Ratgeber Borderline-Störung - Martin Bohus - E-Book

Ratgeber Borderline-Störung E-Book

Martin Bohus

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Beschreibung

Etwa fünf von hundert deutschen Jugendlichen und jungen Erwachsenen leiden heute unter einer Borderline-Störung: Heftige Schwankungen der Gefühle, suizidale Krisen, Selbstverletzungen und tiefe Verzweiflung gehen einher mit Problemen im zwischenmenschlichen Bereich. Diese betreffen insbesondere das Grundgefühl der „Zugehörigkeit“ zu anderen, so dass tiefgreifende Einsamkeit und Verlorenheit sich oft mit Enttäuschung und Wut abwechseln. Der Ratgeber beschreibt in einer verständlichen Sprache die verschiedenen Merkmale der Störung und erklärt das derzeitige Wissen über deren Entstehung und Wirkweise. Vor allem aber ermutigt der Ratgeber zu einer wirkungsvollen psychotherapeutischen Behandlung: Der Schwerpunkt liegt hier auf der Dialektisch Behavioralen Therapie (DBT), weil dieses Behandlungsverfahren derzeit als das wirkungsvollste gilt und spezifisch für die Behandlung der Borderline-Störung entwickelt wurde. Die Struktur und Arbeitsweise dieser Therapie wird erklärt, drängende Fragen werden aufgegriffen und es werden erste Anleitungen zur Selbsthilfe gegeben. Hilfestellungen für Angehörige, Hinweise zu Selbsthilfegruppen und zur Vernetzung mit anderen Betroffenen sowie hilfreiche Internetadressen runden den Ratgeber ab.

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Seitenzahl: 159

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Ratgeber Borderline-Störung

Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie

Band 24

Ratgeber Borderline-Störung

von Prof. Dr. Martin Bohus und Dr. Markus Reicherzer

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger,

Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief,

Prof. Dr. Dietmar Schulte, Prof. Dr. Dieter Vaitl

Begründer der Reihe:

Ratgeber Borderline-Störung

Informationen für Betroffene und Angehörige

von Martin Bohus

Prof. Dr. med. Martin Bohus, geb. 1956. Seit 2003 Lehrstuhl für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Heidelberg und Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim.

Dr. med. Markus Reicherzer, geb. 1966. Seit 2008 Ärztlicher Direktor der Klinik Dr. Schlemmer (Centrum für Psychosomatische Medizin) in Bad Tölz.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren bzw. Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handele.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2012 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

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Umschlagabbildung: © Tomasz Trojanowski – Fotolia.com

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Illustrationen: Renate Alf

Format: EPUB

EPUB-ISBN 978-3-8444-1790-6

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Inhalt

Vorwort

1

Borderline-Störung – was ist das?

1.1

Welche Verhaltens- und Erlebensmuster kennzeichnen eine Borderline-Störung?

1.2

Wie häufig sind Borderline-Störungen und wie entwickeln sie sich?

1.3

Wie äußert sich eine Borderline-Störung?

1.3.1

Probleme mit Gefühlen (Gefühlsregulation)

1.3.2

Probleme mit den „anderen“

1.3.3

Probleme mit sich selbst und dem eigenen Körper

1.3.4

Weitere wichtige Symptome

1.3.5

Problematische Verhaltensmuster

1.4

Häufige zusätzliche Störungen

2

Wie entstehen Borderline-Störungen?

3

Welche Möglichkeiten gibt es, die Borderline-Störung erfolgreich zu behandeln?

3.1

Grundsätzliches

3.2

Therapiemethoden

3.3

Behandlungsbedingungen

3.4

Medikamentöse Behandlung

4

Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT)

4.1

Was versteht man unter „Dialektisch Behavioraler Therapie?“

4.2

Sorgfältige Planung bereitet Therapieerfolge vor

4.2.1

Welche Merkmale der Borderline-Störung sind bei Ihnen besonders ausgeprägt?

4.2.2

Wie sind Ihre Lebensverhältnisse?

4.2.3

Wie verlief die Störung bisher?

