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John Henry und sein Team stehen vor einem unlösbaren Fall. Die Frau des angesehenen kanadischen Arztes Dr. Martin Hamilton wird entführt. Der Täter erpresst Hamilton ihm ein dubioses Medikament auszuhändigen. Bei der Übergabe tötet der Täter Hamilton. Er flüchtet über die Grenze in die USA. Während der Flucht ermordet er einen Gast einer Reisegruppe, die die Trails im Grenzgebiet per Mountainbikes durchquert. Eine atemberaubende Verfolgungsjagd beginnt. Der Täter scheint Henry und seinem Team immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Verzweifelt suchen sie nach dem Motiv. Wo will der Täter hin, wer sind seine Auftraggeber und vor allem wer ist der Täter? Schonungslos spannend! Mit einer rasanten Geschwindigkeit - so als wäre der Leser selbst auf der Flucht - zieht das Buch seine Leser in seinen Bann.
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Seitenzahl: 401
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Andreas Wieners, Jahrgang 1962, studierter Bauingenieur, verfasste während seiner Arbeit als Leiter des Technischen Marketings eines großen Industrieunternehmens diverse ingenieurtechnische Fachartikel. Seit dieser Zeit ließ ihn das Schreiben nicht mehr los. Mit „Radt Race – Bis zum letzten Mann“ veröffentlicht er seinen ersten Thriller.
Das zweite Buch „Das Geheimnis des Rock ´n ´Roll“ ist in Arbeit und wird demnächst erscheinen.
John Henry und sein Team stehen vor einem scheinbar unlösbaren Fall. Die Frau des angesehenen kanadischen Arztes Dr. Martin Hamilton wird entführt. Hamilton wird erpresst dem Entführer ein dubioses Medikament auszuhändigen. Bei der Übergabe wird der Arzt ermordet. Der Täter flüchtet. Er tötet den Gast einer Reisegruppe, die die Trails im Grenzgebiet Kanada/USA per Mountainbikes durchquert. Er nimmt die Identität des toten Gastes an und flieht unerkannt über die Grenze. Es beginnt eine atemberaubende Verfolgungsjagd. Der Täter scheint den Kommissaren immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Verzweifelt suchen sie nach dem Motiv und der Lösung der Frage um was für ein Medikament es sich handelt. Wo will der Täter hin, wer sind seine Auftraggeber und vor allem wer ist der Täter? Erst als Tracy Lord, die junge Computerspezialistin, eine unglaubliche Entdeckung macht, kommt Licht ins Spiel. Das Motiv für das Handeln des Mörders liegt in der Vergangenheit. Während Tracy die einzelnen Teile recherchiert und das Puzzle ein konkretes Bild annimmt, verfolgt ihr draufgängerischer Kollege Bill Ward den Täter, der während seiner Flucht immer wieder tötet. Nach und nach wird klar, dass ihm nur drei Tage zur Verfügung stehen, den Plan umzusetzen und seinen Hass zu befriedigen.
Schonungslos spannend! Mit einer rasanten Geschwindigkeit – so als wäre der Leser selbst auf der Flucht - zieht das Buch seine Leser in seinen Bann.
Kapitel 1
Tag 1
1. Kelowna, Britisch-Kolumbien Kanada
2. Kelowna, Britisch-Kolumbien Kanada
3. Similkameen River Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
4. Kelowna, Britisch-Kolumbien Kanada
5. Britisch-Kolumbien Kanada
6. Waldparkplatz, Similkameen River Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
7. Grenzübergang Nighthawk Kanada/USA
8. Bike for Fun Ltd., Similkameen River, Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
9. Winthrop, Okanagan Wenatchee National Forest USA Vor einem Jahr
10. Similkameen River, Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
11. Kelowna, Britisch-Kolumbien Kanada
12. Similkameen River Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
13. Okanagan Wenatchee National Forest USA
14. Waldparkplatz, Similkameen River Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
15. Kelowna, Polizeirevier Headquarter Kanada
16. Okanagan Wenatchee National Forest USA
17. Bike for Fun, Similkameen River Kanadisch-amerikanisches Grenzgebiet
18. Okanagan Wenatchee National Forest USA
19. Iron Gate Campground USA
20. Goodenough Peak USA Tag 1, vor 3 Stunden
21. Kelowna, Polizeirevier Headquarter Kanada
Tag 2
22. Okanagan Wenatchee National Forest USA
23. Kelowna, Polizeirevier Headquarter Kanada
24. Okanagan Wenatchee National Forest USA
25. Las Vegas USA Vor einem Jahr
26. Lombardei Italien Vor über 30 Jahren
27. Genua Italien Vor über 30 Jahren
28. Atlantischer Ozean Vor über 30 Jahren
29. Afghanistan
30. Atlantischer Ozean Vor über 30 Jahren
31. Las Vegas USA Vor einem Jahr
32. Kelowna, Polizeirevier Headquarter Kanada Tag 2
33. Kanada Vor über 20 Jahren
34. Vancouver Kanada Vor über 13 Jahren
35. San Diego, Musicbar USA Vor zwei Jahren
36. Okanagan Wenatchee National Forest USA Tag 2
37. Las Vegas, Black Rose USA vor einer Woche
38. Kelowna, Polizeirevier Headquarter Kanada Tag 2
39. Okanagan Wenatchee National Forest USA
40. Lost River Airport USA
Tag 3
41. Lost River Airport, Tag des Rennens USA
42. Las Vegas, Black Rose USA Gestern, Tag 2
Tag 4
43. Las Vegas, Black Rose USA
44. Las Vegas, Black Rose USA
Kapitel 2
45. Montreal Kanada Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
46. Kanada/USA Vor 30 Jahren
47. Algonquin Nationalpark Kanada Vor 30 Jahren
48. Lions Gate Hospital, Vancouver Kanada Vor 16 Jahren
Kapitel 3
49. Vancouver Kanada Zwölf Monate später
50. Kelowna, Headquarter Polizeirevier Kanada An einem Mittwoch
51. Airport, Kamloops Kanada Vor zwei Tagen, an einem Montag
52. Kelowna, Headquarter Polizeirevier Kanada Mittwoch
53. Kamloops, Tag des Eröffnungsspiel, Sandman Centre Kanada Mittwoch
54. Kelowna, Headquarter Polizeirevier Kanada Mittwoch
55. Vancouver Kanada Mittwoch
56. Kamloops Kanada Mittwoch
57. Vancouver/Surrey Kanada Donnerstag
58. Vancouver/Surrey Kanada Samstag
59. Vancouver Horseshoe Bay Kanada Donnerstag
60. Kelowna Hauptquartier Kanada Eine Woche später
61. Algonquin Park Kanada
62. Kelowna Kanada
Das Geheimnis des Rock ´n ´ Roll
Die Erlösung
Mit zitternden Händen lenkte der alte Mann den weißen Chevrolet auf den Parkplatz vor das Krankenhaus. Zwischen zwei gekennzeichneten Parkflächen kam der Wagen abrupt zu stehen. Der Fahrer hatte den Motor im zweiten Gang abgewürgt. Die Tür öffnete sich. Zwei Beine berührten den Boden, zwei Arme ergriffen den Türholm und hieften den massigen Körper des Arztes langsam aus dem Wagen. Das Aussteigen schien Dr. Martin Hamilton mehr als schwer zu fallen. Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und ließen das gescheitelte, lichte, weiße Haar auf der Stirn kleben. Es war nicht nur das Gewicht, Hamilton hatte eine viel schwerere Last zu tragen. Auf wackeligen Beinen näherte sich der siebzigjährige Mann dem Haupteingang, ungeachtet blieb die Wagentür des Chevrolets offen. Die automatische Glastür öffnete sich, als der seit kurzem pensionierte, leitende Arzt des Krebstherapiezentrums das alte Gebäude betrat.
