Puppenmutter - Astrid Korten - E-Book
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Puppenmutter E-Book

Astrid Korten

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Beschreibung

Wenn der Liebeswahn zum Verhängnis wird ... Wenn die Wahrheit so verwerflich ist wie die Lüge ... Tessa Simonet lebt mit ihrem Mann Jules in einer abgelegenen Villa am Stadtrand von Paris. Eines Tages wird sie am helllichten Tag in ihrem Haus Opfer eines Übergriffs. In derselben Nacht begeht Jules Selbstmord. Ihre Familie und ihre Freundin Amelie unterstützen Tessa so gut sie können, wobei jeder seine eigenen Interessen verfolgt. Tessa’ Gefühlswelt wird zu einer Achterbahn aus Verunsicherung, Entsetzen, Verwirrung und Angst, als ein Mord geschieht. Wer schreibt Tessa im Liebeswahn bedrohliche Briefe? Wer ist die Puppenmutter? Tessa traut nur noch wenigen Menschen und sucht beharrlich nach Antworten. Dabei übersieht sie, dass auch sie Teil eines perfiden Intrigenspiels ist. Ein raffinierter, sehr spannender und komplexer Psychothriller, in dem der Leser sich fragen wird, ob die Wahrheit so verwerflich sein kann wie die Lüge. Puppenmutter ist der 13. Thriller von Astrid Korten. Nicht umsonst lauert in Zelle 13 in diesem spannenden Psychothriller das Böse: die Puppe Alice. Erste Stimmen: "Mein Fazit: Wer mutig genug ist, der liest "Die Puppenmutter" und lässt sich mitreissen in die Abgründe des menschlichen Wesens, welche teils dunkler sind wie der tiefste See nach einem Unwetter. Klare Kauf- & Leseempfehlung!!!" (Bucheule) „Selten so ein tolles Buch gelesen. Spannend, verwirrend, erschütternd mit überraschendem Ende. Ein MUSS für Thrillerfans. Kann ich absolut empfehlen. Bitte weiter so." (Karin) "Das Finale ist wie das ganze Buch schlichtweg der Hammer! Ist die Wahrheit so verwerflich ist wie die Lüge. Ja! In diesem Thriller ganz sicher. Meine absolute Leseempfehlung!" (Mein Lesezauber) „Ein äußerst raffinierter Psychothriller mit perfekt gezeichneten Figuren und einem sehr überraschenden und verblüffenden Ende.“ WAZ

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Wahrheit und Lüge

Über das Buch

Zwischen den Zeilen

Liebeswahn

Kapitel 1

Erster Brief

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Zwischen den Zeilen

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Zwischen den Zeilen

Kapitel 11

Kapitel 12

Zweiter Brief

Kapitel 13

Zwischen den Zeilen

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Zwischen den Zeilen

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Zwischen den Zeilen

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Zwischen den Zeilen

Kapitel 28

Kapitel 29

Dritter Brief

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Vierter Brief

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Zwischen den Zeilen

Fünfter Brief

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Sechster Brief

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Zwischen den Zeilen

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Zwischen den Zeilen

Kapitel 57

Siebter Brief

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Achter Brief

Kapitel 62

Zwischen den Zeilen

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Zwischen den Zeilen

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Zwischen den Zeilen

Kapitel 74

Kapitel 75

Kapitel 76

Zwischen den Zeilen

Kapitel 77

Zwischen den Zeilen

Kapitel 78

Zwischen den Zeilen

Kapitel 79

Kapitel 80

Kapitel 81

Kapitel 82

Kapitel 83

Kapitel 84

Neunter Brief

Kapitel 85

Kapitel 86

Zwischen den Zeilen

Kapitel 87

Gleis der Vergeltung

Über die Autorin

Impressum

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 Astrid Korten

http://www.facebook.com/Astrid.Korten.Autorin

www.astrid-korten.com

https://twitter.com/charbrontee

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Lektorat: Christine Hochberger, Buchreif

Korrektorat: Melanie Hinterreiter

Bildnachweis: ©Shutterstock /PicFine / © 16038 Trevillion Images

Covergestaltung ©ZERO Werbeagentur München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Ebook & Print

Wahrheit und Lüge

... wie einer, bis zur Wahrheit durchs Erzählen Zu solchem Sünder sein Gedächtnis macht.

Dass er der eignen Lüge traut.

William Shakespeare (1564 - 1616)

Über das Buch

Wenn der Liebeswahn zum Verhängnis wird ...

Wenn die Wahrheit so verwerflich ist wie die Lüge ...

Wenn das Böse dich im Visier hat ...

Tessa Simonet lebt mit ihrem Mann Jules in einer abgelegenen Villa am Stadtrand von Paris. Eines Tages wird sie am helllichten Tag in ihrem Haus Opfer eines Übergriffs. In derselben Nacht begeht Jules Selbstmord. Ihre Familie und ihre Freundin Amelie unterstützen Tessa, so gut sie können, wobei jeder seine eigenen Interessen verfolgt.

Tessas Gefühlswelt wird zu einer Achterbahn aus Verunsicherung, Entsetzen, Verwirrung und Angst, als ein Mord geschieht. Sie traut nur noch wenigen Menschen und sucht beharrlich nach Antworten. Dabei übersieht sie, dass auch sie Teil eines perfiden Intrigenspiels ist.

Ein raffinierter, sehr spannender und komplexer Psychothriller, in dem der Leser sich fragen wird, ob die Wahrheit so verwerflich sein kann wie die Lüge.

Erste Stimmen:

„Ein äußerst raffinierter Psychothriller mit perfekt gezeichneten Figuren und einem überraschenden und verblüffenden Ende.“ WAZ

Zwischen den Zeilen

1985

Liebes Kind,

es tut mehr weh, als ich dir je sagen kann, aber dies ist mein letzter Brief an dich. Gestern Abend erhielt ich einen Anruf. Sie werden kommen und das Haus nach dir durchsuchen.

Sie wissen von dir.

Du lebst noch, aber ich bin zu ängstlich und zu feige, herauszufinden, wie es dir in dem Loch geht. Ich habe Angst, dass mich jemand fragt, wie das mit dir geschehen konnte. Was mir jedoch am meisten Angst macht, war dein Angriff auf mich. Eine feige Tat, mich mit Alice, deiner Puppe, erschlagen zu wollen. Alice war doch mein Geschenk zu deinem vierten Geburtstag! Ich hatte sie vor etwa zwei Jahren in dem Loch versteckt, wo du sie entdeckt hast. Dann müsstest du jetzt fünf oder sechs sein. So genau weiß ich das nicht mehr.

