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Deutschland steht vor dem Zusammenbruch. Der Gegner arbeitet mit allen Mitteln. Nachdem er das Land mit Drohnen ausspioniert hat, infiltriert er Wirtschaft, Politik und Behörden mit Schadprogrammen und kann das Land fast nach Belieben steuern. Seine Schläfer haben weitere Agenten, die selbst von nichts ahnen, über implantierte Biochips zu ihren Handlangern gemacht. Der unbekannte Feind greift über Quantencomputer auf Regierungs- und private Gelder zu. Auf einen Schlag sind alle handlungsfähigen Personen pleite. Schließlich holt er zum entscheidenden Schlag gegen Kanzleramt und Bundestag aus, und Hauptkommissar Lukas Jansen steht wieder einmal an vorderster Front. Wie soll er handeln? Ist alles, was er tut, selbst zum Schaden der Republik? Die Spur führt ihn von Ostfriesland über Berlin nach Thüringen, Wien und Zürich. Unterstützt von seiner Frau Lisa, Ärztin und brillante Analytikerin, und dem unerschütterlich friesischen Clan um Vater Wolfgang, die Zwillinge Onno und Ella und Terrier Jackie, findet Jansen den Mann hinter der Verschwörung: den Praeceptor. Während Drohnenkämpfe über Berlin toben, Millionen Konten geplündert und Schläfer durch Radiosignale aktiviert werden, versucht Jansen mit seinem kleinen Kreis Verbündeter das Land zu retten und dabei selbst zu überleben. Der Gegner sitzt näher, als ihm lieb sein kann: im eigenen Apparat. Mit scharfem Witz, politischem Biss und messerscharfer Aktualität zeigt Der Quantenkiller, wie dünn die Linie zwischen Freiheit und Manipulation geworden ist – und wie viel Chaos nötig ist, um Deutschland vor dem Chaos zu retten.
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2025
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QUANTENKILLER
Thriller
Teil 11 der Lukas-Jansen-Reihe
Nick Stein
Deutschland im Chaos.
Nur ein Chaot kann das Land noch retten
– ein Ostfriese.
Und sein Hund.
Montag
Dumpfer Lärm von draußen weckte mich. Auch von meinem Handy, das vor sich hin rappelte, leise gestellt, und dann vom Nachttisch auf den Fußboden klatschte. Scheiß Wiesbaden, dachte ich, warum bin ich bloß von Friesland hierhergezogen, da hätte mich ein Rotkehlchen aus dem Schlaf geholt. Ich zog mich an, gerade noch rechtzeitig, denn schon kamen die Zwillinge reingestürmt. Ella voran, Onno hinterher, gefolgt von Jackie, unserem Hund. »Papa, was ist denn hier bei uns bloß los?«, fragten sie schon in der Tür. »Und wo ist Mama?«
»Die hat Nachtschicht«, beschied ich ihnen. Dass es gestern so viele Todesfälle gegeben hatte, die Kühlschränke der Rechtsmedizin nicht mehr ausreichten und sie und ihre Kollegen nun im Akkord aufschneiden mussten, verschwieg ich ihnen lieber. »Zieht euch an, rasch, wir frühstücken kurz, dann muss ich ins Amt. Irgendwas ist hier ganz und gar nicht in Ordnung.«
Ich riskierte einen Blick aus dem Fenster, während ich zur Küche marschierte. Draußen fuhren Schwerlaster hin und her, einer rangierte mit rotem Warnlicht direkt vor unserem neu bezogenen Haus. Auch bei anderen Nachbarn rumpelte und hupte und schimpfte es, den Dieselgestank konnte ich bis ins Haus riechen. Jackie bellte, er hasste Lärm, und wurde erst ruhiger, als er sein Fressen bekam.
Ich machte ein schnelles Frühstück, Müsli und Saft, Kaffee für mich, damit wir hier wegkamen. Parallel sah ich auf mein Handy, wo vierzehn Nachrichten auf mich warteten. Überweisung über 32.422,50 € ausgeführt, lautet die erste. Von meiner Bank. Konto wegen Überziehung gesperrt, die zweite. Das gleiche von meiner Kreditkarte, die auch gesperrt war, nachdem ich von dort etwas für über neuntausend Euro erworben hatte. Von einem Heimwerkermarkt kam die Nachricht, dass der Kauf abgeschlossen worden war. Ich hatte unter anderem einen Betonmischer und vierzig Paletten mit Backsteinen erworben. Wir danken für Ihren Auftrag, stand dahinter. Weitere Meldungen blinkten mir freudig entgegen. Draußen klingelte jemand, ich lief hin.
