Realität und Magie vom Heldenprinzip heute -  - E-Book

Realität und Magie vom Heldenprinzip heute E-Book

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Beschreibung

Heldenmythen sind Geschichten von Reifung und Wandel. Facettenreich schildern sie Veränderungen von Menschen und von sozialen Systemen. Dabei folgen sie immer einer charakteristischen dramaturgischen Struktur. Die Anwendung dieser Dramaturgie als archetypische Schrittfolge nützt, wann und wo immer Entwicklung und Veränderung stattfinden. Der vorliegende Tagungsband des Symposiums-Heldenprinzip 2011 Innovationsstrategien für Gegenwart und Zukunft gibt Einblick in Adaptionen des mythologischen Modells sowie in das Konzept Heldenprinzip® im deutschsprachigen Raum. Die Beiträge in ihrer Vielfalt vermitteln die gegenwärtigen Arbeitsfelder und substantielle Wirkung der Veränderungsdramaturgie. Sie spannen einen gedanklichen Bogen über so unterschiedliche Bereiche wie Innovationen in der Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und künstlerische Prozesse. Die grafische Gestaltung des Tagungsbandes illustriert die ästhetische Intention des Heldenprinzips.

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Seitenzahl: 352

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ähnliche


INHALT

Thomas Schildhauer

Editorial

Nina Trobisch

Carsten Busch

ANFÄNGE

Nina Trobisch

Karin Denisow

Von Schatzsuchern und Fadenfindern Teil 1 Campbell – Rebillot – Vogler

Gisela Mellick-Felstead

Anita Reinbacher

Ein Nachruf. Paul Rebillot

Franz Mittermair

Die Wirksamkeit der Heldenreise

Irgendwie Anders e.V.

Selbsterfahrung – Irgendwie Anders

Renate Daimler

Ungewöhnliche Verbindungen

Angelika Höcker

Aufgedeckt und Verborgen – Helden in der Stadtverwaltung

Stephan Michalik

Sieglinde Wolter

Dramaturgie der Heldenreise als Veränderungskultur

Nina Trobisch

Karin Denisow

Von Schatzsuchern und Fadenfindern Teil 2 Das Heldenprinzip ®

IMPULSE

Peter Addor

Brauchen wir noch Helden?

Regina Hunschock

Inanna & Ereshkigal – Weibliche Verbündete des Wandels

Yvette Völschow

Julia-Nadine Wirsbinna

Von Opfern, Tätern und Helden

Michael Brater

Wie Künstler handeln

Ursula Wagner

Susanne Schwarzer

Alfred Oswald

Der Helden-Begriff im Spiegel der menschlichen Bewusstseins-Entwicklung

Jürgen vom Scheidt

Die Reise des Helden als Reise des Autors

Walter Seyffer

Helden für ein Leben

Andreas Mäckler

Die Heldenreise-Biographie. Schreibkurs in 51 wöchentlichen Biographiebriefen

Dieter Kraft

Ein Paradox im Gelände des Helden

Karin Denisow

Nina Trobisch

Der Ring of Leadership

ANFORDERUNGEN

Thomas Schildhauer

Open Innovation und digitale Kommunikation – Vier Thesen zum Aufbruch in neue Welten

F. Andreas Schittenhelm

Nina Dziatzko

Michael Kielkopf

Das Berufsbild des Innovationsmangers

Ingrid Scherübl

Nina Trobisch

Die Innovationsballade der SAM GmbH

Jürgen Kugele

Der Ruf der Wüste

Delia Schreiber

Was Manager von Patienten lernen können

Dieter Kraft

Seraphina (ein Monolog)

Alfred Messmann

Das Abenteuer, lebendig zu sein

Nina Trobisch

Karin Denisow

Orientierung im Labyrinth der Wirklichkeit

Karin Denisow

Nina Trobisch

Der Ruf zum Neuen

ZUSAMMENHÄNGE

Ute Pinkert

Gattungstheoretische Überlegungen zum Monomythos

Dieter Kraft

Grammatik der Veränderung (eine Skizze)

Carsten Busch

Florian Conrad

Martin Steinicke

Evolution der Mythen – Die Heldenreise im Kontext digitaler Spiele

Karin Denisow

Nina Trobisch

Vier Säulen eines Hauses Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip

NACHKLANG

Ingrid Scherübl

Karin Denisow

Nina Trobisch

„Ästhetisch Tagen“ – Eine Konferenz nach dem Heldenprinzip

Dominik Rauchfuß

Ralf Wagner

Felderkundung

Autorenverzeichnis

EDITORIAL

So alt wie die Menschheit, so jung wie das Leben.

So real wie der Alltag, so magisch wie die Kunst.

Fremd wie das gesunkene Vineta, bekannt wie die eigene Hand.

Die Mythen aller Zeiten und Kontinente bündeln kollektive Wissensbestände, die uns auch heute noch als Orientierungsmuster zur Verfügung stehen. Im Heldenmythos finden wir dazu eine archetypische Schrittfolge für Wachstum und Wandel, die uns in diesen dynamischen Situationen Leitfaden sein kann.

Es liegt nahe, Veränderungsprozesse – ob nun von Organisationen, Teams oder Individuen – gestern wie heute und morgen als Heldenreisen greifbar zu machen. Im Forschungsprojekt „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“ beleuchten wir, wie diese Idee reale Gestalt annehmen kann. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Europäischen Sozialfonds geförderte Projekt widmet sich der Aufgabe, die universale Grundstruktur des Heldenmythos für Innovationsprozesse kreativ in der Wirtschaft fruchtbar zu machen.

Wir sind nicht allein.

Gibt man bei Google einen Alert zu „Heldenmythos“, „Heldenreise“ oder „Monomythos“ ein, informiert uns der Computer immer dann mit einem „Klopfzeichen“, wenn es im Netz wieder etwas Neues zu berichten gibt. Und das ist nicht selten. Die Palette ist bunt und reich. Es gilt, Interessantes herauszufiltern, Ansätze zu vergleichen und mit anderen in Dialog zu treten, um damit die Kraft der Arbeit mit dem Heldenmythos zu stärken.

Genau das war unsere Intention mit dem interdisziplinären Symposium in drei Akten, dem „Heldenprinzip 2011“ am 24. und 25. Februar 2011 in Berlin. TheoretikerInnen und PraktikerInnen, die sich der Struktur des Monomythos in vielfältigen Arbeitsfeldern verschrieben haben, tatsächliche und potentielle Nutzer, Zweifler und Neugierige kamen auf der Probebühne der Universität der Künste Berlin miteinander in Kontakt. Wir boten Raum und Zeit, sich über die Wirksamkeit des Heldenmythos auf der Ebene von Individuum, Organisation und Gesellschaft auszutauschen. Wir schufen dafür eine Atmosphäre um gemeinsam offen zu erkunden, was eint oder was trennt. Zugänge fanden sich über Vorträge, Best-Practice-Beispiele, praktische Arbeitsproben und künstlerische Interaktionen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zeigte sich den TeilnehmerInnen ein Kaleidoskop von AnwenderInnen, die entweder die Arbeit mit dem Heldenmythos als Herzstück ihrer Arbeit bezeichnen oder aber immer wieder streifen. Das Programm des Symposiums wurde üppig und fulminant! Dafür an dieser Stelle nochmals und ausdrücklich vielen Dank an alle Mitwirkenden!

