Read into me - Aline Schwarz - E-Book

Read into me E-Book

Aline Schwarz

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Beschreibung

"Eine sympathische Protagonistin mit einem erfrischenden Humor und eine Geschichte, die für ordentlich Herzkribbeln sorgt: Mit Read into me hat Aline Schwarz mich von der ersten Seite an überzeugt." Antonia Wesseling Olivia Watson hat sich geschworen, dass kein Mann je wieder ihren beruflichen Zielen im Weg stehen wird. Doch als sie endlich ihren Traumjob als Lektorin bei einem renommierten Verlag antritt, muss sie ausgerechnet einen Autor betreuen, der seit seinem Bestsellererfolg kein Wort mehr zu Papier gebracht hat. James Cohen ist nicht nur stur und mürrisch, sondern leider auch unverschämt attraktiv. Olivia will sich davon nicht beeindrucken lassen und beschließt, ihn zurück an die Spitze der Bestsellerliste zu bringen. Allerdings hat sie die Rechnung ohne James gemacht, den immer noch Dämonen aus seiner Vergangenheit verfolgen. Und er hat ganz sicher nicht vor mit ihr zusammenzuarbeiten …

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Read into me

Die Autorin

Aline Schwarz, geboren 1990 in Göttingen, studierte Germanistik und Anglistik und verwirrte alle mit der Tatsache, dass sie damit nicht Lehrerin werden wollte. In ihrem Leben dreht sich schon immer alles um Geschichten, weshalb sie sowohl ein Volontariat als Redakteurin als auch als Lektorin absolvierte. Heute arbeitet sie bei einem großen Hörbuchverlag in Hamburg und schreibt Liebesromane. Auf Instagram und TikTok teilt sie alles rund ums Autorinnenleben unter @alinelaraschwarz.

Das Buch

Olivia Watson hat sich geschworen, dass kein Mann je wieder ihren beruflichen Zielen im Weg stehen wird. Doch als sie endlich ihren Traumjob als Lektorin bei einem renommierten Verlag antritt, muss sie ausgerechnet einen Autor betreuen, der seit seinem Bestsellererfolg kein Wort mehr zu Papier gebracht hat. James Cohen ist nicht nur stur und mürrisch, sondern leider auch unverschämt attraktiv. Olivia will sich davon nicht beeindrucken lassen und beschließt, ihn zurück an die Spitze der Bestsellerliste zu bringen. Allerdings hat sie die Rechnung ohne James gemacht, den immer noch Dämonen aus seiner Vergangenheit verfolgen. Und er hat ganz sicher nicht vor mit ihr zusammenzuarbeiten …

Aline Schwarz

Read into me

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2023 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic® E-Book powered by pepyrusISBN 978-3-95818-750-4

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Ranch of Promises

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für Jules, ohne die es dieses Buch nicht geben würde, und für meinen Papa, der mir beigebracht hat, dass man alles schaffen kann, was man sich vornimmt.

Kapitel 1

Es ist nicht meine Schuld. Ich habe alles getan, um richtig in diesen neuen Lebensabschnitt zu starten. Um sechs Uhr aufstehen, ein paar Dehnübungen machen, meditieren, journalen, eine Schüssel Porridge mit Obst essen, ein Glas lauwarmes Wasser mit Zitrone statt Kaffee trinken – alles! Ich habe mir fest vorgenommen, dass das jetzt meine neue Routine wird, als Frau, die Karriere in der Großstadt macht. Mein Körper ist mein Tempel und so. Habe ich meinen Kaffee vermisst? Ja, das habe ich. Schmerzlich. Aber wir müssen nun getrennte Wege gehen, denn ich bin jetzt keine Studentin mehr, sondern eine erstzunehmende Lektorin mit einer Morgenroutine.

Es ist nicht meine Schuld, dass der Plan nur halb aufgegangen ist, ich den Wecker beim ersten Mal überhört habe und auch beim zweiten Mal. Kann ja keiner ahnen, dass so ein Kopfkissen quasi schallisolierend wirkt.

Es ist nicht meine Schuld, dass ich mir bei einer harmlosen Dehnübung einen Muskel im linken Bein gezerrt habe und zehn Minuten dabei verloren habe, den darauffolgenden Krampf zu lösen. Dafür habe ich danach den Teil mit dem Journal ausfallen lassen. Bringt ja keinem etwas, wenn man direkt so viel Negatives festhält.

Es ist nicht meine Schuld, dass eine Blaubeere dem Porridge entkommen ist und sich an meine weiße Bluse geklammert hat, wie an einen Rettungsanker. Konnte ja niemand ahnen, dass das fünfzehn Outfitwechsel nach sich ziehen würde, weil ich keinen guten Ersatz für mein Wochen im Voraus geplantes Ensemble finden konnte. Es ist nicht meine Schuld, dass ich am Ende auf eine Kombi aus Jeans und Pullover zurückgreifen musste, die viel langweiliger aussieht.

Es ist nicht meine Schuld, dass die Mascarabürste aus einer schlechten Laune heraus beschlossen hat, mein Auge zu attackieren. Und es ist auch nicht meine Schuld, dass mein Augenlid so beschützerisch reagiert und sich reflexartig so fest zusammengezogen hat, dass meine Mascara am Ende überall war, nur nicht an meinen Wimpern. Einen Moment lang habe ich überlegt, ob es als Smokey Eye durchgehen könnte, aber dann habe ich einfach alles wieder abgemacht und panisch festgestellt, dass ich keine Zeit mehr zum Neuschminken habe. Na ja, jetzt bin ich eben eher der natürliche Typ. Eine bücherliebende Leseratte, der man ab der Hälfte des Buches den Haarknoten löst und die Brille zertritt, damit sie sich in eine Traumfrau verwandeln kann. Zumindest hat man das Anfang der 2000er Jahre so gemacht. Zum Glück haben wir diese Phase hinter uns gelassen. Zumal mein Longbob ohnehin nur einen kleinen Stummelzopf zulassen würde und ich meine Brille schon vor zehn Jahren gegen Kontaktlinsen getauscht habe. Von meinem morgendlichen Mascaramassaker bleibt also nur leicht gerötete Haut um die Augen.

Es ist im Übrigen auch ganz sicher nicht meine Schuld, dass ich mir nicht für jede Fahrt in New York ein Taxi oder Uber leisten kann. Und dass ausgerechnet heute die U-Bahn nicht pünktlich ist, kann unmöglich an mir liegen.

So, damit hätten wir geklärt, dass ich, Olivia Galadriel Watson, nicht verantwortlich dafür bin, dass ich an meinem ersten Arbeitstag in meinem Traumjob aussehe, als hätte ich die Nacht durchgemacht, und auch nicht dafür, dass ich eine halbe Stunde zu spät bin.

Und ja, dafür, dass mein zweiter Name Galadriel ist, kann ich auch nichts, das geht ganz allein auf das Konto meiner Mom.

