Puppendrama - Herbert Speer - E-Book

Puppendrama E-Book

Herbert Speer

0,0

Beschreibung

Tim ist verschwunden! Ausgerechnet nach der Vorstellung, die Sophie, Michael und Kai im Brüsseler Marionettentheater besucht haben, wird die wertvollste Puppe vermisst. Ehrensache, dass die drei sich auf die Suche begeben. Marionetten und Comicfiguren sprechen zu Sophie und geben Hinweise. Eine Schnitzeljagd durch die belgische Hauptstadt beginnt. Auch das berühmte Männeken Piss ist beteiligt. Die Kinder müssen ihre ganze Kombinationsgabe einsetzen, um dem Täter auf der Spur zu bleiben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 140

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herbert Speer

Puppendrama

Sophie, Michael und Kai in Brüssel

 

 

 

Dieses eBook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Brauner Bär an Schwarzer Adler

Hunderttausend Höllenhunde

Brüssel

Tim’s

Tim ist verschwunden!

Männeken Piss

Janneke Pis

Rick Master

Der Reporterin auf der Spur

Atomium

Unter Verdacht

Neun silberne Kugeln

Comickunst an Hauswänden

René Magritte

Wo alles begann

Des Rätsels Lösung

Ende gut, alles gut

Impressum

Brauner Bär an Schwarzer Adler

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Brauner Bär an Schwarzer Adler!“

Sophie ließ die Taste des Walkie-Talkies los, woraufhin das Gerät ein Knacken von sich gab. Gleich darauf hörte sie die Stimme ihres Bruders Michael:

„Hier Brauner Bär. Wo bist du, Schwarzer Adler?“

Wieder ein Knacken im Gerät.

„Habe den verabredeten Beobachtungsposten erreicht. Alles ruhig. Was soll ich tun?“

„Bleib in Position! Flinkes Wiesel und ich sind unterwegs!“

Flinkes Wiesel war der Codename von Kai, Michaels Klassenkameraden und bestem Freund. Die beiden befanden sich auf dem Gelände der Gärtnerei, die den Eltern von Michael und Sophie gehörte. Sophie war ein elfjähriges Mädchen von schwarzer Hautfarbe. Sie war in Afrika zur Welt gekommen und dort in einem Waisenhaus gelandet. Im Alter von drei Jahren hatten sie Michaels Eltern adoptiert und nach Deutschland geholt. Wer ihre wirklichen Eltern waren, wusste Sophie nicht. Doch sie fragte auch nicht danach. Schon so viele Jahre waren die Gärtnerei und Michaels Familie ihr Zuhause.

Jetzt lag Sophie in einem Gebüsch auf dem Gelände einer stillgelegten Fabrik. Dort gab es ein riesiges halb verfallenes Gebäude, das den Kindern als Abenteuerspielplatz diente. Doch an diesem Tag achtete Sophie auf etwas anderes. Auf der Freifläche vor der Fabrikhalle stand seit kurzem ein Wohnwagen mit Vorzelt. Augenscheinlich hauste dort jemand. Das wäre an und für sich nicht weiter ungewöhnlich gewesen. Doch die Kinder hatten die Bewohner beobachtet und festgestellt, dass häufig Autos auf den Hof gefahren kamen, dort abgestellt und erst nach Tagen wieder abgeholt wurden.

„Bestimmt eine Bande von Autoschiebern“, hatte Sophie vermutet und seit diesem Tag war aus den Kindern eine Gruppe von Detektiven geworden, die den Gaunern das Handwerk legen wollte. Wie es der Zufall so wollte, hatte Sophie erst kürzlich zu ihrem Geburtstag ein Paar Walkie-Talkies geschenkt bekommen, die sich nun als äußerst nützlich erwiesen. Nur Kai war nicht so begeistert. Da es nur zwei und nicht drei Geräte gab, konnte er nie auf eigene Faust ermitteln, denn weder Sophie noch Michael waren bereit, ihr Funkgerät aus der Hand zu geben.

„Schwarzer Adler an Brauner Bär! Kommen!“

Sophie sprach im Flüsterton, denn sie war schon recht nahe an dem Wohnwagen und wusste nicht, ob sie von dort gehört werden konnte.

Warum antwortet der nicht?

