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Projekt Lalo ist ein Kriminalroman, dessen Handlung im Sommer 1995 in Hamburg spielt. Susanne und Brita, beide Mitte 30, treten eine neue Stelle als Sozialarbeiterinnen in der Agentur für Arbeit an. Zusammen mit einem Schuldnerberater sollen sie Langzeitarbeitslose beraten mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme. Susanne ist Muslimin, sie ist auf einem islamischen mystischen Weg als Derwisch, hält sich jedoch für eine selbstbewusste westliche Frau. Die Suche nach Liebe ist schwierig für sie: Es sollte ein Moslem sein, der sie als emanzipierte Frau akzeptiert. Zum Entsetzen aller wird Dietmar Funke, der Schuldnerberater des Projekts an seinem Arbeitsplatz erstochen. Nach und nach wird dessen Leben und Persönlichkeit enthüllt, woraus sich mögliche Motive für die Tötung ergeben. Susanne und Brita beobachten die Suche nach dem Täter, während sich aus ihrer Arbeit mit den Lalos ebenfalls einige Hinweise ergeben. Zwangslagen der Lalos, ihre Kämpfe gegen den sozialen Abstieg, ihre Widersprüche und deren Lösungsansätze finden in diesem Roman Ausdruck. Am Ende geraten Susanne und Brita selbst in Gefahr, als der Täter herausfindet, dass sie ihm auf die Schliche gekommen sind.
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Seitenzahl: 264
Veröffentlichungsjahr: 2023
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1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
Übersetzungen der plattdeutschen Texte
Mien Jehann – Mein Johann
An de Eck steiht ’n Jung mit’n Tüdelband – An der Ecke steht ein Junge mit einem Trudelreifen
Danke
1995
»Solch einen merkwürdigen ersten Arbeitstag habe ich noch nicht erlebt!«, sagte Brita. »Was ist hier bloß los? Keiner in der Agentur für Arbeit spricht mit uns. Unser Beratungszimmer im Amt ist gesperrt! Warum? Allgemeines Schweigen! Nun sitzen wir hier, drei Straßen weiter in einer kahlen Wohnung.«
Sie zog ihren hellblauen Sommermantel aus und legte ihn über einen der beiden Schreibtischstühle.
»Nicht mal ein Garderobenhaken, nur zwei Schreibtische mit Computern, die nicht ans Internet angeschlossen sind. Wir sollten doch eigentlich im Amt direkt arbeiten, damit die Langzeitarbeitslosen einen kurzen Weg haben, um zu unserer Beratung zu kommen.«
Susanne ging zum Fenster. »Immerhin sieht man ein paar Kastanienbäume. Ach Brita, es hat doch auch Vorteile, dass wir weit ab sind vom Schuss! Niemand sieht, wann wir kommen und gehen. Die Lalos finden uns hier schon auch, sie bekommen ja unsere Adresse von ihren Arbeitsvermittlern. Ich mache gleich mal einen Zettel ans Klingelschild mit ›Beratung‹ darauf. Zum Glück habe ich einen kleinen Schraubenzieher an meinem Taschenmesser. Bis gleich.«
Sie ging auf die Straße und dachte über ihre Kollegin Brita nach. Zwar arbeiteten sie für denselben Bildungsträger, waren sich aber vorher noch nie begegnet.
Zum Glück war Brita sympathisch.
Zwei Frauen gingen auf dem Fußweg an ihr vorüber. »Im Arbeitsamt soll etwas passiert sein«, sagte die eine. »Hoffentlich hat nicht wieder ein Arbeitsloser einen Angestellten verprügelt wie neulich.«
»Das wäre mir völlig egal!«
Susanne seufzte. Sie hoffte, dass ihr verbale oder gar körperliche Gewalt von ihren Klienten erspart blieb,
Sie und ihre Kollegin waren als Sozialarbeiterinnen nicht direkt beim Amt angestellt, sondern wurden vom Europäischen Sozialfond bezahlt. Der förderte soziale Projekte, u. a. diese zusätzliche Beratungsstelle für Langzeitarbeitslose. Ihr eigentlicher Arbeitgeber war der Bildungsträger.
Susanne stieg wieder die Treppe hinauf in den 1. Stock.
»Das Telefon geht nicht«, berichtete Brita.
»Ich bin gespannt, wo unser Kollege sitzt, der Schuldnerberater. Er soll ja schon vor einer Woche angefangen haben.«
»Das wird sich alles finden.«
»Warum unser Chef wohl gesagt hat, unser neuer Wirkungsbereich sei eine Art Himmelfahrtskommando? Er wirkte recht nervös, als er sich verabschiedete«, meinte Susanne.
»Vielleicht befürchtet er, dass wir hier scheitern und es auf ihn zurückfällt?« Brita zuckte die Schultern.
Susanne setzte sich an ihren neuen Schreibtisch und schaute sich in dem großen Raum um.
»Es riecht ein bisschen nach Amtsschimmel, Frischluft könnte nicht schaden.« Brita ging zum Fenster und öffnete es. »Tatütata. Was ist dir lieber, Straßenlärm oder Mief?«
Susanne schaute aus dem Fenster.
»Wenigstens sind ein paar Bäume zu sehen.« Sie vermutete: »Unser Chef macht sich wohl Sorgen, weil wir hier nicht Fisch und nicht Fleisch sind. Wir haben keine Befugnisse, sollen aber erfolgreich Langzeitarbeitslose in Arbeit vermitteln. Verwirrend, dass wir im Amt sind, aber nicht vom Amt.«
Ihre Kollegin am gegenüberliegenden Schreibtisch lächelte.
