Rastlose Seelen – Die Magie der Runen - Ulrike Hanna - E-Book

Rastlose Seelen – Die Magie der Runen E-Book

Ulrike Hanna

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT! In der alten Galerie geht etwas Seltsames vor ... Eine packende Urban Fantasy der anderen Art für Fans von C. K. McDonnell und den »Ghostbusters«  »Menschen bummelten auf der Suche nach einem Platz durch die Straße oder standen an den Stehtischen, redeten und lachten und tranken Bier. Sie ahnten nicht, wie gefährlich ihnen die herannahende Dunkelheit werden könnte.«  Für die Jungmagierin Tessa wird es spannend: Sie arbeitet für eine Agentur, die gefährliche Geister und andere paranormale Wesen austreibt, und bekommt ihren ersten Auftrag zugeteilt. Dieser führt sie nach Düsseldorf, wo in einer Kunstgalerie seltsame Dinge vor sich gehen. Obwohl ihr Partner nicht erscheint und Tessa auf sich gestellt ist, geht zunächst alles gut. Doch dann stellt sich heraus, dass es sich nicht um einen einzelnen Geist handelt, sondern um eine ganze Flut paranormaler Wesen. Zum Glück findet Tessa Unterstützung in dem mysteriösen Ilham – aber kann sie ihm trauen? 

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: borjomi88/depositphotos; tartila.stock/creativefabrica; Sinousxl/pixabay

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Gedicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Die ewige Blüte

Kapitel 3

Kapitel 4

Die ewige Blüte

Kapitel 5

Kapitel 6

Die ewige Blüte

Kapitel 7

Kapitel 8

Die ewige Blüte

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Die ewige Blüte

Kapitel 13

Kapitel 14

Auszüge aus dem Hexenalmanach

Die sieben Stufen der Geisteraustreibung

Runen lesen: Das Rad

Die Futhark-Runen und ihre Bedeutung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Augustine Hanna in Liebe

Wo mag der Tod mein Herz lassen

Immer tragen wir Herz vom Herzen uns zu.Pochende NachtHält unsere Schwellen vereint.

Wo mag der Tod mein Herz lassen?In einem Brunnen, der fremd rauscht –

In einem Garten, der steinern steht –Er wird es in einen reißenden Fluss werfen.

Mir bangt vor der Nacht,Daran kein Stern hängt.

Denn unzählige Sterne meines HerzensVergolden deinen Blutspiegel.

Liebe ist aus unserer Liebe vielfältig erblüht.Wo mag der Tod mein Herz lassen?

Else Lasker-Schüler

Kapitel 1

Ich fasste den Griff meines Koffers fester, als ich endlich vor dem Hotel stand. Ich war müde, mein Rücken schmerzte vom langen Sitzen in der Bahn, und ich fror, denn jetzt gegen Abend kühlte es merklich ab. Mein schwarzer Trenchcoat, den ich für so chic und passend gehalten hatte, bot nicht genug Schutz gegen die feuchte Kälte, die mir in die Glieder kroch. Vielleicht war es aber auch nicht so sehr die Kälte als der Anblick des Hotels, der mich frösteln ließ. Das Hotel, das die Agentur für mich gebucht hatte, stand klobig und grau in einer kleinen Straße. Schmutzige Fassade und trübe Fenster mit schief in den Angeln hängenden Läden, die jetzt in der Abenddämmerung wie blinde Augen aussahen. Der Eingangsbereich war schmuddelig, voller Dreck und Spinnweben. An der Tür hing schief ein Schild mit der Aufschrift:

Hotel an der Oper

Dauerhaft geschlossen

 

Ich schüttelte mich kurz. Das hatte ich ja gewusst. Adelheid Bruhn, die Chefin der Agentur, für die ich arbeitete, hatte mir erklärt, dass ich in einem Hotel für magische Personen untergebracht wäre, solange ich mich wegen des Falls in Düsseldorf aufhielt. »Für Menschen sieht es geschlossen aus, sie können nicht hineinkommen, aber du wirst ja keine Probleme damit haben. Es liegt außerdem ideal: fast gegenüber der Galerie, in der es die Probleme gibt.«

Ich straffte die Schultern, atmete tief ein und entcorporealisierte mich: Ich wechselte meine feste körperliche Form in eine rein geistige. So schlüpfte ich wie eine Wolke durch eine Ritze in der Tür und manifestierte mich anschließend wieder.

