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Gerd ist nicht gerade begeistert, als seine Freundin Elfi ein Beet in einem Gemeinschaftsgarten mietet. Trotzdem geht er ihr zur Hand und stellt verwundert fest, dass er einen grünen Daumen hat. Bald schon bindet er voller Eifer Tomaten auf, setzt Kartoffeln und siebt Kompost. Als eine Nachbarin eine skurrile Intrige gegen den Garten anzettelt, zögert er nicht, vehement gegen sie vorzugehen - was aber nur dazu führt, dass Elfi und er kurzerhand des Gartens verwiesen werden. Angespornt durch diese Niederlage gelingt es ihm, am Stadtrand ein neues Grundstück zu pachten, auf dem er den Gemeinschaftsgarten seiner Träume errichten will. Die bunte Truppe, die sich zusammenfindet und Beete anlegt, Hackschnitzel verteilt sowie eine Hütte aufstellt, erfüllt Gerd ganz mit Glück und Stolz, während Elfi realistisch bleibt: Schon die erste Ernte besteht nicht nur aus Karotten, Brokkoli und Kraut, sondern auch aus Neidwurz, Eifersuchtskartoffeln und Lästermelisse. Als Gerd endlich aus seinem idealistischen Traum erwacht, muss er erkennen, dass seine grüne Utopie verloren ist, wenn er sie nicht entschlossen verteidigt. In einer kräftigen, bildreichen Sprache erzählt Christian Lorenz Müller von der Sehnsucht nach einer Welt, die durch das eigene Handeln ein klein wenig besser wird – und von Wünschen und Überzeugungen, die nur durch eine gehörige Portion Realismus Wirklichkeit werden können.
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Seitenzahl: 315
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das bei der Produktion dieses Buches entstandene CO2 wurde durch die Finanzierung von Klimaschutzprojekten kompensiert.
Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert von:
www.omvs.at
ISBN 978-3-7013-1320-4eISBN 978-3-7013-6320-9
© 2024 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Christine Rechberger
Gestaltung: wir sind artisten
Illustrationen: unter Lizenz von Shutterstock.com und iStock.com
Autorenfoto: Gabriele Kriks
Druck und Bindung: Florjančič tisk
Christian Lorenz Müller
Roman
Radieschen (lat. radix, „Wurzel“), ist ein kleiner, außen rötlicher Rettich mit scharfem bis hitzigem Geschmack. Das Radieschen wächst schnell bis stürmisch und will rechtzeitig aus der Erde genommen werden, wenn es nicht ungenießbar holzig schmecken soll. Nach der Ernte ist zum sofortigen Verzehr zu raten, da es sich nicht lange lagern lässt.
Erster Teil: KRUMME GASSE
1 FENSTERLÄDEN AUS ERDE, DIE SICH ÖFFNEN
2 KENNENLERNEN IM DURCHASSELTEN ECK
3 KNOLLEN IN DIE ERDE BETEN
4 DER ABGRUNDTIEFE TEICH
5 HINTER EINER GARDINE AUS CHLOROPHYLL
6 HINRICHTUNG BITTE PER EINSCHREIBEN BESTÄTIGEN!
7 FRONLEICHNAMSPROZESSION MIT STANGENBOHNEN
Zweiter Teil: STRASSE DER SCHAUFLER
1 DURCH EINEN WOLKENBRUCH IN DIE SONNIGE ZUKUNFT
2 SCHEIBTRUHEN-ERSCHÖPFUNG
3 EIN POTENZIELLER GARTEN-AUTOKRAT BESCHRÄNKT SICH SELBST
4 EIN RADIESCHEN-PLAN MIT BLUMENWURZEL
5 EIN MENSCH WÜHLT SICH ZUM MAULWURF
6 KAMPF MIT DER KAPPZUGSÄGE
7 ABENDLICHE ERÖFFNUNGSREDE MIT MITTAGS MARINIERTEM FLEISCH
Dritter Teil: AUF DEM HACKSCHNITZELWEG
1 EINE SAKKO-FLEDERMAUS FLATTERT GEGEN ARBEITSHOSEN
2 VORSTANDSSITZUNG IM KANINCHENSTALL
3 STEAK UND BIER ALLEIN MACHEN NOCH KEINEN KAKTUS
4 EIN VORWURF MANGELNDER KOLLEKTIVITÄT VON DER COSTA SMERALDA
5 ERTRINKENDE GIESSKANNEN
6 GOLDSUCHE AUF GARTENGRUND
Anmerkung
Es war Frühling geworden. Warum hatte die Fichte vor dem Fenster seines Arbeitszimmers ihm das so lange verheimlicht? Ihr bräunlich gewordenes Nadelwerk zeigte noch immer keine Anzeichen von frischem Grün, während es hier, in dieser ruhigen Gasse, bereits kräftig aus allen Knospen drängte: Links zog eine Weide ihre Hängeäste als feinblättrige Gardine vor die Glasfassade einer modernen Villa; auf der anderen Straßenseite verwehrte eine drei, vier Meter hohe Hecken-Jalousie den Blick auf das Latifundium, das sich dahinter befinden musste. Ausgerechnet in dieser gediegenen Gegend sollte sich der Gemeinschaftsgarten befinden? Elfi musste ihm die falsche Adresse gegeben haben.
Wie eigenartig, dass die Gasse plötzlich im 90-Grad-Winkel nach links knickte, sie tat, als ginge es nicht mehr länger geradeaus, sie zwang ein dickes Auto, das eben an Gerd vorbeigerollt war, in eine ganz neue Richtung. Auch hier gab es eine Hecke, aber sie war licht und lückig, und dahinter stand keine Villa, dahinter sah es aus, als würden zwei Reihen von großen braunen Fensterläden auf dem Boden liegen: Das waren die Beete, hier war er richtig.
Über dem Grundstück stand die einzige Wolke weit und breit, es war eine weiße Birnbaum-Wolke, aus der Blühschnee vor seine Füße fiel und auf den Sattel von Elfis Fahrrad, das an der Hecke lehnte. Ein Gartentürchen, das mit rostig gewordenem Maschendraht bezogen war, und dahinter ein drei, vier Meter breiter Rasenstreifen mit einem Biertisch darauf, nein, das war kein ordinärer Biertisch, das war eine festliche Tafel, über die der Birnbaum ein leuchtend weißes Tischtuch gebreitet hatte.
