Vater - Andreas Wieners - E-Book

Vater E-Book

Andreas Wieners

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Beschreibung

Sonderermittler Paolo Mancini findet in Bath County - Virginia - eine zerstückelte Leiche tief unterhalb eines Sees in den Kellerräumen eines Kraftwerkes. Bestialisch hingerichtet, glaubt Mancini an einen Ritualmord, als er eine geheimnisvolle Flüssigkeit in einer blauen Flasche auf einem Altar am Tatort entdeckt. Zur gleichen Zeit finde ich, Tom Scott - Sohn des wohlhabenden Bauunternehmers Frank Scott - im viertausend Kilometer entfernten Tiburon - Kalifornien, meine Familie und einen asiatischen Geschäftsfreund meines Vaters tot im Haus meiner Eltern auf. Getötet durch die Einnahme einer mysteriösen Flüssigkeit aus einer blauen Flasche. Ich glaube, den Fremden als Kind schon einmal gesehen zu haben. Während Mancini verzweifelt versucht herauszufinden wer die Leiche ist, verdächtigt die Polizei in Kalifornien zunächst mich die Morde an meiner Familie und dem fremden Chinesen begangen zu haben, bevor sie den Fall ungeklärt zu den Akten legt. Ich habe alles verloren und beschließe mit Hilfe meiner drei Freunde den Mörder selbst zu suchen. Bis auf die blaue Flasche scheinen die Morde nichts miteinander zu tun zu haben. Doch irgendetwas verbindet sie. Nach und nach finde ich heraus, dass die Lösung nur in Asien liegen kann. Es beginnt eine gefährliche, atemberaubende Suche nach dem Mörder in einem fremden Land. Ich dringe tief in die Vergangenheit meiner Familie, stoße auf Ungereimtheiten, dubiose Geschäftsfreunde meines Vaters und einen unvorstellbaren Betrug beim Bau eines großen Staudamms in China. Die Situation spitzt sich zu, als ich glaube den Mörder gefunden zu haben. Dann gerate ich in Lebensgefahr und flüchte vor dem Mörder durch die faszinierende Bergwelt des heiligen Wutai Shan. Wer kann mir helfen hier lebend wieder heraus zu kommen?

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Seitenzahl: 376

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Zum Autor

Andreas Wieners, Jahrgang 1962, studierter Bauingenieur, verfasste während seiner Arbeit als Leiter des Technischen Marketings eines großen Industrieunternehmens diverse ingenieurtechnische Fachartikel. Seit dieser Zeit ließ ihn das Schreiben nicht mehr los.

Mit “Vater“ veröffentlicht er seinen zweiten Thriller.

Folgende Bücher des Autors sind erschienen:

Radt Race, ISBN 9 783 743 141 940

Zum Buch

Sonderermittler Paolo Mancini findet in Bath County - Virginia - eine zerstückelte Leiche tief unterhalb eines Sees in den Kellerräumen eines Kraftwerkes. Bestialisch hingerichtet, glaubt Mancini an einen Ritualmord, als er eine geheimnisvolle Flüssigkeit in einer blauen Flasche auf einem Altar am Tatort entdeckt.

Zur gleichen Zeit finde ich, Tom Scott - Sohn des wohlhabenden Bauunternehmers Frank Scott - im viertausend Kilometer entfernten Tiburon - Kalifornien, meine Familie und einen asiatischen Geschäftsfreund meines Vaters tot im Haus meiner Eltern auf. Getötet durch die Einnahme einer mysteriösen Flüssigkeit aus einer blauen Flasche. Ich glaube, den Fremden als Kind schon einmal gesehen zu haben.

Während Mancini verzweifelt versucht herauszufinden wer die Leiche ist, verdächtigt die Polizei in Kalifornien zunächst mich die Morde an meiner Familie und dem fremden Chinesen begangen zu haben, bevor sie den Fall ungeklärt zu den Akten legt.

Ich habe alles verloren und beschließe mit Hilfe meiner drei Freunde den Mörder selbst zu suchen.

Bis auf die blaue Flasche scheinen die Morde nichts miteinander zu tun zu haben. Doch irgendetwas verbindet sie. Nach und nach finde ich heraus, dass die Lösung nur in Asien liegen kann. Es beginnt eine gefährliche, atemberaubende Suche nach dem Mörder in einem fremden Land.

Ich dringe tief in die Vergangenheit meiner Familie, stoße auf Ungereimtheiten, dubiose Geschäftsfreunde meines Vaters und einen unvorstellbaren Betrug beim Bau eines großen Staudamms in China. Die Situation spitzt sich zu, als ich glaube den Mörder gefunden zu haben. Dann gerate ich in Lebensgefahr und flüchte vor dem Mörder durch die faszinierende Bergwelt des heiligen Wutai Shan. Wer kann mir helfen hier lebend wieder heraus zu kommen?

Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Kapitel 1: Bath County, Virginia, 2014

Kapitel 2: Kalifornien, 2014

Kapitel 3: Washington, 2014

Kapitel 4: Tiburon, Sommer 1994

Kapitel 5: Washington, 2014

Kapitel 6: Kalifornien, „Landsend“, 2014

Kapitel 7: Kalifornien, 2014

Kapitel 8: Washington, 2014

Kapitel 9: Washington, 2014

Kapitel 10: Kalifornien, 2013 Shaun Liu

Kapitel 11: Florence, South Carolina, 2014

Kapitel 12: Kalifornien, 2015 Bob Miller

Kapitel 13: Das Projekt

Kapitel 14: Kalifornien, 2015

Kapitel 15: Kalifornien, 2015 Rick Sanders

Kapitel 16: Kalifornien, 2015 Sheng Xu

Kapitel 17: Kalifornien, 2015

Kapitel 18: Tiburon, Kalifornien, 2015

Kapitel 19: Tiburon, Kalifornien, 1994

Kapitel 20: Tiburon, Kalifornien, 2015

Kapitel 21: Tiburon, 1994

Kapitel 22: Tiburon, 2015

Kapitel 23: Washington, 2015

Kapitel 24: Chun Lin

Kapitel 25: Wie Pan

Kapitel 26: Norman Brooks

Kapitel 27: Frank Scott

Kapitel 28: Tiburon, 2015

Teil 2

Kapitel 29: Peking, 2015

Kapitel 30: Der heilige Berg

Kapitel 31: San Francisco, 2015

Kapitel 32: Am Fuße des Heiligen Berges, 2015

Kapitel 33: Landsend, 2015

Kapitel 34: Der Gipfel des Wutai Shan, 2015

Teil 3

Kapitel 35: Amerika, 2015

Kapitel 36: Washington, 2015

Kapitel 37: Jahreswechsel, 2015/2016

Kapitel 38: “Landsend“, 2016

Kapitel 39: Ricks Kenntnisse

Kapitel 40: Andrew Tegel

Kapitel 41: Oscar Camp

Kapitel 42: Die arkane Gesellschaft

Kapitel 43: Tiburon, 2016

Kapitel 44: Washington, 2016

Kapitel 45: Inszenierungen

Kapitel 46: Tiburon, 2016

Kapitel 47: Das scheinbare Ende

Kapitel 48: Omsk

Kapitel 49: Gefangen

Kapitel 50: Der Knock-Out

Astral Doors – “Evil is forever”

Album: Evil is forever, 2005

__________________________________________________________________________________________

TEIL 1

Kapitel 1

Bath County, Virginia, 2014

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt als sie den “stillen Riesen“ erreichten. Lediglich das Krafthaus ragte aus dem See. Vor ihnen lag das verschlossene, unscheinbare Gebäude. Motoren wurden gedrosselt. Blaue Sirenen abgeschaltet. Zwölf schwarz vermummte, schwer bewaffnete Männer verließen ihre Fahrzeuge. Unter ihnen Paolo Mancini. Gespenstige Stille lag über dem Gelände, nur das Knirschen unter ihren schwarzen Springerstiefeln war wahrzunehmen. Dann ein kurzes, scharfes Klicken als der schwere Seitenschneider die Glieder der Stahlkette knackte. Rasselnd fiel die Kette zu Boden. Ein gezielter Stoß mit dem Brecheisen und die stählerne Tür sprang aus dem Schloss. Wie ein gähnender Schlund lag der schmale, pechschwarze Treppenabgang vor ihnen.