Mir ist klar geworden, dass du wütend auf mich sein musst. Dabei hattest du es immer gut bei mir, seit du winzig aus meinem Bauch hervorgekommen bist. Ich gab dir deine eigenen vier Wände, zu essen, zu trinken, hübsche Sachen zum Anziehen, eine wunderschöne Puppe, und du hattest mich. Bestraft habe ich dich nur, sobald dein Ungehorsam mich quälte.

Sie werden gleich hier sein. Und das alles wegen deiner Wut. Warum musstest du dich auch aus dem Keller schleichen? Es ist allein deine Schuld. Ist dir das klar? Du wirst keine Mutter mehr haben und ich kein Kind mehr. Sie werden mich einsperren und du wirst in ein Heim kommen. Oder sie bringen dich in eine Pflegefamilie, wo du dein Zimmer mit anderen Kindern teilen musst.

Du hast diese Tür in dem Raum gefunden, hast die fremden Menschen in unserer Straße gesehen. Sie haben dich angestarrt und die Polizei gerufen. Du hast sie dazu gebracht, mich in die Falle zu locken, ehe du vor lauter Angst wieder in dein Loch gekrochen bist. Ich habe dir immer gesagt, dass das Tageslicht nicht gut für dich ist. Du bist ein Kind der Dunkelheit.

Aber sie werden mich nicht kriegen. Doch dazu muss ich unseren Kontakt abbrechen. Für immer. Ich werde keine Gitter zwischen meinem Gesicht und dem Blau des Himmels dulden, dann wähle ich doch lieber den Tod.

Dachte ich ...

In all den Jahren, die ich dir schreibe, habe ich dir nie gesagt, dass ich dich liebe. Du hast nur mir gehört. Ab sofort wirst du dein Leben mit anderen teilen, vermutlich später mit Alice an deiner Seite. Denn eines weiß ich mit Gewissheit: Du wirst deine Puppe, egal wie sie aussieht, nicht dem Müll überlassen. Du wirst jeden töten, der dir Alice nehmen will. Ihr beide seid euch sehr ähnlich. Entfernt man eure Schmutzschicht, dann sieht man die Unschuld und das Böse.

Du hast im Kampf der Puppe den Kopf abgerissen. Ich werde ihn mitnehmen in Zelle 13 und ihn für dich aufheben, bis du Alice würdig bist.

Liebes Kind, die Dinge laufen jetzt gut für dich.

Liebeswahn

Lass uns mit dem Feuer spielen,

Mit dem tollen Liebesfeuer;

Lass uns in den Tiefen wühlen,

Drin die grausen Ungeheuer.

Frank Wedekind

Kapitel 1

Tessa

Tief unter Wasser dringen Schreie an mein Ohr. Ich nähere mich der Wasseroberfläche, die Schreie werden lauter.

Noch schlaftrunken fahre ich hoch, reiße meinen Morgenmantel vom Fußende des Bettes und streife ihn über. Auf dem Weg zum Gästezimmer stoße ich mit dem nackten Zeh gegen die Kommode, schlage mit meinem Knie an die Tür und unterdrücke einen Fluch.

Als ich das Fenster im Gästezimmer öffne, hat das Schreien aufgehört. Vermutlich ist Lianne, die Tochter meiner Schwägerin, wieder eingeschlafen.

Was sind das nur für Albträume, die das Mädchen quälen? Ob ich Lianne mal darauf ansprechen soll? Ich schiebe den Gedanken beiseite. Grübeln bringt nichts.

Zurück im Bett kann ich nicht wieder einschlafen, obwohl Jules nicht neben mir schläft. Wir sind seit zehn Jahren verheiratet, und ich habe ihn mal geliebt. Wir haben uns bei einem Glas Rosé auf dem Bürgersteig von Saint-Germain-des-Prés, einem Stadtteil von Paris, kennengelernt, und ich war sofort von dem Inhaber einer Supermarktkette angetan. Aber mit der Zeit hat er mich aus seiner Welt verbannt. Unsere Ehe war einst glücklich, vielleicht ein Jahr lang. Heute ist alles eingespielt, normal, absehbar. Bis auf den Sex. Den haben Jules und ich eingestellt.

Paris ist für mich das Synonym von Eleganz, perlenbehangenen Frauen, glitzernden Schaufenstern – von einem Sehnsuchtsort für viele. Paris verkörpert aber auch eine immerwährende Party kreativer Menschen, zu denen auch ich gehöre. Wir wohnen am Stadtrand von Paris, in Boulogne-Billancourt, in einer schönen abgelegenen Villa, die kaum Geräusche verschluckt. Mir gefällt die Abgeschiedenheit von der Hektik der Stadt.

Ich stehe möglichst geräuschlos auf, gehe die Treppe hinunter und betrete die Terrasse. Der Kontrast zur quirligen Innenstadt von Paris und dem ruhigen Boulogne-Billancourt kann kaum größer sein. Aus dem einstigen Dorf ist ein nobler Vorort von Paris geworden.

Liannes Schreie hallen erneut durch die Nacht. Graue Wolken ziehen am fahlen Mond vorbei. Sein Licht sickert durch die Äste der alten Eichen und wirft Schatten auf unser Haus. Mir kommt es vor, als wäre ich Teil eines Stephen-King-Szenarios. Ich gehe wieder hinein und schließe leise die Terrassentür.

Es ist das dritte Mal in zwei Wochen, dass Lianne schreit, vermutlich hat sie etwas Beängstigendes geträumt. Mir kommt das Ganze mittlerweile seltsam vor, denn sobald sie am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule an unserem Haus vorbeigeht, winkt sie mir fröhlich zu. Sie scheint ihren nächtlichen Kummer vergessen zu haben.

Oder sie hat ihn verdrängt.

Ich mache mir fortwährend Sorgen um Kinder, da ich für eine große Kinderschutzorganisation arbeite. Aber mitten in der Nacht wach zu liegen und zu grübeln, ist eigentlich nicht meine Art. Nicht mehr, seit mich Feuerwehrleute vor neun Jahren nach meinem Unfall aus meinem Autowrack gezogen haben und ich gerade noch dem Tod entkommen bin. Schwamm drüber.