Leicht verschwitzt bleibe ich stehen und schließe kurz die Augen. Das darf alles nicht wahr sein. Seit Wochen freue ich mich auf diesen Tag und dann geht alles schief, was nur schiefgehen kann. Kurz fühle ich mich entmutigt und ziehe ernsthaft in Erwägung, mich heute krankzumelden und morgen einen neuen Versuch zu starten, aber dann schüttele ich den Gedanken schnell ab. Ich habe die letzten Jahre nicht so hart gearbeitet, um jetzt kurz vor dem Ziel schlappzumachen. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, öffne ich wieder meine Augen und sehe an dem Hochhaus in Lower Manhattan empor, in dem sich mein neuer Arbeitsplatz befindet. Es ist ein modernes Gebäude mit viel Glas. Am Eingang prangen drei Logos: Das einer Anwaltskanzlei, das eines Versicherungsunternehmens und das von Taylor & Morton, dem renommierten Buchverlag, bei dem ich heute meinen Job beginnen werde. Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass mein Arbeitsleben jetzt endlich richtig beginnt. Kurz spüre ich das Reuegefühl in mir, das immer aufkommt, wenn ich daran denke, dass ich schon vor einem Jahr an diesem Punkt hätte stehen können. Aber das hier ist nicht der richtige Zeitpunkt für Schuldgefühle. Das hier ist der Zeitpunkt für ein kurzes Freshup auf der Damentoilette. Schnell straffe ich die Schultern und betrete die elegante Lobby. Hätte ich High Heels angezogen, würden sie jetzt klackernde Geräusche auf dem weißen Marmorboden hinterlassen. Aber nachdem heute Morgen schon so viel schiefgelaufen ist, habe ich mich beim Schuhwerk für die sichere Variante entschieden und Sneaker angezogen. Ich mache mir eine Kopfnotiz für morgen, denn allein das Geräusch der Schuhe würde mir schon ein mächtiges Gefühl geben. Ich melde mich beim Empfang an und bekomme einen Mitarbeiterinnenausweis, mit dem ich auch nach den Öffnungszeiten das Gebäude betreten und den Fahrstuhl nutzen kann. Ich verkneife mir ein aufgeregtes Quieken. Hier halte ich den Beweis in meinen Händen – ich bin jetzt Mitarbeiterin von Taylor & Morton. Bevor ich in den eleganten Fahrstuhl steige, erkundige ich mich noch schnell nach der Damentoilette und verschwinde kurz, um noch einmal Deo zu benutzen und meine Frisur zu richten. Im Spiegel nicke ich mir aufmunternd zu. Ich bin bereit.

Mit klopfendem Herzen steige ich in den Fahrstuhl und wiederhole mein Mantra: Ich bin eine selbstbewusste junge Frau. Ich verstehe etwas von dem, was ich tue, und ich kann meine Verspätung erklären.

Im fünften Stock steige ich aus, wie es mir in meiner Willkommensmail geschrieben wurde, und sehe mich um. Das Foyer von T&M ist nicht besonders groß, strahlt aber direkt Gemütlichkeit aus. An den Wänden stehen mehrere hohe Bücherregale aus Holz, die hier und da noch etwas Platz für Poster und Fotos von vergangenen Veranstaltungen lassen. Neben einigen bekannten Gesichtern auf den Fotos entdecke ich auch ein paar meiner Lieblingsbücher in den Regalen: Die Passion des Pianisten, Mrs Petersons Bibliothek und einen der Bestseller aus dem Hause Taylor & Morton: Breathe, Boy von J. J. Cohen. Am liebsten würde ich jetzt ganz in Ruhe durch die Regale stöbern, aber dafür bleibt hoffentlich noch genug Zeit, wenn ich nicht direkt wieder entlassen werde.

Der Empfangstresen, der aus demselben weißen Marmor zu sein scheint wie der Boden in der Lobby, sticht deutlich aus der Bücherflut hervor und wirkt dagegen fast ein bisschen zu modern. Andererseits stehen dort auch mehrere Bildschirme, hinter denen ein junger Mann sitzt, der mich noch nicht bemerkt hat. Er sieht ziemlich stylisch aus, sodass ich froh bin, nicht mit Blaubeerbluse aufgekreuzt zu sein.

»Guten Morgen, ich bin Olivia Watson und trete heute hier meine Stelle an«, begrüße ich ihn. Sein Blick wandert über den Rand seiner Brille einmal abschätzig an mir hoch und runter. Bin ich im falschen Stock ausgestiegen und das hier ist doch ein Fashion-Magazin? Spiele ich die neue Hauptrolle in Der Teufel trägt Prada 2?

»Mrs Hargrave erwartet Sie schon. Den Gang runter links«, schnarrt er nur und wendet sich wieder seinen Bildschirmen zu. Okay …

»Ich weiß … da war auch mein Vorstellungsgespräch«, murmle ich leise, aber das scheint schon das Ende unseres Gesprächs gewesen zu sein, zumindest würdigt er mich keines weiteren Blickes.

Ich atme noch mal tief durch und laufe dann zielstrebig den Gang hinunter, um vorsichtig an die Tür von Susan Hargraves Büro zu klopfen.

»Kommen Sie rein, Miss Watson«, ertönt es von drinnen, und ich schlucke. Scheiße, ich bin so was von direkt wieder gefeuert.

»Guten Morgen Mrs Hargrave, entschuldigen Sie bitte, die U-Bahn …«

Sie unterbricht mich sofort mit einer abwehrenden Handbewegung und hält mir einen Stapel Papiere hin. »Kopieren Sie mir das bitte. Ihr Büro ist das links von der Küche. Um 11:30 Uhr haben wir eine Sitzung mit dem gesamten Lektorat.«

»Oh … Okay! Das mache ich sofort, kann ich sonst noch etwas …?«

In diesem Moment klingelt ihr Telefon und sie nimmt den Hörer ab, ohne mir zu antworten. Ich schätze, das heißt »Willkommen und jetzt legen Sie los«.

Mit dem Stapel Papiere unter dem Arm laufe ich etwas verunsichert den Gang runter und schiele vorsichtig in die Büros. Niemand scheint sich für mich zu interessieren und so bin ich ziemlich froh, als ich die Küche entdecke und dadurch auch mein Büro finde. Zugegeben, auch ohne den Küchenhinweis wäre mein Platz nicht schwer zu finden gewesen, denn es ist der einzige leere Tisch in einem Dreierbüro, der natürlich direkt neben der Tür steht. Aber gut, ich bin die Neue, ich muss mir einen besseren Platz erst erarbeiten. Ansonsten ist das Büro ähnlich eingerichtet wie der Rest des Verlags. Das Zimmer ist zwar relativ klein, aber durch die vielen Regale mit Büchern und Ordnern wirkt es gemütlich. Zumindest für mich als Bücherwurm. Vielleicht wäre eine Feng-Shui-Expertin direkt erschlagen.

Ich klopfe vorsichtig an den Türrahmen, den Stapel Papiere auf dem freien Arm balancierend, und betrete den Raum. Meine beiden neuen Zimmergenossen sehen von ihren Bildschirmen auf und zu mir. Okay, sie beachten mich immerhin schon mal, das ist sicher nicht das schlechteste Zeichen. Die junge Frau, deren Tisch rechts von meinem am Fenster steht, lächelt freundlich und steht auf, um mich zu begrüßen. Schnell lege ich die Unterlagen auf den großen Aktenschrank neben meinem Schreibtisch ab, um ihre Hand zu schütteln.

»Herzlich willkommen, du musst Olivia sein. Ich bin Scarlett.« Sie drückt meine Hand fest und ich bewundere die verschiedenen Ringe, die an ihren Finger stecken. Sie muss ein gutes Gespür für Accessoires haben, denn ihre Hand sieht aus wie ein Kunstwerk. Insgesamt ist sie eine ziemliche Erscheinung. Sie ist sehr groß, kurvig und ihre Kleidung akzentuiert ihren Körper genau an den richtigen Stellen. Wieder ein Pluspunkt für meine Entscheidung gegen die Blaubeerbluse. Außerdem bilde ich mir ein, dass ich ihre Erfahrung förmlich in ihrer Aura spüren kann, dabei muss sie ungefähr in meinem Alter sein.

»Freut mich, Scarlett«, erwidere ich schließlich die Begrüßung und lächele sie an.

Auch der Mann im Raum hat sich mittlerweile erhoben und schüttelt meine Hand.

