Dienst örtlich belegt sein mag – folgendermaßen definitorisch gerahmt:

„Der ASD ist ein bezirklich organisierter Dienst innerhalb der Kommunalverwaltung, der als eine erste Anlaufstelle bei schwierigen Lebenssituationen von Bürgern einen Hilfebedarf analysiert und den Betroffenen einen zielgerichteten Zugang zu sozialen Hilfen verschafft. In seinem Aufgabenschwerpunkt der Kinder- und Jugendhilfe nimmt der ASD die dem staatlichen Wächteramt entsprechenden Aufgaben der Kontrolle/des Eingriffs und der Unterstützung zur Abwendung einer Gefährdung des Wohls von Kindern/Jugendlichen wahr. Seine Aufgaben bestehen vor allem in der einzelfallbezogenen Steuerung von Hilfen, die ergänzt werden von Aktivitäten, die eine angemessene Infrastruktur von Hilfemöglichkeiten bewirken sollen.“ (Merchel, 2019f, S. 4)

Mit dem Begriff „ASD“ wird ein in der Kommunalverwaltung, also beim Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe organisational verankerter Dienst charakterisiert, der seine Aufgaben primär im Einzelfallbezug bearbeitet, dabei jedoch gleichermaßen sozialräumliche Rahmenbedingungen und die Infrastruktur der Hilfen in den Blick nimmt und zu beeinflussen versucht. Dabei ist seine an der Dienstleistung und an der Zugangseröffnung für Hilfen orientierte Funktion spannungsreich verbunden mit der Wahrnehmung einer staatlichen Wächterfunktion, der Gewährleistung eines basalen Wohls von Kindern und Jugendlichen, was nicht nur mit Interaktionen vom Typus „Dienstleistung“ einhergeht, sondern bisweilen notwendigerweise mit kontrollierenden Interventionen verkoppelt ist. Die Spannung zwischen dienstleistungsorientierten, Hilfe eröffnenden Interaktionen einerseits und kontrollierenden Interventionen andererseits ist nicht zu einer Seite hin aufzulösen, sondern bedarf, um wirksam zu werden für Hilfen und für kindeswohlfördernde Effekte, der Verknüpfung, bei der beide Seiten der Spannung präsent bleiben und zueinander ausgestaltet werden. Sie stehen nicht nur additiv in Ergänzung, sondern werden in einer Weise ausbalanciert und miteinander verwoben, dass sie als spannungsreiche, aber einheitliche Interventionen erlebt und in dieser Spannung produktiv wirksam werden können. Darin besteht eine zentrale strukturell bedingte Paradoxie in der Aufgabenstellung des ASD, die von weiteren spannungsreichen Paradoxien in der Leistungserstellung begleitet wird. Insbesondere, aber nicht nur die Bewältigung dieser Paradoxien macht die Komplexität der Anforderungen aus, die die Arbeit für die Mitarbeiter/innen im ASD als so anspruchsvoll und z.T. belastend erleben lässt. Der ASD ist vielmehr ein kommunaler sozialer Dienst,

■in dem zwar auch Leistungen erbracht werden (Beratung von Kindern, Jugendlichen und Eltern; Beratung in Fällen von Trennung und Scheidung etc.),

■in dessen Mittelpunkt aber die Klärung und Konkretisierung von Leistungsansprüchen (insbesondere auf Hilfen zur Erziehung, Hilfen für junge Volljährige und Hilfen für seelisch behinderte oder von seelischer Behinderung bedrohte Kinder und Jugendliche; sowie künftig Hilfen für junge Menschen mit Behinderungen) und die Vermittlung in konkrete Leistungen steht,

■Leistungen begleitet und ausgewertet werden, die im Rahmen der Erziehungshilfen in Einrichtungen erbracht werden und

■dessen Mitarbeiter/innen insbesondere dadurch vor komplexen Anforderungen stehen, dass bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit einem strukturell bedingten Bündel an Paradoxien konfrontiert sind, in denen sie sich bewegen und ihr Handeln balancierend ausgestalten müssen.