Als Kind war er im Herbst gerne zum Birnenklauben gegangen, unbekümmert selbst um die Wespen, die Löcher in das gärig gewordene Fleisch gefressen hatten. Nie war es ihm schwergefallen, die wenigen Früchte, die keine braunen Prellstellen aufwiesen, zu finden und in einen Kübel zu legen, den er, vollgemacht, stolz zu seinen Großeltern getragen hatte.
Die weiße Wolke schwebte auch über dem Gartentürchen, sie machte es ihm leichter einzutreten; die Angeln quietschten, kündigten ihn an.
Da ist er ja. Endlich! Hat er die Rezension doch noch fertiggekriegt. Gelesen bis 3 Uhr nachts, fünf Stunden Schlaf und dann bis 12 Uhr mittags formuliert, da ist es kein Wunder, dass sein Gesicht ganz grau ist. Die Sonne wird ihm guttun. Ich mag es nicht, wenn er liest und liest und schreibt und schreibt. Dann verkrümmt er sich über der Tastatur zu einem Fragezeichen, und ein Fragezeichen ist er auch jetzt, ein ganz dünnes, trotz der weiten Trekkinghosen und der Fleecejacke, die er angezogen hat. Je länger er am Schreibtisch sitzt, desto ähnlicher wird er dem Zeichen, das er so gerne benutzt. Er will, dass die Leute, die seine Besprechungen lesen, sich am Kopf kratzen, deswegen stellt er ihnen immer wieder Fragen. Ausrufezeichen nimmt er dagegen fast nie her: Wirken unfein und nützen sich sofort ab. Ach, es würde ihm bestimmt nicht schaden, einmal ein Ausrufezeichen zu sein. Einfach mal dazustehen und zu sagen: Hier bin ich! Laut und unfein, aber dafür sehr gerade!
„Hey, Gerd, hierher! Hier ist unser Beet!“
Er dreht sich in meine Richtung, nimmt die Bildschirmbrille, die er wieder mal auf seiner Nase vergessen hat, ab und lässt seinen Blick durch den Garten schweifen, sieht mich am Boden knien und muss lächeln. Nun tapst er auf mich zu. Ich werde ihm im Sommer die Schuhe ausziehen, damit er barfuß über die Hackschnitzel geht, die die Wege zwischen den Beeten auspolstern. Das hält die Schnecken ab und man watet bei Regen nicht im Schlamm, hat Doris gesagt. Außerdem riecht es gut: scharf und frisch nach Rinde und nach Holz.
„Na, da warst du ja schon fleißig.“ Gerd blickt in den Kübel mit dem Unkraut, das ich bereits ausgerissen habe, dann besinnt er sich und beugt sich pflichtbewusst zu mir herunter. Der Kuss, den er mir auf die Wange gibt, fühlt sich entsprechend fad an, aber ich will mal nicht so sein. Ich kenne ihn ja. So richtig aus sich heraus geht er nur, wenn er sich unbeobachtet fühlt.
Ich erzähle ihm, dass ich den Kübel schon zweimal vollgerupft habe. Zweimal habe ich den Inhalt auf den Komposthaufen geleert, und trotzdem ist kaum ein Drittel des Beets gejätet.
„Aha, Franzosenkraut!“ Er holt eine von den lappigen Pflanzen, die sich so leicht ausreißen lassen, aus dem Eimer. „Das hat meine Oma früher immer in den Salat getan.“ Versonnen schaut er den spärlich beblätterten Stängel an, dann legt er ihn zur Seite, auf Franziskas Beet, das schon ganz akkurat hergerichtet ist. Vor Kurzem hat sie Salatpflänzchen gesetzt, und etwas Dunkelgrünes treibt auch schon in Reihen aus der Erde. Ist das vielleicht Spinat? Kann man den noch säen, oder bin ich da schon zu spät dran?
„Bisschen mühsam mit dem winzigen Werkzeug, meinst du nicht?“ Gerd deutet auf die spitze kleine Hacke, die vor mir auf dem Rindenzeug liegt. „Das Unkraut muss mit den Wurzeln aus dem Boden. Sonst wächst es sofort wieder nach.“ Er nimmt die Brille, die er vorhin wieder aufgesetzt hat, neuerlich von der Nase und gibt sie in ein Futteral, das er aus der Hosentasche gezogen hat. Ich hasse diese Brille, diese kleinen runden Fenster, die er vor sein Gesicht hängt, wenn er liest oder vor dem Computer sitzt. Erst wenn er diese Butzenscheiben aufmacht, beginnt er wirklich zu registrieren, dass es neben seiner Arbeit auch noch etwas anderes gibt. Mich zum Beispiel.
Ich komme aus den Knien hoch und umarme ihn trotz meiner erdigen Arbeitshandschuhe, ich drücke ihn, obwohl ich weiß, dass er das peinlich findet, weil uns ja jemand sehen könnte, und ich reibe meine kleine stupsige Nase gegen die seine, die so scharfrückig ist, dass die Brille dort, wo ihr Bügel aufliegt, rote Stellen hinterlassen hat, dann nehme ich Gerd an der Hand. „Komm, ich zeige dir den Garten! Ist er nicht schön? Ich bin schon so gespannt, wie das alles aussehen wird im Sommer!“
Alles war ziemlich eng gewinkelt. Der Mittelgang zwischen den beiden Beetreihen erlaubte es nicht einmal, nebeneinander herzugehen. Wer die Pfade, die links und rechts davon abzweigten, benutzen wollte, musste die Ferse direkt vor die Zehen setzen, um nicht in die Beete zu treten.
Die einzelnen Minifundien unterschieden sich erstaunlich stark voneinander: Ganz vorne, an dem Rasenstreifen mit dem Biertisch, waren sie von selbstbewusster Breite, je weiter ihn Elfi jedoch auf die Hecke zuführte, desto schmäler wurden sie. Vorne Einfassungen aus gediegenen Brettern, hinten umkränzten einmal Steinchen die saunahandtuchbreiten Flecken, einmal hatte jemand sein Revier mit lauter Pflöcken abgegrenzt, und um das letzte Beet waren sogar bloß ein paar mickrige Äste geflochten worden. Aber die Erde sah bei ausnahmslos allen bereits umgestochen oder aufgehackt aus.
