Rasputin - Robert Heymann - E-Book

Rasputin E-Book

Robert Heymann

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Beschreibung

Die Ereignisse in Russland um den Mönch Rasputin waren so gewaltig, so aufsehenerregend, dass sich der in Deutschland damals sehr bekannte Autor Robert Heymann veranlasst sah, das Leben und Wirken Rasputins am zaristischen Hof in einem Roman zu behandeln. Am 30. Dezember 1916 wurde Rasputin ermordet, bereits 1917 konnten die deutschen Leser die Ereignisse in diesem Buch nachlesen, das damit selbst zu einem einzigartigen Zeitdokument geworden ist. Und ihnen wird darin deutlich gemacht, dass der wirkliche Machthaber des zaristischen Russland besonders in den Krisenzeiten im Ersten Weltkrieg in den Augen des Autors jener Mönch Rasputin war. Robert Heymann(*28. Februar1879inMünchen; †1946) war ein deutscherSchriftsteller,Dramaturg,DrehbuchautorundFilmregisseur. Heymann veröffentlichte seit 1901 Dramen und Romane (u. a. "Istar, das ist die Liebe", "Tod", "Herrenrecht", "Das Bild von Sais" und "Gefallene Frauen"). Seit 1902 arbeitete er zudem alsDramaturgfür dasÜberbrettl, das Zentraltheater inZürich, und dasIntime Theaterin München. Zeitweise war er Journalist für dieBasler Zeitung. Während des Ersten Weltkrieges gab ihm die Berliner Luna Film einen Vertrag als Drehbuchautor und Regisseur. Heymann blieb auch in seinen Filmen der dramatischen Akzentuierung treu und drehte mit Schauspielern wieTheodor Loos,Joseph Schildkraut,Ernst HofmannundFriedrich Kühne. Ab 1918 beschränkte er sich auf das Schreiben von Drehbüchern, und bereits Mitte der 20er Jahre zog er sich aus dem Filmgeschäft zurück.

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Robert Heymann

Rasputin

Saga

RasputinCopyright © 1917, 2019 Robert Heymann und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711503584

1. Ebook-Auflage, 2019 Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Vorwort.

Es war nicht die sensationelle Atmosphäre, die mich reizte, ein Buch über den seltsamen Mönch von Petersburg zu schreiben, von dem die Unwissenden sagen, er sei ein Abenteurer und Wüstling gewesen, während ihn besser Informierte leichthin als religiösen Fanatiker abtun.

Aber mit einem Schlagwort ist das Rätsel dieser Persönlichkeit nicht erschöpft. Und dieses dunkle Problem, das wie die Mondscheibe bleich und unheimlich über Sümpfen stand, hat mich gereizt.

Diese jedenfalls ungewöhnliche Erscheinung Rasputins konnte nur in russischen Verhältnissen gedeihen, von denen die Zentraleuropäer so oft annehmen, sie seien die unzivilisiertesten der Welt, während in Wahrheit grosse Kreise Russlands zu den überkultiviertesten zählen. Aber nach dem alten Sprichwort „les extrêmes se touchent“ liegen die Berührungspunkte nahe beisammen, und die Brücke, welche die Unkultur des weiten Russlands mit dem Raffinement Petersburgs verbindet, ist mit dem heiligen Bildnis des Zaren geschmückt, dem Ochrana und Synod als Fresken dienen. Die russische Unkultur ist stumpf und primitiv, die russische Überkultur ist die Brutstätte jener ungeheuerlichen Erscheinungen, für die uns Westeuropäern Verständnis und manchmal sogar der Glaube fehlt.

Rasputin kam aus den Niederungen, mit allen starken Instinkten unverbrauchter Volkskraft versehen, eine Bauernnatur, aber mit der feinen Witterung für erotische Vibrationen behaftet.

