Recht und Management für sozialpädagogische Fachkräfte - Tanja von Langen - E-Book

Recht und Management für sozialpädagogische Fachkräfte E-Book

Tanja von Langen

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Beschreibung

Dieses Buch bereitet die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen der Kita verständlich und praxisgerecht auf. Exemplarische Gerichtsentscheidungen, übersichtgebende Schaubilder, zahlreiche Lernkontrollfragen und Übungsfälle mit ausführlichen Lösungen geben Sicherheit in der Rechtsanwendung und lassen Freude an rechtlichen Themen aufkommen. 

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Tanja von Langen

Recht und Management für sozialpädagogische Fachkräfte

Für Leonie, Emilia und Caspar

Völlig überarbeitete und stark erweiterte Neuausgabe von „Recht in der Kita“ 2023

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG

ISBN Print 978-3-451-39515-4

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83139-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83144-7

Inhalt

Vorwort

I Staatsrecht

1 Staat „Bundesrepublik Deutschland“

1.1 Wesen eines Staates

1.2 Aufgaben eines Staates

1.3 Entstehung der Bundesrepublik Deutschland

2 Staats- und Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland

2.1 Republik

2.2 Demokratie

2.3 Rechtsstaat

2.4 Sozialstaat

2.5 Bundesstaat

2.6 Übungsfälle

3 Grundrechte

3.1 Geschichte der Grundrechte

3.2 Wesen der Grundrechte

3.3 Einteilung der Grundrechte

3.4 Schutzbereich der Grundrechte

3.5 Einschränkung von Grundrechten

3.6 Die Schranken der Schranken

3.7 Verwirkung von Grundrechten

3.8 Grundrechtsprüfung

3.9 Einzelne Grundrechte

3.10 Grundrechtsgleiche Rechte

3.11 Übungsfälle

4 Wahlrecht

4.1 Wahlberechtigung

4.2 Wahlrechtsgrundsätze

4.3 Wahlsysteme

4.4 Bundestagswahl

5 Oberste Bundesorgane

5.1 Bundestag

5.2 Bundesrat

5.3 Bundespräsident

5.4 Bundesregierung

5.5 Bundesverfassungsgericht

6 Gesetzgebung des Bundes

6.1 Gesetzgebungskompetenz

6.2 Gesetzgebungsverfahren

7 Aufbau der Bundesrepublik Deutschland

7.1 Gemeinde

7.2 Landkreis

7.3 Bezirk

7.4 (Bundes-)Land

7.5 Subsidiaritätsprinzip

8 Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland

8.1 Planwirtschaft

8.2 Marktwirtschaft

8.3 Soziale Marktwirtschaft

9 Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland

9.1 Gerichte

9.2 Gerichtsbarkeiten

9.3 Unabhängige Rechtsprechung

9.4 Die Justizgrundrechte

9.5 Übungsfälle

10 Europäische Union

10.1 Entstehung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten

10.2 Organe der EU

10.3 Gründe für eine europäische Einigung

11 Vereinte Nationen

11.1 Ziele und Grundsätze der UN

11.2 Organe der UN

11.3 UN-Behindertenrechtskonvention

11.4 UN-Kinderrechtskonvention

11.5 Übungsfälle

II Strafrecht

12 Wesen des Strafrechts

12.1 Aufgabe und Inhalt des Strafrechts

12.2 Ziele der Strafe

13 Grundlagen der Strafbarkeit

13.1 Vorliegen eines Strafgesetzes

13.2 Menschliches Handeln bzw. Unterlassen

13.3 Straftat

13.4 Täterschaft, Anstiftung und Beihilfe

13.5 Übungsfälle

14 Rechtsfolgen einer Straftat

14.1 Rechtsfolgen gegen Jugendliche

14.2 Rechtsfolgen gegen Erwachsene

14.3 Übungsfälle

15 Ausgewählte Straftatbestände für das pädagogische Personal

15.1 Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht

15.2 Körperverletzung (§ 223 ff StGB)

15.3 Tötungsdelikte (§§ 211 ff StGB)

15.4 Aussetzung (§ 221 StGB)

15.5 Unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB)

15.6 Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB)

15.7 Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

15.8 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 ff StGB)