In diesem Band stellen wir interdisziplinäre Statements aus dem Umfeld der Konferenz vor. Hier treffen Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Beratung und Psychologie aufeinander und bilden erst in ihrer Verschiedenheit, was Sprache, Duktus und Inhalt angeht, ein sich dadurch vervollständigendes Bild. Ihre schillernde Andersartigkeit regt zum Mitschwingen oder Widersprechen an. Eingebettet in die graphische Gestaltung von Kerstin Kais eröffnet sich ein Feld voller Kraft und Sensibilität, das als Ganzes mehr ist als die Summe der einzelnen Beiträge.

Der Teil 1 Anfänge beschäftigt sich mit den uns wesentlichen Mentoren des Heldenmythos Joseph Campbell, Paul Rebillot und Christopher Vogler sowie beispielhaften Arbeitsfeldern in der Gegenwart.

Da die archetypische Schrittfolge heutige Transformationsprozesse stützen soll, brauchen wir die Auseinandersetzung mit dem noch immer widersprüchlich benutzten Heldenbegriff. Welche Haltungen und Eigenschaften einen heutigen Helden – über das postheroische Management hinaus – kennzeichnen, umkreisen die Artikel im Teil 2 Impulse.

Der Held der Zukunft hat, wie immer, die Bestimmung, sich den kleinen und großen Aufgaben der Gegenwart tätig zu stellen und sich selbst dabei zu verändern.

Einige wichtige Themen dazu finden Sie im Teil 3 Anforderungen.

Im Teil 4 Zusammenhänge widmen wir uns dem Nachdenken über Struktur und Verknüpfungen zu anderen Disziplinen. Am Ende finden sich im Teil 5 Nachklang zusätzliche Informationen und ein Ausblick gebendes Fazit.

Im Symposium wollten wir voneinander lernen und in einem gemeinsamen Denk- und Suchprozess erste Schritte zu einer möglichen Community gehen.

Im Arbeitsbuch laden wir Sie zu Erkundungen ein, warum und wie das Grundmodell des Heldenmythos gleichzeitig einen so praktisch-realen wie auch kraftvoll-magischen Beitrag für das Gelingen heutiger Entwicklungs- und Veränderungsprozesse leisten kann.

Uns war es eine wertvolle Erfahrung, aus der wir schöpfen. Ihnen wünschen wir im Namen des Teams der Universität der Künste und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Wachheit und Esprit beim Entdecken und Durchstöbern dieses Buches.

Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer

Direktor des Zentralinstitut für Weiterbildung (ZIW) an der Universität der Künste Berlin, Projektleiter des BMBF Forschungsprojektes „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“

Nina Trobisch

Universität der Künste Berlin, ZIW Forschungsleiterin des BMBF Forschungsprojektes „Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip“

Prof. Dr. Carsten Busch

Hochschule für Wirtschaft und Technik Berlin (HTW)

Leiter des gameslab der HTW und des HTW-Teilprojektes „Digitalexperimentelle Lernkulturen“

Nina Trobisch

Karin Denisow

Von Schatzsuchern und Fadenfindern Teil 1 Campbell — Rebillot — Vogler

Der Libido des griechischen Göttervaters Zeus verdanken wir nicht nur heldenhafte Söhne, sondern auch inspirierende Töchter. Denn mit der Titanin Mnemosyne, Tochter von Himmel (Uranos) und Erde (Gaia) zog sich Zeus neun Tage von den übrigen Göttern des Olymps zurück, um mit ihr der Liebe zu frönen. Mnemosyne gebar ihm neun Töchter, die Musen. Man lasse es sich auf der Zunge zergehen, die „Enkelkinder“ von Himmel und Erde wurden zu den Schutzgöttinnen der Künste! Nach und nach wurden sie bestimmten Bereichen und Gattungen zugeteilt; später sorgten sie auch für die Wissenschaften und die Geistesarbeit insgesamt. Gott Apollon höchst persönlich führte als Musenführer ihren Gesang an. Nicht selten erschallte in der Vergangenheit der Hilferuf eines Menschen doch bitte „von einer Muse geküsst zu werden“ oder das anerkennende Lob, dass solches passiert wäre. Die Musen inspirierten die Künstler zum Schaffen; sie standen ihnen belehrend oder hilfreich zur Seite. Wie viele von ihnen senden dieses Flehen auch heute noch gen Sternenzelt? „Ach wenn sie mich nur küsste und ich wüsste, dann würden meine Finger wie von selbst über das Papier, die Leinwand, die Tasten... gleiten. Die bunten Bilder im Kopf würden sich formen und Gestalt annehmen...“

Wenn wir im Bilde der Mythologie bleiben, so sind denn unsere Kulturschätze in Dichtung, Architektur, Malerei, Musik, Tanz, Theater etc. der Unterstützung dieser olympischen Vereinigung zu verdanken; der künstlerische Prozess und die Künste als die Verbindung zwischen Himmel und Erde; zwischen männlich und weiblich zu denken.

„Ich denke mir die Mythologie als die Heimat der Musen, der Inspirationsquellen für Kunst und Dichtung. Das Leben als Dichtung und sich selbst als Person in einer Dichtung zu begreifen, das ist, was der Mythos einem erlaubt“.1

Könnten wir also in einem nächsten Schritt die Mythen selbst als einen einzigen großen Musenkuss beschreiben, geküsst frei nach Schillers „seid umschlungen Millionen, diesen Kuss der ganzen Welt?“2 Eine rhetorische Frage, die es mit ja zu beantworten gilt, denn die Mythen zählen zu den großen Schätzen der Menschheit. In dieser Schatztruhe liegen die grundlegenden Erfahrungen und Gedanken des Humanums. Sie zu öffnen, heißt für die Menschen jedweder Generation, Kontakt zu den existentiellen Themen und Fragen des eigenen Daseins aufzunehmen. „Die Mythologie ist eine innere Landkarte von Erfahrungswelten, gekennzeichnet von Menschen, die sie bereist haben“ formuliert Bill Moyers in seinem Interview mit Joseph Campbell.3 Dieser fügt an anderer Stelle hinzu „wie sehr die mythischen Traditionen sich auch unterscheiden, sie stimmen darin überein, dass sie uns in ein tieferes Erkennen des Lebensaktes selbst rufen“.4

Den Künstlern bedeutet die Schatztruhe der Mythen geistige Nahrung, von der sie zehren. Ob in Dichtung, Musik, darstellender oder bildender Kunst, immer wieder aufs Neue adaptieren sie deren Bilder, Formen und Figuren gemäß des Zeitgeistes und eigenen Anliegens, als Zündstoff für Reibung oder Hülle eigener Imagination. Ein Mythos ist eben auch “eine Metapher für das, was hinter der sichtbaren Welt liegt“.5 Und gerade das Nicht-Sichtbare, das Überraschende, Unerklärliche sind die Geheimnisse, die wir Menschen immer wieder neu und tiefer erkunden wollen. Hier liegen die Schätze der Menschheit, die wir heben können.