»Lalos werden die hier genannt, so sieht amtlicher Humor aus. Ich bin gespannt, wen die Arbeitsvermittler wohl für uns einladen.«
»Die hoffnungsvollen Fälle eben.«
»Bzw. die hoffnungslosen! Die Arbeitsvermittler sind vom Fach, wenn die bei der Vermittlung scheitern, was sollen wir da noch machen?«
Der zuständige Abteilungsleiter im Arbeitsamt mit dem leicht zu merkenden Namen Tollkühn hatte ihnen vor einigen Tagen am Telefon erklärt, dass in diesem Jahr zusätzliche Anstrengungen unternommen werden sollten im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit.
»Hoffentlich erwartet man nicht von uns, gegen die Langzeitarbeitslosen selbst zu kämpfen.«
»Nicht mit mir! Dafür habe ich zu viel Verständnis für die Lalos. Wer kann sich nicht vorstellen, dass man nach jahrelanger Arbeitslosigkeit die Hoffnung auf eine neue Arbeitsstelle verloren hat? Und wir wissen doch, dass die Arbeitslosenquote seit zwei Jahren über 10% ist.«
Als Sozialpädagoginnen sollten sie nun die Arbeitsvermittler unterstützen, die für so viele Arbeitslose zuständig waren, dass sie nicht genügend Zeit hatten für die mit erhöhtem Betreuungsbedarf. So hieß es im Amtsdeutsch.
»Also, auf in den Betreuungskampf!«, rief Brita.
»Spannend ist die Aufgabe jedenfalls! In meinem Altermit Mitte 30 nochmal ein berufliches Abenteuer! Ich bin bereit!« Susanne streckte eine Faust in die Luft.
Sie hoffte, dass Brita ihr diese Demonstration der Stärke abnahm. In Wirklichkeit hatte sie Angst vor diesem 1. Arbeitstag gehabt, wie sie sich überhaupt vor den meisten Tagen fürchtete. Sie wäre gern zuversichtlich und souverän, aber sie war es nicht.
Brita schloss das Fenster.
Susanne betrachtete ihre neue Kollegin. Sie war schlank, was Susanne mit leisem Neid registrierte. Ihr Kampf gegen die eigenen fünf Kilo Übergewicht war in eine Ruhephase getreten.
Brita trug ihre hellblonden Haare kurzgeschnitten, die blauen Augen schauten sich wachsam im Raum um.
»Hast du gehört, wie unser Chef leise zu sich selbst sagte: ›Frau Schlieker geblümt, Frau Betz gestreift‹, was sich auf deine Bluse bzw. mein T-Shirt bezog? Wir sehen uns wohl so ähnlich, das man uns verwechseln könnte.«
»Wenn man nicht genau hinschaut! Mein Blond ist viel dunkler, die Haare kinnkurz, meine Augen braun. Das sind natürlich nur Äußerlichkeiten, wie es wohl innen aussieht?«
»Hauptsache, wir verstehen uns gut«, sagte Brita.
»An mir soll’s nicht liegen! Ich bin bisher mit meinen Kolleginnen und Kollegen gut zurechtgekommen. Probleme hatte ich höchstens mal mit einem Chef.«
»Mit mir kann man auch gut auskommen, finde ich.«
Der Nachmittag verging damit, dass sie sich über ihre Erfahrungen in ihrer bisherigen sozialpädagogischen Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen und Erwachsenen unterhielten.
»Einen Tag bevor ich meinen Job in einem Projekt antrat, las ich im Hamburger Abendblatt über einen Jugendlichen, der in einem gestohlenen Auto erwischt wurde, ohne Führerschein und betrunken«, berichtete Susanne. »Genau den lernte ich dann kennen, und die anderen Jungerwachsenen waren ähnliche Kaliber. Einer hob mal einen Stuhl hoch und drohte, meinem Kopf zu zerschmettern. Man hatte uns verschwiegen, dass er unter einen schweren Psychose litt.«
»In der Sozialarbeit kann eben alles mögliche passieren! Für mich waren die Einsätze in den neuen Bundesländern, dem sogenannten wilden Osten, richtig spannend. Der ehemalige reale Sozialismus hautnah!«
»In Zwickau und Cottbus habe ich auch für verschiedene Bildungsträger Bewerbungstrainings gemacht. Wahnsinnig interessant und wahnsinnig anstrengend!«
»Schauen wir mal, welcher Wahnsinn uns hier erwartet!«
Die Türklingel schrillte.
Susanne ging zur Gegensprechanlage, drückte auf den Öffner und ließ einen kleinen dunkelhaariger Mann mit leichtem Untergewicht herein.
»Wissen Sie was, ich rege mich über gar nichts mehr auf!«, sagte er. »Mein Arbeitsvermittler hat mich zu Ihnen geschickt, aber warum? Ich hatte noch nie Arbeit, soll ich etwa in meinem Alter damit anfangen?«
»Ich bin Frau Schlieker, wie ist denn Ihr Name?« fragte Susanne.
»Georg Weber, 42 Jahre alt.«
»Willkommen in der Beratungsstelle, Herr Weber«, sagte Brita. »Wir nehmen am besten an meinem Schreibtisch Platz!«
»Wo soll ich denn sitzen?«
Susanne sagte: »Ich gebe Ihnen meinen Stuhl und setze mich auf die Fensterbank. Leider können wir Ihnen keinen Kaffee anbieten, Sie sind unser erster Gast überhaupt.«
»Wenigstens musste ich nicht warten, wie sonst immer im Arbeitsamt.«
Als sie saßen, fragte Brita: »In welchem Beruf würden Sie denn gern arbeiten? Haben Sie eine Ausbildung?«
»Ach, wissen Sie was, mein Arzt sagt, meine Gesundheit ist nicht die beste.«
»Sie sehen doch ziemlich stark aus, Herr Weber!«, meinte Susanne.
