Prophezeiung - Melanie Baumann - E-Book
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Melanie Baumann

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Beschreibung

Nachdem Sophie den mysteriösen und gut aussehenden Akira zum ersten Mal gesehen hat, ist sie von ihm und seinen grauen Augen fasziniert. Er strahlt etwas gefährliches aus, was sie magisch anzuziehen scheint und so sehr sie auch versucht sich von ihm fernzuhalten, kommt sie nicht gegen die unsichtbare Verbindung an, die sie immer wieder zueinander führt. Von Träumen heimgesucht, die sie nicht einordnen kann, stürzt sie sich mit ihren Freunden in ein unbekanntes Abenteuer, um die Welt so wie wir sie heute kennen zu retten, doch wird sie es schaffen?

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Melanie Baumann

Prophezeiung

Die letzte Generation

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Danksagung

Leseprobe Lost Secret

Prophezeiung – Die letzte Generation

Prophezeiung – Die letzte Vision

Rose

Cedar

Lost Secret

ÜBER DEN AUTOR

Prophezeiung

Die letzte Generation

Melanie Baumann

Copyright © 2023

Melanie Baumann

Sonnenhang 11c

36251 Bad Hersfeld

ISBN:  9798740198644

Erste Auflage

Herausgeber: Melanie Baumann

Autor: Melanie Baumann

Umschlaggestaltung, Illustration: designed by Freepic.diller - freepik.com/

Melanie Baumann

Lektorat: Melanie Baumann

Lektorat/Korrektorat Prolog: Melanie Baumann

Korrektorat: Duden Mentor

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische

Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek

Verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliere bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d- nb.de abrufbar.

WIDMUNG

Für meinen Mann, meine zweite Seite der Münze

INHALT

Kapitel 13Kapitel 212Kapitel 315Kapitel 424Kapitel 532Kapitel 637Kapitel 740Kapitel 845Kapitel 951Kapitel 1053Kapitel 1160Kapitel 1269Kapitel 1375Kapitel 1480Kapitel 1587Kapitel 16104Kapitel 17112Kapitel 18116Kapitel 19121Kapitel 20125Kapitel 21140Kapitel 22149Kapitel 23157Kapitel 24163Kapitel 25170Kapitel 26175Kapitel 27180Kapitel 28189Kapitel 29192Kapitel 30200Kapitel 31207Kapitel 32218Kapitel 33227Kapitel 34236Kapitel 35248Kapitel 36253Kapitel 37259Kapitel 38271Kapitel 39278Kapitel 40290Kapitel 41295Kapitel 42300Kapitel 43311Kapitel 44319Kapitel 45329Kapitel 46332Kapitel 47338Kapitel 48350Kapitel 49357Kapitel 50365Kapitel 51376Kapitel 52386Kapitel 53393Kapitel 54402Kapitel 55412Kapitel 56415Kapitel 57424Kapitel 58435Kapitel 59446Kapitel 60449Kapitel 61452Danksagung461Lost Secret Leseprobe463Prophezeiung- Die letzte Generation474Prophezeiung . Die letzte Vision475Rose476Cedar477Lost Secret478Über den Autor479

Kapitel 1

Der Bass hämmert in meinen Ohren. Überall quetschen sich fremde Leute an mir vorbei und immer wieder springe ich in die Höhe. Ich habe Mühe, meine Begleitung im Blick zu behalten, damit sie mir nicht verloren geht. Das Licht ist schummrig und in unbestimmten Abständen strahlt mir ein greller Scheinwerfer ins Gesicht.

Wieso habe ich mich nur zu diesem Abend überreden lassen?

Vor drei Stunden saß ich gemütlich auf dem Bett und habe die Nase in ein Buch gesteckt. Was danach kam, ist nur als Hurrikan „Tamara“ zu bezeichnen. Meine beste Freundin, Tamara Bryte, hat mich überfallen und zum Ausgehen genötigt.

Ihre Schwester Ella ist soeben an der Theke angekommen und bestellt charmant unsere Getränke. Normalerweise ist hier nicht viel los, doch heute scheinen sich alle im einzigen Club weit und breit aufzuhalten.

„Was ist mit Tami? Warten wir nicht auf sie?“, brülle ich ihr ins Ohr, nachdem ich sie erreicht habe. Kurz nach dem Einlass habe ich meine beste Freundin aus den Augen verloren. Sie hat sich auf ein ausschweifendes Gespräch mit einem der Türsteher eingelassen, und bisher ist sie nicht wieder aufgetaucht.

„Nein, wir holen uns was zu trinken und treffen sie später auf der Tanzfläche. Nimm mal“, fordert sie mich auf und zwängt mir einen halben Liter Erdbeeredaiquiri mit Glitzerpalme und Strohhalm zwischen die Finger. Verdattert halte ich das Glas in den Händen und schaue sie mit großen Augen an.

„Was soll ich damit?“

„Trinken. Was sonst? Komm, lass uns einen Platz suchen, von dem wir die Lage auskundschaften können. Ich habe bereits ein paar Sahneschnitten entdeckt.“ Sie zwinkert mir vielsagend entgegen und übernimmt die Führung.

„Ich? Was? Ella, ich trinke nichts. Du weißt, dass ich keinen Alkohol vertrage“, rufe ich mit und folge ihr.

„Ich habe aufgepasst, es ist kaum was drin. Probier mal, schmeckt megalecker“, brüllt sie über die Schulter und schließt die Lippen um ihren Strohhalm.

Meinem Schicksal ergebend, nippe ich an dem Getränk und keuche kurz darauf auf. Das Gebräu ist lecker, da hat sie recht, aber es hat ein paar mehr Umdrehungen, als sie mir weiß machen will.

Besser, ich halte mich zurück, um nicht in einer halben Stunde total betrunken zu sein.

„Hast du zufällig den Typen von vorhin gesehen? Der war echt heiß.“

„Wen meinst du?“

„Na dem vom Eingang. Der an uns vorbei ist. Der wäre was.“ Ich verdrehe die Augen. Seit der Trennung von ihrem Freund ist sie auf der Suche nach „Ablenkung“. Als wir in der Warteschlange vor dem Club standen, ist ein fremder Kerl gegen uns gestoßen. Mit rudernden Armen bin ich in der Gruppe hinter mir gelandet, derweil er mit einem knappen „sorry“ an uns vorbeigezogen ist.

Sie kann nie und nimmer diesen ungehobelten Klotz meinen. Mir tut das Mädchen, auf dessen Fuß ich getreten bin, immer noch leid.

„Du meinst nicht den, der uns geschubst hat, oder?“, frage ich entrüstet.

„Genau den.“ Sie lächelt wie eine nimmersatte Gottesanbeterin und mein Mund klappt auf.

„Bei dem Verhalten suchst du dir lieber jemand anderen. Ich glaube kaum, dass der nett ist“, kommentiere ich leiser, doch sie scheint mich trotz der Lautstärke verstanden zu haben.

„Wieso? Ich brauche niemanden, der nett ist. Ich bin nicht auf eine Beziehung aus, sondern auf Ablenkung. Mensch sind hier viele Leute“, stellt sie fest und ich sehe mich um.

Die Menschen stehen dicht gedrängt und selbst auf der Tanzfläche ist es kaum möglich, sich zu bewegen.

„Da drüben ist ein freier Platz. Los komm“, ruft sie und ich trotte ihr hinterher, wobei ich mich frage, wo sie das freie Plätzchen entdeckt haben will. An besagtem Ort stehen ein paar Fremde, die ihre Blicke über die Massen schweifen lassen.

Na, das war garantiert kein Zufall.

Ella flirtet uns in Windeseile zwei Hocker am Tisch frei und ich stöhne innerlich auf. Tamara, wo bist du nur?

Unauffällig mustere ich die beiden Fremden und muss zugeben, dass sie bei Weitem nicht aussehen wie das übliche Publikum. Sie sehen sich verdammt ähnlich. Brüder? Vielleicht sogar Zwillinge?

Der Auserkorene, den Bryte bezirzt, hat eine dunkle Mähne, die ihm bis zu den Ohren reicht, und warme, braune Augen, die mich an Hundewelpen erinnern. Er ist von der drahtigen Sorte und ich wette, dass er ein guter Läufer ist.

Der andere hat kurzes, schwarzes Haar und anhand seiner muskulösen Statur und dem breiten Rücken gehe ich davon aus, dass auch er ziemlich oft trainiert. Seine Augen wirken durch die blaugraue Farbe ein wenig kälter. Im Gegensatz zu seinem Begleiter zeigt er keinerlei Interesse an Ella oder mir. Er starrt stur auf die Tanzfläche und macht nicht den Eindruck, als sei er an einer Unterhaltung interessiert. Was bei dem Krach ohnehin nicht funktionieren würde.

Die Augen seines Kollegen leuchten bei Ellas Anblick und er hängt förmlich an ihren Lippen. Sie beugt sich ein Stück nach vorn und ich befürchte, dass er gleich sabbert.