Gerds Großvater hatte manchmal an einer alten Kreissäge Fichtenstämme zu dicken Brettern geschnitten, die er „Laden“ genannt hatte. Wenn sich der Rezensent recht erinnerte, bezeichnete man im Mittelhochdeutschen so zunächst das große Brett, auf dem die Betreiber eines Verkaufsstands ihre Waren präsentierten. Später erst wurde „Laden“ zum Synonym für ein Geschäft oder einen Verkaufsraum. Die Kreissäge war ohrenbetäubend laut gewesen, selbst für den kleinen Gerhard, der nicht direkt an der Maschine gestanden war, sondern nur Material herbeigeschleppt hatte, armdicke Äste beispielsweise, die unter Gekreisch und Geheul in unterarmlange Stücke zerfallen waren. Mehliger Schnee war aus dem Schuppen geweht, in dem ein Gebirge aus kleingemachtem Holz zur Decke gewachsen war.
Gerd hatte keine Kreissäge, er würde zum Baumarkt fahren müssen, denn die Bretter, die das Beet einfassten, waren mürbe, morsch und faulig – aber was machte er sich eigentlich derartige Gedanken, es handelte sich doch allein um Elfis Beet, sie musste sich darum kümmern. Wenn er auch nur eine einzige Arbeit erledigte, folgte gewiss der Auftrag für die nächste, er kannte seine Freundin, er musste sich wehren, sonst hatte sie ihn wieder einmal komplett in der Hand.
Elfi zog ihn weiter, zu den Beerensträuchern, die im hinteren Teil des Gartens parallel zur Hecke wuchsen. Rechts im Eck schimmerte ein winziger Teich, wasserläuferüberzuckt. Seine Ränder standen voll von trockenem Schilf, nein, das war kein Schilf, das waren die abgestorbenen Blätter der Sumpfschwertlilie, und hie und da schnitt schon etwas Grünes durch die Wasseroberfläche, die Pflanze trieb wieder aus. Der Weiher, den Gerd in einem anderen, jüngeren Leben angelegt hatte, war mindestens dreimal so groß gewesen. Daneben hatte er einen Nussbaum gepflanzt, der schnell sehr groß geworden war und das Wasser beschattet hatte. Hier hingegen gab es direkt neben dem Teich eine Kräuterschnecke, deren Steine sich bis auf Hüfthöhe hinaufspiralten und die unter lauter Unkraut kaum noch zu sehen waren. Einen Salbeistrauch immerhin konnte man noch zwischen jungen Brennnesseln erkennen und auch ein wenig Rosmarin stachelte hervor.
Elfi dirigierte ihn die Ribislsträucher entlang. Draußen auf der Straße brummte ein Auto um die 90-Grad-Kurve, und auch seine Freundin wendete sich scharf nach links in Richtung Gartentürchen. Der Weg war so schmal, dass er hinter ihr hergehen musste. Links wurde der Pfad von der ersten Beetreihe, rechts von einem langgestreckten Pfahlbau begrenzt. Unter einer ähnlichen Konstruktion hatte Gerds Opa sein Brennholz gelagert: Ein paar mannshohe Stempen in den Boden geschlagen, oben mit Querhölzern verbunden, eine Plane als Dach darüber, fertig. Hier handelte es sich allerdings um das „Tomatenhaus“, wie ihm Elfi eifrig erzählte. „Tomaten brauchen nasse Füße und einen trockenen Kopf, deshalb das Dach“, zitierte sie eine gewisse Doris, die ihr sehr sympathisch zu sein schien. Leider war zum Glück für Gerd gerade keiner von den fünf oder sechs Tomatenhausflecken, die sich für ein paar Euro im Jahr zum Beet hinzupachten ließen, frei. Der vorderste, schönste, gehörte Doris, genauso wie das grundsolide eingefasste Beet gleich neben dem Rasenstreifen.
Elfi führte ihn an dem Biertisch vorbei, in dessen Nähe etwas Langrutiges wuchs, etwas zwischen Strauch und Baum, von dem Gerd vermutete, dass es sich um eine Vogelkirsche handelte, und dann musste er sich das Eck mit den Komposthäufen ansehen, die unter all dem abgeladenen Grünzeug kaum zu erkennen waren, man hatte Grassoden, Zweige und grau schimmelnden Rasenschnitt wild darübergeworfen, und nun wurde Gerd gefragt, ob er am Samstag Zeit dafür habe, diese „Erde“ zu sieben, „zusammen mit den anderen“, denn am kommenden Wochenende sei das offizielle Garten-Opening, da könne er die ganzen anderen Gärtnerinnen und Gärtner kennenlernen, und Gerd sagte: Nein, habe keine Zeit, nein, will die anderen gar nicht kennenlernen, lass mich in Ruhe, Elfi, du wolltest das, nicht ich, jetzt musst du auch selbst schaufeln und schwitzen, ich will wieder an den Schreibtisch, da habe ich lauter Beete namens Dateien, in denen es massenhaft sprachliches Unkraut zu rupfen gilt, ich … Gerhard wollte nichts lieber sagen, aber wie stets in solchen Situationen gab er keinen Ton von sich, er wartete bloß darauf, dass Elfi sein Schweigen verstand und ihn wissen ließ, dass er ihr nicht zur Hand zu gehen brauche, wenn er das nicht wolle, aber wenn sie das sagen würde, wäre er nicht mit ihr zusammen, sondern mit einer ganz anderen Frau. Elfi also sagte: „Das tut dir ganz gut, wenn du mal aus deiner Höhle rauskommst, du Einsiedler. Ich wette, es gefällt dir sogar!“ Und wie immer in solchen Situationen konnte Gerd ihr nicht gram sein, wie immer wusste er, dass sie die Wahrheit sprach, wie immer bewunderte er sie dafür, dass sie sich so mir nichts, dir nichts für etwas begeistern konnte, und dass diese Begeisterung sich auch körperlich zeigte, mit roten Wangen und einem Haar, das sich halb aus seinem Gummiring gelöst hatte und brünett in ihren Nacken zottelte; Elfi war so eifrig bei der Sache gewesen, dass ihr warm geworden war und sie ihre Jacke längst abgelegt hatte, sie trug ein weißes T-Shirt mit einem Hund darauf, einem Setter, der eine goldene Krone aufhatte, und darunter stand I’m the King!, sie hatte dieses unmögliche Kleidungsstück von einer Freundin geschenkt bekommen, an der es einfach nur lächerlich ausgesehen hatte, aber Elfi stand es, sie konnte alles anziehen, ohne dass es geschmacklos wirkte, dieser gekrönte, dickliche Setter ließ Gerhard ihre schlanke Luftigkeit nur noch stärker spüren, er war hingerissen von Elfi, immer noch, er machte, was sie wollte, er siebte sogar Erde mit Leuten, die er nie zuvor gesehen hatte, nur damit sie nicht aufhörte zu lachen und fröhlich zu sein in diesem Garten, der tatsächlich schön war, er konnte ja einen Spaten und eine Hacke aus der Holzhütte, die gleich neben dem Komposteck stand, herausholen und ihr ein wenig zur Hand gehen, der Nachmittag war warm, so warm, dass es wirklich schade gewesen wäre, ihn allein vor dem Bildschirm zu verbringen.