15.9 Übungsfälle

16 Strafprozess

16.1 Ermittlungsverfahren

16.2 Hauptverfahren

16.3 Vollstreckungsverfahren

III Zivilrecht

17 Schuldrecht

17.1 Zustandekommen eines Vertrages

17.2 Inhalt eines Vertrages

17.3 Vertragstypen

17.4 Übungsfälle

18 Aufsichtspflicht

18.1 Adressat der Aufsichtspflicht

18.2 Inhalt der Aufsichtspflicht

18.3 Die abgeleitete Aufsichtspflicht

18.4 Die Arten der Aufsichtspflicht

18.5 Beginn und Ende der Aufsichtspflicht

18.6 Die Faktoren der Aufsichtspflicht

18.7 Aufsicht konkret: Was ist zu tun?

18.8 Übungsfälle

19 Schadensersatz und Haftung

19.1 Schadensersatz

19.2 Haftungsrecht

19.3 Übungsfälle

20 Familienrecht

20.1 Der Begriff der Familie

20.2 Eherecht

20.3 Wichtige Bestimmungen des Familienrechtes

20.4 Das Umgangsrecht

20.5 Adoption

20.6 Vormundschaft über Minderjährige

20.7 Pflegschaft

20.8 Betreuung Erwachsener

20.9 Familienrecht und Verfassungsrecht

20.10 Übungsfälle

IV Arbeitsrecht

21 Arbeitsverhältnis

21.1 Zustandekommen des Arbeitsvertrages

21.2 Inhalt des Arbeitsverhältnisses

21.3 Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis

21.4 Verletzung der Arbeitspflicht

21.5 Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge

21.6 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

21.7 Zeugnis

21.8 Berufsbildung

21.9 Delegation von Tätigkeiten

21.10 Übungsfälle

22 Arbeitnehmer:innenschutz

22.1 Kündigungsschutz

22.2 Mutterschutz

22.3 Jugendarbeitsschutz

22.4 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

22.5 Arbeitsschutzgesetz

22.6 Arbeitszeitgesetz

22.7 Aushang und Ordnungswidrigkeiten

22.8 Übungsfälle

23 Tarifvertragsrecht

23.1 Inhalt und Arten des Tarifvertrages

23.2 Tarifbindung

23.3 Wirkung der tariflichen Bestimmungen

23.4 Konflikte und Konfliktlösungen zwischen den Tarifpartnern

23.5 Übungsfälle

24 Betriebsverfassung

24.1 Innerbetriebliche Mitbestimmung

24.2 Betriebsrat

24.3 Personalrat

24.4 Jugendvertretung

24.5 Gewerkschaften und Berufsverbände

25 Arbeitsrecht der Kirchen

25.1 Kirchenautonomie und Individualarbeitsrecht

25.2 Kirchenautonomie und Koalitionsfreiheit

25.3 Kirchenautonomie und kollektives Arbeitsrecht

25.4 Kirchenautonomie und gesetzliche Betriebsverfassung

25.5 Gerichtsschutz bei Rechtsstreitigkeiten

25.6 Übungsfälle

26 Zivilprozess

26.1 Mahnverfahren

26.3 Zwangsvollstreckung

26.4 Kosten des Rechtsstreits

26.5 Vertretung durch Rechtsanwalt

26.6 Besonderheiten des Arbeitsgerichtsprozesses

26.7 Übungsfälle

V Sozialrecht

27 Allgemeines

27.1 Begriff des Sozialrechts

27.2 Gegenstand des Sozialrechts

27.3 System der Sozialgesetzgebung

27.4 Das sozialrechtliche Dreieck

27.5 Prinzipien des Sozialrechts

27.6 Teilbereiche des Sozialrechts

27.7 Übungsfälle

28 SGB VII – Gesetzliche Unfallversicherung

28.1 Kreis der versicherten Personen

28.2 Träger der Unfallversicherung

28.3 Finanzierung der Unfallversicherung

28.4 Versicherungsfälle in der Unfallversicherung

28.5 Unfallversicherung für Kinder in Tagesbetreuung

28.6 Unfallversicherungsschutz bei ehrenamtlichen Tätigkeiten

28.7 Leistungen der Unfallversicherung

28.8 Unfallverhütung

28.9 Das APR des Kindes

28.10 Übungsfälle

29 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe

29.1 Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe

29.2 Rechtsnatur des SGB VIII

29.3 Zielgruppe

29.4 Ziele

29.5 Aufgaben der Jugendhilfe

29.6 Prinzipien

29.7 Die Trägerlandschaft

29.8 Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe

29.9 Aufträge der Kinder- und Jugendhilfe

29.10 Rechtsansprüche der Kinder- und Jugendhilfe

29.11 Andere Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe

29.12 Bereichsspezifischer Sozialdatenschutz

29.13 Übungsfälle

30 SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

30.1 Ziel des SGB IX

30.2 Aufbau des SGB IX

30.3 Begriffsklärung

30.4 Rehabilitationsträger

30.5 Verfahren

30.6 Formen der Leistungserbringung

30.7 Schwerbehindertenrecht

30.8 Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

30.9 Besonderer Kündigungsschutz für Schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen 433

30.10 Übungsfälle

31 SGB X – Sozialdatenschutz

31.1 Rechtlicher Bezugsrahmen

31.2 Sozialdatum

31.3 Datenverarbeitung

31.4 Anvertraute Daten

31.5 Kunsturhebergesetz, KunstUrhG

31.6 Spezielle Auswirkungen der EU-DSGVO

31.7 Datenpannen bzw. Datenschutzverletzungen

31.8 Strafrechtliche Sanktionen

31.9 Übungsfälle

32 Sonstige Sozialstaatsangebote

32.1 Ausbildungsförderung

32.2 Kindergeld

32.3 Elterngeld und Elternzeit

33 Berufsrelevante Nebengesetze

33.1 TAG

33.2 KICK

33.3 KiFöG

33.4 Bundeskinderschutzgesetz und KKG

33.5 Gute-Kita-Gesetz

33.6 Kinder- und Jugendstärkungsgesetz

33.7 Infektionsschutzgesetz

33.8 Lebensmittelrecht

33.9 Jugendschutzgesetz

33.10 Übungsfälle

VI Organisation und Management

34 Finanzierung von Sozialunternehmen

34.1 Meritorische Güter

34.2 Finanzierungselemente eines Sozialunternehmens

34.3 Finanzierung der Jugendhilfe

34.4 Finanzierung von Kindertageseinrichtungen

34.5 Fundraising und Sponsoring

35 Organisationsentwicklung

35.1 Geschichte der Organisationsentwicklung

35.2 Anlässe für Organisationsentwicklung

35.3 Organisationsentwicklung: Idealtypische Merkmale und Abgrenzung zum Change-Management

35.4 Der Begriff der Organisation

35.5 Organisationstheorien

35.6 Organisationsstrukturen

35.7 Instrumente der Organisationsentwicklung

35.8 Erfolgskriterien und Ergebnisbewertung

35.9 Lernende Organisation

35.10 Organisationsentwicklung in Kitas

36 Sozialmanagement

36.1 Arbeitsfelder der sozialpädagogischen Berufe

36.2 Selbstständigkeit

36.3 Betriebswirtschaftliche Grundlagen

36.4 Selbstmanagement

36.5 Büroorganisation

37 Strategisches Management für soziale Einrichtungen

37.1 Balanced Scorecard

37.2 Stakeholder-Management

37.3 SWOT

37.4 Ziele SMART formulieren

37.5 Leitbild- und Profilentwicklung

37.6 Konzeptionsentwicklung

37.7 Managementsysteme in sozialen Einrichtungen

37.8 Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

37.9 Übungsfälle

38 Personalmanagement

38.1 Ziele und Aufgaben des Personalmanagements

38.2 Personalplanung

38.3 Personalmanagementinstrumente

39 Führen und Leiten

39.1 Aufgaben der Leitung sozialer Einrichtungen

39.2 Führungsstile

39.3 Motivation

39.4 Teamentwicklung

39.5 Delegation von Leitungsaufgaben

40 Kommunikation im Personalmanagement

40.1 Grundlagen der Kommunikation

40.2 Kommunikationsmethoden und -instrumente

41 Konfliktmanagement

41.1 Konfliktarten

41.2 Auswirkungen von Konflikten

41.3 Konfliktbewältigung

41.4 Leitfaden für Konfliktgespräche

41.5 Konfliktinventur

42 Kooperation, Netzwerke und interkulturelle Öffnung

42.1 Kooperation mit Eltern

42.2 Kooperation im Sozialraum

42.3 Kooperation von Kitas und Kindertagespflege

42.4 Netzwerke

42.5 Interkulturelle Öffnung von sozialen Einrichtungen

43 Qualitätsmanagement

43.1 Qualitätsphilosophie nach Deming

43.2 DIN EN ISO 9001

43.3 Der Einzug von Qualitätsmanagement in Kitas

43.4 Die wichtigsten Qualitätsmanagementsysteme für Kitas im Überblick

43.5 Die Qualitätsdimensionen

43.6 Qualitäts-Leitbildentwicklung

43.7 Der Deming`sche Regelkreis

43.8 Dokumentation

43.9 Selbst- und Fremdevaluation

43.10 Die 7 Qualitätswerkzeuge

43.11 Die Implementierung eines Qualitätsmanagementsystems – ein Beispiel

43.12 Übungsfälle

44 Prozess- und Projektmanagement

44.1 Prozessmanagement

44.2 Projektmanagement

45 Verwaltung und Betriebsführung

45.1 Betriebserlaubnis

45.2 Führungszeugnis

45.3 Personalakte

Anhang

A Falllösungen

B Prüfungsvorbereitung

C Lernfeldorientierte Taxonomie zur Erzieher:innenausbildung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Über die Autorin

Vorwort

In meiner mittlerweile 15jährigen Lehrtätigkeit an zahlreichen Aus-, Fort- und Weiterbildungsinstituten für pädagogische Fachkräfte mache ich immer wieder die Erfahrung, dass das Fach Recht und die Beschäftigung mit Rechtsfragen allenfalls zu den notwendigen Übeln der Ausbildung und der pädagogischen Praxis gerechnet werden. Das ist verständlich: Wer mit Menschen, insbesondere Kindern, arbeiten will, sieht nicht unbedingt einen Sinn darin, die Beziehung zu ihnen distanziert unter abstrakten rechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Zusätzlich erweist sich die schwer zugängliche Rechtssprache nicht selten als Hürde, wenn es darum geht, gewonnene Erkenntnisse auf den Praxisalltag anzuwenden.

Das Hauptanliegen dieses Buches besteht daher darin, die komplexen rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer pädagogische Fachkräfte arbeiten, verständlich und praxisgerecht aufzubereiten, um den erforderlichen Perspektivenwechsel zu erleichtern. Darüber hinaus werden die Fülle der für die Ausbildung prüfungsrelevanten Inhalte und ihre Verknüpfungen übersichtlich dargestellt.

Damit das rechtliche Fachwissen auch gut in den Berufsalltag übertragen werden kann, wurde bewusst auf juristische Präzision im Sinne einer Ausleuchtung aller juristischen Eventualitäten verzichtet und der Schwerpunkt auf die Verständlichkeit von Rechtsstruktur und -sprache gelegt. Hierzu dienen klare Strukturen, erläuternde Beispiele und Gerichtsentscheidungen, übersichtgebende Schaubilder und ein detailliertes Verweissystem.

Besonderer Wert wurde auf die Veranschaulichung der komplexen Inhalte des SGB VIII und sein Verhältnis zu den übrigen Sozialgesetzbüchern sowie den zahlreichen berufsrelevanten Nebengesetzen gelegt. Lernkontrollfragen zu jedem inhaltlichen Abschnitt ermöglichen es, den eigenen Wissenserwerb zu überprüfen. Übungsfälle mit ausführlichen Lösungen am Ende eines jeden prüfungsrelevanten Abschnitts geben Sicherheit in der Rechtsanwendung und für die Prüfung.

War der Vorgängerband Recht in der Kita, aus dem das vorliegende Lehrbuch erwachsen ist, noch in der Hauptsache für die Ausbildung von Erzieher:innen gedacht, ist der Adressaten:innenkreis vor dem Hintergrund der Akademisierung des Erzieher:innenberufs nun sehr viel weiter gefasst.

Auszubildende an Fachschulen und Fachakademien sowie Studierende der Frühpädagogik, der Sozialpädagogik und vergleichbarer Studiengänge an Hochschulen und Universitäten gewinnen einen kompletten Überblick über die Strukturen des prüfungsrelevanten Faches Recht mit zahlreichen Materialien zur Prüfungsvorbereitung.

Fort- und Weiterzubildende mit dem Ziel der Fachwirte- oder Leitungsqualifikation eignen sich hiermit das prüfungsrelevante Managementwissen an.

Praktiker:innen erhalten ein umfangreiches und übersichtliches Nachschlagewerk zum rechtssicheren Umgang mit allen praxisrelevanten Fragen ihres Berufsalltags.

Leitungen ist das Buch ein verlässlicher Wegweiser durch alle Rechts- und Managementfragen im Rahmen der Leitungspraxis.

Lehrende an Fachschulen und Fachakademien erlangen durch die beigefügte, auf den DQR-Lehrplan abgestimmte Taxonomie eine wichtige Orientierungshilfe zur Vermittlung des prüfungsrelevanten Stoffes.

Hunderte Kursteilnehmer:innen haben mir in der Vergangenheit bestätigt: In dem Maße, in dem es gelingt, rechtliche Problemlösungskompetenz zu entwickeln, steigt auch der Spaß an rechtlichen Themenstellungen. Nahezu alle Teilnehmenden waren überrascht, wie interessant, aktuell und praxisrelevant das Fach Recht sein kann. Ich bin daher sehr zuversichtlich, dass für Leser:innen, die sich von diesem Buch durch das Thema führen lassen, Recht und Spaß nicht länger einen Gegensatz darstellen.

Mein herzlicher Dank gilt Jochen Fähndrich für die zehnjährige immerwährende, stets kompetente Unterstützung und Begleitung seitens des Verlags Herder sowie den Teilnehmer:innen meiner Seminare und Ausbildungskurse, die die Texte dieses Buches auf Verständlichkeit und Praxistauglichkeit getestet und mit zahlreichen Anregungen optimiert haben.

Bei aller Sorgfalt bringt es die Komplexität der Materie mit sich, dass sich Fehler einschleichen oder Fragen offenbleiben. Für weitere Anregungen, Hinweise und Kritik bin ich daher stets dankbar und freue mich auf Ihre Rückmeldung unter [email protected].

München, im Mai 2023

Tanja von Langen

I Staatsrecht

Das Staatsrecht ist das Teilgebiet des Öffentlichen Rechtes, das sich mit dem Staatsorganisationsrecht befasst, also damit, wie unser Staat aufgebaut und organisiert ist. Staatsstrukturprinzipien, Wahl und Funktion unserer obersten Staatsorgane, das Verhältnis von Bund und Ländern, Grundrechte und ihre Geltendmachung, Wahl- und Staatsangehörigkeitsrecht sind im Staatsrecht geregelt und zum weitaus überwiegenden Teil im Grundgesetz (GG) als Verfassungsrecht normiert. Darüber hinaus existieren noch einige einfachgesetzliche Regelungen wie zum Beispiel die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags.

1 Staat „Bundesrepublik Deutschland“

Der Staat ist eine Herrschaftsordnung, durch die ein Personenverband — das Volk — auf abgegrenztem Gebiet durch hoheitliche Gewalt zur Wahrung gemeinsamer Güter verbunden ist. Diese menschliche Gemeinschaft ist eine Schicksalsgemeinschaft: Der Einzelne ist mit den jeweils anderen ungefragt und gezwungenermaßen verbunden. Zwar stellt diese Schicksalsgemeinschaft in unserer fortschrittlichen Zeit der wachsenden Individualisierung nicht die einzige und nicht einmal die wichtigste Gemeinschaft dar, sie bildet aber doch für jedes Individuum einen unverzichtbaren Teil seiner Existenz. Denn in unserer hochtechnisierten und arbeitsteilig organisierten Gesellschaft braucht der Einzelne, von Autarkie weit entfernt, zu seiner Existenz immer auch die Gemeinschaft.

1.1 Wesen eines Staates

Der Begriff »Staat« wird in der Staatsphilosophie und in der allgemeinen Staatslehre sehr unterschiedlich definiert. Die schlichteste Definition lautet:

Ein Staat ist eine Personengemeinschaft in ihrer politischen Organisation, die ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt voraussetzt.

1.1.1 Staatsgebiet

Das Staatsgebiet ist ein abgegrenzter, nicht notwendig zusammenhängender Teil der Erdoberfläche, auf den sich die Staatsgewalt als Gebietshoheit erstreckt.

1.1.2 Staatsvolk

Das Staatsvolk ist die Gesamtheit der durch die Herrschaftsordnung vereinigten Menschen. Häufig ist das Staatsvolk eine Nation (Nationalstaat), nicht selten umfasst ein Staatsvolk aber auch mehrere Nationen (Nationalitätenstaat).

Kennzeichen des Staatsvolkes ist die gemeinsame Staatsangehörigkeit. Dies hat nichts mit Nationalismus oder Fremdenfeindlichkeit zu tun, sondern beruht auf der Klassifizierung des Staates als Personenverband: Jeder Personenverband behält seine Mitgliedschaftsrechte den Mitgliedern vor.

Die Staatsangehörigkeit wird entweder nach dem Abstammungsprinzip (z.B. BRD) oder nach dem Territorialprinzip (z.B. USA) erlangt.

Abbildung 1: Erwerb der Staatsangehörigkeit

Nach dem in der BRD geltenden Abstammungsprinzip erhält ein Kind deutscher Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit, unabhängig davon, wo es zur Welt kommt. Auch Mischformen sind möglich und in der Praxis häufig zu finden:

Wird ein Kind deutscher Eltern in Frankreich geboren, erhält es zusätzlich aufgrund des in Frankreich geltenden Territorialprinzips die französische Staatsangehörigkeit (wenn weitere Bedingungen erfüllt sind).