Angenehme Wärme und sanftes Licht empfingen mich. Und eine junge Frau an der Rezeption, die mich freundlich begrüßte.

»Guten Abend«, stellte ich mich vor. »Ich bin Tessa Wissmann, für mich wurde ein Einzelzimmer gebucht.«

»Guten Abend, Frau Wissmann«, so die freundliche Erwiderung, »ja, ein Einzelzimmer mit Frühstück für eine Woche … mit der Option auf Verlängerung. Es reicht aus, wenn Sie uns einen Tag vorher Bescheid geben, ob Sie bleiben möchten.«

Nachdem ich den Anmeldebogen ausgefüllt hatte, überreichte sie mir eine Schlüsselkarte und wies mir den Weg zu den Aufzügen.

Mein Zimmer lag im dritten Stock und war schlicht und mit wenigen dunkelbraunen Holzmöbeln eingerichtet. Das Auffälligste darin war wohl der leuchtend blaue Teppich. Ich stellte meine Taschen ab und trat ans Fenster. Der Blick durch die Scheiben ging in die Mutter-Ey-Straße, da das Hotel an der Kreuzung lag. Rechts davon befanden sich die Kunsthalle, allerdings nur deren fast fensterlose Rückseite mit Zufahrt ins Parkhaus, und etlichen riesigen Mülltonnen. Links standen noch zwei Häuser, und dann kam schon das sogenannte Schmela-Haus, in dem die Galerie untergebracht war. Ich konnte das Gebäude von hier aus nicht gut erkennen, aber jedenfalls würde ich es morgen und an all den anderen Tagen nicht weit haben.

Ich ließ mich aufs Bett fallen und führte mir die Fakten, die ich bereits von Adelheid wusste, erneut vor Augen: Ein junger Mann, Hagen Noter, war vor einigen Tagen in die Agentur zur Aufklärung merkwürdiger Vorfälle – wir wundern uns über nichts, AzAmeV, gekommen und hatte Adelheid Bruhn von etlichen ausgesprochen seltsamen Vorfällen in der Kunstgalerie berichtet. Die anderen Mitarbeiter hätten diese Erscheinungen aber nicht wahrgenommen, sondern vermutet, dass er gestresst und überarbeitet wäre und sich alles nur einbildete. Er sollte sich ein paar Tage freinehmen. Das hatte Hagen auch getan, aber da er immer an die Vorfälle denken musste und deshalb weder tagsüber noch nachts Ruhe fand, war ihm keine wirkliche Erholung vergönnt gewesen. Und als er in die Galerie zurückgekehrt war, hatten sich ihm erneut seltsame Dinge gezeigt.

Adelheid erzählte mir, dass er mit nichts Greifbarem herausgerückt sei, worum es sich handele, nur dass ein Bild betroffen sei. »Sehr merkwürdig«, hatte Hagen gesagt, »wie bei Harry Potter. Es muss bitte jemand kommen und sich die Sache ansehen.«

Adelheid hatte ihm zwei Agenten zugesagt, und hier war ich nun. Allein. Der langjährige Agenturmitarbeiter, Hendrix von Wittgenstein, hätte eigentlich mit von der Partie sein sollen, weil ich direkt von der Ausbildung kam und überhaupt keine Erfahrung im Außendienst hatte. Aber er hatte heute Morgen abgesagt. Er sei aus privaten Gründen verhindert.