»So, alles abgeladen«, freute sich ein dicker Mann im Overall. »Bitte hier quittieren.«
»Ich habe nichts bestellt«, sagte ich und bereute schon, dass ich überhaupt aufgemacht hatte. »Sie müssen das wieder mitnehmen.«
»Quatsch. Hier.« Er hielt mir ein Tablet entgegen, auf dem die Bestellung über den Mischer stand. Von mir, schwarz auf weiß, mit meiner Unterschrift, die ich meines Wissens nie geleistet hatte. »Bezahlt haben Sie ja schon. Wenn Sie nicht unterschreiben, gehe ich hier nicht weg. Der Laster bleibt hier so lange stehen.«
Ich hatte keinen Bock auf eine Diskussion und unterschrieb mit Helmut Kohl. Das schien ihm egal zu sein, er drehte sich um und stieg lachend wieder auf seinen Kranlader. »Guten Tag auch noch, Herr Kohl.«
Die Kids mussten in die Schule, Jackie musste ich mit ins Büro nehmen. Ich wusste nur noch nicht, wie. Ans Autofahren war kaum zu denken, die Straßen waren mit Lieferwagen verstopft, die sich hupend Platz machten oder auch nicht. Ich stieg trotzdem in den iX3, die Kurzen und Jackie hinterher. Aber das Auto hatte eigene Ideen. Es machte ein Software-Update. Ein großes. Und das konnte dauern. Zum Glück lag die Schule um die Ecke, und ich brachte sie zu Fuß hin und kam mit Jackie wieder zurück.
Es sah überall schlimm aus. Wenn keine Lieferwagen vor den Häusern standen, befanden sich dort Berge von Waren. Vor meinem neuen Betonmischer lagen weitere Pakete von temu, Amazon, Shein, Alibaba und Otto, davor noch ein Weihnachtsbaum und eine junge Magnolie von einem Gartenbetrieb. Immerhin ein deutscher Lieferant dabei, dachte ich. Geht doch. Irgendwie fühlte ich mich wie an Weihnachten, was vielleicht am Baum lag. Passte im September zwar noch nicht ganz, aber Vorsorge geht ja immer. So viele Pakete! Was da wohl alles drin war?
Mein Nachbar von Gegenüber, einer vom BND, schimpfte vor sich hin. Vor seinem Haus stand eine riesige rote Maschine, brandneu und noch von einer Schrumpffolie umhüllt. »Was ist das denn?«, fragte ich ihn.
Er hatte ein Heftchen in der Hand. »Ein Kartoffelroder. Hatte ich mir wohl zum Geburtstag gewünscht und komplett vergessen. Kann man ja immer mal brauchen.«
Ich lachte und fragte mich, wer da mehr Humor hatte. Der Kollege oder derjenige, der das alles verursacht hatte.
Ich sah mir das Häuschen hinter mir an, für das wir Friesland aufgegeben hatten. Schöne Aussicht, am Rande des Stadtwalds, aber keine Glasfaser und schlechter Handy-Empfang. Das hat man davon, wenn man ein Haus von einem erschossenen Vorgänger übernehmen muss. Keiner da, den man dafür beschimpfen konnte. Und danach war mir gerade.
Jackie bellte. Er mochte den BMW sowieso nicht, aber das war nicht der Grund. Er sah nach oben. Da flog etwas, ziemlich weit oben. In Friesland wäre das eine Möwe, ein Adler, Bussard oder Rotmilan gewesen, hier war es etwas Technisches. Es schwebte ziemlich direkt über einem Gebäude, das aussah wie ein Krankenhaus mit Ausschlag. Dem BKA weiter unten. »Ruhig, Hund«, beruhigte ich ihn. »Die ist bestimmt für unsere Sicherheit da.«
In der Garage stand noch mein altes Rennrad aus Wittmund. Jackie und ich schielten uns an. »Aber nur auf dem Gehweg laufen, Jackie, ja?« Denn auf der Straße wären wir ohnehin nicht durchgekommen.
Er wuffte. Er hatte verstanden. Es sei denn, eine Katze, Maus, ein anderer Hund, ein klappernder Lastwagen oder ein anderes Ärgernis hinderte ihn daran. Zur Sicherheit machte ich ihn an eine lange Leine und fuhr los, er rannte neben mir her. So weit, so gut. Bis sich ein Straßenbaum zwischen uns drängte, Jackie spurtete weiter, ich wollte die Leine loslassen, die sich um den Bremsengriff schlang, und legte mich prompt und gekonnt auf die Klappe.
Am Tor des BKA wollte uns der Pförtner nicht reinlassen. »Der Hund kommt in den Zwinger«, behauptete er.
»Nichts da. Er ist ein ausgebildeter Polizeihund. Er hat sogar einen Fall komplett selbst gelöst.« Ich kramte einen Zeitungsausschnitt aus Wittmund aus meiner alten ledernen Aktentasche und zeigte ihn vor. »Hier. Ohne ihn wäre Friesland jetzt ein Spielplatz für Kriminelle. – Komm, Jackie!«
Weitere Minuten später stand ich vor meiner Nemesis, Kroll mit Namen, einem korpulenten Endfünfziger mit weißem Haarkranz, der an seine ebenfalls weiße Hornbrille anschloss. Mein Chef, der mich vom ersten Tag an auf dem Kieker gehabt hatte.
»Wie sehen Sie denn aus, Jansen?«, blaffte er mich an. »Haben Sie sich etwa geprügelt?«
Ich hatte keine Lust, ihm alles haarklein über meinen kleinen Unfall zu erzählen. »Genau. Mit einem, der mir zu viele dumme Fragen gestellt hatte.«
Er funkelte mich mit seinen braunen Augen durch die Flaschenböden seiner Brille an, unschlüssig, ob er das als Beleidigung oder als Fehlverhalten einstufen sollte. Auf jeden Fall ein Minuspunkt, wie das Runzeln seiner ohnehin schon faltigen Stirn anzeigte.