Vor dem Hintergrund dieser Definition dessen, was den Kern in der Aufgabenstruktur des ASD ausmacht, sind bei dem Versuch, ein Profil des ASD zu markieren, Eckpunkte rechtlicher, fachlicher und organisationaler Art einzubeziehen, die sich als konstituierende Merkmale der ASD herausgebildet haben (zum Folgenden s. insbesondere die Beiträge in Merchel 2019f; Hansbauer et al. 2020, S. 136 ff.):

■Eckpunkte rechtlicher Art: Definition der Aufgaben, zu denen der ASD eine spezifische Leistungsfähigkeit herausbilden muss, und eines formalen Verfahrensrahmens, innerhalb dessen sich der ASD bei der Bewältigung der Aufgaben bewegen muss;

■Eckpunkte fachlicher Art: Interpretationsweisen zum fachlichen Verständnis der Aufgaben und Modalitäten, in denen die Aufgaben entsprechend dem Stand der fachlichen Kenntnisse und unter Einbeziehung relevanten wissenschaftlichen Wissens in reflektiertem und fachlich legitimierbarem Handeln bearbeitet werden;

■Eckpunkte organisationaler Art: Regeln, deren Anwendung und Überprüfung, mit deren Hilfe das Zustandekommen fachlich und rechtlich angemessener Aufgaben nicht vorwiegend der Zufälligkeit des Vorhandenseins persönlicher und beruflicher Qualifikationen und Kompetenzen der Mitarbeiter/innen überlassen wird, sondern mit deren Hilfe die Organisation eine fachliche und verfahrensmäßige Verlässlichkeit und Qualität der Leistungserbringung wahrscheinlicher macht.

2.1Eckpunkte rechtlicher Art

Es ist Aufgabe des ASD zu klären, ob eine spezifische Ausgangssituation im Lebensfeld eines Kindes oder Jugendlichen den Einsatz einer Hilfe zur Erziehung oder eine andere Unterstützung erforderlich macht oder ob andere Hilfen im Vorfeld der Erziehungshilfen ausreichen (§27 SGB VIII). Wenn im Grundsatz eine Hilfe zur Erziehung als für die Entwicklung eines jungen Menschen „geeignet und notwendig“ (§27 Abs. 1 SGB VIII) angesehen wird und damit ein Rechtsanspruch der Personensorgeberechtigten oder – bei Hilfen für seelisch behinderte oder von seelischer Behinderung bedrohte junge Menschen oder bei jungen Volljährigen (und künftig: bei jungen Menschen mit Behinderungen) – ein grundlegender Rechtsanspruch des jungen Menschen selbst auf eine Hilfe konstituiert ist, soll über eine strukturierte Hilfeplanung (§36 SGB VIII) der Rechtsanspruch konkretisiert werden, was dann in einen „Hilfeplan“ als Dokumentation der Ergebnisse des Hilfeplanungsprozesses und als Grundlage für die administrative Entscheidung über eine Hilfe (bzw. den formalen Hilfeantrag) einmündet.

Für die Ausgestaltung der Hilfeplanung hat der Gesetzgeber in §36 SGB VIII dem ASD drei zentrale Verfahrensanforderungen auferlegt:

1.Die Entscheidung über eine im Einzelfall geeignete und notwendige Hilfe soll im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgen, um der Komplexität der Problemsituationen in den Einzelfällen fachlich gerecht werden zu können und um ein Korrektiv zu erhalten gegenüber den notwendigerweise begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten und Wertepräferenzen der einzelnen fallzuständigen Fachkraft.

2.Die jungen Menschen und die Personensorgeberechtigen sind in die Prozesse der Hilfeplanung einzubeziehen – aus zwei Gründen: zum einen, weil die Hilfe Auswirkungen auf die Lebenswelt und den Lebensalltag der verschiedenen Beteiligten hat und daher die personale Autonomie der Beteiligten beachtet werden muss, und zum anderen, um die Optionen für ein Gelingen der Hilfe zu erhöhen. Jegliche Hilfe zur Erziehung kann nur koproduktiv erfolgen: Sie ist nur dann Erfolg versprechend, wenn die Adressat/innen sich der Hilfe nicht verweigern, sondern sie aktiv mitgestalten.