Joe Miller, der im Empfangsbereich des Krankenhauses arbeitete, erhob sich von seinem Stuhl und ging auf Hamilton zu. Er sah sofort, dass hier etwas nicht stimmen konnte.
„Dr. Hamilton, kann ich Ihnen helfen?“, begrüßte er seinen am ganzen Körper zitternden ehemaligen Chef.
Hamilton winkte ab.
„Danke, Joe, aber ich muss nur kurz ins Labor, etwas holen, dann bin ich wieder verschwunden“, war die fahrige, nervöse Antwort.
„Doc, Sie wissen, dass ich Sie nicht mehr allein in das Labor lassen kann, ich muss erst den diensthabenden Stationsarzt informieren.“
Miller drehte sich um und wollte zum Telefon gehen.
„Joe, nein, bitte nicht telefonieren“, hörte er Hamiltons flehende Stimme.
Miller schaute dem alten Mann ins Gesicht: „Doc, was ist los, irgendetwas stimmt doch nicht.“
Hamilton sackte in sich zusammen: „Er hat Maria als Geisel genommen, bitte lassen Sie mich in das Labor. Wenn ich ihm nicht bringe was er will, wird er sie töten“, waren seine verzweifelten Worte.
Joe, der bei einem der letzten feierlichen Anlässe auch Maria Hamilton die Frau des Arztes kennengelernt hatte, griff dem Arzt unter den Arm und führte ihn in einen der Nebenräume.
„Doc, bitte setzten Sie sich, ich werde den Stationsarzt sofort informieren, bitte bleiben Sie ruhig.“
„Wer hat Dienst?“
„Dr. Smith, ihr ehemaliger Assistent.“
„Gut Joe, holen Sie Smith.“
Es dauerte keine fünf Minuten bis der schlaksige Assistenzarzt den Raum betrat.
„Martin, was ist passiert?“, wollte er aufgebracht wissen.
Joe Miller hatte sich auf Wunsch von Dr. Smith wieder in den Empfangsbereich begeben. Die beiden Ärzte waren jetzt unter sich.
„Adrian, bitte hören Sie mir gut zu, Sie müssen mir helfen“, begann Hamilton, der sich für einen Moment gefasst hatte.
„Wir, also Maria und ich sind heute Morgen überfallen worden. Ein maskierter Verbrecher hat Maria in seine Gewalt genommen und droht damit sie zu töten, wenn ich ihm nicht bis viertel vor sieben ein bestimmtes Medikament aus unserem Therapiezentrum bringe.“
„Was? Martin, das ist ja furchtbar, wir müssen sofort die Polizei informieren.“
Dr. Smith blickte entsetzt zu Hamilton.
„Auf keinen Fall die Polizei, er wird sie töten, wenn ich die Polizei informiere!“, rief Hamilton aufgebracht.
„Ich brauche das Medikament, die Zeit läuft mir davon, bitte Adrian“, flehte Hamilton.
„Martin, bitte glauben Sie mir, wir müssen die Polizei informieren. Um was für ein Medikament handelt es sich, ich lasse es sofort holen.“
„Mmh…“, stöhnte Hamilton schwerfällig, massierte sich die schweißnasse Stirn und dachte nach wie er es Adrian erklären konnte.
„Ich muss selbst in das Labor, wissen Sie, es handelt sich um ein noch nicht zugelassenes Medikament….eine Art Studie.“
Smith sah ihn fragend mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Wie, nicht zugelassen, verdammt Martin, was erzählen Sie mir hier? Geiselnahme, nicht zugelassenes Medikament?“
„Ich kann Ihnen das jetzt nicht alles im Detail erklären, die Zeit läuft mir davon, er meint es ernst, …. er wird Maria töten.“
Hamilton schlug die Hände vors aschfahle Gesicht, er hatte die anfängliche Fassung wieder vollkommen verloren. Verzweiflung übermannte den alten Arzt.
„Er wird sie töten, …. er wird sie töten“, stammelte er immer wieder, schien jetzt völlig geistesabwesend zu sein.
Adrian Smith wusste nicht mehr weiter, fuhr sich mit der Hand durch die lockigen, dunklen Haare. Er griff zum Hörer und wählte die Nummer der Polizei.
Das Telefon klingelte zum vierten Mal, als eine brüchige, ängstliche Stimme sich meldete: „Ja, bitte.“
„Maria, ich bin es…. Martin, geht es Dir gut?“, fragte Hamilton am anderen Ende der Leitung und drehte nervös das Telefonkabel in seiner linken Hand.
„Was gibt es?“, hörte er die harte Stimme des Entführers, der Maria das Telefon aus der Hand genommen hatte.
„Hören Sie, tun Sie meiner Frau nichts, Sie bekommen was Sie wollen, aber ich brauche noch etwas Zeit. Einen unbeobachteten Augenblick, damit ich in das Labor komme. Um viertel nach sechs ist hier Schichtwechsel, dann komme ich unbemerkt in den Keller, dort wo sich das Labor befindet. Bitte!“, flehte Hamilton.
„Keine Spielchen! Also gut, wenn ich das Mittel bis halb acht nicht habe, ist die Alte tot. Denk daran, Sie ist tot!“
Die Leitung war tot.
Chief Superintendent John Henry legte seine Hand beruhigend auf Hamiltons Schulter.
„Gut gemacht, das haben Sie sehr gut gemacht, wir haben jetzt immerhin 45 Minuten Zeit gewonnen.“
Direkt nach Adrian Smiths Anruf hatten sich die beiden Kommissare John Henry und Bill Ward auf den Weg zum Krankenhaus gemacht. Henry war an diesem Morgen bereits sehr früh auf dem Revier gewesen, er hatte schlecht geschlafen – Vollmondnächte waren schon immer ein Problem für ihn. Ihm war sofort klar, dass der Faktor Zeit in diesem Fall eine entscheidende Rolle spielen würde. Er hatte seinen Partner Inspector Bill Ward, der noch auf dem Weg ins Revier war, informiert, direkt ins Krankenaus zu kommen. Die beiden Kommissare gehören einer Sondereinheit der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) an, die sich auf Geiselnahme, Mord und Sonderaufgaben spezialisiert hatte. John Henry, der Leiter dieser Einheit, hatte im letzten Jahr sein vierzigjähriges Dienstjubiläum gefeiert und verfügte über einen messerscharfen Verstand. Mit seinen 112 kg zog der übergewichtige Chief Superintendent mittlerweile - ganz zur Freude seiner Frau Rita - den Innendienst vor. Rita konnte es kaum abwarten, dass John in zwei Jahren endlich in Pension gehen würde. Dann würden John und sie zu der lang geplanten Reise nach Europa aufbrechen. John Henry war der Analytiker der beiden Kommissare und nicht zu vergleichen mit dem dreißigjährigen Bill Ward. Der kernige, durchtrainierte, gut aussehende Inspector war ein Hitzkopf und seit drei Jahren der Partner von Henry. Der muskulöse Frauentyp hätte sich auch als Cowboy irgendwo in Montana gut gemacht, als Draufgänger war er das komplette Gegenteil des Chief Superintendent. Ergänzt wurde das Team durch Corporal Tracy Lord. Die fünfundzwanzigjährige rot-blonde Computerspezialistin gehörte erst seit sechs Monaten zum Team.
Beiden Kommissaren war sofort klar, dass sie einige Streifenwagen zum Haus von Hamilton schicken mussten, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Sie mussten es nur Dr. Hamilton klarmachen. Das war Henrys Aufgabe. Bill Ward würde den Einsatz vor Ort leiten.