»Jansen, die Republik steht kurz vor dem Zusammenbruch. Meine Bahnlinie hatte heute schon wieder Verspätung. Und das Innenministerium macht uns Druck. Wir sollen endlich die Schuldigen für all diese mysteriösen Zwischenfälle und Unfälle liefern, die hier alles aus dem Ruder laufen lassen.«
»Die Bahn kommt doch immer zu spät. Wenn sie überhaupt kommt«, warf ich ein.
»Darum geht es doch gar nicht. Ich rede von dem ganzen Mist, Drohnenzwischenfälle, komplett ausgefallene Computernetzwerke, auch unser eigenes, Cyberattacken mit Ransomware, Unfälle, viele Tote und, und, und. Lesen Sie denn keine Zeitung? Können Sie als Ostfriese überhaupt lesen?«
Ich musste ihn aufklären. »Ich bin zwar als Ostfriese geboren, komme aber aus Friesland, Herr Kroll. Friesland liegt östlich von Ostfriesland. Und wenn Sie schon mal auf Sylt waren, dann wissen Sie auch, dass Südfriesland nördlich davon liegt. Jeder, der lesen kann, weiß das.«
Er klimperte mit den Wimpern und versuchte, meinen Worten einen Sinn zu geben. Dabei ist das heutzutage doch alles Allgemeinwissen. Doch dann siegte sein Status über meinen.
»Verarschen kann ich mich alleine, Jansen. Hören Sie zu. Wir müssen hinter all diese Vorfälle kommen, und zwar sofort. Sie werden mit Ihrer neuen Kollegin rausfahren nach Kelsterbach und drei Vorfälle mit Drohnen untersuchen, die ein Hobbyjäger, ein Roland Pfeiffer, vom Himmel geholt hat. Unsere Leute dürfen das ja nicht. Wir müssen wissen, wer dahintersteckt. Direkt am Flughafen Frankfurt. Denken Sie mal an Spionage, falls Sie das Wort in Friesland kennen.«
»Mein Auto streikt. Mit der Bahn traue ich mich da nicht hin. Und neue Kollegin? Wer soll das sein?«
»Frau Horvath. Die hat einen alten Jeep aus US-Beständen, der streikt nie.«
Ein paar Minuten später – Kroll hatte versucht, mich mit einer Art Kaffee aus dem Automaten willenlos zu machen, was ich klugerweise abgelehnt hatte – klopfte es an die Tür. Herein schwebte ein Engel in Blond. Ich trat vor Schreck einen Schritt zurück. Sie war fast so groß wie ich, etwa einsneunzig, trug einen Bob in Weißgold, große blaue Augen ohne Schminke über einer frech herausragenden Nase und einem dunkelroten Schmollmund. Den herausragenden Rest hatte ich zwar auch sehr kurz wahrgenommen, traute mich aber nicht, nochmals hinzusehen. Lisa würde mich hinrichten.
»Luisa Horvath, Lukas Jansen. Lukas Jansen, Luisa Horvath. Luisa ist aus Prag und hospitiert bei uns. Sie spricht kein Friesisch, aber gut Deutsch. Vertragen Sie sich gut, ja? Und nun los, husch, husch!«
Er war sogar aufgestanden, als er das sagte. Klein wie er war, konnte er im Sitzen vermutlich auch nicht alles von ihr sehen.
»Ach so, Jansen: Verlassen Sie sich nicht auf Ihr Handy oder Laptop und so. Das schmiert alles regelmäßig ab. Machen Sie es auf die alte Tour, kennen Sie bestimmt noch aus Ostfriesland. Mit einem Notizbuch, notfalls halt mit Rauchzeichen, können Sie doch sicher. – In sechs Stunden stehen Sie hier mit einem erschöpfenden Bericht vor mir.«
Der Jeep kam angeröhrt, grün, qualmend und stinkend, als ob er mit Altöl fuhr. Er roch nach Schweiß und Abenteuer. Luisa Horvath saß grinsend am Steuer, Sonnenbrille in der Stirn, eine aufgefaltete Landkarte vor sich auf dem Lenkrad. Wo gab es denn so etwas noch? Eine Falk-Karte von Frankfurt und Umgebung? Hatte sie ein Museum überfallen?
»Spring rein, Lukas, wir sind spät dran«, sagte sie in einem Deutsch, das nur ganz am Rande eine winzige böhmische Melodie erahnen ließ. Wir duzten uns also schon. Das kann ja heiter werden, dachte ich, wenn das in dem Tempo weitergeht.
Ich sprang rein und drapierte Jackie auf dem Rücksitz. Er ging sofort mit den Vorderpfoten an meine Lehne und spähte observierend nach draußen. Von der blonden Bedrohung am Steuer nahm er keine Notiz. Der Wagen sprang mit einem metallischen Röcheln wieder an und wir rumpelten los Richtung Frankfurt.