Ich sehe mich um. Die wertvollen Antiquitäten meiner Großmutter treffen im Wohnbereich auf avantgardistisches Design in Granit, aufgelockert durch ein großes rotes Ledersofa und zwei Loveseats in Limonengrün und Violett. Hoffnung und der letzte Versuch bezeichnet meine Freundin Amelie die Sessel. Sie sitzt deshalb lieber auf dem roten Ledersofa. Kein Wunder bei ihrem lockeren Lebenswandel.

Der Kronleuchter und andere Lichtelemente schenken der Einrichtung Behaglichkeit und Leichtigkeit. Ein sanftes Wasserelement und Pflanzen, die ich besonders mag, runden die behagliche Atmosphäre und das Gefühl des Wohlbefindens ab. Das Ambiente lenkt mich von meiner Ehe ab.

Ich nehme ein Buch aus dem Wandregal, entscheide mich nach kurzem Zögern für den limonengrünen Sessel und grüble über meine Ahnungslosigkeit, was Lianne betrifft. Aber bin ich wirklich ahnungslos? Nein, ich glaube nicht. Ich bin zwar ein wenig einfältig und gutgläubig, aber ich nehme die unklare dunkle Sache oft wichtiger als die klare Helligkeit.

Jules reagiert stets gereizt auf mein – wie er sagt – angeberisches Zu-Wissen-Glauben.

„Wie gut, Jules, dass ein Rindvieh, das zum Schlachthof geführt wird, nicht weiß, was ihm bevorsteht. Auch die zweibeinigen Artgenossen haben dieses zweifelhafte Glück“, antworte ich stets, worauf er noch wütender wird. Dann legt er den Arm um meine Schulter, und ich sehe die Anziehungskraft und die Grausamkeit in diesen grauen Augen, seine primitive Geilheit, spüre seine Lippen, die sich an meinem Hals festsaugen, die Zunge in meinem Mund, eine streichelnde Hand an meiner Scham, die andere hält mich fest, unerbittlich. Irgendwann dringt er in mich ein. Dabei entgehen ihm die Schauer meiner mörderischen Wut.

Jules hin, Jules her, egal! Ich spüre deutlich, wie etwas Bedrohliches sich unserem Viertel nähert, fühle es mit jeder Faser meines Körpers.

Um mich abzulenken, schlage ich das Buch in meinem Schoß auf und lese, bis mir die Augen zufallen. Mit aufrechtem Oberkörper bei brennendem Licht döse ich ein.

Der Wecker klingelt, ich stöhne auf. Ein Tag noch, dann ist endlich Wochenende. Das Frühstück verläuft nicht wie immer. Jules hat an diesem Morgen keine riesige Portion Müsli verschlungen, bevor er ins Büro gegangen ist. Ich hasse Müsli. Hm … ich frage mich, wann er in der Nacht nach Hause gekommen ist.

Als ich ebenfalls das Haus verlassen möchte, klingelt das Telefon. Das Display zeigte einen externen Anruf mit einer unterdrückten Rufnummer.

Ich fluche leise und hoffe, dass meiner Stimme mein Unbehagen nicht anzumerken ist. „Tessa Simonet.“

Jemand atmet schwer, keucht – die Häme eines Spinners. Scheißkerl! Ich lege auf, verlasse das Haus und fahre zum Supermarkt.

Kurz nach vierzehn Uhr will Lianne kommen. Ich habe sie zum Essen eingeladen, da ihre Mutter heute länger arbeiten muss.

Ich parke den Wagen gegen dreizehn Uhr in der Einfahrt und steige aus, da kommt sie mir bereits entgegen, ein schockierender Anblick in Limonengrün und Pink.

„Hey, Tessa! Die letzte Stunde ist ausgefallen, deshalb bin ich früher dran.“

„Hallo Süße!“, erwidere ich ihren Gruß und hebe die Einkaufstüten aus dem Kofferraum. „Ich werde uns heute was Leckeres kochen.“

Sie wirft mir einen misstrauischen Blick zu. „Du kannst kochen?“

Ich lache laut auf. „Ja, seltsam nicht wahr. Jules kocht natürlich besser, aber ich werde mir heute besonders viel Mühe geben. Nimm mir bitte mal die beiden Taschen ab!“

Einen Moment lang herrscht Schweigen.

„Alles in Ordnung, Lianne?“, erkundige ich mich vorsichtig.

Sie nickt. „Ups … du hast mich vergangene Nacht wieder schreien hören.“

Ich hätte die Frage nach ihrem Befinden nicht stellen dürfen und könnte mich dafür ohrfeigen. Vor meinem Wechsel in das Personalwesen der Kinderschutzorganisation war ich Erzieherin. Das Gefühl einer vergeudeten Chance ist für mich fast genauso unerträglich wie einem Kind als Erzieherin nicht helfen zu können, weil mir durch den Gesetzgeber die Hände gebunden sind. Dann fühle ich mich beschädigt, isoliert, machtlos. Lianne ist ein Mädchen, das ständig kalkuliert und abwägt.

„Komm, gehen wir rein“, sage ich schließlich, drehe mich um und gehe über den Rasen zur Haustür. Lianne tut es mir nach. Ich stecke den Schlüssel ins Schloss und öffne die Haustür.

Lianne kommt hinter mir her und bleibt unschlüssig stehen.

Ich hänge meinen Mantel an die Garderobe. „In die Küche damit! Du siehst übrigens müde aus.“

„Ich habe schlecht geschlafen“, erklärt sie. „Meine Eltern haben sich wieder gewaltig gestritten. Wenn das so weitergeht, werde ich eine Weile bei dir wohnen.“

Ich hebe die Augenbrauen und lege ihr den Arm um die schmalen Schultern. „So schlimm? Passiert das denn oft?“

Lianne gähnt. „Neuerdings immer öfter und immer nachts und sie werden immer lauter. Eltern ... sie müssten verboten werden!“ Sie entzieht sich mir. „Und jetzt möchtest du bestimmt wissen, worüber sie sich ständig streiten?“, bedeutet Lianne.

Ich nicke.

„Natürlich um Geld, worüber sollten die beiden sonst streiten? Dabei haben sie fette Bankkonten! Vielleicht hat Dad ja auch eine andere!“

Mir verschlägt es die Sprache. Kein Wunder, dass das Mädchen Albträume hat. Sie hat Angst, dass die Familie auseinanderbricht.

„Gott sei Dank“, sagt Lianne plötzlich und lacht, „wirst du dir beim Kochen Mühe geben.“

Das Eis ist gebrochen.

In der Küche betrachte ich blinzelnd das neonfarbene T-Shirt und die gestreiften Leggins, Sachen, die ich noch nie an Lianne gesehen habe. Vielleicht ist das der Grund für ihre Albträume.