Fast 20 Stockwerke führte er die Männer hinab unterhalb der Wasseroberfläche.

Zeitgleich mit dem Öffnen der Stahltür begann eine Orgel zu spielen.

Kirchenmusik.

Wie Nebelschwaden kroch die Musik leise an den feuchten Wänden des Treppenabgangs hoch. So, als würde sie von unsichtbarer Hand dirigiert.

Der “stille Riese“ schien zu erwachen.

Die Waffen im Anschlag stiegen die 12 Apostel im Schein der taktischen Lichter ihrer Waffen die Treppe hinab.

„Stairway to hell“, schoss es Mancini durch den Kopf.

Es war erst der Anfang.

Die Hammondorgel wurde lauter. Sie schlich ihrem Höhepunkt entgegen.

Dann urplötzliche Stille.

Gefolgt von ohrenbetäubendem Lärm.

Der Sound einer Kettensäge durchschnitt die Gehörgänge der Apostel.

Trommelschläge hämmerten sich mit Urgewalt in Mancinis Magengrube, bevor der sägende Klang der Gitarre erneut einsetzte. Atonale Klänge wie Hymnen aus der Hölle. Wie ein Orkan fegte der Sound über die Männer hinweg. Für kurze Zeit raubte er ihnen sämtliche Sinne. Mancini gab das Zeichen weiter in den Schlund zur Hölle einzudringen. Sie hatten den tiefsten Punkt des Abgangs erreicht. Was folgte war ein schmaler Gang. Nicht einfach zu verteidigen. Die Lichter ihrer Waffen reflektierten sich an Wänden und Decken.

„Prime time suicide: they are creatures with no rights…………. Evil is for ever!“, schrie eine unsichtbare Stimme ihnen entgegen.

Wieder und wieder.

Der Gang schien kein Ende zu nehmen. Es roch nach Schimmel. Sie folgten dem Gang immer weiter.

„Evil is for ever!“

Die Hölle lag vor ihnen. In weiter Ferne flackerte Kerzenlicht.

Mancini hatte sich an die Spitze der Männer vorgearbeitet. Es gab keinen Schutz. Ein peitschendes Gitarrensolo traf seine Seele. Das Kerzenlicht erlosch. Sie hatten einen tiefschwarzen Raum erreicht. Das gebündelte Licht ihrer Waffen traf die meterhohe Decke.

Das Inferno lag vor ihnen.

Mancini spürte etwas Feuchtes im Gesicht. Reflexartig schaute er nach oben. Sie waren jetzt etwa sechzig Meter unterhalb der Wasseroberfläche. Tropfen fielen auf seine Lippen. Er schmeckte Metall. Blut tropfte von der Decke. Die höllische Musik ließ ihn nicht klar denken. Er blinzelte, schloss kurz die Augen und sah erneut zur Decke. Er wollte nicht glauben was er sah.

„Licht!“, schrie Mancini.

Die Dunkelheit wechselte von tiefschwarz in dunkelrot.

Ein Gesicht glotzte mit weit aufgerissenen Augen auf die Männer herab. Ein Kopf ohne Körper wie eine Jagdtrophäe an der Decke befestigt. Das Gesicht war entstellt und zerschmettert. Mancinis Blick wanderte die Decke entlang. Ein abgetrennter Arm hing schlaff von der Decke herab. Wie Regen tropfte das Blut von oben. Er atmete Blut.

Mit der Hand wischte er über sein Gesicht: „Fuck, was für eine Sauerei!“, schrie er gegen die immer noch diabolisch dröhnende Musik an.

Körperteile waren überall an der Decke verteilt. Er machte einen Schritt nach vorne und stieß gegen einen Haufen. Seine Beine traten ins Leere, schienen keinen Halt zu finden. Es war glatt. Beinahe wäre er gestolpert.

Einer der Männer hatte einen Scheinwerfer aufgestellt. Der ganze Raum war in tiefes Rot getaucht. Blutrot. Vor ihm lag der Torso eines menschlichen Körpers.

Mancini trat einen Schritt zurück als er die Fotos an der Wandtafel befestigt hatte, um einen Gesamtüberblick der kompletten Szenerie zu erhalten.

Das Ganze war vor drei Tagen geschehen und sie hatten immer noch keinen Anhaltspunkt wer der Tote ist. Geschweige denn wussten sie irgendetwas über den Täter. Der oder die Täter hatten ein fürchterliches Gemetzel angerichtet. Die diabolische Musik tat das Ihre dazu. Mancini dröhnten noch immer die Ohren. Wer immer das angerichtet hatte, neigte zu theatralischen Inszenierungen. Der trotz seiner jugendlichen Augen mittlerweile ergraute amerikanische Sonderermittler italienischer Abstammung hasste sämtliche Varianten des Heavy Metal, egal ob Dark- oder Death Metal. Er hatte schon viel erlebt in seiner 25-jährigen Dienstzeit, aber diese Inszenierung suchte ihresgleichen.

Der Tote war keiner der im Pumpspeicherkraftwerk von Bath County, das aufgrund seiner Lage unterhalb der Wasseroberfläche von allen nur “stiller Riese“ genannt wurde, arbeitenden Mitarbeiter. Soviel stand fest. Hier wurde niemand vermisst.

Dr. John Higgins, der leitende Pathologe, hatte die einzelnen Leichenteile zusammengeflickt. Die Ergebnisse lagen dem Sonderermittler bereits vor. Mancini blätterte in dem vierseitigen Bericht. Es handelte sich um eine 1,85 Meter große, schlanke, männliche Person heller Hautfarbe im Alter zwischen 60 und 70 Jahren.

Todesursache: Durchtrennen der Halsschlagader mit anschließender Zerstückelung des Körpers.

Paolo Mancinis Blick wanderte zurück an die Wandtafel. Er betrachtete die Bilder, die man vom Inneren des Raums gemacht hatte. Er massierte sich das Kinn. Im hinteren Teil des Raums hatte Kerzenlicht geflackert. Die Kerze stand auf einem abgewetzten Tisch neben einer blauen, kelchartigen Flasche, die mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Milchig, matt schimmerndes Wasser. Über den Tisch war ein weißes Laken gespannt. Es wirkte wie auf einem ein Altar. Das Laken war nicht mit Blut besudelt, es hatte etwas Reines. Es wirkte nahezu keusch.

In Mancinis Kopf begann erneut die Orgel zu spielen.

Kirchenmusik.

Was hatte das zu bedeuten? Ein Ritual?

Er schloss die Akte des Pathologen.

Warum wurde der Mord in dem Pumpspeicherwerk begangen?

Welche Beziehung hatte der Tote zu diesem Ort?

Welche Verbindung gab es zur Vergangenheit des Kraftwerkes?

Gab es überhaupt eine?

Gab es einen religiösen Bezug?