„Hier Brauner Bär. Ankunft verzögert sich. Mussten Zorro noch Futter geben!“

Zorro war ein mittelgroßer schwarzer Chow-Chow mit blauer Zunge, der ein so dichtes und weiches Fell hatte, dass er zum Knuddeln besser geeignet war als jeder Teddybär. Hinzu kam, dass er äußerst gutmütig war und die Kinder überall hin begleitete. Nur zu dem Fabrikgelände durfte er nicht mitkommen, denn um dorthin zu gelangen, musste man einen Bahnkörper überqueren, auf dem zwei S-Bahnlinien verkehrten. Die Eltern hatten dies den Kindern natürlich streng verboten, doch sie hielten sich nicht daran.

„Wir müssen es ihnen ja nicht auf die Nase binden“, meinte Sophie immer dann, wenn ihr Bruder Bedenken äußerte. Die Gleise verliefen auch erst am äußersten Ende des Grundstücks der Gärtnerei, dort, wohin die Eltern ohnehin niemals kamen.

„Jetzt beeil dich doch“, drängelte Kai, der mitbekommen hatte, dass Sophie schon vor Ort war.

„Ja, ja, gleich, muss mir nur die Schuhe binden.“

Michael, der ein knappes Jahr jünger als Sophie war, hatte die Ruhe weg.

„Gib mir doch mal das Walkie-Talkie“, bat Kai.

„Ich hab’s schon.“

Michael stand auf und drückte die Sprechtaste.

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Kommen!“

„Hier Schwarzer Adler! Gerade ist ein Auto auf den Hof gefahren. Kann die Leute nicht sehen. Die Fabrikhalle liegt dazwischen. Beziehe neuen Posten. Over!“

Michael sah Kai mit einem empörten Blick an.

„Mensch, die will schon los!“

„Hättest du mal nicht so getrödelt!“

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Brauner Bär an Schwarzer Adler!“

Doch das Funkgerät blieb stumm.

„Jetzt aber los!“

Und so rannten Michael und Kai vom Wohnhaus aus den gepflasterten Weg entlang einer Reihe von Schuppen, dann an Gewächshäusern vorbei, bis sie schließlich ein einzeln stehendes Haus erreichten. Hier hatte in früheren Zeiten der Vorarbeiter der Gärtnerei gewohnt, doch schon seit einigen Jahren stand das Haus leer und durfte von den Kindern als Spielplatz genutzt werden. Doch viel lieber als dort verbrachten sie ihre Zeit in ihrem Baumhaus. Dieses befand sich gleich neben dem Haus in der Krone eines hohen Baumes.

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Brauner Bär an Schwarzer Adler!“

Sophie antwortete noch immer nicht. Michael und Kai umrundeten das leerstehende Haus und liefen dann über eine Wiese, die den Abschluss des Grundstücks bildete. Sie mussten über einen Zaun klettern, dann standen sie an einem Geländer, das den Bahnkörper begrenzte.

„Da kommt die S-Bahn Richtung stadteinwärts!“

Kai duckte sich. Mit hohem Tempo rauschte die Bahn vorbei. Wenig später kam aus der anderen Richtung ein weiterer Zug.

„Jetzt“, gab Michael das Kommando, nachdem auch dieser vorbei war. Rasch kletterten sie über das Geländer, sahen noch einmal nach links und rechts, und rannten dann über die Gleise.

„Geschafft!“

Die beiden Jungen zwängten sich durch eine Lücke im Zaun und kamen so auf das Grundstück der stillgelegten Fabrik. Sie folgten einem schmalen Pfad, der durch dichtes Buschwerk führte. Michael strebte voran. Als er den Rand des Gebüsches erreichte, blieb er stehen. Kai kam heran und dann kauerten sich beide auf den Boden und spähten hinüber zu dem Wohnwagen mit dem Vorzelt.

„Sieht alles ruhig aus“, stellte Kai fest.

„Ich versuche noch mal, Sophie zu erreichen.“

Michael drückte die Sprechtaste seines Walkie-Talkies und flüsterte hinein:

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Kommen!“

Dieses Mal hatte er Glück. Sofort erklang die Antwort:

„Hier Schwarzer Adler. Habe neuen Beobachtungsposten bezogen!“

„Und wo ist der?“

„Auf dem Dach...“

„Auf dem... wie kommst du denn dahin?“

„Ist ganz einfach. Ich erklär es dir. Wo seid ihr denn?“

„Im Gebüsch. Wo wir uns treffen wollten.“

„O.K. Dann schaut, dass ihr an der Rückseite der Fabrik entlang geht. Wenn ihr schon fast am Ende des Gebäudes angekommen seid, findet ihr einen Einstieg. Der führt in einen Raum, in dem die Decke herunterhängt. Wenn ihr euch da durchzwängt, kommt ihr zu einer Treppe. Die ist noch ganz gut erhalten. Na, und dann seid ihr eh schon da. Also bis gleich!“

Michael sah Kai verständnislos an. Dann blickten sie beide hinüber zu der alten Fabrikhalle.