„Dr. Hamilton“, begann Henry mit ruhiger Stimme, „Sie brauchen uns zu diesem Zeitpunkt noch nichts über das Medikament und den Täter erzählen. Schreiben Sie uns bitte nur Ihre Adresse auf. Seien Sie ganz beruhigt, mein Partner und ich haben schon viele Fälle mit Geiselnahmen in aller Ruhe gelöst. Wir dürfen jetzt nicht die Nerven verlieren.“
„Ich …, ich werde alles genau so machen wie Sie es mir sagen“, antwortete Dr. Hamilton. Er schrieb mit zittriger Hand seine Anschrift auf den vor ihm liegenden Block und reichte ihn Henry, der ihn umgehend zu Ward rüberschob.
„Bitte, tun Sie alles, damit meiner Frau nichts passiert, Sie hat ein schwaches Herz.“
„Seien Sie beruhigt, Sie können sich auf uns verlassen. Es war vollkommen richtig, dass Sie uns informiert haben“, antwortete Henry und legte seine Hand auf Hamiltons linke, immer noch zitternde Hand, um ihn zu beruhigen.
Routinemäßig hatte Bill Ward in der Zeit ein Team von Einsatzbeamten zusammenstellen und ihnen Hamiltons Anschrift zukommen lassen. Der dunkelhaarige Inspector machte sich jetzt selbst auf den Weg zu Hamiltons Haus, das in der Hobson Road direkt am Okanagan Lake lag. Es war eins dieser freistehenden Häuser mit direktem Wasserzugang und eigenem Bootssteg. Hamiltons Haus lag rund acht Kilometer vom Krankenhaus entfernt in südlicher Richtung. Ward hatte je zwei Streifenwagen mit vier Polizisten der Royal Canadian Mounted Police aus Kelowna angefordert. Zwei Teams würden aus dem Headquarter an der Doyle Avenue und zwei aus dem südlichen Revier an der Lakeshore Road kommen.
Ward steuerte seinen Wagen vom Therapiezentrum direkt auf die Lakeshore Road. Als er die Abzweigung zur Hobson Road von Norden her erreichte, waren keine zehn Minuten vergangen. Der Berufsverkehr hatte noch nicht eingesetzt. Hamiltons Haus war das siebte Haus der Straße. Ein leicht geschwungener, gepflasterter Weg führte zum Eingang des mit Backsteinen geklinkerten Gebäudes. Rechts vom Eingang befand sich eine mit dem Gebäude verbundene Doppelgarage. Das Haus lag mittig auf dem Grundstück. Je eine Hecke trennte es von den beiden Nachbargrundstücken. Der hintere Teil des Grundstücks war von der Straße aus nicht einsehbar und grenzte direkt ans Wasser. Zur Hobson Road hin boten größere Büsche und Bäume einen Sichtschutz. Inspector Ward, der seinen Wagen direkt vor einem der Büsche geparkt hatte, stieg aus und betrat gemeinsam mit vier nicht uniformierten Kollegen die Einfahrt zum Grundstück. Ward, der vorzugsweise Lederjacke, Jeans und Cowboy-Stiefel trug, war nicht als Polizist zu erkennen.
Je ein Fahrzeug der anwesenden Teams sperrte die Hobson Road in nördlicher und südlicher Richtung. Die restlichen neun Beamten hatten sich in drei Teams aufgeteilt. Zwei Teams mit je zwei Polizisten begaben sich auf die Nachbargrundstücke, so dass sie das Grundstück seitlich von der hinteren Seite aus betreten konnten. Bis auf die Wasserseite war das Gebäude nun komplett umstellt. Es befanden sich keine Fahrzeuge in der Einfahrt, als sich die fünf Polizisten der vorderen Haustür näherten. Die Tore der Garage waren verschlossen. Eine Überwachungskamera konnten sie nirgends entdecken. Ward drückte auf die Klingel. Keine Reaktion. Auch nach mehrmaligem Klingeln tat sich nichts, eine bedrückende Stille breitete sich aus. Ward nahm den Hausschlüssel, den Dr. Hamilton ihm gegeben hatte, und schloss die Tür auf. Routinemäßig betraten die fünf Polizisten jetzt das zweistöckige Gebäude. Vom Flur aus führte eine Treppe in die obere Etage. Ein Kellerabgang war nicht vor-handen. Ward hob die linke Hand und zeigte mit zwei Fingern in Richtung Treppe. Mit der rechten Hand hatte er seine halb-automatische SIG P220 aus dem Schulterhalfter gezogen. Zwei der Polizisten gingen geräuschlos in Richtung Treppenhaus. Die beiden anderen folgten Ward mit gezogenen Waffen. Ward drückte die Klinke der Flurtür nach unten, ein knarzendes Geräusch durchbrach die fassbare Stille, als sich die Holztür langsam öffnete. Die Polizisten blickten in das Wohnzimmer des Hauses. Jetzt lief alles in rasender Schnelle ab. Zeitgleich strömten sie in die angrenzende Küche und das Gäste WC. Öffneten die Terassentür, um die vier weiteren Polizisten, die das Grundstück über die Nachbarseiten betreten hatten, einzulassen. Die komplette untere Etage war menschenleer. Die vier Polizisten stürmten jetzt in die obere Etage, um diese mit den am Treppen-aufgang verschanzten Kollegen zu durchsuchen. In der oberen Etage befanden sich zwei Schlafzimmer, ein großes Bad und ein Arbeitszimmer. Auch diese Zimmer waren menschenleer. Mittlerweile hatte das Team aus der unteren Etage auch die Garage durchsucht. Sie fanden nichts. Das ganze Haus war verlassen, weder der mutmaßliche Geiselnehmer noch Maria Hamilton waren in dem Gebäude oder auf dem Grundstück. Auf den ersten Blick deutete nichts auf einen Einbruch oder eine Geiselnahme hin.
Bill Ward wählte John Henrys Nummer: „John, hier ist niemand, weder ein Geiselnehmer noch Hamiltons Frau, das Haus ist menschenleer, wir konnten bislang auch keine Einbruchsspuren entdecken. Wen hat Hamilton vom Krankenhaus aus angerufen? Kontrolliere doch mal die Telefonnummer.“
„Das habe ich bereits direkt nach dem Anruf veranlasst, es ist die offizielle Telefonnummer von Hamiltons Hausanschluss. Hamilton ist jetzt mit dem Medikament unterwegs zum Haus, er ist auf dem Parkplatz und startet gerade seinen Wagen. Ich werde auch kommen.“
Henry legte auf, fuhr sich mit der Hand durch das mittlerweile vollkommen graue Haar und sah aus dem Fenster. Hamilton hatte den weißen Chevrolet gestartet und fuhr in Richtung Ausgang des Parkplatzes. John Henry hatte gemeinsam mit Hamilton das Medikament aus dem Labor geholt. Es handelte sich um eine farblose Flüssigkeit, die in fünf Fläschchen mit jeweils 50ml abgefüllt war. Hamilton hatte erklärt, dass er an einem krebsbekämpfenden Mittel geforscht hatte. Der Arzt hatte diese Forschung alleine durchgeführt, da das Therapiezentrum keine Forschungszulassung hatte und die Mitarbeiter ihre Arbeit ausschließlich auf die Therapierung, nicht auf die Forschung konzentrierten. Hamilton hatte seine Forschungen hauptsächlich zu dienstfreien Zeiten und an Wochenenden ohne Wissen der Klinik durchgeführt. Welche Konsequenzen das für Hamilton haben würde, interessierte Chief Superintendent Henry nicht, das war nicht seine Baustelle. Er erhob sich aus seinem Stuhl und blickte erneut aus dem Fenster. Hamilton hatte das Ende des Parkplatzes erreicht, als ein schwarzes Fahrzeug mit getönten Scheiben den Weg des Chevrolets kreuzte. Hamilton musste scharf bremsen. Der schwarze BMW setzte sich direkt parallel zur linken Seite des Chevrolets. John Henry sah wie das Seitenfenster sich nach unten öffnete und der Lauf einer schallgedämmten Pistole zum Vorschein kam. Innerhalb kürzester Zeit wechselten die fünf Fläschchen die Fahrzeuge. Der Lauf der Waffe blitzte kurz auf. Aus kürzester Distanz traf die abgefeuerte Kugel den Kopf des Arztes mittig in die Stirn. Dr. Hamilton sackte in sich zusammen und war auf der Stelle tot. Der schwarze BMW schoss mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
Vor fünf Jahren hatten die Zwillingsbrüder Andy und Bruce Osborne ihr Unternehmen – Bike for Fun, Ltd. – im kanadischamerikanischen Grenzgebiet gegründet. Das Unternehmen lag auf kanadischer Seite, direkt am Similkameen River und bot mehrtägige Mountainbikereisen von Kanada aus bis in den Okanagan Wenatchee National Forest auf amerikanischer Seite an. Nach langen Verhandlungen mit beiden Staaten war es den Brüdern gelungen eine exklusive Lizenz zu erhalten, die es ihnen erlaubte die Trails in beiden Staaten zu benutzen, ohne dass sich ihre Gäste ständigen Grenzkontrollen unterwerfen mussten.