Ella ist eine dralle Blondine und weiß, wie sie ihre Kurven gekonnt einsetzt. Genervt wende ich mich ab und bete, dass Tami endlich auftaucht.

Ich bin hier so was von überflüssig.

Unbemerkt gleite ich von meinem Platz und suche in der Masse an Menschen nach meiner Freundin. Ich habe keine Chance.

Es sind einfach zu viele. Ungewollt schnappe ich Wortfetzen von Ellas neuer Errungenschaft auf und spitze die Ohren.

„Austauschklasse“, brüllt er, gefolgt von „Schottland – Internat.“

Und dann haben sie die Kerle ausgerechnet hierher geschickt?

Neugierig drehe ich mich ein bisschen zu ihnen um und beobachte, wie sie ihn anschmachtet, als wäre er die Kirsche auf dem Eisbecher.

„Nächste Woche … Schule. Heute … Spaß“, dringen weitere Worte an meine Ohren und ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe.

Ist ihr Shirt nach unten gerutscht, oder war ihr Ausschnitt vorhin auch so tief?

Ich kann mir das nicht weiter mit ansehen.

Mit einem kräftigen Zug leere ich den Inhalt meines Glases und drücke es dem stummen Typen neben mir in die Hand. Er sieht mich irritiert an, doch ich ignoriere ihn und verschwinde kurzerhand in der wogenden Menge. Die Wirkung des Alkohols macht sich bemerkbar. Ich vergesse den Gedanken, dass der Junge bei Ella ungewöhnlich gut Deutsch gesprochen hat, während ich mit den Füßen im Takt des Liedes wippe. Es dauert nur wenige Sekunden, bis ich mich zum Beat der Musik bewege und alles um mich herum ausblende. Sagt ja niemand, dass ich auf meiner Suche nicht ein bisschen Spaß haben darf.

Auch wenn der sich grundlegend von Ellas freudigen Erwartungen unterscheidet.

Mittlerweile bin ich von tanzenden Leibern umgeben und je mehr ich mich bewege, umso wärmer wird es. Ein feiner Schweißfilm liegt auf meiner Haut und meine Kehle fühlt sich trocken an.

Ich brauche dringend etwas Kaltes zu trinken.

Mit den Ellenbogen bahne ich mir einen Weg aus der Masse und steure die nächste Bar an. Die Chancen auf ein Wasser schwinden rapide, sobald ich an der Theke stehe und von durstigen Menschen umzingelt werde. Ein Wirrwarr aus Bestellungen schallt um mich herum und nach ein paar vergeblichen Versuchen, die Aufmerksamkeit des Barkeepers zu erlangen, kehre ich um. Ohne lange zu überlegen, marschiere ich in Richtung des ruhigeren Ü-30 Bereich.

Am besten, ich kürze über die Empore ab.

Kaum habe ich mich in Bewegung gesetzt, jagt mir ein Schauer über den Körper und meine Nackenhaare richten sich auf. Ich habe das Gefühl, beobachtet zu werden. Eilig wirble ich mit dem Kopf von einer Seite auf die andere und meine Augen gleiten dabei über die Menschen. Verunsichert drehe ich mich auf der Stelle, doch es ist niemand zu finden, der Notiz von mir nimmt. Moment mal, ist das nicht Tamara? Die langen braunen Haare in Verbindung mit meinem schwarzen Top würde ich überall wiedererkennen. Wobei sie mit ihren 1,75 m kaum zu übersehen ist.

Wer ist dort bei ihr?

Vergessen ist das unangenehme Gefühl und die Neugierde übernimmt. Mit großen Schritten halte ich auf meine Freundin zu und winke, damit sie mich erkennt. Es scheint ein spannendes Gespräch zu sein, das sie und der Fremde führen. Ich habe mich bereits auf einen halben Meter genähert und sie nimmt noch immer keinerlei Notiz von mir.

Der blondhaarige Kerl ihr gegenüber ist ein klein wenig größer als meine Freundin und hat mir den Rücken zugewandt. Ich habe ihn noch nie gesehen. Entweder gehört er ebenfalls zu dieser Austauschklasse, oder hier ist ein Nest an fremden Jungs. Von hinten klopfe ich der untreuen Seele auf die Schulter, damit sie mich bemerkt, und sie zuckt erschrocken zusammen.

„Sophiiiee“ zieht sie meinen Namen mit schriller Stimme in die Länge, während sie sich zu mir dreht. Meine Brauen wandern in die Höhe.

„Was machst du denn hier? Ich dachte, Ella ist bei dir und ihr sucht euch ein paar …“, setzt sie ertappt an, verstummt jedoch schlagartig, sobald sie einen Blick auf den Jungen neben sich wirft.

„Ich habe dich gesucht. Wo warst du? Und wer ist das? Stellst du mich nicht vor?“, will ich wissen. Unauffällig beäuge ich den Fremden.

„Äh ja. Sophie, das ist Max, also Maxwell. Er ist hier mit seiner Klasse, einer Austauschklasse aus Schottland“, stammelt sie nervös. Natürlich gehört er dazu.

Ich hebe meinen Mundwinkel in die Höhe und runzle die Stirn. Immer wieder suche ich ihren Blick, doch sie weicht mir aus.

Was hat sie für ein Problem?

„Schön dich kennenzulernen Max, ich bin Sophie“, nehme ich die Sache selbst in die Hand und lächle ihm freundlich entgegen.

Anscheinend hat meine Freundin ihren Anstand vergessen. Warum stellt sie mich nicht vor?

Es ist nicht ihre Art, mir neue Bekanntschaften zu verschweigen.

„Tami, alles klar?“

Sie wirkt von Sekunde zu Sekunde nervöser, also sehe ich sie mir genauer an. Leicht gerötete Wangen, große sehnsuchtsvolle Augen, geschwollener Mund. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie hat bis vor wenigen Augenblicken an seinen Lippen gehangen.

Moment.

Langsam mustere ich den Mann an ihrer Seite und erkenne ebensolche Merkmale.

„Was ist hier los?“ Fassungslos reiße ich die Augen auf. Ich kann nicht anders als ungläubig zwischen ihnen hin und her zuschauen.

Maxwell lächelt leicht verlegen, während sie weiterhin beschämt meinem Blick ausweicht.

„Tamara? Seit wann kennt ihr euch? Was ist mit Michael?“, stoße ich aus und ziehe meine Stirn in Falten. Vielleicht verstehe ich das alles falsch. Wahrscheinlich ist es ganz anders.

Gut möglich, dass sie ebenfalls Single ist und vergessen hat es mir zu sagen.

„Komm runter und mach nicht so eine Welle. Das hat nichts mit dir zu tun. Wir reden später darüber in Ordnung?“ Ihre Worte sind wie Schläge in die Magengrube und ich weiche entsetzt einen Schritt nach hinten aus.

Ähm ... Nein, definitiv nicht falsch verstanden. Sie hat nicht vergessen, mir zu sagen, dass sie sich getrennt hat, weil das eben nicht geschehen ist.

Wie kann sie nur?

Ohne ihr zu antworten, drehe ich mich auf dem Absatz um und verschwinde, so schnell mich meine Beine tragen. Alles fühlt sich plötzlich falsch an. Die Menschen, die Musik, die Lichter, meine beste Freundin.

Ich fasse es nicht.

Ella und der Fremde vernaschen einander, als ich auf wackeligen Beinen an dem Tisch vorbeikomme. Für einen kleinen Augenblick lege ich verzweifelt den Kopf in den Nacken und atme tief durch.

Wie soll ich jetzt nach Hause kommen?

Ganz toll. Ehrlich, ganz toll. Wäre ich bloß nie mitgegangen. Ich schließe meine Augen und ignoriere die Menschen um mich herum. Ich brauche einen Plan.

Was jetzt? Bleiben oder verschwinden?

Erst hole ich mir etwas zu trinken, dann entscheide ich, was der nächste Schritt ist. Sobald sich diese Gedanken manifestiert haben, bringen mich meine Beine fast automatisch zum leiseren Ü-30 Bereich. Die Musik in diesem Teil des Clubs ist um einige Dezibel nach unten gedreht, wobei von ruhig nicht die Rede sein kann. Helene Fischer erklärt gerade, dass sie Atemprobleme hat und allmählich breitet sich ein dumpfes Klopfen in meinen Schädel aus. Welche Freude.

Ein paar Leute stehen vereinzelt um die Theke verteilt und halten sich an ihrem Bier fest. Sobald ich ein Wasser in den Händen habe, spüle ich es meine Kehle hinunter und beschließe, nicht auf die Schwestern zu warten. Ich stelle das Glas mit eisernen Griff auf den Tresen und schlagartig wird mir kalt. Ich umklammere den Becher so fest, dass sich die Fingerknöchel weiß verfärben. Mein Herz hämmert unkontrolliert von innen gegen meine Brust.

Da ist es wieder das Gefühl, beschattet zu werden.