Fragen über Fragen rasten Mancini durch den Kopf.

Das Kraftwerk wurde vor gut dreißig Jahren in Betrieb genommen. Fast zwanzig Jahre lang war es das größte seiner Art. Vor zehn Jahren mussten die sechs Turbinen des Kraftwerkes erneuert werden, um das Kraftwerk fit für die Zukunft zu machen.

Mancini blätterte in den Unterlagen der Kraftwerksbetreiber. Mit diesem Umbau beauftragt wurde ein Unternehmen aus Kalifornien. Scott Civilconstructions. Stück für Stück demontierten die Mitarbeiter von Scott die riesigen Turbinen – jedes Laufrad hatte einen Durchmesser von mehr als sechs Metern und wog fast 90 Tonnen. Die alten Bauteile wurden durch neue ersetzt. Spezialtransporter lieferten die Teile aus weiter Entfernung an. Der Umbau wurde zur Zufriedenheit aller Beteiligten abgewickelt. Keine Unfälle, keine Ungereimtheiten. Mancini konnte nichts Entscheidendes finden.

Musste er noch weiter zurück in der Vergangenheit suchen?

Die frühesten Datierungen über den alten Speicher führten bis in das Jahr 1790. Zu dieser Zeit lebten vor allem Auswanderer schottischer oder irischer Abstammung in Bath County. Die Existenz warmer Mineralquellen hatte sie schon um 1750 in diese Region gebracht. Ein erstes Hotel wurde 1766 erbaut und um 1800 kamen bereits auswärtige Besucher, um in den warmen Quellen zu baden und auf die heilende Wirkung zu hoffen.

Hatte der Mord irgendetwas hiermit zu tun?

Sollte die Leiche auf irgendetwas hinweisen?

Mancini, der 45 jährige, schlanke Ermittler ist Spezialist für Ritualmorde einer Sonderabteilung des FBI. Vor 10 Jahren war er dieser Sonderabteilung in Washington DC beigetreten, bevor er 15 Jahre für die Staatspolizei ermittelt hatte. Mancini ging in seinem Büro in der fünften Etage des eckigen Gebäudekomplexes, das nur knapp einen Kilometer vom Weißen Haus entfernt lag, auf und ab. Er trat ans Fenster und konnte sehen wie seine kantigen Gesichtszüge, die in den letzten Jahren einen immer härteren Ausdruck angenommen hatten, sich im Glas der Scheibe spiegelten. Mancini war ein Fuchs, doch dieses Mal schien er in einer Sackgasse zu stecken. Nichts, wirklich gar nichts hatte der Täter an Spuren hinterlassen. Dem Opfer fehlten Zähne und Fingerkuppen, so dass eine Identifizierung nur über einen DNA-Abgleich möglich war. Dafür musste er jedoch wissen mit welcher DNA er die des Toten vergleichen sollte.

Es war wie verhext.

Das Telefon klingelte und riss Mancini aus seinen Gedanken.

„Ja“, meldete er sich.

Am anderen Ende der Leitung war Jeff Beck, der Leiter der Kriminaltechnik. Man hatte die Flüssigkeit, die sich in der blauen Flasche befand, sowie das Gefäß selbst genauer untersucht. Das Wasser war Süßwasser, es befanden sich einige Flusssedimente im Wasser. Die weitere Analyse hatte keine entscheidenden Erkenntnisse gebracht. Das Gefäß war aus Glas, man konnte jedoch keine Besonderheiten feststellen. Vielleicht konnten die blauen Farbpigmente weiterhelfen, aber hier war man noch nicht soweit.

Was spielte diese Flasche für eine Rolle?

Welches Ritual beschrieb der Täter?

Eine Frage jagte die nächste.

Kapitel 2

Kalifornien, 2014

Wir hatten oft Gäste auf “Landsend“. An einen Gast erinnere ich mich so, als wäre es gestern gewesen. Die Begegnung mit ihm sollte mein ganzes Leben verändern.

Eines Abends, es war Anfang Herbst, einer dieser goldenen Herbsttage, wie wir sie alle kennen und uns so oft wünschen. Es war noch warm, als die Sonne begann unterzugehen und ihr orangefarbenes Kleid über “Landsend“ auszubreiten. Ihr Licht erzeugte eine ganz eigene, kaum in Worte zu kleidende Harmonie. Zufriedenheit und Glück schienen greifbar zu sein. Aber alles sollte ganz anders kommen.

Ich ging den geschwungenen Kiesweg vom breiten Eingangstor in Richtung Veranda, als ich Stimmen und Gelächter wahrnahm. Jeder der mich hätte sehen können, konnte meinen swingenden Gang erkennen, so als würde mich eine nicht hörbare, aber doch vorhandene Musik begleiten. Dann sah ich sie auf der Veranda sitzen. Vater und einen mir unbekannten Mann. Sie lachten und prosteten sich zu. Der Mann hatte mir den Rücken zugewandt als er aufstand, kerzengerade vor Vater seinen Kopf senkte und ihm ein kurzes: „Gambe!“, zurief. Die beiden Männer setzten ihre Gläser an den Mund und ließen die durchsichtige, im untergehenden Sonnenlicht golden schimmernde Flüssigkeit ihre Kehlen hinunterlaufen. Vaters Gast hatte seine eisgrauen Haare straff nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Dann schien er das Knirschen unter meinen Füßen gehört zu haben und drehte sich plötzlich in meine Richtung.

Ich sah in das uralte Gesicht eines Asiaten.

Abrupt blieb ich stehen, die nicht hörbare Musik, die mich begleitet hatte, verstummte augenblicklich. Meine Nackenhaare richteten sich auf.

Ich kannte dieses Gesicht!

Nur ohne die vielen Falten und umrahmt von pechschwarzem Haar war es mir für immer in Erinnerung geblieben. Über zwanzig Jahre war es her, dass ich es zuletzt gesehen hatte. Und das nur ein einziges Mal! Aber die Erinnerung war da, sofort. Sie traf mich unvermittelt und brutal von jetzt auf gleich, ohne irgendeine Vorwarnung.

Dieses Gesicht gehörte zu den Gesichtern jener Männer, die mir die Achtung vor meinem Vater nahmen. Es war mit dafür verantwortlich, dass sämtliche Gefühle, die ein Sohn für seinen Vater hegte, mit einem Mal erlöschen und sich in eisige Kälte verwandelten.

Seit jenem Tag hatte ich aufgehört meinen Vater zu lieben und zu achten. Ich hatte begonnen ihn zu hassen. Die Zeit hatte die Schmerzen, die diese Begegnung einem acht Jahre alten Jungen zugefügt hatten, so als hätte man ihm das Herz herausgerissen, oberflächlich heilen lassen. Ich konnte das, was ich gesehen hatte, damals noch nicht richtig begreifen. Dem Schmerz und dem Hass tief in meinem Inneren waren Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit gefolgt. Zwischen einem Vater und seinem heranwachsenden Sohn war das Band der Liebe und Achtung gerissen.

Der Asiate sah mich an und nickte kurz mit dem Kopf. Der guten Erziehung, die ich ausschließlich meiner Mutter zu verdanken hatte, gehorchend, nickte ich auch kurz mit dem Kopf und sagte mit leichtem Kratzen im Hals: „Guten Abend zusammen.“

Mutter erschien in der Verandatür. Sie trug ihr immer noch dunkles, lockiges Haar mittlerweile etwas kürzer geschnitten, so dass die Locken ihre Schultern nur noch leicht berührten.

„Das ist unser Sohn Tom“, stellte sie mich dem Asiaten vor.