Seit dem 1. Januar 2000 gibt es für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern die Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit unter bestimmten Voraussetzungen nach dem Territorialprinzip zu erlangen. Bis zum 20. Dezember 2014 bestand ein Optionszwang dahingehend, dass die Jugendlichen mit Vollendung des 18. Lebensjahres entscheiden mussten, ob sie die deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wollen. Dieser Optionszwang ist entfallen, sodass beide Staatsbürgerschaften unter bestimmten Bedingungen beibehalten werden können. Näheres regelt das Staatsangehörigkeitsgesetz.

1.1.3 Staatsgewalt

Unter den Begriff der Staatsgewalt oder Staatsmacht fällt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter.

Denn bei einem Staat handelt es sich um einen territorialen Herrschaftsverband, der seine hoheitliche Macht durch seine Organe und Institutionen (Staatsoberhaupt, Regierung, Verwaltung, Parlament, Gerichte etc.) in Form von Hoheitsakten ausübt. Sind die organisatorischen Strukturen der Staatsgewalt derart zerfallen, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können, liegt ein sogenannter gescheiterter Staat (failed state/fragile state) vor.

Der Fragile States Index der privaten Denkfabrik Fund for Peace weist den Jemen auf Rang 1 mit einem Wert von 113,5, gefolgt von Somalia (112,3) und dem Südsudan (112,2), aus. Deutschland rangiert auf Platz 167 mit einem Wert von 24,7. Den letzten Platz 178 mit dem niedrigsten Wert von 16,9 nimmt Finnland ein.

1.2 Aufgaben eines Staates

Der Staat hat eine Reihe elementarer — gleichsam überzeitlicher — Aufgaben, die ihm sein typisches Gepräge geben:

Herstellung und Erhaltung der äußeren Sicherheit, also die Abwehr von Bedrohungen und Angriffen auf das Staatsgebiet von außen. Dies wird durch Landesverteidigung, Entwicklungszusammenarbeit und friedenssichernde Maßnahmen (z.B. im Rahmen von Bündnissen) bewirkt.

Herstellung und Erhaltung der Inneren Sicherheit, also der Gewährleistung einer Rechts- und Friedensordnung im Inneren. Dies wird durch Institutionen wie Verwaltung, Gerichte, Polizei, Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Verfassungsschutz etc. bewirkt.

Die Herstellung und Erhaltung einer sozial gerechten Ordnung.

Die Förderung kultureller Bestrebungen.

Die Vorsorge gegen Risiken, die sich aus der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung ergeben.

Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Die Mitwirkung bei internationalen Einsätzen zum Schutz der Menschenrechte in Krisengebieten entsprechend der Charta der Vereinten Nationen (UN).

Die stetige Anpassung der Rechtsordnung an veränderte gesellschaftliche Verhältnisse. Denn das Recht ist unabdingbares Steuerungsinstrument des Staates: Es bändigt die staatliche Macht, es lenkt die Erbringung sozialer Leistungen, stellt einen sozialen Ausgleich unter den Bürgern her und regelt den gesellschaftlichen Bereich. Diese Aufgaben kann es jedoch nur dann effizient erfüllen, wenn es ständig an die gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst wird.

1.3 Entstehung der Bundesrepublik Deutschland

Die Verfassung eines jeden Staates drückt die politischen Grundentscheidungen des jeweiligen Volkes aus. Stets ist sie Ausdruck von Erfahrungen und birgt Hoffnungen wie Erwartungen. In besonderem Maße gilt dies für unser Grundgesetz.

1.3.1 Erste Entwicklungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

Im Jahr 1947 zeigten die beiden Außenministerkonferenzen der vier Siegermächte endgültig, dass eine Einigung über die Zukunft Deutschlands nicht zu erreichen war. Daraufhin wurden auf Initiative der Westalliierten unter Einbeziehung von Belgien, der Niederlande und Luxemburg die Ministerpräsidenten der elf westdeutschen Länder am 1. Juli 1948 ermächtigt bzw. beauftragt, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen.

Das überreichte Dokument enthielt inhaltliche Vorgaben für die zu erlassende Verfassung: Die verfassungsgebende Versammlung sollte »eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich wiederherzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält.«

Die beauftragten Ministerpräsidenten gerieten durch dieses Angebot in einen unlösbaren Zwiespalt: Einerseits war das Angebot zur Staatsbildung eine historische Chance, die man keinesfalls vergeben wollte, andererseits würde durch die Bildung eines westdeutschen Staates die bereits vorhandene Spaltung unweigerlich vertieft. Man entschloss sich nach langen Beratungen daher zu einem Kompromiss:

Statt einer verfassungsgebenden Versammlung, die vom Volk zu wählen gewesen wäre, sollte lediglich ein von den Landtagen zu wählender Parlamentarischer Rat einberufen werden.

Statt Annahme durch Volksabstimmung sollten nur die Landtage entscheiden.

Statt der Bezeichnung »Verfassung« sollte nur vom »Grundgesetz« gesprochen werden.

Man wollte mit diesen Einschränkungen zum Ausdruck bringen, dass die zu gründende BRD zwei gravierende Mängel hätte: Zum einen würden ihr durch das geltende Besatzungsrecht wichtige Merkmale eines sich selbst bestimmenden Staates bis auf Weiteres fehlen, zweitens würde das Staatsgebiet nicht ganz Deutschland umfassen, denn dieses galt es, erst wiederherzustellen.

1.3.2 Historie des Grundgesetzes

Die 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates wurden im August 1948 von den Landtagen gewählt. Ihren Beratungen lag der sogenannte „Herrenchiemseer Verfassungsentwurf“ zugrunde. Der Parlamentarische Rat legte in Art. 144 GG auch fest, dass für das Inkrafttreten der Verfassung die Annahme durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der Länder genügt. Eine Annahme durch das Volk war also nicht vorgesehen! Dies ist ein deutlicher Widerspruch zu unserer heutigen Auffassung von idealer demokratischer Willensbildung, die als selbstverständlich voraussetzt, dass ein Grundgesetz vom souveränen deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen wird.

Indes: Nach dem verlorenen Krieg fehlte den Deutschen die Souveränität, sie waren nicht einmal ein Bundesvolk, denn eine Bundesrepublik gab es (noch) nicht. Angesichts der besonderen Lebensumstände der Nachkriegszeit, die von Not, Entbehrung und Trauer geprägt war, waren sie (anders als z.B. die Gründungsväter der USA bei Abfassung der Bill of Rights am 12. Juni 1776) auch nicht von einem Verfassungsgründungswillen durchdrungen.

Die Verfassungsberatungen wurden aufmerksam von den Westalliierten verfolgt. Sie intervenierten auch mehrfach, da nach ihrer Auffassung vor allem die geplanten bundesstaatlichen und finanzverfassungsrechtlichen Regelungen die Zentralgewalt zu sehr stärkten. Es kam zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen, die erst beendet wurden, als die Alliierten nachgaben. Trotz dieser Differenzen gingen die Verhandlungen zügig voran. Und obwohl die Verfassung eine nur vorläufige bis zur Herstellung der deutschen Einheit sein sollte, war man bestrebt, auch diese Übergangsphase rechtsstaatlich stabil zu gestalten, weshalb man auch Grundrechte festschrieb. Dem Verfassungsentwurf stimmten zehn der vorhandenen elf Länder (Ausnahme Bayern) zu.

Am Nachmittag des 23. Mai 1949 fand die vorgesehene öffentliche Sitzung statt. Mit Ausnahme der Abgeordneten Reimann und Renner von der KPD unterschrieben sämtliche Mitglieder des Parlamentarischen Rates das Grundgesetz. Da Berlin damals nicht zur BRD gehörte, unterschrieben die fünf Berliner Abgeordneten getrennt. Konrad Adenauer, der Präsident des Parlamentarischen Rates, verkündete im Anschluss daran das Grundgesetz. Es trat dann formell am 23. Mai 1949 um 24.00 Uhr in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war der Parlamentarische Rat das einzige Organ der BRD. Erst im September 1949 kam es mit der ersten Bundestagswahl zur Bildung der Verfassungsorgane, die das Grundgesetz vorsieht.

1.3.3 Entstehung und Untergang der DDR

Während die westlichen Besatzungsmächte die Eingliederung Deutschlands in die westliche parlamentarisch-demokratische Staatenwelt betrieben, verfolgte die Sowjetunion die Eingliederung des ostdeutschen Staates in ihren Machtbereich mitsamt Etablierung einer kommunistischen Diktatur. 1946 entstand aus der zwangsweisen Vereinigung von KPD und SPD die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Am 30. Mai 1949 nahm der 3. Deutsche Volkskongress den vom Volksrat ausgearbeiteten Verfassungsentwurf mit 2.087 gegen eine Stimme an. Der Volksrat rief am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik aus, setzte die von der sowjetischen Militäradministration genehmigte Verfassung in Kraft, konstituierte sich selbst als „Provisorische Volkskammer“ bis zur Wahl einer endgültigen Volkskammer und berief eine provisorische Regierung ein. Nachdem der BRD die Souveränität zugesprochen worden war, zog die Sowjetunion nach und verlieh 1955 der DDR die Souveränität.

Trotz erheblichen Propagandaaufwands gelang es in der Folgezeit der sowjetisch gesteuerten kommunistischen Führung der DDR nicht, die Bevölkerung hinter sich zu bringen. Die Abriegelung gegenüber dem Westen mit Mauer, Stacheldraht und Reiseverboten, die Einschüchterung und Unterdrückung der Menschen durch SED und Staatssicherheit führten ausgehend von Leipzig zu ständig anwachsenden Protestdemonstrationen im ganzen Land, die schließlich zur Wiedervereinigung führten.

Tabelle 1: Chronik der Wiedervereinigung

1989

Ständig anwachsende Protestdemonstrationen in den Städten der DDR.

Sommer 1989

Ungarn öffnet seine Grenze zum Westen, starke Flüchtlingsströme aus der DDR nach Ungarn; auch Polen und die Tschechoslowakei sind bereit, die in die bundesdeutschen Botschaften geflüchteten DDR-Bürger in die BRD ausreisen zu lassen.

09.11.1989

Öffnung der Mauer in Berlin und der Übergänge entlang der Grenze zur BRD.

18.03.1990

Erste freie Wahl zur Volkskammer der DDR; die PDS als Nachfolgepartei der SED erhält lediglich 16 Prozent der Stimmen.

18.05.1990

Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, sog. Staatsvertrag.

03.08.1990

Vertrag zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestags.

31.08.1990

Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands, sog. Einigungsvertrag.

12.09.1990

Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland, enthält die Zustimmung der vier Siegermächte, sog. Zwei-plus-Vier-Vertrag.