Schnell drehe ich mich um und beobachte meine Umgebung genauer. Alles wirkt normal. Tanzende und plaudernde Grüppchen oder Pärchen, die mir keinerlei Beachtung schenken. Zitternd stoße ich die Luft aus, als ich ihn sehe.

Da in der Ecke, rechts neben mir.

Wow, was für ein Anblick.

Ich schaue in das schönste Grau, welches ich je gesehen habe. Einzig seine Augen ziehen mich in ihren Bann, alles darum liegt im Schatten.

Wo ist er auf einmal hergekommen?

Erschrocken blinzle ich mehrmals und halte die Luft an. Sobald ich mich wieder auf die Stelle konzentriere, ist dort nichts mehr. Niemand.

Bekomme ich Halluzinationen? Irritiert schaue ich mich um, doch nirgendwo entdecke ich graue Augen. Verwirrt schüttle ich meinen Kopf und lasse den Blick ein letztes Mal durch den Raum schweifen, ehe ich mich auf dem Weg nach draußen begebe.

Ich dränge mich durch die Massen und kurz bevor ich den Ausgang erreiche, schiebt sich ein Kerl der Sorte „Never ever“ vor mich und grinst schmierig.

„Na Schönhait, wo wolln wir denn hin?“, lallt er. Die Fahne, welche zu mir weht, verursacht Übelkeit. Ich stoße die Luft aus, um gegen das Gefühl anzukämpfen.

Meiner Erfahrung nach beachtet man solche Männer nicht. Solange sie reden, sind sie harmlos, also versuche ich mich an die Wand gedrückt, nach vorn zu schieben. Der Typ lässt allerdings nicht locker. Er stützt sich mit einem Arm an der Wand ab und versperrt mir jegliche Fluchtmöglichkeiten.

„Ich hab gefracht, wo du hin willst? Was´n los mit dir? Dachte, wir beide könnten ´n bissjen danzen.“

„Verschwinde!“, zische ich und verenge die Augen. Ich ducke mich und schlüpfe unter seinem ausgestreckten Arm hindurch, doch er ist zäher als erwartet. Er dreht sich flink, sodass er wieder vor mir steht und packt schmerzhaft meine Schulter, während er näher an mich heranrückt.

„Biss wohl zu gud für misch? Kannscht mir Nisch mal andworden was?

Aber ich mag Mädchen dü sich ´n bischen währen.“

Warum ausgerechnet ich? Womit habe ich das verdient?

„Ich habe kein Interesse.“

„Aber isch hab.“

Er lächelt lüstern und drückt meine Schulter zusammen.

Igitt.

„Sorry.“ Von links schiebt sich jemand zwischen uns und schlagartig habe ich einen breiten Rücken vor der Nase, der mich von dem Betrunkenen abschirmt.

„Was bischt d´n du für ainar? Verswinde!“, schnauzt dieser sogleich.

„Es gibt keinen anderen Weg. Wäre nett, wenn du deinen Arm runter nimmst, dann bin ich weg“, fordert der Fremde und ich glotze dem Rücken vor mir ein Loch ins Shirt.

„Ähm...“, schaffe ich zu sagen, was in der Antwort meines unerwünschten Verehrers untergeht. „Was´n durch? Klar störscht du Maan. Hast grad voll unsre Base kaputt jemacht.“

Der Typ nimmt seine schweißnasse Hand von meiner Schulter und ballt sie zur Faust.

Das geht bestimmt gleich in eine Prügelei über.

Mein ungefragter Retter beugt sich zu dem Betrunkenen hinunter und flüstert ihm etwas ins Ohr, dass ich nicht verstehe. Der schmierige Kerl wendet sich plötzlich um, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und wankt dorthin, wo er hergekommen ist.

Was hat das T-Shirt ihm gesagt?

Der Junge neigt sich leicht zur Seite und ich glaube, ein „gerne geschehen“ zu hören. Ungläubig sinkt mein Kiefer in die Tiefe und ich reiße die Augen auf. Spinnt der?

„Wer, denkst du, wer du bist? Ich kann mich ganz gut alleine verteidigen. Ich bin nicht auf jemanden wie dich angewiesen“, fahre ich ihn an.

Kurz erstarrt er in der Bewegung, doch statt zu regieren,

verschwindet er wortlos und lässt mich verwirrt zurück.

Jetzt fühle ich mich noch miserabler und kämpfe mich auf den Ausgang zu.

Kapitel 2

Kaum, dass ich vor der Tür stehe, inhaliere ich mit einem tiefen Zug die kalte, klare Nachtluft. Sofort mildern die Temperaturen die Kopfschmerzen und ich entscheide mich, meinen Rückweg zu Fuß anzutreten.

Die Strecke ist zwar nicht gerade kurz, aber es wäre nicht das erste Mal. Zu Fuß kann ich außerdem ein paar Abkürzungen über die Felder nehmen. Ich kenne die Gegend wie meine Westentasche und durch die sternenklare Nacht ist die Umgebung klar zu erkennen.

Die Sterne leuchten wie unzählige Diamanten zu mir herab und ich genieße die Ruhe fernab vom Club. Längst bin ich von der Hauptstraße abgebogen und stapfe Querfeld ein. Sobald ich an einem großen Acker ankomme, werfe ich einen Blick auf meine Schuhe.

Mit High Heels schaffe ich das nie.

Ungelenk ziehe ich mein rechtes Knie an, um an den Reißverschluss zu gelangen. Mein Gleichgewichtssinn war noch nie der beste und ich schwanke gefährlich.

Bevor ich eine Bruchlandung hinlege, setze ich mich ins taufeuchte Gras und streife mir die Schuhe von den Füßen. Zum Glück haben wir Sommer.

Barfuß betrete ich die weiche Schlammpackung und verdränge jegliche Gedanken an Spinnen, Würmer und was weiß ich nicht für Tiere, die ich mit meiner nackten Haut berühre.

Besser, ich konzentriere mich auf diesen Abend und was alles geschehen ist. Allen voran Tamara. Ihr Verhalten ist mir noch immer ein Rätsel.

Es ist nicht ihre Art, mit einem fremden Kerl rumzumachen.

Hatte sie vor, sich von Michael zu trennen?

Ist dieser Maxwell der Grund?

Vielleicht hat sie zu viel getrunken, oder er hat sie unter Drogen gesetzt?

Nein, sie war völlig klar. Nur geschockt, dass ich sie erwischt habe.

Frustriert stoße ich die Luft aus und schwinge die Schuhe an ihren Riemen über die Schulter wie ein Sack Mehl. Ich spüre kaum, wie sie auf meinem Rücken aufprallen, viel zu sehr bin ich in meine Überlegungen versunken.

Mit meinen Spekulationen komme ich nicht weiter.

Ich muss mit ihr reden, doch vorerst werde ich sie für ihr Benehmen schmoren lassen. Sie schiebt mich zu ihrer Schwester ab, knutscht mit diesem Maxwell rum und zum Überfluss zickt sie mich an.

Nein, das ist nicht akzeptabel.

Und was ist mit Ella? Für mich steht eine Trennung in Verbindung mit Tränen und Eiscreme, nicht mit „Ablenkung“ in Form einer Affäre. Na gut, zugegeben habe ich keinerlei Erfahrung. Zumindest was eine feste Beziehung angeht.

Dabei liegt es nicht gänzlich an mir. Es gibt nur niemanden, der mein Herz höherschlagen lässt. Meine Gedanken sind mittlerweile total konfus und kommen nicht zur Ruhe.

Wütend über mich selbst bleibe ich stehen und stampfe hart mit dem Fuß in den Morast. Kleine, spitze Steinchen graben sich tief in mein Fleisch und ich japse auf.

Verdammt.

Humpelnd überwinde ich die letzten Meter der erdigen Oberfläche und wische mit der Sohle über das Gras. Sofortige Linderung lässt mich aufseufzen. Jetzt ist es nicht mehr weit und ich eile die kurze Distanz bis nach Hause.

Endlich angekommen, stelle ich mit einem Blick aufs Handy fest, dass es kurz vor vier Uhr ist. Langsam schließe ich die Haustür auf, um jegliche Geräusche zu vermeiden.

Jeder Ton, der erklingt, ist so laut wie ein Kanonenschlag. Meine Eltern sind zwar nicht schnell zu wecken, aber um diese Uhrzeit ist es möglich, dass Papa im Haus unterwegs ist.

Die Schuhe nehme ich mit in mein Zimmer, damit nicht sofort auffällt, dass ich zu Hause bin. Eigentlich wollte ich bei Tamara übernachten. Langsam schleiche ich auf die Treppe zu, als im Obergeschoss überraschend eine Tür aufgeht.

In gekonnter Ninjamanier hechte ich seitlich neben den Aufgang. Wenn ich um diese Zeit entdeckt werde, gibt es nur unnötige Fragen, die ich nicht beantworten will. Helles Licht flutet die obere Etage. Mein Herzschlag verdoppelt sich innerhalb weniger Sekunden. Mir bricht der Schweiß aus und mein Brustkorb hebt und senkt sich hastig.