»Ich habe mal in einer Tankstelle als Aushilfe angefangen, nach zwei Tagen wurde ich krank«, berichtete er.
»Was fehlte Ihnen denn?«
»Das fällt unter das Arztgeheimnis.«
»Und als Sie sich wieder erholt hatten?«, frage Brita.
»Da war schon jemand anders eingestellt.«
»Eine Enttäuschung für Sie?«
»Nee.«
»Und wo haben Sie sich danach beworben?«
»Dr. Müller sagt, mein Blutdruck ist nicht der beste.«
»Meiner auch nicht.« Susanne lächelte ihn freundlich an.
»Wissen Sie was, ich komme in ein paar Tagen wieder. Inzwischen frage ich mal herum, ob irgendwo etwas frei ist.«
»Gut. Und dann schreiben Sie Ihre Bewerbungen«, sagte Susanne erfreut. »Wissen Sie, wie man das macht?«
»Ich habe keine Schreibmaschine.«
»Ihre Bewerbungen können wir hier mit Ihnen zusammen am Computer erstellen«, beruhigte Brita ihn. »Haben Sie schon die Stellenanzeigen in der Zeitung gelesen?«
»Ich kann mir keine Zeitung leisten.«
»Im Wochenblatt? Das wird doch kostenlos verteilt.«
»Das schmeiß ich immer weg.«
»Hat Ihr Vermittler nichts in seinem Computer für Sie gefunden?«
»Er sagt, ich bin schwer vermittelbar.«
»Es ist vielleicht schwierig für Sie, Arbeit zu finden, aber nicht unmöglich!«, behauptete Susanne. »Kommen Sie doch bitte übermorgen wieder zu uns!«
»Da muss ich zum Arzt.«
»Dann über-übermorgen.«
»Wenn der Arzt sagt, mein Blutdruck ist einigermaßen in Ordnung, komme ich. Und jetzt muss ich los.«
Er stand auf und ging zur Tür. »Oder wollen Sie mich zwingen, noch hier zu bleiben?«
»Weder wollen wir Sie zwingen, noch können wir es«, beruhigte Susanne.
»Was ist denn eigentlich drüben im Amt los? Was will die Polizei da?«, fragte er im Gehen.
»Wir wissen es nicht.«
»Tja, und sowas nennt sich Beratung! ›Nix wissen‹ sollten Sie lieber auf Ihr Namensschild schreiben!«
»Diese Bemerkung finde ich ziemlich frech«, meinte Susanne.
»Tschüs.«
»Auf Wiedersehen.«
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte Susanne: »Unser erster Erfolg!«
Brita lachte. »Da bin ich nicht so sicher! Aber jetzt ist erstmal Mittagspause. Kommst du mit, etwas Essbares finden? Ich hätte Appetit auf eine Suppe.«
»Ach, ich bleibe lieber hier. Mein Butterbrot wird wohl reichen bis zum Feierabend. Aber ein andermal gerne! Vielleicht haben wir später noch Zeit zum Fachsimpeln,«
»Gut. Dann bis später.«
Nachdem Brita den Raum verlassen hatte, aß Susanne ihr Vollkornbrot mit Kräuterquark.
Ihre neue Kollegin hatte etwas Unbeschwertes, fand sie, und sie traute ihr zu, auch in schwierigen Situationen die Nerven zu behalten.
Nach dem Essen führte sie im Nebenraum die rituelle Waschung vor dem Gebet durch, nahm ein Kopftuch aus der Tasche und band es um. Ihr Kompass zeigte ihr die Richtung Mekka an.
Sie legte ein mitgebrachtes Handtuch entsprechend auf den Teppichboden und begann ihr Mittagsgebet.
Das Gebet sprachen alle Muslime auf der Erde auf Arabisch, eine Sprache, die sie nicht verstand. Aber Susanne kannte die deutsche Bedeutung:
»Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen.
Aller Preis gehört Gott, dem Herrn der Welten,
Dem Gnädigen, dem Barmherzigen,
Dem Meister des Gerichtstages.
Dir allein dienen wir, und zu Dir allein flehen wir um Hilfe.
Führe uns auf dem geraden Weg,
Den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, die nicht
Dein Missfallen erregt haben und die nicht irregegangen sind.«
So begann es.
Als sie fast fertig war mit den vier Gebetsteilen und der anschließenden Meditation, hörte sie einen Schlüssel in der Wohnungstür.
Brita blieb entgeistert stehen.
»Was machst du da?«, rief sie.
»Beten und meditieren«, murmelte Susanne. »Ich bin gleich fertig.«
Sie flüsterte noch ein letztes Mal das arabische Mantra, nahm ihr Kopftuch ab und legte das Handtuch zusammen.
»Seit 12 Jahren bin ich Muslimin und fühle mich am wohlsten, wenn ich täglich die fünf Ritualgebete beten kann«, erklärte sie. »Du staunst wohl?«
»Das ist gar kein Ausdruck!«
»Ich habe nicht damit gerechnet, dass du so schnell wieder da bist.«
»Wenn nun der Hausmeister hereingeplatzt wäre! Oder jemand anders vom Amt, der einen Schlüssel für unsere Tür hat! Du weißt doch, in welchem Ruf Muslime stehen: radikal und gefährlich!«
»Stimmt, nächstes Mal, wenn ich allein hier bin und bete, stecke ich den Schlüssel von innen ins Schloss. Ich kann ja nicht so schnell beweisen, dass ich einen friedlichen Islam vertrete.«
Brita schwieg.