„Auf dem Dach...“

„So weit waren wir noch nie! Und Sophie ist jetzt einfach so mir nichts, dir nichts, da hinauf spaziert, hat weder auf uns gewartet, noch Bescheid gesagt!“

Michael war sauer.

„Ich versteh dich ja. Aber so ist sie nun mal. Sie setzt einfach ihren Willen durch. Du kennst sie doch.“

„Das ist es ja!“

„Und was machen wir jetzt?“

„Na, wir werden natürlich zu ihr gehen, ist doch Ehrensache!“

„Na, dann mal los.“

„Moment“, bremste Michael. „Wir müssen aber aufpassen. Von hier bis zur Hausecke kann man uns vom Wohnwagen aus sehen!“

„Aber da ist doch alles ruhig...“

„Schon. Aber du weißt ja nicht, ob zufällig einer durchs Fenster späht. Könnte doch sein...“

„Und? Wie machen wir es dann?“

„Wir rennen ganz schnell, aber nacheinander. Du zuerst!“

„Ich?“

„Na klar, oder hast du Schiss?“

Kai schüttelte den Kopf, doch ganz wohl war ihm nicht in seiner Haut. Dennoch machte er sich bereit. Eine Zeitlang lag er sprungfertig am Rand des Gebüschs und beobachtete den Wohnwagen. Schließlich spurtete er los. Michael sah ihm nach und wartete dann noch ein Weilchen. Nichts geschah. Kai stand im Schatten der Fabrikhalle und schnaufte mächtig. Gleich darauf rannte Michael los. Lachend kam er neben seinem Freund an.

„Klasse, was?“

Er hob das Funkgerät an den Mund und sprach hinein:

„Brauner Bär an Schwarzer Adler! Kommen!“

„Schwarzer Adler hier!“

„Befinden uns jetzt auf der Rückseite der Halle. Gibt’s was Neues?“

„Gerade fährt ein Wagen auf den Hof. Beeilt euch!“

„Jetzt aber Tempo! Sonst erlebt Sophie das ganze Abenteuer alleine!“

Sie eilten entlang der Rückwand der Halle, bis sie an eine Stelle kamen, wo man hinter einer Öffnung ein eingestürztes Dach erkennen konnte.

„Das muss es sein...“

„Und wie sollen wir dahin kommen?“

Unmittelbar an der Hauswand verlief ein tiefer Schacht, der dazu diente, den Kellerfenstern Tageslicht zu spenden. Für den Geschmack der Kinder war er etwas zu breit, um einfach hinüber zu steigen. Noch dazu war alles baufällig. Doch dann entdeckte Kai eine Quermauer in dem Schacht, die ziemlich nahe an dem Einstieg verlief.

„Da können wir hinüber balancieren...“

„Wenn du meinst...“

Dieses Mal war es Michael, der zögerte.

„Na gut. Ich will kein Spielverderber sein. Ich gehe als Erster!“

„Pass auf. Soll ich nicht das Walkie-Talkie halten?“

„Geht schon...“

Kaum hatte er es ausgesprochen, war er auch schon an dem Einstieg angelangt, einer ehemaligen Türöffnung, die durch herausgebrochenes Mauerwerk noch etwas vergrößert war. Michael schlüpfte hinein und wartete drinnen auf Kai, der sich anschickte, flugs zu folgen.

„So, und wo ist nun diese Treppe, von der Sophie gesprochen hat?“

„Keine Ahnung. Aber aus dem Raum führt eh nur eine Tür.“

„Ja, aber da müssen wir unter dem durchhängenden Dach durch...“

Misstrauisch beäugte Kai das halb in den Raum hängende Dach. Gesteinsbrocken hingen an verrosteten und verbogenen Eisenstangen. Schwarze Dachpappe zeigte Risse.

„Ach was. Das ist bestimmt schon ewig so. Warum soll das noch weiter runter krachen? Ausgerechnet dann, wenn wir da sind...“

Michael bückte sich unter dem Dach durch und kam so zu einer Türöffnung, die ihn in eine weitläufige Halle führte. Sie war leer, aber überall von Schutt übersät. Gleich zu seiner Rechten entdeckte er die Treppe, die auf das Dach führte.