4.2.4

Der Non-Suizidvertrag

4.2.5

Wurden frühere Therapien abgebrochen?

4.2.6

Was muss ich als erstes in den Griff bekommen? (Verhaltenskontrolle)

4.2.7

Was will ich erreichen (Therapieziele)?

4.2.8

Woran muss ich mich halten (Vereinbarung der Therapieregeln)?

4.2.9

Hilfe per Telefon oder E-Mail?

4.3

Was geschieht während der DBT-Therapie?

4.3.1

Die Arbeit mit dem Therapeuten

4.3.2

Struktur der DBT

4.3.2

Skillstraining

4.3.2.1

Wie lernt man Skills?

4.3.2.2

Skills-Modul 1: Innere Achtsamkeit

4.3.2.3

Skills-Modul 2: Stresstoleranz

4.3.2.4

Skills-Modul 3: Umgang mit Gefühlen

4.3.2.5

Skills-Modul 4: Zwischenmenschliche Fertigkeiten (Umgang mit anderen)

4.3.2.6

Skills-Modul 5: Verbesserung des Selbstwerts

4.4

Stationäre DBT-Behandlung

4.4.1

Stationäre Krisenintervention

4.4.2

Stationäre Intensivbehandlung

5

Weitere wichtige Fragen

5.1

Borderline-Betroffene als Mütter

5.2

Was kann ich als Angehöriger tun?

5.3

Bericht einer Betroffenen – Einmal Hölle und zurück

Anhang

Literatur

Hilfreiche Adressen

Weitere Internetadressen

Arbeitsblätter

Vorwort

Dieser Ratgeber informiert über die Borderline-Störung: Was versteht man darunter, wie entsteht sie und was kann man dagegen tun? Oder vielleicht besser: Wie kann man lernen, damit umzugehen?

Wir wenden uns damit natürlich in erster Linie an die Betroffenen selbst, aber auch an deren Angehörige, Lehrer und Erzieher.

Das Wichtigste zuerst: Die Borderline-Störung ist zwar eine schwere und oft sehr belastende Störung, aber das muss nicht ein Leben lang so bleiben. Die meisten Betroffenen können lernen, mit der Problematik umzugehen und ein lebenswertes Leben zu führen. Manchmal entwickelt sich dies von selbst – wenn alles glatt läuft. Es wird jedoch deutlich einfacher, wenn man Hilfe von Fachleuten findet. Dieses Buch will den Einstieg zu diesem Weg erleichtern.

Manche Betroffene bekommen dieses Buch von Angehörigen in die Hand gedrückt und sind dann zunächst skeptisch. Andere haben schlechte Erfahrungen mit Therapeuten oder Kliniken gemacht. Und manche meinen, sie hätten es nicht verdient, dass es ihnen besser ginge. Damit sind sie nicht alleine. Sie teilen diese Ansicht mit vielen Borderline-Betroffenen.

Wir hoffen, dass Sie dennoch weiterlesen. Geben Sie sich eine Chance, Sie sollten es sich wert sein.

Dieses Buch ist ein Ratgeber. Es kann keine Psychotherapie ersetzen, und das soll es auch nicht. Wir wollen informieren, Mut machen und anregen, sich auf einen neuen Weg zu begeben.

Die Borderline-Störung beginnt meistens im Jugendalter, aber sie ist keine lebenslange Diagnose. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser sind die Chancen. Entscheidend ist also, dass sie frühzeitig erkannt wird und von Fachleuten, die sich mit dieser Störung auskennen, behandelt wird.

Personen mit einer Borderline-Störung verarbeiten Gefühle auf ganz besondere Weise: Sie haben ein ausgesprochen feines Gespür für ihre Umgebung und sie reagieren sehr empfindlich auf Schwierigkeiten mit ihrem Umfeld. Die Gefühle sind dann sehr stark, manchmal überwältigend. Deshalb suchen die Betroffenen nach Möglichkeiten, ihre Gefühle zu dämpfen. Manchmal gelingt dies, manchmal geht das schief. Denn auch Selbstverletzungen, Drogen, Wutanfälle, Alkohol oder sogar Brechanfälle helfen oft kurzfristig, extreme Gefühle zu mildern – aber eben nur kurzfristig. Auf längere Sicht wird man dadurch nur noch anfälliger und die Freunde ziehen sich zurück – ein Teufelskreis setzt sich in Gang. Kennen Sie das? Der Ratgeber hilft Ihnen, den Ausstieg zu finden.