Mit ein paar schweren Tapsen über den Flur bewegt sich jemand auf die gegenüberliegende Seite auf das Badezimmer zu. Das kann nur mein Vater sein. Die Tür öffnet und schließt sich, sodass das Treppenhaus wieder in Dunkelheit und Stille liegt.

Katzengleich erklimme ich die Treppe und überwinde die paar Schritte zu meinem Zimmer. Jetzt kommt der heikelste Teil des Vorhabens, die Tür. Sie hat einen eigenen Charakter und ist mit Vorsicht zu behandeln. Die rechte Hand lege ich um die Klinke, während ich mit dem Fuß in der unteren Ecke gegen das Blatt drücke. Nun platziere ich die linke Handfläche flach auf dem Holz unterhalb des Griffs und öffne die Tür, sachte und mit vielen Stoßgebeten. Kaum ist der Spalt groß genug, schlüpfe ich hindurch und fahre schnell mit der Hand auf die gegenüberliegende Seite. Zum Schließen verfolge ich denselben Ablauf nur andersherum. Ich stoße die Luft aus, sobald ich mit den Fingern von der Klinke gleite, und lehne mich für ein paar Sekunden dagegen.

Auf Zehenspitzen bewege ich mich aufs Bett zu und springe in meinen Schlafanzug. Gerne würde ich sofort schlafen, aber die grauen Augen, welche ich den ganzen Weg nach Hause verdrängt habe, spuken mir im Kopf herum. Je länger ich darüber nachdenke, umso sicherer bin ich, dass ich sie mir nicht eingebildet habe.

Wer bildet sich zwei Augen ein? Mit den Gedanken an dieses intensiv leuchtende Grau falle ich in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 3

„Ich erwache mit leichten Kopfschmerzen, aber die sind nichts im Vergleich zum vergangenen Abend und mit etwas frischer Luft mühelos zu ertragen. Mit einem herzhaften Gähnen strecke ich alle Viere von mir und wippe abwechselnd mit den Füßen. Sie fühlen sich besser an, als ich es nach der Nachtwanderung erwartet habe.

Ein Blick aufs Handy verrät mir, das die Mittagszeit gerade endet. Etliche Whatsapp-Nachrichten und ein Dutzend verpasste Anrufe von Tamara lassen das Gerät aufleuchten.

Na, da hat wohl jemand ein schlechtes Gewissen.

Absichtlich stelle ich auf stur und drehe das Display nach unten.

Ein paar Minuten bleibe ich noch auf meiner weichen Matratze liegen und genieße die Ruhe. Mir ist klar, dass ich irgendwann aus dem Zimmer muss und dabei meinen Eltern begegnen werde. Mühevoll schiebe ich die Decke zur Seite und hieve mich in die Höhe. Es wird Zeit, dass ich mich umziehe. Bei dem Sonnenschein, der durch mein Fenster dringt, sitzen sie bestimmt im Garten.

In einem respektablen Zustand stecke ich nur wenige Augenblicke später den Kopf durch die Terrassentür und finde sie in trauter Zweisamkeit.

„Guten Morgen“, begrüße ich die beiden und trete zu ihnen hinaus.

„Hallo Liebling. Wir haben schon überlegt, wann du wieder da bist. Und war es schön gestern? Was habt ihr unternommen?“, erkundigt sich meine Mutter, die in der Hängematte liegt und kaum zu erkennen ist.

Schön? Eher nicht.

„Ja war in Ordnung.“

Ja, ich lüge, aber ich bringe es lieber schnell hinter mich.

Wenn ich Glück habe, unterzieht sie mich diesmal nicht ihrer mütterlichen Inquisition.

„In Ordnung?“, wiederholt sie ungläubig und ich sehe dabei zu, wie der Stoff der Matte in Bewegung kommt.

Und schon legt sie los.

„Tamara hat vorhin angerufen und nach dir gefragt“, rettet mich mein Vater, ehe meine Mutter ihren Kopf über die Umrandung geschoben hat.

„Ach ja? Wann genau?“

Unschuldig spiele ich mit dem Bündchen meines Shirts, um seinem Blick auszuweichen.

„Vor ungefähr einer Viertelstunde. Länger ist es nicht her.“

Ich spüre seinen Blick auf mir und halte meinen Kopf gesenkt.

„Da war ich bereits auf dem Weg. Ich rufe sie nachher an“, beeile ich mich zu sagen, und zu steuere dabei einen der freien Stühle an.

„Mach das Schätzchen. Ich verstehe nicht, wie ihr nach dem gestrigen Tag und der Nacht immer noch Gesprächsstoff habt“, wirft meine Mutter ein und schüttelt unverständlich den Kopf.

„Bringst du mir bitte ein Wasser mit, wenn du dir etwas holst? Am liebsten aus dem Kühlschrank“, flötet sie, während sie wieder in der Hängematte verschwindet.

Habe ich gesagt, dass ich in die Küche gehe?

„Natürlich“, ergeben drehe ich vor dem Platz um, an den ich mich setzen wollte und gehe stattdessen ins Haus.

Mein Vater springt in dem Moment auf, in dem ich die Schwelle übertrete, und folgt mir. Sobald er die Küche betritt, lehnt er sich an die Theke, während ich Gläser aus dem Schrank hole und zum Kühlschrank schlendere.

„Dir ist klar, dass du eine miserable Lügnerin bist, oder? Ich dachte, du bist ehrlich zu uns“, rügt er mich und sieht mich eindringlich an.

„Ich habe nicht gelogen“, halte ich dagegen und schiele aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber.

„Du hast aber auch nicht die Wahrheit gesagt. Was verschweigst du uns? Und es wäre höflicher, mich anzusehen.“ Seine Stimme hat eine gewisse Härte angenommen und so drücke ich die Tür des Kühlschranks zu und drehe mich zu ihm um. Abwartend verschränkt er seine kräftigen Arme vor der Brust und ich stoße die Luft aus.

Er wird nicht locker lassen, bis ich ihm berichtet habe, was er wissen will. Mein Vater ist wie ein menschlicher Lügendetektor, er erkennt sofort, wenn ich nicht die Wahrheit sage, und ich habe es einzig seinen wohlwollen zu verdanken, dass er draußen nichts erwähnt hat. Mit meiner Mutter an seiner Seite sind sie unschlagbar im Lüften irgendwelcher Geheimnisse.

„Entschuldige“, sage ich kleinlaut. „Ich habe mit Tami gestritten und werde sie nicht zurückrufen. Außerdem bin ich gestern Abend schon nach Hause gekommen und habe hier geschlafen.“

Seine Reaktion ist nicht die, die in Anbetracht der Umstände zu erwarten gewesen wäre.

„Ich wusste, dass du hier warst. Schätze, du bist gegen vier Uhr hier aufgeschlagen? In die Sache mit Tamara hänge ich mich nicht rein, aber wenn ich noch einmal erfahre, dass du zu Gott schlafender Stunde allein durch die Nacht marschierst, werde ich böse“, reagiert er viel zu sanft. „Warum hast du nicht angerufen?“ Leichter Groll schwingt in seiner Stimme mit und er fixiert mich mit seinen braunen Augen, sodass ich wie ein hypnotisches Schaf dastehe und nach den passenden Worten suche.

„Aber wie? Woher wusstest du das? Hat Tami ...?“, stoße ich aus, als mir die Bedeutung seiner Aussage bewusst wird.

„Sie hat nichts verraten, nur gefragt, ob du zu Hause bist. Man muss kein Sherlock Holmes sein, um Erdklumpen zu folgen. Wenn du dich in dein Heim schleichst, marschiere vorher nicht durch irgendwelche Acker oder beseitige hinterher wenigstens die Spuren. Ich habe die Abdrücke verfolgt und bin vor deiner Zimmertür gelandet. Du hast Glück, dass deine Mutter morgens zu nichts zu gebrauchen ist und ihr dein Mitbringsel nicht aufgefallen ist“, erklärt er und ich spüre, wie Hitze in meine Wangen steigt.

„Und, bevor deine Gedanken rotieren, ich habe dieses Detail für mich behalten“, fügt er an und ich lächle ihm dankbar entgegen. Leicht schüttle ich den Kopf, wie durchschaubar ich für meinen Vater bin.

„Danke, und wenn ich je wieder eine Mitfahrgelegenheit brauche, rufe ich an. Versprochen.“ Schwungvoll drücke ich ihn an mich und er erwidert liebevoll die Umarmung. Er lächelt mich an, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und kehrt in den Garten zurück.

Ich packe die Gläser, das Wasser und ein Buch für mich auf ein Tablett und bringe alles nach draußen, wo die beiden in der Sonne brutzeln.

Ohne weitere Unterbrechungen setze ich mich meinem Vater gegenüber in den Stuhl und schlage die erste Seite auf. Immer noch geistert mir der gestrige Abend im Kopf herum und ich schaffe es nicht, mich zu konzentrieren.

Ob ich Tamara besser zurückrufen sollte?