Da schau her, das Fragezeichen strafft sich. Noch ist es kein gerades, aber immerhin ein schräges Ausrufezeichen, das da über dem Spaten steht. Hätte ich Gerd gar nicht zugetraut, dass er so anpacken kann. Anpacken und von seinem Opa erzählen, den er sehr gern gehabt hat. Und natürlich von der geliebten Oma reden, die ihm gezeigt hat, wie das Umgraben geht. Er lockert die Erde mit ein paar kräftigen Spatenstichen, lässt dann die Hacke darauf niederfahren, bis alles ganz grün zerfetzt ausschaut, und anschließend packt er das Unkraut ganz unten an seinem Strunk und beutelt die Erde von den Wurzeln. Auf Franziskas Beet liegt bereits ein großer Haufen von diesem Franzosenzeugs. Will Gerd das heute Abend alles in den Salat tun? Sein Gesicht ist schon ganz rot, ich hätte Sonnencreme mitnehmen sollen.
Schade, dass ich den Bauernhof seiner Großeltern nicht mehr kennengelernt habe. Es wäre schön für mich gewesen zu sehen, wo Gerd als Kind am liebsten gespielt hat. Wenn er mir davon erzählt, vergisst er, so zu tun, als sei er sein Leben lang erwachsen gewesen, es ist, als hätte er nicht Tausende von Büchern, sondern bloß Pippi Langstrumpf gelesen. Plötzlich merkt er, dass er nicht nur einen Kopf, sondern auch einen Bauch hat. Und jetzt ist das ebenfalls so. Er hackt auf die Erde ein, als hätte er nie etwas anders getan. Fast schon beängstigend schnell schwindet das Unkraut von unserem Beet.
Das ist Gerds Charakter: Er macht immer alles fertig. Er vermag es nicht, ein Buch zu besprechen, das er nicht von vorne bis hinten gelesen hat, obwohl er ganz genau weiß, dass seine Kollegen ganz anders arbeiten. 150 bis 200 Euro gibt es pro Rezension, egal, ob ein Werk 40 oder 400 Seiten hat. Jeder vernünftige Mensch würde da kalkulieren und ein bisschen schneller lesen. Er nicht. Ich kann ihm einfach nicht beibringen, mal ein wenig schlampiger oder auch nur schludriger zu sein. Aber daran, dass er sich öfters entspannt und nicht alles so ernst nimmt, arbeite ich. So wie jetzt, wo ich ihn anweise, das Gras vorne in der Ecke stehen zu lassen.
„Wieso denn das? Da wächst dir das Beet doch bald wieder zu!“ Mit der erhobenen Hacke steht er da, fast schon entrüstet sieht er aus. Der Schweiß seiner Mühen säuert ihm aus jeder Pore.
„Weil dort ein Löwenzahn wächst. Die Blätter kann man auch in den Salat tun, gell?“
„Ja, aber Löwenzahn kann man doch auf jeder Wiese …“
„Das ist mein Beet, oder nicht?“, frage ich ihn keck.
Er muss grinsen. „Ja, klar. Du kannst auf deinem Beet anbauen, was immer du willst. Auch Gras und Löwenzahn.“
So gefällt er mir: Wenn er sich nicht dünner macht, als er ist. Wenn er mal ein paar Muskeln zeigt und schwitzt und rot im Gesicht wird. Wie seltsam es doch ist, dass es mir überhaupt nicht vor ihm graust, immer noch nicht, und das nach all den gemeinsamen Jahren! Seine Hose ist an den Knien schon ganz braun vor Erde, das verwaschene graue T-Shirt färbt sich unter den Achselhöhlen dunkel. Ich werde ihm ein paar Arbeitsleibchen kaufen, enge, die nicht gar so sehr um seine Schultern schlottern. Damit würde er richtig fesch aussehen. Und ordentliche Handschuhe braucht er auch.
Ich habe es ja gewusst: Der Garten wird ihm guttun. Und Doris und Franziska und die anderen, die ich selbst noch nicht kenne, auch.
Nichts anderes als ein Komposthaufen war dieser Roman. Ein Komposthaufen, auf den gleich zu Anfang eine Menge hölzerner Formulierungen geworfen worden sind, vielleicht in der irrigen Hoffnung, dass sie sich im Lauf der weiteren Kapitel zu nahrhafter literarischer Erde zersetzen werden – nein, das konnte Gerd so drastisch nicht formulieren. Herwig wollte ja eigentlich keine Kritiken mehr für sein Feuilleton, er verlangte „Leseempfehlungen“. Es ging ihm darum, die Leute dazu zu ermuntern, überhaupt einmal nach einem Buch zu greifen. Ein Unding! Gerhard verstand sich nun einmal nicht als Werbetexter, er war ein … aber da tauchte schon wieder ein neuer Gärtner auf, ein ziemlich großer Mann in Gerds Alter, mit rötlichem Bart, Glatze und kräftigem Händedruck, der eine Mistgabel in seiner Linken trug. Er stellte sich als Ekke vor, von Ekkehard komme das. Er wisse bis heute nicht genau, warum ihn seine Eltern ausgerechnet so genannt hätten, schließlich sei Ekkehard an sich schon ein eher hart klingender Name. In Südtirol, wo er herkomme, höre sich Ekke unerträglich krachkehlig an. Deswegen sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als auszuwandern.