Der Asiate stand jetzt direkt vor mir und sah mir in die Augen. Er verbeugte sich kurz und sagte: „Chun, mein Name ist Chun Lin.“

Ich nickte erneut, zögerte kurz und reichte ihm dann langsam meine Hand: „Tom, Tom Scott.“ Der Asiate griff nach meiner Hand, drückte sie kurz, eher schlaff und feucht.

„Setzen Sie sich doch zu uns“, meinte er in geübtem Englisch. Er deutete auf den Platz neben sich.

„Vielen Dank“, antwortete ich schnell. „ Ich muss noch etwas arbeiten“, log ich. „Vielleicht komme ich später noch herunter.“

Ich ging die Treppe hinauf in mein Zimmer. Alte Wunden waren aufgerissen worden. Auf dem Weg nach oben griff ich mir zwei Flaschen eiskaltes Bier aus dem Kühlschrank. Mary, meine zwei Jahre jüngere Schwester, kam mir aus der Küche entgegen. Sie war meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten, nur trug sie die dunklen Haare länger und war vierundzwanzig Jahre jünger als Mum.

„Hi Tom“, grüßte sie mich mit ihrem zauberhaften Lächeln.

Hätte ich gewusst, dass ich meine Familie gerade zum letzten Mal lebend gesehen hatte, wäre ich nicht auf mein Zimmer gegangen.

Ich betrat das Zimmer, schloss die Tür hinter mir und öffnete die erste Bierflasche, indem ich sie mit Hilfe der zweiten Flasche aufhebelte. Das Bier lief eiskalt meine Kehle hinunter.

“Landsend“ bot uns Vieren mächtig viel Platz, so dass ich, ganz zur Freude meiner Mutter, mit achtundzwanzig Jahren immer noch bei meinen Eltern am Rande der Kleinstadt Tiburon wohnte. Auch Mary wohnte noch auf “Landsend“. Die Betonung lag auf noch, denn sie würde im Frühjahr des nächsten Jahres ihren langjährigen Freund Michael heiraten. Mary und ich teilten uns die obere Etage, auf der sich neben unseren großräumigen Zimmern noch ein gemeinsames Bad und ein Gästezimmer befanden. Meine Eltern wohnten in der unteren Etage. Im Sommer dieses Jahres hatte ich mein Studium der Rechtswissenschaften an der San Francisco State University erfolgreich abgeschlossen. Mein Vater erwartete von mir, dass ich eines Tages mit in sein Bauunternehmen Scott Civilconstructions einsteigen würde, um dort als Jurist die Vertragsangelegenheiten zu regeln. Das kam für mich nicht infrage. Nur Mutter und Mary zur Liebe und, um ehrlich zu sein, auch aus Bequemlichkeit war ich noch hier. Ich würde mir einen Job suchen, möglichst weit weg von meinem Vater.

Ich hatte die erste Flasche Bier bereits geleert, als sich der Tonarm des Pro-Ject Signature senkte und sich die Nadel fast geräuschlos in die Rille von Joe Bonamassas “Happier Times“ einfädelte. Der warme Sound der Instrumente füllte Sekunden später den Raum. Mein Blick war kurz gefangen von dem präzise aus Aluminium gefertigten Plattenteller und dem massiven Chassis, bevor ich zur zweiten Flasche Bier griff.

Bonamassas einmaliger, bluesiger Rock konnte mich jedoch nur kurzzeitig gefangen nehmen. Immer wieder tauchte das Gesicht des Asiaten vor mir auf. In meinen Ohren hallte es: „Gambe!“ So als würde man es in eine Höhle rufen von deren Wänden ein hundertfaches Echo reflektiert wurde.

Meine Gedanken reisten in eine vergangene Zeit. Jetzt sah ich auch die anderen Gesichter vor mir. Wie durch einen nebeligen Schleier waren sie aufgetaucht. Sie hatten sich in mein Gehirn gebrannt. Ich war machtlos und konnte sie nicht mehr loswerden. Die zweite Flasche Bier war bereits geleert, als die beiden Schlagzeuger im Mittelteil des Stücks die Felle ihrer Drums bearbeiteten. Automatisch hatte ich in den rechts von mir stehenden kleinen Schrank gegriffen. Ein Glas und eine Flasche Dalmore 25 Years - ein sauteurer, edler Single Malt - kamen zum Vorschein. Ich hatte die Flasche irgendwann aus Vaters Kellerbar entwendet. Offensichtlich hatte es der Alte bis heute nicht gemerkt.

1986 erblickte ich als Tom Scott, Sohn des einflussreichen Bauunternehmers Frank Scott und seiner Frau Hilda Scott im Saint Francis Memorial Hospital das Licht der Welt. Frank Scott war zu diesem Zeitpunkt der stolzeste Mann auf Erden. Er hatte geschafft, was man von einem Kerl wie ihm erwartete – der Stammhalter war geboren. Als zwei Jahre danach auch noch die süße Mary Scott das Licht der Welt erblickte, schien die Welt perfekt zu sein im Hause Scott. Bereits im Jahr vor meiner Geburt hatte mein Vater unser Haus am Rande von Tiburon, keine dreißig Kilometer nördlich von Down Town San Francisco, gebaut. Er nannte den gesamten Komplex “Landsend“, da das große, von außen kaum einsehbare Grundstück am Ende einer traumhaften Landzunge mit Blick auf die Golden Gate Bridge lag. Bis ich acht Jahre alt war, lebte ich das nahezu unbekümmerte Leben eines reichen Jungen, dem es an nichts mangelte. Vater bekamen wir fast ausschließlich an den Wochenenden zu Gesicht, da er die ganze Woche über seinen Geschäften bis spät in die Nacht nachging. Mutter kümmerte sich rührend um mich und Mary.

Und ich hatte Freunde.

Genauer gesagt drei Freunde.

Den dicken, blondhaarigen Rick Sanders, der jüngste der vier Sanders Brüder. Seinem Vater, dem alten Dick Sanders, gehörte die Autowerkstatt “Sanders Garage“ am Pier 48 unweit vom China Basin und direkt gegenüber dem South Beach Harbor von San Francisco. Dick Sanders reparierte die LKW´s und Baufahrzeuge für meinen Vater. Rick war das komplette Gegenteil von mir. Er war blond, unsportlich und übergewichtig. Aber er war ein lustiger Typ, hatte immer einen Spruch auf den Lippen. Und er war ein Freund auf den man zählen konnte.

Dann gab es noch Bob Miller. Bob war Einzelkind und lebte zusammen mit seiner Mutter Elsa in einem kleinen Haus an der Spanish Trail Road. Bobs Vater war eines Nachts von heute auf morgen verschwunden. Er hatte Bob und Elsa alleine gelassen. Bobs Mutter arbeitete als Bibliothekarin in der Belvedere Tiburon Library. Bob war dünn wie eine Bohnenstange und mehr als einen Kopf größer als wir anderen. Seine streng gescheitelten, braunen Haare und die dunkle Brille, die er trug, waren somit immer als erstes sichtbar, wenn wir irgendwo auftauchten. Wir nannten Bob “Hightower“.

Zu guter Letzt gehörte noch Sheng Xu, der Sohn von Yong Xu zu meinen Freunden. Yong Xu war Besitzer von Xu´s Dynasty, einem Chinesischen Restaurant. Sheng war im Alter von fünf Jahren aus China mit seinen Eltern und seiner großen Schwester Yin Xu nach Amerika gekommen.