»Bist du mit einem Moslem verheiratet?«, fragte sie nach einer Weile.
»Nein. Ich habe sowieso nur wenige Kontakte zu Muslimen und Musliminnen, die finden nämlich, ich als alleinstehende Frau gehöre nicht zu ihnen. Einer hat mal zu mir gesagt, für mich gibt es keinen Stuhl.«
»Er meinte wohl, keine Schublade!«, sagte Brita empört.
»Da hat er sogar recht: eine deutsche Muslimin, Single, ohne Kopftuch ist nicht gerade Mainstream Islam. Aber: Allahu akbar! Gott ist größer, bedeutet das.«
»Schreien das nicht immer die radikalen Gotteskrieger, wenn sie sich mit ihren Waffen ins Kampfgetümmel stürzen?«
»Das sind in meinen Augen keine guten Muslime, wenn sie Angriffskriege führen.«
»Fastest du etwa auch im Ramadan?«, fragte Brita.
»Ja, aber ich praktizieren Islam light, wie ich es nenne.«
»So wie Coca Cola light? Kalorienfrei und für ein leichtes Lebensgefühl, wie sie in der Werbung sagen?«
»Ja. Ohne Kopftuch z.B., außer beim Gebet.«
»Das muss ich alles erstmal verdauen. Ich brauche eine Pause.«
Sie verließ die Wohnung und kamm nach einer Viertelstunde mit zwei Becher Eis zurück.
»Ich wusste nicht, was du magst.
Aber Schokolade und Vanille geht ja immer.«
»Klar!«
»Mein Mann und ich sind Atheisten. Wir haben die DKP unterstützt, als es sie noch gab. Soziale Gerechtigkeit ist für uns Numero 1.«
»Gut, eine Muslimin und eine Atheistin im amtlichen Einsatz für Lalos!«
»Ob das gutgeht?«
»Warum nicht?« Susanne versuchte, zuversichtlich zu lächeln.
»Na ja, wir machen es uns morgen hier erstmal gemütlich. Zu Hause habe ich noch eine intakte Kaffeemaschine im Keller. Die bringe ich mit. Dann gibt es Kaffee für uns und die Lalos.«
»Den Kaffee kaufe ich. Bald kommt der Herbst, da können wir es uns mit den Lalos gemütlich machen. Und ein paar von ihnen dabei helfen, Arbeit zu finden und zu behalten. Insch’allah!«
»Oh nein, bitte kein Arabisch mehr.«
»Na gut, dann sage ich ›Wenn Gott will‹, das bedeutet das gleiche.«
»Wenn es sein muss!«
»Ja. Es muss sein. Wenn Er nicht will, will ich auch nicht.«
Brita seufzte.
In ihren Schreibtischen fanden sie Merkblätter der Pflichten und Rechte für Abeitslose und Blanko-Antragsformulare, mit denen die Arbeitslosenunterstützung beantragt wurde.
»Zur Kenntnisnahme« stand darauf. Mit denen beschäftigten sie sich einige Stunden lang.
Dann sagte Brita: »Ich schlage vor, jetzt ist Feierabend.«
»Echt guter Vorschlag! Wollen wir zusammen mit der Bahn fahren? Ich muss zur U-Bahn Station Borgweg.«
»Gerne. Ich steige in Barmbek aus.«
Die S-Bahn war ziemlich leer.
Ein Mann mit zwei großen Schäferhunden fuhr in ihrem Waggon. Die Hunde waren unruhig.
»Der erste Feierabend ist schon mal gut«, fand Brita.
»Komischer erster Tag, aber morgen wird es besser!«
Susanne war am Vortag schon einmal in der Agentur für Arbeit in Bergedorf gewesen. Sie machte sich gern mit Lokalitäten vertraut, schon bevor sie offiziell eine neue Aufgabe antrat. Es war zu hoffen, dass niemand sie gesehen hatte und wiedererkannte.
Sie wollte auf keinen Fall mit den mysteriösen Ereignissen im Amt in Verbindung gebracht werden, die zu ihrer Umsiedlung in die karg möblierte Wohnung geführt hatten.
In ihrer Wohnung mit den drei kleinen Zimmern in Winterhude dankte Susanne Allah ausführlich für die neue Arbeit.
Später schaute sich Susanne eine Dokumentation im Fernsehen an, es ging um todkranke Patienten in einem Hospiz. Ein Christ dort erzählte, »Jesus und ich gingen ins Krankenhaus«, »Jesus und ich unterzogen uns der Chemo« usw..
Susanne war beeindruckt.
Sie hätte auch gern jemanden, der sie begleitete auf schwierigen Wegen. Vielleicht war es nicht so wichtig, ob es sich dabei um eine reale Person handelte oder ein spirituelles Wesen?
Der nächsten Tag war sonnig und mild.
Brita kämmte sich vor einem Spiegel an der Innenseite der Schranktür, als Susanne in den Raum kam.