»Nun«, Adelheid war am Telefon ganz entspannt gewesen, »das ist nicht so schlimm. Hendrix’ Frau Ayana ist vor ein paar Monaten gestorben, und ich denke, er braucht eine Auszeit. Er wollte von Anfang an normal weiterarbeiten, obwohl ich ihm gesagt habe, dass er sich Zeit nehmen solle. Aber das schaffst du auch allein, Tessa. Ist ja ganz klar, um was für einen Fall es sich hier handelt.«

Ich war nicht überzeugt gewesen, da Hagen Noter doch nicht viel erzählt hatte. Aber Adelheid hatte weiter erklärt, dass die Schlagwörter »Bild« und »wie bei Harry Potter« auf einen Bildgeist hindeuteten. Und diese Gesellen kannte ich tatsächlich. Bildgeister waren schwache, unglückliche Wesen, die sich zumeist in einem idyllischen Bild verkrochen. Dort versuchten sie, Häuser oder Schlösser zu beziehen. Manchmal fand man sie auch unter Bäumen liegend oder an Flüssen sitzend. Sie suchten Sicherheit und Ruhe, bedachten aber nicht, dass auch das schönste Haus und die herrlichste Blumenwiese nichts weiter waren als etwas Farbe auf Leinwand … und dass es keine wirkliche Wärme dort gab. Sie erschreckten den unwissenden Betrachter, der glaubte, dass die Bilder oder Figuren darin lebendig geworden seien. Wie auch immer, Bildgeister waren schwache Wesen, bei denen eine Austreibung von Stufe eins, vielleicht auch Stufe zwei ausreichen mochte. Ich war ob dieser neuen Erkenntnisse etwas beruhigter und einigermaßen zuversichtlich gewesen.

Außerdem … wenn ich meine erste Aufgabe für die Agentur allein meisterte, ohne jegliche Unterstützung eines erfahrenen Agenten, konnte das doch meiner Karriere in der Agentur nur förderlich sein, oder?

 

Am nächsten Morgen machte ich mich erst einmal zu einem Spaziergang auf, um die Örtlichkeiten zu sondieren. Es war wichtig zu wissen, in welcher Gegend man sich befand. Zum einen, da das paranormale Wesen, das vertrieben werden sollte, häufig aus der direkten Umgebung stammte, zum anderen war es immer nützlich, Fluchtwege zu kennen.

Ich ging also die Mutter-Ey-Straße hinunter. Rechter Hand, relativ uninteressant, befand sich die Rückseite der Kunsthalle. Links, vom Hotel aus gesehen, stand erst ein dunkelgraues, danach ein hellgraues Haus. Sie schienen keinerlei spirituelle Energie zu verströmen. Mit dem Schmela-Haus war das anders. Kennt ihr das? Wenn ein Haus schon von außen düster und gruselig aussieht? So, als würden dort mindestens Vampire, Werwölfe oder Geister wohnen? Hier schien das ja nun tatsächlich der Fall zu sein. Das Haus war von Architekten geplant worden, und das sah man auch: Fenster und Mauervorsprünge an ungewöhnlichen Stellen, so, als hätte das gute Stück ein paar Zähne verloren. Schwarze klaffende Wunden in dunklem Sandstein. Ich spähte durch die gläserne Eingangstür. Die Galerie war noch geschlossen, der Eingangsbereich von einem rückseitigen Fenster und dem Licht, das durch die Eingangstür fiel, nur spärlich beleuchtet. Ganz hinten stand ein großer Tisch mit drei Stühlen. Rechts an der Wand ein Metallregal mit Büchern oder Katalogen.

Da ich nicht auffallen wollte, ging ich langsam weiter. Das nächste Haus beherbergte ein Irish Pub, dann kam ein kleiner Platz. Ich sah erstaunt, dass es hier ein Kloster gab. Ich wusste nicht, warum, aber damit hatte ich nicht gerechnet. Ob es etwas mit dem Fall zu tun hatte? Ich spürte plötzlich wieder diese nagende Unsicherheit in der Magengegend. Es wäre so viel besser gewesen, mit Hendrix zusammenzuarbeiten! Ich kannte ihn zwar nicht, aber er war schon jahrelang Agent, und ich hatte viel Gutes über ihn gehört. Er sollte ein herausragender Nekromant sein.