Rick, Bob, Sheng und ich gingen zusammen in die Grundschule von Tiburon. Seit dieser Zeit sind wir beste Kumpel. So oft es ging hockten wir zusammen. Obwohl wir uns alle gut verstanden war Sheng mein bester Freund. Ständig klaute er irgendwelche süßen Leckereien aus der Küche seines Vaters, die er dann zu unseren Treffen mitbrachte. Mehr als die Hälfte der Süßigkeiten stopfte Rick in sich hinein. “Hightower“ aß am wenigsten, obwohl es immer köstlich schmeckte.

Kapitel 3

Washington, 2014

Das FBI hatte einen anonymen Hinweis auf das Verbrechen erhalten. Ein Anruf von einem Prepaid-Handy, der nicht zurückverfolgbar war. Die Stimme, die den Hinweis sprach, gehörte einem bekannten Filmschauspieler. Sie war aus mehreren Wortfetzen alter Filme des Darstellers zusammengesetzt worden, bis diese schließlich den Satz bildeten: „Fahren sie nach Bath County zum Kraftwerk, es ist etwas furchtbares passiert.“

Mancini fragte sich was der anonyme Anrufer erreichen wollte. Ohne diesen Hinweis hätte man die Leiche erst nach Jahren gefunden, denn dieser Raum des Kraftwerkes gehörte zu dem stillgelegten Teil, in dem die alten Turbinenteile gelagert wurden. Anonyme Hinweise hatten immer eine Bedeutung, oftmals kamen sie von den Tätern selbst, die auf ihre Tat aufmerksam machen wollten. Irgendetwas wollte der Täter ihnen sagen. Was nur?

Der Hinweis hatte sie nur wenige Stunden nach der Tat erreicht. Dr. Higgins hatte den Todeszeitpunkt entsprechend fixiert. Die Leichenteile bluteten noch immer als die Polizisten den Tatort erreicht hatten. Es klopfte an Mancinis Bürotür.

„Herein.“

„Hallo Paolo“, Higgins steckte seinen glattrasierten Schädel durch die Tür. „Ich war in der Nähe und wollte dir die letzten Neuigkeiten kurz selbst berichten.“ Der Pathologe legte den zweiten Teil seines Berichts auf Mancinis Schreibtisch.

„Wir haben die Schnittwunden genauer untersucht, soweit das noch möglich war. Die Schnittführung lässt erkennen, dass der Täter Rechtshänder ist. Zunächst wurde dem Opfer die Kehle durchtrennt, was die eigentliche Todesursache war. Der Täter benutze ein äußerst scharfes Messer mit relativ dünner Klinge. Die Schnitttiefe lässt auf ein klappbares Rasiermesser schließen. Der Schnitt verläuft von links nach rechts durch den Kehlkopf des Opfers.“

Higgins hielt den Daumen seiner rechten Hand an seinen Hals und vollzog in einer Bewegung den Verlauf des Schnitts nach.

„Aufgrund seines Alters dürfte das Opfer nach kurzer Zeit die Besinnung verloren haben“, fuhr der Pathologe mit seinen Ausführungen fort.

„Der Täter wechselte dann das Messer und benutzte eine sägenartige Klinge.“

Dr. Higgins beugte sich über den Schreibtisch und schlug seinen Bericht auf. Er zeigte auf ein Foto.

„Paolo, hier kannst du das gezackte, sägeförmige Muster sehen, das sich an den durchtrennten Halswirbeln erkennen lässt.“

Mancini erhob sich von seinem Schreibtischstuhl und sah sich das Foto genauer an. Die geschwungene, zackenartige Form war unter der mikroskopischen Aufnahme eindeutig zu erkennen.

„John, du meinst er hat dem Ofer erst die Halsschlagader durchtrennt und dann den Kopf abgesägt?“

Mancini sah Higgins in die Augen.

„Genau so war es“, antwortete dieser.

„Im Anschluss hat er den Toten dann entkleidet, bevor er in einen vollkommenen Rausch verfallen ist und dem Opfer sämtliche Gliedmaßen abgetrennt hat, bis nur noch der Torso übrig geblieben ist.“

„Stopp!“

Mancini hob seine rechte Hand.

„Woher willst du wissen, dass er das Opfer, nachdem er ihm die Halsschlagader durchtrennt hatte, entkleidet hat? Es konnte doch auch vorher schon nackt gewesen sein. In dem Raum haben wir keine Kleidungsstücke gefunden."

Dr. Higgins schaute auf seine Uhr: „Jeff müsste gleich….“

In diesem Augenblick klopfte es erneut an Mancinis Tür.

„Ja, herein.“

Jeff Beck, der Leiter der Kriminaltechnik, betrat das Büro.

„Paolo, John“, er nickte den beiden kurz zu. „Wir haben neue Erkenntnisse.“ Beck zeigte auf Higgins. „John ist schon teilweise informiert“.

Mancini zog die Stirn kraus. Eigentlich war er hier der leitende Sonderermittler und sollte zuerst informiert werden.

„Ich weiß“, sagte Beck, als könnte er Mancinis Gedanken lesen. „Ich brauchte eine Information von John, um zu erkennen, ob wir die richtigen Schlüsse gezogen haben.“

„Ok, was gibt es für Neuigkeiten?“

„Wir haben verbrannte Kleidungsreste nur unweit von dem Gebäude gefunden, in dem die Leichenteile lagen. In der Nacht als das Opfer ermordet wurde, hatte es nach Mitternacht äußerst stark zu regnen begonnen. Die in Brand gesetzte Kleidung ist daher nicht vollkommen verbrand. Durch die Feuchtigkeit des Regens sind kleine Stücke der Kleidung unversehrt geblieben.“

Jeff Beck legte seinen Bericht nun auch auf Mancinis Schreibtisch, neben den Bericht des Pathologen und schlug die Seite mit den Fotos auf. Mancini beugte sich über die Bilder, während Beck weitersprach.

„Du siehst ein Stück eines Hemdkragens. In den Fasern wurde Blut gefunden, das mit dem Blut des Opfers übereinstimmt. Es handelt sich somit eindeutig um ein Kleidungsstück des Opfers. Wir können ausschließen, dass es sich um die Kleidung des Täters handelt.“

„Warum sollte der sich auch ausziehen und seine eigene Kleidung verbrennen“, merkte Dr. Higgins an.

„Nicht so voreilig“, mahnte Mancini. „Für mich steht bisher nur fest, dass es sich entweder um die Kleidung des Opfers oder des Täters handelt, der sich bei dem Gemetzel auch mit Blut besuhlt haben wird.“

„Es ist eher unwahrscheinlich, dass es die Kleidung des Täters ist“, entgegnete Jeff Beck. „Wir haben die Asche gewogen und konnten feststellen, dass hier maximal die Kleidung einer Person verbrannt worden ist. Wenn das die Kleidung des Täters sein sollte, wo ist dann die des Opfers?“

Da war etwas dran, der Täter würde wohl kaum seine eigene Kleidung verbrennen und die des Opfers mitnehmen, oder?

„Einverstanden, gehen wir also davon aus, dass es sich um die Asche der Kleidung des Opfers handelt“, stimmte Mancini zu.

„Wir haben drei weitere unverbrannte Kleidungsreste gefunden. Ein Stück einer Unterhose“. Beck blätterte eine Seite weiter in seinem Bericht. „Hier befand sich noch ein Schamhaar zwischen den Fasern. Nach dem DNA-Abgleich mit dem Blut im Stoff des Kragens eindeutig vom Opfer. Ein Stück einer Stoffhose und einen Teil einer Hemdmanschette haben wir auch noch gefunden“.