»Siehst du das: ein Schrank, zwei Besucherstühle, zwei Papierkörbe! Ich bin begeistert«, rief Brita. »Toller Fortschritt, oder?«
»Echt super! Ich habe Kaffeebecher und Teller mitgebracht, auch Teebeutel und einen Wasserkocher.«
»Hast du denn schon die Zeitung gelesen?«
»Nein. Steht drin, was gestern im Amt geschehen ist?«
»Ja, hier auf Seite 3, lies mal: ›Behördenmitarbeiter erstochen. Der Schuldnerberater Dietmar F. in der Agentur für Arbeit in Hamburg-Bergedorf wurde gestern vormittag um 9 Uhr in seinem Büro erstochen aufgefunden.«
Susanne schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, nein!«, rief sie. »Unser Kollege! Was ist hier los? Sind auch wir etwa in Gefahr? Was sollen wir tun? In sein Zimmer ziehe ich jedenfalls nicht um!«
»Es ist sowieso gesperrt wegen Spurensicherung.«
»Immerhin sind hier jetzt usere Computer angeschlossen. Da können wir im Internet nach Arbeitsstellen für unsere Lalos suchen.«
»Vielleicht bekommen wir sogar bald einen Drucker!«
Während sie ihre Computer hochfuhren, klingelte es Sturm.
Susanne ging ans Fenster und öffnete es. Unten stand ein Mann, der empört zu ihr hinaufrief: »Ich hatte einen Termin zur Beratung bei Ihrem Kollegen. Drüben im Amt hat man mir gesagt, das ist nun hier.«
»Ich lasse Sie herein«, sagte Susanne.
Zu Brita gewandt, meinte sie leise: »Schon am zweiten Tag werden wir befördert zu Schuldnerberaterinnen. Leider habe ich von diesem Bereich der Sozialarbeit keine Ahnung.«
»Ich auch nicht.«
»Ein Bekannter von mir musste mal Schuldnerberatung in Anspruch nehmen, davon habe ich am Rande ein bisschen mitgekriegt. Qualifizierte Beratung sieht allerdings anders aus als das, was ich leisten kann!«
Während der Mann die Treppe hochkam, schimpfte er weiter: »Dabei habe ich kaum Schulden! Ich kann eigentlich gar keine haben, weil ich selber Buchhalter von Beruf bin.«
»Das eine schließt doch das andere nicht aus«, meinte Brita.
»Ich bin ein guter Buchhalter! Ohne dass es jemand merkt, kann ich eine Million verschwinden lassen, unsichtbar für die Augen des Finanzamts.«
»Hoffentlich nicht auch unsichtbar für die Augen der Firmeninhaber!«, scherzte Susanne.
»Ach so, es hat Ihnen also schon jemand gesteckt, dass ich wegen Unterschlagung verurteilt wurde. Aber ich bin unschuldig! Zum Glück wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Nun suche ich eine neue Aufgabe.«
»Und Sie haben Schulden, Herr …?«
»Lehmann!«, sagte er laut. »Was ist hier eigentlich los? Vor drei Tagen beordert mich mein Vermittler zu dem Schuldnerberater Funke, der sitzt dick und bräsig auf seinem Schreibtischstuhl und hat angeblich keine Zeit, weil er zu einer Fortbildung muss! Er gibt mir einen Termin für heute. Aber als ich vorhin im Amt ankomme, kriege ich die Auskunft, er ist nicht zu sprechen und schickt mich hierher.«
»Das hat seine Richtigkeit, wir machen das jetzt«, verkündete Susanne.
Sein Gesicht lief rot an. »Wo ist dieser Herr Funke? Ich fühle mich allmählich verarscht! Ja, ich habe Schulden, aber das ist doch wohl kein Grund, mich so mies zu behandeln? Man sieht mir das schließlich nicht an. Ich bin um Längen besser gekleidet als Ihr Kollege Funke! Schlecht sitzende Jeans! Verblichenes kariertes Flanellhemd mit kleinen Heuhalmen bestückt! Abgetragene Sandalen, also wirklich!«
Der kleine beleibte Mann mit schütterem Haar schaute sie böse an. Er war bekleidet mit einem hellbraunen Anzug, weißem Hemd und roter Fliege.
»Man sieht es Ihnen natürlich nicht an! Aber wenn Ihr Arbeitsvermittler Sie zur Schuldnerberatung geschickt hat, liegt die Annahme nahe.«
»Haben Sie heute schon die Zeitung gelesen?«, fragte Susanne.
»Nein, warum?«
»Wir übernehmen die Schuldnerberatung vertretungsweise, weil uns Kollege Dietmar Funke gestern in seinem Amtszimmer getötet wurde.«
»Oh. Ja dann … Na, mir ist es letzlich egal, wer mich berät. Ich will nur nicht, dass mein Vermittler, Herr von Schütt, mir eine Sperrfrist aufbrummt. Dann bekomme ich keine Stütze mehr.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden natürlich weitergeben, dass Sie bei uns waren. Darf ich nach Ihrem Alter fragen?«
»32.«
»Also liegt noch ein langes Berufsleben vor Ihnen«, sagte Susanne lächelnd.
»Wenn ich arbeite, muss ich alles, was über das Existenzminimum hinausgeht, zum Abtragen meiner Schulden verwenden!«, rief er erbost.
»Über welche Höhe reden wir?«
»Ich habe das noch nicht zusammengerechnet, es sind an die 30 Gläubiger. Aber die Forderungen sind viel zu hoch.«
»Das kommt zustande durch die Mahngebühren und die Zinsen. Ihre Schulden erhöhen sich ständig von selbst! Aber wir können zusammen ein Verfahren zur Schuldenregulierung einleiten und mit jedem Gläubiger eine Vereinbarung treffen, z.B. Ratenzahlung. Wenn Sie dann keine neuen Schulden machen, wird Ihnen der Rest nach 7 Jahren erlassen. Stellen Sie sich vor, dann sind Sie schuldenfrei!«
Susanne versuchte, zuversichtlich zu klingen.