„Die Mythologie lehrt einen, was hinter Literatur und Kunst steht, sie bringt einem etwas über das eigene Leben bei.“6

Joseph Campbell, von dem dieses Zitat stammt, muss es wissen, denn er suchte mit Leidenschaft nach diesen Schätzen. Als einer der führenden Mythenforscher des 20. Jahrhunderts entdeckte er in den Mythen Strukturen und Muster der menschlichen Wesenheit, überwiegend durch die Methode des Vergleiches. So war er es auch, der mit dem Heldenmythos eine universale Entwicklungsfolge transparent machte. Damit beackerte er ein weites Feld; weniger für literaturwissenschaftliche Studien als vielmehr für die Suche nach dem lebendigen Sein.

Gemäß dem Heldenmythos, bei dem es die Begegnung mit dem Mentor braucht, damit der Held die erste Schwelle vom vertrauten Land in die unbekannte Welt überwinden lernt, bezeichnen wir Joseph Campbell gern als Mentor und Inspirator unserer Arbeit. Von ihm lernten viele, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung, Kunst, Film und Mythen beschäftigen. Dazu gehören für uns auch an herausgehobener Stelle Paul Rebillot und Christopher Vogler. Beide hoben den Schatz des Joseph Campbell und adaptierten ihn auf andere Bereiche.

Der Weg des Heldenmythos ist für uns geebnet von drei Menschen, die wohl alle einige der Musenküsse ergattert haben. Jeder von ihnen suchte einen Schatz, mit dem er mehr von dem erreichen kann, was ihn antreibt. Sie suchten und fanden im Monomythos des Helden den roten Faden für ihren inneren Auftrag, ihren Ruf.

Erato, die Liebevolle, ist Muse der Poesie und Liebeslyrik,Euterpe, , die Erfreuende, ist die Muse des Flötenspiels,Kalliope, die Schönstimmige, ist die Muse der epischen Dichtung (von Rhetorik, Philosophie und Wissenschaft),Kleio, die Rühmende, ist die Muse der Geschichtsschreibung und der epischen Dichtung,Melpomene, die Singende, ist die Muse der Tragödie,Polyhymnia, die Hymnenreiche (Liederreiche) - sie ist die Muse von Musik und Tanz,Terpsichore, die Reigentanzende, ist die Muse für die Lyra und Tanz,Thaleia, die Blühende, ist die Muse der Komödie,Urania, die Himmlische, ist die Muse der Sternkunde.

DER HEROS in 1000 GESTALTEN

Joseph Campbell

Man nehme 1000 Heldengeschichten aus 1000 Ländern und 1000 Jahrzehnten, schütte sie in einen Topf und rühre sie gut durch, lasse sie aufkochen und köchle sie, bis nur Sud übrig bleibt. Diese Essenz schmeckt nach allen Heldengeschichten der Welt, jeder Löffel einzig und besonders, das Rezept wiederholbar und gut zu merken; es wird Monomythos genannt.

Was sich so salopp dahin schreibt, ist in Wahrheit ein Lebenswerk von unschätzbarer Größe und Schönheit. Joseph Campbell (1904-1987), in der USA von Experten geschätzt aufgrund seiner bahnbrechenden Schriften, von den Studierenden am Sarah Lawrence College Bronxville, New York, geliebt wegen seiner faszinierenden Vorlesungen in fast 40 Jahren Universitätszeit; in der amerikanischen Bevölkerung berühmt besonders durch das sechsteilige Fernsehinterview „Joseph Campbell and the Power of Myth“ (mit dem TV-Journalisten Bill Moyers), ist hierzulande immer noch wenig bekannt. Und doch hat er ein Werk geschaffen, das einen Fundus an Erfahrung, Weisheit, Philosophie, Kulturschätzen und Kunst zusammenführt. Heute gilt er neben Carl Gustav Jung, Robert von Ranke-Graves, Mircea Eliade und Heinrich Zimmer als ein bedeutender Mythenforscher des 20. Jahrhunderts.

Es begann im Museum. Als kleiner Junge betrat er erstmals das New Yorker Museum of Natural History. Er war begeistert von den dort ausgestellten Totempfählen und Masken. Danach las er alles, was ihm über die indianischen Ureinwohner Amerikas, über deren Mythen und Traditionen in die Hände fiel. „Mit zehn Jahren war er auf der Spur, auf der er zu einem der führenden Mythologen der Welt und einer der aufregendsten Lehrer unserer Zeit werden sollte; man sagte ihm nach, er könne die Knochen der Volkskunde und Anthropologie lebendig machen“.7

Der Literatur- und Sprachwissenschaftler, wissbegierig und belesen auch in Biologie, Philosophie, Anthropologie, Kunst, Geschichte, Religion, war nicht nur ein rastloser Geschichtensammler, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. Mit ihm erblühte das „Reich der mythischen Phantasie“ wie es Bill Moyers nach seinen Gesprächen mit Campbell beschreibt.8

Aber nicht die Narrationen allein regten seinen Forscherdrang an; sein archäologisches Fingerspitzengefühl ließ ihn nach der Struktur hinter den Versatzstücken suchen. „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“ ist nicht nur eine Faust´sche Intention, sie trifft ebenso auf Joseph Campbell zu. Er spürte in seiner vergleichenden Mythenforschung auf, dass allen Mythen dieser Erde universelle Muster und Metaphern innewohnen, mit denen die Menschen seit jeher ihre Ansichten und Erkenntnisse zum Leben beschreiben. „Die Analogien werden unmittelbar zum Vorschein kommen und sich zu einer umfassenden und erstaunlich konstanten Feststellung der grundlegenden Wahrheiten entwickeln, mit denen der Mensch durch die Jahrtausende, seit er diesen Planeten bewohnt, gelebt hat“.9 Die thematischen Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Mythen zeigen ein stetiges Bedürfnis der Menschen, unter die Oberfläche der Phänomene zu schauen und tiefer liegende Prinzipien zu erkennen. Campbell interessieren dabei weniger die Abgrenzungen durch regionale, kulturelle Besonderheiten; vielmehr liegt der Fokus seines Vergleichens auf der Entdeckung des Ähnlichen, des grundlegend Gleichen. Inspiriert wurde er dabei von den wissenschaftlichen Lehren des Adolf Bastian (Elementargedanken) und des Carl Gustav Jung (Archetypen). Die Erkenntnis, dass sich die Sinnbilder des Mythos als Erfahrungsmuster in den tiefenpsychologischen Grundstrukturen der menschlichen Psyche wiederfinden (Carl Gustav Jung), integrierte Campbell in seine Arbeit. Aus mythologischen Erzählungen filterte er Grundkonstanten symbolischer Welterfahrung, worin sich die Mythen aller Zeiten und Kulturen miteinander verbinden. Für ihn waren die Mythen auch als Projektionen unserer psychischen, menschlichen Konstitution verstehbar, als Metaphern für die Bewältigung des Lebens. Unabhängig davon, welcher konkrete, äußere Schauplatz in der Fahrt des mythischen Helden beschrieben wird, „im Grunde geschah sie [die Heldenfahrt] drinnen und führte in die Tiefen, wo finstere Widerstände überwunden und lang verlorene und vergessene Kräfte wieder belebt werden, damit sie der Verwandlung der Welt dienen können“.10

Mit dieser Intention strukturiert er in „Der Heros in tausend Gestalten“, 1949 herausgegeben, das archetypische Labyrinth der Heldenwege und kommt zu der Feststellung, dass wir Menschen trotz aller individuellen Einzigartigkeit auf typische Situationen treffen, die uns als Wegleitung dienen mögen.