Andy, der fünf Minuten ältere der beiden Brüder, wählte die Nummer der Grenzstation in Osoyoos: „Hallo Bob, Andy Osborne hier, wir erwarten heute vier neue Gäste, ich schicke Dir gleich die Personal- und Passdaten durch. Bruce plant eine dreitägige Tour in das Gebiet rund um den Chopaka Mountain.“
„All right, geht klar“, hörte er Bobs Stimme.
„Was macht die Familie …..?“
Es war immer dasselbe Prozedere. Gäste die an der Tour teilnehmen wollten, mussten sich vorab mit ihren Passdaten und wenn sie außerhalb von Kanada oder den USA ihren Wohnsitz hatten, zusätzlich mit den genehmigten Visanummern bei Bike for Fun anmelden. Von hieraus wurden dann alle erforderlichen Formalitäten und Bestimmungen sowohl auf kanadischer als auch auf US-amerikanischer Seite durch Bruce, Andy oder dessen Frau Carol Osborne erledigt. Die Gäste brauchten sich um nichts zu kümmern. Sie sollten hundert Prozent ihrer Urlaubszeit für sich und ihre Bikes haben.
Die zweiunddreißig Jahre alten Brüder waren optisch nur durch ihre unterschiedlichen Haarschnitte voneinander zu unterscheiden. Während Andy die dunklen Haare kurz, mit militärischem Undercut trug, bevorzugte Bruce die mittellangen Haare offen zu tragen, während der Touren band er sie unter dem Helm zum Zopf.
Bruce betrat das Büro, während seine Hände die Haare zu einem Zopf formten, fragte er seinen Bruder: „Sind die Formalitäten erledigt? In gut einer Stunde erwarte ich die heutigen Gäste.“
Andy nickte kurz.
„Hier ist die Liste mit den Namen, die Genehmigungen kommen gleich per Fax.“
Bruce warf einen Blick auf die Liste.
Michael Lardie – US Amerikaner aus Seattle, 32 Jahre
Mark Kendall – Kanadier aus Calgary, 35 Jahre
Tony Montana – US Amerikaner aus Portland – 35 Jahre
Jack Russell – Kanadier aus Vancouver– 31 Jahre
„Vom Alter her sieht die Truppe ja ganz homogen aus und wenn ich mir ihre Angaben über die gewünschten Bikes anschaue, sieht das auch ganz ordentlich aus. Das könnten drei gute Tage werden“, sagte Bruce mit Blick in Richtung Andy. Die beiden Brüder hatten ihr Hobby zum Beruf gemacht und freuten sich über jede Tour mit ihren Gästen.
„Ich werde wohl erst an der Gabelung zum Chopaka Mountain entscheiden, welche Route wir nehmen. Dann habe ich mir auch ein Bild davon gemacht, wie fit die vier wirklich sind. Und was steht für Dich heute noch so an?“, foppte er seinen Bruder.
Andy hob den Kopf und lächelte gequält: „Hör auf, Du weißt genau, dass ich die Truppe gerne begleiten würde. Aber heute muss ich mit Carol Wohl oder Übel nach Osoyoos. Babysachen, Kinderwagen und Bett. Wir werden nach dem Mittag fahren.“
Carol, die im sechsten Monat schwanger war, hatte darauf bestanden, dass Andy sich jetzt am Anfang der Saison mit um die Babysachen kümmern sollte. War die Saison erstmal im Gange, würden Sie zu nichts mehr kommen. Schon jetzt hatten sie genügend Vorbuchungen, so dass die Brüder die nächsten Touren mit jeweils zehn Gästen aus Sicherheitsgründen nur gemeinsam durchführen konnten. Heute, mit vier Gästen, würde Bruce ausreichen. Gute fünfhundert Meter vom Haus der Osbornes entfernt lag das Vintner Resort in dem sie ihre Gäste untergebracht hatten. Zwischen beiden Häusern lag am Abzweig zur Sunmac Road ein bewaldeter Parkplatz auf dem die Gäste nach dem Einchecken ins Resort ihre Fahrzeuge abstellen konnten.
John Henry war vom Krankenhaus aus zurück ins Hauptquartier, einem verschachtelten Flachdachbau an die Doyle Avenue, gefahren. Er hatte Bill Ward sofort über die Geschehnisse auf dem Parkplatz in Kenntnis gesetzt. Mit dieser Brutalität des Täters hatte der erfahrene Chief Superintendent nicht gerechnet. Er organisierte umgehend eine großräumige Straßensperrung. Tracy Lord saß in einem der Nebenräume und trank einen Kaffee, während sie die Personaldaten von Martin und Maria Hamilton in ihren Computer tippte. Henry drehte seinen Kopf vom Fenster, das die beiden Räume miteinander verband. Die Verdunkelungsjalousien waren geöffnet, so dass er Tracy sehen konnte. Er griff in die Schublade seines Schreibtisches und holte eine große Straßenkarte hervor. Der Chief Superintendent breitete die Karte auf seinem Schreibtisch aus. Sie mussten davon ausgehen, dass sich neben dem Entführer auch Maria Hamilton, die neunundsechzigjährige, herzkranke Ehefrau von Martin Hamilton, im Wagen befunden hatte.
Die Stadt Kelowna konnte über die Harvey Avenue – dem Highway 97 - in nördlicher und süd-westlicher Richtung verlassen werden. In östlicher Richtung gabelten sich der Hwy 97 und der Kelowna Creek Hwy 33. Wählte der Entführer seinen Fluchtweg über die süd-westliche Route, musste er zunächst den Okanagan Lake überqueren. Henry fuhr mit seinem Finger die einzelnen Routen nach.
Die RCMP hatte fünf Reviere in Kelowna, in jeder Himmelsrichtung eins, sowie das im Zentrum gelegene Hauptquartier. Henry hatte Straßensperren jeweils an den Stadträndern errichten lassen. Der Berufsverkehr hatte bereits eingesetzt. Über Funk war er mit Bill Ward in ständigem Kontakt.
Bill raste mit dem Chevrolet Caprice in Richtung Okanagan Lake. Er lenkte den Wagen mit harter Hand. Diese Route hatte er instinktiv gewählt, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass der Entführer eine der anderen Fluchtmöglichkeiten genommen hatte, gleich groß war. Bislang hatten Sie keinerlei Informationen. Er wusste nicht was er davon halten sollte, was John ihm soeben mitgeteilt hatte, als er die Brücke über den Okanagan Lake mit Ziel West Kelowna querte. Die Sirene hatte er auf dem Wagendach befestigt und schaltete diese nun ein, um sich im beginnenden Berufsverkehr Platz zu schaffen.