Schon die Fahrt war ein Abenteuer. Eine Ampel zeigte für Geradeausfahrt und für Linksabbieger gleichzeitig Grün. Ein LKW erwischte einen alten Polo gerade noch an der Stoßstange; zum Glück fuhren wir geradeaus. »Das passiert in letzter Zeit immer öfter, und keiner weiß, warum«, kommentierte Luisa, die starr geradeaus blickte und gerade mal neunzig fuhr. An einem Bahnübergang ging die Schranke rauf und runter, rauf und runter. »Ich geh raus und lege mal das Ohr auf die Schienen, ob sich ein eisernes Ross nähert«, schlug ich vor. Sie lachte. »Die Bahn fährt doch sowieso nicht.« Beim nächsten Atemzug der Schranke nach oben bretterte sie durch. »Die Kunst ist doch, alles Schlechte zum Guten zu nutzen, Lukas, oder?«
Vor Kelsterbach sah man den Flughafen schon von Weitem, Beton, Asphalt und Glas, dazwischen gefühlte drei Gänseblümchen. Flugzeuge waren keine in der Luft. Dafür schwebte ein Hubschrauber über einem Gebiet mit Flatterbändern. Hinter dieser Barriere standen schon Streifenwagen, ein Sendewagen vom Hessischen Rundfunk und ein paar aufgeregte Mitbürger mit Handys, einer sogar mit einer antiken Super-8-Kamera. Vielleicht einer vom Senckenberg-Museum, dachte ich.
Ein junger Polizist winkte uns durch. »BKA? Ach, Sie sind das also. Da vorne, die Wiese hinterm Zaun. Die Presse konnten wir leider nicht zurückhalten. Die sind hier am Filmen. Besser nix verlauten lassen.« »Das schaffe ich«, sagte ich. »Ich bin ein Naturtalent in sowas.«
Auf der Wiese lag etwas: Fragmente eines Quadrocopters, Propeller, Kamera, Gerüst, Sender. Ein älterer Mann im grünen Parka nebst Hut mit Gamsbart, wettergegerbtes Gesicht, Markus Söder wie aus dem Gesicht geschnitten, stand daneben. Neben ihm lag auf einer Plane ein Kleinkalibergewehr. Ein Beweisstück. »Das muss der Hobbyjäger sein«, murmelte Luisa. »Wenigstens der hatte mal Erfolg, hat mehr Drohnen abgeschossen als die komplette Bundeswehr.«
Der Markus-Söder-Verschnitt grinste, als wir uns vorstellten. »Ich hab sie erwischt, ich hab sie alle erwischt. Mir entkommen die Viecher nicht. Da steckt doch der Russe dahinter. Ich lasse mir das nicht gefallen, ich nicht.«
»Sie glauben also, Putin steckt hinter diesen Aktionen? Können Sie das begründen?«, fragte ich.
»Wer denn sonst? Aliens?«
»Könnte doch sein. Würde sich manch einer wünschen, schlimmer als wir können die auch nicht sein.«
»Wie viele haben Sie denn insgesamt so gesehen?«, fragte Luisa.
»Seit zwei Wochen fast jeden Tag eine, heute dann gleich drei. Ich sagte mir, jetzt reicht’s, Ludwig, runter mit den Dingern. Für die nationale Sicherheit.«
»Die Bundesrepublik dankt Ihnen für Ihren heroischen Einsatz, Herr Pfeiffer«, ich klopfte ihm auf die Schulter. »Das Verdienstkreuz am Bande ist Ihnen sicher.«
Luisa hatte sich inzwischen den Kollegen zugewandt. »Wo sind die anderen beiden, die der Herr erwischt hat?«
»Weiter da runter. Ich zeig’s Ihnen gerne«, schlug ein Junguniformierter vor, der den Mund kaum noch zubekam, die süße Versuchung direkt vor Augen.
»Moment. Da ist noch eine, eine große.« Pfeiffer bekam leuchtende Augen. »Darf ich?«
Ich sah zum Himmel. Tatsächlich. Genau über uns schwebte eins von diesen Dingern. Bedrohlich. Summend wie eine asiatische Hornisse, die hier auch niemand haben will. Aggressiv.
»Na los. Holen Sie das Ding schon runter, Pfeiffer.« Luisa Horvath sah mich kritisch an und schüttelte den Kopf. Aber es war schon zu spät. Das Marcus-Söder-Imitat hatte bereits angelegt, ohne den Gamsbart verrutschen zu lassen, und dröhnte los. Und schon kam das Ding über uns ins Trudeln, bekam Schlagseite und schmierte ab. Ins Flughafengelände. »Sichert die mal, Kollegen«, wies ich die Beamten an. »Und bringt die zusammen mit den anderen nach Wiesbaden, wenn wir durch sind.«
Wir marschierten weiter. Die zweite Drohne sah aus wie die erste, nur von einem anderen Hersteller. Also mit einem anderen chinesischen Namen drauf. Die dritte dagegen war deutlich größer und robuster und hatte sechs Rotoren. Der Schuss des Jägers war mitten durch ihre Elektronik gegangen.
»Alles nach Wiesbaden zum BKA, zu meinen Händen.« Ich reichte dem Kollegen meine Karte, damit er seine Augen von meiner Kollegin losbekam. »Und pronto, wenn ich bitten darf.«
Weit über uns zog eine weitere Drohne ihre Kreise. Sie hatte genug gesehen und drehte ab, Richtung Taunus. Jackie und ich sahen hinterher. »Verfolgen Sie die, und beeilen Sie sich«, trug ich dem Streifenbeamten auf. »Verlieren Sie die nicht, ich will wissen, wo die landet und wer sie steuert. Und nun los!«
*
Wir fuhren auf Schleichwegen zurück nach Wiesbaden. Die Autobahn war zu, die Bundesstraße auch. Es dauerte, und ich bedauerte fast, dass wir der Drohne nicht selbst gefolgt waren. Selbst im Taunus war es schöner als in der Retorte Wiesbaden, das sich nicht zwischen Regierungssitz, Kurort, Weinort, Konkurrenz zu Mainz und Neid auf Frankfurt entscheiden konnte.