3.Die Hilfeplanung ist kein einmaliger Akt (Erstellung eines „Hilfeplans“), sondern sie ist als kontinuierlicher Prozess zu gestalten. Sozialpädagogische Entscheidungen sind nie mit einer letztlichen Gewissheit verbunden. Sie fußen auch als Prognose-Entscheidungen bei großer fachlicher Sorgfalt immer auf Hypothesen, deren Zutreffen kontinuierlich zu beobachten und zyklisch zu überprüfen ist. Ferner gehört es zu den Charakteristika von prozesshaften Abläufen, dass sich Ziele und Zeitbezüge zu bestimmten Zeitpunkten eines Hilfeprozesses verändern und einer Revision unterzogen werden müssen.

Neben und bisweilen verknüpft mit den Entscheidungen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung nimmt der ASD Aufgaben des staatlichen Wächteramtes zur Abwendung von Kindeswohlgefährdungen wahr. Im ASD müssen Hinweise auf vermutete oder möglicherweise bereits eingetretene Gefährdungen des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bewertet werden, und ggf. müssen differenzierte Gefährdungseinschätzungen stattfinden. Zur Gewährleistung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen sollen den Personensorgeberechtigten geeignete Hilfen angeboten werden Sind die Personensorgeberechtigten nicht bereit oder nicht in der Lage, an der Gefährdungseinschätzung mitzuwirken oder durch die Mitwirkung bei den Hilfen eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden, muss der ASD das Familiengericht anrufen und dabei mitwirken, Entscheidungen des Familiengerichts zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung herbeizuführen (§8a SGB VIII). Ferner muss der ASD notwendige Maßnahmen zum vorläufigen Schutz von jungen Menschen im Rahmen der Inobhutnahme (§§42 und 42a SGB VIII) sicherstellen und im Zeitraum der Inobhutnahme die Lebens- und Erziehungsperspektiven für einen jungen Menschen im Anschluss an die Inobhutnahme klären.

Damit übernimmt der ASD hoheitliche Aufgaben, wobei auch bei der Wahrnehmung solcher hoheitlichen Aufgaben darauf zu achten ist, die Interaktionen mit den Leistungsadressat/innen so zu gestalten, dass die Bedingungen für eine koproduktive Hilfegestaltung im weiteren Prozess gefördert und erweitert werden. Kontrolle und Hilfe sind entsprechend dem Sinngehalt der Regelungen im SGB VIII für die ASD-Arbeit nicht als gegensätzliche Interventionsformen zu verstehen, sondern sie müssen als zwar in Spannung zueinander stehende, jedoch miteinander verwobene Handlungsprinzipien verarbeitet werden.

Im ASD müssen somit Entscheidungen zur Angemessenheit von Hilfen zur Erziehung und ggf. damit verwobener kontrollierender Interventionen getroffen werden, die gleichermaßen fachlich legitimiert sowie rechtlich und administrativ tragfähig, transparent und überprüfbar sind. In einem rechtsstaatlichen Verfahren werden Rechtsansprüche konstituiert, bei dem fachlich und verfahrensmäßig sowohl die Anforderungen des SGB VIII als auch die Anforderungen des Sozialverwaltungsverfahrensrechts das Verfahren und die Entscheidungen leiten (Waschull 2019).

2.2Eckpunkte fachlicher Art

Die Aufgaben, die dem ASD bei der Konzipierung der im Einzelfall geeigneten und notwendigen Hilfen zugeordnet werden, sind in hohem Maße komplex, weil

■sie immer individuell auf die spezifische Lebenssituation und auf die spezifischen psychisch-sozialen Konstellationen der Beteiligten ausgerichtet sein müssen und die Aufgabenbearbeitung lediglich in einem äußeren Rahmen mit Bearbeitungsroutinen belegt werden können.