„Hatte der Entführer geahnt, dass Hamilton doch die Polizei informieren würde?“ ging es ihm durch den Kopf, während er die Geschwindigkeit hochhielt.
Was Ward nicht wissen konnte: Der mit einem schwarzen Baseballcap und dunkler Sonnenbrille getarnte Täter hatte sofort nach dem Anruf des Arztes das Haus verlassen, um zum Krankenhaus zu fahren. Er lauerte Hamilton am Ausgang des Krankenhausparkplatzes auf, um die Medikamente an sich zu nehmen und den Arzt zu ermorden. Eiskalt und ohne jede Gefühlsregung hatte der den Abzug der Waffe gedrückt. Dieser Mord sollte nicht der letzte sein.
Maria Hamilton lag zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer klaffenden Schusswunde tot im Kofferraum des BMW. Der Täter hatte die alte Frau direkt nach dem Anruf ihres Mannes mit einem gezielten Genickschuss hingerichtet. Im Haus hatte er sämtliche Spuren beseitigt. Ihre Leiche hatte in eine Wolldecke eingewickelt in den Kofferraum des BMW gelegt. Dem Täter war sofort klar, dass in kürzester Zeit Straßensperren errichtet werden würden. Trotz des romantischen Images – hervorgerufen durch das Tragen ihrer Paradeuniform - dem roten Waffenrock und königsblauen Abzeichen - zu offiziellen Veranstaltungen, hatten die höflichen, aber stoischen Polizisten der Royal Canadian Mounted Police den Ruf jeden Verbrecher zu fangen. Der Täter hatte das Highwaydreieck bereits hinter sich gelassen, als er im Rückspiegel das Blaulicht erkannte. Die südliche Straßensperre hatte er gerade erreichtet. Er reihte sich in den Verkehr ein und fuhr auf Peachland zu. Der Highway 97 schlängelte sich jetzt parallel zum See im südlichen Teil von British Columbia durch das Okanagan-Becken. Am Ende des Sees würde er in 35 km Penticton erreichen, von hieraus waren es noch weitere 60 km bis zur Grenze zum US-Bundesstaat Washington. Maria Hamiltons Leiche würde er unterwegs entsorgen. Der Täter hielt das Tempo hoch, durfte aber nicht übertreiben, um nicht aufzufallen.
Bill Ward hatte die Straßensperre im Highwaydreieck erreicht und stoppte den Caprice. Er erkundigte sich bei den Kollegen, ob der schwarze BMW bereits gesichtet worden war und griff anschließend zum Funk: „John, ich bin jetzt an der Gabelung Hwy 97/97C, hier ist bislang kein schwarzer BMW durchgekommen, allerdings ist die Sperre auch gerade erst errichtet worden.“
„Scheiße“, fluchte Henry am anderen Ende, „auch die anderen Sperren melden bislang nichts Positives. Wir werden Ärger bekommen. Noch habe ich die zuständige Division nicht informiert. Wir werden Helikopter aus Vancouver oder Surrey ordern müssen.“
Er würde seinen direkten Vorgesetzten Commissioner Frank Lord, den Leiter der Division E mit Sitz in Surrey anrufen müssen. Frank Lord hatte die Sondereinheit in Kelowna vor vier Jahren ins Leben gerufen und John Henry zu ihrem Leiter ernannt.
Inspector Bill Ward legte den Kopf in den Nacken und begann sich das Kinn zu massieren während er überlegte. Er griff erneut zum Funk: „John, gibt es irgendwelche neuen Erkenntnisse über das Medikament und was der Entführer damit will?“
„Nach Aussage von Hamilton handelt es sich um ein noch nicht zugelassenes Krebs-Medikament, eine Art Vorstudie, die aber nach seiner Aussage eine vielversprechende Wirkung hat. Offensichtlich sterben die Krebszellen nach kurzer Zeit. Allerding ist das Medikament wie gesagt nicht zugelassen und es gibt somit auch keine Langzeitstudien. Hamilton hat es nur an Tieren ausprobiert.“
Bill Ward knetete weiterhin geistesabwesend sein Kinn, als Henry sich nochmal meldete.
„Eigentlich gibt es doch nur zwei Gründe warum einer das noch nicht marktreife Medikament haben will. Erstens, er stiehlt es für die Konkurrenz, die davon erfahren hat, dass Hamilton diese Forschungen durchgeführt hat. Zweitens, er stiehlt es für einen Auftraggeber, der selbst Krebs hat und es für sich – oder vielleicht auch für einen Verwandten – als letzte Möglichkeit sieht dem Tod von der Schippe zu springen.“
„Oder“, sagte Ward, der jetzt wieder hellwach war, „er braucht es für sich selbst oder seine eigne Familie und ist somit sein eigener Auftraggeber.“
„Das könnte auch sein. Ich werde jetzt die Division in Kenntnis setzten und anschließend in Hamiltons Haus fahren, wir brauchen noch mehr Informationen über das Medikament, vor allem die Wikungsweise. Möglicherweise finden wir dort Hinweise. Kommst Du zurück ins Revier?“
„John, ich werde dem Highway folgen, vielleicht war er ja schon durch.“
„Ok“, antwortete der Chief Superintendent, „ich halte Dich auf dem Laufenden.“
Der Highway hatte den schwarzen BMW mittlerweile an Princeton vorbei, Richtung Skaha Lake geführt, an dessen nördlichem Ufer der Regionalflughafen von Penticton liegt. Der Täter verließ den Highway und lenkte das Fahrzeug in die Green Mountain Road, die ihn zum Flughafen bringen würde, vorher musste er die Leiche in seinem Kofferraum noch loswerden. Er folgte der Straße bis er dichter bewaldete Regionen erreicht hatte, hier gab es keine Häuser mehr weit und breit. Er wählte einen der schmalen Waldwege und stoppte den Wagen. Stieg aus und öffnete den Kofferraum.
Auf der anderen Seite des Waldweges sah er ein dicht wucherndes Gestrüpp. Hinter dem Gestrüpp würde er die Leiche verstecken. Seine Arme umschlossen Marias schlaffen Körper, er hob sie an und zog sie aus dem Wagen. Ihr Gewicht nahm er kaum war, als er sie zur andern Seite des Waldweges trug. Er handelte jetzt vollkommen automatisch, passte auf dass er möglichst keine Spuren hinterließ. Mit dem linken Bein schob er einige Zweige zur Seite, um die tote Frau hinter das Gebüsch zu legen, als er das Motorengeräusch hörte. Kurz darauf sah er den Range Rover, der aus entgegengesetzter Richtung aus dem Wald kam.
„Scheiße, auch das noch, was mache ich jetzt?“
Hiermit hatte er nicht gerechnet, die Gegend schien doch menschenleer. Panikartig ließ er die Leiche fallen, rannte zurück zum BMW, startete den Motor, ließ die Räder durchdrehen, der schwarze BMW schoss zurück in Richtung Green Mountain Road. Jeff Barnes, der den Land Rover steuerte, hielt neben der toten Frau und informierte umgehend die Polizei.
„Bill“, meldete sich John Henry über Funk, „wir haben eine Spur. In einem Waldstück in der Nähe der Green Mountain Road im Bezirk von Penticton ist die Leiche einer älteren Frau gefunden worden; und wir haben einen Zeugen, der gesehen hat, wie die Tote hinter einem Gebüsche entsorgt werden sollte. Der Zeuge hat beobachtet, dass der Täter einen schwarzen BMW fuhr. Er ist wieder zurück nach Pentiction gefahren. Wo befindest Du Dich jetzt?“
„Immer noch auf dem Hwy 97, Höhe Summerland, eine gute Viertelstunde von Pentiction entfernt“, antwortete Ward, der die Sirene bereits wieder eingeschaltet hatte. Er rammte seinen schwarzen Cowboystiefel auf das Gaspedal, das er bis zum Anschlag durchtrat.