„[…] Den Flachs zu seinem Leinenfaden hat er [der Held] auf den Feldern der menschlichen Vorstellungskraft eingesammelt. Jahrhunderte der Feldbestellung, Jahrzehnte sorgfältigen Sammelns sind in das Zubereiten, Auswählen und Spinnen dieses fest gedrehten Garns eingegangen. Mehr noch: wir brauchen das Abenteuer nicht allein zu wagen. Denn die Helden aller Zeiten sind uns vorangegangen, das Labyrinth ist durch und durch bekannt, und wir haben nur den Pfad des Helden als leitenden Faden zu nehmen […]“.11

Wir haben diesen Faden aufgenommen und uns dem Reichtum der Darstellungen und Deutungen angenähert. Ohne den Rahmen zu sprengen, können wir hier nur einen holzschnittartigen Einblick in Campbells Studien und groben Überblick der typischen Situationen geben. Um die Komplexität seines Gedankengebäudes zu verdeutlichen, lassen wir ihn oft selbst zu Wort kommen.

Der Monomythos

Grundsätzlich teilt sich die mythische Heldenfahrt in zwei Ebenen, hier die bekannte Welt, da die unbekannte Welt, getrennt durch eine Schwelle; „es ist meistens ein Kreislauf, ein Gehen und Wiederkommen“.12 Die Handlung ordnet sich den drei Teilen Aufbruch-Initiation-Rückkehr an. Diese drei unabdingbaren Strukturmerkmale sind jeweils noch in einzelne, typische Schritte und Situationen untergliedert (siehe Abbildung 1).

Aufbruch

In der Umgebung seiner gewohnten, bekannten Welt, sei es nun Hütte oder Schloss, vernimmt der Held seine Berufung (I.1).

„Im ersten Stadium der mythischen Fahrt, [...] hat die Bestimmung den Helden erreicht und seinen geistigen Schwerpunkt aus dem Umkreis seiner Gruppe in eine unbekannte Zone verlegt. Diese schicksalsschwere Zone, die so verlockend ist wie gefahrvoll, wird auf die verschiedenste Weise vorgestellt: als ein fernes Land, ein Wald, ein unterirdisches Reich, unter den Wogen oder über dem Firmament, als eine verborgene Insel, ein entlegener Berggipfel oder eine tiefe Traumentrückung. Immer aber hausen in ihr seltsam fluide und vielgestaltige Wesen, drohen unvorstellbare Qualen, warten übermenschliche Taten und überirdische Freuden. Der Held kann sich aus eigenem Entschluß aufmachen […] oder er kann ins Unbekannte entführt werden […]. Das Abenteuer kann in Gang kommen durch ein bloßes Versehen […] oder auch durch eine vorüberschwebende Erscheinung [...].“13

Eine Botschaft oder ein Bote konfrontiert den Helden, dass etwas im Argen liegt oder sich neue Horizonte öffnen; wie es ist, kann es nicht bleiben, wo er ist, kann er es nicht ändern. Hier beginnt die Quest des Helden. Ob vorsätzlich oder zufällig, bewusst oder unbewusst; die Suche nach dem Verlorenen, nach dem zu Verbessernden, nach dem zu Vervollkommnenden schiebt sich in den Vordergrund. Es „gibt sich kund, was ins Auge gefaßt werden muß und obwohl es der bewußten Persönlichkeit unbekannt und verblüffend, ja erschreckend sein mag, dem Unbewußten schon irgendwie sehr tief vertraut ist. Und was vorher sinnvoll war, kann je sich in fremdartige Leere verwandeln [...] Auch wenn der Held zunächst wieder seine gewohnte Beschäftigung aufnimmt, wird er sich fruchtlos finden. Eine Kette von Zeichen wird ihm immer eindringlicher zusetzen bis er die Botschaft nicht länger zu ignorieren vermag“.14 Ein innerer oder äußerer Auftrag des über sich selbst und die Umstände Hinauswachsens lässt ihn nicht mehr los.

Zwar ist der Ruf zur Tat vernommen, doch ist der Held nicht sofort zum Aufbruch ins Unbekannte bereit. Es gibt triftige oder auch fingierte Gründe, dass er sich dem Abenteuer vielleicht nicht stellen sollte; so gefährlich, so anders, so fremd, so ungewohnt, so unsicher. Die Ambivalenz zwischen Bleiben und Aufbrechen zeigt sich in der Weigerung (I.2). Das kann ein kleiner Moment oder ein längerer Prozess sein, der beendet wird durch eine stützende Situation, in der ihm übernatürliche Hilfe (I.3) zuteil wird. Eine schützende Person, die mehr weiß und erlebt hat als der Held, der magische Kräfte zur Verfügung stehen und die zudem Zaubergeräte zu verschenken hat, sei es ein Mantel, ein Schwert oder Kästchen, auf welches der Held im Notfall zurückgreifen kann, macht Mut. So ausgerüstet führt der Weg des Helden unabwendbar auf die Schwelle zu, die beide Welten voneinander trennt. Bewacht von einer zweideutigen Gestalt entpuppt sich das Überschreiten der 1. Schwelle (I.4.) als erste mächtige Herausforderung, der sich der Held stellen muss, um dem Torhüter und sich selbst zu beweisen, ob er überhaupt fähig und willens ist, denn “immer und überall ist das Abenteuer eine Reise ins Unbekannte, jenseits des Schleiers des Bekannten und Vertrauten, sind die Kräfte, die an der Grenze wachen, bedrohlich, es mit ihnen aufzunehmen ist riskant. […] Immer und überall aber vergeht auch die Gefahr vor jedem, der Berufung und Mut mitbringt“.15 Schwellenhüter sind demnach Seismographen der Veränderungsbereitschaft, sie „bezeichnen den jeweiligen Horizont des Helden, die Grenzen seiner gegenwärtigen Lebenssphäre“.16

Abbildung 1: Der Monomythos nach Joseph Campbell (Darstellung: Florian Conrad)

Als nächste Situation folgt der Bauch des Walfisches (I.5), worin erzählt wird, dass die Schwelle nur im Zuge einer inneren Verwandlung genommen werden kann. „Ihrem allegorischen Sinn nach sind […] der Eintritt in einen Tempel und der Sprung des Helden durch den Kiefer des Walfisches das gleiche Abenteuer: beide bezeichnen in der Sprache der Bilder den Akt der Verdichtung und Erneuerung des Lebens“.17

Initiation

In der „Landschaft der Prüfungen“ einer unbekannten Welt der Ungewissheit, die sich in vielfältiger Form öffnet, geht der Held den Weg der Prüfungen (II.1):