»Und bis dahin soll ich arbeiten? Und vom Gehalt an die Gläubiger Raten zahlen? Es sind bestimmt an die 100.000 DM, die ich abtragen muss.«
»Dann sollten Sie damit möglichst bald anfangen!«
»Haben Sie schon Bewerbungen laufen?«, fragte Brita.
»Ja, das verlangt doch das Amt von mir.«
»Und Einladungen zu Vorstellungsgesprächen?«
»Bisher nicht.«
»Kommen Sie doch mal mit den Anschreiben und dem Lebenslauf zu uns, dann schauen wir, wie die bei zukünftigen Arbeitgebern ankommen würden. Und wir können hier zusammen Vorstellungsgespräche üben«, schlug Brita vor.
»Und zu mir kommen Sie in der nächsten Woche am Mittwoch um 10 Uhr! Bringen Sie mir bitte die Briefe Ihrer Gläubiger mit! Dann beginnen wir gleich mit der Schuldenregulierung«, sagte Susanne.
Herr Lehmann seufzte.
Er hatte bei Susanne nur wenige Sympathiepunkte erreicht, aber sie war angetan davon, dass er sich seinen Problemen stellen wollte.
»Ich kann ja schon mal vorsortieren«, sagte er. »Zwei Schubladen sind voll mit den Briefen, einige musste ich wegwerfen, weil kein Platz mehr war.«
»Kaufen Sie auf dem Weg nach Hause einige Ordner und einen Locher!«, schlug Brita vor.
»Was ist denn eigentlich mit dem unterschlagenen Geld passiert?«, fragte Susanne.
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich unschuldig bin!« Er schaute sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
»Ach ja, ich vergaß! Lassen Sie den Kopf nicht hängen! In einigen Jahren werden Sie als schuldenfrei erklärt.«
Mit schnellen kleinen Schritten verließ er den Raum.
»Auf Wiedersehen!«, rief Susanne ihm nach.
Er drehte sich nicht um.
»Ich hoffe, es gibt aktuelle Literatur über das Thema «, sagte Susanne, als die Tür ins Schloss fiel. »‹Der kleine Schuldnerberater‹ oder so.«
»Und ich hoffe, unser Brötchengeber bezahlt die Bücher.«
Ein leises Türklopfen war zu hören.
Brita sprang auf und lief zur Tür.
»Kommen Sie bitte herein!«, rief sie.
Susanne sehnte sich nach einer Kaffeepause. Dass die Klienten Schlag auf Schlag kamen, schien Brita weniger auszumachen als ihr.
Ein junger Mann betrat den Raum. Er war sehr schlank, seine dunkelblonden Haare fielen ihm auf die Schultern.
»Guten Morgen, mein Reha-Berater hat mich hergeschickt. Ich heiße Ralf König.«
»Reha? Sind Sie krank? Prima, dass Sie trotzdem arbeiten können!«, sagte Susanne.
»Die Ärzte sagen, ich leide unter manisch-depressiven Störungen. Aber das stimmt nicht. Ich bin gesund. Es versteht mich nur niemand.«
»Das ist schade! Wir werden es zumindest versuchen.«
Er wirkte unruhig, als er nach einer kurzen Pause fortfuhr: »In der Zeitung stand, dass der Sozialarbeiter Dietmar F. ermordet wurde. Das muss doch Dietmar Funke sein? Ich kannte den, er war oft in Allermöhe unterwegs, nicht weit von meinem Zuhause dort entfernt. Den besten Ruf hatte er nicht!«
»Inwiefern?«
»Meine Mutter sagt, dass er vor zwanzig Jahren verschwunden ist, seine Frau und seine vier kleinen Kinder hat er auf einem Berg Schulden sitzen lassen. Die Ex-Frau ist nach Harburg gezogen, als sie wieder geheiratet hat. Meine Mutter hatte noch lose Kontakt zu ihr. Nun lebt Herr Funke er seit ein paar Jahren wieder hier.«
»Interessant! Aber es geht ja jetzt um Sie, Herr König. Was können wir denn für Sie tun? Erzählen Sie uns doch mal, was Sie beruflich machen möchten! Haben Sie eine Ausbildung?«, fragte Brita.
»Nein, aber mit meinen 24 Jahren bin ich ja noch jung. Ich weiß nur nicht, ob ich lieber Medizin studieren und Psychiater werden soll oder das tue, was ich eigentlich möchte: Comedy.«
Seine Hände zitterten. Susanne hatte den Eindruck, dass er unter Medikamenteneinfluss stand.
»Für ein Medizinstudium brauchen Sie Abitur, haben Sie das?«
»Nein, aber das Abitur kann ich ja schnell nachholen in der Abendschule. Ich habe Mittlere Reife. Und nebenbei arbeite ich an meiner Karriere als Comedian. Ich würde gern mit Dieter Krebs zusammen spielen.«
»Haben Sie sich schon angemeldet beim Abendgymnasium?«, fragte Susanne.
»Oder an Dieter Krebs geschrieben?«, wollte Brita wissen.
»Soll ich mal eine paar Witze erzählen?«
»Nur zu!«
Er stand auf und begann zu gestikulieren.
»Ein Mann war in der Psychiatrie. Er wollte fliehen, und es gelang ihm, einen Schlüssel für den Kellerausgang nachmachen zu lassen. Erfreut kündigte er einigen Mitpatienten seine Flucht an, aber niemand glaubte ihm. Abends, als alle schliefen, ging er zum Ausgang. Am nächsten Morgen wurde er gefragt, warum er denn noch da ist. ›Ach, zuerst ging alles glatt, doch als ich bei der Tür war, stellte ich fest, dass sie offen stand. Da konnte ich ja nicht ausbrechen und bin ich wieder in mein Zimmer gegangen.‹«
Susanne lächelte.