Mannheim und Bad Tölz, Februar 2012

Martin Bohus und Markus Reicherzer

1     Borderline-Störung – was ist das?

1.1   Welche Verhaltens- und Erlebensmuster kennzeichnen eine Borderline-Störung?

Kennen Sie das?

Haben Sie das Gefühl, dass Sie anders sind als alle anderen? Dass Sie einfach nicht dazugehören?

Kommen Sie sich manchmal vor, wie ein „Alien“?

Sind Sie empfindlicher und sensibler als die meisten anderen, die Sie kennen?

Haben Sie je erlebt, dass Ihre Gefühle schmerzen und dass die innere Anspannung unerträglich wird?

Können schon Kleinigkeiten starke Stimmungsschwankungen und negative Gedanken bei Ihnen auslösen?

Neigen Sie dazu, sich selber fertig zu machen? Sich und alles was dazugehört so richtig gründlich zu hassen?

Ist es schwierig für Sie, alleine zu sein, aber mit den Partnern klappt es auch nicht so richtig?

Und wie gehen Sie mit Krisensituationen um? Lösen Sie diese mit Alkohol, Drogen, Selbstverletzungen, Essanfällen oder Hungerphasen? Eigentlich wissen Sie, dass das langfristig ins Chaos führt, aber ...

Kennen Sie das alles? Oder manches?

Wenn Sie dieser Text anspricht, kann es sein, dass Sie eine Borderline-Störung haben.

Woher kommt der Begriff?

Zugegeben: Der Begriff „Borderline“ klingt etwas seltsam. Nach Grenzland, Krisengebiet und Kampfzonen. In Wirklichkeit stammt dieser Begriff aus einer Zeit, in der man noch meinte, dass Patienten mit heftigen Gefühlsschwankungen, mit Stimmen im Kopf und vorübergehenden Gefühlen der Unwirklichkeit, an einer Grenzform der Schizophrenie litten. „Borderline“ beschrieb dann diese vermutete Grenze am Rande der Schizophrenie. Heute weiß man, dass die beiden Störungen nichts miteinander zu tun haben. Der Begriff ist dann trotzdem geblieben. Viele Betroffene mögen ihn.

Wie diagnostiziert man eine Borderline-Störung?

Wenn Wissenschaftler und Therapeuten heute psychische Störungen diagnostizieren, so beziehen sie sich auf die Richtlinien der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA). Diese Richtlinien versuchen, Störungen mithilfe von beobachtbaren Symptomen, das heißt Verhaltensweisen oder innerem Erleben, zu ordnen. Dieses Vorgehen ist nicht in Stein gemeißelt, und es ist auch nicht immer wissenschaftlich gut begründet. Es ist ein mehr oder weniger gelungener Versuch, etwas Ordnung in die Welt der psychischen Erkrankungen zu bringen.

Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die im folgenden Kasten aufgelisteten Erlebens- und Verhaltensmuster in ihrer Gesamtheit die Borderline-Störung sehr gut beschreiben.

Diagnostische Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung:

Menschen mit Borderline-Störungen zeigen häufig folgende Eigenschaften:

Verzweifeltes Bemühen, alles zu tun, um das Gefühl zu vermeiden, dass man verlassen wird.

Sehr enge, aber auch schwierige Beziehungen.

Unsicherheit und Schwankungen im Gefühl für sich selbst.

Schwierigkeiten, schädliches Verhalten zu kontrollieren: z.B. unkontrolliertes Geldausgeben, unvorsichtiger Sex, Drogen oder Alkoholmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Essanfälle usw.