„Gefall ich dir, Tessa? Ich war mit Mom vor ein paar Tagen einkaufen. Das waren Sonderangebote, superbillig. Danach haben wir den Bruder meiner Freundin aus dem Kindergarten abgeholt.“

„Und was hat er bekommen?“

„Eine rote Jacke mit schwarzen Streifen.“

Plötzlich muss ich lachen. O Gott. „Aha! Spidermanlook.“

„Gefällt es dir, Tessa?“ In ihrer Stimme liegt eine Mischung aus Trotz und Flehen.

Ich betrachte fasziniert die funkelnden Cartoon-Äpfelchen auf dem Kirby-T-Shirt. „Du siehst toll aus, Schätzchen.“

Lianne blickt mich mit den funkelnden Augen ihres Vaters an. Ihr Kinn schiebt sich vor. „Ich ziehe es am Montag in die Schule an.“

Wieder schmunzle ich und zerzause ihr das Haar. „Gute Idee.“

„Was gibt es denn heute, Tessa?“

„Hackfleischauflauf mit Weißkohl.“

„Okay. Wann können wir essen?“

„In einer Stunde.“

„Dann gehe ich nach oben und mache meine Schulaufgaben. Ist das in Ordnung?“

Ich nicke.

Im Laufe meiner Vorbereitungen für den Auflauf werde ich immer unruhiger. Ein Stück Schokolade bringt auch keine Abhilfe. Ich habe keine Ahnung, was mit mir los ist.

Plötzlich klingelt das Telefon. Wieder eine unterdrückte Nummer. Das ist kein gutes Omen. Meine Hand zittert, als ich den Hörer in die Hand nehme. „Tessa Simonet.“

Stille.

Mein Herz flattert.

Jemand atmet schwer.

„Hallo. Wer ist denn da?“

Nur ein Flüstern.

Dann ist die Leitung tot.

Ich starre den Hörer an, lege auf und atme langsam ein und aus. Im Haus ist alles still. Nur in meinem Ohr schrillt der Tinnitus. Kalte Furcht lässt mein Herz stocken. Ich fröstle, wische verzweifelt mit der Hand durch die Luft, als jage ich eine Gefahr zum Teufel.

„Gefahr taucht immer aus dem Nichts auf, Tessa“, behauptet Jules immer.

Zwei Anrufe. Unterdrückte Rufnummern. Kein Name, kein Wort, nur dieses schwere Atmen. Die Gefahr liegt irgendwo auf der Lauer wie eine kalte Umarmung. Die Furcht vor der Unberechenbarkeit eines nahenden Unheils lässt mich schaudern.

Ich gehe rasch die Treppe hinauf, um nach Lianne zu sehen. Sie ist in ihre Hausaufgaben vertieft. Gut so!

Plötzlich lässt mich ein Geräusch unten aufhorchen. Ein leises Atmen? Es kommt aus der Küche. Jemand ist im Haus! Die Küchentür, die in den Garten führt, fällt ins Schloss. Ich schnappe mir den Baseballschläger von Jules und gehe langsam die Treppe hinunter.

In der Küche sehe ich aus dem Fenster in den Garten. Nichts. Nur Sträucher. Bäume. Seltsam. Vielleicht war es nur der Wind.

Ich zucke mit den Schultern und stelle den Auflauf in den Backofen: 180°C, 45 Minuten.

Erster Brief

Liebste Tessa,

du bist eigentlich nur ein klitzekleines Bisschen zu hübsch und das ist manchmal irritierend. Ich lasse keine Irritationen zu, die meiner Liebe im Wege stehen könnten. Du bist die pure Natur, ich liebe die Natur, also liebe ich dich. So einfach ist das.

Dass du erschaffen wurdest, gibt der Menschheit einen Sinn. Wenn ich auf der Straße schlampigen, fetten Weibern mit wabbeliger Haut begegne, hilft es mir, an dich zu denken. Dein Bild vor meinem inneren Auge verdrängt meine Neigung, eine scheußliche Bemerkung gegenüber jenen Frauen zu machen, an denen alles falsch ist und denen das nicht einmal etwas auszumachen scheint. Dann siegt die Freude der Abneigung über diese absolute Unvollkommenheit. Dann macht deine Existenz, auch wenn du ein wenig zu schön bist, den Unterschied aus.

Es spielt keine Rolle, aus welchem Blickwinkel ich dich sehe oder von welcher Seite ich dich betrachte. Wenn du mit dem Rücken zu mir stehst, genieße ich deinen runden Hintern. Seitlich gewährst du mir einen Blick auf deine festen kleinen Brüste. Und auf deinen flachen Bauch, den Bauch, in dem unser Kind wachsen wird. Es ist immer noch möglich.

Diese Gedanken erregen mich, geben meiner Fantasie Raum. Es wird eine Zeit kommen, in der du nackt neben mir liegst und mich in deinen Schoss einlädst. Eines Tages wird es dazu kommen, eines Tages, wenn du bereit bist für den großen Akt der Verschmelzung.

Wenn ich dich von deinen Fesseln befreit habe wie seinerzeit Alice.

Bis es so weit ist, schreibe ich dir Briefe, die ich gut aufbewahren werde. Erst wenn die Zeit dafür reif ist, darfst du sie lesen. Dann will ich dich ansehen, wie deine Augen mir folgen. Ich will sehen, wie du reagierst. Ob du errötest. Ob du verlegen sein wirst, oder vielleicht unsicher. Ja, eines Tages …

Bis dahin träume ich von dir und versuche mir vorzustellen, wie es sein wird, wenn ich deine schönen Lippen küsse. Wie du riechen wirst, wie du dich anfühlen wirst.

Jetzt hoffe ich erst einmal auf eine Gelegenheit, dich fest umarmen zu können, ohne Verdacht zu erregen. Sobald sich diese Gelegenheit bietet, wird mich niemand aufhalten können.

Niemand!

Kapitel 2

Tessa

Ich hätte das Tor zum Garten abschließen sollen.

Wie oft hatte mich Jules vor der Gefahr gewarnt, dass Einbrecher durchaus auch am helllichten Tag in unser Haus eindringen und vor mir stehen könnten?

Die alte Waschmaschine, die ich vor der Fahrt in den Supermarkt noch angeworfen habe, schleudert tosend, sodass ich keine anderen Geräusche wahrnehme. Es ist an der Zeit, diese stromfressende Höllenmaschine zu ersetzen, überlege ich und verpasse ihr einen Tritt.