„Bleib auf dem Highway, ich werde Tracy kurz ein paar Dinge checken lassen, dann melde ich mich wieder. Over and out.“
Die Funkverbindung war unterbrochen. John Henry gab Tracy ein kurzes Handzeichen, die daraufhin den Nebenraum verließ, um in Henrys Büro zu kommen. Vor sechs Monaten hatte sie ihre Ausbildung als Jahrgangsbester Corporal mit dem Spezialgebiet Computer-Informatik abgeschlossen und war in das Headquarter der RCMP von Kelowna in Henrys Team gewechselt. Als sie das Büro betrat, hob die bildhübsche, junge Frau leicht ihren Kopf: „Was kann ich für Sie tun John?“ Chief Superintendent Henry informierte sie kurz über die neuesten Geschehnisse. „Wir haben einen weiteren Toten. Noch ist nicht einhundertprozentig sicher, dass es sich um Maria Hamilton handelt, obwohl alles dafür spricht. Ich werde zu Hamiltons Haus fahren, wir benötigen den Ausweis und ein aktuelles Bild von seiner Frau. Prüfen Sie bitte umgehend die möglichen Fluchtwege südlich von Penticton, informieren Sie die Kollegen vor Ort, sie sollen sich die Leiche ansehen und mit dem Zeugen vor Ort sprechen. Alle Infos bitte zeitgleich an Bill und mich.“
John Henry hatte sich während er sprach schon die Jacke übergezogen und hielt Tracy jetzt ganz gentlemanlike die Bürotür auf.
„Danke, ich melde mich bei Ihnen und Bill.“
Ein zarter Frühlingsduft folgte ihrem rot-blond gelocktem Haar, als sie zügigen Schrittes Henrys Büro verließ.
Henrys Fahrzeug verließ gerade den Parkplatz des Headquarters, als sich Tracys Stimme bereits meldete.
„Tracy hier, können Sie mich hören John und Du auch Bill?“
„Ja, Yep“, meldeten sich Henry und Ward nahezu zeitgleich.
„Ich habe folgende Infos zur Fluchtroute. Der Entführer könnte versuchen den Regionalflughafen von Penticton anzusteuern, um von dort aus einen Flug zu nehmen. Ich habe mich bereits in die Abflugdatenbank des Flughafens eingeloggt. Für heute Morgen sind zwei Regionalflüge gebucht worden. Der erste Flug geht nach Calgary in gut einer halben Stunde, es sind acht Passagiere gemeldet, von denen sieben bereits eingecheckt haben. Der andere Flug nach Vancouver geht in gut einer Stunde, hier sind zehn Passagiere gemeldet, fünf haben bereits eingecheckt. Die Passagierlisten werden mir gleich zugeschickt.“
„Gut Tracy, informieren Sie die Kollegen aus Penticton, die sollen die Passagiere überprüfen“, meldete sich Henry.
„Was bleibt ihm sonst noch?“, hörten sie Wards fragende Stimme.
Tracy meldete sich wieder. „Er könnte auch weiterhin den BMW benutzen. Der Hwy 97 gabelt sich hinter Kaleden mit dem Hwy 3A, der später in den Hwy 3 übergeht. Beide führen zum Grenzübergang Osoyoos oder er folgt ihm ganz nach Westen Richtung Vancouver.“
„Grenze“, bellte Inspector Ward ins Micro.
„Das sehe ich auch so. Vancouver ist zu weit entfernt. Entweder zum Flughafen oder zum Grenzübergang in die USA“, pflichtete John Bill bei.
Die Aufgaben wurden nun folgendermaßen verteilt:
Tracy würde das Revier in Penticton informieren, das den Flughafen überwachen würde. Von Princeton aus würde eine weitere Straßensperre Richtung Hedley durch die dort ansässigen Reviere auf dem Hwy 3 errichtet werden, falls der Entführer doch die Route nach Vancouver wählen würde. Schließlich würde Tracy noch die CBSA, die Canada Border Services Agency informieren, um den Grenzübergang in die USA bei Osoyoos zu kontrollieren. Inspector Bill Ward jagte den Caprice den Hwy hinunter, die zarte Schönheit des “White Lake Grassland”-Schutzgebietes mit seinen Graslandschaften, Felsenformationen, Teichen und Baumständen aus alten Ponderosa Pinien nahm der gut aussehende Junggeselle nicht wahr. Seine Gedanken konzentrierten sich ganz auf die Straße, sein Blick suchte unermüdlich einen schwarzen BMW. Vorbei an zahlreichen Weingütern erreichte er die nördliche Spitze des Lake Osoyoos, als er gute zweihundert Meter vor sich einen zügig fahrenden schwarzen BMW entdeckte. Geistesgegenwärtig schaltete er die Sirene aus, um nicht weiter aufzufallen.
Der Entführer hatte das Licht der Sirene im Spiegel bereits bemerkt, bevor es ausgeschaltet worden war. Der Caprice war ihm auf dem Fersen. Die geplante Flucht nach Vancouver über den Regionalflughafen, um von dort aus zu seinem eigentlichen Ziel zu gelangen, war geplatzt. Er wurde das Gefühl nicht los, dass der Flughafen überwacht wurde. Er versuchte sich weiter zu konzentrieren, ohne den Blick aus dem Rückspiegel zu nehmen. Dass man ihn beider Entsorgung der Leiche beobachtete war nicht geplant.
„Verdammt, was hatte der Land Rover dort zu suchen?“, ging es durch seinen Kopf.
Der Caprice blieb auf Abstand, das beutete, er wird Verstärkung anfordern. Die beiden Wagen erreichten den Ortsrand von Osoyoos. In der Stadt kreuzen sich der in Nord-Süd-Richtung verlaufende Hwy 97 und der in Ost-West-Richtung verlaufende Hwy 3. Bill Ward hatte John Henry und Tracy Lord darüber informiert, dass er den BMW aufgespürt hatte. Tracy wurde sofort aktiv und informierte die Straßensperren sich in Richtung Osoyoos zu bewegen. Sie würden den schwarzen BMW von allen Seiten einkesseln. Chief Superintendent John Henry war mittlerweile in Hamiltons Haus eingetroffen und hatte den Ausweis und die Bilder von Maria Hamilton gefunden. Die Kollegen vor Ort hatten den Zeugen Jeff Barnes bereits befragt. Zur Täterbeschreibung konnte er nicht viel beitragen, lediglich, dass es sich sehr wahrscheinlich um eine männliche Person handelte, die ein dunkles Baseballcap und eine Sonnenbrille trug. Der vor Ort anwesende Polizeiarzt hatte festgestellt, dass Maria Hamilton durch einen Genickschuss aus nächster Nähe ermordet worden war.
„Also ein weiterer Mord, es sieht so aus, als wollte der Entführer jeden, der sich ihm in den Weg stellte auslöschen“, fasste Henry seine Erkenntnisse zusammen.
„Das passt auch zu meiner Recherche“, meldete sich jetzt Tracys klare Stimme.
Inspector Bill Ward trat urplötzlich auf die Bremse, den Erkenntnissen von John und Tracy lauschend, hatte er einen Augenblick nicht aufgepasst, als ein Truck auf die linke Spur wechselte und jetzt vor ihm fuhr.
„Tracy, Stopp mal, ich muss mich jetzt konzentrieren, son` blöder Truck hat sich vor mich gesetzt. Ich kann den BMW nicht mehr sehen“, rief er ins Funkgerät.