„Das Ordeal [zu deutsch Tortur, Prüfung, Martyrium] vertieft das Problem der ersten Schwelle, und immer noch schwebt die Frage, ob das Ich sich selbst dem Tod überantworten kann. Denn vielköpfig ist diese Hydra ringsumher; ist ein Kopf abgeschlagen, so erscheinen zwei neue, wenn der Stumpf nicht richtig behandelt wird. Der erste Schritt in die Landschaft der Prüfungen stellt nur den Anfang eines langen und im Ernst gefahrvollen Weges von Eroberungen und Augenblicken der Erleuchtung dar. Wieder, wieder und wieder sind nun Drachen zu besiegen und unvermutete Schranken zu überwinden, und indessen wird es eine Unzahl von taktischen Siegen, flüchtigen Ekstasen und Blicken ins Wunderland geben“.18

Dieser Weg ist steinig. Gepflastert von Hindernissen und Bewährungen sieht sich der Held mit Bedrohungen konfrontiert, aber vor allem muss er sich dem noch nie Erlebten, dem noch nie Gedachten, Gefühlten und Getanem stellen. Er erlebt eigenes und fremdes Leid, macht Fehler, wagt, kämpft, scheitert... und nimmt neuen Anlauf. Die Aufgaben, die der Held zu meistern hat, entsprechen vor allem seiner speziellen Berufung. So muss der ängstliche Drittgeborene anderes vollbringen als der mutige Draufgänger, das verwaiste Mädchen anderes als die schöne Königstochter. „Jedes Versagen in der Meisterung einer Lebenssituation ist letztlich einer Eingeengtheit des Bewußtseins zur Last zu tragen“.19 Das heißt, es müssen schwierige Stadien bewältigt werden, um das Bewußtsein zu weiten und zu tiefen, die den „Durchgang durch die Tore der Verwandlung“ ermöglichen.20

“Die Gegensatzpaare von Sein und Nichtsein, Leben und Tod, Schönheit und Häßlichkeit, Gut und Böse und all die anderen Gegensätze, die die Kräfte des Menschen in Furcht und Hoffnung halten und sein Handeln auf Taten der Verteidigung und des Eroberns richten, sind die Symplegaden, die zusammenprallenden Felsen, die den Wanderer zermalmen, zwischen denen der Heros aber heil hindurchgeht“.21

Da sich die Heldenfahrt im Bild eines Kreises bewegt, nähern wir uns in der folgenden Phase dem tiefsten Punkt, dem Nadir; gegenüber dem höchsten Punkt, dem Zenit, stehend. Zwar sind die nächsten Stationen ebenfalls Bestandteil der Bewährungsproben, die nacheinander oder optional vorkommen, gleichwohl nennt Campbell sie ausdrücklich und räumt ihnen für die Entwicklung des Helden einen expliziten Stellenwert ein. In der Beschreibung dieser Situationen fasst er die überbordende Vielfalt von Variationen und Deutungen zusammen; immer umschreiben sie die Aufgabe des Helden, seine autonome, ablösende Entwicklung über alle Hürden, wie z.B. eingeengte Wahrnehmungsmuster, Ängste, starre Perspektiven, voranzutreiben. Dafür nötige Stationen: Die Begegnung mit der Göttin (II.2), Das Weib als Verführerin (II.3), Versöhnung mit dem Vater (II.4), Apotheose (II.5), Die endgültige Segnung (II.6). Beginnen wir bei der Begegnung mit der Göttin (II.2):

„Die mystische Vereinigung mit der göttlichen Weltkönigin bedeutet den umfassenden Lebenssieg des Heros: Das Weib ist das Leben, der Held der, der es erkennt und meistert. Und die Prüfungen, die seiner höchsten und endgültigsten Erfahrung und Tat vorangehen, sind Symbole jener Krisenpunkte der Erkenntnis, durch welche sein Bewußtsein erweitert [...] wird“.22

In dieser Situation, die metaphorisch das Weibliche und das Göttliche zusammenführt, wird Vervollkommnung und Vollkommenheit thematisiert; das Thema von Bindung und Verbindung, von Lebensrhythmus und Zukunft, von Wissen und Leben. Denn „in der Bildsprache der Mythen stellt das Weib den Inbegriff des Wißbaren dar. Der Held ist derjenige, der zum Wissen gelangt“.23

Anders sieht es in der Situation Das Weib als Verführerin (II.3) aus, in der allegorisch die Gefahren von Ablenkung und Verführbarkeit durch Gier und Begierde thematisiert werden: Herausforderungen, wo Sinnesbetäubung versus Verzicht stehen, Abhängigkeit versus Autonomie, Sünde gegen Tugend.

Die Versöhnung mit dem Vater (II.4) findet Bilder für die Auseinandersetzung mit dem Vater auf Augenhöhe, in der der Held seinen Reifeprozess unter Beweis stellen muss. Die Szene steht für die Herausforderung jedes Menschen, sich einerseits von den Eltern abzulösen und sich andererseits verantwortungsvoll und authentisch auf den Weg zur eigenen Berufung zu machen. Kindliches Verhalten, das sich an einer übergeordneten Instanz orientiert, wird abgelöst durch eigenes, reifes Urteilen und Handeln. „Die traditionelle Vorstellung der Initiation vereinigt die Einführung des Kandidaten in die Techniken, Pflichten und Rechte seines Berufs mit einer tiefgreifenden Umstellung der emotionellen Beziehungen zu den Elternfiguren.“24

Die Konstellation in den Heldenmythen, die Campbell unter der typischen Situation der Apotheose (II.5)25 zusammenfasst, umschreibt den Zustand der Ganzheit und Authentizität, „den der menschliche Held erlangt, wenn er die letzten Schrecken des Nichtwissens überwunden hat [...]“.26

„Nachdem er die Wahngebilde seines früheren, sich selbst behauptenden, sich selbst verteidigenden Ichs überwunden hat, ist er außen und innen der gleichen Ruhe gewiß.“27

„Er ist nicht befangen in Qual und Lust, sondern umfängt sie [die Welt], unendlich abgeklärt und ruhend“.28

„Alle Götter, Bodhisattvas und Buddhas haben in [ihm] ihren Platz gefunden [...]“ und entdeckt bzw. wiederentdeckt, „daß er selbst das ist, was er nun gefunden hat“.29 Nun ist er es, „der die Welt faßt und trägt“.30

Die endgültige Segnung (II.6) beschließt den zweiten Teil des Monomythos, sie zeigt sich als Füllhorn, als nicht versiegende Quelle, als Elixier der Unsterblichkeit. Denn „wo ein Weg zur körperlichen Unsterblichkeit gesucht wird, ist die traditionelle Lehre mißverstanden worden. Dieser zufolge liegt das Grundproblem gerade darin, den Blick zu weiten, also die Behinderung des Sehens durch den Körper und die anhängende Person zu beseitigen. Dann und erst dann wird die Unsterblichkeit als gegenwärtige Tatsache erfahren [...]“.31

Rückkehr

Nach dem Aufbruch aus der bekannten Welt, ausgezogen „auf eine Reihe von Abenteuern jenseits des Gewöhnlichen [...], entweder um das verlorene Gut wiederzuentdecken oder um irgendein lebenspendendes Elixier zu entdecken“32, dann den Bewährungen der Initiation in der fremden Welt ausgesetzt, ist die große Schlussarbeit des Helden nun seine Rückkehr.