Mittlerweile ist die Luft in der Küche so stickig, dass ich das Fenster zum Garten weit aufreiße und nach Luft schnappe. Der Geschmack von Kaffee klebt an meinem Gaumen. Meine Magensäure erreicht einen Höchstpegel und dringt bis an die Spitze meiner Speiseröhre vor.

Ich sehe kurz nach dem Auflauf und verpasse dem ratternden Ungeheuer, das gerade seine letzten Umdrehungen hinlegt, erneut einen Tritt. Wieder verspüre ich dieses Unbehagen. Ich kann es an nichts Konkretem festmachen, an keiner direkten Bedrohung, an keinem bestimmten Verdacht, bis ich ein Geräusch höre – ein Knarzen, leise und sehr nah.

Entsetzt hebe ich den Kopf.

Ich muss Lianne warnen!Schnell!

Eine Hand legt sich auf meine bebende Schulter, der Geruch von ranzigem Fett und Leder dringt in meine Nase. Ich hebe den Kopf. Das Küchenfenster spiegelt einen Schatten wider. Ich drehe mich um. In dem Moment packt mich ein maskierter Mann, drückt mich mit dem Rücken gegen die Spüle. Ich will schreien, doch seine wulstige Hand gleitet über meine Nase, meine Lippen, mein Kinn.

Ich bekomme keine Luft und schlage und trete wie wild um mich, kralle meine Finger in seine Jacke.

Panik überfällt mich, als ein zweiter Mann die Küche betritt, ebenfalls maskiert. Er ist wesentlich kleiner als mein Angreifer. Ich schließe meine Augen, konzentriere mich, höre es: das Atmen. Das Keuchen. Der anonyme Anrufer!

„Wenn du schreist, puste ich dir dein Hirn weg, Tessa!“, zischt er.

Er kennt meinen Namen!

Sein Griff ist zu fest. Sein rechter Arm hält meinen Oberkörper eisern umklammert, seine Hand ist immer noch auf meinem Mund.

Versuch, den Mund zu öffnen, beiße in seine Hand!

Ich will tief durchatmen, vernehme das Röcheln meiner Bronchien und beginne zu zittern. Ein Asthma-Anfall kündigt sich an.

Mein Spray!

Verzweifelt ziehe ich das bisschen Sauerstoff in meine Lunge, der durch seine Finger in meine Luftröhre gelangt, drohe zu ersticken.

Er beugt sich über mich. „Verhalte dich ruhig. Verstanden?“

Ich nicke.

Langsam nimmt er seine Hand von meinem Mund. „Wo hast du das Geld versteckt?“, schnauzt er.

Du musst dir seine Stimme einprägen.

„Wir haben nie Geld im Haus.“ Ich bin kaum zu verstehen, ringe nach Luft.

Im nächsten Moment schlägt er zu. In meinem Kopf scheint etwas zu zerbersten. Alle Kraft weicht aus meinem Körper. Er krallt seine Hand in mein Haar und schleudert meinen Kopf gegen den Türrahmen. Alles ist in ein glühendes Rot getaucht.

„Nein“, stammle ich. „Bitte.“

„Vorsicht“, kommt es von irgendwoher. Der zweite Mann kommt näher. Er stinkt wie der Inhalt einer Mülltonne!

„Nein! Die Schlampe belügt uns! Wenn du es besser kannst, dann mach es selbst.“

Ich werde grob an den Schultern gefasst. „Zeig uns das Versteck! Los!“

Blut fließt aus meiner Nase, die Tropfen fallen auf mein Shirt. Rot auf Weiß. Der hämmernde Schmerz in meinem Schädel bereitet mir Übelkeit. Die linke Hälfte meines Gesichts brennt, als stände sie in Flammen.

Konzentrier dich! Sie sprechen akzentfrei.

Ich gehe benommen ins Wohnzimmer, die maskierten Männer sind dicht hinter mir. Ich versuche, mir jedes Details der beiden einzuprägen: Sturmhauben, schwarze Handschuhe. Der Teil ihrer Gesichter, der unbedeckt ist, zeigt, dass sie weißer Hautfarbe sind. Keine Emotionen in ihren Augen.

In der Zeitung hat vor einigen Wochen etwas über eine Serie von Raubüberfällen durch Männer mit weißer Hautfarbe gestanden, vermutlich eine Dreierbande: Zwei Täter drangen in die Häuser ein, während der Dritte mit dem Fluchtauto draußen wartete.

Ich schmecke Metall in meinem Mund, schlucke das Blut hinunter und unterdrücke ein Würgen. Meine Nase schwillt an. Auf dem Tisch liegt eine Papierserviette, ich nehme sie rasch an mich.

Der Mann neben mir packt meinen Arm. „Wo ist das Geld! Beeil dich! Oder möchtest du auf dem Friedhof landen?“

Sein Gesicht ist nah an meinem. Ich könnte meine Zähne in seine Wange bohren. Der Biss eines Menschen ist tausendmal übler als der eines Hundes. Wenn ich es richtig anstelle, ist er für sein restliches Leben gebrandmarkt. Dann gibt es einen Beweis, eine Spur.

Ich zeige auf meine Handtasche, die neben dem Sofa steht. „In meinem Portemonnaie sind hundertfünfzig Euro. Nimm sie. Ansonsten habe ich kein Geld im Haus!“

„In dieser Bude wird es ja wohl einen Safe geben“, schreit der Mann mich an und rammt mir seine Faust ins Gesicht. Ich falle, schlage auf den Boden. Erneut lodert der Schmerz in meinem Gesicht. Ich setze mich auf, hocke wie ein verwundetes Tier auf dem Boden, verwirrt und vor Angst fast blind. Mein Mund öffnet sich, doch die Worte wollen nicht kommen. Ich schüttle panisch den Kopf, versuche, die Benommenheit zu vertreiben. Mein Schmerzensschrei erklingt nur in meinem Kopf. Ich ignoriere meine Qual und richte mich auf, taumle. Meine Kopfhaut ist ein einziger Nadelstich. Gänsehaut am ganzen Körper. Dann sehe ich seine Silhouette. Blicke ihm entgegen.

„Los, sag mir, wo der Safe ist!“ Er blickt zu seinem Kumpel. „Schau du oben nach!“

Ich drück meine Hand gegen meinen Mund. O mein Gott! Lianne ist im Obergeschoss, macht Schulaufgaben. Was wird der Typ mit ihr anstellen?