Der Kleintransporter mit den Drohnenresten war eine Stunde nach uns da. Wir lotsten ihn zu einer Werkstatt, wo das BKA alles hatte, was wir brauchten. In der Wartezeit hatte Luisa mir alles über sich selbst erzählt. Sie war eigentlich Historikerin, ihr Vater war Dichter, ihre Mutter eine bekannte Ärztin. Aber eines Tages hatte sie jemand angesprochen und auf ihre Verantwortung vor der Geschichte hingewiesen. Ein Mann, den sie dann geheiratet und dem sie zum tschechischen Geheimdienst gefolgt war, um sich ein halbes Jahr später wieder von ihm scheiden zu lassen. Er hatte auch Geschichten gehabt, aber keine Verantwortung dazu gezeigt. Sie war trotzdem dortgeblieben, war rasch aufgestiegen, hatte ein paar wichtige Leute kennengelernt, und war mit ihren 29 Jahren schon Leiterin bei einer Verbindungsstelle zu Interpol geworden. Das hatte sie als Hospitantin zu uns gebracht.
Ein Mitarbeiter hatte inzwischen aus den beiden Billigdrohnen die Speicher ausgelesen. Sie zeigten verwackelte Bilder von Vögeln. Raben, Tauben, viele Tauben, und weitere Raben und Spatzen, auf der Rollbahn, auf der Landebahn, auf dem wenigen Grün dazwischen. Keine Flugzeuge, keine geheimen Einrichtungen. »Nitschewo«, sagte Luisa. »Nüschte. Bei der dritten Drohne ist nichts mehr zu machen, sauberer Schuss durchs Hirn. Aber von hier sieht die nicht aus. Untersucht die mal weiter, auch metallurgisch,« trug sie den Kollegen auf. »Ruf mich an. Wenn ihr Ergebnisse habt.«
Die vierte Drohne war noch nicht eingetroffen.
»Du sprichst Russisch? Und sogar Berlinerisch? Alle Achtung«, staunte ich. »Als Historikerin hat man als Tschechin schon mal mit beiden zu tun, ich war in einigen Archiven. Aber das ist jetzt nicht wichtig, Lukas. Wir haben die Adressen der beiden Besitzer. Hier.«
Ich rief sofort an. Bei beiden Nummern antwortete nur ein langer Piepton. Das BKA hatte ein Satellitennetz, aber die nicht. »Wir müssen da hin. Sattel schon mal die Pferde, Luisa.«
»Moo-ment!« unterbrach mich einer der Laboranten. »Was machen wir mit den Ergebnissen? Der Server streikt mal wieder.«
Dann speichern Sie’s auf Papier«, sagte ich. Er sah mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, die Ergebnisse in eine Baumrinde einzuritzen.
Luisa lächelte kurz, während sie ein Metallteil von der dritten Drohne in eine Plastiktüte steckte. »Du hast recht, Lukas. Analog ist das neue Digital, hier und heute in Deutschland.«
*
Die Besitzer der beiden Drohnen wohnten nicht weit voneinander in Kriftel. Also geschätzt nochmal eine halbe Stunde hin, eine halbe Stunde zurück, ein Navi hatte der Jeep nicht. Das konnten wir gerade noch schaffen.
Der erste Verdächtige war ein älterer Mann mit wirren weißen Haaren, der auf seiner Veranda saß, das Steuergerät neben sich und ein Buch über Schmetterlinge in der Hand, als wir eintrafen. »Ah, die Polizei!«, erkannte er uns, woran auch immer. »Endlich! Seit geschlagenen drei Stunden warte ich hier schon! Haben Sie meine Drohne gefunden?«
»Wir haben SIE gefunden, Herr Brühl. Für wen arbeiten Sie? Los, antworten, nicht denken!« Luisa ging auf ihn los wie ein Bulle auf den Torero. Fehlte nur noch die grelle Lampe, auf sein Gesicht gerichtet. Gestehen Sie, Schurke! Sie waren es!
Aber der Mann runzelte nur die Stirn. »Na, für die Sicherheit doch! Also eigentlich für den BUND, den hatte der Flughafen engagiert, um mehr über den Erfolg des Wanderfalkeneinsatzes auf dem Flugfeld herauszufinden. Das ist enorm wichtig. Vogelschlag bringt Flugzeuge zum Absturz.«
»Der Flughafen hat den Bund engagiert? Hä?« Luisa kam nicht klar. »B.U.N.D.«, buchstabierte der Verdächtige. »Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Sollten Sie kennen. Warten Sie, ich habe Mitgliedsanträge da. Moment.«
»Nee, Sie, Moment! Hiergeblieben! So leicht kommen Sie mir nicht davon! Ich glaube Ihnen kein Wort.«
Ein paar Minuten später hatte sie es schwarz auf weiß. Allerdings galt die Erlaubnis nur für bestimme Zeitabschnitte, wo gerade kein Flugverkehr stattfand, sonst durfte er nur mit dem Fernglas beobachten.