“Wenn der Held seine Aufgabe gelöst hat, zur Quelle vorgedrungen ist oder den Beistand einer männlichen oder weiblichen, menschlichen oder tierischen Personifikation gefunden hat, bleibt ihm noch der Rückweg mit der Trophäe, die das Leben verwandeln soll.“33

„Daß er nun die Arbeit unternimmt, die Weisheitsrunen, das Goldene Vlies oder die schlafende Prinzessin in den menschlichen Bereich heimzubringen, wo der Segen in der Erneuerung der Gruppe, des Volkes, des ganzen Planeten oder der zehntausend Welten sich bewähren kann, schließt erst den Kreis, wie die Norm des Monomythos es fordert.“34

Mit den Situationen Die Verweigerung der Rückkehr (III.1), Die magische Flucht (III.2), Rettung von außen (III.3) beginnt das Kapitel Rückkehr, das den Helden nach vorn treibt bis hin zur zweiten Schwelle. Campbell weist mit den Mythen nach, dass diese Schwellensituation ein zweites Mal bewältigt werden muss. Es zeigt sich, dass dies nicht leichter als die erste Schwellenüberschreitung ist.

Nicht immer, ähnlich der Weigerung, gelingt es dem Helden, den Rückweg sofort und gezielt anzutreten. Das kann aus Erschöpfung rühren, denn viel Kraft ist schon verbraucht. Es kann auch an der Lust am Leben im Unbekannten liegen. Es gibt in diesen Gefilden immer neue Dinge zu entdecken, die der Held auskosten möchte, denn die magische Welt hat andere Gesetze als die Welt, in die er zurückkehrt.

Gesetzt, der Held hat die Verweigerung der Rückkehr hinter sich gelassen, kann eine magische Flucht noch vor ihm liegen, wo er oft sogar magische Objekte, die ihn auf der Rückkehr beschweren, abwerfen muss.

„Wenn der Held in seinem Triumph [...] den Auftrag erhält, mit irgendeinem Elixier, an dem die Gesellschaft genesen soll, zur Welt zurückzukehren, so unterstützen alle Kräfte seines himmlischen Schutzherrn ihn bei der Überwindung der letzten Strecke seiner Fahrt. Wenn aber die Trophäe gegen den Widerstand ihres Wächters gewonnen wurde oder wenn der Held durch den Wunsch, zur Welt zurückzukehren, die Götter oder Dämonen erzürnt hat, dann wird diese letzte Strecke des Zyklus zu einer bewegten, oft komischen Hatz, voll von Überraschungen, magischen Hindernissen und magischem Entkommen.“35

Oder aber, wie in der Rettung von außen in den Fokus genommen, kann es „sein, daß der Heros durch äußeres Zutun von seinem jenseitigen Abenteuer zurückgebracht werden muß, das heißt, die Welt muß kommen und ihn holen. [...] soweit einer ein lebendes Wesen ist, wird das Leben ihn rufen. Die Gesellschaft stellt eifersüchtig denen nach, die sich von ihr ausschließen und wird kommen und an die Pforte pochen. [...] Wenn aber der Erhobene nur aufgehalten ist, befangen im Glück des Zustandes vollkommenen Seins, der dem Tod gleicht, kommt es zu einer wirklichen Rückkehr, und der Abenteurer findet heim“.36

Vor der kritischen Rückkehr über die Schwelle (III.4) muss der Held die transzendenten Kräfte des unbekannten Lands hinter sich lassen und also seine ganze Aufmerksamkeit und das bis dahin Erworbene einsetzen, um die Schwelle unbeschadet zu passieren. „Der Segen, den er bringt, wird der Welt zum Heil“37, das Elixier.

Nun beginnt „die letzte Krisis im Lauf des Zyklus, zu der die ganze Fahrt durchs Land der Wunder nur das Vorspiel war, nämlich auf die paradoxe, höchst schwierige Überquerung der Schwelle bei der Rückkehr des Helden aus dem jenseitigen Bereich in die Landschaft des banalen Alltags. Ob von außen gerettet, von innen getrieben oder sanft von den lenkenden Gottheiten geleitet, immer muß er mit seinem Segen wieder in die längst vergessene Atmosphäre finden, wo Menschen, die nur Fragmente des Menschen sind, sich vollkommen glauben. Er muß noch den Zusammenprall der Gesellschaft mit seinem das Ich erschütternden, das Leben erlösenden Elixier bestehen und die Rückschläge auf sich nehmen, die ihm in Form von vernünftigen Bedenken, boshaftem Widerstand und auch von guten Menschen, deren Begreifen versagt, noch bevorstehen.“38

Als Meister der zwei Welten (III.5) ist der Held begabt, sich in beiden Welten zu bewegen und es ergeht an ihn zugleich die freudvolle und verpflichtende Anforderung, beide Welten miteinander zu verknüpfen. In ihm breitet sich die Freiheit aus „die Spaltung der Welt nach hüben und drüben zu durchmessen, von der Perspektive der Erscheinungen in der Zeit zu der ursächlichen Tiefe und wieder zurück, ohne die Prinzipien des einen mit denen der anderen zu kontaminieren, aber so, daß der Geist das eine durch das andere erkennt“.39

Dieses „Geheimnis des leichtfüßigen Übergangs“ schafft ein neues Lebensgefühl; Freiheit zum Leben (III.5).40 Als Absicht des Mythos und Resultat des wunderbaren Hinübergehens und Wiederkehrens formuliert Campbell die schließlich zu erreichende „Versöhnung des individuellen Bewußtseins mit dem Weltwillen [...]“.41 Auf den letzten Seiten seiner Beschreibungen summiert Campbell nochmals das Bild des mythologischen Helden mit folgenden Worten:

„Der Held ist der Günstling nicht der gewordenen Dinge, sondern der werdenden, weil er selber ist. [...] Er verwechselt nicht eine scheinbare Unveränderlichkeit in der Zeit mit der Dauer des Seins, noch ängstigt er sich vor dem nächsten Augenblick, im Glauben, dieser könne dem Dauernden mit seinem Wechsel etwas anhaben“.42

In diesem Sinne zeichnet der Monomythos das Bild eines Menschen, der nicht verharrt, sondern tut, was getan werden muss, um sich und die Welt ein Stück voranzubringen.

AUF DENN!

Paul Rebillot

Ein Archäologe oder Ethnologe sondiert das Terrain, er setzt sorgfältig die einzelnen Teile zusammen, um zu schauen, wie sich daraus eine alte Vase, ein Trinkbecher oder eben eine Geschichtenstruktur erkennen lässt.

Anders der Theatermann Paul Rebillot (1931-2010), der sich die Forschungsergebnisse Campbells zu eigen machte wie große Regisseure einen Text von Shakespeare oder ein antikes Drama. Während Joseph Campbell den Kulturschatz der Mythen in Tiefenschichten und Bedeutungsdichte analysierte, sucht Paul Rebillot seinen ganz eigenen Zugang zum Heldenmythos. Als Theatermann sind ihm die Geschichten der Griechen nichts Neues, die heilende Wirkung von Theater bekannt, künstlerische Arbeitsweisen zur Hand. Neu ist ihm die aus der eigenen Krise drängende Suche, den Menschen etwas für ihren Lebensvollzug auf den Weg zu geben. Seine Intention (wollen wir es an dieser Stelle ruhig seinen Ruf nennen) war es, aus dem Monomythos „einen Übergangsritus zu schaffen, der so universell ist, dass Menschen mit seiner Hilfe das Muster von Veränderung erkennen können […]“.43

Im Unterschied zum Auftrag eines Regisseurs, das Publikum über die Szenen auf der äußeren Bühne in einen inneren Prozess zu verwickeln, entscheidet sich Rebillot dafür, die Beteiligten zu Akteuren ihrer inneren Bühne zu machen. Aus dem theatralen Akt des Zuschauens im Theater wird ein Akt des schöpferischen Handelns im Seminar.