„Der Safe ist unten“, presse ich mühsam hervor. „Haben Sie gehört? Der Safe ist unten!“

Der Mann auf der Treppe bleibt stehen. „Wir wollen nicht nur dein Geld, Schätzchen“, sagt er. „Wo ist dein Schmuck? In deinem Schlafzimmer? Zeig ihn uns! Aber dalli! Und danach werden wir uns ein bisschen mit dir vergnügen!“ Er greift sich in den Schritt, zieht seine Maske unter dem Kinn hoch und leckt sich mit seiner lappigen Zunge über die Lippen.

Ich mache einen Schritt nach vorn und bedeute, dass sie mir folgen sollen, als ich Liannes Stimme höre. O nein, das darf nicht wahr sein. Lass diese Männer nicht merken, dass da oben ein junges Mädchen ist. Wer weiß, was ihnen dann in den Sinn kommt. Ich werde meiner Schwägerin nie wieder gegenübertreten können, wenn ihrer Tochter etwas geschieht. Bitte, bitte, verhalte dich ruhig Lianne!

„Tessa? Hörst du mich? Ich habe 112 angerufen, sie sind auf dem Weg. Papa habe ich auch angerufen, er wird Jules und Mama Bescheid geben.“

Der Mann bleibt stehen und packt meinen Arm. Ich schlucke, habe kaum noch Kontrolle über meine Stimme. „Bitte …“ Kalter Schweiß entweicht meinen Poren.

Plötzlich wendet er sich ab, nickt dem anderen zu und lässt mich los. Seine Lederjacke knarzt. Die Männer laufen zur Haustür. Bevor sie das Haus verlassen, dreht sich der Größere noch einmal nach mir um, kommt zurück, legt seinen Mund dicht an mein Ohr. „Ich komme wieder … wenn du allein bist!“

Kapitel 3

Da ist es wieder, dieses dröhnende Gefühl. Die Angst.

Ich komme wieder. Wenn du allein bist.

Ich bin allein in der Küche, sehe einen Schatten, schwanke, meine Beine geben erneut nach, ich gehe zu Boden. Dann ist ein Schatten bei mir. Beugt sich zu mir herab. Ein wunderschönes, besorgtes Gesicht. Die unterschiedlich farbigen Augen im Nebel.

„Tessa … O mein Gott, Tessa … Sie haben dich geschlagen …“

Lianne!

Aus dem Hausflur dringen, wie entrückt, aufgebrachte Stimmen zu mir. Eine Tür öffnet sich. Eine Hand an meinem Kopf. Ich friere, der Schmerz pocht in meinem Schädel, in meinem Gesicht. Mir wird übel.

„Frau Mallont?“

Die Stimme dringt nur langsam zu mir durch.

„Frau Mallont?“

Mallont? Ich heiße Simonet! Mein Mann heißt Mallont.

Ich blicke benommen auf. Finde mich langsam wieder in der Realität zurecht.

„Hol einen Arzt und einen Krankenwagen!“, sagt eine dritte Stimme.

Erst jetzt befreie ich mich gedanklich aus der frostigen Umklammerung des soeben Geschehenen. Sie sind weg. Sie kommen wieder.

Jules regt sich regelmäßig über die Polizei auf. Ihm zufolge setzt die Polizeibehörde die falschen Prioritäten, sie sparen an der falschen Stelle, indem sie Personal abbauen. Wenn man sie braucht,kommen sie viel zu spät oder erst gar nicht, so seine Meinung.

Wenn er heute nach Hause kommt, wird er von der schnellen Reaktion überrascht sein, die Liannes Anruf hervorgerufen hat. Die Täter hatten das Haus kaum fünf Minuten verlassen, als vier Polizisten hereinstürmten.

Ich habe versucht, den jüngeren der beiden Polizisten davon abzuhalten, den Notarzt und einen Krankenwagen zu rufen, aber er ließ sich partout nicht davon abbringen.

„Hatten die Täter Schusswaffen oder andere Waffen?“, will eine Polizistin wissen, während wir auf den Krankenwagen warten.

„Nein“, antworte ich leise. „Er benutze seine Fäuste.“

„Können Sie die Täter beschreiben, Frau Simonet?“

Ich schüttle leicht den Kopf. „Sie waren maskiert, aber ihre Stimmen würde ich wiedererkennen und ihren Geruch.“

„Haben die Täter etwas an sich genommen?“

„Nein, nicht einmal das Geld aus meiner Börse.“

„Als sie das Haus verließen, haben sie da noch etwas gesagt?“

„Ich komme wieder, hat er gesagt. Ich komme wieder. Wenn du allein bist“, wiederhole ich die Worte meines Peinigers und ringe nach Luft.

„Einbrecher sagen oft solche Dinge, um ihr Opfer unsicher und verängstigt zurückzulassen“, versucht die Polizistin mich zu beruhigen.

Ich höre ihr nicht mehr zu. Alles dreht sich. Mir ist kalt. Ich weine.

„Brauchen Sie eine Pause?“, fragt die Polizistin, deren Namen ich vergessen habe.

„Nein, danke.“ Meine Stimme klingt klein und müde. „Ich will mich nur hinlegen.“

„Wir sind gleich fertig.“

Lianne nimmt mich in den Arm, flüstert mir etwas zu, das ich nicht verstehe. Ich spüre stattdessen die Kälte, den Wirbel, und … Dunkelheit.

Im Krankenwagen, der in der Einfahrt vor meinem Haus steht, komme ich wieder zu mir. Der Notarzt tastet vorsichtig mein Gesicht ab und misst meinen Blutdruck. Er riecht ein wenig nach Knoblauch.

„Ist meine Nase gebrochen?“, erkundige ich mich.

„Ich glaube nicht, aber zur Sicherheit werde ich eine Röntgenaufnahme vom Schädel veranlassen.“ Er drückt vorsichtig gegen meine Nase. „Tut das weh?“

Ich zucke zusammen. „Ein bisschen. Ich sehe bestimmt schrecklich aus?“

„Sie werden hübsche Veilchen um die Augen bekommen, aber in ein paar Wochen werden ihre Blessuren verschwunden sein. Besser, Sie legen die Teilnahme an Schönheitswettbewerben erst einmal auf Eis.“

Witzbold!