■sie mit Unsicherheiten verbunden sind in der Interpretation von Ausgangssituationen, in der Konzipierung von in der Lebenssituation realisierbaren und mit spezifischen Wirkungsoptionen verbundenen Hilfen, in der vermuteten Bereitschaft und Fähigkeit zur Koproduktion der Leistungsadressat/innen.

■sich im Verlauf der Hilfe Prozesse und Lebensbedingungen verändern, aufgrund derer ursprünglich als plausibel angenommene Annahmen nicht mehr greifen, der Hilfeverlauf kontinuierlich beobachtet und bewertet werden muss sowie dementsprechend der Dynamik des Hilfeverlaufs durch flexible Entscheidungen und Handlungsweisen Rechnung getragen werden muss.

Kurz: Die einzelfallbezogenen Aufgaben sind deswegen komplex, weil der ASD es mit lebendigen Menschen, mit deren dynamischen Entwicklungen und mit deren sozialen Lebenskonstellationen zu tun hat.

Der ASD kann mit dieser Komplexität nur dann produktiv umgehen, wenn die Fachkräfte die strukturell gegebene Unsicherheit und die damit verbundene Notwendigkeit, methodisch tragfähige und fachlich plausible Hypothesen zur Ausgangssituation, zur Situation der Leistungsadressat/innen und zur Wahrscheinlichkeit der Wirkung von Hilfe-Arrangements zu entwickeln und diesen Hypothesencharakter bewusst zu halten, als zentralen Teil ihrer Professionalität aufnehmen. Dies impliziert ein Verständnis von reflexiver Professionalität und einen praktischen Umgang mit Reflexivität

■in Form von Herbeiführung von intersubjektiv nachvollziehbaren und fachlich begründeten Entscheidungen,

■im Bewusstsein des Hypothesencharakters der den Entscheidungen zugrunde liegenden Annahmen,

■in der Bereitschaft zur kollegialen Beratung und Erörterung von Interpretationen und Hypothesen sowie zur kollegialen Abwägung der Erfolgswahrscheinlichkeit und der möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen unterschiedlicher Hilfen und Hilfe-Arrangements.

Der ASD kann nur dann wirkungsvolle Hilfen erbringen oder jungen Menschen und Eltern(teilen) wirkungsvolle Hilfemöglichkeiten erschließen, wenn die Hilfen individuell und flexibel auf die Lebenssituation der jeweiligen Leistungsadressat/innen ausgerichtet sind und wenn die Hilfen von den Leistungsadressat/innen nicht nur akzeptiert werden, sondern diese bereit und in der Lage sind, an der Ausgestaltung der Hilfe aktiv mitzuwirken. Denn die Leistungsadressat/innen sind nicht primär als „Hilfe-Empfänger/innen“ anzusprechen, sondern sie müssen als „Ko-Produzent/innen“ der Hilfe wahrgenommen werden, bzw. deren Bereitschaft zur „Koproduktion“ muss geweckt und gefördert werden. Ohne ein aktives Bemühen um Beteiligung und Mitwirkung der verschiedenen Beteiligten (Leistungsadressat/innen und deren Beziehungsumfeld) wird keine Koproduktion und damit keine Hilfe mit der Option beabsichtigter Wirkungen erreichbar sein.

Der ASD bearbeitet und bewältigt seine Aufgaben in einem komplexen, mit Spannungen und widersprüchlichen Anforderungen (Paradoxien) durchzogenen Handlungsfeld. Ein zentrales strukturelles Spannungsfeld liegt in der Aufgabenbreite von hoheitlichen Aufgaben des „Kinderschutzes“ mit seinen kontrollierend-intervenierenden Elementen einerseits und den Aufgaben der Förderung und Unterstützung von jungen Menschen und Eltern mit seinen pädagogisch-kooperativen Interventionsformen andererseits. Dabei besteht die Anforderung, diese beiden spannungsvollen Aufgabenelemente miteinander so zu verknüpfen, dass auch bei kontrollierend-intervenierenden Interaktionen die Option der pädagogischen-kooperativen Unterstützung aufrechterhalten bleibt und gefördert wird. Widersprüchlichkeiten in den Anforderungen an die ASD-Fachkräfte bestehen insbesondere darin,