Damit wäre freilich das Charakterbild eines Abenteurers erschöpft, der ebensogut sich zu einem Cagliostro wie zu einem Grafen St. Germain entwickeln konnte. Aber in diesem Rasputin steckte zweifellos ein Funke des Geistes Savanarolas; er war mit einer jener verlorenen Seelen der „Wiedertäufer“ behaftet, die ewig zwischen himmlischer Ekstase und irdischem Derketokult hin und hergeschleudert werden. Rasputin ist der ewige Jude. Ahasver, der fluchbeladene, kam nach Petersburg, um seine Bestimmung am Hofe des haltlosen Zaren Nikolaus zu erfüllen. Rasputin — sagt man — ist tot. Aber Ahasver ist unsterblich. Und was mit Rasputin starb, war nur ein Begriff. Die fluchwürdige Idee aber lebt und wird eine neue Persönlichkeit schaffen. Liegt in dieser bereits durch die letzte Vergangenheit verbürgten Tatsache nicht ein Problem begründet, das wert ist, auch einmal den Romanschriftsteller zu beschäftigen?

Robert Heymann

Erstes Kapitel.

Es ist das eigene, wunderbare Heraustreten aus sich selbst, das die Anschauung des eigenen Ich vom andern Standpunkt gestattet, welches dann als ein sich dem höheren Willen genügendes Mittel erscheint, dem Zweck zu dienen, den er sich als den höchsten, im Leben zu erringenden gesetzt hat. Gibt es etwas Höheres, als das Leben im Leben zu beherrschen, als seine Erscheinungen, seine reichen Genüsse wie einen mächtigen Zauber zu bannen, nach der Willkür, die dem Herrscher verstattet?

E. T. A. Hoffmann Elixiere des Teufels.

Er kam — wer konnte sagen woher?

Von Sibirien, heisst es. Aber das erscheint nebensächlich.

Er hatte einen breiten Bauernkopf mit den typischen Backenknochen der Slaven. Sein dichtes Haar war beinahe blauschwarz und in der Mitte gescheitelt. So fiel es in zwei Flügeln über die Stirne, die merkwürdig hoch und gewölbt war.

Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Ein asketischer Glanz war ihnen eigen. Vielleicht war es das Licht, das in dieser merkwürdigen Seele brannte und ursprünglich heiligen Gedanken geleuchtet hatte. Diese Augen waren überschattet von starken, vorspringenden Brauen. Die Knochen des Schädels verrieten auch unter diesen Wulsten ihre Eckigkeit und Derbheit. Die Nase war nicht unedel, endete aber in leidenschaftliche Nüstern, von denen breite Rinnsale herabkrochen, die überstandene Leidenschaften bezeugten.

Der Mund war sinnlich, von einem mongolischen Barte überdeckt, der das trotzige Kinn frei liess und in dicken Spitzen in den Backenbart floss, der die Brust verbarg, eine hochgewölbte Brust, die machtvolle Schultern trug.

Er hatte einen zögernden Gang, in dem sich das Lauern der nie ruhenden Gedanken und Erwägungen kundtat.

So trat er an jenem Sommerabend bei dem Schuster Nikolai Issup ein, der am kleinen Prospekt ein Lädchen hatte. Im Vorderraum verkaufte er Schuhe und im Hinterraum betrieb er sein Handwerk.

Eben läuteten die Glocken der Kathedrale Maria Verkündigung.

Nikolai Issup erhob sich, als er die Türe des Ladens gehen hörte. Doch schon trat der Fremde in das Hinterzimmer. Der Schuster starrte ihn verwirrt an. Gewiss war der Fremde keine ungewöhnliche Erscheinung in diesem Lande und in diesem Viertel der seltsamen Physiognomien, wo der revolutionäre Geist kosmopolitische Gestalten zusammenpeitscht. Aber das Auge dieses Mannes ruhte mit einem gebietenden Ausdruck auf dem Schuster.

„Sie haben ein Zimmer frei“, sagte der Fremde.

„Ganz recht“.

„Hat es Aussicht auf die kleine Newa?“

„Ja, aber . . .“

Der Fremde setzte sich und musterte den Schuster. Dieser gab sich einen Ruck und reichte ihm die schwielige Hand.

Auch er war ein starknackiger Bauernsohn mit angegrautem Haar.