Der Caprice befand sich direkt im Highwaykreuz, als der Truck zurück auf die rechte Spur wechselte und sein Überholmanöver beendete. Bill trat auf die Kupplung, schaltete einen Gang herunter und rammte das rechte Bein auf das Gaspedal, um die beiden Trucks vor ihm zu überholen. Wenige Sekunden später schoss er an ihnen vorbei. Freie Sicht, doch der BMW war verschwunden. Im Seitenspiegel erkannte er, dass sich der BMW genau zwischen den beiden Trucks befand und jetzt auf den Hwy 3 wechselte. „Scheiße“, fluchte Ward und schlug mit den Händen aufs Lenkrad ein, „ich habe ihn verpasst, er hat den Hwy gewechselt.“ Der Caprice musste bis zum Boundary Motel durchfahren, bevor er die Richtung wechseln konnte und die Verfolgung wieder aufnahm. Tracys Stimme meldete sich wieder. „Bill, er will nach Vancouver, das passt auch zu meiner Recherche. Er war auf dem Flug nach Vancouver gemeldet, von den zehn Passagieren sind nur neun erschienen. Er hat sich unter falschem Namen – Andrew Falkner - und falscher Sozialversicherungsnummer registriert. Was uns weiterhelfen könnte ist jedoch das Passbild, das er benutzt hat, es zeigt einen 30 bis 40 jährigen Mann mit blonden, glatten Haaren. Andrew Falkner ist rothaarig.“
Tracy war genial, was sie so alles aus dem Computer zauberte, erstaune Bill immer wieder. Die rot-blonde Kollegin hatte nicht nur einen hübschen, sondern auch einen äußerst gescheiten Kopf. Jetzt hatten sie ein Bild. Der unpersönliche Entführer nahm menschliche Züge an.
„Wir kommen voran“, jetzt war John Henry auf dem Kanal, er hatte die ganze Zeit in seinem Wagen vor Hamiltons Haus gesessen und geschwiegen, um die Situation tiefer zu analysieren.
„Wir haben seinen Plan durchkreuzt, wenn er vorhatte mit dem Flugzeug zu entkommen, ist die jetzige Route zu der wir ihn gezwungen haben nicht geplant. Wir kennen sein Ziel. Er muss von nun an improvisieren und ist auf das was kommt nicht vorbereitet. Bill, Du musst ihn weiter unter Druck setzten, dann wird er Fehler machen.“
Tracy war wieder an der Reihe: „Wir nähern uns ihm von zwei Seiten, die Streifenwagen haben von Norden aus bereits Cawston erreicht. Bill, Du erhältst in den nächsten Minuten Verstärkung von der CBSA.“
„Die sind bereits hinter mir. Wir biegen gerade gemeinsam auf den Hwy 3.“
„Tracy, prüfen Sie bitte, wo der Hwy 3 zwischen Osoyoos und Cawston verlassen werden kann. Ich komme zurück ins Headquarter“, schloss Henry die Funkverbindung.
Anschließend wählte er erneut die Nummer von Frank Lord in Surrey. Bislang hatte der Commissioner keine Helikopter schicken können, da es in Vancouver einen schweren Verkehrsunfall gegeben hatte und alle verfügbaren Maschinen im Einsatz für das Vancouver Police Department waren. Sie würden noch gut eine Stunde benötigen, bevor sie zwei Maschinen losschicken konnten. Die beiden einigten sich darauf erneut zu telefonieren, sobald Henry wieder das Headquarter in Kelowna erreicht hatte. Tracy blickte auf den Monitor in ihrem Büro, sie hatte die Straßenkarte aufgerufen und prüfte in Gedanken alle Ausfahrtmöglichkeiten des Hwy 3. Die Computermaus begann ihre Reise im Norden direkt am Ortsausgang von Cawston und fand bis zum letzten Standpunkt von dem aus sich Bill gemeldet hatte neun mögliche Abfahrten.
Acht von ihnen endeten letztendlich irgendwo als Sackgasse im Niemandsland. Lediglich die Nighthawk Road führte über einen kleinen Grenzübergang in die Vereinigten Staaten von Amerika. Tracys Finger flogen über die Tastatur und tippten Port of entry Nighthawk in den Computer. Die Grenzstation war besetzt. Offiziell konnte man von 06:00 bis 21:00 Uhr die Grenze passieren. Am späten Abend und nachts war die Grenze geschlossen.
Tracy fuhr sich mit der linken Hand um die Mundwinkel, überlegte kurz, ob sie die Grenzstation direkt informieren sollte. „Oder war das zu keck?“ Als Corporal hatte sie noch keinerlei Befugnisse und außerdem lag die Grenzstation auf amerikanischen Boden. Sie würde John Henry anrufen, der dann sicherlich den Dienstweg einhalten würde und seinen Vorgesetzten Commissioner Frank Lord informieren würde. Obwohl, es reizte sie doch sehr ihren Vater direkt anzurufen. Tracy war allein mit ihrem Vater aufgewachsen, Tracys Mutter war früh an Krebs gestorben. Frank Lord hatte sich immer ein zweites Kind - einen Sohn - gewünscht. Das war ihm leider nicht vergönnt. Umso stolzer war er, als Tracy ihm mitteilte, auch in den Polizeidienst einzutreten, um dann in kürzester Zeit ihre Ausbildung als Jahrgangsbeste abzuschließen.
Tracy wählte Henrys Mobilnummer: „John, hören Sie, Tracy hier.“
In kurzen Sätzen teile sie mit, was sie herausgefunden hatte.
„Hervorragende Arbeit, bitte informieren Sie Ihren Vater direkt, damit er sich mit den Amerikanern in Verbindung setzt. Und sagen Sie ihm auch, dass ich mich sobald ich im Büro bin nochmals bei ihm melde.“ John Henry wartete auf eine Antwort, doch das Mobilphone blieb stumm. „Tracy, haben Sie mich verstanden?“ Nach kurzer Zeit hörte er ein zögerliches: „ Ja, ….. und Danke.“
„Gerne“, Henry beendete das Gespräch. Diesen Erfolg gönnte er Tracy von ganzem Herzen, wusste er doch wie ehrgeizig sie war.
Das komplette Team der Verfolger traf sich nahezu zeitgleich an der Abfahrt zur Nighthawk Road, fünf Wagen von Cawston aus kommend und fünf Wagen aus Richtung Osoyoos kommend. Bill steuerte den Caprice als erstes Fahrzeug, stoppte den Wagen und stieg aus. Es folgte eine kurze Einweisung der Teams. „Bis zur Grenze ist das unser Ding, danach müssen wir wohl an die Amis übergeben“, schloss er seine Einweisung und stieg zurück in den Caprice, dessen Fahrersitz noch warm war.
Tracy hatte mit ihrem Vater gesprochen, der mächtig stolz auf sie war, auch wenn er sich das am Telefon nicht anmerken ließ. Der hochaufgeschossene, schlanke, grauhaarige Leiter der Division E würde sich persönlich um die amerikanische Seite kümmern.
Am Nighthawk Grenzübergang hatten nur vier Beamtete Dienst, aber sie waren schnell und hatten die schmale Straße bereits durch mobile Sperren gesichert. Ihre vier MP5 im Anschlag standen sie hinter der Barriere und warteten. Direkt auf Grenzhöhe verlief die Nighthawk Road in einem neunzig Grad Bogen auf die Barriere zu. Die Beamten konnten nicht erkennen, wann welches Fahrzeug mit welcher Geschwindigkeit einbiegen würde. Sie waren auf alles gefasst. Die Anweisungen, die sie erhalten hatten waren kurz und unmissverständlich. Sollte der schwarze BMW nicht halten, würden sie ohne zu zögern von der Schusswaffe Gebrauch machen.
Der erste Gast hatte den Waldparkplatz erreicht und begab sich zum Kofferraum seines Fahrzeuges, um sein Gepäck und den Rucksack mit Wechselkleidung für die dreitägige Mountainbike-Tour zu holen, als ein schwarzer BMW viel zu schnell auf den Parkplatz einbog. Aufgeschreckt von den blockierenden Reifen, drehte der Gast sich um, reflexartig sprang er zur Seite. Aber zu spät! Die schwere Limousine touchierte ihn leicht und er stürzte zu Boden. Er griff er sich an das Bein und versuchte aufzustehen. Die Fahrertür des BMW öffnete sich und der Gast sah den Fahrer auf sich zukommen. Offensichtlich ein weiterer Gast.