1.3.4 Das Menschenbild des Grundgesetzes

Der Grundsatz der Menschenwürde, erstmals postuliert in der UN-Charta von 1945, ist als oberstes Konstitutionsprinzip des deutschen Volkes vergleichsweise neu. Unter dem Eindruck der Entrechtung und Erniedrigung der Menschen in der NS-Diktatur fand er erstmals Eingang in die deutsche Gesetzgebung als Thema der deutschen Verfassungsgebung. Die Menschenwürde existiert unabhängig davon, ob mit ihr eine Gegenleistung korrespondiert; sie hängt nicht einmal davon ab, ob der Einzelne sie überhaupt verwirklichen kann. Selbst Toten und auch dem Nasciturus (= dem noch zu Gebärenden) steht das Recht auf Achtung seiner Menschenwürde zu.

Die Würde des Menschen ist vorstaatliches, überpositives Recht. Sie braucht zu ihrer Existenz keine Rechtsnorm. Unser Grundgesetz erkennt sie daher nicht zu, sondern an. In diesem Sinne ist auch Art. 1 Abs. 3 GG zu verstehen, der von den »nachfolgenden Grundrechten« spricht. Das bedeutet: Im Verständnis des Grundgesetzes ist die Menschenwürde kein Grundrecht, sondern vielmehr die oberste Prämisse aller Grundrechte, ihre Grundlage oder Voraussetzung.

Aus dieser Anerkennung der Menschenwürde folgt, dass die Menschen, also das Volk, das beherrschende Element des Staatswesens bilden. Die Menschenwürde ist die vereinende Klammer zwischen den Prinzipien des Rechtsstaates und des Sozialstaates, sie verlangt den sozialen Rechtsstaat.

1.3.5 Das Grundgesetz als Werteordnung

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1958 festgestellt, dass das Grundgesetz keine wertneutrale Ordnung sein will. Es erstellt vielmehr eine objektive Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung auf alle Bereiche des Rechts ausstrahlt.

Dass die BRD ein wertegebundener Staat ist, bedeutet aber nicht, dass etwa eine Staatsideologie geschaffen werden soll: Eine Staatsideologie versucht, mit dogmatischer Verbindlichkeit das gesellschaftliche und politische Leben zu prägen, zu steuern und zu kontrollieren. Demgegenüber lassen Werte Spielräume und Kompromisse zu und haben eher regulativen Charakter.

Die Werte, die unsere Verfassung prägen

Fundamentale Werte: Menschenwürde; Leben und körperliche Unversehrtheit; Innere Sicherheit; Individuelle Freiheit; Rechtliche Gleichheit; Soziale Gleichheit; Volkssouveränität; Demokratie.

Gesellschaftliche Werte: Privatsphäre; Ehe und Familie; Religiöse und weltanschauliche Überzeugungsfreiheit; Wirtschaftliche Handlungsfreiheit; Kommunikationsfreiheit; Pluralismus; Politische Partizipation; Bürgerverantwortung.

Staatspolitische Werte: Gemäßigte Herrschaft; Weltanschauliche Neutralität; Rechtsschutz; Wehrhafte Ordnung; Gemeinwohl; Frieden; Umwelt; Bildung und Kultur.

1.3.6 Der moderne Staat

Wurde im 17. und 18. Jahrhundert der Staat noch weitgehend mit dem regierenden Monarchen gleichgesetzt („L`état c´est moi“) bildet nach unserem heutigen Rechtsverständnis der Staat eine selbstständige Rechtsperson, eine sogenannte juristische Person des öffentlichen Rechtes (siehe Kapitel 2.3.5). Als solche kann er selbst Inhaber von Rechten und Pflichten sein und über seine Organe handeln.

Unser freiheitlicher, säkularisierter Staat beruht auf politischen und ethischen Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen oder gar erzwingen kann, die jedoch für seine Existenz unverzichtbar sind. Dazu gehören unter anderem:

Die Akzeptanz des Staates und seiner Grundlagen durch die Mehrheit der Bevölkerung.

Die Anerkennung gemeinsamer ethisch-sittlicher Grundwerte.

Die Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Die Verantwortung für die Erhaltung der künftigen Lebensgrundlagen.

2 Staats- und Regierungsform der Bundesrepublik Deutschland

Unsere Verfassung ist geprägt von fünf verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, auch Verfassungsprinzipien oder Verfassungsgrundsätze genannt, die in Art. 20 GG niedergelegt sind:

Art. 20 GG

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Verfassungsgrundsätze lassen Geist und Charakter der Verfassung erkennen und prägen somit den Staat, dessen Ordnung auf ihr beruht. Diese verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen betreffen insbesondere die Staats- und Regierungsform, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Gewaltenteilung.

Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beruht nach Art. 20 GG auf den aus der folgenden Abbildung ersichtlichen Verfassungsprinzipien.

Abbildung 2: Verfassungsprinzipien des GG

Verfassungsgrundsätze sind die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung, deren Schutz besonders gewährleistet ist. In Art. 79 GG erhalten sie den Status von überzeitlichen Rechten, indem der Grundgesetzgeber sie mit der sogenannten Ewigkeitsgarantie ausgestattet hat.

Art. 79 Abs. 3 GG

Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche (…) die in Art. (…) 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.

Erklärt Art. 79 Abs. 3 die niedergelegten Grundsätze des Art. 20 GG für unantastbar, sind damit die folgenden Prinzipien gemeint, die zeigen, dass Demokratie und Rechtsstaat in untrennbarem Zusammenhang stehen, sich ergänzen und stützen: Es gibt keine Demokratie ohne rechtsstaatliche Ordnung und ohne Gewährleistung der Freiheitsrechte. Umgekehrt ist ein Rechtsstaat ohne Gewährleistung der demokratischen Freiheitsrechte nicht denkbar.

2.1 Republik

Der Gegensatz zur Republik ist die Monarchie. Die Monarchie bestimmt das Staatsoberhaupt nach familien- und erbrechtlichen Regelungen, also nach dynastischen Gesichtspunkten (z.B. Großbritannien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Spanien, Schweden). Die Herrschaft wird von einem/einer einzelnen Monarch:in (Fürst:in, König:in, Kaiser:in) ausgeübt. Seine/ihre Herrschaft ist entweder unbeschränkt (absolute Monarchie) oder – etwa durch ein Parlament – beschränkt (sog beschränkte Monarchie, z.B. England).

2.2 Demokratie

Auf einer zweiten Bedeutungsebene ist die Frage zu stellen, wer Inhaber der Staatsgewalt ist: Geht die Staatsgewalt vom Volke aus, handelt es sich um eine Demokratie. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich um eine Scheindemokratie, also um eine Diktatur. Demokratie und Monarchie sind daher kein Gegensatz, sondern können sich überschneiden. So ist zum Beispiel England eine Monarchie, weil das Staatsoberhaupt dynastisch bestimmt wird, zugleich aber auch eine Demokratie, weil die Staatsgewalt beim Volk, vertreten durch das Parlament, liegt. Demgegenüber handelte es sich bei der DDR trotz der Bezeichnung „Deutsche Demokratische Republik“ nicht um einen Staat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung und damit um Diktatur.

2.2.1 Merkmale einer Demokratie

Die Merkmale einer echten Demokratie werden aus der folgenden Abbildung ersichtlich:

Abbildung 3: Merkmale einer Demokratie

Das bedeutet konkret: Es herrscht das

Prinzip der politischen Meinungs- und Betätigungsfreiheit. Bereits im Vorfeld des staatlichen Entscheidungsprozesses haben alle Bürger:innen und Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen und Interessen geltend zu machen und für sie zu werben. Die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit, der Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit sind damit nicht nur liberale Freiheitsrechte, sondern auch demokratische Mitwirkungsrechte.

Wahlprinzip. Die Volksvertretung einer repräsentativen Demokratie muss nach den Grundsätzen der allgemeinen, gleichen, freien, unmittelbaren und geheimen Wahl gewählt werden (Wahlprinzip). Durch die Wahl überträgt der/die Bürger:in seinen/ihren politischen Willen auf Volksvertreter (Abgeordnete). Diese Abgeordneten sollen den Willen des Volkes durch Gesetze zum Ausdruck bringen.

Mehrparteienprinzip. Eine Wahl kann nur dann ihren Wert entfalten, wenn es auch eine echte Auswahl gibt. Daher müssen mehrere, mindestens zwei regierungsfähige Parteien oder Koalitionen mit alternativen Wahlprogrammen zur Wahl antreten.

Prinzip der demokratischen Legitimation. Sämtliche Staatsorgane und Amtsträger einer Demokratie, die staatliche Aufgaben wahrzunehmen haben, müssen demokratisch legitimiert sein, indem sie entweder unmittelbar vom Volk oder von einem – seinerseits demokratisch legitimierten – Organ bestellt werden.

Prinzip der Herrschaft auf Zeit. Die Amtszeit der maßgeblichen Verfassungsorgane muss zeitlich begrenzt sein, damit in bestimmten Abschnitten erneut über ihr Mandat entschieden werden kann.

Mehrheitsprinzip. Die Entscheidungen der Mehrheit sind maßgebend und müssen von der Minderheit akzeptiert werden. Die Minderheit hat eine reelle Chance, ihre Argumente vorzutragen und in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen (Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz).

2.2.2 Indirekte Demokratie

Die Staatsgewalt muss tatsächlich und nicht nur scheinbar vom Volk ausgehen. Es muss entweder selbst entscheiden (unmittelbare Demokratie) oder eine Volksvertretung wählen, die an seiner Stelle entscheidet (repräsentative Demokratie). Da die unmittelbare Demokratie aus verschiedensten Gründen in modernen demokratischen Staaten nicht zu praktizieren ist, haben sich die meisten westlichen Länder für eine repräsentative Demokratie entschieden. Eine repräsentative Demokratie ist immer eine indirekte Demokratie. Eine indirekte Demokratie kommt in zwei Erscheinungsformen vor:

Abbildung 4: Arten der indirekten Demokratie

In der parlamentarischen Demokratie trifft das Volk nicht unmittelbar die politischen Entscheidungen, sondern bestimmt zunächst in Wahlen seine Vertreter (Abgeordnete) im Parlament. Die Abgeordneten repräsentieren ihrerseits dann das Volk. Das Parlament hat also die entscheidende politische Macht. Es erlässt Gesetze und wählt den Bundeskanzler zum Chef der Regierung. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie.

In der präsidialen Demokratie wird der Präsident in einer eigenen Wahl vom Volk gewählt. Unabhängig von der Präsidentenwahl finden weiterhin Parlamentswahlen statt. Dies kann unter Umständen zur Folge haben, dass der jeweilige Präsident nicht unbedingt die Mehrheit des Parlamentes hinter sich hat. Die USA sind eine präsidiale Demokratie.

2.2.3 Direkte Demokratie

Direkte demokratische Elemente sind in der Bundesrepublik zwar nicht auf Bundesebene, aber doch in allen Landesverfassungen verankert. So kennt unsere Rechtsordnung zahlreiche Formen direkter politischer Mitwirkung:

Bürgerinitiative,

Unterschriftensammlung,

Demonstration,

Bürgerbegehren,

Volksbegehren,

Bürgerentscheid sowie

Volksentscheid.