„Dingdong“

Mein Kopf schnellt in die Höhe und ich schaue auf die geöffnete Terrassentür, als würde ich dadurch erkennen, wer vor dem Haus steht.

„Dingdong“ ertönt es ein weiteres Mal und weder meine Mutter noch mein Vater reagieren darauf.

„Ich gehe schon. Ihr müsst nicht aufstehen“, erhebe ich mich leicht genervt und verdrehe die Augen, sobald ich ihnen den Rücken zudrehe.

„Ist eh für dich“, meint meine Mutter und ich ahme ihre Worte nach, während ich zur Tür gehe. Tami steht mit verheultem Gesicht davor und sieht mir mitleidig entgegen. Ihre Nasenspitze ist rot und ihre Augen sind verquollen. Kann meine Mutter seit neusten Hellsehen oder war es offensichtlich, dass Tamara hier auftaucht?

Bei diesem Anblick schaffe ich es nicht hart bleiben.

„Warte kurz“, befehle ich und informiere meinen Eltern, dass ich einen Spaziergang unternehme.

Zurück bei meiner Freundin, schließe ich die Tür hinter mir und wir laufen eine Weile schweigend nebeneinander her. Nur ein Schniefen ihrerseits unterbricht die Stille zwischen uns gelegentlich. Ich warte darauf, dass sie den ersten Schritt macht und sehe sie von der Seite an.

Ich habe ihr nicht die Tür vor der Nase zugeschlagen, das ist mehr, als sie erwarten kann. Sobald wir den Spielplatz erreichen, der seit Kindertagen von uns unsicher gemacht wurde, dreht sie sich zu mir um.

„Ich habe mich gestern miserabel verhalten. Bitte verzeih mir!“, fleht sie und ich ziehe abwartend eine Braue in die Höhe. „Ich habe dich überall gesucht. Nachdem Ella sagte, dass sie dich ewig nicht gesehen hat und ich nicht wusste, wo du bist, hatte ich schreckliche Angst um dich. Ich habe vorhin erst bei deinen Eltern angerufen, weil ich befürchtet habe, dass du ärger bekommst, wenn du zu Hause bist und ich nichts davon weiß. Wo warst du denn?“

Ohne Punkt und Komma sprudeln die Worte aus ihr heraus, sodass mir schnell der Kopf zu schwirrt.

„Ich hatte keine Lust, länger auf euch zu warten, und bin nach Hause gelaufen“, erkläre ich und hebe die Schultern.

„Was war das gestern Abend? Du knutschst mit irgendeinem Austauschschüler rum, hintergehst Michael, schiebst mich zu deiner Schwester ab und sagst mir nichts von der ganzen Sache? Ich dachte, wir reden über alles“, platzt es aus mir heraus, nachdem sie schweigt.

Betrübt sieht sie mich an und weitere Tränen laufen ihre Wange hinab. Das schlechte Gewissen ist ihr buchstäblich ins Gesicht geschrieben.

„Das zwischen Max und mir lief unheimlich schnell. Die Ereignisse haben sich überschlagen und ich wusste nicht, wo ich anfange. Außerdem dachte ich, du verachtest mich für die Sache mit Max“, jammert sie und zieht undamenhaft die Nase hoch. Weitere Tränen fliesen und sie schaut zu Boden. Sie wirkt ehrlich, verstört und reumütig, deswegen bin ich ihr nicht länger böse.

„Du erzählst mir jetzt alles und keine Ausreden mehr“, fordere ich und ziehe sie mit mir zu den Schaukeln. Das Metall rostet hier und da und das Gestell knarzt jämmerlich, als wir uns in den Gummischlaufen niederlassen.

„Ich habe ihn vor zwei Tagen kennengelernt“, beginnt sie zu erzählen. „Ella und ich waren einkaufen. Wir sind uns in diesem kleinen Secondhandshop in der Stadt begegnet, du weißt schon, wo es diese heißen Klamotten gibt. Ella ist in der Umkleide verschwunden und ich bin durch die Gänge gestreift, da stand er plötzlich vor mir. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist. Sobald er mir in die Augen sah, wusste ich, dass er der Mann meiner Träume ist“, gesteht sie und bekommt einen verträumten Ausdruck in den Augen.

„Und was war Michael bisher?“, will ich wissen und habe prompt Mitleid mit dem Jungen, der die letzten Jahre sein Leben mit ihr geteilt hat.

„Das ist was anderes und schwer zu erklären. Sobald ich Max gesehen habe, war es magisch. Die ganze Zeit bin ich davon ausgegangen, dass Michael und ich das perfekte Paar sind und es für immer hält. Nachdem ich Max kennengelernt habe, weiß ich jedoch erst, was Liebe wirklich bedeutet.“ Ihre Worte sind fest und sie sieht mich eindringlich an. Ich erkenne nicht den geringsten Zweifel in ihrem Gesicht.

„Versteh mich nicht falsch. Michael war schon der Richtige, irgendwie“, spricht sie weiter, „Ich bin froh, dass wir zusammen waren, aber nachdem Maxwell in mein Leben getreten ist, funktioniert das nicht mehr. Es ist wie ein Zauber zwischen uns. Wenn ich ihn sehe, habe ich den Drang, bei ihm zu sein. Ich habe fast körperliche Schmerzen, sobald wir nicht miteinander reden. Ich weiß, dass das Michael gegenüber nicht fair war, aber ich habe vorhin mit ihm gesprochen und die Beziehung beendet.

Ich habe ihm nicht erzählt, dass es mit einem neuen Mann zutun hat, um ihn nicht zu verletzen.“

Wieder treten Tränen in ihre Augen und ich halte es nicht länger aus, tatenlos neben ihr sitzen zu bleiben. Ich nehme sie in die Arme und jetzt heult sie richtig los.

„Ach Tami. Das war anständig. Es passt nicht zu dir, jemanden zu belügen und wenn du sagst, dass dieser Max der Richtige ist, glaube ich dir. Ich bin mir sicher, Michael wird es verstehen.“

Sie trötet lautstark in ihr Taschentuch.

„Das tut er. Er sagte, dass er nicht sauer ist und es versteht. Ich dachte, wenn ich es ihm sage, würde er ausrasten, aber es war, als hätte er darauf gewartet“, jammert sie und wird dabei immer leiser.

„Vielleicht hat er das ja. Wahrscheinlich hat er gefühlt, dass es auf das Ende eurer Beziehung zugeht und sich nicht getraut Schluss zumachen. Es ist schön, dass ihr so Erwachsen damit umgeht.“

Insgeheim bin ich ein wenig überrascht über derart vernünftiges Verhalten. Das hätte ich weder Tamara noch Michael zugetraut.

Meine Freundin schnieft laut in ihr Taschentuch und sieht mich von unten an. Dabei verzieht sie ihren Mund zu einer Schnute, bei der die Unterlippe ein wenig weiter hervorsteht.

„Verzeihst du mir? Ich weiß, das war alles andere als eine Glanzleistung. Ich hatte nicht vor, dich an Ella abzuschieben. Es war reiner Zufall, dass ich auf der Suche nach euch Max in die Arme gelaufen bin, und da war die Magie wieder. Ich habe es nicht geschafft, mich von ihm loszureißen“, erklärt sie mit zitternder Stimme und ich streiche ihr beruhigend über den Rücken.

„Dass Ella jemanden kennenlernt, habe ich nicht erwartet. Ich bin davon ausgegangen, dass ihr zusammen Spaß habt und ich dann später dazu stoße. Was soll ich sagen? Er küsst unverschämt gut und irgendwie haben diese Küsse Suchtpotenzial. Ich bin nicht von ihm losgekommen“, gesteht sie.

„Kurz bevor du aufgetaucht bist, sind wir auf die Empore, um uns etwas zu trinken zu holen. Du hast mich total überrumpelt und es war nicht ok von mir, wie ich mich verhalten habe. Als du dann gesehen hast, dass ich und Max mehr als geredet haben, bin ich durchgedreht und hab dich angefahren. Bitte verzeih mir“, fleht sie und sieht mich aus ihren rotgeränderten Augen an.

Als ob ich ihr jetzt noch böse sein könnte.

„Wir verbuchen, das am besten unter hormongesteuerte Verliebtheit“, gebe ich nach und lächle sie an.

Anschließend berichtet sie mir, was ihr neuer Schwarm ihr bisher über seinen Auslandsaufenthalt erzählt hat. So erfahre ich, dass die beiden zwischen Wolke sieben und Zungenakrobatik recht viel miteinander gesprochen haben.

Ab morgen besucht er und seine Mitschüler unsere Schule. Sein Jahrgang wird auf unseren aufgeteilt, sodass wir mit einer bisher eher kleinen Klasse auf eine übliche Größe anwachsen.

Mich würde interessieren, wer auf die Idee gekommen ist und die Jungs in die größte Provinz Deutschlands verschleppt hat.