»Jetzt ich!«, rief Brita. »Ein Mann wurde nach seinem Alter gefragt. Er sagte: ›50 Jahre alt.‹ ›Aber das hast du vor zehn Jahren doch auch schon behauptet.‹ ›Stimmt‹, antwortet er, ›ich stehe immer zu meinem Wort.‹«
Er schüttelte den Kopf. »Witze müssen zünden, dieser war lahm!«
Nun erzählte Susanne: «Ein Mann war dabei, rund um sein Haus Erbsen zu streuen. ›Was machst du da?‹ fragte sein Nachbar erstaunt. ›Ich vertreibe so die Tiger.‹ ›Aber es gibt doch hier gar keine Tiger.‹ ›Du siehst also, wie gut es funktioniert!‹«
»Vielleicht verwende ich die beiden Witze für mein Repertoire«, meinte Ralf König. »Ich würde sie natürlich noch ausschmücken!«
»Und vorher melden Sie sich beim Abendgymnasium an?«, wollte Susanne wissen.
»Das könnte ich tun, aber wenn das Schuljahr beginnt, müsste ich mich vom Leistungsbezug abmelden und BaföG beantragen. Das ist weniger als meine Arbeitslosenunterstützung.«
»Macht nichts«, meinte Susanne. »Dann arbeiten Sie eben nebenbei!«
»Als was denn, etwa als Koch? Ich habe mal eine Lehre angefangen und fast anderthalb Jahre durchgehalten.«
»Das hört sich gut an: Aushilfskoch. Hamburg ist groß, da wird sich doch etwas finden!«
»Können Sie uns denn etwas hier in der Nähe empfehlen, wo man gut essen kann, Herr König?«, fragte Susanne. »Es wird ja allmählich Mittag.«
»Was denn, Döner, italienisch, Currywurst, chinesisch?«
»Deutsche Küche, Mittagstisch«, wünschte sich Brita.
»Ja, da gibt es etwas. Ein Hotel bietet Mittagstisch an. Gehen Sie rechts und dann wieder rechts. Ich habe keine Zeit, mit Ihnen zusammen zu essen, ich muss zu meiner Mutter. Die wartet auf mich.«
»Oder sollen wir die Kantine im Amt probieren?«, meinte Susanne. »Dort erfahren wir vielleicht etwas über das Verbrechen.«
»Ein andermal«, schlug Brita vor.
»Komisch, seit meiner Schulzeit habe ich Probleme mit anderen Menschen«, berichtete Ralf König. »Warum versteht mich niemand?«
»Ich verstehe Sie auch nicht«, gestand Susanne.
»Wen, mich oder die anderen?«, fragte er.
»Sie, Herr König.«
»Warum nicht? Nur weil ich nicht auf den normalen Bahnen bleiben will? Weil ich begabter bin als andere? Weil meine Pläne größer sind als die von Durchschnittsmenschen?«
»Weil Sie vielleicht zu viel von sich selbst verlangen? Und zu viel Toleranz von anderen?«
»Meine Mutter meint, ich bin hochbegabt. Ich gehe lieber, bevor Sie mir noch etwas anderes einreden! Guten Appetit, die Damen.«
»Danke und tschüs. Kommen Sie mal wieder in unserem Büro vorbei und berichten, was sich in Ihrem Berufsleben getan hat?«, fragte Brita.
»Das kann dauern.«
»Oh! Wie lange ungefähr?«
»Nächstes Jahr werde ich mich jedenfalls noch nicht beim Abendgymnasium anmelden. Ich brauche Zeit, bis meine Karriere als Comedian Fahrt aufgenommen hat. Und wenn ich erst berühmt bin, hat sich das ja erledigt mit dem Medizinstudium. Im äußersten Notfall kann ich meine Ausbildung zum Koch zu Ende machen und ein Sternerestaurant eröffnen.«
»Letzteres wird Ihnen aber kein Amt finanzieren! Trotzdem kommen Sie hoffentlich auf Ihrem beruflichen Weg voran. Viel Erfolg dabei!« Susanne lächelte zum Abschied.
In der Gaststätte saß sie mit hängenden Schultern da.