„Statt dem Drama aus der Distanz zuzuschauen, wie ein Mensch aus dem alten Griechenland es getan haben mag, werden wir bei der Heldenreise zu Hauptdarstellerinnen und Hauptdarstellern unserer eigenen Geschichte. Jeder Mythos, jede Geschichte, jedes Drama ist ein Bild des Bewusstseins – ein Bild, das uns zeigt, wie die verschiedenen Aspekte des Bewusstseins zusammenspielen. Wenn wir das Drama der Heldenreise beginnen, spielen wir sämtliche Rollen. Dabei erfahren wir die Bedeutung des Geschehens nicht nur über unseren Geist und unsere Seele, sondern können das Drama auch körperlich erleben und integrieren.“44

Rebillot entwarf mit seinem mehrtägigen Workshopkonzept „Die Heldenreise“ einen Transfer, der Menschen auf kreative Art in ihren Veränderungsprozessen tief greifend stützen kann.

Dieses Konzept entfaltet seine tiefe Wirksamkeit in der Vereinigung eines äußeren, genau inszenierten, dramaturgischen Rahmens mit der Möglichkeit, dass jeder Teilnehmer autark seinen individuellen Prozess erleben kann. Gehalten durch die Struktur der mythologischen Schrittfolge, sensibilisiert durch kreative Arbeitsweisen, gestärkt durch die Empathie der Gruppe, entsteht ein Möglichkeitsraum für individuelle Entwicklung des Einzelnen.

Abbildung 2: Die Heldenreise nach Paul Rebillot (Darstellung: Florian Conrad)

„Die Heldenreise ist eine Chance, die Geschichte einer Wandlung im Rahmen eines Rituals durchzuspielen, in dem Ewigkeit und chronologische Zeit sich gegenseitig durchdringen. Wenn wir uns mit einem archetypischen Ablauf befassen und ihn im Hier und Jetzt darstellen, wird unser Alltagsbewusstsein erhellt vom Ewigen. Das schafft die Möglichkeit des Austauschs zwischen den beiden Dimensionen: Eine Tür öffnet sich, durch welche die archetypische Welt in unsere Leben treten und auf diesem Wege neue Kräfte und Formen in unserem Alltag einbringen kann. Diese gegenseitige Durchdringung der beiden Welten macht die eigentliche Natur des rituellen Dramas aus.“45

Rebillot beschreibt in seinem Buch „Die Heldenreise – ein Abenteuer der kreativen Selbsterfahrung“ (2000), aus welchen Ebenen sein Konzept aufgebaut ist: (1) Die rituelle Ebene ist u.a. geprägt durch den morgendlichen Rahmen der Meditation, (2) die dramatische Ebene umfasst die mythologische Grundstruktur des Heldenweges, (3) die körperorientierte Ebene ankert Erfahrungen im Körpergedächtnis, (4) die biographische Ebene umschließt den personalen, individuellen Background des Einzelnen, (5) die didaktische Ebene stützt die theoretische Verortung und Reflexion und (6) die praktische Ebene orientiert sich an den gruppendynamischen und organisatorischen Erfordernissen.

Wie nun zeichnet sich der Monomythos im Seminar der Heldenreise ab, wo gibt es Übereinstimmungen bzw. Anpassungen?

Gemäß der Absicht, den jeweils aktuellen Veränderungsprozess zu stützen und den Teilnehmern ein inneres Gerüst für zukünftige Prozesse dieser Art zu bauen, beginnt das Seminar mit der individuellen Erkundung der derzeitig wahrgenommenen Grundsituation, Lebensumgebung/ Homeground, um kenntlich zu machen, von wo jeder startet. Die Teilnehmer finden ihren eigenen, imaginären Mentor, der bei Rebillot als Helfer oder spiritueller Begleiter, unterstützt durch das Instrument der Kraft immer wieder in den Prozess einbezogen wird. Der zeitliche und energetische Fokus der Aufmerksamkeit liegt in der Etablierung des Widerspruchs zwischen Held und Schwellenhüter, den Rebillot Dämon nennt. Bevor es an der Schwelle zur großen Konfrontation zwischen beiden kommt, entwickeln die Teilnehmer ihren ganz persönlichen Helden. Der Held, als der innere Anteil des Menschen, der nach vorn in die Zukunft strebt, der Veränderung will bzw. anerkennt, dass er sich auf den Weg machen muss, wird erschaffen durch szenische Improvisation. Der Held ist „[…] ein Aspekt der menschlichen Natur, der Aspekt, der den Ruf aus den tieferen Schichten des Selbst vernimmt und darauf antwortet, […] ist das Potential jedes menschlichen Wesens, dem Impuls zu etwas‚ Größerem’ zu folgen“.46 Dieser Anteil wird stabilisiert durch vielfältige Übungen, um anschließend Körper und Sinne für den eigenen Dämon zu schärfen, den inneren Anteil, der durch Festhalten an überholten Mustern und alten Denkbahnen Wachstum verwehrt.

Rebillot findet kongeniale Arbeitssequenzen dafür, die Teilnehmer mit der Tiefendimension und Kraft dieses Widerspruchs zu identifizieren. Die Weigerung und die Überwindung des Schwellenhüters fasst er in der Konfrontation zwischen Held und Dämon an der Schwelle zusammen. Ist diese im Setting der Gestaltarbeit gelungen, darf und muss der innere Held eines jeden Teilnehmers in einer imaginären Reise durch die unbekannte Welt, das Mysterium, antreten. In diesem geschützten Phantasieraum, gut betreut von einem Workshopleiter, werden Herausforderungen, Beglückungen und auch die Entscheidende Prüfung lebendig. Da jeder seine eigene Reise antritt, begegnet man dort, ohne dass sie speziell formuliert werden, archetypischen Situationen, wie Campbell sie im Monomythos strukturiert; jeweils in der individuellen Ausformung. Anders als in den Mythen fassen die letzten Workshopeinheiten den gesamten Teil der Rückkehr in den Sequenzen Rückkehr mit der Belohnung zusammen und bereiten die Teilnehmer auf die Heimkehr in den normalen Alltag vor. Die in einer brillanten Dramaturgie eingebettete Kraft des ganzheitlichen Ausdrucks, die Energie von inneren Bildern und die Stärke der Gruppe machen das Seminar von Paul Rebillot so einzigartig.

Sein Ruf: Schöpfe aus dem Heldenmythos ein Kunstprodukt, das die Menschen ihren inneren Konflikt erfahren lässt. Die Teilnehmer sollen dabei nicht Zuschauer, sondern Produzenten sein; nicht Künstler, sondern Lebenskünstler werden. Wenn sie zurückkehren, soll es ihnen besser als vorher gehen.