Häufige Gedanken an Selbsttötung, Selbsttötungsversuche oder Selbstverletzungen.

Starke Schwankungen der Stimmungen: z.B. starke vorübergehende Niedergeschlagenheit, hohe Reizbarkeit oder auch anflutende Angst.

Chronisches Gefühl der Leere.

Unangemessene starke Wut oder Schwierigkeiten, Wut oder Ärger zu kontrollieren: z.B. häufige Wutausbrüche, andauernder Ärger, wiederholte Prügeleien.

Vorübergehende stressabhängige pseudopsychotische oder schwere dissoziative Symptome (diese Begriffe werden auf Seite 19 und 20 erklärt).

Die meisten Menschen erleben nicht alle diese neun Kriterien. Man hat sich geeinigt, dass fünf dieser Kriterien ausreichen, damit man mit hoher Sicherheit von einer Borderline-Störung sprechen kann. Aber, wie gesagt, dies sind nur Anhaltspunkte, die Diagnose sollte ein kompetenter Fachmann stellen.

1.2   Wie häufig sind Borderline-Störungen und wie entwickeln sie sich?

Es handelt es sich um eine relativ häufige Störung. Etwa drei von hundert Erwachsenen erleben einmal in ihrem Leben eine längere Borderline-Episode. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Aber die meisten Betroffenen, die therapeutische Hilfe suchen, sind weiblich. Borderline-Männer kommen dagegen häufiger mit dem Gesetz in Konflikt, weil sie häufig ihre Spannungszustände, oder auch das Gefühl von Ohnmacht, nach außen richten und bisweilen aggressiv auftreten.

Die Störung, oder zumindest einige ihrer Merkmale, beginnt meistens mit der Pubertät. Zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr ist fast jedes zwanzigste Mädchen davon betroffen. Etwa ein Drittel der erwachsenen Borderline-Patienten berichtet, dass das selbstschädigende Verhalten (also etwa absichtlich zugefügte Verletzungen) schon vor dem 12. Lebensjahr begonnen hat. Eine große Studie an Schulen in Deutschland zeigte, dass sich etwa jedes zwanzigste 15-jährige Mädchen regelhaft selbst verletzt, und mehr als zwei Selbsttötungsversuche hinter sich hat. Wir wissen aber auch, dass die Probleme und Merkmale der Borderline-Störung sich im weiteren Verlauf deutlich verbessern können. Nach dem 45. Lebensjahr ist nur noch einer von zweihundert Menschen in Deutschland davon betroffen.

Was dazu beiträgt, ob diese Störung sich nun bessert, oder ob sie anhält, ist noch nicht vollständig geklärt. Sicher ist, dass der Gebrauch von Drogen (auch Marihuana!) und Alkohol eine wichtige negative Rolle spielt. Aber auch das Ausmaß von eventueller Traumatisierung und die soziale Unterstützung haben großen Einfluss. Sie sehen also, die Borderline-Störung ist bei weitem keine „seltene Störung“ und es gibt eine Reihe von Prominenten, denen die Merkmale der Borderline-Störung nicht fremd waren. Es könnte gut sein, dass etwa Lady Diana, Jim Morrison, Curt Cobain oder Amy Winehouse eine Borderline-Störung hatten. Aber keine Sorge, nicht alle „Borderliner“ enden in Drogen und Alkohol oder auf der Bühne, die meisten führen ein ziemlich „normales“ Leben.

Eine der größten Gefahren der Borderline-Störung ist jedoch die Selbsttötung. Für viele Borderline-Betroffenen scheint Selbsttötung als letzte Möglichkeit eine starke Faszination auszuüben. Etwa 5% der Betroffenen (also jeder zwanzigste) bringen sich letztendlich um. Die Zahl der Selbsttötungsversuche ist jedoch wesentlich höher (ca. 60%). Ein großes Problem ist auch die soziale Einbindung von Borderline-Patienten. Viele schaffen noch den Schulabschluss. Aber spätestens wenn die Ausbildung oder das Studium beginnen und der Auszug von Zuhause ansteht, fangen die Probleme an. Leider ist die Zahl der jungen Erwachsenen mit Borderline-Störung, die eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, im Vergleich zu ihren Altersgenossen deutlich geringer. Bleibt noch anzumerken, dass es im Verlauf der Störung immer wieder – auch nach langen stabilen Phasen – zu Rückfällen kommen kann. Meist liegt dies an aktuellen Belastungen; eine kurze Therapie führt dann wieder zu einer Stabilisierung.