„Mein Geruchssinn scheint jedenfalls in Ordnung zu sein“, sage ich. „Was haben Sie gestern gegessen? Scampi in einer Knoblauchsoße?“

Der Arzt grinst. „Touché. Lammfilet in Knoblauchsoße.“

„Dann werde ich also einige Wochen wie ein Zombie den örtlichen Supermarkt unsicher machen? Jeder wird glauben, dass mein Mann mich verprügelt hat.“

„Die Zeitungen werden von dem Überfall berichten, vermute ich. Machen Sie sich darüber mal keine Gedanken, Frau Simonet. Haben Sie Kopfschmerzen? Ist Ihnen übel?“

„Nein. In meinem Kopf ist nur Leere.“

„Das sind die psychischen Auswirkungen des Übergriffs.“ Er drückt mir eine Gaze auf die Wunde.

Ich ahne, was jetzt kommen wird und mache eine abwehrende Geste. „Bitte keine Psychokacke, Doc. Wie ich meine Schwägerin kenne, hat sie bereits jede Menge davon bereitgestellt, um ihre psychologischen Erkenntnisse über mir auszuschütten. Ich möchte das hier so schnell wie möglich vergessen und mutiere nicht zum Stresshuhn, das nicht mehr wagt, allein zu Hause zu sein. Jules wird das auch nicht akzeptieren. Jules ist mein Mann. Wo bleibt er denn nur?“

Lianne kommt in den Krankenwagen und setzt sich zu mir. Sie nimmt mich in die Arme und hüllt mich ein in ihre Wärme. „Bruce ist da, Tessa. Er sagt, er sollte heute die Hecke schneiden. Die Polizei lässt ihn aber nicht in den Garten. Deshalb flippt er gerade aus.“

„Wer ist Bruce?“, will der Arzt wissen.

Ich versuche aufzustehen, aber er hält mich zurück. „Bruce ist unser Gärtner. Er ist geistig behindert und lebt ganz in der Nähe in einem Heim für betreutes Wohnen“, erkläre ich und sehe dann Lianne an. „Lianne, lässt du ihn bitte wissen, dass ich hier bin und dass es für ihn besser wäre, jetzt nach Hause zu gehen. Aber mache ihm bitte klar, dass mit mir alles in Ordnung ist.“

„Okay. Mach ich gleich.“

Die Polizistin, die mich im Haus befragt hat, schaut in den Krankenwagen. „Alles okay?“

Ich nicke.

„Wann können wir wieder ins Haus?“, will Lianne wissen.

„Sobald die Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen hat.“

Meine Nichte dreht sich um. „Da kommt Papa. Und Mama“, ruft sie.

„Wo bleibt Jules?“, flüstere ich.

Ich komme wieder. Wenn du allein bist ...

„Wir fahren in die Klinik, um eine Röntgenaufnahme anzufertigen“, bestimmt der Arzt. „Es haben sich ja genügend Familienmitglieder eingefunden, um sich um Ihren Mann zu kümmern. Jetzt denken Sie zuerst mal an sich.“

„Das tut sie nie!“, sagt Lianne und grinst.

Ich denke an Jules.

„Wir wissen beide, dass das nicht wahr ist“, sage ich.

Wo bleibt Jules? Und dann denke ich nur noch eines: Ich verachte dich!

Kapitel 4

Karola fährt mit ihrem Wagen hinter dem Krankenwagen her. Sie wird mich später nach Hause bringen. Wenn meine Schwägerin eine Entscheidung getroffen hat, ist es zwecklos, ihr zu widersprechen. Aber ich bin froh, dass mir im Krankenhaus jemand beisteht. Karola ist ein Jahr älter als ich, Ende neununddreißig. Sie besucht mich oft. Ich mag sie und ihren unverfrorenen Humor, obwohl sie sich zu oft in meine Angelegenheiten einmischt. Wir haben aber auch viel Spaß miteinander. Ihre Tochter bezeichnet sie als einen pubertären Satansbraten. Komisch. Mir kommt Lianne eher liebevoll vor.

Meine Nase ist nicht gebrochen, die Wunde ist sauber mit einem großen Pflaster bedeckt.

„Sie können immer noch starke Kopfschmerzen bekommen“, warnt mich der Arzt in der Notaufnahme. „Dann nehmen Sie zwei Paracetamol und legen sich ins Bett. Im Übrigen empfehle ich Ihnen nach dem Schock dringend Bettruhe.“

Ich möchte so schnell wie möglich nach Hause und hoffe, dass die Spurensicherung ihre Arbeit inzwischen abgeschlossen hat. Lianne wird erst morgen wieder zu mir kommen. Ich musste dem Mädchen feierlich versprechen, dass ich von nun an stets das Tor zum Grundstück abschließen werde.

Den Abend mit Jules allein zu verbringen, ist kein verlockender Gedanke. Ich will das Geschehene so schnell wie möglich vergessen oder wenigstens verdrängen und brauche dringend Ruhe.

Nachdem ich die Klinik wieder verlassen darf, geht Karola in der Krankenhaushalle zum Parkautomaten, vor dem sich eine Schlange gebildet hat. Immer wieder blickt sie besorgt in meine Richtung.

Ich setze mich in einen bequemen Sessel und sehe mich um. Ein Mann nähert sich mir, schaut mich irritiert an, dann hebt er zögernd seine Hand.

Nein, das ist doch ...

„Du bist es“, sagt er und lächelt mich an. „Ich kann es kaum glauben, du bist es tatsächlich. Und immer noch so schön, was für eine Überraschung. Was für eine angenehme Überraschung.“ Er küsst meine Hand.

Ich hätte meine Hand zurückziehen sollen.

Diese Augen, dieser Mund, das Lächeln, dieselbe Stimme. Derselbe dunkelblonde Lockenkopf, aber jetzt mit feinen grauen Strähnen durchzogen. Er sieht besser aus denn je. „Hallo Boris“, sage ich leise. Meine Stimme zittert. „Ich fühle mich alles andere als gut aussehend mit meiner zerquetschten Nase.“

Er mustert mich. „Spielt überhaupt keine Rolle.“

Verdammt, er soll aufhören, mich anzustarren. „Was hat dich denn hierher verschlagen?“ Die einzige Frage, die mir spontan einfällt.

„Ich arbeite in der Klinik.“

„Oh. Als was denn?“

„Als Krankenpfleger. Die Firma, in der ich davor gearbeitet habe, musste Insolvenz anmelden. Danach habe ich mich für eine Umschulung entschieden. Von allen Möglichkeiten, die sich mir boten, wählte ich die Ausbildung, von der man mir abgeraten hat. Frag mich nicht, warum. Es ist einfach passiert.“

„Vielleicht, weil du schon Erfahrung in der Pflege hattest?“

Boris schaut zur Seite.