»Jordan Livingston«, stellt er sich vor. Er muss schon ein bisschen älter sein, zumindest lese ich das aus den grauen Strähnen in seinem Bart und seinen Haaren heraus. Er trägt eine große Brille mit dunklem Rahmen und ein schlichtes, aber teuer aussehendes graues Hemd, das seinen Oberkörper betont. Ich bin sicher, dass er ins Fitnessstudio geht.

»Hallo. Sind Sie nicht der Lektor von Amber Rowland?«, frage ich. Ich glaube, ich habe ihn schon öfter auf Verlagsveranstaltungen mit der Bestsellerautorin gesehen.

Er verspannt sich sichtlich und brummelt etwas, das ich nicht verstehe. Habe ich mich vertan? Aber nein, eigentlich bin ich mir immer sicherer, je länger ich ihn ansehe. Erst vor ein paar Monaten war ich mit meiner kleinen Schwester bei einer Lesung der Krimiautorin, und auch da saß er ganz vorne im Publikum. Es herrscht peinliches Schweigen zwischen uns und ich bin unsicher, ob ich noch mal nachhaken soll, als er schließlich doch das Wort ergreift: »Wir können uns ruhig duzen. Und ja, ich habe Amber Rowland betreut.«

Oh. Das klingt, als würde er es nicht mehr tun. Habe ich unwissentlich direkt in ein Wespennest gestochen? Ghost Nights ist doch erst diese Woche in die Bestsellerliste eingestiegen, der achte Band der Reihe um die Ermittler Banks und Lee. Sie wird doch wohl nicht den Verlag wechseln? Oder wollte er etwa nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten? Gedulde dich, Olivia, du wirst sicher noch Zeit haben ihn auszuquetschen, du musst nicht gleich am ersten Tag die neugierige, nervige Neue sein, auch wenn das eine gute Alliteration ist.

»Verstehe«, erwidere ich also bemüht professionell.

»Ja also, du kannst dir sicher schon denken, dass das hier dein Platz sein wird«, sagt Scarlett schnell, um das Thema zu wechseln und deutet auf den freien Schreibtisch. »Jordan und ich arbeiten auch beide im Belletristik-Lektorat. Es gibt außerdem noch das Sachbuch- und das Kinder- und Jugendbuch-Team. Die stelle ich dir nachher alle vor. Bei uns im Team hat jeder ein Spezialgebiet. Jordan ist unser Krimiexperte und ich kümmere mich hauptsächlich um Frauenunterhaltung. Weißt du schon, worauf du dich konzentrieren wirst?«

»Bei meinem letzten Praktikum habe ich viel mit jungen Autoren und Autorinnen gearbeitet, die gerade ihr erstes Buch veröffentlichen. Auf ein Genre war ich dabei bisher nicht festgelegt, aber ich lese gerne Gesellschaftsromane und Coming-of-Age-Geschichten.«

»Sehr gut, gerade im Umgang mit Debütanten lernt man finde ich sehr viel. Dein erstes Projekt wird dir sicherlich in der Sitzung nachher zugeteilt, je nachdem wo wir noch Unterstützung brauchen.« Scarlett tritt neben meinen Schreibtisch und zeigt auf meinen Bildschirm, als würde sie eine Führung durch ein Museum mit mir machen. »Weiter geht’s mit den technischen Infos. Das Passwort für deinen Computer bekommst du von der IT, die Nummer habe ich dir schon neben das Telefon gelegt. Jordan und ich können dich dann später in die wichtigsten Programme einarbeiten. Das ist ohnehin sinnvoller, wenn du es gleich an einem konkreten Projekt lernen kannst.«

Ich nicke zustimmend, ehe sie fortfährt: »Tee und Kaffee gibt es gratis in der Küche, und die Toilette ist am Ende des Flurs. Der große Konferenzraum befindet sich in der sechsten Etage, und unter uns in der Vierten gibt es eine kleine Kantine, die wir uns mit den Leuten von Rogers und co. und Securitas teilen.«

Ich krame schnell mein Notizbuch aus meiner Tasche und versuche, alles mitzuschreiben, was Scarlett scheinbar ein bisschen irritiert, während Jordan amüsiert ein Grinsen hinter seiner Hand verbirgt. Was? Ich bin nun mal gerne vorbereitet und lese mir später vielleicht alles noch mal in Ruhe durch, wenn mein Herz nicht mehr wie verrückt klopft.

»Super, danke«, sage ich schnell und lasse mich auf den Schreibtischstuhl fallen. »Ich entschuldige mich schon mal für die nervigen Fragen, mit denen ich euch in nächster Zeit überhäufen werde.« Eigentlich finde ich, dass es keine nervigen Fragen gibt, aber ich hoffe, dass es sympathisch rüberkommt, wenn ich offen zugebe, dass ich für sie erst mal Arbeit bedeute. Ich habe ohnehin nicht vor, lange ein Störenfried zu sein, schließlich arbeite ich gerne und bin dabei sehr selbstständig. Außerdem habe ich mir fest vorgenommen, eine der besten Lektorinnen aller Zeiten zu werden. No pressure. Vielleicht klingt das jetzt etwas hochgegriffen, aber die Tatsache, dass ich hier bei Taylor & Morton arbeiten darf, ist immer noch extrem unwirklich und faszinierend für mich. Seit ich lesen kann, will ich in die Buchbranche. Geschichten erzählen zu können, ist für mich eine Kunst, und ich bewundere jeden Autor und jede Autorin wahnsinnig dafür. Leider habe ich nie selbst ein Talent zum Schreiben entwickelt, aber ich habe schnell festgestellt, dass ich eine sehr gute und akribische Leserin bin. Böse Zungen würden behaupten, ich sei ein wenig anstrengend, wenn ich über meine liebsten oder meistgehassten Bücher rede, denn das kann Stunden dauern. Ich nehme dann jede Passage, jeden Charakter und jeden Spannungsbogen genau auseinander und habe zu absolut allem eine Meinung. Das hat mir bisher nicht immer Freunde eingebracht. Die meisten Leute am College hielten mich für ein bisschen verschroben und eine Besserwisserin, obwohl ich eigentlich gehofft hatte, Gleichgesinnte in meinem Literaturstudium zu finden. Bei meinem ersten Praktikum war ich deshalb ziemlich aufgeregt, stellte aber schnell fest, dass mein Händchen für Details in der Buchbranche nicht nur gefragt war, sondern auch wertgeschätzt wurde. Deshalb freue ich mich wahnsinnig, jetzt endlich als Lektorin durchzustarten und den Platz einzunehmen, den ich wohl immer haben sollte.

Scarlett schmunzelt. »Es gibt keine dummen Fragen. Besser du fragst, als dass du nicht weiterkommst. Aber eigentlich ist hier auch nichts ein Hexenwerk, keine Sorge.«

Die Frau versteht mich! Ich nicke ihr dankbar zu, und sie und Jordan setzen sich wieder an ihre Plätze, um weiterzuarbeiten.

»Entschuldige, dass deine Begrüßung so knapp ausfällt, aber wir haben schon ein bisschen früher mit dir gerechnet und müssen uns noch auf die Sitzung vorbereiten. Du wirst es gleich selbst erleben, aber die Stimmung ist gerade ein bisschen angespannt, weil uns J. J. Cohen ein paar Probleme bereitet«, sagt Scarlett in etwas leiserem Ton und wirft einen kritischen Blick zur Tür. J. J. Cohen. Mein Herz macht sofort einen Satz. Er ist nämlich auch einer der Gründe, warum ich unbedingt zu Taylor & Morton wollte. Der Kerl ist ein verdammtes Genie. Er ist erst neunundzwanzig Jahre alt, aber er schreibt, als hätte er die Seele eines Mannes, der seit Urzeiten auf Erden wandelt. Sein Debütroman Breathe, Boy stand monatelang ganz oben auf der Bestsellerliste und hat ihm einige Preise eingebracht. Ich habe sogar in meiner Abschlussarbeit über die unterschiedlichen Effekte von Vergleichen und Metaphern in der Gegenwartsliteratur daraus zitiert. Dann kam sein zweiter Roman, und der ist ziemlich gefloppt, was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Ja, inhaltlich war die Geschichte weniger stark, aber sprachlich war auch dieses Buch wieder ein Genuss auf hohem Niveau. Aktuell arbeitet er an seinem dritten Roman und der Druck ist nun natürlich hoch. Ich bin gespannt, ob es deshalb gerade ein bisschen schwierig mit ihm ist. Insgesamt scheint er ein eher verschlossener Typ zu sein, denn es gab bisher kaum Interviews mit ihm und auch keine Lesereise oder andere Veranstaltungen. Selbst seine Preise wurden zum Großteil von seiner Literaturagentin angenommen, und über sein Privatleben weiß man eigentlich gar nichts.