Insbesondere Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf kommunaler Ebene sowie Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene sind wichtige Elemente der direkten Demokratie. Sie sind als zweistufiges Verfahren konzipiert: Das Begehren (erste Stufe) gilt dabei als Antrag auf die Durchführung eines Entscheids (zweite Stufe). In Berlin, Bremen und Thüringen geht dem Begehren ein Zulassungsantrag voraus, sodass hier eine dritte Stufe gegeben ist.

Ein Begehren ist der Ausdruck des Volkswillens, dass ein bestimmter Sachverhalt durch Abstimmung entschieden werden soll.

Das Bürgerbegehren hat Erfolg, wenn eine bestimmte Anzahl von Unterschriften (die genaue Zahl variiert je nach Bundesland von 3 bis 15 % der Wahlberechtigten) gesammelt wurde. Hat das Bürgerbegehren Erfolg, wird der konkrete Sachverhalt durch Bürgerentscheid entschieden. Ein Bürgerentscheid ist dann erfolgreich, wenn je nach Bundesland zwischen 10 bis 30 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen.

Ein Volksbegehren benötigt zum Erfolg 5 bis 20 Prozent der Wählerstimmen. Ein Volksentscheid ist dann erfolgreich, wenn 20 bis 50 Prozent aller Wahlberechtigten zustimmen.

Abbildung 5: Elemente der direkten Demokratie

2.3 Rechtsstaat

Art. 1 Abs. 3 GG

Die Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Art. 20 Abs. 3 GG

Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Das Rechtsstaatsprinzip wird in Art. 20 Abs. 1 GG, der die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen benennt, nicht ausdrücklich erwähnt. Allerdings findet sich seine Ausprägung in vielen Normen des Grundgesetzes, zum Beispiel in:

Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsbindung der gesamten Staatsgewalt)

Art. 20 Abs. 2 GG (Gewaltenteilung)

Art. 19 Abs. 4 GG (Rechtsschutzgarantie)

Art. 101 ff GG (prozessuale Grundrechte)

2.3.1 Elemente des Rechtsstaates

Zum einen ist das Rechtsstaatsprinzip der Sammelbegriff für all diese Einzelnormen, zum anderen hat der Begriff aber auch seine eigenständige Bedeutung: So ist er Auslegungsrichtlinie für die gesamte Verfassung und sonstige Rechtsordnung und kommt im konkreten Einzelfall auch immer dann zur Anwendung, wenn und soweit Regelungen fehlen.

Die Rechtslehre erkennt im Rechtsstaatsbegriff im Wesentlichen folgende Einzelelemente:

Bindung an die Grundrechte

Vorrang der Verfassung

Ewigkeitsgarantie

Staatliches Gewaltmonopol

Gewaltenteilung

Vorbehalt des Gesetzes

Transparenz

Bestimmtheitsgebot und Rückwirkungsverbot

Gleiches Recht für alle

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel

Rechtsschutzgarantie

Abbildung 6: Elemente des Rechtsstaates

Bindung an die Grundrechte: Die bloße Produktion von Gesetzen macht noch keinen Rechtsstaat aus. Auch Diktaturen sind mitunter auf der Grundlage von Gesetzen perfekt organisiert. Die Gesetzgebung des Dritten Reiches hat gezeigt, dass auch formal korrekt zustande gekommene Gesetze das Recht bis zum äußersten dehnen und pervertieren können. Daher ist es wichtig, den Staat bei seiner Gesetzgebung auch inhaltlich zu binden. Art. 1 Abs. 3 GG bindet alle staatliche Gewalt ausdrücklich und umfassend an die Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht“. Auch und gerade für den Gesetzgeber selbst sind daher Grundrechte nicht einfach unverbindliche Absichtserklärungen, sondern verbindliche Leitlinie für alle Gesetze und alles Verwaltungshandeln im Rechtsstaat.

Vorrang der Verfassung: Das Grundgesetz ist kein Gesetz wie jedes andere, sondern steht im Rang über allen anderen Gesetzen, d. h., es geht allen anderen Gesetzen vor. Dementsprechend müssen sich alle anderen Gesetze – Bundesgesetze, Landesgesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen aller Art – in zweierlei Hinsicht, formal und inhaltlich, an der Verfassung orientieren:

Formal: Alles Recht muss nach den Regeln des Grundgesetzes hinsichtlich Zuständigkeit, Form und Verfahren zustande kommen. Kommt es auf andere Weise zustande, ist es verfassungsrechtlich nicht legitimiert, also verfassungswidrig.

Inhaltlich: Die erlassenen Gesetze müssen auch inhaltlich mit dem Grundgesetz vereinbar sein, insbesondere müssen sie die Grundrechte achten.

Gesetze, die diese Vorgaben nicht einhalten, sind unwirksam und damit nichtig. Allerdings ist es im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, dass die Unwirksamkeit bei Bundesgesetzen durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt wird. Bis dahin gelten sie als gültig und sind damit für alle verbindlich.

Ewigkeitsgarantie: Die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasst die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze, also die Menschenwürde und die in Art. 20 GG niedergelegten Verfassungsprinzipien. Diese Elemente kann nicht einmal der verfassungsändernde Gesetzgeber mehr ändern. Damit behält das Grundgesetz im Kern seine freiheitliche und demokratische Grundausrichtung für alle Zeiten.

Staatliches Gewaltmonopol: Die Anwendung von Gewalt ist prinzipiell dem Staat vorbehalten. Nur er darf Gewalt einsetzen – zur Erfüllung seiner Aufgaben, insbesondere zur Gewährleistung der Rechts- und Friedensordnung, und stets unter Einhaltung der rechtsstaatlichen Voraussetzungen.

Mit dem Gewaltmonopol des Staates korrespondiert das Gewaltverbot für den Bürger: Er darf seine vermeintlichen oder tatsächlichen Rechte nicht auf eigene Faust durchsetzen, sondern muss hierfür die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen.

Das Ordnungsgefüge von Gewaltmonopol des Staates, Friedenspflicht des Bürgers und Durchsetzung der Rechte des Bürgers durch vom Staat geschaffene Institutionen beruht auf einem engen wechselseitigen Zusammenhang. Denn ein Staat, der nicht mehr bereit oder imstande ist, die Rechte seiner Bürger zu schützen, wird sich nicht mehr lange aufrechterhalten können.

Gewaltenteilung: Das Grundprinzip unserer demokratischen Gesellschaftsordnung ist die Gewaltenteilung, bei der die Staatsgewalt auf die drei voneinander unabhängigen „Säulen“ Legislative, Exekutive und Judikative verteilt ist. Das Gewaltenteilungsprinzip ist in der Verfassung in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG verankert. Darin ist festgelegt, dass die Staatsgewalt durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ wird.

Sinn und Zweck der Gewaltenteilung ist es, einen inneren Kontrollmechanismus innerhalb der staatlichen Organe zu schaffen, um einen Machtmissbrauch zu verhindern. Die einzelnen Säulen sind aufeinander angewiesen und können ihre Macht nicht allein ausüben.

Sie kontrollieren sich gegenseitig:

Die Legislative (gesetzgebende Gewalt) beschließt die Gesetze.

Die Exekutive (vollziehende Gewalt) führt die Gesetze aus.

Die Judikative (Rechtsprechung) überwacht die Einhaltung der Gesetze.

Der Gedanke der Gewaltenteilung wurde bereits im 17. Jahrhundert von dem englischen Rechtsphilosophen John Locke entwickelt. Später formulierte der Franzose Montesquieu erstmals die klassische Dreiteilung. Als politisches Programm verkündet wurde die Gewaltenteilung zum ersten Mal in der Unabhängigkeitserklärung der USA im Jahre 1776.

Die in Deutschland existierende parlamentarische Demokratie verzichtet auf eine strenge Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Jurisdiktion (sogenannte Gewaltenverschränkung).

Art. 63/54 GG: Der Bundestag wählt den Bundeskanzler, die Bundesversammlung wählt den Bundespräsidenten.

Art. 94/95 GG: Die Richterwahlausschüsse des Bundestags wählen die Bundesrichter.

Art. 93 GG: Das Bundesverfassungsgericht kann Gesetze aufheben.

Art. 80 GG: Bundes- und Landesregierungen können Rechtsverordnungen (= materielle Gesetze, siehe Kapitel 2.3.3) erlassen.

Art. 67 GG: Der Bundestag kann den Bundeskanzler per konstruktivem Misstrauensvotum abberufen.

Abbildung 7: Gewaltenverschränkung in der BRD

Durch die Verteilung der Staatsgewalt auf den Bund und die Länder wird neben der klassischen horizontalen Gewaltenteilung in Deutschland von einer zweiten vertikalen Gewaltenteilung gesprochen.

Die Staatsgewalt ist an die Grundrechte und an Recht und Gesetz gebunden. Das bedeutet für

die Gesetzgebung (Legislative): Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstoßen, sind unwirksam;

die vollziehende Gewalt (Exekutive): Staat, Verwaltung und Behörden sind in ihrem Zuständigkeitsbereich an bestehende Gesetze gebunden;

die rechtsprechende Gewalt (Judikative): Die Rechtsprechung findet im Rahmen bestehender Gesetze statt. Die Auslegung eines Gesetzes muss sich an seinem Wesensgehalt orientieren.

Abbildung 8: Gewaltenteilung

Legislative: Die Legislative ist die gesetzgebende Gewalt. Sie wird durch die Parlamente (Bundestag, Bundesrat, Landesparlamente) ausgeübt.

Exekutive: Die Exekutive ist die gesetzesausführende, die vollziehende Gewalt, also die Verwaltung, auch Administration genannt. Der Bund bedient sich zur Ausführung seiner Gesetze teilweise einer eigenen Verwaltung. Hierzu zählen der Auswärtige Dienst, die Bundesfinanzverwaltung sowie die Verwaltung der Bundeswasserstraßen und der Schifffahrt.

Viele Bundesgesetze werden aber auch durch die Verwaltung der Länder und Gemeinden umgesetzt, wobei ihnen ein breiter Handlungsspielraum eingeräumt wird. Seit jeher wird die Regierung ebenfalls zur Exekutive hinzugezählt, eine moderne Lehre bezeichnet die regierende Gewalt hingegen als „Gubernative“, die danach ein Teilelement der Exekutive ist.

Judikative: Die rechtsprechende Gewalt, die Judikative, steht in der BRD als Ausdruck des Gewaltmonopols ausschließlich dem Staat zu. Von diesem Rechtsprechungsmonopol macht er umfassend Gebrauch (siehe Kapitel 9), allerdings gilt im kirchlichen Bereich eine Ausnahme: Staatliche Gerichte werden hier nur dann tätig, wenn und soweit hierüber von Staat und Kirche eine Vereinbarung geschlossen wurde. Eine weitere Ausnahme vom Rechtsprechungsmonopol bildet die Schiedsgerichtsbarkeit, also die Möglichkeit, bestimmte privatrechtliche Streitigkeiten durch einen Schiedsrichter entscheiden zu lassen (§§ 1025 ff ZPO).