1.3   Wie äußert sich eine Borderline-Störung?

Merke:

Man kann die Probleme der Borderline-Störung in drei Bereiche gliedern:

Probleme mit Gefühlen (Gefühlssregulation).

Probleme mit Mitmenschen.

Probleme mit dem eigenen Selbst und dem Körperbild.

1.3.1  Probleme mit Gefühlen (Gefühlsregulation)

Menschen mit Borderline-Störungen erleben Gefühle heftiger und länger anhaltend als andere. Das bedeutet, dass oft geringfügige Auslöser genügen, um sehr starke Gefühle hervorzurufen. Diese bestimmen dann das gesamte Erleben. Emotionen haben die „Aufgabe“, uns Menschen zu ganz bestimmten Handlungen oder Verhaltensweisen zu drängen. Deshalb erleben sich Borderline-Patienten oft als Opfer ihrer Gefühle und sind sehr von dem starken Drang bestimmt, diesen Gefühlen nachzugeben.

Wenn beispielsweise Angst, die wir erleben, sehr stark ist, so drängen sich Ideen auf, zu fliehen, Hilfe zu suchen, oder notfalls alle Kräfte zu mobilisieren, um anzugreifen. All unser Denken ist nur noch darauf ausgerichtet, eine weitere Bedrohung möglichst rasch zu erkennen und uns zu verteidigen. Dieses Muster gilt für alle unsere Emotionen. Wann immer ein Gefühl sehr stark ist, bestimmt es unser Denken und Handeln. Kein Wunder also, dass Menschen mit sehr starken Gefühlen, wie Borderline-Patienten, oft „seltsam“ handeln – also nicht unbedingt so, dass die Umgebung immer sofort nachvollziehen kann, was die Betroffenen bewegt. Sind die Gefühle wieder abgeklungen, ist das eigene Verhalten dann oft schwer nachvollziehbar und oft peinlich.

Wenn die Gefühle sehr stark werden, ist es oft schwierig, diese genau zu benennen. Die Betroffenen erleben die Gefühle dann als schier unerträgliche Anspannung: So stark, dass alles versucht wird, diese Anspannung möglichst rasch zu beenden. Abbildung 1 zeigt das typische „Profil“, also den Verlauf der Anspannung, einer Borderline-Patientin. Es wird mit einer gesunden jungen Frau verglichen. Hierfür wurde mit einem Taschencomputer jede Stunde nach der Intensität der aktuellen Anspannung (zwischen 0 und 9) gefragt. Der Wert 7 wurde vorher festgelegt: Ab diesem Wert ist die innere Anspannung so stark, dass das ganze Denken nur noch darauf fixiert ist, diese Anspannung sofort und mit allen Mitteln zu beenden.

Abbildung 1:  Spannungszustände bei Borderline-Patienten und bei Gesunden über 24 Stunden. Die senkrechte Achse gibt das Ausmaß der erlebten Anspannung an, die waagerechte Achse den jeweiligen Zeitpunkt

Man sieht deutlich die raschen, steilen Anstiege bis in sehr hohe Werte, und wie lange es dauert, bis die Gefühle sich wieder normalisieren.

Diese Spannungszustände werden oft als schier unerträglich wahrgenommen. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Betroffene auf Möglichkeiten zurückgreifen, diese Anspannung kurzfristig zu mildern: Selbstverletzungen, Drogen- oder Alkoholkonsum, extreme körperliche Belastung, Ess- und Brechanfälle, aggressive Impulse und vieles anderes mehr. All diesen „Methoden“ ist gemeinsam, dass sie kurzfristig hilfreich, aber langfristig schädlich sind – oder zumindest nicht dazu beitragen, die Situation nachhaltig zu verbessern. Das Gehirn allerdings lernt schnell und es merkt sich die kurzfristigen Folgen besonders gut: Es wird also immer wieder auf diese „raschen Lösungsversuche“ zurückgreifen – so kann suchtartiges Verlangen nach Selbstverletzungen entstehen.