Ich nicke Scarlett schnell verständnisvoll zu und schalte den PC an, um mich erst mal darum zu kümmern, dass ich arbeiten kann.

Die nächste Stunde hänge ich mit Mick von der IT am Telefon, der mir langsam und geduldig alles erläutert und die Software einrichtet. Ich bin nicht besonders technikaffin und daher sehr dankbar dafür, dass er mir alles ganz genau erklärt und wiederholt. Schließlich habe ich eine E-Mail-Adresse, mein Computer ist mit dem Netzwerk verknüpft und auch aufs Intranet habe ich Zugriff. Das werde ich später in Ruhe durchstöbern. Jetzt erfreue ich mich erst mal an meiner neuen E-Mail-Adresse. [email protected]. Ich habe es wirklich in meinen Wunschverlag geschafft. Stolz wallt in mir auf. Die schlechtbezahlten Praktika und Überstunden haben sich am Ende doch noch ausgezahlt.

»Hey Olivia, wir sollten gehen. Nimm dir etwas zu schreiben mit, das neueste Teammitglied muss immer Protokoll führen«, sagt Scarlett und schnappt sich ihre Sachen.

Ich springe auf, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen und werde direkt rot, weil das vielleicht ein bisschen übereifrig aussieht. Zum Glück haben Scarlett und Jordan scheinbar nichts bemerkt, denn sie schnappen nur ihre Sachen und warten dann auf mich, um mit mir zum Konferenzraum zu gehen. Als die Aufzugstür sich öffnet, kommt uns der Typ vom Empfang entgegen, der, wie ich erleichtert feststelle, auch Jordan und Scarlett keines Blickes würdigt. Scarlett rollt sogar mit den Augen, als er an uns vorbeigeht und wir den Aufzug betreten.

»Ziemlich arroganter Typ, erzähle ich dir später«, zischt sie mir zu, während wir ein Stockwerk höher den Fahrstuhl verlassen.

Im Konferenzraum herrscht schon reges Treiben und wir setzen uns auf die letzten freien Plätze. Das Lektorat besteht neben Mrs Hargrave aus fünfzehn Lektoren und Lektorinnen, wobei die Frauen deutlich überwiegen. Außerdem sitzen ein paar jüngere Gesichter dazwischen, vermutlich Praktikanten oder studentische Hilfskräfte. Hätte ich das gewusst, hätte ich schon während des Studiums versuchen können hier zu arbeiten, aber damals sahen meine Prioritäten noch anders aus …

»Miss Watson?« Die Stimme meiner Chefin lässt mich aufschrecken. »Haben Sie die Papiere kopiert?«

Hitze steigt mir ins Gesicht. Verdammt, das habe ich völlig vergessen, weil ich so vertieft in die Einrichtung meines PCs war. »Oh, ähm nein, ich …«

Sie verdreht die Augen und nimmt einfach einer älteren Kollegin neben sich die Unterlagen weg. »Jordan, lassen Sie bitte Betty mit in Ihre Mappe gucken, danke. Miss Watson, wenn Sie nicht wissen, wie der Kopierer funktioniert, fragen Sie bitte die Kollegen. Ich erwarte ein bisschen mehr Selbstständigkeit und Initiative.«

Ich möchte auf der Stelle tot umfallen. Alle Augen im Raum wandern zu mir und wahrscheinlich fragen sie sich heimlich, mit wem ich verwandt bin, um überhaupt diese Stelle bekommen zu haben.

»Sie sollen Protokoll führen, bekommen Sie das hin?«, fragt Mrs Hargrave kühl und sieht mich nicht an.

Ich schlucke und nicke wie ein kleines Mädchen. »Ja, natürlich.«

Das muss das beste Protokoll werden, das die Welt je gelesen hat …

Reihum erzählen die Lektoren von ihren Projekten und ich schreibe fieberhaft mit, als würde ich gerade selbst einen Roman verfassen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Hälfte der Zeit habe ich keine Ahnung, worum es geht, und markiere mir Orte, Namen und Projekte mit Fragezeichen, um später nachzusehen, ob ich alles richtig verstanden habe. Natürlich könnte ich auch nachfragen, aber irgendetwas sagt mir, dass ich dadurch nur noch mehr in Ungnade bei Mrs Hargrave fallen würde. Ich erwarte ein bisschen mehr Selbstständigkeit und Initiative.

Als Scarlett und Jordan von ihren Projekten berichten, versuche ich dann aber doch von meinen Notizen aufzusehen, und höre neugierig zu. Man merkt, dass Scarlett auf Frauenunterhaltung spezialisiert ist, zumindest klingt ihr aktueller Titel amüsant und perfekt für einen kuscheligen Tag im Bett. Leider erzählt Jordan nichts von Amber Rowland, aber der neueste Banks und Lee ist ja auch gerade erst erschienen. Dennoch habe ich ein bisschen das Gefühl, dass die Stimmung im Raum sich verändert hat, auch wenn ich noch nicht ganz greifen kann, inwiefern. Mein Zimmerkollege beschäftigt sich aktuell mit einem cosy crime Roman, der an der Küste von England angesiedelt ist und bei dem offenbar Shetlandponys eine wichtige Rolle spielen. Ich habe sofort die passenden Bilder vor Augen und muss mich zusammenreißen, um mich wieder auf mein Protokoll zu konzentrieren. Als Jordan fertig mit seinem Bericht ist, verändert sich die Atmosphäre im Raum erneut merklich. Diesmal fühlt es sich an, als würde ein eisiger Hauch meinen Rücken runterfahren und wie aufs Stichwort stellen sich die Härchen auf meinen Armen auf. Ich wage es, ganz kurz den Blick von meinen Notizen zu lösen und mustere die Lektorin, die nun an der Reihe ist. Sie hat wellige dunkelrote Haare, und Augen wie eine Katze. Ich schätze, sie ist Mitte vierzig und war in ihrem früheren Leben sicher einmal Model. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber mir fällt beim besten Willen nicht ein, wo ich sie schon mal gesehen habe. Mrs Hargrave sieht ebenfalls von ihren Unterlagen auf, beinahe ein Akt der Ehrerbietung, wenn man mich fragt, und schenkt ihr ein Lächeln, das allerdings nicht ganz echt wirkt.

»Bobby. Wie geht es unserem Sorgenkind?« Ihre Stimme klingt weich wie Samt, aber gleichzeitig auch so, als warte sie nur darauf, Bobby den Kopf abzureißen, wenn sie nicht die richtige Antwort für sie bereithält.

»Wie eine Sphinx«, denke ich, murmele es dabei aber leider leise vor mich hin. Alle Köpfe schießen in meine Richtung. Wie bei einer Hydra! Das mit den Vergleichen wird langsam wirklich etwas zwanghaft.