Ich seufzte leise und setzte meinen Weg durch die Altstadt fort. Hier reihte sich Kneipe an Kneipe. Jetzt, am Vormittag, war alles noch ruhig und sah leicht angeschmuddelt aus. Ein paar Lieferwagen standen herum, Tauben pickten zwischen den Pflastersteinen im Dreck. Düsseldorf war wohl eine Stadt, die es morgens etwas ruhiger angehen ließ.

Ich kam schließlich zum Rhein und setzte mich auf die Mauer der Uferpromenade. Auch wenn die Steine kalt waren, schien hier die Sonne, Vögel zwitscherten, und die drückende Stimmung, die in den alten Gassen geherrscht hatte, war wie weggeblasen. Ich reckte mein Gesicht gen Himmel und schloss die Augen.

Gut. Was war also der Plan für heute? Ich musste zurück zur Galerie und mit Hagen Noter sprechen. Ich würde versuchen, so viele Informationen wie möglich von ihm zu bekommen. Dann musste ich mich in der gesamten Galerie umsehen und mir natürlich speziell das betroffene Bild anschauen. Anschließend würde ich entscheiden, wie ich vorging.

Ob es sinnvoll wäre, jetzt erst mal einen Kaffee zu trinken?

Während ich darüber nachgrübelte, entdeckte ich auch schon eine Art Kaffeeausschank. Das Café bestand aus nichts als einem Fenster, und auf dem Bürgersteig standen zwei kleine Tische mit je zwei Stühlen davor. Ich ließ mir von dem freundlichen Mann einen Latte macchiato Karamell geben, und allein vom Aussprechen der Bestellung fühlte ich mich schon stärker.

Langsam den Kaffee schlürfend spazierte ich zurück. Jetzt sah in den alten Gassen auch alles gar nicht mehr so düster, traurig und verlassen aus.

Die Galerie war inzwischen geöffnet, und ich wurde von einer älteren Dame empfangen, die ich direkt nach Hagen Noter fragte. »Er ist oben«, sagte sie und musterte mich mit erwachendem Interesse, »haben Sie denn einen Termin?«

»Ja, er erwartet mich.«

»Dann gehen Sie doch gleich hoch.« Sie wies mit ausgestrecktem Arm zur Treppe, ihre blauen Augen durchbohrten mich geradezu. »Sie können ihn nicht verfehlen, er ist der Einzige außer mir im Haus. Oder kennen Sie sich vielleicht persönlich?« Ihre Stimme war leise und lauernd.

Ich lächelte und nickte nur zur Antwort, dann erklomm ich die sehr steile und recht enge Treppe. Auch im Inneren überwog das düstere Element: wenig Licht, niedrige Decken, unvermittelt und irgendwie sinnlos herumstehende Säulen, dunkle Kunstwerke an den Wänden. Ich ging schnell durch die verschiedenen Räume, bis ich am Ende eines Ganges eine schmale, dunkle Gestalt sah. Beim Klang meiner Schritte drehte sie sich um. Ein Mann, vielleicht um die dreißig, mit blassem Gesicht unter einem wirren Schopf brauner Locken, sah mir entgegen.

»Hagen Noter?«, fragte ich.

»Ja, wie kann ich Ihnen helfen?« Er sah aus, als hätte er seit Wochen nicht geschlafen.