Wie können diese Störungen der Gefühlsregulation erklärt werden?

Die genauen Ursachen und Wirkweisen wissen wir noch nicht. Wahrscheinlich sind einige grundlegende Mechanismen im Zusammenwirken zwischen der Biologie unseres Nervensystems und der Steuerung durch Gedanken im Gehirn gestört. Unter normalen Bedingungen verfügt unser Gehirn über die Fähigkeit, Emotionen automatisch zu dämpfen. Dies geschieht in mehreren Stufen (Regelkreisen). Zusätzlich zu dieser neurobiologisch ablaufenden Dämpfung können Menschen ihre Emotionen durch bewusste Gedanken oder Handlungen kontrollieren und auch dämpfen. Beide Möglichkeiten (also automatische und bewusste Prozesse) scheinen bei Borderline-Patienten nur verzögert zu wirken.

Gedanken wie etwa „Die Situation ist nicht wirklich bedrohlich, ich habe so etwas schon bewältigt.“, oder „Auch wenn diese Herausforderung jetzt neu ist, werde ich nicht sterben, wenn ich nicht die beste bin …“ sind oft hilfreich, um Angst oder Stress zu reduzieren. Borderline-Patienten aber entwickeln typischerweise ganz automatisch Gedanken wie „Wenn ich jetzt einen Fehler mache, merken die anderen, wie blöd ich bin und werden sich über mich lustig machen.“ oder „Wenn ich mich blamiere, überlebe ich das nicht.“ oder „Wenn mein Freund ärgerlich ist, heißt das, dass er mich verlassen wird, und das überlebe ich nicht.“ etc. Also alles Gedanken, die nicht wirklich zur Entspannung beitragen, oder?

Wie gesagt, es gibt zwei Probleme: Zum einen sind die Gefühle sehr stark, weil die neurobiologische Selbstregulation nicht ausreichend funktioniert, zum anderen sind die beruhigenden Gedanken oft nicht sehr hilfreich. Eine Patientin brachte diesen Zusammenhang einmal mit folgender Beschreibung auf den Punkt: „Borderline-Patienten haben einen sehr starkem Motor, wie ein Porsche, aber leider mit Bremsen wie ein VW Polo, da ist es kein Wunder, wenn es sie manchmal aus der Kurve trägt“.

Die gute Nachricht: Man kann, um in diesem Bild zu bleiben, die schwachen Bremsen „nachrüsten“. Man kann zusätzliche Fertigkeiten zur Dämpfung von Gefühlen erlernen. Das ist gar nicht so schwierig und konnte in vielen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen werden. Ein wichtiger Baustein in einer erfolgreichen Therapie der Borderline-Störung ist also immer das Erlernen von Fertigkeiten zur Dämpfung von Gefühlen und damit der „Emotionsregulation“.

Ein wichtiger Teilbereich der Emotionsregulation ist die Kontrolle von Impulsen. Das heißt, das Steuern von rasch einschießenden Ideen oder Handlungsanreizen. Auch hier haben Borderline-Patienten oft Schwierigkeiten. So sind sie oft leicht ablenkbar und können sich manchmal schlecht konzentrieren. Bisweilen reagieren sie sehr heftig, wütend oder aggressiv auf vermeintliche Kränkungen oder Zurückweisungen. Im Nachhinein wird das dann oft bedauert. Viele schämen sich dafür, und ziehen sich dann noch mehr zurück– auch nicht unbedingt ein Erfolgsrezept, um soziale Zugehörigkeit zu pflegen. Aber – auch hier die gute Nachricht: Die Impulskontrolle kann durch gezieltes Training verbessert werden.

1.3.2  Probleme mit den „anderen“