»Was haben Sie gesagt, Miss Watson?«, Mrs Hargrave hat eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen so hochgezogen, dass sie unter ihrem geraden Pony verschwunden ist. Ich spüre, wie schon wieder Hitze in mir aufsteigt.

»Ähm, ich habe nur überlegt, wie man War Wings schreibt. Zusammen oder getrennt …« Das ist der Roman, um den es vorher ging, und es bereitet mir physische Schmerzen zu behaupten, dass ich nicht wüsste, wie man das schreibt. Mrs Hargrave rollt mit den Augen und hat offensichtlich genug von mir, denn sie wendet sich wieder Bobby zu, ohne mir eine Antwort auf meine Frage zu geben. Hallo, es wäre jetzt nicht zu viel verlangt gewesen, einfach getrennt zu sagen, oder? Der Vergleich mit Meryl Streep in Der Teufel trägt Prada wird immer naheliegender. Vergleich! Ah, ich muss dringend damit aufhören.

Bobby wirkt angespannt und räuspert sich schließlich.

»Wie ich dir bereits vorhin am Telefon erklärt habe, Susan, gestaltet sich die Zusammenarbeit mit James Cohen weiterhin schwierig. Er hält sich nicht an seine Abgaben, er geht nicht ans Telefon und auf E-Mails antwortet er auch nicht. Mal davon abgesehen, dass ich immer noch kein einziges Wort von diesem Roman zu lesen bekommen habe. Ich sage dir, wir werden unser Veröffentlichungsdatum niemals einhalten können. Der Junge hält dem Druck nicht stand, ist aber zu arrogant und selbstversessen, um das zuzugeben.« Stille. Oh nein, sie hat es gewagt das Wunderkind anzuzweifeln, das wird der Sphinx sicher nicht gefallen. Ich frage mich, ob es so klug von mir ist, diesen Spitznamen in meinem Kopf zu etablieren. Nicht, dass ich sie eines Tages noch aus Versehen so nenne.

Mrs Hargrave sieht Bobby eindringlich an und faltet die Hände vor ihrem Körper. Ein letztes Gebet für die arme Sünderin, ehe sie in den Fluss geworfen wird.

»Du hast recht.«

Ich kann mich gerade noch davon abhalten laut Wie bitte? durch den Raum zu rufen. Sie hat ihr recht gegeben? Ich schiele vorsichtig zu den anderen, aber sie sehen nicht mal annähernd so geschockt aus, wie ich mich fühle. Ist das die allgemeine Meinung zu J. J. Cohen? Sind die alle verrückt? Jemand, der so einen Roman schreibt, macht das doch nicht nur einmal, weil er zufällig Glück gehabt hat.

»Ich werde das noch mal mit der Vertragsabteilung klären, aber es kann gut sein, dass wir ihm eine letzte Deadline anbieten und sonst mit Vertragsbruch drohen. Dann sind wir raus.« Ich bin entsetzt. Irgendwie bin ich immer ganz naiv davon ausgegangen, dass alle hier mit Leidenschaft bei der Sache sind und nicht einfach links und rechts talentierte Autoren fallen lassen, nur weil sie nicht wie Maschinen funktionieren.

Bobby fährt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Ich bin ganz ehrlich, ich habe keine große Lust mehr mit ihm zu arbeiten, aber wenn wir ihm noch eine letzte Chance geben wollen …«

»Wir laufen ihm jetzt einfach nicht mehr hinterher. Erinnere ihn noch einmal an seine vertraglichen Verpflichtungen und dann hat sich das.« Mrs Hargrave sieht in die Runde. »Oder hat jemand anderes Lust, das Ding fertig abzuwickeln?«

»Ich mache es«, sagt irgendjemand und es dauert einen Moment, bis ich realisiere, warum mich alle plötzlich anstarren. Diejenige, die sich gerade freiwillig gemeldet hat, den in Ungnade gefallenen J. J. Cohen zu betreuen, bin ich.

Kapitel 2

Mrs Hargrave mustert mich, als würde ich ihr Migräne verursachen, und wahrscheinlich stimmt das sogar. Seit ich heute Morgen das Büro betreten habe, habe ich sie nur aufgeregt. Verdammt, was mache ich hier eigentlich. Es ist mein erster Tag und ich will direkt einen schwierigen Autor übernehmen, der nach einer Pleite nun auch noch eine Schreibblockade hat, und das alles nur, weil er ganz nette Metaphern und Vergleiche schreiben kann? Vielleicht bin ich doch noch nicht bereit, eine richtige Lektorin zu sein. Vielleicht stelle ich Autoren auf ein viel zu hohes Podest und kann deshalb nicht mehr objektiv sein. Was, wenn dieser Kerl nun dafür sorgt, dass ich meinen neuen Job sofort wieder verliere? Eigentlich kann ich direkt meine Sachen packen.

Es sei denn …

Ein wahnwitziger Gedanke formt sich in meinem Kopf, ehe ich ihn aufhalten kann. Was, wenn ich es schaffe, J. J. Cohen wieder zu einem Erfolg zu verhelfen? Etwas, das nicht mal die erfahrene Bobby geschafft hat. Etwas, vor dem alle anderen zurückgeschreckt sind, weil es eine unmögliche Aufgabe zu sein scheint. Aber ich bin sicher, dass Cohen es in sich hat und er noch mal einen so guten Roman wie Breathe, Boy schreiben kann. Nein, sogar noch besser. Und ich werde ihm dabei helfen. In meinem Kopf lache ich irre, im Hintergrund blitzt und donnert es. Ob es wohl möglich ist, dass die Mascara von heute Morgen über meine Schleimhäute in mein Gehirn vorgedrungen ist?

»Gut, Miss Watson übernimmt Cohen. Bobby, bitte führe sie später in das Projekt ein und schicke ihr den letzten Mailverlauf. Du kümmerst dich dann bitte um Sanders, das ist ohnehin wichtiger dieses Jahr.«

Bobby mustert mich argwöhnisch, ist aber offensichtlich viel zu erleichtert, dass sie nun einen der Spitzentitel betreuen kann, um gegen diese Änderungen zu protestieren.

Der Rest der Konferenz verläuft weitestgehend ereignislos, und wir gehen alle zurück in unsere Büros. Ich habe mich gerade an meinen Platz gesetzt, als Scarlett und Jordan hereinkommen, die Tür hinter sich schließen und mich ansehen, als wäre ich aus einer Irrenanstalt ausgebrochen. Na, obwohl, Jordan scheint eher ein bisschen amüsiert zu sein.

»Weißt du eigentlich, was du dir da eingebrockt hast, Olivia? Bobby schimpft seit fast einem halben Jahr, dass sie den Typ nicht dazu bekommt, auch nur eine Zeile zu schreiben, sei es in einer E-Mail an sie. Er geht nicht ans Telefon, er hält sich an keine einzige Frist, und sie hat ihm sogar schon vor der Tür aufgelauert, um ihn abzufangen, aber er hat sie trotzdem ignoriert. Es ist wirklich nicht so, dass sie es nicht versucht hätte. Der Typ hat sie ganz offensichtlich nicht mehr alle. Wir haben eigentlich nur noch drauf gewartet, dass Susan endlich ein Machtwort spricht und die Sache beendet«, platzt es aus Scarlett heraus.

Mir ist ein bisschen flau im Magen, aber ich kann jetzt unmöglich zu meiner Chefin gehen und ihr erklären, dass ich schon wieder einen Fehler gemacht habe. »Ich kriege das schon hin. Er … ist schließlich auch nur ein Autor. Ein Künstler. Und ich glaube nach wie vor, dass er das Talent hat, noch einen Bestseller zu schreiben.«

Scarlett stöhnt. »Manchmal ist Talent nicht genug.«

»Ich finde, Olivia hat recht. Vielleicht braucht der Junge nur den richtigen Anreiz?« Jordan lehnt sich lässig in seinem Schreibtischstuhl zurück und zwinkert mir aufmunternd zu.