Ich stellte mich vor. Mein ohnehin schon dürftiges Selbstbewusstsein sank, als ich seinen erstaunten Gesichtsausdruck bemerkte und sah, dass er an mir vorbeispähte – in Erwartung eines zweiten Agenten. Das sprach er dann auch direkt aus: »Frau Bruhn sagte mir, dass sie zwei Agenten schicken wolle?«

»Ich bin allein.« Ich straffte meine Schultern und machte mich so groß wie möglich. »Mein Kollege ist plötzlich erkrankt. Aber keine Sorge, das wird alles. Können Sie mir irgendwo in Ruhe schildern, was hier vorgefallen ist?« Ich versuchte, meiner Stimme einen strengen Ton zu geben, aber ich konnte selbst das leichte Zittern darin hören.

Hagen Noter sah enttäuscht aus, aber er fügte sich in sein Schicksal. »Ja, natürlich.« Er seufzte. »Es kommt mir jetzt selbst lächerlich vor, ich hätte Ihre Agentur nie anrufen sollen.« Er führte mich zu einer Besucherbank mitten in einem der Ausstellungsräume. »Bitte, setzen Sie sich.« Er zeigte auf die Bank. »Wir haben keine Büros, aber um diese Uhrzeit sind wir hier ungestört. Was möchten Sie wissen?«

»Alles, was Sie mir erzählen können, Herr Noter. Was haben Sie gesehen? Wann und wo haben Sie es gesehen?«

Wir setzten uns einander gegenüber auf die schwarzen Kunstlederbänke.

Hagen Noter seufzte. »Also gut. Es gibt da ein Bild im ersten Stock, das Porträt einer Frau. Eine Frau, die eine Zigarette raucht. Ich ging vor ein paar Wochen daran vorbei, und mir war, als würde der Zigarettenqualm sich bewegen. Aber da ich es nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte, dachte ich natürlich, dass ich mich getäuscht hätte.« Er seufzte wieder und presste die gefalteten Hände zwischen die Knie. »Ich blieb stehen und sah richtig hin und … und … da …« Er brach ab und verbarg sein Gesicht in den Händen. »Sie glauben mir ja doch nicht. Niemand glaubt mir. Alle denken, ich sei verrückt!«

Ich rutschte auf dem Polster nach vorn und stützte meine Ellbogen auf die Knie. »Nein, Herr Noter, das denke ich nicht. Niemand von der Agentur denkt das. Wir wissen, dass es solche Dinge gibt. Aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie mir nicht sagen, was passiert ist.«

»Sie hat mir zugezwinkert!« Noter stieß es zwischen den Fingern hindurch. »Sie hat mir zugezwinkert, verstehen Sie …! Und jedes Mal, wenn ich allein dort vorbeigehe, zwinkert sie mir wieder zu!« Er nahm die Hände vom Gesicht und starrte mich an. Seine Wangen waren gerötet und die Augen glänzten fiebrig. »Ich will dort nicht mehr entlanggehen. Aber ich muss. Das Bild hängt im Durchgang zu den anderen Räumen. Ich habe meine Kollegen gebeten, es woanders aufzuhängen, aber die sagen, das gehe wegen der Gesamtkomposition der Kunstwerke im Haus nicht.«

Ich stand auf. »Gut«, sagte ich so ruhig wie möglich, »zeigen Sie mir das Bild.«

Er war nicht begeistert, aber er stand gehorsam auf und ging voran in einen schummrigen Gang, bog einmal um die Ecke und blieb stehen. Mit bebender Hand zeigte er auf ein Bild, das in einem kleinen Saal hing, der rechts von einer Treppe und links vom Durchgang zu einem anderen großen Raum abgegrenzt wurde.

Ich ging näher hin. Zu meiner Überraschung war es kein Gemälde, sondern eine Fotografie. Sie zeigte eine Frau im Halbprofil, die genüsslich eine Zigarette rauchte. Sie hielt diese zwischen zwei langen, schlanken Fingern, die blutrot geschminkten Lippen leicht gespitzt. Rauch stieg von der Zigarette auf, auf ewig zur Unbeweglichkeit verdammt. Die Augen mit den dunklen Wimpern fast geschlossen, das Gesicht vom Betrachter halb abgewandt. Lange braune Locken ringelten sich seidig glänzend über ihre Schulter, auf ihrem Kopf thronte ein blumengeschmückter Hut. Eine schöne Fotografie einer schönen Frau. Ich versuchte, etwas Paranormales im Umfeld zu erspüren, aber da war nichts. Vorsichtig streckte ich die Hand aus, um den Rahmen des Bildes zu berühren.