■dass gleichzeitig angenommene und Koproduktivität herausfordernde Hilfen gestaltet und Interaktionen mit Schutz- und Eingriffscharakter realisiert werden;

■dass gleichermaßen Rechtsansprüche auf Hilfe beachtet und eingelöst werden sowie den Grenzen durch knappe Ressourcen Rechnung getragen wird;

■dass die ASD-Mitarbeiter/innen persönliche Fallverantwortung wahrnehmen und als (ethische) Haltung herausbilden sowie gleichermaßen in professioneller Distanz und in einer fallkoordinierenden Funktion arbeiten;

■dass die ASD-Mitarbeiter/innen ihre Aufgaben in einem auf die Leistungsadressat/innen ausgerichteten advokatorischen Selbstverständnis erfüllen, während sie gleichzeitig zum einen nicht allzu sehr stellvertretend und daher entmündigend handeln dürfen und zum anderen ihren Leistungsadressat/innen auch restringierend und kontrollierend gegenübertreten müssen.

Zur Herausforderung und möglicherweise zur Belastung der Fachkräfte werden solche und weitere Widersprüche und Spannungen dadurch, dass sie permanent gefordert sind, sich in ihrem praktischen Handeln und in ihren professionellen Reflexionen nicht zu einer Seite dieser Paradoxien hin zu bewegen, sondern jeweils situativ tragfähige Balancen zu finden sowie zu beobachten, ob und wie sich die Annahmen zur situativen Tragfähigkeit der gefundenen Balancen bewähren und ggf. daraus Schlussfolgerungen zu einer veränderten Balancefindung zu ziehen.

Die Bedingungen des Sozialraums sind ein bedeutsamer Teil des Lebensfeldes der Leistungsadressat/innen und müssen daher sowohl im Fallverstehen als auch bei der Erörterung von möglicherweise wirkungsvollen Hilfen berücksichtigt werden. Mögliche Hilfepotenziale im Sozialraum sollten für die Hilfen im Einzelfall genutzt und zielgerichtet weiterentwickelt werden. Dazu muss der ASD die Bedingungen in den Sozialräumen, in denen er tätig ist, analysieren und diese in seiner Arbeit beachten und mitzugestalten versuchen.

2.3Eckpunkte organisationaler Art

Damit Aufgabeninterpretationen und Handlungsweisen zur Leistungserstellung nicht vorwiegend den Zufälligkeiten personenbezogener Kompetenz einzelner Fachkräfte ausgesetzt werden, muss die Organisation ASD ein grundlegendes Maß an relativer Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Transparenz und Kontinuität in der Leistungserfüllung gewährleisten. Dies erfolgt

■zum einen durch Regelungen, festgelegte Verfahrensabläufe („Standards“), Dienstanweisungen etc., wodurch die Organisation in der Art ihrer Aufgabenerledigung Kontur erhält und den Fachkräften eine Orientierung gibt im Hinblick auf Anforderungen und gewünschte Fachlichkeit in der Arbeit,

■zum anderen durch das Ermöglichen von Flexibilität und Individualität im Vorgehen, bei der Handhabung von Verfahren und bei Entscheidungen zu Hilfekonstellationen, um spezifischen individuellen und sozialen Konstellationen der Kinder, Jugendlichen und Eltern(teile) sowie situativen Anforderungen gerecht werden zu können.

Für die Reflexion zur Anwendung und zum partiellen Abweichen von Regelungen sowie für die Reflexion einer situativen und flexiblen Handhabung von administrativen und fachlichen Regelungen müssen in der Organisation verlässliche zeitliche und soziale Orte verankert werden. Damit werden die Handlungsweisen, die eine erhebliche Bedeutung für das Leben und das Wohlergehen des jeweiligen jungen Menschen und seines familiären und sozialen Umfelds haben, an transparente fachliche Begründungen und gemeinsame, potentiell Mehrperspektivität eröffnende Reflexionen rückgebunden.