„Und das interessante ist, dass wir in den Fasern dieser drei Kleidungsstücke kein Blut nachweisen konnten“, schaltete sich Higgins ein.

„Das führt zu meiner Theorie, dass der Täter dem Opfer zunächst die Halsschlagader durchtrennt hat, hierbei ist Blut auf den Hemdkragen geflossen. Dann wurde das Opfer komplett entkleidet, daher keine Blutspuren an den restlichen Kleidungsstücken. Erst danach hat der Täter das entkleidete Opfer zerstückelt. Hierbei ist der Täter regelrecht in einen Rausch gefallen.“

Dr. Higgins, der Pathologe, hatte alle Bilder der Leiche nebeneinander auf dem Schreibtisch verteilt. Die drei Männer blickten gespannt auf das was sie sahen.

„Die Schnittmuster weisen auf den Rausch hin. Zunächst hat er den Kopf abgetrennt. Man sieht ein relativ sauberes Schnittmuster und einen geraden Verlauf des Schnitts. Dann folgen die Beine. Beim rechten Bein hatte der Täter offensichtlich die Muskeln noch sauber mit glatter Klinge durchtrennt, bevor er das Sägemesser einsetzte. Beim linken Bein hat er ausschließlich das Sägemesser benutzt.“

Die Männer sahen zackenförmig verlaufende Muster in Haut, Muskel und Knochen.

Beim Abtrennen der Arme hatte der Täter dann offensichtlich die Kontrolle über sein Handeln verloren. Es sah so aus, als wären die beiden Arme förmlich vom Körper abgerissen worden. Mancinis Blick fiel auf die Vergrößerung einzelner vollkommen zerfetzter Muskelstränge.

„Den Todeszeitpunkt kann ich somit etwas weiter einengen. Er muss vor Mitternacht liegen, bevor der Regen einsetzte und die Kleidung verbrannt wurde“, resümierte Dr. Higgins.

„Paolo“, meldete sich Jeff Beck jetzt wieder. „Wir haben noch etwas gefunden.“ Er zeigte auf das letzte Foto der Akte. „An dem Stoffrest der Hemdmanschette befindet sich ein gesticktes Monogramm.“

Kapitel 4

Tiburon, Sommer 1994

Es war der letzte Schultag in der zweiten Klasse vor den großen Sommerferien. Ich hielt mein erstes Zeugnis in der Hand und war mächtig stolz. Der Unterricht endete am frühen Nachmittag. Mit meinem Rad düste ich die drei Kilometer von der Schule nach Hause zu “Landsend“, um es meinen Eltern zu zeigen. Ganz aufgeregt hielt ich es Mum unter die Nase: „Hier ist es. Wo ist Dad, ich muss es ihm unbedingt zeigen.“

Ich war so stolz.

Mum nahm mich in ihre Arme und drückte mich: „Das hast du ganz toll gemacht, auch Dad wird glücklich sein. Dein Vater ist mit einigen Kunden im Jagdhaus der Firma. Er hat eine wichtige Besprechung. Er wird erst spät zurück sein. Es geht um ein sehr großes Projekt. Vielleicht kommt er auch erst morgen.“

Ich löste mich aus Mums Umarmung.

Ich war enttäuscht.

Wiedermal war er unterwegs.

Mum hatte den Tisch für das Abendessen gedeckt, doch ich aß nur widerwillig, ohne richtigen Appetit.

Da kam mir eine Idee.

Dads Firma besaß ein geräumiges Jagdhaus am Lake Phoenix, keine zwanzig Kilometer von hier. Wenn ich mich beeilen würde, könnte ich die Strecke in ungefähr einer Stunde mit dem Rad zurücklegen, denn ich war ein guter Radfahrer. Ich würde Dad kurz das Zeugnis zeigen. Er könnte mächtig stolz auf mich sein und seine Geschäftspartner beeindrucken. Eine ausgezeichnete Idee, ging es mir durch den Kopf.

Wenn ich es Mum sagen würde, dann könnte sie es mir verbieten. Sie war immer so rücksichtsvoll und störte meinen Dad nie, wenn es um seine Geschäfte ging. Also, entschied ich, das Beste ist, wenn ich ihr nichts sage.

Ich beendete das Abendessen, räumte gemeinsam mit Mary den Tisch ab und wusch mir erneut die Hände.

„Ich will mich noch mit Rick, Bob und Sheng treffen“, log ich im Vorbeigehen, denn ins Gesicht schauen konnte ich Mum nicht. „Ist das ok? Ab morgen sind ja Ferien.“

„Gut, Schatz, aber sei bitte um 22:00 Uhr wieder hier.“

22:00 Uhr, das waren zweieinhalb Stunden. Eine Stunde hin, eine halbe Stunde mit Dad und eine Stunde zurück, das müsste klappen.

„OK, bis um 22 Uhr!“, rief ich, warf mir den Rucksack mit meinem Zeugnis über die Schulter und trat in die Pedalen.

Ich war vorher noch nie in dem Jagdhaus am Lake Phoenix gewesen. Nur einmal hatte mich Dad mitgenommen, als er eine Kiste mit alkoholischen Getränken in das Haus brachte. Er parkte den Pick-Up vor dem verschlossenen Stahltor. Das Haus war von einer dichten Hecke umgeben, die Fremden den Einblick auf das Grundstück versperrte. Parallel zur Hecke verlief ein fast zwei Meter hoher, verzinkter, eiserner Zaun. Ich musste im Wagen vor dem Tor warten, als mein Vater das Stahltor aufschloss und die Kiste mit den Getränken zum Haus trug. Nach einer viertel Stunde war er wieder am Wagen und steuerte den Pick-Up zurück nach “Landsend“.

Die Hälfte des Weges, den ich mir leicht hatte merken können, da er mit nur wenigen Abzweigungen quer durch den Wald lief, hatte ich bereits mit dem Fahrrad zurückgelegt, da kam mir ein Gedanke.

„Was, wenn das Stahltor verschlossen war?“

Da tauchte am Wegrand auch schon der riesige Findling auf. Hier musste ich links in den nächsten Waldweg einbiegen. Ich bremste, verließ die asphaltierte Straße und bog in den mit Schlaglöchern und Wurzeln übersäten Waldweg ein. Kurz bevor ich Lake Phoenix erreicht hatte, blieb ich mit dem Hinterrad an einer der Wurzeln hängen und stürzte. Ein Riss in meiner Hose und ein blutendes Knie waren die Folgen. Tränen schossen mir in die Augen. Egal, ich biss die Zähne zusammen und fuhr weiter. Dad würde noch stolzer auf mich sein, wenn er das blutende Knie sah. Verhielt ich mich doch schon wie ein richtiger Mann. Kurz nach der nächsten Biegung konnte ich das stählerne Tor erkennen.

Es war verschlossen.

Ich stieg vom Rad und drückte die Klinke nach unten. Mist, das Tor war abgeschlossen. Unwillkürlich schaute ich auf meine Armbanduhr. Oh, ich hatte doch länger für den Weg gebraucht, als ich dachte. Gute neunzig Minuten waren vergangen. Wohl oder übel musste ich noch über den Zaun klettern. Zwei Meter, wie sollte ich das schaffen? Ich lehnte mein Rad an das Tor und ging nach rechts, immer am Zaun entlang. Nirgendwo entdeckte ich eine Möglichkeit über den Zaun zu kommen. Ich ging zurück zum Tor und dann nach links wieder den Zaun entlang.