Sein Resultat: „Viele Menschen, die die Heldenreise antraten, stellten fest, dass sie damit erleben, wie Transformation im Allgemeinen vor sich geht. Wenn es dann in ihrem Leben zu den unweigerlichen Veränderungen kommt, fühlen sie sich davon nicht bedroht“.47

WOHL DENEN!

Christopher Vogler

Was macht man, wenn man als Story-Analytiker für die verschiedenen Studios Hollywoods professionell aus Tausenden von Romanen, Geschichten und Drehbüchern die herausfiltern soll, die das Zeug zu einem wirklich guten Stoff haben?

Man sucht nach Qualitätsmaßstäben.

„Wie schaffen es die Geschichtenerzähler, einer Erzählung Bedeutung zu geben? Gute Geschichten vermitteln uns das Gefühl, eine befriedigende und umfassende Erfahrung gemacht zu haben. Wir haben geweint oder gelacht – vielleicht auch beides. Am Ende legen wir die Geschichte mit dem Gefühl beiseite, etwas Neues über das Leben oder über uns selbst gelernt zu haben. Vielleicht haben wir zu einem neuen Bewusstsein gefunden, sind auf einen Charakterzug oder eine Haltung gestoßen, die unserem Leben eine andere Richtung geben kann. Wie schaffen es die Geschichtenerzähler, so etwas zu bewirken? Wo sind die Geheimnisse dieses uralten Handwerks? Was sind seine Regeln und Gestaltungsprinzipien?“48

Wie aber findet man diese Richtwerte? Entweder erschließen sie sich in der mühevollen Kleinarbeit von Analyse der Tausenden von Geschichten, die erdacht worden sind. Man könnte hinter den Erzählstrukturen eine Art Muster entdecken. Oder aber man hat das Glück auf Campbells Der Heros in tausend Gestalten zu stoßen. Diesen Treffer landete Christopher Vogler eines Tages in der USC Filmschule:

„Als ich anfing, als Story-Analytiker für die großen Filmstudios zu arbeiten, erwies sich ‚Der Heros in tausend Gestalten’ für mich als Retter in der Not.“ Es war das Werk, „das sich bei der Analyse von Story-Problemen und der Formulierung von Lösungsmöglichkeiten als ein zuverlässiges Hilfsmittel bewährte“.49

Begeistert führt Vogler aus: „Die Begegnung mit seinem [Campbells ] Werk war – und da erging es mir genauso wie vielen anderen Menschen – eine bedeutende und prägende Erfahrung. Einige Tage der Beschäftigung mit dem Labyrinth seines Buches ‚Der Heros in tausend Gestalten’ bewirkten eine elektrisierende Neuorientierung meines Lebens und Denkens. Hier lag tatsächlich das Muster, das ich immer schon vermutet hatte [...] Campbell hatte es geschafft, den Geheimcode des Geschichtenerzählens zu entschlüsseln. Sein Werk war für mich wie eine Leuchtkugel, die plötzlich eine tiefdunkle Landschaft erhellt“.50

Und „Joseph Campbells großes Verdienst bestand eben darin, als erster eine Sache klar auszusprechen, die seit jeher existent war: die Grundsätze des Lebens, die tief in die Struktur von Geschichten eingeschrieben sind“.51

Abbildung 3: Die Heldenreise nach Christopher Vogler (Darstellung: Florian Conrad)

Auf diesem Wege findet Vogler zu seinem Memorandum „Eine praktische Einführung in Der Heros in tausend Gestalten“, in der er die Idee der Reise des Helden erläutert und an Beispielen der Filmgeschichte und neueren Produktionen belegt.52 Schon bald macht Voglers Konzept Furore und wird Leitfaden von Plot-Entwicklung und Drehbuchschreiben, denn „alle Geschichten bestehen im Grunde aus einer Handvoll stets wiederkehrender Bauelemente, die uns auch in Mythen, Märchen, Träumen und Filmen immer wieder begegnen. Der Oberbegriff für diese Bauelemente lautet: die Reise des Helden. Unser Ziel wird sein, die Bedeutung dieser Elemente hinsichtlich des modernen Erzählens zu verstehen. [...] Sofern wir uns ihrer [der Bauelemente] klug bedienen, geht von diesen uralten Hilfsmitteln des Geschichtenerzählers auch heute noch eine enorme Kraft aus, die eine heilende Wirkung auf die Menschheit haben und die Welt zu einem besseren Ort machen kann.“53

Gemäß seiner Absicht, einen Ratgeber für Filmschaffende zu schreiben, in dem sie die Reise des Helden als Grundlage für ihre eigenen vielfältigsten Einfälle und Intuitionen nutzen können, beschreibt Vogler in seinem nachfolgendem Bestseller „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ die aus seiner Sicht zwölf wesentlichen Stadien der Reise sowohl inhaltlich als auch in ihrer dramaturgischen Funktion. Hier finden wir einen wesentlichen Unterschied zu Campbell und Rebillot. Campbell belegt die Stadien des Musters mit Auszügen aus den Originalquellen von Mythen aus aller Welt. Er analysiert die psychologischen Bedeutungsflächen der Stationen mit starkem Rückgriff auf den damaligen Stand der Psychologie – insbesondere die Theorien C.G. Jungs und S. Freuds. Rebillot schafft eine konkrete dramaturgische Umsetzung der Heldenreise in einem Gruppensetting zur Persönlichkeitsentwicklung.

Vogler versteht das Muster durchaus als Schlüssel zur Orientierung im Labyrinth des Lebens selbst. Sein Fokus besteht jedoch in der dramaturgischen Analyse und Gestaltung der Stadien der Heldenreise; immer das Thema der optimalen Wirksamkeit in Filmen und Erzählungen aufwerfend. Neben Analysen und Beispielen stellt er Fragen und sucht nach Ideen, die den Ratsuchenden einerseits an die Hand nehmen, andererseits aber zu seinen eigenen Lösungen führen sollen. Denn entgegen einigen Einwänden, ob es nicht zu einer langweilig, wiedergekäuten Monotonie der Geschichten führen würde, sollte „die Reise des Helden [...] als Form – nicht als Formel – betrachtet werden. Sie sollte ein guter Orientierungspunkt sein, von dem viel Inspiration ausgehen kann – nicht ein diktatorischer Erlaß“.54

Was wäre ein „Handwerkskoffer“ für Drehbücher ohne das unverzichtbare Werkzeug des Geschichtenerzählers, die Figuren und Personen der Geschichte. Im Ersten Buch seiner Odyssee des Drehbuchschreibers (6. Auflage, 2010) nimmt Vogler eine gründliche Analyse dieser wesentlichen Materialien – des Figurenensembles – vor. Er lässt die sieben Charaktertypen, die jede Geschichte in sich trägt, lebendig werden. Diese „dramatis personae“ sind Funktionsträger einer Handlung, denen er sowohl in ihrer mythologischen Gestalt, ihrer psychologischen als auch dramaturgischen Aufgabe nachgeht.55 Alle charakteristischen Figuren werden in Spielarten, Variationen und mit bestimmten Eigenschaften dargestellt. Seine Ausführungen widmen sich den Archetypen als flexible Funktionsträger, die in einer Geschichte nicht starr an eine Person gebunden sind, sondern je nach Bedarf die Handlung voranbringen.