Vorbehalt des Gesetzes: Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes bedeutet, dass die dem Gesetzgeber ausdrücklich in der Verfassung erteilte Befugnis, in ein Grundrecht einzugreifen, ausschließlich durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ausgeübt werden darf (siehe Kapitel 3.5.2). Das bedeutet, es gibt keinen Eingriff in Rechte der Bürger:innen ohne eine gesetzliche Grundlage. Man unterscheidet den einfachen vom qualifizierten Gesetzesvorbehalt.

Einfacher Gesetzesvorbehalt: Der Gesetzgeber wird allgemein zur Einschränkung ermächtigt. Die Einschränkung erfolgt durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes.

Qualifizierter Gesetzesvorbehalt: Die Einschränkung wird von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht oder auf bestimmte Zwecke beschränkt.

Transparenz: Gesetze und Rechtsverordnungen müssen allgemein bekannt sein, mindestens muss jedem/jeder Bürger:in die Möglichkeit gegeben werden, in zumutbarer Weise von den Gesetzen Kenntnis zu nehmen. Es gibt im Rechtsstaat keine Geheimgesetze, deswegen können Gesetze frühestens dann wirksam werden, wenn sie im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden.

Bestimmtheitsgebot und Rückwirkungsverbot: Darüber hinaus müssen Gesetze auch inhaltlich klar, widerspruchsfrei und bestimmt sein. In sich widersprüchliche Gesetze verstoßen gegen das Rechtsstaatsprinzip.

Gleiches Recht für alle: Das Recht gilt für jeden und jede gleichermaßen und ohne Ansehen der Person. Einzelfallgesetze sind unzulässig. Das bedeutet, ein Gesetz muss immer so abstrakt formuliert sein, dass es theoretisch auf eine Vielzahl von gleichgelagerten Einzelfällen zutreffen kann.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde im 19. Jahrhundert vom preußischen Oberverwaltungsgericht als Maßstab zur gerichtlichen Überprüfung von polizeirechtlichen Maßnahmen entwickelt. In den folgenden Jahrzehnten zogen es immer mehr oberste und auch internationale Gerichte, auch Verfassungsgerichte, zur Entwicklung ihrer Grund- und Menschenrechtsprechung heran. In nahezu allen liberalen Demokratien ist es das zentrale Verfassungsprinzip, wenn es um die gerichtliche Überprüfung staatlichen Handelns geht.

Er gilt für alle Eingriffe der öffentlichen Gewalt in Rechte des/der Einzelnen und wird auch Übermaßverbot genannt. Gesetzgebende Gewalt, öffentliche Verwaltung und Justiz sind an ihn gebunden. Das bedeutet, alle Gesetze, gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakte müssen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedeutet, dass die getroffene Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen zur Erreichung des angestrebten Zweckes sein muss.

Grundsatz der Geeignetheit: Die getroffene Maßnahme muss geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen.

Grundsatz der Erforderlichkeit/Notwendigkeit: Die öffentliche Gewalt muss unter mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt (ultima ratio).

Grundsatz der Angemessenheit: Die Maßnahme, obwohl sie geeignet und erforderlich wäre, hat dennoch zu unterbleiben, wenn die dadurch zu erwartenden Nachteile für die Betroffenen außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.

Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt zur Rechtswidrigkeit der betreffenden Maßnahme, bei Gesetzen zur Nichtigkeit.

Rechtsschutzgarantie: Das Grundgesetz garantiert in Art. 19 Abs. 4 einen umfassenden und lückenlosen Rechtsschutz gegen rechtwidrige staatliche Akte durch unabhängige Gerichte.

2.3.2 Aufgaben und Funktionen des Rechts

Überall dort, wo Menschen zusammenleben, sind Regeln notwendig. Solche Regeln zum Zusammenleben werden auch soziale Normen genannt. Fehlen sie, werden Einzelne ihre Interessen auf Kosten der anderen durchsetzen, was wiederum zu Unfrieden und Streit in der Bevölkerung — der Gesellschaft — führt.

Auch wenn wir selten darüber nachdenken, erwarten wir doch täglich von dem Staat, in dem wir leben, ein funktionierendes Recht: Wir wollen zum Beispiel unser Eigentum geschützt, unsere freie Meinungsäußerung gewährleistet, unsere vermeintlichen oder tatsächlichen Ansprüche gegen andere in einem effizienten und gerechten Rechtsweg durchgesetzt, eben »unsere Rechte gewahrt« wissen. Wir erwarten von unserem Rechtssystem Gerechtigkeit, Sicherheit und Ordnung.

Definitionen von Recht

Recht im objektiven Sinne ist die Rechtsordnung, d. h. die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, durch die das Verhältnis einer Gruppe von Menschen zueinander oder zu den übergeordneten Hoheitsträgern oder zwischen diesen geregelt ist. Diese Regeln können ausdrücklich gesetzt sein (gesetztes Recht) oder sich in langjähriger Übung herausgebildet haben (Gewohnheitsrecht).

Recht im subjektiven Sinne ist eine Befugnis, die sich für den Berechtigten aus dem objektiven Recht unmittelbar ergibt.

Rechtsverhältnis ist eine rechtlich bedeutsame, durch Normen des objektiven Rechts geregelte Lebensbeziehung zwischen (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander (z.B. Eltern-Kind-Verhältnis, Arbeitsverhältnis einer Kita-Leitung mit der Kommune als Träger) oder zwischen Personen und Sachen (z.B. Mietvertrag über Hortraum). Aus dem Rechtsverhältnis entspringen subjektive Rechte und Ansprüche.

Die umfassende Bedeutung des Rechtes für die Gesellschaft wird dann offensichtlich, wenn man es sich wegdenkt oder wenn das Recht tatsächlich keinen Einfluss mehr besitzt (siehe Kapitel 1.1.3). Zwar beschränkt das Recht jeden Einzelnen in seinem Tun, es schafft aber damit für die Gemeinschaft der Menschen Sicherheit und Ordnung und ermöglicht so ein friedliches Zusammenleben aller.

Die Festschreibung von Gesetzen, Verordnungen oder anderen Rechtsnormen allein ist jedoch keine Garantie für Ordnung, Sicherheit und Frieden. Erst, indem das Recht durch Institutionen mit staatlicher Autorität nachhaltig durchgesetzt wird, kann es seine friedenssichernden Aufgaben auch entfalten.

Der Staat

setzt Recht,

setzt es aufgrund weiterer Rechtsvorschriften nachvollziehbar und berechenbar durch,

hat das Gewaltmonopol inne und

stellt die von ihm unabhängigen Einrichtungen, die für die Rechtsprechung zuständig sind.

Der Staat garantiert somit die Rechtsordnung.

Das Recht schützt die Freiheit: Resultierend aus der engen Beziehung zur Menschenwürde als dem höchsten Wert unserer Verfassung ist die prinzipielle Freiheitsvermutung der Dreh- und Angelpunkt unserer Rechtsordnung. Alle staatliche Gewalt und die von ihr hervorgebrachte Rechtsordnung sind ihr verpflichtet; auf sie gründet maßgeblich unser Recht. Und so gilt das Recht, das der Staat setzt, auch für ihn: Verfassungs- wie Verwaltungsrecht schreiben ihm vor, wie er es auszuüben und zu gewährleisten hat und schränken die staatliche Gewalt ein. Das Grundgesetz garantiert dem Einzelnen seine Freiheit gegenüber dem Staat, aber auch gegenüber den Mitbürger:innen.

Das Recht ordnet das Gemeinwesen: Die Freiheit des einzelnen Bürgers kann nach dem Grundsatz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« durch Gesetze oder Verordnungen eingeschränkt werden. Denn manche Aufgaben kann der Staat nur gesamtgesellschaftlich lösen, zum Beispiel die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Schulbildung oder die Regelung eines gerechten Steueraufkommens. Indem das Recht somit regelnd bzw. regulierend in die Gesellschaft eingreift, dient es der Ordnung des Gemeinwesens.

Das Recht fördert das Gemeinwohl: Art. 20 GG schreibt als verfassungsrechtliche Grundentscheidung das Sozialstaatsprinzip fest: Dementsprechend soll eine Vielzahl von Gesetzen, zum Beispiel zum Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz oder zum Elterngeld, Gemeinwohlziele fördern. Indem das Recht soziale Gegensätze mildert und soziale Sicherheit gewährleistet, dient es dem Gemeinwohl.

Das Recht gewährt Rechtssicherheit: Logische Folge der Maxime der Menschenwürde und der daraus resultierenden Freiheit jedes Einzelnen ist das Prinzip der Gleichheit. Und so ist es nicht überraschend, dass die Grundidee und das oberste Ziel des Rechtes die Gerechtigkeit, oft in der Ausprägung der sozialen Gerechtigkeit, ist. Allerdings stößt das Gerechtigkeitsprinzip nicht selten an verschiedene Grenzen: Nicht jede gesellschaftliche Gruppe empfindet sich bei angedachten oder beschlossenen Gesetzen angemessen berücksichtigt, eben gerecht behandelt. Darüber hinaus sind Gesetze immer auch Ausdruck der politischen Mehrheitsverhältnisse in einem Land und regeln oft nur einen vorübergehenden Zustand. Aber auch dann, wenn das Recht geändert wird, müssen sich die Menschen auf das Recht verlassen können. Das Vertrauen der Bürger:innen in ihr Recht darf nicht durch willkürliche Rechtsänderungen erschüttert werden.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit kommt vor allem in der Begrenzung und der Bindung aller staatlichen Gewalten an die Verfassung zum Ausdruck. Darüber hinaus gewährt das Recht Rechtssicherheit, indem es eine Garantie des Rechtsschutzes gegen jede hoheitliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG) festschreibt und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) normiert.

2.3.3 Quellen des Rechts

Unsere moderne Rechtsordnung ist das Ergebnis unabänderlicher Naturgesetze, gewachsener Wertvorstellungen und geschichtlichen Erfahrungen. Diese Rechtsquellen werden unterschieden in Naturrecht, Gewohnheitsrecht und Sitte und Moral.

Naturrecht

Die Rechtsphilosophie diskutiert seit dem Altertum das Naturrecht als eine Quelle des Rechts. Naturrecht ist das Recht, das sich aus der menschlichen Natur ableitet und das demgemäß aus der reinen Vernunft, die allen Menschen eigen ist, erkennbar ist. Das Naturrecht ist daher für alle Zeiten gültig, von Raum und Zeit unabhängig.

Naturrecht ist also nicht durch staatliche Rechtsetzung entstanden, sondern „von Natur aus“ vorgegeben. Als Ursache für dieses Recht gelten drei Quellen:

Die Natur selbst – Recht ist, was der Natur des Menschen entspricht.

Die Religion – Recht ist, was Gott gefällt.

Die menschliche Vernunft – Recht ist, was der menschlichen Vernunft entspricht.