„Sie wollen hier wohnen?“

„Ja. Wollen Sie mir sagen, welche Einwendung Sie eben unterdrückten?“

„Sei nicht ungehalten, Bruder! Man muss so vorsichtig sein. Es gibt so viele Leute, die allerhand verfängliche Fragen stellen, sich einnisten, spionieren, die Harmlosesten in ihr Spinngewebe von politischen Erwägungen verstricken und verwickeln, bis der dumme Teufel von Muschik sich dem Judas an den Hals wirft und ihm seine Kümmernisse aus plaudert. Daraus wird ein Komplott, und der arme Kerl wird eines Tages nach dem Polizeibüro und nach der Festung geholt und wegen revolutionärer Propaganda angeklagt. Was das heisst, Bruder — —“ der Sprecher seufzte tief auf und warf einen Blick nach dem Laden, als wollte er sich vergewissern, dass kein unberufener Zeuge lauschte — „was das heisst, wissen wir: Kerker, Sibirien — oh, oh, Sibirien!“

Der Fremde lächelte, sein Gesicht bekam einen gutmütigen Ausdruck.

„Sibirien ist schön; Sibirien ist ein fruchtbares Land, dessen Brüste schwellen und das in melodischem Rhythmus stille, süsse Lieder der Freude atmet.“

„Du kommst aus Sibirien?“

Der Fremde schien die Frage zu überhören. Er fuhr fort:

„Wie gesagt, ich möchte von meinem Zimmer gerne auf die kleine Newa blicken. Ich möchte nachts die Lichter von Petersburg leuchten sehen. Ich habe Sehnsucht nach Petersburg. Und ich hoffe, ja ich bin sicher . . .“

Er vollendete den Satz nicht. Ein junges Mädchen trat leichtfüssig in die Werkstatt. Sie hatte — o Wunder — goldenes Haar. Das warf seine hellen Lichter noch in die dunklen Augen, die scheu den Fremden streiften.

Der Schuster nahm sie bei der Hand, küsste sie und sagte:

„Akulina, meine Nichte.“

Der Fremde erhob sich. In dem Augenblick schien er zu wachsen, eine geheimnisvolle Kraft schien ihm Fähigkeiten und Schwingen zu verleihen, die durch eine verwandte Seele ausgelöst wurden.

Akulina betrachtete den Mann mit einem forschenden Blick. Er löste die Augen nicht von den ihren. Eine geheimnisvolle Gewalt ging von ihnen aus, die der merkwürdige Mensch zu erproben schien. Akulina riss sich los, wandte sich um und sagte vernehmlich:

„Maxim kommt heute Abend!“

„Ah, ah, Maxim!“ Der Schuster war erfreut und verlegen zugleich, und um das Gespräch zu Ende zu bringen, wandte er sich wieder an seine Gast:

„Also das gewünschte Zimmer ist frei.“

„Dann werde ich es beziehen. Wegen des Mietspreises sei ohne Sorge, Väterchen!“

„Nun denn — geh voran, Bruder — es ist das letzte, das ich zu vergeben habe. Eigentlich waren es ja nur zwei. In dem andern wohnt eine junge Journalistin. Sie schreibt für den Rjetsch . . . und andere Zeitungen. Doch komm!“

Er öffnete die Türe. Der Fremde hatte sich nach Akulina umgewandt. Seine unheimlichen Augen umfassten das junge Mädchen. Sie fühlte sich hilflos und beleidigt.

Die beiden Männer schritten nun durch einen dunklen Korridor, den ein schwankendes Öllämpchen notdürftig erhellte. Dann öffnete der Schuster eine Türe und der Fremde tat einen Blick in seine künftige Wohnung. Es war ein sauberes Zimmer mit einem Fenster, durch das sich jetzt schon die Dämmerung stahl. Weisse Vorhänge verbreiteten den Duft von Reinlichkeit und Behaglichkeit. An den Wänden hingen die Bilder der Heiligen mit schönen Sprüchen.

Der Fremde las einige.

„Du bist fromm, Väterchen!“

„Wir sind alle fromm. Von wem sollte uns Heil werden, wenn nicht von den Heiligen?“

„Du hast recht:“ erwiderte der andere nachdenklich und Fetzte sich. Er hielt den Blick nach dem Fenster gewandt. „Du hast recht. Von wem sollte uns Heil werden, wenn nicht von den Heiligen? Und Mütterchen Ruskaja braucht Heil und Erlösung. Mütterchen Ruskaja ist wie eine geschändete Frau. Männer mit reinen Seelen und dem Atem Gottes in sich müssen kommen, es zu erlösen.“

Der Schuster wusste nichts darauf zu antworten.