Jetzt errötete der Mann. »Ich bin nicht mehr so gut zu Fuß. Wozu gibt es diese modernen Dinger denn? Eine Kamera haben die auch, ich kann alles aufzeichnen. Ist doch viel besser als so mit dem Fernrohr.«
Die Horvath bebte, was ihr gut stand. Das gefiel ihr gar nicht. »Sie haben damit selbst den Flugverkehr gefährdet, Herr Brühl. Sie werden sich vor Gericht verantworten müssen. Sie tun das in einer Zeit, wo wir jeden Tag mit militärischen Bedrohungen rechnen müssen. Das macht Ihren Fall besonders schwer. Bleiben Sie vorerst zu Haus.«
»Und was ist mit meiner Drohne? Die hat Geld gekostet«, protestierte er.
»Beweismittel. Können Sie vergessen. Haben wir abschießen müssen. Halten Sie sich zu unserer Verfügung.«
Der nächste Verdächtige war ein junger zorniger Mann mit einem ausgebleichten T-Shirt, auf dem Keine Startbahn West stand. Er hatte gehört, dass eine weitere Startbahn in der Planung sei, und hatte mit seiner Drohne nach Spuren gesucht. Er schimpfte die ganze Zeit auf Staat und Kapitalismus, wir kamen kaum zu Wort. Diesmal drohte ich ihm ein Verfahren wegen Gefährdung des Flugverkehrs und Landfriedensbruch an. Das kannte er; deswegen war er schon zweimal verurteilt worden. Er schimpfte weiter, wir suchten das Weite.
Das hatte beides nichts gebracht.
Zurück im BKA fanden wir Kroll nicht in seinem Büro vor, sondern in einem Konferenzraum, in dem er über die täglich zunehmenden Bedrohungen sprach. Ein großer Teil der Mannschaft war versammelt und lauschte. Auch wir hörten zu. In Deutschland funktionierte fast nichts mehr, wenn man ihm Glauben schenken wollte. Die Bahn nicht, aber die hatte schon vorher nicht funktioniert. Der Flugverkehr, der vielleicht endlich mal ohne Lotsen- und Pilotenstreiks funktioniert hätte, wenn man ihn nur gelassen hätte. Das Internet, aber da waren wir als Land ohnehin nur auf Platz hundert plus in der Welt. Und das alles war hoch gefährdet.
Schließlich hatten wir ihn für uns. Oder er uns für sich.
»Jansen, Sie sind die größte Pfeife, die je den Boden dieses Amts entehrt hat. Wissen Sie überhaupt, was Sie angerichtet haben?«
Seine Tiraden war ich schon gewohnt. Aber diesmal hatte ich die Trümpfe. »War alles kalter Kaffee, Herr Direktor.«
»Vizepräsident.«
»Herr Vizepräsident. Die beiden Drohnen waren beides Amateure. Ein Vogelkundler und ein Protestler, der gegen eine weitere Startbahn war. Zwei Spinner, eine Verschwörung konnten wir nicht feststellen. Verfahren werden trotzdem eingeleitet.«
»Der Spinner sind Sie, Jansen!« Die Horvath ließ er dagegen in Ruhe. »Was war mit der dritten Drohne? Na?«
»Wir sind gerade erst zurück. Konnte ich noch nicht analysieren. Das war jedenfalls ein größeres Kaliber.«
»Und Sie nehmen sich als Erstes die Harmlosen vor, was? Die dritte war tatsächlich eine Profi-Version, ich weiß das, Sie natürlich nicht. Die hatte der Flughafen ausgeschickt, um die beiden anderen zu überwachen. Wussten Sie nicht, oder? Na?«
Ich schüttelte den Kopf. Aber nur leicht.
Jetzt wurde er weich und samtig wie Honig. »Tja, mein lieber Friese. Was war denn wohl mit der vierten Drohne, die Sie haben abschießen lassen, trotz des Protestes Ihrer neuen Kollegin? Na?«
Sein Na ging mir auf den Keks. »Die sah nach militärischer Hardware aus. Also eine der gefährlichen. Da konnten wir nicht direkt hin, die ging auf dem Flughafengelände runter.«
»Soso.« Er trat näher und sah notgedrungen zu mir empor. Stimmlich überragte er mich allerdings.
»Das war eine Polizeidrohne, Sie Hirni! Da war sogar der Bundesadler drauf, das sieht man doch! Unsere eigene, vom BKA, und die einzige, die bisher ausgeliefert werden konnte! Das war unser komplettes Arsenal! Und Sie lassen sie abschießen! Das wird Sie noch teuer zu stehen kommen.«
Er trat wieder zurück. Leider nur physisch, sein Mundgeruch stand noch vor mir. »Sie können gehen. Morgen reden wir weiter. Frau Horvath, Sie bleiben noch. – Raus, Jansen! Und nehmen Sie Ihren Vierbeiner ja mit!«
*
Als Jackie und ich endlich zu Haus ankamen, diesmal ohne Unfall, wartete Lisa schon auf mich. Die Arme in die Hüften gestemmt und einen Ausdruck auf dem Gesicht, als ob sie mich gleich wie Rumpelstilzchen in zwei Teile reißen würde.