„Scheiße, das tut mir leid, ich habe Dich nicht gesehen“, entschuldigte sich der andere Gast, als er ihm beim Aufstehen half. Der nur leicht Verletzte stand wieder und belastete sein Bein. „Nochmal Glück gehabt, keine Schwellung. Kann das Bein ohne Schmerzen belasten.“
Die Männer sahen sich an und stellten fest, dass sie sich verblüffend ähnlich sahen. Sie hätten Brüder oder zumindest Verwandte sein können. Gleiche Größe, Statur und Haarfarbe, ähnlicher Haarschnitt.
„Gehörst Du auch zum Team der Mountainbikefahrer?“
„Yeap, bei Dir kann man es ja nicht übersehen, Du bist ja schon vollständig umgezogen. Übrigens geile Schuhe, welche Größe?“ die Hand des zweiten Gastes zeigte fragend Richtung Kofferraum.
„Sind mein ganzer Stolz, habe ich letzte Woche erst neu gekauft und nur zweimal getragen. Größe 43, wie üblich etwas enger geschnitten und super leicht.“ Er nahm die rot-weißen Specialized Schuhe aus dem Kofferraum und drehte sich um. Vor Schreck ließ er die Schuhe fallen, als er in den schallgedämmten Lauf einer Pistole sah. Zwei Kugeln der Beretta 92FS durchbohrten sein Herz, er war sofort tot. Nachdem der zweite Gast den BMW etwas verdeckter parkte, so dass man ihn vom Eingang aus nicht direkt sehen konnte, entkleidete er den toten Gast und zog dessen Radkleidung an. Den toten Gast verstaute er im Kofferraum des schwarzen BMW. Die Beretta legte er in den Rucksack. Bevor er die Medikamente hinzulegte, holte er eine Spritze aus dem Handschuhfach stach sie in eins der Fläschchen, zog die Spritze auf und setzte sich einen Schuss in den Oberschenkel. Anschließend packte er seine eigenen Sachen in einen Plastikbeutel, den er im Wald unter einem Laubhaufen vergrub.
Der schwarze BMW war nirgends zu sehen, als Bill Ward die Absperrung am Grenzübergang als erstes Fahrzeug erreichte. Rätselhaft, wo war er nur geblieben. Oder sollte er doch eine andere Ausfahrt gewählt haben?
„Tracy, der BMW muss eine andere Ausfahrt gewählt haben, die Absperrung und Nighthawk hat er nicht passiert.“
Tracys Blick verfolgte konzentriert den Bildschirm, alle anderen Möglichkeiten endeten letztendlich in einer Sackgasse, von wo aus der BMW nicht weiterkommen würde. Hatte Sie sich zu früh gefreut?
„Verdammt, ich war mir so sicher.“
„Welche der anderen Ausfahrten kommt der Grenze am nächsten“, meldete sich Chief Superintendent John Henry, der gerade den Parkplatz des Headquarters erreicht hatte, über Funk.
Tracys Blick wanderte zurück auf den Bildschirm. „Chopaka Road, die dritte Ausfahrt nach Cawston führt bis nah an die Grenze. Gute zwanzig Kilometer von Nighthawk aus.“
Tracy zoomte das Sattelitenbild näher heran, um mehr Details erkennen zu können. „Ist eigentlich mehr ein Waldweg, als eine Straße. Gute einhundert Meter vor der grünen Grenze endet dann auch der Waldweg, von dort aus müsste er zu Fuß weiter. Ein Geländewagen könnte es auch schaffen.“
Bill Ward hatte den Caprice bereits gewendet, sein schwarzer Stiefel drückte auf das Gaspedal, er jagte zurück zum Hwy 3. Hoffentlich hatten sie ihn nicht verloren.
Bruce und Andy Osborne begrüßten die vier Gäste, die jetzt vollzählig anwesend waren. „Hallo zusammen. Ich bin Andy, das ist Bruce, mein jüngerer Zwillingsbruder“, scherzte Andy. „Bruce wird die nächsten drei Tage euer Guide sein.“
„Hi Leute“, nickte Bruce und tippte sich an die Stirn.
„Also, wen haben wir denn hier?“
Er ging die vier Gäste der Reihe nach durch. Michael, Mark, Tony und Jack hoben jeweils die Hand, wenn sie an der Reihe waren. Bruce blätterte in den Anmeldeformularen. „Mensch Tony, Du bist Sportlehrer, da haben wir ja schon mal einen Profi unter uns“, scherzte er. Alle vier machten einen durchtrainierten Eindruck, der Radsport schien kein Fremdwort für sie zu sein. Carol, die mit dem Rücken an der Hauswand lehnte und sich mit einer Hand über ihr kleines Bäuchlein fuhr, sah sich die Gäste genauer an, während diese begannen ihre Rücksäcke zu öffnen.
„Könnten fast Brüder sein“, ging es ihr durch den Kopf, alle hatten nahezu die gleiche Größe und blonde Haare.
Jeder prüfte den Inhalt seines Rucksacks auf Vollzähligkeit der Radsachen. Bruce hatte hierzu eine Liste der notwendigen Sachen vorbereitet, die er den Gästen vorab schon zugeschickt hatte.
Mark Kendall, der smarte Rechtsanwalt aus Calgary, kniete vor seinem Rucksack, kraulte sich das blonde Haar und hob den Kopf:
„Ich habe keine Regenjacke mit, ist das tragisch? Das Wetter sieht doch ganz gut aus.“
„Wir haben zwar gutes Wetter, aber in den Bergen kann das schnell umschlagen. Carol wird Dir eine aus unserem Shop holen, welche Größe hast Du?“
„Ich muss die Jacke vergessen haben, dachte ich hätte sie gestern Abend noch eingepackt. Größe L müsste passen.“
Tony, Jack und Michael hatten alle auf der Liste stehenden Sachen in ihren Rucksäcken. Gemeinsam checkte die Truppe jetzt noch die Bikes, alle Gäste erhielten die neusten Trek Top Fuel Fullys in mattschwarzer Lackierung. Die Osborne Brüder hatten mit dem amerikanischen Bikehersteller eine Vereinbarung getroffen, die es ermöglichte die neuesten Modelle während ihrer Routen zu testen.
„Wow, was für geile Maschinen, die kommen doch erst nächstes Jahr auf den Markt“, Jack, der aus Vancouver kam und als Steuerberater arbeitete, ließ seiner Begeisterung freien Lauf.
„Warte ab, die 29“ Laufräder und die 100mm Fahrwerksgabel werden die eine oder andere Unebenheit schlucken, ohne dass ihr es merkt“, bemerkte Bruce nicht ohne Stolz. „Und das alles bei dem Gewicht“. Er stemmte das nicht einmal 10kg schwere Rad spielend in die Höhe. „Wenn alles gecheckt ist, dann können wir aufbrechen.“
Bruce umarmte Carol und klatsche Andy ab.
„Also Bruderherz, bis in zwei Tagen.“
Die Gäste hatten ihre Helme aufgesetzt und verabschiedeten sich mit einem lauten:
„Let´s ride now!“
Direkt hinter dem Haus kreuzten sie über eine kiesige Furt den Similkameen River, das Abenteuer hatte begonnen. Der Trail führte die Truppe recht zügig zur Grenze, auf ihrem Weg in den Okanagan Wenatchee National Forest. Als erstes Ziel visierten sie den Hurley Peak an. Die Gruppe folgte dem Lauf des Flusses über die kanadisch-amerikanische Grenze.