Einen Moment lang sieht Scarlett mich an, dann lässt sie sich auf ihren Bürostuhl fallen und atmet tief ein. »Okay, wie sieht dein Plan aus?«

Auch wenn sie mich für völlig durchgeknallt hält, habe ich sie glaube ich ein kleines bisschen beeindruckt.

»Vielleicht ist es schon mal ein guter erster Schritt, dass ich eine neue Person bin, die er noch nicht kennt. Manchmal hilft es Autoren, wenn sie ein bisschen unsanft aus ihrer Routine gerissen werden. Das regt die Kreativität an.« Ich bin selbst überrascht, wie überzeugend das klingt. Als würde ich das hier schon seit Jahren machen. Ha! Vermutlich kann ich hier aber wirklich ein paar Tricks anwenden, die mir bei der Betreuung von Debütautoren damals geholfen haben.

Scarlett blinzelt irritiert und muss dann grinsen. »Du hast echt ‘nen Knall, Watson, aber wer weiß, vielleicht braucht dieser Kerl genau das.«

Die Tür geht auf und Bobby stapft ins Büro, einen Stapel Papiere in der Hand. Sie knallt mir den Haufen auf den Tisch und schmunzelt abschätzig. »Hier, das ist alles, was es über Cohen zu wissen gibt. Habe dir auch meinen gesamten E-Mail-Verkehr mit ihm geschickt. Viel Vergnügen, Herzchen.« Damit macht sie auf dem Absatz kehrt und geht einfach wieder, ohne abzuwarten, ob ich vielleicht noch Fragen habe.

»Mach dir nichts draus, sie war in letzter Zeit ein wenig angespannt wegen Cohen. Lies dich erst mal ein und dann kann ich dir unsere Verlagssysteme noch mal detaillierter zeigen. Also dann, viel Glück.« Jordan zuckt mit den Schultern und öffnet ein Manuskript am Bildschirm, um weiterzuarbeiten.

Scarlett und ich tauschen noch einen Blick aus, dann macht auch sie sich wieder an die Arbeit.

Ich klicke mich in mein Mailprogramm, um mir anzuschauen, was Bobby zuletzt mit J. J. besprochen hat. Wie angekündigt, befinden sich mehrere Mails in meinem Postfach, aber es dauert nicht wirklich lange, sie zu sichten:

03.02.19

Von: [email protected]

An: [email protected]

Hallo Mr Cohen,

ich wollte nur einmal hören, wie Sie mit dem Exposé vorankommen? Lassen Sie mich wissen, wenn ich Ihnen helfen kann. Wir können gerne im Laufe der Woche telefonieren?

Herzliche Grüße

Roberta Anderson

15.02.19

Von: [email protected]

An: [email protected]

Hallo Mr Cohen,

ich konnte Sie leider nicht erreichen. Können wir einen Telefontermin für Ende der Woche ausmachen?

Herzliche Grüße,

Roberta Anderson

26.02.19

Von: [email protected]

An: [email protected]

Hallo Mr Cohen,

am 28. wäre die Deadline für das Exposé. Rufen Sie mich doch bitte zurück, sobald Sie Zeit haben.

Herzliche Grüße,

Roberta Anderson

So geht das seitenweise. Zwischendrin scheint Bobby ihn telefonisch erreicht zu haben, denn sie bezieht sich immer wieder auf ein Telefonat im April und ein Gespräch mit der Agentin Molly Branford, bei dem Cohen ebenfalls dabei gewesen sein muss. Das geht also schon seit Februar so. Ich schaue auf den Kalender. Es ist der erste September. Was habe ich mir da nur eingebrockt …

Okay, laut dieses Mail-Verlaufs scheint Cohen wirklich nicht so einfach zu sein, aber das bedeutet ja noch lange nicht, dass ich deshalb die Flinte ins Korn werfen muss. Nein, ich werde erst mal ganz unbefangen an die Sache rangehen, als hätte ich noch nie von den Schwierigkeiten mit ihm gehört. Mhm, das wird mir sicher leichtfallen … Ich atme tief durch und öffne ein neues E-Mail-Fenster.

Sehr geehrter Mr Cohen,

mein Name ist Olivia Watson und ich werde ab heute Ihre neue Ansprechpartnerin und Lektorin sein.

Ob ich etwas zu Bobby schreiben sollte? Oder ist es unklug, auf den Wechsel einzugehen? Ich entscheide mich dafür, sie erst mal nicht zu erwähnen.

Vielleicht können Sie mir ja kurz ein Update zu Ihrem Schreibprozess geben?

Ich würde mich sehr über ein kurzes persönliches Kennenlernen freuen und sende die besten Grüße

Olivia Watson

Ich lese noch gefühlt hundertmal über den kurzen Text und schicke ihn dann ab. Jetzt heißt es warten. Gut, dass ich ein so geduldiger Mensch bin. Oder auch nicht. Alle zehn Sekunden aktualisiere ich meinen Posteingang, nur um wieder festzustellen, dass nichts passiert ist. Zeit, sich eine andere Beschäftigung zu suchen.

Um 18 Uhr mache ich ein wenig erschlagen Feierabend. Das war er also, der erste Arbeitstag in meinem Traumjob. Bestandsaufnahme: Der Typ am Empfang hasst mich, aber ich habe nette Kollegen in meinem Büro. Meine Chefin denkt, ich kann nicht mal den Kopierer bedienen, aber ich habe nun auch eine Chance, mich zu beweisen. Und: Ich betreue einen Autor, den ich fantastisch finde, aber er könnte mich genauso gut meinen Job kosten. Denn natürlich hat sich J. J. Cohen bisher nicht gemeldet, und so habe ich den Rest des Tages damit verbracht, mich einzuarbeiten, Kopien zu erstellen (endlich!) und mich von Scarlett und Jordan zu allen laufenden Projekten updaten zu lassen. Ich habe mich nicht getraut, Mrs Hargrave noch mal aufzusuchen und sie zu fragen, ob ich neben Cohen vielleicht noch andere Autoren betreuen könnte. Vielleicht morgen. Morgen wird bestimmt ein besserer Tag.

In der U-Bahn nach Hause recherchiere ich ein bisschen zu meinem Sorgenkind. In der Presse ist er schon länger nicht aufgetaucht. Zuletzt wurde er bei einer Spendengala zur Sanierung einer alten Bibliothek fotografiert. Er sieht ziemlich gut aus. Dunkelblonde Haare, etwas verstrubbelt, als hätte er keine Zeit, sich um sie zu kümmern und würde beim Schreiben immer wieder wild hindurchfahren. Blaue Augen, fast grau, kein Bart. Nicht mal ein paar Stoppeln. Seine Designerbrille mit dunklem Rand passt zu dem sichtbar teuren Anzug, den er auf dem Bild trägt. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass seine Familie sehr reich ist. Zum Glück ist die Antwort im Internet nur ein paar Klicks entfernt. Sein Vater Arthur Cohen hat scheinbar in den späten Neunzigerjahren ein Vermögen mit Immobilien gemacht und ist mittlerweile Vorsitzender des Vereins zum Schutz historischer Gebäude in New York. Das erklärt, warum sein Sohn auf dieser Spendengala war. Davor konnte er sich wohl, im Gegensatz zu seinen schriftstellerischen Verpflichtungen, nicht drücken. Zu einer Mrs Cohen kann ich nichts finden. Ob sie wohl nicht so gerne in der Öffentlichkeit steht? Vielleicht sind sie getrennt? Das erinnert mich daran, dass der junge Mann in Breathe, Boy immer als Erstes seine Mutter anruft, wenn etwas in seinem Leben passiert. Im Roman hat das etwas seltsam Anrührendes, aber wenn ich es auf den Autor selbst übertrage, denke ich sofort, dass er ein Muttersöhnchen ist. Es ist natürlich nichts verkehrt daran, wenn ein Mann ein gutes Verhältnis zu seiner Mutter hat, versuche ich mir einzureden, aber irgendwie ist die Vorstellung für mich dennoch ein bisschen befremdlich. Wieder einer dieser Momente, in denen ich mich frage, wie verkorkst wir eigentlich alle von den gesellschaftlichen Normen sind. Männer dürfen genauso wie Frauen eine weiche Seite haben und diese auch ausleben. Wenn ich mich bei solchen altmodischen Gedanken erwische, versuche ich neuerdings, sie gleich richtig einzuordnen. Mal gelingt das gut, mal nicht so. Außerdem habe ich jetzt das drängende Bedürfnis, meine Mutter anzurufen … Ich zücke mein Handy und schreibe eine Nachricht zu meinem ersten Tag in den Familienchat, den ich mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester Sadie teile. Sofort kommt eine Nachricht mit vielen Herzchen von meiner Mom zurück.