Er ist ein Begnadeter oder ein Spion, dachte er und schloss rasch die Türe, öffnete sie aber nochmals und lud in echt russischer Gastfreundschaft den Fremdling zum Abendtisch.

„Tee und Fisch gibt es. Viel ist es nicht. Aber wer Hunger hat, ist an dem Tische dessen, der bewirten kann, willkommen. Gott schütze dich unter meinem Dache!“

Der Angesprochene nickte nur. Jetzt, in der Dämmerung, hatten seine Augen einen gewaltigen Glanz. Die wundersamen Märchen Russlands schienen aus ihnen zu strahlen.

Zweites Kapitel.

„Dies ist Manuilow — Manussewitsch“, sagte der Schuster und wies auf einen zur Beleibtheit neigenden, sehr gut gekleideten Mann in mittleren Jahren, der aber nicht bei Tisch mit ass, sondern abseits auf einem Sessel Platz genommen hatte.

„Meine Nichte Akulina ist dir bekannt. Hier — Akulinas Bräutigam, Dr. Maxim Wassilieff. Und Ratharina Zienkowskij, die Journalistin, von der ich dir sprach“.

„Ich heisse Rasputin“, gab das neue Mitglied des kleinen Familienkreises einfach bekannt.

Die Unterhaltung war bald im Gange, und es zeigte sich, dass dieser Rasputin aus Sibirien sich viel mit der Politik beschäftigt hatte. Dr. Maxim Wassilieff verwickelte sich alsbald in ein Gespräch mit ihm, indem i sie die Ursachen der letzten grossen Revolution in Russland untersuchten.

Dr. Wassilieff hielt seinen schlanken Kopf, der mit viel feinen, aber widerspruchsvollen Zügen gezeichnet war, erhitzt über den kleinen Tisch geneigt und suchte i Katharina, die Journalistin, zu einem Zeichen der Zustimmung zu bewegen. Aber das junge Mädchen verhielt sich im Gegensat zu sonst, auffallend schweigend und beantwortete keinen der dunklen Blicke, die Rasputin manchmal auf ihr ruhen liess.

Um so öfter sah ihn Akulina an. Sie lauschte seinen Worten leidenschaftlicher als denen ihres Geliebten. Rasputins Erklärungen hatten übrigens gegen die scharf durchdachten Äusserungen Wassilieffs wenig Sinn. Sie bewegten sich im allgemeinen und stellten geistige Forderungen auf, die in keiner konkreten Tatsache wurzelten. Aber wie kam das, dass dieses dunkel gefärbte Organ auf alle eine so bezaubernde Wirkung übte? Und warum hüllte sich die junge Jornalistin in ein geradezu beleidigendes Schweigen? Sie empfand gegen ihn ein klar ausgeprägtes Misstrauen, ja, eine Abneigung, die an Hass grenzte. Akulina hingegen war ihm zugetan seit der ersten Minute, und da sie die Gefahr, in die sie sich begab, nicht ahnte, so tat sie nichts, sich dagegen zu schützen.

Der Schuster warf nur dann und wann ein Wort dazwischen, wenn eine persönliche Erinnerung an die Wintertage von 1905 in Frage kamen. Er hatte den Zug der Zehntausend zum Winterpalast mitgemacht. Als der Name Gapon fiel, jenes Popen, der die Arbeiter verraten und vor die Gewehrläufe der sibirischen Schüben geführt hatte, da sahen sich alle einen Augenblick verblüfft an, verbunden durch einen gemeinsamen Gedanken.

Aber Gapon war tot. Thn hatte die rächende Wasse der Terroristen igendwo da oben in Finnland erreicht. Rasputin lächelte. Er hatte mit der seinen Witterung, die ihm eigen war, den Gedanken aufgefangen.