Sein Grinsen gefiel Gerd ganz ausgezeichnet. Während Helmut, die Schaufel in der Hand, noch mit Elfi plauderte, machte sich Ekke gleich am Kompostplatz zu schaffen, er gabelte das Ast- und Zweigwerk, das sich über dem Haufen verwirrt hatte, tiefer hinein ins Gebüsch. Zum Vorschein kamen vier große Körbe aus Drahtgeflecht. Gefüllt waren sie mit weitgehend unverrotteten Stängeln, Ästen und Blättern. Auf dem vordersten Korb lag der Kopf einer Sonnenblume, nein, das war kein Kopf, das war ein Auge, denn nur in seiner Mitte saßen pupillenhaft dunkel noch ein paar Kerne, und dieses Auge starrte Gerhard misstrauisch an, bis es von Ekkes Gabel erfasst und zwischen die Büsche befördert wurde.
„Ich bin Lehrer, aber nicht so richtig. Zum Glück unterrichte ich bloß Werken und Kunst. Und was machst du beruflich so?“, fragte Ekke.
Gerd erzählte es ihm und nannte auch seinen Nachnamen, was Ekkes Augen freudig aufblauen ließ. „Was, du bist der Antlasser? Der aus der Zeitung?“
Gerhards Nicken hatte ein ausführliches Lob für seine Besprechungen zur Folge. Besonders die Verrisse lese er, Ekke, mit großem Genuss. „Willkommen im Quartiersgarten, Gerd!“ Er kniete sich nieder, aber nicht vor seinem verehrten Rezensenten, sondern vor den Komposthäufen: „Hm, die Enden der Korbgeflechte sind mit Draht zusammengebunden. Vielleicht finden wir in der Hütte einen Seitenschneider, mit dem wir den Draht zerzwicken können. Komm, schauen wir mal.“
Die beiden schlüpften aus der Kompostecke und gingen an Helmut vorbei, der noch immer auf Gerds Freundin einredete. Seinen modernen Arbeitshosen waren derart viele Taschen aufgenäht, dass sie fast schon flickig aussahen. Den mehrmals durchstochenen Rand seines linken Ohrläppchens wand sich ein spiralförmiges Piercing entlang. Schwarzglänzendes, zu einem Großstattdutt zusammengebundenes Haar und Kaiser-Franz-Joseph-Koteletten.
Ekke stieß die Tür der Hütte auf. „Saustall, elendiger!“ Eintretend sah Gerhard im Dämmerlicht die Spaten, die Rechen wild an den Wänden lehnen, Gießkannen lagen auf dem Boden herum; rechts in der Ecke stand ein Tisch, auf dem sich Kisten und Säcke türmten. Es roch ein wenig modrig, aber auch leicht und duftig nach Heu. Ekke stieg über die Gießkannen und zerrte eine Werkzeugkiste aus Metall unter dem Tisch hervor, quietschte sie auf. „Kein Seitenschneider mehr, aber immerhin eine Kombizange. Das geht auch.“
Gerd stimmte zu. Hoffentlich würden Ekke und er die ganze Arbeit nicht allein erledigen müssen. Treffpunkt war um drei gewesen, jetzt hatten sie es schon halb vier, und noch immer war nichts von den zehn oder zwölf Leuten, die sich angeblich angekündigt hatten, zu sehen. Selbst die vielgepriesene Doris hatte es bisher nicht für nötig befunden, aufzutauchen.
Puh, ist das anstrengend! Das Metallsieb liegt auf der Scheibtruhe, und ich soll das stachelige Kompostzeug, das Gerd mir draufgegabelt hat, mit der Schaufel hin- und herschaben. Die Erde, die drin ist, fällt dann durch das Gitter, und anschließend muss ich alles, was übrig bleibt, also alle Zweiglein und Stecken, über den Rand des Siebs auf den Boden stoßen. Die Steine, die zum Vorschein kommen, soll ich in einen Kübel sortieren. Schon jetzt tun mir die Handgelenke weh. Eine halbe Stunde Arbeit, und es ist noch nicht einmal die erste Scheibtruhe voll! Ich muss die Schaufel wegstellen und ein bisschen pausieren.
Helmut macht sich drüben bei den Tomatenhäusern zu schaffen. Das Sirren seines Akkuschraubers ist bis hierher zu hören. Franzis Freund geht ihm dabei zur Hand. Wie heißt er gleich noch mal? Rainer? Er ist zwar nicht besonders groß, aber oben ziemlich muskelbreit. Ein richtiges Tüteneis! Damit das Eis in der Frühjahrssonne nicht schmilzt, hat es einen Strohhut auf, denn Rainer ist hellhäutig und blond – ganz anders als Franzi, die eine italienische Mutter hat. Wilde schwarze Locken und dunkle Augen, aber trotzdem kein südländisches Temperament. Gegen Doris wirkt sie eher freundlich verhalten, und trotzdem ist sie nett. Alle hier sind nett! Gerd und Ekke lachen hinten im Kompostwinkel, sie scheinen sich bestens zu verstehen. Gleich werden sie Nachschub bringen. Ich muss wieder an die Arbeit. Meine armen Handgelenke! Ich kratze und schabe und in der Scheibtruhe laufen die aufgestörten Asseln und Käfer durcheinander und es riecht erdig und feucht. Nein, ich kann nicht mehr. Besser, ich gehe Franzi zur Hand, die in der Hütte herumbumpert. Aufräumen ist schließlich auch eine wichtige Sache.
Die Kübel und die Gießkannen, die Franzi vor die Tür gestellt hat, beschäftigen Justine gerade sehr. Ein Gefäß nach dem anderen schleppt das kleine Mädchen zu dem „Mann mit dem einen Arm“. So nennt sie die Wasserpumpe, die vor der Hütte steht. Helmut will sie heute noch in Gang setzen. Er sagt, dass er alles Mögliche reparieren kann, weil er gelernter Schlosser ist. Am Neusiedlersee haben Doris und er ein Ferienhaus, wo er bald einen eigenen Bootssteg bauen wird.