»Mit wem warst du da unterwegs?«, fauchte sie. »Glotzt und fasst sie sogar an, diese Tussi! Wer ist das, Jansen?«
So nennt sie mich immer nur kurz vor der Scheidung. Das letzte Mal, als ich aus Versehen ein Video geschickt hatte, als ich mit einer flotten italienischen Biene im Ferrari durch die Abruzzen gesummt war.
»Meine neue Kollegin. Luisa Horvath aus Tschechien. Hat mir Kroll zugeordnet. Kann ich doch nichts zu. Aber wie…?«
»Woher ich das weiß? Woher ich das weiß, fragst du? Weil ich dich im Fernsehen gesehen habe, im Dritten! Stehst da rum, glotzt sie an und legst ihr sogar kurz die Hand auf die Schulter! Was läuft da, hä?«
»Da läuft gar nichts, Lisa.« Ich wusste, dass sie große und schöne Frauen nicht mochte, wenn die in meine Nähe kamen, was ich überhaupt nicht verstand. Das lag vielleicht daran, dass sie selbst nur klein war. Gut gebaut, aber klein. »Neue Kollegin eben, ist sogar ganz gut als Polizistin. Großes Ehrenwort.«
»Gut soll die sein? Und dann versagt ihr so? Verhört einen Vogelschützer? Die ganze Republik lacht schon über dich, Jansen! So willst du Deutschland retten?«
Sie trat zurück und warf sich aufs Sofa, den Tränen nahe. Jackie sprang zu ihr hin und leckte ihr das Gesicht ab. Verräter, dachte ich.
»Wie konnte ich nur auf so einen Versager reinfallen? Du machst das wieder gut, Lukas, versprochen? Und du lässt deine Griffel von dieser Horvath, ist das klar? Sonst fliegen hier die Fetzen!«
Gut, dass die Kurzen schon im Bett waren, dachte ich. Immerhin hatte sie wieder Lukas gesagt. Damit war der Sturm wohl fürs Erste vorüber. »Und wie war dein Tag so, Lisa? Erzähl mal.«
Sie nickte und schniefte. »Nimm dir erstmal ein Glas vom Roten. Der ist gut. Eins von den wenigen Dingen, die noch funktionieren.«
Sie goss mir selbst ein. »Chaos pur. Der Strom ist ausgefallen, das Notaggregat auch. Und unser Kühlraum mit seinen Gästen drin fing an aufzutauen. Das willst du nicht erleben.«
Ihre Gäste waren alles Leichen. Und die haben es lieber sehr kühl.
»Wir hatten viel zu viele Todesfälle. Vielleicht liegt Wiesbaden ja zu nah an Frankfurt. An zwei jungen Personen habe ich nicht mal die Todesursache finden können. Das tut weh. Ich bin neu da und dann gleich in leitender Position. Und glänze mit Versagen.«
»Prost«, sagte ich. »Willkommen in unserer neuen Heimat und unserer neuen Zeit. – Ab morgen machen wir es besser.«
»Wuff.« Das war eine Bestätigung. Auch Jackie würde zu Höchstleistungen auflaufen. Das zumindest war klar.
Dienstag
Diesmal weckte mich nicht Lärm, sondern Ella, die an meiner Schulter rüttelte. Lisa schlummerte noch. »Die Sirenen heulen, Papa! Und Jackie auch. Onno hört ja nichts. In der Schule haben wir gelernt, dass wir Schutzräume aufsuchen müssen. Also, was ist? Zieht euch doch mal was an, wir müssen los, und am besten jetzt gleich!«
Das hatte sie von mir. »Ella, ist gut, dass du aufpasst. Aber hier in Wiesbaden heulen ständig irgendwelche Sirenen. Um sechs Uhr morgens fängt da irgendeine Fabrik an zu arbeiten, die haben auch Sirenen. Ist doch sonst alles völlig friedlich. Und jetzt raus, wir kommen gleich.«
Beim Frühstück zeigten die Zwillinge uns die Sachen, die sie für die Schule gebastelt hatten, während ich mir den besten Kaffee der Welt über den Gaumen rollen ließ. Niemand macht ein besseres Gebräu mit Zimt und etwas Kakao und Salz als meine Lisa. Im BKA gab es dagegen eine Plörre, die sich im Körper ausbreitete wie Schlangengift. Sie regte kurz an, dann wurde man hundemüde. Einige sollen schon daran gestorben sein.
Bei diesem Gedanken sah mich Jackie so vorwurfsvoll an, wie es nur Jack-Russell-Terrier fertigbringen. Dass er Gedanken lesen konnte, hatte ich mir schon immer gedacht, aber dass er sich für Schlangengift interessierte, war neu.
Ich sah mir Onnos Bastelei an. Er hatte irgendwo eine Kiste aufgetrieben, auf die er Schatz geschrieben hatte. Wenn man allerdings den Deckel anhob, schoss eine Konstruktion aus Einmachgummis und Reißnägeln auf die suchende Hand zu, Verletzungen nicht ausgeschlossen. »Wir müssen unser Eigentum vor Fremden schützen, hat Herr Lembach gesagt, und lernen, uns zu verteidigen. Er wollte sehen, wer das am besten hinkriegt.«
Ella zeigte uns stolz ihr Notizbuch und schlug die letzte Seite auf. »Hier. Was seht ihr da?«
Ich sah nichts. Lisa sah genauer hin. »Sieht ein bisschen verschmiert aus, finde ich.«
Ella lachte, nahm die Teekanne vom Stövchen und hielt die Seite über die Flamme. Die fing prompt Feuer, ich musste einspringen und die Flamme ausschlagen. Fast wäre mir der kostbare Ostfriesentee über die Hose gelaufen, eine der wenigen Kostbarkeiten, die ich aus der Heimat hierher mitgebracht hatte.