Ich bin nicht Gapon. Aber, bei Gott, ich fühle seine geistigen Kräfte verdreifacht in mir. Gapon wollte Russland helfen, aber er liess sich von zwei verschiedenen Strömungen tragen und beherrschte keine. So wurde er aus einem Retter ein Verräter. Man muss nicht das Volk beherrschen, um Russland zu helfen. Was nützte dies?“

„Man muss mit dem Volke die geistigen Güter der inneren Freiheit teilen“, unterbrach ihn Dr. Wassilieff, „und dann . . .“

„Nein,“ schnitt ihn Rasputin das Wort ab. „Man müsste den Geist der Gerechtigkeit nach Zarskoje Selo tragen . . . direkt zum Zaren . . . Gott schütze ihn!“

Es wurde still. Was Rasputin sprach, hätte unter anderen Verhältnissen dieser kleinen Tafelrunde einfach lächerlich geklungen. Aber es war etwas so stark Gewolltes in dem Reden dieses Mannes, dass ihn sogar Katharina erstaunt ansah.

Manuilow — Manusseritsch liess die Zeitung auf seinen Sessel sinken und musterte den Sprecher scharf. In seinem undurchdringlichen Gesicht malten sich Aufmerksamkeit und erhöhtes Interesse. Trotz der Lektüre war ihm offenbar kein Wort der Unterhaltung entgangen.

„Wie wollten Sie dies ausführen?“ warf er dazwischen.

„Man müsste sich selbst Eingang verschaffen in Zarskoje Selo.“

„Das ist ein guter Witz,“ erwiderte der Zeitungsleser trocken.

Rasputin würdigte ihn keiner Antwort. Seine Augen ruhten auf Akulina; er erkannte, dass sie an ihn glaubte. An seine Bestimmung, an seine schlummernde Grösse, an seine unbeugsame Seele.

Er lächelte. Ihre Augen trafen sich. Dr. Wassiliff merkte es und stockte im Gespräch. Sein durchgeistigtes bleiches Gesicht färbte sich mit einer Blutwelle.

„Akulina“ sagte er und wollte etwas Gleichgültiges hinzusetzen, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber sie sah an ihm vorbei, mit jenem starren, visionären Blick, den Frauen haben, die ihr Schicksal sehen, dem sie nicht mehr entrinnen können.

Der Schuster merkte nichts und mahnte, den Tee nicht kalt werden zu lassen.

Da trat Pureschkiewitsch ein.

Alle erhoben sich. Ihr Verhalten zeigte, welche Achtung dieser Mann genoss. Katharina fasste seinen Arm und hielt ihn fest, als sei sie glücklich, endlich den ersehnten Schutz gefunden zu haben.

Man stellte ihm Rasputin vor, aber Pureschkiewitsch beachtete ihn gar nicht. Er zog sich mit Katharina zurück und winkte Manuilow-Manussewitsch zu sich heran.

Aus ihrer erregten Debatte wurden mehrmals Bruchstücke vernehmbar. Es war klar, dass sie einer Partei angehörten, die sozialistische Interessen vertrat.

Pureschkiewitsch ging mit Katharina alsbald hinweg. Sie wollten den Abend bei Freunden verbringen. Rasputin erhob sich. Er wollte Katharina behilflich sein, in den Mantel zu schlüpfen. während Pureschkiewitsch sich von Wassiliff verabschiedete. Aber Katharina wand sich geschickt von Rasputin los, zu dem Manuilow-Manussewitsch trat.

Er sagte leise:

„Sie werden sich in diesem Kreise auf die Dauer nicht wohl fühlen.“

„Nein.“

„Man müsste an geeigneter Stelle auf Sie aufmerksam werden.

„Wie meinen Sie das?“

„Lassen Sie mich machen. Ich verkehre nicht umsonst hier. Es gibt Menschen in Russland, die zweierlei Seelen haben.“

„Ja, das glaube ich.“

„Es gibt auch solche, die zweierlei Körper haben; einer von den letzteren bin ich.“

Rasputin betrachtete den Mann, der so sprach, aufmerksam. Ein Instinkt sagte ihm sofort, dass er ein Wesen voll übelster Eigenschaften vor sich hatte.