Noch bevor meine Finger sich auf den Rahmen legten, hörte ich Hagen Noter erschrocken nach Luft schnappen.

Ich hob den Blick und erstarrte. Die Frau sah mich an. Sie hatte den Kopf leicht gedreht und sah mir mit leuchtend grünen Augen direkt ins Gesicht! Ich riss meine Hand zurück und taumelte ein paar Schritte nach hinten. Die Frau lächelte leise und zwinkerte sehr langsam mit dem mir zugewandten Auge … einmal. Dann erstarrte sie wieder zur Leblosigkeit einer puren Fotografie. Ein eisiger Schauer lief mir über den Rücken.

Es war doch ein gewisser Unterschied, ob man über solche Fälle in Büchern las und mit den Kommilitonen darüber diskutierte oder ob man sie selbst erlebte, das musste ich zugeben. Ich rang kurz um Fassung und Professionalität, dann drehte ich mich zu Hagen Noter um. Er war verzweifelt auf dem Fußboden zusammengesunken. Das Gesicht wieder in den Händen vergraben. Er schluchzte leise.

»Herr Noter«, sagte ich, »ich habe es auch gesehen. Es ist ein Bildgeist. Kein Problem. Sie sind nicht verrückt, und den Geist bekommen wir weg.«

 

Zehn Minuten später saßen wir wieder auf der Besucherbank in dem kleineren Ausstellungsraum von vorhin, Hagen Noter sehr aufrecht und steif. Er sah mich nicht an, sondern starrte über meine rechte Schulter. Ich wusste, dass dort ein kleines Gemälde mit einer nebeligen Landschaft hing. Sein Atem ging stoßweise, und ab und zu zuckte er zusammen. Aber mein unablässiges, beruhigendes Gemurmel schien ihn tatsächlich etwas zu besänftigen. Als ich dachte, nun sei es genug und man müsse die Sache in Angriff nehmen, räusperte ich mich. Sein Blick fiel kurz auf mich, aber nur, um sich wieder über meiner rechten Schulter zu verlieren.

»Das scheint tatsächlich ein Bildgeist zu sein«, begann ich. »Bildgeister sind schwache Wesen, die sich leicht vertreiben lassen. Ich denke, wir beginnen mit Stufe eins der Vertreibung und sehen, wie weit wir damit kommen.«

Hagen drehte den Kopf leicht zu mir. »Stufe eins?«

Schön, er zeigte Interesse, das war doch ein gutes Zeichen.

»Und was ist ein Bildgeist? Was macht er? Warum kommt er zu mir?« Jetzt sprudelten die Fragen nur so aus ihm heraus. »Und«, jetzt sah er mich doch direkt an, »warum zeigt er sich Ihnen, aber nicht den anderen Galeriemitarbeitern?«

»Gut, ja. Das sind viele Fragen.« Ich setzte mich etwas bequemer hin, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich sie ihm alle beantworten sollte. »Ein Bildgeist ist, wie erwähnt, ein schwacher Geist, der sich ein Bild als Wohnstatt auswählt. Er kann sich nicht von unserer Welt lösen und versucht so, an seinem früheren Leben festzuhalten.« Ich hob abwehrend die Hand, da Noter schon Luft holte, um weitere Fragen zu stellen. »Wie das alles funktioniert und warum sie das machen, darüber existieren nur Theorien.«