„Wo bleibst du denn?“

„Komm ja schon...“

Kai zögerte noch immer. Doch dann fasste er sich ein Herz und folgte seinem Freund, der sich schon anschickte, die Treppe zu erklimmen. Sie mündete in ein kleines Häuschen, das auf dem Dach stand. Michael blieb in der Türöffnung stehen und sah sich um. Zu seiner Linken verlief eine Begrenzungsmauer, die vielleicht einen Meter hoch war. Dahinter musste der Hof mit dem Wohnwagen liegen. Dieser war von Michaels Standpunkt aus nicht zu sehen, doch erkannte er das Eingangstor des Hofes, das zur Straße führte.

„Was ist?“ Worauf wartest du?“, fragte Kai, der von hinten herankam.

„Gleich. Ich frag mich nur, wo Sophie ist...“

Doch dann entdeckte er seine Schwester, die hinter einer alten Kiste direkt am Geländer des Daches kauerte und ab und zu einen vorsichtigen Blick hinüber warf. Als sie Michael sah, winkte sie ihn heran. Geduckt lief Michael hinüber, dicht gefolgt von Kai. Bei Sophie angekommen, ließen sich die beiden außer Atem auf dem Boden nieder.

„Und?“, fragte Michael. „Was ist passiert?“

„Da ist ein Auto gekommen, so ein Sportwagen. Ein Kerl ist ausgestiegen und zu dem Wohnwagen gegangen. Er hat geklopft. Ein Mann kam heraus und ging mit ihm zu dem Wagen.“

„Und? Konntest du hören, worüber sie geredet haben?“

„Nicht wirklich, dafür ist es zu weit weg. Aber nach einer Weile ist der Mann, der in dem Sportwagen kam, dann zu Fuß weggegangen.“

„Und dann?“

„Nichts!“

„Nichts?“

„Nein, gar nichts.“

„Meint ihr, der Wagen ist geklaut?“, fragte Kai nach einer Weile.

„Was denn sonst?“, gab Michael im Brustton der Überzeugung zurück. „Das ist doch klar wie Kloßbrühe! Die nutzen die verlassene Fabrik, um in aller Ruhe ihren dunklen Geschäften nachzugehen.“

„Und was sagst du?“, wandte sich Kai an Sophie.

„Keine Ahnung. Sieht zumindest sehr verdächtig aus.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Wir können natürlich hier bleiben und weiter beobachten. Aber ich krieg langsam Hunger...“

Sophie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Jetzt ging es schon auf Mittag zu.

„Mensch, das Essen! Wie spät ist es denn?“

Michael zuckte zusammen, als ihm einfiel, dass ihre Eltern sie ja zum Mittagessen erwarteten.

„Kurz vor halb eins“, antwortete Kai nach einem Blick auf seine Armbanduhr.

„Dann wird’s höchste Zeit, dass wir heimgehen. Wir können ja am Nachmittag zurückkommen.“

Hunderttausend Höllenhunde

Die Eltern saßen schon am Tisch auf der Terrasse und blickten die Kinder vorwurfsvoll an, als diese atemlos angerannt kamen. Zorro, der im Schatten gedöst hatte, sprang auf, und hüpfte freudig um die Kinder herum.

„Wir hatten doch halb eins ausgemacht“, begann Mutter zu schimpfen. „Das Essen wird doch kalt!“

„Tut uns Leid...“

„Sind eure Spiele so aufregend, dass ihr darüber ganz vergesst, auf die Uhr zu sehen?“

Vater goss sich gerade ein Weißbier ein und zwinkerte Sophie, die neben ihm Platz nahm, nachsichtig zu.

„Ich hol jetzt die Nudeln. Michael, hilfst du mir mal!“

Während Michael seiner Mutter ins Haus folgte, setzte sich Kai an den gedeckten Tisch. Er war oft zu Gast in der Gärtnerei und es war selbstverständlich, dass auch er an den Mahlzeiten teilnahm.

„Was gibt es denn?“, fragte Sophie, als ihre Mutter zurückkam.

„Was ganz Leckeres!“

„Was denn?“

„Spaghetti mit Meeresfrüchten!“

„Igitt!“, entfuhr es Michael und Sophie konterte:

„Du musst sie ja nicht essen!“

„Jetzt probiert doch erst mal“, versuchte Mutter zu schlichten, während sie das Essen auf die Teller verteilte. Sophie machte sich mit Heißhunger darüber her, während Michael die Krabben und das andere Meeresgetier aus den Nudeln pulte und an den Tellerrand legte.