„Geben Sie acht, was man hier spricht. Sie werden viel Interessantes hören,“ fuhr jener fort. „Und dann reden wir zu gegebener Zeit darüber. Gott befohlen.“

Er schloss sich Katharina und ihrem Freunde an. Rasputin kehrte an den Tisch zurück. Es wurde stiller. Der Schuster war müde von seinem Tagewerk und gähnte.

Es war Zeit, dass Wassilieff sich empfahl. Und doch zauderte er noch immer, von einer unerklärlichen Angst gefoltert. Endlich erhob er sich. Er konnte kaum atmen, als er die Augen Rasputins auf sich ruhen fühlte.

Akulina sah ihn mit einem fremden Blick an und zog ihre Hand mechanisch zurück. Wassilieff seufzte tief auf, aber in dem Gesicht Rasputins zeigte sich keine Regung von Mitleid.

Er hielt Akulina mit seinen Augen umklammert. Ihre Seele fror. Nun war sie allein. Der Schuster ging zu Bett, sie begab sich auf ihr Zimmer.

Eine Stunde später trat Rasputin bei ihr ein und bat sie um Feuer für seine Lampe.

Sie reichte ihm das Gewünschte. Er setzte sich. Akulina näherte sich ihm, ohne sich dessen vollkommen bewusst zu sein; er streichelte ihr schönes Haar, das aufgeworfenem Getreide glich.

Dabei sprach er sonderbare Dinge von Gott und Irdischem.

Und nur dies verstand Akulina:

„Das höchste Wesen ist überal. Es ist im All. Das höchste Wesen ist die wunderbare Kraft, schön und rein zu sein, sie ist die Erlösung. Wir alle haben davon einen Teil in uns, aber die Kraft ist viel zu gering, um uns zu erlösen. Also müssen wir uns dem anvertrauen, der von der göttlichen Kraft so viel Ströme in sich aufgenommen hat, dass in ihm ein Teil des göttlichen Wesens ist. In mir ist die Kraft und die Erlösung. Wer sich mir mit Leib und Seele ergibt, trinkt einen Teil dieser Kraft. Was von mir ausgeht, ist eine Lichtquelle, und was ich tue, ist rein.“

Akulina war ein einfaches Wesen. Ihre Seele war tief wie ein Brunnen. Sie liebte Gott und freute sich der Schönheit. Aber in ihr Herz waren nicht umsonst alle die Ströme von Zweifel gedrungen, die von den denkenden Geistern Russlands ausgesandt wurden. Ihre einfache Denkungsart war zerrissen von sonderbaren Vorstellungen über das, was kommen sollte, und ihre Sehnsucht war irregeführt.

Diese Sehnsucht war so stark und gewaltig wie die des ganzen russischen Volkes, das von einigen wenigen missbraucht wird. Und diese Seele ergab sich dürstend der Kraft Rasputins, die aus dem Mystizismus schöpfte, in dem die russische Volksseele schmachtet.

Drittes Kapitel.

In einem eleganten Salon, dessen Fenster einen freien Blick nach der Insel Basilius gewährte, sass General Globutschew über Akten und Briefen.

Von Zeit zu Zeit öffnete sich die Türe und der Leibjäger meldete einen jener Berichterstatter, die Globutschew mehrmals wöchentlich zu empfangen pflegte. Denn der General war der Chef der Ochrana, jener geheimnisvollen und doch öffentlichen Vereinigung von Patrioten, deren Wirken jedermann bekannt ist, ohne dass jemand imstande wäre, über die weitverzweigte Organisation dieser Regierung neben der Regierung ein klares Urteil abzugeben.

Der Diener meldete den General Trepow.

Augenblicklich erhob sich der Chef der Ochrana und ging dem gefürchteten und einflussreichen Kameraden entgegen.

Trepow reichte Globutschew herzlich die Hand und setzte sich.