Das war gelogen, aber die nicht magischen Personen mussten ja nicht alles wissen. Es war genug, dass wir versuchten, sie vor aus dem Ruder gelaufenen Anderweltbewohnern zu schützen. Die meisten Menschen tappten sowieso durchs Leben, ohne je von der magischen Seite ihrer Welt oder gar der Anderwelt zu wissen. Sie kamen nie bis selten damit in Berührung, und das war auch besser so. Sie würden es entweder nicht verkraften oder versuchen, die Magie und die magischen Menschen festzusetzen. »Das Wesen zeigt sich Ihnen, Herr Noter, weil Sie ein sensibler und allem gegenüber aufgeschlossener Mensch sind. Im Unterschied zu Ihren Kollegen … offensichtlich.« Er sollte sich nicht schlecht oder gar schwächlich fühlen, denn er würde noch eine wichtige Rolle in der Geistervertreibung spielen müssen. Dazu war etwas Selbstvertrauen vonnöten. »Ich konnte den Geist sehen, weil ich medial begabt bin. Deshalb arbeite ich ja für die Agentur.« Ich stand auf, um der Fragerei ein Ende zu machen. »Stufe eins heißt, dass wir putzen.«

»Putzen? Was meinen Sie mit Putzen, Frau Wissmann?« Hagen Noter ging schon wieder ganz in Protest und Misstrauen auf.

Ich lächelte ihm zu, vermisste aber Hendrix gerade schmerzlich. Bestimmt hätte er durch seine Erfahrung die ganze Sache viel souveräner gehandhabt. »Putzen im wörtlichen Sinn«, erklärte ich. »Wir schrubben den Boden mit Wasser und Seife, stauben ab und polieren den Bilderrahmen. Damit signalisieren wir dem Geist, dass er unerwünscht ist.«

Noter starrte mich fassungslos an. »Hier wird jeden Tag geputzt«, sagte er heiser. »Jeden verdammten Tag. Was soll das also nützen?« Er wandte sich halb ab, als wollte er gehen. Dann drehte er sich doch noch einmal um. »Vielleicht hätte Ihr Kollege, der, der krank geworden ist, doch kommen sollen. Vielleicht hätte er mehr anzubieten gehabt als zu … putzen!«

»Nein!« Ich sagte das sehr streng. Das heißt, es sollte streng klingen, kam aber etwas piepsig heraus. »Nein, das hätte er nicht.« Ich richtete mich zu meinen vollen 1,64 Metern auf und starrte ihn verärgert an. Ich war wirklich sauer. »Stufe eins ist eine seit Jahrhunderten praktizierte Methode, um einen Geist zu vertreiben.« Ich versuchte, mich ein bisschen zu beruhigen. »Man zeigt dem Geist damit, dass er nicht erwünscht ist. Schwache Geister haben ein Problem mit Ablehnung. Normalerweise verlassen sie dann den Ort. Mit dem Putzen zeigen wir ihnen auf sensible Art und Weise, dass sie gehen sollen. Es ist ein Zeichen für sie, ohne dass wir ihnen direkt sagen müssen, dass man sie hier nicht haben möchte. Mit direkter Ablehnung könnten wir sie kränken oder verärgern.«

»Ach«, stieß Hagen Noter hervor, »politische Korrektheit gegenüber einem Geist? Das ist doch lächerlich!«

Ich konnte nur den Kopf schütteln über so viel Dummheit. »Einen gekränkten oder verärgerten Geist«, erklärte ich langsam, »möchte niemand in seinem Haus oder an seinem Arbeitsplatz haben.« Ich nahm meine Tasche von der Bank und wandte mich zur Tür. »Überlegen Sie es sich, Herr Noter. Ich helfe Ihnen gern, aber Sie müssen natürlich auch Hilfe annehmen.«

Er zögerte einen kleinen Moment, dann lenkte er ein. »Also gut. Entschuldigen Sie, Frau Wissmann. Bitte helfen Sie mir. Was müssen wir genau tun?«