Dann sah ich ihn, den großen Baum. Einige seiner Äste reichten bis über den Zaun. Bäume klettern war meine Spezialität. Ruckzuck hatte ich die dicken Äste erreicht. Ich konnte jetzt über den Zaun und die dichte Hecke blicken. Keine zwanzig Meter von hier stand die Jagdhütte auf der anderen Seite. Ihre Türen quer zur Seeseite waren weit geöffnet. Eine Art Veranda, so wie wir sie auf “Landsend“ hatten, schloss sich der Hütte an. Ich nahm Stimmen und Gelächter wahr. Ein großer, asiatisch aussehender Mann trat auf die Veranda. Er hatte seine pechschwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. In seiner rechten Hand hielt er ein Glas. Er hob die Hand, führte das Glas an seinen Mund und rief den anderen, die sich noch in der Hütte befanden, ein lautes, kehliges: „Gambe!“ zu.

„Gambe!“, schallte es aus der Hütte zurück. Als die anderen Männer dem Trinkspruch folgend auf die Veranda traten, konnten meine Augen nicht glauben was sie sahen. Und Dad war mitten unter ihnen. Ich konnte es nicht fassen. Unwillkürlich begann ich zu zittern, mir wurde schlecht, ich begann zu würgen, beinahe hätte ich mich übergeben. Plötzlich sah der Asiate in meine Richtung und kam auf den Baum zu auf dem ich saß. Wie zur Eissäule erstarrt blieb ich regungslos auf dem Ast sitzen. Spontan hielt ich meine Hand vor den Mund, um den Brechreiz zu unterdrücken. Der Asiate urinierte an die Hecke direkt unter mir, drehte sich um und ging wieder zurück. Offensichtlich hatte er mich nicht bemerkt. Ich aber würde sein Gesicht mein Leben lang nicht mehr vergessen.

Ich musste hier weg, ging es mir durch den Kopf. Nicht länger wollte, nein konnte ich mitansehen, was auf der Veranda geschah. Vollkommen aufgebracht über das Erlebte taumelte ich mehr als ich lief zu meinem Rad zurück. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Wem konnte ich erzählen, was ich beobachtet hatte. Mum und meiner Schwester sicher nicht. Meinen Freunden? Konnte ich ihnen das anvertrauen? Ich musste mit jemandem sprechen, sonst würde ich daran kaputtgehen, das wurde mir immer klarer, je weiter ich das Jagdhaus hinter mir lies.

Sheng.

Sheng war der einzige mit dem ich darüber reden konnte. Er war mein bester Freund, mein allerbester und er war Asiate.

Vielleicht konnte er mir alles erklären – hoffentlich!

Kapitel 5

Washington, 2014

Jeff Beck und John Higgins hatten das Büro des Sonderermittlers vor mehr als einer Stunde verlassen. Mancini starrte mit geschlossenen Augen ganz in seine Gedanken vertieft auf die Schreibtischplatte: „Ein Monogramm, ineinander verwobene Buchstaben und Fasern. Das war ein Anfang. Man hatte doch die ersten Hinweise gefunden. Man findet immer etwas. Irgendetwas, und sei es auf den ersten Blick auch noch so unbedeutend, findet man immer, auch wenn die Täter noch so umsichtig sind.“

Seine Gedanken tauchten in die Vergangenheit anderer Fälle. Auch hier war es oft so, dass man zunächst nichts hatte und dann fand man doch etwas. Genau wie bei seinem letzten Fall – James und Gregori Buck. Zwei Satanisten, die einer jungen Frau den Teufel austreiben wollten. Exorzisten, die ihr Opfer verbluten ließen, als sie es zu Ader ließen. Eine einzige Gewebefaser hatte sie letztendlich überführt.

„Faser. Fasern. Außergewöhnliche Fasern“, ging es ihm durch den Kopf.

Mancini öffnete schlagartig die Augen.

Auch hier hatte man Fasern gefunden. Fasern aus dem Hemd des Opfers. Seltene Fasern. Mancini schlug erneut den Bericht der Kriminaltechnik auf.

Die Untersuchung der Fasern hatte ergeben, dass es sich um eine ungewöhnliche Seidenfaser handelte, die sogenannte “Fil de Florence“. Mancini tippe den Suchbegriff “Fil de Florence“ in seinen Computer. Diese Faser wird nicht wie die üblichen Seidenfasern aus den Kokons der Seidenraupen gewonnen, sondern aus der Seidenraupe selbst, genauer gesagt aus den Spinnorganen. Ein teures und nicht sehr ertragreiches Verfahren im Vergleich mit den Fasern aus dem Kokon. Diese Fasern sind vorzüglich fein und extrem teuer. Umgangssprachlich nennt man diese Faser auch Florentiner Garn.

Es gab nur fünf elitäre Geschäfte in den Vereinigten Staaten in denen man Oberhemden aus Florentiner Garn kaufen konnte. In die Manschetten dieser Hemden wurden Monogramme gestickt. Monogramme unterschiedlichster Bedeutung. Oft handelt es sich bei den Kunden solcher Geschäfte um Stammkunden und nicht um Laufkundschaft.

In Mancini breitete sich ein altbekanntes Gefühl aus, er hatte den Faden gefunden, der ihn weiterbringen könnte. Doch kein hoffnungsloser Fall. Die Detailarbeit hatte begonnen. Sie würden jetzt nicht ruhen, ehe sie weitere Ergebnisse finden würden.

Die Geschäfte, die diese Hemden verkaufen, befinden sich in Washington, New York, Chicago, Los Angeles und Dallas. Mancini notierte die Adressen, anschließend loggte er sich aus, fuhr seinen Computer herunter und griff zum Telefonhörer, denn er brauchte Unterstützung, um zügig voran zu kommen.

Die örtlichen Polizeikollegen sollten herausfinden, welche Kunden in diesen Geschäften Oberhemden aus Florentiner Garn gekauft hatten.

Mancinis Blick fiel noch einmal auf das Bild, das eine Vergrößerung des Monogramms zeigte. Tief in Gedanken versunken fuhr er mit seinem Daumen die einzelnen ineinander verschlungenen Linien entlang.

„Welche Bedeutung hatte das Monogramm?“

Noch sagten die Linien ihm nichts.

Er würde es herausfinden, da war er sich sicher.

Kapitel 6

Kalifornien, „Landsend“, 2014

Von weit her drangen die Trommelschläge an mein Ohr. Sie wurden lauter, immer lauter, dann schlug ich die Augen auf.

Ich nahm die Stimme unserer Putzfrau Beth wahr: „Tom, Sie müssen aufstehen, es ist etwas schreckliches passiert.“

„Moment, ich komme“, krächzte ich.

Neben mir am Bett stand die Flasche Dalmore 25 Years – mehr als halb leer! Ich merkte, dass ich noch vollkommen angekleidet war. Mein Schädel brummte fürchterlich. Die Stereoanlage war eingeschaltet.

Ich raffte mich auf, ging zur Tür und drückte die Klinke nach unten. Vor mir stand Beth mit tränenüberströmtem Gesicht.

„Beth, was ist los?“

Ich hielt mir den Schädel, der Whiskey hämmerte von innen gegen meine Stirn.

Die kleine Putzfrau konnte sich nicht beruhigen.

„Sie sind tot, sie sind alle tot“, stammelte sie immer noch unter Tränen.

Ich wollte nicht begreifen.

„Tot? Wieso tot?“

Mein Magen begann sich zusammenzuziehen.

Langsam kamen sie zurück die Gedanken an gestern. An den Asiaten, der zusammen mit meinem Vater auf der Veranda saß.