Justine gibt mir eine Gießkanne und plappert etwas vor sich hin, das ich nicht recht verstehe. Erst als sie auf die Pumpe zeigt, begreife ich, dass ich die Kanne füllen soll. Ich gehe in die Knie und erkläre dem Mädchen geduldig, dass ihr Papa den Mann mit dem einen Arm erst verarzten muss. Justine hat die hellen Augen ihrer Mutter, es ist, als würde die Pupille auf der Iris schwimmen, auf fast schon türkisem Wasser, bei dem man bis auf den Grund hinuntersehen kann.
„Ist der Brunnenmann sehr krank?“, piepst Justine und macht ein trauriges Gesicht.
„Nein, er wird bestimmt wieder gesund, wenn wir ihm einen Verband anlegen.“ Die Kleine ist ganz meiner Meinung. Sofort macht sie der Pumpe mit meinem Halstuch, das mir sowieso viel zu heiß ist, eine Bauchbinde. Sie fremdelt kein bisschen, nicht einmal gegenüber Gerd, der Kindern oft Angst einjagt, weil er unbeabsichtigt finster schaut. Justines vertrauensvolles Verhalten hat Doris zufolge damit zu tun, dass das Mädchen mehr oder minder in diesem Garten, in dem es ständig mit neuen Menschen zu tun hat, aufwächst. Aber jetzt muss ich wirklich Franzi zur Hand gehen, die gerade eine große Plastikkiste ins Freie trägt.
„Da waren mal lauter Samentütchen drin!“, ruft sie mir zu. „Es sind nur mehr Papierfetzen übrig. Haben alles die Mäuse gefressen. Überall ist Kot. Wir müssen die ganze Hütte auskehren. Schöne Bescherung.“
Krümelig-locker bedeckte die Erde den Boden der Scheibtruhe, ein Regenwurm wand sich hindurch. Es roch dunkel und schwer nach Feuchte und Fäulnis, das erinnerte Gerd an die geheimen Winkel, in denen er und seine Cousins früher so gerne gestöbert hatten. Für Kinder gab es nichts Spannenderes, als durch einen großen alten Bauernhof zu streifen – aber wo waren heute die Scheunen und Ställe, die duftenden Heustöcke und die staubigen Getreidelager, wo die Kühe, die Schafe, die Hühner? Wo erfuhr heutzutage ein Kind das Winkelige, Ungerade, Ungepflegte, das Abseitige und Nutzlose, den Schrott, der zwischen Brennnesseln rostete? Wo, wenn nicht in den stillen Ecken und Enden, begriff das Kind etwas vom poetischen Wesen der Dinge? Selbst in den Dörfern gab es kaum noch richtige Bauernhöfe; Spielplätze wurden nicht länger vom Zufall geschaffen, sondern von Spezialfirmen angelegt. Aber immerhin konnte Helmuts Tochter hier im Quartiersgarten die Wasserläufer über den winzigen Teich gleiten sehen, sie konnte sich im Kompostwinkel verlieren und sich hinter der Hütte verstecken.
Ekke gabelte einen Schwung spelziger Erde auf das Sieb. Mit einem scharrigen Geräusch zog Gerhard die Schaufel über das Gitter, hin und zurück, hin und zurück, und er erinnerte sich, wie er mit zehn oder zwölf bei den Großeltern übernachtet hatte und unbedingt um 5 Uhr morgens hatte aufstehen wollen, um seinem Opa im Stall zu helfen, wo zuerst die Mistgitter abgeräumt werden mussten. Die Kuhfladen enthielten jede Menge Wasser, sie waren so schwer, dass er große Mühe damit hatte, sie mit der Schaufel, die auch nicht gerade leicht war, in die Scheibtruhe zu befördern, aber er gab nicht auf, er versuchte sogar, die Truhe hinaus auf den Misthaufen zu rollen, über einen feuchten, glitschigen Holzladen, und nicht nur einmal zeigte sich Gerd dabei nicht stark, nicht geschickt genug, und alles ging daneben.
„Na, das schaut ja gut aus. Endlich mal einer, der anpacken kann!“, rief Ekke dem Neuling zu. Auch der Lehrer hatte inzwischen zur Schaufel gegriffen. In der Erde, die auf Gerds Siebgitter flog, befand sich bereits viel weniger Gezweig als zuvor.
Was eigentlich sollte geschehen, wenn die Scheibtruhe voll war? Holte sich dann jeder, der das wollte, eimerweise Erde für sein Beet, auch wenn er gar nicht mitgeholfen hatte? Elfi würde diese Frage sicher nicht verstehen, Elfi hatte empfindliche Hände und räumte die Hütte auf, jeder tat das, was er am besten konnte, und deswegen stand ein Gerhard Antlasser im Eck und mühte sich mit der niedrigsten Arbeit, weil Elfi zu wissen glaubte, dass er keinen Sinn für Ordnung hatte und handwerklich völlig unbegabt war.
„He, Irmi“, schrie Ekke, der eine weitere Schaufel Rohkompost über dem Sieb ablud, zu dem Haus hinüber, das gleich hinter dem Rasenstreifen mit dem Biertisch stand. „Hast du die Raubtiere endlich satt gekriegt? Dann kommt rüber. Es ist eine Menge zu tun!“
Zwischen dem Garten und dem angrenzenden Grundstück gab es keinen Zaun, nur ein paar Büsche, die einmal eine Hecke gewesen sein mussten. Das langgestreckte zweistöckige Gebäude passte nicht recht in diese vornehme Gegend. Es befanden sich mindestens vier Wohnungen darin, gab es doch parterre zwei kleine Terrassen, überdacht von zwei Balkonen, deren Brüstungen in einem auffällig grellen Rot gestrichen worden waren. Aus der Glastüre rechts unten schob sich nun eine seltsam bucklige Frau mit zwei Häuptern, die beinahe gleichzeitig zu sprechen begannen: „Wir kommen bald rüber“, rief der eine, blondhaarige Kopf; der andere, kleinere, dessen Frisur sich wild gen Himmel verwirrte, gab im Quengelton zu verstehen, dass er gerade überhaupt keine Lust dazu habe, in den „doofen Garten“ zu gehen.