»Bin so stolz auf dich, Livie! <3<3<3«

Ich bin vor fünf Jahren fürs Studium von zu Hause ausgezogen. Es fiel mir nicht leicht, weil ich meiner Mom und meiner Schwester sehr nahestehe und wir früher jede freie Minute miteinander verbracht haben. Seit nun vor drei Jahren auch Sadie ausgezogen ist, lebt meine Mom allein in der loftartigen Wohnung über ihrem Atelier, in der früher unsere Mädels-WG war, wie wir sie liebevoll genannt haben. Meine Mom ist Künstlerin, verkauft Bilder und gibt Kurse. Zuletzt haben vor allem reiche New Yorker Hausfrauen dieses Angebot angenommen, was dazu geführt hat, dass meine Mom ziemlich gut davon leben kann und Sadie weniger Schulden für ihr Studium auf sich nehmen musste als ich. Das beruhigt mich, denn ich war immer die Vernünftigere von uns beiden, die besser haushalten konnte.

Unser Vater ist abgehauen, als ich gerade zwei Jahre und Sadie dreizehn Monate alt war. Ich weiß eigentlich kaum etwas über ihn, und da er nie wieder den Kontakt zu seinen Töchtern gesucht hat, kann er mir ehrlich gesagt auch gestohlen bleiben. Nur Sadie leidet manchmal darunter, dass unsere Mom sich weigert, über ihn zu sprechen.

Ich schicke meiner Mom ein Herz zurück und verspreche, sie die Tage anzurufen. Meine kleine Schwester scheint offline zu sein, aber das wundert mich nicht. Vermutlich ist sie gerade beim Yoga, auf einer wilden Hausparty oder lässt sich spontan ein Tattoo stechen. Bei Sadie weiß man nie …

Meine Wohnung befindet sich in einem Reihenhaus, das im Stadtteil Prospect Heights in Brooklyn liegt. Von dort aus sind es nur zehn Minuten zu Fuß zum Prospect Park, wo ich im Sommer gerne Zeit mit einem Buch verbringe. Heute bin ich vor allem dankbar für die kurze Entfernung mit der U-Bahn zur Arbeit. Müde schließe ich die Tür zu meinem kleinen Appartement auf und atme durch. Meine Höhle, mein Schutzraum, meine kleine Komfortzone. Es gibt keinen Ort, an dem ich mich wohler fühle als in meinen eigenen vier Wänden. Mein Appartement besteht aus einem kleinen Flur, in dem man sich gerade so um seine eigene Achse drehen kann, einem Schlafzimmer, Bad und meiner Wohnküche, wie ich den Raum mit der Küchenzeile, dem alten Sofa und dem kleinen Esstisch liebevoll nenne. Die Möbel sind alle gebraucht und über eBay zu mir gekommen, weshalb sie nicht so ganz zusammenpassen, aber das ist mir egal. Das Sofa hat genau da eine Kuhle, wo ich am allerliebsten lese, der kleine Esstisch hat überall Spuren aus meiner Uni-Zeit, und in der Küche ist ein kleiner Brandfleck auf der Arbeitsplatte, von dem Abend, an dem meine kleine Schwester Sadie und ich versucht haben, selbst Schnaps zu brennen. Eigentlich ist die ganze Wohnung wie ein gutes Buch: Jede neue Seite, die man anschaut, hält weitere Geschichten für einen bereit.

Ich hänge meinen Mantel an der Garderobe auf und stelle meine Arbeitstasche auf den Boden neben die kleine Kommode im Flur, ehe ich ins Bad gehe, wo mich das Chaos von heute Morgen erwartet. Nachdenklich räume ich das Make-up ordentlich an seinen Platz zurück und weiche die Blaubeerbluse im Waschbecken ein. Wie bringe ich diesen sturen Autor dazu, sich mit mir zu treffen? Diese Frage begleitet mich beim Kochen, als ich später in ein paar Manuskripte reinlese, die ich mir zur Prüfung aus dem Verlag mitgenommen habe, und schließlich, als ich mich schon fest in meine Bettdecke gekuschelt habe. Es muss möglich sein, ihn aus seinem Versteck zu locken, und ich werde schon noch rausfinden wie.

Kapitel 3

Eine Woche. Ich arbeite gerade mal seit einer Woche in meinem Traumjob, und heute ist der Tag, an dem ich gefeuert werde. Mach’s gut Schreibtisch, tschüss Stuhl, bis dann Lampe. Scarlett hat versucht, meine Panikattacke abzufangen, aber es hat nur so semigut funktioniert. Sie hat es zwar nicht gesagt, weil sie eine gute Kollegin ist, sogar die allerbeste, aber ein ich hab’s dir doch gesagt wäre so was von angebracht gewesen. Wenigstens ist Jordan gerade im Urlaub und bekommt meinen Untergang nicht live mit. Wie konnte ich mir selbst nur einreden, dass das gut ausgehen würde, dass das eine gute Idee wäre. Ich neige dazu, mich zu überschätzen, ohne Frage, aber diese Aktion war an Größenwahn wirklich kaum zu überbieten. Ich starre auf den schwarzen Bildschirm und atmete tief ein und aus, damit ich es nicht vergesse und in Ohnmacht falle. Ich höre Schritte, dann öffnet sich unsere Tür. Oh, die Tür, sie wird mir auch so sehr fehlen.

»Watson, du sollst in Mrs Hargraves Büro«, schnarrt Steve und ist offenbar genervt, dass er meinetwegen seinen geliebten Platz hinter dem Empfangstresen verlassen musste. Scarlett hat mir mittlerweile erzählt, dass er zu jedem so ist und es nicht an mir liegt. Ich bin kurz davor, ihm weinend um den Hals zu fallen, weil er mir so fehlen wird, mit seinem ausdruckslosen Gesicht. Stattdessen nicke ich stumm, stehe auf und folge ihm. Ich spüre, dass Scar mich ansieht, aber ich halte den Kopf gesenkt. Es soll nicht das letzte Mal sein, dass sich unsere Blicke treffen. Kann sein, dass ich ein bisschen dramatisch klinge, so als würde ich zu meiner Hinrichtung geführt werden, aber in meinem Magen fühlt es sich genauso an, also lasse ich mir diesen Moment. Es könnte mein letzter sein.

Das Erste, was ich von J. J. Cohen sehe, ist sein Hinterkopf. Seine Haare sehen mal wieder aus wie ein aufgeplatztes Sofakissen, und ich glaube, seine Ohren liegen nicht perfekt an seinem Kopf an. Außerdem ist sein Hals zu lang und … Nein, ich kann mir nichts vormachen: Sogar von hinten sieht er attraktiv aus. Mit einem Kloß im Hals betrete ich Mrs Hargraves Büro. Sie sieht mich an wie eine Todgeweihte, und sie lässt mal wieder keine einzige Gefühlsregung erkennen. Ich hasse das. Kann sie nicht sauer aussehen, wenn sie sauer ist? Meine sozialen Fähigkeiten können mit dieser Neutralität nicht arbeiten.