„Sag mal der Typ, der sich gestern in der Warteschlange so rüde vor uns gedrängt hat, ist nicht zufällig in der Klasse, oder?“, unterbreche ich sie in ihrem Redefluss. Mir ist soeben eine Eingebung gekommen und ich sehe, wie es in ihrem Kopf anfängt zu rattern. Sie legt die Stirn in Falten.

„Keine Ahnung, ich habe den Kerl kaum gesehen“, erklärt sie und ich nicke gedankenverloren.

Irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass die grauen Augen, der breite Rücken meines ungewollten Retters und der Typ vom Eingang ein und dieselbe Person sind.

„Hast du gestern zufällig jemanden mit grauer Iris gesehen? Einen der in Max Klasse ist?“, will ich nun wissen und schaue sie abwartend an. Sie reißt die Augen auf und ein süffisantes Grinsen legt sich auf ihr Gesicht.

„Gibt es etwa einen, der dir gefällt?“

Sofort verdrehe ich die Augen. So war das nun wirklich nicht gemeint.

„Nein. Es ist nur eine Frage. Also hast du?“

Konzentriert ruft sie in Gedanken die Gesichter des vergangenen Abends ab und schüttelt nach einigen Augenblicken den Kopf.

„Nein, ich glaube nicht, dass ich jemanden gesehen oder kennengelernt habe. Daran könnte ich mich garantiert erinnern“, macht sie meine Hoffnung zu Nichte und ich zucke mit den Schultern.

Auf dem Rückweg läuft sie neben mir her und fragt spezifischer, was gestern passiert ist. Ich berichte ihr von den grauen Augen, dem Gefühl, beobachtet zu werden und dem angetrunkenen Jungen.

Sie ist einen Moment bestürzt und wieder wird ihr Blick glasig. Eilig versichere ich ihr, dass es halb so schlimm war und der Unbekannte mich gerettet hat.

Nachdem wir vor meiner Haustür ankommen, überlegt sie, ob der Alkohol daran schuld sei, dass ich mich nicht an ein genaues Gesicht zu den Augen erinnere.

Hätte ich sie nur nicht gefragt.

„Möglich, schließlich vertrage ich nichts“, gebe ich schnell zu und hoffe, dass sich das Thema damit erledigt. Sie nickt vage, sieht allerdings nicht so aus, als wäre die Sache von Tisch. Eilig verabschiede ich mich von ihr, bevor sie mich mit weiteren Vermutungen bombardiert. Nachdem ich die Tür hinter mir zu schlage, atme ich tief durch und schließe einen Moment die Augen.

Der Abend mit meinen Eltern verläuft unspektakulär und ich fühle mich wie erschlagen, als ich müde auf mein Bett herabsinke. Trotz allem, was heute geschehen ist, lassen mich meine karussellfahrenden Gedanken nicht in Ruhe.

Insgesamt habe ich das Gefühl, dass die Geschichte mit Tamara, Maxwell und Michael zu glatt abgelaufen ist und das mit Max verstehe ich auch nicht. Klar Liebe auf den ersten Blick, meinetwegen aber ist das in diesem Ausmaß überhaupt möglich? Und dann ist da immer noch dieser Fremde mit den grauen Augen.

Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass ich sie mir nicht eingebildet habe und alle drei Personen von gestern einen Menschen ergeben. Doch wie sieht er aus? Und warum beobachtet er mich?

Was stimmt nicht an dieser Geschichte? Sobald ich die Lider schließe, schlafe ich unvermittelt ein. Die fremden Augen verfolgen mich bis in meine Träume und ich verliere mich in ihnen.

Kapitel 4

Der Tag ist noch nicht angebrochen, als ich die Augen aufschlage. Verdammt bin ich müde.

Ein Blick aufs Handy lässt meine Laune nicht steigen. Die Anzeige zeigt mir, dass ich über eine Stunde zu früh erwacht bin.

Jeder Versuch, noch einmal einzuschlafen, schlägt fehl, also stehe ich frustriert auf und ziehe mich an. Das einzig Positive an der Sache ist, dass ich genug Zeit habe, um alles für den ersten Schultag der neuen Woche vorzubereiten.

Ich setze mich an den Schminktisch und schaue dem Grauen ins Gesicht und oje, ich sehe schrecklich aus. Tiefe Schatten liegen unter meinen blauen Augen und die sonst glänzenden, glatten Haare stehen wild in alle Richtungen ab.

Was habe ich in der Nacht getrieben, dass ich so aussehe?Ich werde viel Concealer und Kaffee brauchen, um wacher zu wirken, als ich mich im Moment fühle.

Bei jedem Schritt überrede ich meine Finger und Arme, ihre Arbeit aufzunehmen. So vergeht eine gefühlte Ewigkeit, bis ich das Spiegelbild akzeptabel finde.

Fertig gestylt und angezogen schnappe ich mir meine Tasche und begebe mich in die Küche. Meine Eltern schlafen noch. Verständlich um fünf Uhr morgens und ich bin ziemlich neidisch auf sie. Sie liegen in ihrem warmen, kuscheligen Bett, während ich die Kaffeemaschine anstarre. Das doofe Ding ist zu langsam für meinen benötigten Konsum.

„Komm schon“, fordere ich sie auf und erhalte ein Gurgeln zur Antwort. Ich verdrehe die Augen und schaue ermüdend dabei zu, wie sich die Tropfen meines heutigen Überlebenselixiers in der Kanne sammeln. Genervt wende ich mich von der Maschine ab und schlürfe zum Kühlschrank, um mir alles für ein karges Frühstück zu holen. Ermattet setze ich mich an die Theke und starre wieder gereizt auf die Kaffeekanne, während ich mir wie ferngesteuert ein Brot mit Marmelade beschmiere. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, öffne ich die Instagram App auf meinem Handy. In die Beiträge vertieft, verschlinge ich drei ganze Scheiben. Wenn ich nicht aufpasse, rolle ich zur Schule.

Endlich macht die Kaffeemaschine die letzten glucksenden Geräusche und ich frage mich nicht zum ersten Mal, wieso wir so ein altersschwaches Gerät besitzen. Aggressiv fülle ich meine Tasse randvoll mit diesem schwarzen Gold und verbrenne mir vor lauter Gier die Zunge.

Was für ein Scheißtag.

Mit mehr Schwung, als ich mir zugetraut hätte, stelle die Tasse zur Seite und prompt treffen ein paar dunkle Tropfen mein Oberteil. Na toll. Das war mein Lieblingsshirt verdammt. Das kommt davon, wenn man seinem Arm keine genauen Anweisungen gibt.

Möglichst leise stapfe ich wieder nach oben in mein Zimmer und wühle mich durch den Kleiderschrank. Bis ich etwas gefunden habe, das zum Make-up, den Schuhen und der Tasche passt, vergehen etliche Minuten und ich kehre gehetzt zurück in die Küche. Unsicher, ob ich es noch einmal wagen soll, beäuge ich die Tasse, befehle ihr artig zu sein und keine Sauerei mehr zu veranstalten.

So weit ist es gekommen, ich rede mit der Kaffeetasse.

Mein Blick fällt auf die Zeitanzeige des Handys, dass ich auf der Theke habe liegen lassen und vor Schreck hätte ich beinahe das nächste Missgeschick verursacht.

Verflixt, wo ist die Zeit geblieben?

Wie ferngesteuert schnappe ich mir Handy und Tasche, bevor ich aus dem Haus stürme. Im Laufschritt überwinde ich die Distanz zur alten Linde, an der meine Freundin nervös hin und her wippend nach mir Ausschau hält.

„Was ist denn mit dir passiert? Hast du verschlafen?“, erkundigt sie sich, während ihr prüfender Blick von meinem Scheitel bis zu den Füßen wandert.

So viel zu, kein Sport. Es ist sieben Uhr und wir haben knappe zwanzig Grad. Das zusammengerechnet mit dem Tempo, welches ich hingelegt habe, lassen direkt den Wunsch nach einer Dusche entstehen. Wahrscheinlich ist mein ganzes Make-up verlaufen und die Mühe war vergebens.

„Ja, schön wär es. Wie sehe ich aus?“ Mein Atem kommt stoßweise und ich halte mir die schmerzende Seite, in der sich das Seitenstechen unangenehm bemerkbar macht.

Sie schüttelt stumm ihren Kopf und sagt mir ohne Worte, dass alles umsonst war.

„Komm, ich mach das schnell. Die zwei Minuten haben wir noch“, fordert sie mich auf und zieht mich zu der kleinen, windschiefen Bank, die vor dem dicken Stamm steht.

Konzentriert wandert ihre rechte Augenbraue in die Höhe, während sie ihr Notfall-Make-up aus der Tasche zaubert. Ich bin nicht eitel, aber selbst ich habe so viel Stolz, dass ich nicht am erste Tag einer neuen Woche als Vogelscheuche in der Schule auftauche. Mit stolzgeschwellter Brust hält sie mir einen kleinen Spiegel vor die Nase und ich bin fasziniert, wie frisch ich wirke. Eilig gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange und sie packt ihre Utensilien zusammen. Gemeinsam legen wir die letzten Meter zur Schule zurück, während ich ihr von meinem Morgen berichte.