„Darf ich vorstellen: Meine Frau und meine Tochter. Da drüben wohnen wir.“ Der Stiel von Ekkes Schaufel zeigte auf das doppelköpfige Wesen. „Und über uns hausen die Nothgassners. Das sind auch Gärtner.“
„Praktisch. Da könnt ihr euch wirklich jeden Tag Gemüse für den Kochtopf holen.“
„Ja, manchmal machen wir das. Wenn die Raubtiere bei der Oma sind.“ Weiterhin Erde schaufelnd, erzählte Ekke, dass seine Kinder, Konsta und Leri, behaupteten, eine Allergie gegen alle grünen Nahrungsmittel entwickelt zu haben. Sie äußere sich in einem Ausschlag auf der Zunge, der freilich sofort verschwinde, wenn sie den Mund aufmachten. Am liebsten hätten sie Fleisch und Wurst, was bei einer Mutter, die seit zwei Jahren vegane Experimente mache, nicht auf Gegenliebe stoße. „Und welche kulinarischen Vorlieben hast du so?“, fragte Ekke, der sich, pausierend, auf den Stiel seiner Schaufel stützte. „Viel Salat wahrscheinlich, mager wie du bist, oder? Wenn du jetzt ja sagst, wissen das morgen sogar die Wühlmäuse im hintersten Eck. Manchmal habe ich das Gefühl, hier wachsen keine Radieschen, sondern rote Ohren.“
Das waren ja schöne Aussichten! Ein Grund mehr für Gerd, sich zu verdünnisieren, wenn Ekke und er erst zwei, drei Scheibtruhen vollgemacht hatten. Elfi konnte für den Rest der Saison zufrieden mit ihm sein. Über das Getuschel und Geraune, den Neid, den Zank und die Eifersucht im Garten sollte sie ihm beim Abendessen berichten. Ein Gespräch mit Ekke ließ sich auch in einem Kaffeehaus führen.
Doris lächelt in meine Richtung, kaum dass sie das Gartentürchen aufgestoßen hat. Schwer schleppt sie an einem großen Korb, in dem ein Klingeln und Klirren ist, als sie ihn auf dem Biertisch abstellt.
„Hallo, allerseits! Wahnsinn, alle schon fleißig am Arbeiten. Super!“ Kaum hat sie Gerd gesehen, der krumm verkrampft die Schaufel über das Gitter kratzt, geht sie auch schon auf ihn zu. „Du bist Elfis Mann, oder? Herzlich willkommen im Quartiersgarten!“
„Lebensgefährte. Wir sind nicht verheiratet“, antwortet Gerd ohne den Anflug eines Lächelns. Förmlich streckt er ihr die Finger entgegen und bemerkt dabei nicht, dass sie noch in den erdigen Arbeitshandschuhen stecken. Aber Doris lässt sich nicht davon beirren. Es ist, als sei in dem schattigen Kompostwinkel die Sonne aufgegangen, denn alles an ihr ist hell, ihr Lachen, ihre Stimme, ihr Haar. Gerd kneift wie geblendet die Augen zusammen und murmelt etwas, das ich nicht richtig hören kann, aber ich weiß schon, dass es sich für Doris irritierend spitz und stachelig anhören muss, so stachelig wie das Ästchenzeug, das vor Gerd auf der Erde liegt. Wieso nur ist er, der schriftlich so elegant zu formulieren weiß, derart unbeholfen, wenn es um Smalltalk geht? Es gibt doch nichts Leichteres, als ein paar nette Bemerkungen zu machen, mit denen sich jeder wohlfühlt!
„Lebensgefährte, auch gut!“, ruft Doris laut aus, ohne ihr Strahlen einzustellen. „Ich habe eine Jause mitgebracht. Und was zu trinken natürlich auch. Bedient euch!“
Das muss sie für Helmut und Rainer nicht extra wiederholen. Gleich lassen die beiden ihr Werkzeug fallen und gehen zum Tisch. Doris verlässt den Kompostwinkel, setzt sich vor ihren Korb und holt ein paar Bierflaschen und einen Papiersack daraus hervor. Ich halte es für ausgeschlossen, dass sich Gerd zu der Runde, die sich nun um den Tisch versammelt, gesellen wird. Er behauptet, dass es in dem bayerischen Dorf, in dem er aufgewachsen ist, zu seiner Zeit üblich war, den Kleinkindern Weißbier in das Fläschchen zu füllen, um sie von der Mutterbrust zu entwöhnen. Heutzutage bekämen die Babys alkoholfreies Helles, was immerhin ein Fortschritt sei. Die weitere Ernährung des Nachwuchses habe sich hingegen nicht geändert: Die Kinder würden entweder mit passiertem Leberkäse oder zerstampfter Weißwurst gefüttert.
„Erst die Arbeit, dann das Bier! Eine Scheibtruhe machen wir noch“, ruft Ekke in Richtung Tisch. Gerd nickt verbissen und scharrt seine Schaufel wieder über das Sieb. Zum Glück habe ich Apfelsaft mitgebracht und ein paar Käsebrote. Damit werde ich versuchen, ihn an die Tafel zu locken.
Nanu, woher kommt denn der Bub? Ungestüm rennt er auf Justine zu, die schon seit einem Weilchen neben der Pumpe auf dem Boden sitzt und in den Schnabel einer Gießkanne zu tuten versucht. Weil es nicht klappt, singt sie hinein – das macht die Kanne zu einem Dämpfer für ihren piepsigen Kindersopran. Der Bub packt mit schwarz blitzenden Augen einen Kübel, dreht ihn um und beginnt wild auf die Unterseite einzutrommeln.