„Ich möchte einige Worte mit Ihnen reden. Haben Sie bereits von dem Mönch Rasputin gehört?“

„Rasputin? Nein. — — Doch ja, — warten Sie! Ist das nicht jener Sibirier, der sich durch Predigten missliebig gemacht hat?“

„Richtig. Indes haben ihn aber Mitglieder des heiligen Synod jeder Verfolgung entzogen. Der Mönch hat eine seltene Überzeugungskraft, eine bezwingende Stärke des Ausdrucks, eine grosse suggestive Begabung. Er ist sentimental und predigt das kommende geistige Reich Russlands, dessen Führer Zar Nikolaus sein werde, der aber vorher mit allen seinen Ratgebern, den Dienern des Teufels, brechen müsse. Jeglicher Mangel an Logik würde den Mönch ungefährlich machen, wenn er nicht eben durch die Gewalt seiner Geste die Massen in Aufregung brächte . . . und ich denke, wir haben einen zweiten Gapon augenblicklich nicht nötig!

Der Chef der Ochrana lächelte verständnisvoll.

„Man hat mir über Rasputin Bericht erstattet. Manuilow-Manussewitsch war selbst bei mir und empfahl, ihn in die Ochrana zu ziehen. Versuche dieser Art sind fehlgeschlagen. Der Mönch ist ein Schwärmer ohne klare Tendenz . . . aber, Sie haben recht, darum nicht ungefährlich.“

„Ist Ihnen bekannt, dass Protopopow, das Mitglied der Regierung, auf den Mönch aufmerksam wurde und ihn in einen Zirkel einführte, wo unter anderen Persönlichkeiten auch die verwitwete Grossfürstin Sergius verkehrt?“

General Globutschew fuhr auf:

„Soll dies wirklich den Tatsachen entsprechen und mich meine Agenten darüber im Unklaren gelassen haben? Spielt Ihnen die Abneigung gegen Protopopow nicht einen Streich?

Trepow lächelte.

„Ich leugne nicht, dass Protopopow nicht mein Freund ist, aber ich bin doch weit davon entfernt, solche Märchen zu erfinden. Es ist, wie ich Ihnen sage, General. Ich habe die Nachricht verbürgt von Senator Kurlow, der sich gleichfalls bei jener Soiree befunden hat.“

„Diese Nachricht setzt mich in das grösste Erstaunen,“ erwiderte der Chef der Ochrana. „Man muss Rasputin heimlich dorthin gebracht haben.“

„Gräfin Creutz hat, Gott mag wissen wo, den Mönch gehört und ihn durch einen Brief zu sich geladen. Er kam auch ohne Scheu — und die Gräfin fand ein vielleicht sensationelles Vergnügen daran, ihn ihren übrigen Gästen vorzustellen. Was die Grossfürstin betrifft, wissen Sie ja so gut wie ich, dass sie seit der Ermordung ihres Gatten exzentrisch veranlagt ist. Hätte sie sonst damals nach dem Verbrechen es fertig bringen können, den Täter im Gefängnis zu besuchen?“

Der Chef der Ochrana nickte.

„Trotzdem hat man Elisabeth Feodorowna in Moskau eine Sympathie und Anhänglichkeit in allen Volkskreisen bewahrt, die ihr einen gefährlichen Einfluss sichern. Wie . . . wenn sie auf die Idee käme, den Mönch der Kaiserin vorzustellen?“

Trepow setzte wieder sein leises sarkastisches Lächeln auf.

„Ist geschehen, lieber Freund, Graf Dobrinski spielte den Vermittler. Auf jener besagten Soiree bei der Gräfin Creutz legte Rasputin verschiedene erstaunliche Proben seiner spiritistischen Begabung ab. Alle Anwesenden sollen rein verhext gewesen sein. Er hat die Gabe, selbst die Ungläubigen unter seinen Einfluss zu bringen. Kurz und gut, wir müssen uns in das schicken, was heute nicht mehr zu ändern ist: Die Grossfürstin Elisabeth Feodorowna stellt Rasputin heute Ihrer Majestät der Zarin vor.“

General Globutschew schob die Unterlippe vor.

„Also hätte man ihn doch rechtzeitig verhaften sollen.“

Trepow zuckte die Achseln.

„Wer weiss? Man muss abwarten und jedenfalls besorgt sein, dass der Einfluss Rasputins — vorausgesetzt, dass er bei Hofe überhaupt Fuss fassen kann — in die rechten Bahnen gelenkt wird. Ich hoffe, dass Grossfürst Nikolaj Nikolajewitsch das Seine tun wird.“

Globutschew teilte den Optimismus seines Freundes nicht.