„Das heißt lediglich, dass es ab jetzt besser wird. Du wirst sehen“, erklärt sie und lächelt mich dabei aufmunternd an.

Ahh, Motivations-Tami ist am Start.

Pünktlich zum Gong betreten wir das Klassenzimmer und eilen auf unsere Plätze. Die freien Stühle finden sich ausschließlich im vorderen Bereich.

Beim Gedanken, warum das so ist, überkommt mich sofort Mitleid mit denen, die das Los treffen wird.

Die Gründe, weshalb es ratsam ist, nicht in der ersten Reihe zu sitzen und nahe der Frischluftzufuhr heißen Herr Ostenwald und Frau Fischer-Brühl. Herr Ostenwald, unser Lehrer in Sport und Geografie, ist etwas in die Jahre gekommen und ein freundlicher Geselle. Weniger hervorzuhebende Attribute von ihm sind seine ausgeprägte Schweißbildung und der damit einhergehende Geruch.

Es ist nicht übertrieben, wenn jemand meint, dass seine körperlichen Ausdünstungen vom letzten Knobi-Zwiebeldöner Übelkeit verursacht. Je wärmer und intensiver der Sportunterricht war, umso unangenehmer ist das Aroma. Vor zwei Jahren hat er behauptet, er verspeise jeden Morgen eine rohe Zwiebel. Die würde ihm Kraft bringen und ein langes Leben.

Ich denke, es ist nicht weiter erwähnenswert, dass sich das ein oder andere duftende Lüftchen aus Herrn Ostenwalds Körper bewegt, welches nichts mit seinem Schweiß und Atem zutun hat.

Bei Frau Fischer-Brühl, Lehrerin für Musik und Physik, hat man das Gefühl, in einem fortwährenden leichten Sprühregen zu sitzen. Selbst in der zweiten Reihe ist man vor der lispelnden Ausdrucksweise, welche sie an den Tag legt, nicht gefeit.

Ich ziehe meinen Block aus der Tasche, als sich die Tür öffnet und Frau Doktor Specht unsere Klassenlehrerin, gefolgt von zehn Jungen, den Raum betritt. Allesamt sehen aus wie Mitte zwanzigjährige Footballspieler und meine Augenbrauen wandern in die Höhe.

An sechster Stelle steht Max, der mir kurz zuzwinkert und dann bei Tamara hängen bleibt. Ich staune schon gar nicht mehr, als ich neben ihm die Jungs von Samstagnacht aus dem Club wiedererkenne. Sobald mein Blick bei Nummer 9 innehält, der mir geradewegs entgegensieht, schnappe ich nach Luft.

Mein Puls beschleunigt sich rasant und ich umklammere das Papier in meinen Händen so kräftig, dass meine Fingerknöchel Weiß hervorstechen.

Unsere Blicke verhaken sich miteinander und ich bin nicht in der Lage wegzusehen. Nummer neun ist der Unbekannte. Er hat die grauen Augen, die mich die letzten Tage und Nächte verfolgt haben. Er ist Mister X.

Es ist, als würde ich mit ihm in einem Tunnel stehen und um uns herum existiert nichts. Ich blende alles aus.

Auf einmal setzen sich die Jungs in Bewegung und der Blickkontakt bricht ab. Ich werde mir bewusst, dass ich die Luft angehalten und nicht ein Wort von dem verstanden habe, was Frau Doktor Specht erzählt hat. Keuchend stoße ich den Atem aus und verfolge ihn bis zu seinem Platz.

Er setzt sich von einem Mitschüler verdeckt seitlich in die Reihe, während ein anderer lächelnd auf mich zukommt und sich auf den freien Stuhl neben mir fallen lässt.

„Hallo, wie gehts? Ich bin Lennox“, stellt er sich im besten Englisch vor. Mit erhobenen Augenbrauen sehe ich ihn an und bin einen Moment sprachlos.

Es ist möglich, dass mein Mund ein wenig auf steht, was nicht an seinem offengestanden guten Aussehen liegt. Nein, eher daran, dass mein Hirn einen Augenblick benötigt, um zu registrieren, dass es nötig ist, zu übersetzen. Normalerweise ist das kein Problem. Meine Eltern waren zweimal mit mir in London und jedes Mal haben sie mich gezwungen, die Landessprache zu sprechen.

Ehrlich und widerstrebend gebe ich zu, dass ich dadurch eine der Besten in diesem Fach bin.

Sobald mein Hirn seine Arbeit verrichtet und seine Worte einen Sinn ergeben, stelle ich mich vor. Kaum habe ich meinen Namen ausgesprochen, fährt Frau Doktor Specht mich an.

„Fräulein Summert, ich habe ihnen soeben erklärt, dass sie mit unseren neuen Mitschülern außerhalb des Englischunterrichts Deutsch zu sprechen haben. Was haben sie daran nicht verstanden?“

Peinlich berührt, senke ich meinen Kopf. Ich spüre, wie mir die Hitze in die Wangen steigt und wünschte, ich könne mich unsichtbar machen.

„Entschuldigung. Es war ein Reflex“, beeile ich mich zu sagen. Ich schiele zu Lennox, der grinst, als hätte er nichts mitbekommen.

Er hat ein sympathisches Lächeln mit Grübchen in den Wangen und mit seinen blauen Augen und dem blonden Haaren hat er etwas Spitzbübisches an sich.

Meine Lehrerin wendet sich mit einem Nicken von mir ab, als ich mich traue, den Kopf zu heben, und die restliche Stunde wird französische gesprochen. Auch diese Sprache ist mir durch diverse Urlaube in Paris nicht fremd, liegt mir allerdings nicht so gut. Meine Eltern sind der Meinung, das Englisch als Weltsprache ausreichend ist. Vor allen, weil unsere Urahnen Engländer waren.

Daher auch der Nachname, Summert. Mit vollen Namen heiße ich Sophie Leonore Summert. Was für ein Name. Ich danke meinem Vater immer wieder dafür, dass der Zweitname stumm geblieben ist.

Meine Mutter hatte bei der Namensgebung darauf bestanden, dass er auf unsere Vorfahren zurückgeht. Leonore war angeblich eine der ersten Summert. Wer auch immer das ist.

Tami ist der Meinung, mein Name hätte Star potenzial, Sophie Summert á la Kim Kardashian oder Tina Turner. Ich schüttle stumm den Kopf, als ich mich an das Gespräch erinnere und grinse. Ihre Familie entspringt demselben Inselstaat, was uns seit Kindergartentagen zu besten Freundinnen zusammengeschweißt hat.

Ich sitze auf meinem Platz und sinniere über den Namen nach, während die Ersten aufstehen und die Klasse verlassen. Anscheinend hat es zur Pause geklingelt und ich habe nichts davon gemerkt. Lennox ist ebenfalls aus dem Raum verschwunden, aber der Junge mit den grauen Augen sitzt nach wie vor auf seinem Platz und fixiert mich. Sein Blick macht mich nervös. Ich bin mir nicht sicher, wie ich ohne mich zum Deppen zumachen, aufstehen und den Klassenraum verlassen soll.

Just in diesem Moment kommt der Kerl, der mit Ella geflirtet hat, von der Seite an ihn herangetreten und flüstert ihm etwas ins Ohr. Beide sehen mich dabei an, als wäre ich ein Alien.

Was ist denn jetzt los?

Gerade öffne ich den Mund, um etwas zu sagen, da steht Grauauge auf und die beiden verschwinden gemeinsam aus dem Zimmer.

Ich starre ihnen einen Augenblick hinterher und brauche einen Moment, bis ich mich gefangen habe. Kopfschüttelnd folge ich meinen Klassenkameraden in den Flur. Wir haben Blockunterricht und nur eine kurze Pause für den Raumwechsel.

Der Gurt meiner Tasche gibt ein Knarzen von sich und ich begutachte den Riemen, während ich um die letzte Ecke biege und gegen etwas Hartes stoße. Der Aufprall kommt unerwartet, sodass ich überrascht zurückweiche und mir die schmerzende Brust reibe. Ich stolpere über meine Füße und verliere das Gleichgewicht, wobei ich wild mit den Armen rudere. Der Moment dehnt sich in Zeitlupentempo aus und derweil ich noch zu begreifen versuche, gegen was ich gelaufen bin, löst sich der Gurt vollständig vom Rest der Tasche. Der Inhalt verteilt sich mit einem lauten Klatschen auf dem Boden.

Mit weit aufgerissenen Augen sehe ich zu, wie sich die Mauer vor mir umdreht und geschwind die kräftigen Arme um meinen Körper legt. Der Fall stoppt in dieser Sekunde genauso wie mein Herzschlag. Ich blicke in ein stahlgraues Augenpaar und alles um uns herum verschwindet.

Mein Mund ist staubtrocken und die Zunge starr wie Zement. Offenbar bin ich nicht mehr fähig, mich zu artikulieren.