Jetzt erst durchschreitet eine schlanke junge Frau das Gartentürchen. Dass es sich um die Mutter des Buben handelt, ist unverkennbar: Ebenso glatte schwarze Haare, ebenso kohlige Augen. Ein beweglicher Blick, der sofort nicht nur mich, sondern auch Gerd erfasst. Ausgeprägte Wangenknochen. Stirnfransen, die ihr bis in die Augen hängen. „Hi, ich bin Alex“, sagt die Frau, als sie heran ist. „Und der Trommler da drüben heißt Manfred. He, Manni, hör auf mit dem Krach!“, ruft sie dem Buben, der gerade damit begonnen hat, mit einem Stock auf den Blechkübel einzudreschen, mit scharfkantiger Stimme zu. Jetzt wendet sie sich wieder an mich: „Wir haben das hinterste Beet beim Teich. Das mit den Ästen rundherum. Viel zu viel Schatten, da hinten. Ich werde bald mal eine proletarische Landrevolte ausrufen. Oder wir führen ein Rotationssystem ein, bei dem die Beete jedes Jahr neu vergeben werden. Was hältst du davon?“
Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll, und verweise sie an Gerd, der sich gerne mit solchen gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. „Warum sollen immer die Männer für so was zuständig sein?“, fragt mich Alex, die noch nicht einmal weiß, wie ich heiße. Wieder hat ihre Stimme etwas Scharfkantig-Herausforderndes. „Fleißig scheint er immerhin zu sein, dein Lebensabschnittsgefährte. Oder seid ihr verheiratet?“
Als sie meine Überforderung bemerkt, grinst sie schelmisch und lässt mich einfach stehen. „Mensch, Manni, aufhören sollst du!“ Entschlossen nimmt sie ihrem Kind den Blechkübel weg und schnappt sich eine von den Hacken, die Franzi gegen die Hüttenwand gelehnt hat. Dann geht sie ohne ein weiteres Wort in Richtung Teich.
„Tja, haha, das ist die Alex“, hüstelt Doris hinter mir. „Willst du auch eine Leberkäsesemmel, Elfi?“
Ich setze mich gerne dazu, ich bin ja als Baby nicht mit Weißbier getränkt worden. Soll Gerd doch schuften und schwitzen und danach seinen Apfelsaft schlückeln und sein Käsebrot knabbern, ich amüsiere mich erst mal – ganz ohne Frage-, dafür aber mit Ausrufezeichen!
„Ich finde Männer, die nicht trinken, gut“, sagte Alex und stieß sofort mit Ekke an, der sich auf einen der Rattanstühle aus Kunststoff gesetzt hatte. Sie standen an der rechten Längsseite der Hütte, wo noch schön die Sonne hinkam. Auf der linken Hüttenseite war es bereits schattig und kühl, nicht zuletzt wegen der jungen Linde, die dort wuchs. Gerade begann sie kräftig auszutreiben. Kein Wunder, dass das Beet von Mannis Mutter viel weniger Sonne abbekam als das von Doris.
Alex schob hin und wieder den Unterkiefer ein wenig vor und blies ihre albernen Stirnfransen nach oben. Tochter eines stadtbekannten Psychotherapeuten, Studium generale nicht ganz abgeschlossen. Manfreds Vater besaß eine Surfschule in Portugal. Wenn Alex ihm zu nahe auf die Pelle rückte, stieg er in seinen VW-Bus und flüchtete über die Straße von Gibraltar nach Marokko, bis die Luft wieder rein war. Die Alimente kamen nur im Sommer, wenn er Kundschaft hatte.
Ekke, der die Geschichte nicht zum ersten Mal zu hören schien, obwohl Alex erst seit letztem Jahr ein Beet gepachtet hatte, nickte geistesabwesend.
„Na, dann wünsche ich ersprießliches Garteln, Herr Rezensent. Prost!“ Mannis Mutter streckte Gerd ihre Bierflasche entgegen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen Blechbehälter mit dem Apfelsaft dagegenzustoßen, was sehr kläglich klang.
„Kommt, wir wollen nicht unhöflich sein. Setzen wir uns rüber an den Tisch“, bestimmte Alex.
Nun hatte Gerd den Salat, nun musste er nach seinem Rattan-Sessel greifen und ihn zur Biertischtafel schleppen. Er platzierte sich mit ein wenig Abstand zur Schmalseite des Tischs, unter dem langrutigen Gewächs, das gerade Gegenstand des Gesprächs zu sein schien. Helmut deutete jedenfalls immer wieder hinauf ins Geäst, während er auf Elfi, die ihm gegenübersaß, einredete: „Der trägt im Prinzip jedes Jahr wie verrückt, heuer wird es auch nicht anders sein. Er hat fantastisch geblüht und es sind schon jede Menge winzige Früchte dran, aber schneiden sollte man ihn mal, damit er so was wie eine Krone macht, quasi einen Sonnenschirm, weil, jetzt ist er doch noch ein bisschen mickrig, unser Vogelkirschbaum.“
Keck sah Elfi aus mit dem bunten Tuch, das sie sich ins Haar gebunden hatte. Sie trug eine Jacke, deren Reißverschluss sich diagonal über ihre Brust zog. Jeder andere Mensch würde darin ziemlich durchgestrichen aussehen, an ihr wirkte das Kleidungsstück nicht einmal sonderlich schräg. Jürgen, mit dem sie inzwischen sehr gut auskam, hatte ihr gestanden, sie hauptsächlich ihres Outfits wegen eingestellt zu haben. Selbst im Kulturbereich kämen die Frauen heutzutage meistens im faden Hosenanzug zum Bewerbungsgespräch.
„Aber nerven tun sie auch, die Vogelkirschen. Wenn sie runterfallen, liegen sie oft so dicht am Boden, dass man vom Gras quasi nichts mehr sieht, ich mein, dann sind viele Wespen dran, was schlecht ist für Justine. Wo ist sie eigentlich?“ Helmut machte seine Augen von Elfis Jacke los, wandte sich um und blickte hinüber zur Hütte, wo die beiden Kinder bis vor Kurzem gespielt hatten. Jetzt lagen nur noch ein paar Gießkannen am Boden.
„Oh Gott, sie sind wahrscheinlich beim Teich!“ Doris legte die Semmel, von der sie gerade abgebissen hatte, auf die Tischplatte und sprang auf. Auch Alex kam rasch aus ihrem Rattan-Sessel hoch. Gemeinsam rannten sie in Richtung Weiher, der der Hütte wegen von der Biertischgarnitur aus nicht zu sehen war.