Viele Werte unserer Verfassung werden zum Naturrecht gezählt, wie zum Beispiel die Menschenwürde, die Gerechtigkeit oder die Gleichheit aller Menschen (siehe Kapitel 3.9.3). Auch das Verbot, einen anderen Menschen zu töten oder zu verletzen, hat unzweifelhaft naturrechtlichen Ursprung.

Doch nicht alle Inhalte des Naturrechts gelten überzeitlich. Problematisch wird es dann, wenn Teile der Gesellschaft ein Recht als Naturrecht begreifen, was dem Rechtsempfinden der großen Mehrheit nicht (mehr) entspricht. So zeigen die Reaktionen auf immer wiederkehrende Fälle von „Ehrenmorden“, dass die Vorherrschaft des Mannes in seiner Familie, die in einigen Kulturen noch als sein Naturrecht empfunden wird, unserem heutigen westlichen Rechtsempfinden widerspricht. Nach einer modifizierten Auffassung bedarf das Naturrecht daher zu seiner Wirksamkeit eines Rechtsetzungsaktes aufgrund der jeweiligen Volksüberzeugung und ist somit wandelbar.

Gewohnheitsrecht

Eine weitere Quelle unseres Rechts ist das Gewohnheitsrecht. Dabei handelt es sich nicht um geschriebenes Recht, sondern um stetige, von Rechtsüberzeugung getragene Übung in einer Rechtsgemeinschaft.

Gewohnheitsrecht entsteht dort, wo eine zentralisierte und staatlich garantierte Rechtserzeugung in Form von niedergeschriebenen Gesetzen nicht oder noch nicht zur Wirksamkeit gelangt ist. Dies war besonders in älteren Kulturstufen vor Ausbildung der neuzeitlichen europäischen Staaten der Fall. Heute spielt Gewohnheitsrecht lediglich noch im Völkerrecht eine Rolle, da dies weitgehend ohne eine institutionalisierte Rechtserzeugung auskommen muss. Denkbar wäre in unserer modernen Zeit darüber hinaus auch die Herausbildung von Gewohnheitsrecht im Bereich des World Wide Web. Erforderlich für die Ausbildung von Gewohnheitsrecht ist eine längere gleichmäßige Übung, verbunden mit der Überzeugung, dass diese Übung notwendig und richtig ist.

Das sogenannte „elterliche Züchtigungsrecht“ war bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts gewohnheitsrechtlich anerkannt. Durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kindesunterhaltsrechts vom 2. November 2000 wurde dieses Gewohnheitsrecht aufgehoben, indem Recht gesetzt wurde: § 1631 Abs. 2 BGB bestimmt nunmehr, dass körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzulässig sind.

Richterrecht

Eine Sonderform des Gewohnheitsrechts ist das sogenannte Richterrecht. Dieses liegt vor, wenn die Gerichte in übereinstimmender und ständiger Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung abstrakte Rechtssätze entwickeln und diese bei ihrer Entscheidungsfindung regelmäßig (mit-)berücksichtigen. Besonders in Bereichen, die nur wenige gesetzliche Regelungen aufweisen, wie zum Beispiel das Miet- oder Arbeitsrecht, hat sich Richterrecht etabliert.

Umfang und Grenzen sind allerdings umstritten, da Richterrecht weder durch die Legislative (per Gesetz) noch durch die Exekutive (per Rechtsverordnung, Satzung) gesetzt wird, in letzter Konsequenz also nicht verfassungsrechtlich legitimiert ist. Da in der Praxis die Entscheidungen der Obergerichte (Bundesgerichtshof, Oberverwaltungsgerichte etc.) eine richtungsweisende Bedeutung für die nachgeordneten Gerichte haben, bildet sich Richterrecht auch rasch und auf breiter Basis heraus. Denn zwar ist jeder Richter in der BRD unabhängig und kann von den Entscheidungen der Obergerichte abweichen (eine Ausnahme bilden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Landesverfassungsgerichte), jedoch wird dies kaum praktiziert: Es dient der Rechtssicherheit des Bürgers und schont seinen Geldbeutel, wenn ein unnötiger Weg durch die Instanzen vermieden werden kann.

Sitte und Moral

Rechtliche Bedeutung erlangt der Begriff der Sitte an verschiedenen Stellen: So weist das Grundgesetz in Art. 2 Abs. 1 auf das „Sittengesetz“ hin. § 138 BGB regelt, was als „sittenwidriges Rechtsgeschäft“ verstanden werden muss und erklärt dieses für nichtig. Das Gesetz spricht dabei von einem „Verstoß gegen die guten Sitten“. § 817 BGB stellt die guten Sitten dem Gesetz gleich: „Verstoß gegen Gesetz oder gute Sitten“. Die Sitten, die im Rechtsverkehr üblich sind, werden auch „Verkehrssitte“ genannt. Der Begriff erscheint beispielsweise in § 157 BGB, wo es um die Auslegung von Verträgen geht, und in § 242 BGB, der bestimmt: „Die Leistung ist so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte“ es erfordern.

Sitte sind die in der Gemeinschaft geltenden Anstandsregeln und Gebräuche.

Moral regelt nicht direkt das Verhalten der Menschen zueinander, so wie es Gesetz und Sitte tun. Vielmehr wendet Moral sich an ihre Gesinnung und gibt Motive für ein Verhalten, das an gesellschaftlichen, religiösen oder philosophischen Normen orientiert ist.

Die Frage danach, in welchem Verhältnis Recht und Moral zueinanderstehen, beschäftigt seit jeher die Rechtsphilosophen. In weiten Teilen unserer Rechtsordnung stimmen Moral und Recht (z. B. das Tötungsverbot) überein. In der Nachkriegszeit wurde viel darüber diskutiert, ob moralisch verwerfliche Gesetze zu befolgen sind, und die Radbruch`sche Formel entwickelt, der zufolge sich ein Richter, der sich in einem Konflikt mit dem geschriebenen – „gesetzten“ – Recht und dem Gerechtigkeitsgedanken befindet, sich aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich an das gesetzte Recht halten soll. Übersteigt jedoch die Ungerechtigkeit ein bestimmtes Maß und wird unerträglich, muss die Prämisse der Rechtssicherheit hinter die der Gerechtigkeit zurücktreten.

Recht, Sitte und Moral haben gemeinsam, dass sie das menschliche Zusammenleben regeln, doch nur das Recht kann mithilfe staatlicher Instanzen durchgesetzt werden. Verstöße gegen herrschende Sitten- und Moralvorstellungen haben in der Regel nur gesellschaftliche oder wirtschaftliche Folgen, nicht jedoch strafrechtliche. Eine Ausnahme hiervon stellt der Tatbestand des § 173 StGB dar („Beischlaf zwischen Verwandten“).

Gesetze

Von Naturrecht, Gewohnheitsrecht, Sitte und Moral unterscheiden sich die Gesetze, indem sie geschriebenes Recht und als solche die wichtigste Rechtsquelle sind. Im Rang stehen sie über allen anderen Formen des geschriebenen Rechts und können selbst nur durch Gesetz aufgehoben oder geändert werden. Sie werden von den Parlamenten des Bundes (sog. Bundesgesetze, z.B. SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe) und der Länder (sog. Landesgesetze, z.B. Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz) erlassen. Widerspricht eine Rechtsverordnung oder Satzung einem Gesetz, ist sie verfassungswidrig.

Der Begriff „Gesetz“ wird im doppelten Sinne verwendet:

Gesetz im materiellen Sinne ist jede Rechtsnorm, d. h. jede hoheitliche Anordnung, die für eine unbestimmte Vielzahl von Personen allgemeinverbindliche Regelungen enthält.

Gesetz im formellen Sinne ist jeder Beschluss der zur Gesetzgebung zuständigen Organe, der im verfassungsmäßig vorgesehenen förmlichen Gesetzgebungsverfahren ergeht, ordnungsgemäß ausgefertigt und verkündet ist.

Gesetze werden unterschieden in Bundes- und Landesgesetze, je nachdem, welcher Lebensbereich durch sie geregelt ist, und hinsichtlich der danach zu entscheidenden Frage, wer die sogenannte Gesetzgebungskompetenz (siehe Kapitel 6.1) für diesen Lebensbereich innehat.

Rechtsverordnungen

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Vorschriften, die nicht im förmlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen, sondern von Organen (i.d.R. Ministerien, Behörden) der vollziehenden Gewalt (Bundes-, Landesregierung, staatliche Verwaltungsbehörden, auch Selbstverwaltungskörperschaften) gesetzt werden. Diese Vorschriften nennt man Rechtsverordnungen. Auch sie sind allgemeinverbindliche Anordnungen für eine unbestimmte Vielzahl von Personen.

Die genannten Organe der vollziehenden Gewalt (= Exekutivorgane) dürfen aber nur dann Rechtsverordnungen erlassen, wenn sie hierzu durch ein Gesetz ermächtigt worden sind. Dies schreiben Art. 80 Abs. 1 GG sowie die entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen vor. Diese sogenannte Ermächtigungsgrundlage darf zudem nicht blankettartig gefasst, sondern muss nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein. Darüber hinaus ist die Ermächtigungsgrundlage in der erlassenen Rechtsverordnung anzugeben. Eine Rechtsverordnung dient stets der Ausführung der allgemeineren Regelungen des Gesetzes. Sie ist in der Regel tituliert als „Ausführungsverordnung“ oder „Durchführungsverordnung“ und steht im Rang unterhalb des förmlichen Gesetzes.

Nicht verwechselt werden darf die Rechtsverordnung mit der Verwaltungsvorschrift. Diese – oft auch Verwaltungsverordnung genannte – Vorschrift hat lediglich verwaltungsinterne Bedeutung (z.B. Technische Anweisung Lärm (TA-Lärm), Einkommensteuerrichtlinien und Nichtanwendungserlasse der Finanzbehörden).

Der Vorteil von Rechtsverordnungen gegenüber Gesetzen besteht in ihrer Flexibilität: Wo ein Gesetz das förmliche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, sind Rechtsverordnungen schnell beschlossen, geändert und aufgehoben. Sie können daher auf örtliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse rasch reagieren.

Die gesetzlichen Unfallkassen der Länder sind ausweislich § 15 Abs. 1 SGB VII zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften ermächtigt, haben also sogenannte „Rechtsetzungsbefugnis“. Die früher UVV bzw. BGV, seit dem 1. Januar 2015 DGUV genannten Verordnungen haben Rechtsnormcharakter.

Autonome Satzungen

Die unterste Stufe der Rechtsnormen stellen die Satzungen dar. Satzungen sind Rechtsvorschriften, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltungsrecht zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten erlassen werden. Ebenso wie die Rechtsverordnung bedarf auch die Satzung einer Ermächtigungsgrundlage. Diese wird durch Gesetz verliehen. Ein Unterschied zur Rechtsverordnung besteht darin, dass die staatliche Rechtsetzungsgewalt nicht (wie bei der RVO) delegiert wird, sondern ein Raum für Rechtsetzung aus eigenem Recht geschaffen wird. Dies nennt man Satzungsautonomie. Der wichtigste Anwendungsbereich ist hier das Selbstverwaltungsrecht der kommunalen Gebietskörperschaften, also der Gemeinden.