Hagen Noter sah wirklich elend und hilflos aus, so blass und dünn, wie er vor mir stand. Natürlich war er mit den Nerven fertig, das konnte ich gut verstehen. Aber eben deshalb hatten wir auch in der Ausbildung gelernt, dass wir uns durchsetzen mussten, wenn der Kunde anfing, schwierig zu werden. »Es ist wichtig, dass Sie selbst das Putzen übernehmen, Herr Noter«, erklärte ich ihm versöhnlich. »Der Geist ist Ihnen erschienen und nicht den Reinigungsleuten. Sie selbst müssen ihm vermitteln, dass er unerwünscht ist. Wo können wir Putzzeug herbekommen? Gibt es hier einen speziellen Raum?«

Hagen Noter schluckte, dann nickte er. »Ja, natürlich, im Keller.« Er zögerte kurz. »Aber können wir diese Putzaktion nicht nach Galerieschluss durchführen? Die anderen halten mich ohnehin schon für verrückt.«

Mir war das egal; wenn er im Dunkeln Geister austreiben wollte, sollte mir das recht sein.

»Wann schließt die Galerie?«, fragte ich.

»Um 20 Uhr«, erwiderte Hagen.

»Dann bin ich um 20.15 Uhr wieder hier.«

Er nickte.

»Ach, und Herr Noter, Sie können dann ja schon einmal die Putzsachen vorbereiten. Aber unten, nicht bei unserem Geist.« Damit ließ ich ihn stehen.

 

Um besagte Uhrzeit würde es dunkel sein, und bei Geistern wusste man nie. Einer, der so harmlos erschien wie ein Lämmchen, konnte bei dem Versuch, ihn zu vertreiben, zu einer extremen Bedrohung werden. Berührte ein Geist einen Menschen, dann konnte es zu Verfaulungen an dieser Stelle kommen, die nicht immer geheilt werden konnten. Es war nicht selten der Fall, dass jemand ein Körperteil oder im schlimmsten Fall sein Leben verlor. Natürlich konnten mächtige Geister Menschen auch Verletzungen zufügen, die je nach Schwere auch zum Tode führten. Es war töricht anzunehmen, dass Geister Gegenstände bewegen konnten, aber keine Menschen. Wenn ein Geist etwa eine Vase oder einen Tisch werfen konnte, dann auch ein Lebewesen. Kurz und gut: Man musste vorsichtig sein! Und der Volksglaube, dass Geister in der Nacht stärker waren als am Tag, war auf jeden Fall richtig.

Einige mochten glauben und ich war sogar an der Akademie auf diesen Irrglauben gestoßen, dass ich, die ich zu den Corporealisierern gehörte, meinen Körper also auflösen und in eine rein spirituelle »Masse« umwandeln konnte, dass ich eine Art Halbgeist sei – immun gegen Angriffe von Geistern, Vampiren und Ähnlichem. Das war aber falsch. Ich war kein Geist und auch kein Halbgeist. Wäre ich das, würde es bedeuten, dass ich gestorben war. Das war ich nicht, ich atmete, mein Herz schlug und ich stand hier aus Fleisch und Blut. Die Gabe des Corporealisierens hatte ich von meiner Urgroßmutter geerbt, wofür ich ihr sehr dankbar war. Es war eine überaus praktische Gabe, die mir schon oft von Nutzen gewesen war. Aber was ich eigentlich sagen wollte: Geister konnten gefährlich werden, und zwar für absolut jeden.

 

Den restlichen Tag bis zum Abend verbrachte ich mit einem kleinen Sightseeing-Spaziergang durch die Altstadt und über die Königsallee. Es war unangenehm kalt, aber ich mochte die alten Häuser, den Fluss mitten durch die Stadt und natürlich die Rheinpromenade. Zwischendurch holte ich mir in einem kleinen Geschäft eine Zimtschnecke, die riesig und einfach köstlich war. Die Zeit verging schnell, aber ich war nicht recht bei der Sache, da ich immer an den Abend und die bevorstehende Austreibung denken musste. Hoffentlich ging alles gut!