Ella heulte. »Das war meine Geheimschrift. Die hast du kaputt gemacht, Papa. Du bist so gemein!«
»Tut mir leid«, gab ich zu. »Schön, dass du das übst. Kannst später auch mal beim Geheimdienst anfangen. Gut gemacht, Kleine.«
Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Darum ging es doch gar nicht! Wir sollen uns angewöhnen, nicht auf die Handys zu vertrauen, mit ihrer«, sie leckte sich die Lippen, um das Wort besser geölt herauszubekommen, »Kryptografie! Wir sollen lernen, notfalls auch ohne den ganzen Quatsch auszukommen.«
»Handys dürft ihr doch sowieso noch nicht haben«, warf Lisa ein. »Toll machst du das, Ella.«
Ein paar Minuten später brachen wir auf. Lisa brachte die Kurzen zur Schule, die lag auf dem Weg zur Rechtsmedizin, wo sie neuerdings arbeitete. Ich machte mich mit Jackie auf den Weg ins BKA, diesmal mit dem BMW, bei dem ich alle Update-Funktionen ausgeschaltet hatte. Inzwischen gab es auf den Straßen Schleichwege an all den abgeladenen Gütern vorbei. Bei der Dreschmaschine rechts abbiegen, am Hubsteiger links und dann hinter dem Wohnanhänger wieder rechts, bis man zum nächsten Straßendschungel kam.
Im BKA herrschte jetzt anderer Lärm. Vorher war er elektrisch gewesen – Telefone, Tastaturen, das Surren von Liften und Transportwagen, jetzt war er menschlich: Schritte, Stimmen, Papier, das Rücken von Stühlen. Selbst die Kaffeemaschine war abgeschaltet, jemand hatte eine alte Filtertüte mit Trichter mitgebracht und kochte jetzt von Hand. Der roch immerhin besser.
Es war fast beruhigend, wenn es nicht so aussichtslos gewesen hätte.
Kroll saß in seinem Büro, die Ärmel hochgekrempelt, und starrte auf eine Seite, die einen Bericht darstellen sollte. »Das Innenministerium will mehr Zahlen«, murmelte er. »Genaue Zahlen. Wenn man nur genug zählt, dann glaubt man schon, man hätte alles verstanden.«
Ich hatte mit einem Donnerwetter und einer Herabstufung gerechnet. Aber scheinbar hatten alle anderen Abteilungen und Agenten genauso versagt wie ich. Er ging auf meine Schandtaten von gestern gar nicht mehr ein.
Kroll runzelte die Stirn und sah mich über den Rand seiner Brille an. »Jansen, Sie sind jetzt unser Mann fürs Analoge und für hoffnungslose Fälle, während die Profis sich um unsere Sicherheit kümmern. Und deshalb fahren Sie jetzt mit Horvath nach Frankfurt-Ost. Da ist die zentrale Verkehrsüberwachung, und da geht es drunter und drüber. Und nein, diesmal war’s keine Drohne, Sie können also wenig falsch machen. Jemand hat da rumgepfuscht, da bin ich mir sicher. Deshalb sind Sie auch der Richtige, jemand wie Sie kann sich da leichter reinversetzen. Finden Sie raus, wer uns da schaden will.«
»Was ist, wenn zum Beispiel Hacker dahinterstecken, kein Saboteur?«
»Dann finden Sie den oder erfinden Sie was. Das Ministerium braucht jemanden, den man vor laufenden Kameras verhaften kann. Das Land dreht durch, wir brauchen Schuldige.«
Jackie kuckte mich so fragend an, wie ich mich fühlte. Aber gut. Wir fanden Luisa beim Kaffee, wo sie gerade mit einem Schönling vom Cybercrime flirtete. »Wir müssen los, Luisa. Und heute nehmen wir meinen BMW, der geht wieder.«
Heute lief es sogar auf der Autobahn. Zwar zeigten die elektronischen Tafeln über den Fahrbahnen wahlweise 30, 60 und 80 an, wenn alles frei war, und 130, wenn es sich staute, aber inzwischen hatte alle Autofahrer gelernt, dass man das besser einfach ignorierte.
*
Das Gebäude der Verkehrsleitstelle lag zwischen zwei Bahntrassen, ein grauer Kubus mit viel Glas, der aussah, als wolle er jederzeit selbst losrollen, hätte ein Fahrdienstleister gepfiffen. Drinnen roch es nach kaltem Kaffee, durchgeschmorten Kabeln und Ratlosigkeit. Jackie knurrte.
Ein Sicherheitsbeamter führte uns durch den Kontrollraum: Wände voller Monitore, leises Piepen, Männer und Frauen in Notfallwesten, die auf Tastaturen herumhämmerten, die sich das gefallen ließen, ohne groß zu reagieren.