»Setzen Sie sich, Olivia.« Sie deutet auf den Stuhl neben Cohen. Bisher habe ich es vermieden, zu ihm zu schielen. Er hebt allerdings seinen Blick, wie eine alte Tante ihren tadelnden Zeigefinger. Wenn er nur wüsste, was auch ich für großartige Vergleiche machen kann – wir könnten bei einer Tasse Tee darüber diskutieren. Er könnte sie für seinen bescheuerten Roman benutzen, den Ruhm einheimsen, mich aber zumindest in der Danksagung erwähnen, wie sich das für eine gute Lektorin-Autor-Beziehung eben gehört. Stattdessen sitzen wir nun hier, und er wird der Grund sein, weshalb ich gleich gefeuert werde. Gut, das war vielleicht ohnehin absehbar, aber ich hätte trotzdem gehofft, dass es nicht schon nach einer Woche passiert.

Mrs Hargrave sieht mich an und legt ihre gefalteten Hände auf den Schreibtisch. Ich finde es schön, wie sie immer für die verlorenen Seelen in ihrem Verlag betet. Sie wird mir mindestens genauso fehlen wie die Bürotür.

»Olivia, Mr Cohen hat mir von Ihrer E-Mail erzählt.«

Wäre ich witzig, würde mir jetzt sicher ein guter Spruch einfallen. Ich könnte die Haare über meine Schulter werfen (auch wenn das mit meinem Long-Bob nicht so beeindruckend ist), einfach rausstürmen und nichts als meine Legende zurücklassen, aber stattdessen nicke ich stumm.

Mrs Hargrave nimmt einen Ausdruck in die Hand, der aussieht, als wäre er mehrfach zerknüllt worden und … ist das ein Brandfleck an der einen Ecke? Ich kann nicht anders und muss den Psychopathen neben mir jetzt doch ansehen. Fehler. Sein Blick bohrt sich kalt und grau und stürmisch in mich und saugt jedes bisschen Glück aus mir heraus. Ich weiß, der Vergleich ist ein bisschen vorhersehbar, aber nur der Vollständigkeit halber: Wie bei einem Dementor.

Mrs Hargrave räuspert sich und beginnt zu lesen:

»Lieber Mr Cohen,

ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass es völlig in Ordnung ist, wenn Sie aufgegeben haben. Schließlich ist nicht jeder dazu bestimmt, ein großer Autor zu sein. Ich verstehe vollkommen, wie schwierig es ist, zu akzeptieren, dass man eben nur eine einzige gute Idee hatte und jetzt der Quell ausgetrocknet ist, wie eine Dörrpflaume.«

Na? Komm schon Cohen, das war ein absolut genialer Vergleich. Er gönnt mir nicht mal ein Schmunzeln. Griesgram.

Mrs Hargrave fährt fort:

»Da ich leider keine Kenntnis davon habe, wie der Stand bei Ihnen gerade ist, muss ich also davon ausgehen, dass Sie an einer weiteren Zusammenarbeit kein Interesse mehr haben. Lassen Sie mich gerne wissen, bis wann ich den Vertrag auflösen soll. Ich sende Ihnen dann einen Entwurf.

Mit den besten Wünschen für Ihren weiteren Berufsweg

Olivia Watson«

Sie legt die ausgedruckte Mail vor sich ab und sieht mich an. Ich könnte behaupten, dass Cohen das geschrieben hat und ich begeistert bin, wie viel Witz er neuerdings in seinen Texten verpackt, aber ich weiß nicht, ob der brodelnde Mann neben mir dann vielleicht anfängt aus den Ohren zu qualmen.

»Nun …«, setze ich an, aber das reicht offensichtlich, um das Fass zum Überlaufen zu bringen, denn James J. (wofür steht das zweite J eigentlich?) Cohen fährt mir über den Mund.

»Ja, da bin ich sehr gespannt, wie Sie das erklären wollen. Ich habe noch nie in meinem ganzen Leben etwas so dermaßen Unverschämtes erlebt. Wissen Sie eigentlich, wer ich bin? Sie sind doch eine blutige Anfängerin, oder? Olivia Watson? Den Namen habe ich noch nie gehört. Welche Befugnis hat diese Frau, sich Lektorin zu nennen, Mrs Hargrave? Oder stellt ihr jetzt einfach jede Erstbeste hier an?«

Mrs Hargrave und ich sehen ihn beide ein bisschen verblüfft an. Es spricht! Unglaublich.

»Miss Watson hat einen hervorragenden Universitätsabschluss und bereits einige Internships in renommierten Häusern absolviert, Mr Cohen. Verzeihen Sie meine Offenheit, aber diese E-Mail ist offensichtlich eine Provokation gewesen, weil Sie seit über einem halben Jahr abgetaucht sind. Und ich denke, Sie werden mir zustimmen, wenn ich behaupte, dass das Manöver durchaus erfolgreich war.«

Okay, ist das ein Traum? Dann möchte ich bitte nie daraus erwachen. Sie hat mich gerade nicht ernsthaft vor unserem Autor dafür gelobt, dass ich ihm eine absolut unverschämte E-Mail geschrieben habe, oder? Vielleicht habe ich meine Chefin doch völlig falsch eingeschätzt.

J. J. Cohen sieht unterdessen aus, als würde er gleich explodieren, so hochrot ist sein Kopf. »Ich verlange, dass ich wieder meine alte Lektorin bekomme«, bringt er durch zusammengebissene Zähne hervor und sieht Mrs Hargrave an, als wäre er kurz davor, über den Tisch zu springen und sie zu schütteln.

Die lehnt sich hingegen tiefenentspannt zurück und sieht ihn mit einem Lächeln an: »Nein.«

Ich muss aufpassen, dass ich nicht hysterisch anfange zu kichern. Nicht etwa, weil ich die Situation tatsächlich komisch finde, sondern als reine Übersprungshandlung. Das ist mir schon ein paar Mal passiert, immer in den unmöglichsten Situationen.

»Nein?«, wiederholt Cohen ungläubig und atmet dabei ganz schwer, als könne er nur so den Druck in seinem Körper ausgleichen.

»Sie haben richtig verstanden. Sie bekommen diese Lektorin oder wir lösen den Vertrag hier und jetzt auf. Wie Sie möchten.«

Er sieht sie entgeistert an, und ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob ihm wohl schon jemals jemand etwas ausgeschlagen hat. Das Bild eines verwöhnten, reichen Muttersöhnchens hat sich mittlerweile in meinem Kopf festgesetzt, obwohl ich ja nicht mal weiß, ob er vom Geld seines Vaters lebt.

Abrupt steht Cohen auf, schnappt seinen Mantel und wirft ihn über seinen Arm. »Sie hören von mir.« Schon stürmt er aus dem Büro.

Ich bin nicht sicher, was ich jetzt tun soll. Müsste ich ihm folgen? Darf ich jetzt lachen? Lachen wir gemeinsam? Oder kriege ich nun doch noch den Anschiss, mit dem ich gerechnet habe?

Mrs Hargrave sieht mich einen langen Moment still an, und ich wage kaum zu atmen. Dass mein Herz trotzdem so laut schlägt, grenzt an Blasphemie.

»Das war absolut unverantwortlich, Olivia. Ich dulde so etwas nicht in meiner Abteilung.«

Ich schlucke und nicke. »Es tut mir leid. Ich dachte nur, ich muss ihn bei seinem Stolz …«