Gemeinden sind befugt, für die Kindergärten, die in ihrer Trägerschaft stehen, eine Benutzungs- und Beitragssatzung zu erlassen. In dieser können sie zum Beispiel auch Strafgebühren festlegen für Eltern, die ihre Kinder nach Ablauf der vereinbarten Buchungszeit abholen. Das Verwaltungsgericht Gießen wies die Klage eines Elternpaares ab, das gegen die Verhängung von zehn Euro Strafgebühren klagte. Diese wurden den Eltern in Rechnung gestellt, weil sie ihr Kind erst elf Minuten nach Ablauf der vereinbarten Betreuungszeit aus dem Kindergarten abgeholt hatten. Die beklagte Gemeinde als Trägerin der Einrichtung berief sich auf ihre Gebührensatzung, nach der die Kinder grundsätzlich zu den vereinbarten Zeiten aus der Einrichtung abgeholt werden müssen. Für Verspätungen werden pro angefangener Viertelstunde Gebühren von zehn Euro fällig. Die Gemeinde trug vor Gericht vor, durch das verspätete Abholen der Kinder würden zusätzliche Personalkosten entstehen, da die Kinder länger betreut werden müssten. Dem ist das Gericht gefolgt (VG Gießen, Az. 8 E 1490/07).

Abbildung 9: Hierarchie der Rechtsnormen

Sonstige Regelungen

Darüber hinaus arbeitet jede soziale Einrichtung auch auf der Basis von Regelungen, die zwar nicht die Qualität von Rechtsnormen/Gesetzen haben, aber gleichwohl von einer übergeordneten Behörde (z.B. Ministerium, Landesjugendamt, Landesjugendhilfeausschuss, Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege) mit einer gewissen Verbindlichkeit und Gültigkeit für eine größere Anzahl von Einrichtungen erlassen wurden. Zwar sind diese nicht bindend wie eine Rechtsnorm, werden aber in der Regel von den Gerichten herangezogen, wenn es darum geht, die sogenannte allgemeine Verwaltungsübung zu einer konkreten Fragestellung festzustellen. Zu diesen Regelungen gehören zum einen sogenannte „Empfehlungen“.

Das Robert-Koch-Institut – die oberste deutsche Gesundheitsbehörde – gibt eine Empfehlung zur Verfahrensweise hinsichtlich der Wiederzulassung eines Kindes nach Läusebefall: Danach ist die Vorlage einer ärztlichen Bestätigung der Läusefreiheit nicht erforderlich. Zum einen sei der Aufwand für die Arztpraxen zu hoch und würde von den Krankenversicherungen zurzeit nicht übernommen, zum anderen erfordere der Nachweis von Kopfläusen zwar einige Grundkenntnisse, aber keine spezielle medizinische Sachkunde. Auf diese Weise soll die Eigenverantwortung der Eltern im Sinne eines genauen Hinsehens bei Vorbeugung und Behandlung hervorgehoben und gestärkt werden.

Zum anderen sind hier sogenannte „Vereinbarungen“ zu nennen, die meist zwischen der Behörde der Rechts- und Fachaufsicht (Landesjugendamt) mit einem Träger der freien Jugendhilfe geschlossen werden. Hierzu gehören in erster Linie sogenannte Sicherstellungsvereinbarungen zum Beispiel nach § 22 a Abs. 5 SGB VIII sowie § 8 a Abs. 4 SGB VIII, worin Maßnahmen zur Qualitätssicherung, Zusammenarbeit, Familienorientierung, Inklusion von Kindern mit Behinderung und hinsichtlich des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung festgehalten werden.

2.3.4 Privatrecht und Öffentliches Recht

Regelt ein Rechtsverhältnis die Rechte und Pflichten der Beteiligten auf Augenhöhe, also auf der Grundlage von Autonomie und Gleichberechtigung, ist es Element des Privatrechts.

Das Privatrecht ist der Teil der Rechtsordnung, der die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander und der privatrechtlichen Verbände sowie Gesellschaften auf der Grundlage der Privatautonomie regelt.

Privatautonomie meint die dem Einzelnen von der Rechtsordnung eingeräumte Möglichkeit, seine Rechtsverhältnisse durch Rechtsgeschäfte nach eigenem Willen zu gestalten.

Wichtigste Ausprägung der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit, die als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit unter dem Schutz des Art. 2 GG steht (siehe Kapitel 17.2). Danach können die Parteien von Vertragsverhandlungen prinzipiell selbst entscheiden, ob sie den Vertrag eingehen (Abschlussfreiheit) und welche Inhalte er haben soll (Gestaltungsfreiheit).

Zum Privatrecht gehören vornehmlich:

Bürgerliches Recht,

Handelsrecht,

Gesellschaftsrecht,

Wertpapierrecht,

Urheberrecht,

(Privat-)Versicherungsrecht.

Befinden sich die Parteien eines Rechtsverhältnisses hingegen in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung, ist der zu regelnde Sachverhalt Element des Öffentlichen Rechts.

Öffentliches Recht ist Sonderrecht des Staates und ermöglicht einerseits staatliche Tätigkeit im Allgemeininteresse, andererseits aber auch die Gewährleistung des Schutzes der Bürger vor Missbrauch der Staatsmacht.

Zum Öffentlichen Recht gehören:

Völkerrecht,

Europarecht,

Verfassungsrecht,

Verwaltungsrecht (z.B. Jugendhilferecht, Jugendstrafrecht, Jugendschutzrecht),

Steuerrecht,

Strafrecht,

Gerichtsverfassungsrecht und Prozessrecht.

Insbesondere das Zivilprozessrecht macht deutlich, was Über- und Unterordnung meint: Zwar ist die Zivilprozessordnung (ZPO) Teil des Zivilrechts, schreibt aber den Parteien vor, sich zur Durchsetzung ihrer privatrechtlichen Ansprüche der staatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen.

Wesentliches Kennzeichen des Privatrechts ist die Privatautonomie. Demgegenüber ist das Öffentliche Recht durch die einseitige Anordnungsgewalt des Staates gekennzeichnet. Seine Handlungsformen sind Gesetzgebung (siehe Kapitel 6) und Verwaltungsakt (siehe Kapitel 45.1.3). Er hat dabei jederzeit die rechtsstaatlichen Anforderungen und die Grundrechte zu wahren. Besonders deutlich wird dies im Polizei- und Ordnungsrecht sowie im Strafrecht.

Abbildung 10: Zuordnung der Rechtsgebiete

2.3.5 Rechtsträgerschaft

Träger von Rechten und Pflichten eines Rechtsverhältnisses können nur Menschen oder juristische Personen sein.

Natürliche Person ist jeder Mensch als Träger von Rechten.

Juristische Personen sind Personenvereinigungen (z.B. ein eingetragener Verein) oder Vermögensmassen (z.B. Stiftungen) mit rechtlicher Selbstständigkeit.

Eine juristische Person ist rechtsfähig und wird im Rechtsverkehr wie eine natürliche Person behandelt, d. h., sie kann grundsätzlich alle Rechte einer natürlichen Person innehaben. So ist sie im Prozess parteifähig, kann also klagen oder verklagt werden, ferner ist sie handlungs- und deliktfähig, denn sie handelt durch ihre Organe.

Es gibt juristische Personen des Privatrechtes und solche des öffentlichen Rechtes. Juristische Personen des Privatrechtes können nicht durch bloßen Willen ihrer Mitglieder entstehen, vielmehr bedarf es dazu eines Gründungsaktes und der Eintragung in ein Register (z.B. Vereinsregister).

Juristische Personen des Privatrechts sind: eingetragener Verein (e.V.), Stiftung des Privatrechts, Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Aktiengesellschaft (AG), eingetragene Genossenschaft (e.G.).

Juristische Personen des öffentlichen Rechts entstehen durch Hoheitsakt (Gesetz), um öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Es handelt sich um Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (z.B. Bund, Bundesländer, Bezirke, Landkreise, Städte, Gemeinden, Sozialversicherungsträger, Rundfunkanstalten).

Die Stadt Berlin, vertreten durch den Oberbürgermeister, schließt einen Arbeitsvertrag mit Claudia N. über die Leiterinnenstelle der in kommunaler Trägerschaft stehenden Kita „Knirpsenland“. Arbeitgeberin von Claudia N. ist daher die Stadt Berlin, nicht etwa jede:r einzelne Berliner Bürger:in. Das „Knirpsenland“ selbst ist jedoch keine juristische Person, sondern eine sogenannte rechtlich unselbstständige Einrichtung ihres Rechtsträgers Stadt Berlin.

Einigen Kirchen, so unter anderem der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche Deutschlands, wurde aufgrund der nach Art. 140 GG fortgeltenden Bestimmungen der Art. 136 bis 139 und Art. 141 WRV der sogenannte Körperschaftsstatus verliehen. Es handelt sich bei ihnen um Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Abbildung 11: Natürliche und Juristische Personen

2.4 Sozialstaat

Der Wohlfahrtsstaat der Nachkriegsjahrzehnte findet seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Sozialstaatsprinzip des Art. 20 I GG.

Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit fußt auf dem anthropozentrischen Menschenbild des Grundgesetzes und ist als Staatsziel sowie Strukturprinzip unseres Staates in unserer Verfassung festgeschrieben. Das Sozialstaatsprinzip fällt unter die Ewigkeitsklausel in Artikel 79 Abs. 3 GG und ist damit als Gegenstand von Verfassungsänderungen ausdrücklich ausgenommen.

Das Sozialstaatsprinzip wird allerdings nur an wenigen Stellen des Grundgesetzes im Einzelnen konkretisiert. Der Verfassungsgesetzgeber hat davon abgesehen, ein verbindliches Modell des Sozialstaates vorzuschreiben, vielmehr hat er die Ausgestaltung weitgehend dem Gesetzgeber überlassen. Denn soziale Gerechtigkeit, die zentrale Zielsetzung des Sozialstaats, lässt sich nicht ein für alle Mal verbindlich definieren. Das Sozialstaatsprinzip ist somit ein dynamisches Prinzip, das den Gesetzgeber verpflichtet, die sozialen Verhältnisse immer wieder neu zu regeln.

2.4.1 Folgen der industriellen Revolution

Der Staat des 19. Jahrhunderts überließ den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich sich selbst. Die Bevölkerung wuchs rasch und stetig, die zunehmende Verstädterung führte zu kollektiven Lebensformen. Als Ergebnis der Industriellen Revolution wurden immer mehr Menschen Industriearbeiter:innen, was zu einer Verarmung und Verelendung weiter Kreise der Bevölkerung führte. Als Reaktion hierauf entstand die Arbeiterbewegung, die unter dem Einfluss von Karl Marx und Friedrich Engels ein revolutionäres Programm entwickelte. Infolgedessen fürchtete die politische Führung sozialen Unfrieden: Reichskanzler Otto von Bismarck überzeugte Kaiser Wilhelm I. von der Notwendigkeit sozialer Gesetze.