Er stellt mich vorsichtig und wie ich finde, äußerst behutsam auf die Beine, lässt mich jedoch nicht los. Seine Hände sind warm und die Berührung verursacht ein Prickeln, das tief in mir nachklingt. Ich stehe so dicht vor ihm, sodass ich seinen Atem auf meiner Haut spüre.

Dieser Moment fühlt sich perfekt an.

Tamara, die alles mit angesehen hat, kommt zu uns gerannt und dreht mich rabiat zu sich. Ihre Augen sind vor Schreck geweitet und ihre Stirn liegt in tiefen Falten.

„Oh Gott Sophie, alles klar? Hast du dich verletzt?“, will sie wissen. Statt zu antworten, drehe ich meinen Kopf wieder zu dem Jungen, der mich mittlerweile losgelassen und etwas von mir entfernt hat. Ich sehne mich augenblicklich nach seiner Nähe, obwohl er weiterhin direkt vor mir steht und mich ansieht.

Tamara zwingt meinen Kopf zur Seite und ich unterbreche den Blickkontakt. Mit beiden Händen hält sie mein Gesicht umklammert und nimmt mir damit die Möglichkeit, mich wieder zu ihm zu drehen.

„Sophie, hörst du? Ich habe gefragt, ob du Schmerzen hast? Das sah echt übel aus.“

„Was? Nein. Es ist alles in Ordnung. Habe mich nur erschrocken“, beruhige ich sie, und sobald sie meinen Kopf frei gibt, drehe ich mich um. Er ist verschwunden.

Einfach weg.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen und unerwartet schießen mir Tränen in die Augen. Ich schaue mich suchend nach ihm um, doch er bleibt wie vom Erdboden verschluckt.

Wieso bringt er mich so um den Verstand?

Obwohl ich direkt neben meiner Freundin stehe, die dabei ist, meine Sachen zusammenzulesen, komme ich mir unendlich allein vor. Um nicht loszuheulen, gehe ich in die Knie und helfe ihr. Sobald wir alles eingesammelt haben, hebe ich die Tasche mit beiden Händen in die Höhe und presse sie wie einen Schutzschild an meine Brust.

Kapitel 5

Herr Ostenwald steht vor der Tafel, als wir den Raum betreten und sieht uns mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wahrscheinlich hat er die Misere im Flur mitbekommen, weswegen er unser Zuspätkommen nicht kommentiert.

Mit gesenkten Kopf eile ich auf meinen Platz in der letzten Reihe, um niemanden anzusehen. Herrn Ostenwald quält die Klasse mit den Ausbreitungen des Gangesdeltas, als Lennox sich leise flüsternd an mich wendet.

„Bist du okay?“

Mit glühenden Wangen sehe ich ihn an und nicke stumm. Gott ist das peinlich. Er schielt neugierig zu meiner Tasche, wodurch auch mein Kopf in die Tiefe wandert. Mit gerunzelter Stirn inspiziere ich die Naht. Wieso reißt dieser verdammte Riemen? Ich habe sie im letzten Urlaub gekauft und das Teil war kein Schnäppchen. Mit den Fingerspitzen gleite ich über die Abrissstelle und klemme die Unterlippe zwischen die Zähne. Lennox beobachtet mich bei meiner Untersuchung und hebt amüsiert die Augenbrauen.

„Was? Das ist nicht normal, oder? Die war fast neu“, flüstere ich und hebe beide Brauen.

„Die war schlecht verarbeitet. Du hattest Pech“, reagiert er postwendend und unterdrückt ein Grinsen. Er rutscht ein wenig näher und betrachtet die Stelle.

„Die war voll teuer“, gebe ich wispernd zurück und betrachte sein Profil. Kantiges Gesicht, gerade Nase und ein unverschämtes Lächeln, welches er mir schenkt.

Nach kurzer Analyse meines Riemens hebt er den Blick und wirkt verunsichert. Sein rechter Mundwinkel wandert in die Höhe, während er die Tasche dreht, sodass ich den Stoff genau betrachten kann.

„Sei bitte nicht sauer, aber das war wirklich schlecht verarbeitet. Der Gurt wurde angeklebt und nicht vernäht. Dazu ist das Material minderwertig. Ich hoffe, du hast nicht zu viel dafür bezahlt Prinzessin.“

Prinzessin? Spinnt der?

„Woher willst du das überhaupt wissen?“

„Meine Eltern besitzen eine Textilfirma. Es ist wichtig, auf die Verarbeitung zu achten. Viele betrügen dich, wo es geht. Ich erkenne 90 % aller Imitate und das hier ist kein Original“, erklärt er und deutet auf das Stück in meinen Händen. Meine Kinnlade klappt nach unten und ich bin für einige Sekunden sprachlos.

Seine Wangen bekommen einen leichten Rosaton und ich habe das Gefühl, das ihm sein Fachwissen unangenehm ist.

„Wenn ich das Tami erzähle, zwingt sie dich von nun an unsere Shoppingbegleitung zu sein“, raune ich und Lennox sieht mich fragend an. Ich deute mit dem Kinn auf meine Freundin und seine Mundwinkel verziehen sich zu einem erfreuten Schmunzeln.

„Habe ich dir gesagt, dass meine Eltern Unterwäsche produzieren? Ich berate euch gerne“, reagiert er frech und mustert Tamara von Kopf bis Fuß. Ich lache auf.

„Vergiss es. Du kommst nur zu normalen Shoppingausflügen mit. Wenn wir großzügig sind, erlauben wir dir unsere Taschen zutragen“, gebe ich zurück und verenge die Augen.

„Vielleicht erzählen sie der Klasse, worüber sie sich amüsieren“, fordert Herr Ostenwald, der unbemerkt vor den Tisch getreten ist und uns erbost ansieht. Ich bin schon dabei, zu einer Entschuldigung anzusetzen, da springt Lennox auf und spricht klar und deutlich zur Klasse.

„Wir haben über Seide und Spitze gesprochen, besser gesagt Dessous. Brauchen sie auch etwas? Ich hätte nicht erwartet, dass sie an solcher Art Kleidung interessiert sind, aber man sollte den Mensch eben nie nach dem Einband beurteilen, richtig?“

Lennox lächelt Herrn Ostenwald herzlich an und setzt sich wieder, als dieser nicht antwortet und ihn ebenso perplex anstarrt wie jeder andere in der Klasse.

Zum wiederholten Male an diesem Tag steigt mir die Hitze in die Wangen und ich schaue mit aufgerissenen Augen zu meinem Lehrer auf. Augenblicklich erklingt ein unterdrücktes Kichern. Ostenwald, der das Lachen auf sich bezieht, weil er nichts verstanden hat, nickt uns zu und verschwindet mit den Worten, „Schön schön, na von mir aus“, wieder nach vorn. Nun ist es kein gepresstes Gefeixe mehr, sondern schallendes Gelächter.

Mein Blick fliegt zu Tamara, die erst mich und dann Lennox ansieht, mir frech zuzwinkert und die Daumen hebt.

Übelkeit breitet sich in meinem Magen aus, und sobald ich den Kopf der rechten Seite zuwende, wandelt sich diese augenblicklich in Angst um. Grauauge sitzt stocksteif und mit zu Fäusten geballten Händen auf seinen Platz. Sein Gesicht ist eine reglose Maske, nur seine Augen werfen Blitze auf meinen Sitznachbarn.

Sobald Lennox diese Reaktion sieht, verblasst sein Lächeln und er senkt den Kopf.

Die restliche Stunde wechseln wir kein Wort mehr miteinander und ich versuche, mich unsichtbar zumachen. Sobald es zur Pause läutet, verlässt Herr Ostenwald mit eiligen Schritten den Klassenraum.

Wahrscheinlich will er übersetzen, was Lennox von sich gegeben hat.

In Windeseile packe ich meine Sachen zusammen, klemme mir die Tasche unter den Arm und eile auf den Ausgang zu.

„Du gehst ja ran“, bestürmt mich Tamara lachend und hält mich am Arm zurück, als ich an ihr vorbeigehe.

Zeitgleich wird es hinter uns laut. Grauauge steht so hastig auf, dass er seinen Stuhl dabei umwirft und fliegt in einem Hechtsprung über den Tisch. Er stürzt sich auf Lennox und landet sofort einen gezielten Treffer auf seinem Auge.

Alles läuft so schnell, dass ich erst gar nicht begreife, was vor sich geht.

„Oh nein“, entfährt es meiner Freundin. Jeder verfolgt gebannt die Szene. Stumm starren wir die beiden an, nicht in der Lage, uns zu rühren.

Lennox taumelt mit weit aufgerissenen Augen zurück, wird aber sofort zu Boden befördert und sein Angreifer kniet sich rittlings auf ihn.

Das reicht.

„Hör auf“, brülle ich erfolglos und sehe mit an, wie er fuchsteufelswild auf ihn einschlägt. Jedes klatschende Geräusch gräbt sich in meine Ohren und ich erzittere.