Vorbei an Beth lief ich die Treppe hinunter zur Veranda. Da lagen die beiden Männer, wie zwei Betrunkene. So als würden sie ihren Rausch ausschlafen. Mit gespreizten Armen und Beinen. Und, mit offenem Mund. Ich ging zu meinem Vater und rüttelte an seiner Schulter: „Aufstehen, hey aufstehen!“, rief ich. Er bewegte sich nicht. Das flaue Gefühl in meinem Magen wurde noch flauer, mir wurde schwindelig. Ich beugte mich hinunter zu seinem Gesicht. Sein Mund stand offen, doch ich konnte keinen Atem wahrnehmen. Ich ergriff seinen schlaffen Arm und suchte seinen Puls. Nichts. Dann hielt ich meinen Finger gegen seine Halsschlagader. Wieder nichts. Ich konnte keinen Puls fühlen. Der Hemdkragen meines Vaters war vollkommen durchnässt. Auf dem Tisch standen eine leere Flasche chinesischer Schnaps und zwei blaue Flaschen ohne Etikett. Eine war komplett leer, in der anderen befand sich noch ungefähr ein Drittel nahezu farbloser Flüssigkeit.

„Beth, rufen Sie einen Notarzt!“

Beth, die mir auf die Veranda gefolgt war, ging ins Haus und griff zum Telefonhörer.

„Was ist mit Mum und Mary?“, ging es mir durch den Kopf. Der Asiate war mir egal.

Sofort lief ich in Richtung Schlafzimmer meiner Eltern und schrie: „Mum, wo bist du?“

Ohne zu klopfen riss ich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern auf.

Mum lag auf ihrem Bett, schlafend, mit gespreizten Armen und Beinen. Und, mit offenem Mund. Mein Puls raste als ich meinen Kopf zu ihr hinunterbeugte. Kein Atem, kein Puls. Mir wurde heiß. Ich schlug Mum ins Gesicht. Keine Reaktion. Alles um ihr Gesicht herum war total durchnässt. Auf dem Nachttischschrank sah ich dieselbe blaue Flasche wie auf der Veranda. Sie war noch halbvoll.

Ich verließ den Raum, rannte die Treppe nach oben, riss die Tür von Marys Zimmer auf. Da lag meine Schwester, mit gespreizten Armen und Beinen, mit offenem Mund. Tot. Auch sie war tot. Ihr Kopfkissen war nass, vollkommen von Wasser durchtränkt. Auch in ihrem Zimmer stand eine blaue, halbvolle Flasche, gefüllt mit einer farblosen, trüben Flüssigkeit.

Es dauerte keine zehn Minuten und der Notarzt hatte “Landsend“ erreicht. Die beiden Ärzte konnten nicht mehr machen, als den Tod der vier Personen festzustellen und die Polizei zu informieren.

Ich stierte auf die Tischplatte vor mich hin und saß vollkommen regungslos einer Stockstarre gleich in einem der schwarzen Ledersessel, als ich endlich die Stimme wahrnahm, die schon seit einiger Zeit zu mir sprach: „Inspector McLoud. Herr Scott, können Sie mich verstehen? Mein Name ist Inspector McLoud.“

Ich sah in das rotgeäderte, aufgedunsene Gesicht eines dicken Mannes mit Trenchcoat, während mir einer der Notärzte ein Beruhigungsmittel in die Vene meines linken Arms spritzte.

„McLoud, ja ich habe Sie verstanden.“

Der Inspektor sah mich aus wässerigen Augen an, sein Atem roch nach Minze und Alkohol: „Was ist passiert?“

„Keine Ahnung. Sie sind alle tot“, mehr hatte ich nicht zu sagen.

Es wurde dunkel um mich herum.

Kapitel 7

Kalifornien, 2014

Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich und McLoud trat an mein Bett.

„Guten Morgen Herr Scott, erinnern Sie sich an mich?“

„Ja, Sie sind Inspektor McLoud.“

Nachdem ich zusammengebrochen war, hatten sie mich ins Krankenhaus gebracht und ich hatte 24 Stunden geschlafen.

McLoud bat mich ihm den letzten Abend aus meiner Erinnerung heraus zu schildern. Ich konnte nichts Entscheidendes dazu beitragen. Mein Vater hatte geschäftlichen Besuch, sie tranken auf unserer Veranda als ich gegen 20 Uhr nach Hause kam. Ich erinnerte mich an den tollen Sonnenuntergang und daran dass Mutter in der Verandatür stand. Ich ging auf mein Zimmer und begann mich zu betrinken.

Warum wollte der Inspektor wissen.

„Warum?“

Es gab keinen Grund, zumindest keinen Grund, den ich ihm nennen wollte. Er war mir unsympathisch mit seinen glasigen Augen.

Dann fasste McLoud zusammen, was die Polizei bislang herausgefunden hatte. Dem Asiaten, meinem Vater, Mum und Mary war ein Schlafmittel verabreicht worden. Anschließend waren sie ertrunken, daher auch die Nässe um sie herum.

„Wie ertrunken? Ich verstehe nicht was Sie meinen?“, fragend blickte ich in McLouds glasige Augen.

Der Inspektor zog den Stuhl näher an mein Bett und setzte sich. Ich konnte seinen schlechten Atem riechen.

„Naja, der oder die Täter haben die vier Personen zunächst betäubt, um ihnen anschließend Wasser in die Lungen zu füllen. Daran sind sie dann gestorben. De facto sind sie letztendlich ertrunken. Das Wasser befand sich in den blauen Flaschen, die wir in den Zimmern gefunden haben.“

Ich verstand nicht was das sollte.

Bevor ich ihm eine weitere Frage stellen konnte, sagte McLoud: „Wir stellen uns natürlich die Frage, warum hat der Täter die Flaschen dagelassen und vor allem, warum hat er Sie nicht auch getötet?“

Stimmt, diese Frage stellte ich mir auch. Warum hat er mich leben lassen? Ich hatte keine Antwort auf McLouds Frage.

Die Kriminaltechnik des San Francisco Police Department hatte Spuren einer fremden Person in unserem Haus gefunden, die weder mir, meiner Schwester, meinen Eltern, Beth noch dem Asiaten zugeordnet werden konnten.

Der Asiate trug chinesische Papiere bei sich, die ihn als Chun Lin auswiesen. Er stammte aus der chinesischen Provinz Henan und lebte offensichtlich in der bezirksfreien Stadt Luoyang, unweit des Unterlaufes des Gelben Flusses.

Mehr Informationen gab mir McLoud nicht.

Viel mehr hegte er den Verdacht, dass ich der mögliche Täter sein könnte, denn ein Motiv für diese Tat hatte McLoud schnell zur Hand.

Geld!

Als einziger Lebender meiner Familie war ich automatisch der Alleinerbe des kompletten Vermögens meines Vaters. Die blauen Flaschen mit den Flüssigkeiten und vor allem der Mord an dem chinesischen Geschäftspartner meines Vaters waren nur ein Ablenkungsmanöver das ich gewählt hatte, um die Polizei auf eine andere Spur zu führen. Die Art wie meine Familie getötet wurde sprachen dafür, dass es sich eher um einen weniger brutalen Täter gehandelt hatte. Die Betäubung und das Einflößen der Flüssigkeit wiesen aus krimanalpsychologischer Sicht daher auf ein Verhalten hin, das McLoud einer Art Sterbehilfe zuordnete. Für ihn war somit klar, dass der Täter aus dem nächsten Bekanntenkreis meines Vaters stammte. Ich war somit der einzige Tatverdächtige mit einem klaren Motiv.