„Du kannst sie mir geben“, wandte sich Kai an den Freund. „Mir schmeckt’s.“

„Das ist schön. Gute Esser sind uns immer willkommen!“

Gerade wollte sich Mutter den ersten Bissen in den Mund stecken, da klingelte das Telefon.

„Ich geh schon“, bot Herr Wagner an, doch seine Frau war schon aufgestanden.

„Lass nur“, sagte sie und verschwand im Haus. Es dauerte eine Weile, dann kam sie zurück.

„Es waren Kleines. Kai, es geht alles klar. Du darfst mitkommen nach Brüssel.“

Kleines waren Freunde der Familie und hatten sie für die Sommerferien eingeladen, sie in ihrer neuen Heimat Brüssel zu besuchen. Als Michael davon gehört hatte, war er sofort auf die Idee gekommen, seinen besten Freund mitzunehmen und hatte seine Eltern bekniet, dies zu erlauben. Sie waren auch gleich einverstanden gewesen, allerdings unter der Bedingung, dass auch ihre Gastgeber nichts dagegen hatten. Als dies nun geklärt war, brach Jubel unter den Kindern aus.

„He! Wir fahren nach Brüssel! Alle drei!“

„Super. Da werden wir jede Menge Spaß haben.“

„Wo liegt Brüssel eigentlich?“

Kai hatte sich noch gar keine Gedanken über die Reise gemacht.

„Brüssel ist die Hauptstadt von Belgien.“

Sophie war stolz auf ihr Wissen, hatte sie doch extra in einem Reiseführer gelesen.

„Hast du eigentlich schon mit deinen Eltern geredet, Kai?“, unterbrach Frau Wagner die Kinder.

„Also, eigentlich nicht. Weil, ich hab ja nicht gewusst, ob das überhaupt klappt...“

„Na, dann mach ich das. Aber jetzt wollen wir erst einmal in Ruhe unsere Spaghetti genießen.“

Nach dem Essen trugen die Kinder das schmutzige Geschirr in die Küche, dann machten sie sich auf den Weg zur verlassenen Fabrikhalle. In ihrer Phantasie legten sie schon einer gefährlichen Verbrecherbande das Handwerk. Doch zu ihrer Enttäuschung fanden sie das Gelände der Fabrik einsam und verlassen vor. Nachdem sie eine Stunde lang die baufällige Halle erforscht hatten, wurde ihnen langweilig und sie kehrten auf das Grundstück der Gärtnerei zurück.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Kai.

„Wie wär’s mit Verstecken?“

„Au ja! Du bist!“

Auf dem Gelände der Gärtnerei gab es eine Reihe von Schuppen, in denen man sich herrlich verstecken konnte. Freischlagen musste man sich an der Garagentür, die ein Stück entfernt lag.

Kai musste als Sucher anfangen. Er hasste das. Denn er traute sich nie richtig hinein in die dunklen Schuppen, aus Angst, erschreckt zu werden. Andererseits wusste er genau, dass es schlecht war, die Schuppen nicht genau genug zu untersuchen, weil dann die Gefahr bestand, dass die darin Versteckten herauskamen, wenn er schon weiter war und er sie dann auf ihrem Weg zum Tor nicht mehr einholen konnte. Dreimal lief das so ab und Kai hatte schon fast die Lust verloren, ehe es ihm beim vierten Mal gelang, Michael gerade noch vor Erreichen der Garagenwand abzuschlagen.

„Mann, das macht vielleicht Spaß. Aber jetzt kann ich nicht mehr.“

Michael stand japsend vor der Garagentür, an der er sich zum wiederholten Male rechtzeitig abgeschlagen hatte.

„Und was machen wir dann?“

Kai hatte ohnehin keine Lust mehr auf Verstecken.

„Gehen wir doch in unser Baumhaus und lesen Comics“, schlug Sophie vor.

„Au ja, das machen wir!“

Und schon eilten die Kinder den Weg durch Gewächshäuser und entlang von Pflanzungen bis hin zu ihrem Baumhaus. Fröhlich bellend rannte Zorro mit ihnen. Michael packte sich das herunterhängende Seil als Erster und kletterte flink daran hinauf. Sophie knuddelte noch einmal ihren Hund, dann folgte sie ihrem Bruder.

Kai hatte wie jedes Mal Schwierigkeiten, sich an dem Seil bis zu der Plattform hochzuarbeiten, die in etwa drei Metern Höhe angebracht war. Doch statt sich zu beschweren, biss er die Zähne zusammen und kämpfte sich nach oben.