»Oh, Brita! In meinem Kopf dreht sich alles! Ich habe echten Beratungsbedarf!«
»Zum Glück kümmert sich seine Mutter um ihn, Susanne. Obwohl sie sicherlich nicht so viel davon halten wird, dass ihr hochbegabter Sohn als Hilfskoch arbeitet. Du solltest dir einfach nicht zu viele Gedanken machen um ihn! Professionelle Distanz ist das einzig Wahre, du weißt ja!«
»Leicht gesagt! Diese Arbeit bewirkt bei mir erhöhten Erholungsbedarf! Am Wochenende werde ich an einem Tag die Außenalster umrunden und am nächsten den Stadtpark durchstreifen. Bäume beruhigen mich immer. Wenn es ganz schlimm kommt, muss es allerdings die Elbe sein. Ich bin direkt an der Niederelbe aufgewachsen, dort ist die Elbe mehr als drei Kilometer breit.«
»Bäume? Gehörst du zu den Personen, die Bäume umarmen?«
»Noch nicht, aber wenn die Arbeit so weitergeht, fange ich bestimmt damit an. Einen Baum umarmen und ihm alles erzählen, was ich hier erlebe, das muss ja zur Verarbeitung beitragen.«
»Ich kann zum Glück meinem Mann alles erzählen. Der Vorteil gegenüber einem Baum ist, dass er antwortet. Jedenfalls manchmal.«
»Du Glückliche! Ich weiß nicht, wo ich einen Mann finden soll. Als ich einmal in der Moschee war, hat eine ältere Muslimin mir vorgeschlagen, einen Mann für mich zu suchen. Ich habe sie gefragt, welcher Mann ihrer Meinung nach wohl zu mir passen würde? Sie meinte, es ginge darum, dass er dieselbe Religion hat wie ich, möglichst gut verdient und älter ist. «
»Dann hätten wir Frauen uns ja die ganze Emanzipation sparen können, wenn es am Ende doch wieder darauf hinausläuft!«
»Ja, ich habe natürlich nein gesagt. Lieber werde ich meine Tage als ewiger Single fristen.«
Susanne hoffte, dass es nicht soweit kommen würde. Jederzeit konnte sie jemanden kennenlernen, der zu ihr passte! Vielleicht war heute der Tag vor dem Tag, an dem sie ihm begegnen würde, dem Mann ihres Lebens. Allerdings könnte es auch sein, dass dieser Mann schon in ihrem Leben gewesen und wieder verschwunden war.
Sie fanden das Lokal schnell und setzten sich ans Fenster.
Brita griff nach der Speisekarte.
«Also, was essen wir denn? Der Mittagstisch hört sich ganz gut an: Kartoffeln, Spinat und Rührei. Vorher verschwinde ich nochmal schnell.«
»Ich bestelle für uns. Zum Glück darf ich alles essen, außer Schweinefleisch natürlich. Alkohol trinke ich auch nicht«, sagte Susanne.
Sie aßen mit Appetit und schlenderten dann zurück.
Im Büro kochte Susanne Kaffee und öffnete eine Kekspackung.
Sie unterhielten sich über ihre Urlaubspläne.
»Mittelmeer!«, sagte Susanne. »Ich reise gern nach Griechenland, einmal war ich mit zwei Freundinnen auf Amorgos, dort haben wir in einem ehemaligen Ziegenstall gewohnt, es gab sonst keine Unterkünfte.«
»Wie Josef und Maria! Nur ohne Baby Jesus.«
»Es waren nur wenige Touristen dort, darunter ein Grieche, der auf seine deutsche Freundin wartete, die nicht ankam, jedenfalls nicht in den drei Wochen, während wir dort waren.«
»Ich bin gern in Dänemark, wo ich geboren wurde. Die Sprache, die Fahne, die Menschen, das ist immer noch ein bisschen Heimat für mich. Meine Verwandten in Dänemark sind sehr gastfreundlich.«
Susanne schaute auf die Uhr.
»Ich muss immer an unseren ermordeten Kollegen denken. Was meinst du, wie kommen wir an Informationen darüber heran?«
»Keine Ahnung. Wir müssen wohl unsere Fühler zu unseren Kollegen im Amt ausstrecken. Lass uns das auf morgen verschieben!«
»Gut.«
»Tja. Wollen wir Feierabend machen? Überstunden abbummeln?«
Berit lachte.
»Prima, dass wir keine Stechkarten haben! Nicht, dass wir das ausnützen würden!«
»Also, dann bis morgen!«
»In alter Müdigkeit«, sagte Brita lachend.
Am nächsten Morgen fanden sie eine Nachricht im Briefkasten: Sie wurden um 9 Uhr bei Herrn Tollkühn erwartet, dem für sie zuständigen Abteilungsleiter im Amt.
»Prima, ein Name mit Wiedererkennungswert!«, meinte Susanne. »Wir können ihm gleich unsere Wunschliste präsentieren: Internetanschluss, …«
»Telefonanschluss, Drucker, Papier, Briefumschläge usw..«
»Jedenfalls achten wir natürlich auf Pünktlichkeit. Sonst bricht die Welt von Herr Tollkühn zusammen.«
»Der Weg ist ja nicht weit.«
Er trug ein langärmliges weißes Hemd mit einer dunkelblauen Weste darüber. Seine Hose war beige.
Nachdem sie Hände geschüttelt und sich vorgestellt hatten, sagte er:
»Sie wissen sicherlich, was sich vor zwei Tagen hier ereignet hat. Es gab einige Kollegen im Amt, die waren von Anfang an dagegen, dass Sozialarbeiter von draußen in unseren Räumen arbeiten, das würde Ärger verursachen, meinten sie. Aber sollten wir die Gelder für das Projekt verfallen lassen?«
»Alles was recht ist, Herr Tollkühn, unser Kollege ist das Opfer, nicht der Täter!« sagte Susanne. »Den Ärger in Anführungsstrichen hat der Täter verursacht!«
»Ich habe versucht, die Gelder für das Projekt umzuwidmen, aber ich sehe schwarz.«
»Würde dies etwa bedeuten, dass wir dann selber arbeitslos sind?«, fragte Brita empört.
»Vielleicht hat Ihr Bildungsträger ja etwas anderes für Sie? Ich fürchte allerdings sowieso, dass wir nicht zurück können, wir müssen das zusätzliche Beratungsangebot wohl durchziehen. Aber wir haben beschlossen, dass Sie ausgelagert bleiben. Wir werden den Raum, wo die Tat geschah, anderweitig verwenden, wenn er von der Polizei freigegeben wird.«
»Einverstanden, wir bleiben dort, möglichst schnell brauchen wir einen Internetanschluss, Telefon …«