„Wie geht es …“

„Meine Frau lebt seit drei Jahren in einem Pflegeheim in St. Germain-ein-Lay. Ich habe es zu Hause einfach nicht mehr geschafft. Es war meine Entscheidung, sie dorthin zu bringen. Danach hat sie die Scheidung verlangt. Sie will mich nicht mehr sehen.“

„Das tut mir leid, Boris.“

Er sieht mich wieder an. „Es war auch eine Erleichterung.“ Er zeigt auf meine Nase. „Wer war das?“

„Ein Einbrecher, das heißt, es waren zwei. Einer von ihnen hat mich angegriffen.“

Er hebt die Augenbrauen. „Du wurdest zu Hause angegriffen? Am helllichten Tag? Komm her!“

Es ist seine Stimme, der besorgte Ausdruck in seinen Augen, sein Körperduft. Sein Geruch ist mir noch immer so vertraut. Meine lieblose Ehe.

Er breitet seine Arme aus.

Ich möchte dem Verlangen nicht nachgeben, von ihm berührt zu werden, aber es gelingt mir nicht. Ich spüre seine Arme um mich, seine Vertrautheit, seine Liebe – damals – und lasse mich fallen.

Kapitel 5

Karola lässt nicht locker. „Aber man setzt sich doch nicht einfach zu einem wildfremden Mann, jammert ihm die Ohren voll und lässt sich von ihm, mir nichts, dir nichts, in den Arm nehmen!“

Karola nörgelt ununterbrochen. Ich möchte ihr am liebsten mit einem großen Pflaster aus der Notaufnahme den Mund zukleben. Sie hört einfach nicht auf.

„Oder war er vielleicht kein Fremder? Was verschweigst du mir?“ Sie schaut mich eindringlich an.

Du solltest es mal mit Pilates versuchen, Karo, das entspannt und verbessert deine Körperhaltung. „Schau nicht so!“

„Das ist keine Antwort, Tessa!“

„Wenn du es genau wissen willst: Ich kenne ihn von früher, aus der Zeit vor Jules.“

„Und wie gut kanntest du ihn?“

Ich sehe zur Seite. Boris spricht mit jemandem. Gleichzeitig schaut er in meine Richtung. „Gut genug, um noch heute zu wissen, wer er ist. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Können wir das Verhör beenden?“

Karola legt ihre Hand auf meinen Arm. „Es war nicht meine Absicht, dich zu verhören. Entschuldige bitte. Wir sind alle so schockiert. Komm, ich bringe dich nach Hause. Jules wird gewiss schon auf dich warten.“

„Ich hatte solche Angst, dass sie Lianne was antun könnten.“

„Meiner Tochter ist nichts geschehen, Liebes. Mach dir also keine Gedanken darüber, was hätte passieren können.“

„Du hast recht.“

An der Eingangstür bleibe ich einen Moment stehen und drehe mich noch einmal um.

Boris unterhält sich immer noch. Er gibt mir mit einer Hand ein unauffälliges Auf-Wiedersehen-Zeichen.

Ich blicke schnell nach vorn. Mein Herz pocht.

Karola lässt mich während der Heimfahrt immer wieder erzählen, was geschehen ist. Ich vermute, dass sie damit etwas bezweckt. Vielleicht die Verarbeitung meiner schockierenden Erfahrung. Sie betrachtet den Übergriff zweifellos nur aus psychologischer Sicht. Hätte Karola ihr Psychologiestudium wieder aufgenommen als Lianne aus dem Gröbsten raus war, hätte ich jetzt vermutlich meine Ruhe. Ich werde sie demnächst zum wiederholten Mal zum Studium ermutigen. Jules’ Schwester hat keine finanziellen Sorgen und muss sich auch nicht mehr schuldig fühlen, weil sie dann weniger Zeit mit ihrer Tochter verbringen kann. Lianne wird aufatmen und mir dankbar sein. Und ich habe meine Ruhe.

„Lass uns bitte einen Moment damit aufhören“, bitte ich Karola. „Ich werde es der Polizei sicherlich auch noch ein paar Mal erzählen müssen.“

„Und Jules …“

„Sie haben kein Geld gefunden“, unterbreche ich sie. „Vorsicht! Die Ampel! Rot!“

Karola tritt voll auf die Bremse. „Das hätte ich fast übersehen. Entschuldigung.“ Sie öffnet das Handschuhfach. „Könntest du nachsehen, ob da hinten noch eine Schachtel Zigaretten liegt?“

„Ich dachte, du rauchst nicht mehr.“

„Gelegentlich.“

Ich taste die Ablage ab. „Keine Zigaretten. Der Einbruch und der Übergriff nehmen dich wohl ebenfalls stark mit.“

Die Ampel springt auf Grün. Karola gibt Gas. „Für dich ist es schlimmer. Arme Tessa. Schau dich nur an.“

Ich lächle gequält. „Meine Schönheit ist dahin!“

Karola prustet drauf los. „Und ich hatte uns schon für die nächste Staffel von Germanys next Topmodell angemeldet. Ich möchte auch mal einen zwanzigjährigen Mann flachlegen!“

„Karola!“

„Was denn? Mach den Mund zu, Süße. Es zieht!“

Karola lenkt den Wagen in unsere Straße und parkt vor der Auffahrt, die noch immer von Polizeifahrzeugen blockiert wird. Ich fühle mich, als hätte ich geraume Zeit unter einer Dunstwolke verbracht, was vermutlich an der Beruhigungsspritze liegt, die der Notarzt mir verabreicht hat.

„Ich sehe Jules’ Auto nirgendwo, Karo.“ Meine Hände zittern. „Wieso ist er nicht hier?“

Karola scheint ebenfalls irritiert. „Soll ich deine Mutter anrufen? Sie wird wissen wollen, was passiert ist.“

Ich versuche, die Wagentür zu öffnen.

„Warte bitte, ich helfe dir.“ Karola steigt aus, geht um den Wagen, öffnet die Tür und streckt mir ihre Hand entgegen, die ich dankbar nehme. „Mensch Tessa, du bist kreidebleich. Atme tief ein und aus … Verstehe. Ich werde deine Mutter nicht anrufen!“

„Das erledige ich selbst. Meine Mutter macht gerade Urlaub in Palma de Mallorca.“

„Und Amelie? Die wird doch wissen wollen, was los war? Sie ist deine beste Freundin. Soll ich wenigstens sie für dich anrufen?“ Karola schlägt ihren Arm um meine Schultern.

---ENDE DER LESEPROBE---