Reden über Gott und die Welt - Harald Lesch - E-Book

Reden über Gott und die Welt E-Book

Harald Lesch

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Beschreibung

Es geht um nichts weniger als die ersten und letzten Dinge im Universum und im Leben eines Menschen. In 22 Themenkreisen tauscht sich Harald Lesch bekennender Naturwissenschaftler, Philosoph und protestantischer Christ - mit seinem Freund Thomas Schwartz aus. Der ist katholischer Pfarrer und Professor für Theologie und Angewandte Ethik. Der Leser ist herzlich eingeladen, in diesem Bunde der Dritte zu sein. Es geht um: Der Anfang von Allem, Existiert Gott? Was ist der Mensch? Sinn, Wahrheit, Die Grenzen des Verstehens, Glück, Freude, Leid, Liebe, Einsamkeit, Zufall, Tohuwabohu, Glaube und Aberglaube und Horoskope, Bergpredigt, Beten, Advent, Weihnachten, Der Heiland, Engel, Auferstehung, Gewissen, Gnade

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© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH © Bayerischer Rundfunk, Lizenz durch Telepool GmbH. Alle Rechte vorbehalten. 2013, München / Grünwaldwww.der-wissens-verlag.de ISBN 978-3-8312-0396-3

Der Titel ist auch als ebook (ISBN 978-3-8312-5734-8) erschienen.

Lektorat: Carolina Haut Design Cover: Heike Collip, Pfronten

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Harald Lesch & Thomas Schwartz

REDEN ÜBER GOTT UND DIE WELT

THEOLOGIE IM DIALOG

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Tohuwabohu

Der Anfang von Allem

Was ist der Mensch?

Sinn

Existiert Gott?

Die Grenzen des Verstehens

Wahrheit

Glaube, Aberglaube, Horoskope

Freude

Leid

Glück

Einsamkeit

Liebe

Beten

Bergpredigt

Gewissen

Gnade

Zufall

Auferstehung

Engel

Advent

Weihnachten

VORWORT

„Da treffen sich zwei um über Gott und die Welt zu sprechen“. So könnte unser Vorwort beginnen, denn angefangen hat ja alles mit einem Gespräch. Und zwar mit einem geradezu klassischen Dialog, denn der eine hört dem anderen zu und reagiert auf das, was der andere gesagt hat. Kein Aneinander vorbei reden, wie es so oft zwischen Theologen und Naturwissenschaftlern geschieht, sondern ein Miteinander reden: Verstehen, was der andere meint, wenn er von Gott spricht und der Welt. Vielleicht auch ein gemeinsames Ringen um Verständnis, um Klarheit und zwar um der Sache willen. Das verlangt vom jeweiligen Gesprächspartner Neugierde und Demut. Das eine, um das Gespräch in Gang zu bringen, das andere, um nicht der Gefahr des Beharrens auf der eigenen Position zu erliegen. Denn das ist der Tod eines jeden ernsthaften Gedankenaustausches und macht es unmöglich, voneinander zu lernen.

Vereinfacht wird ein solches Gespräch, wenn die Dialogpartner Freunde sind. Freundschaft hat den wunderbaren Nebeneffekt, dass man sie dann pflegt, wenn man bereit ist, dem anderen Raum zu geben – und zwar im eigenen Denken.

Insofern war es für uns beide leicht, das Risiko des interdisziplinären Dialogs auf uns zu nehmen. Mehr noch: Es war ein Vergnügen und wir hoffen, dass man es diesem Buch ansieht, wieviel Freude uns die Konversation gemacht hat.

Dabei geht es um viel, eigentlich um fast alles – und immer um uns Menschen und unser Fragen, Suchen, Wissen und entdecken Wollen.

So eröffnet sich eine geradezu enzyklopädische Vielfalt von Themen, die aber dennoch auf Tiefgang angewiesen sind, um sie zu behandeln: Wie gehen wir mit dem scheinbar zufälligen Charakter der Welt um, ihrem so undurchsichtigen Ursprung? Wie finden wir Sinn und Hoffnung in unserem Leben? Ist Glauben auch einem naturwissenschaftlich geschärften Denker möglich? Kann ein Theologe, noch dazu ein katholischer, dem immer zweifelnden, mitunter skeptischen Denken eines Astrophysikers reinster Schule folgen?

Ja, wir konnten es. Und wir hoffen, dass unsere Leser diese Denkreisen, die auch Denk-Kreise darstellen, mit ebenso viel Gewinn mitgehen können, wie wir das getan haben.

München, 2013

Harald Lesch und Thomas Schwartz

TOHUWABOHU

Schwartz:

Neulich bei einem Spaziergang im Schlosspark von Oberschleißheim kam ich aus dem Staunen nicht heraus. Ein wunderbarer Ort, den ich bis dahin noch gar nicht kannte. Hier kann man die Natur in einer gebändigten und trotzdem schönen Form sehen. Sie unterwirft sich der menschlichen Planung und gedeiht gleichwohl prächtig. Wie ist das denn in der Natur? Eigentlich strebt in ihr doch nichts nach Ordnung.

Lesch:

Es strebt, es strebt! Nach was es strebt, das klären wir gleich. Aber dass es strebt, ist völlig klar, denn alles verändert sich.

Schwartz:

In der Schule habe ich den zweiten Satz der Thermodynamik gelernt: Alles geht ins Chaos über. Mit einer finalen Ordnung ist es dann wohl nicht weit her.

Lesch:

Moment! Die Thermodynamik besagt nur, dass in einem abgeschlossenen System die Unordnung wächst. Wenn in einem geschlossenen System Ordnung aufgebaut beziehungsweise erhalten werden soll, dann muss von außen etwas dazukommen. Es muss Energie hineinfließen, dann geht‘s. Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten.

Schwartz:

Ah ja! Mit Arbeit ruft man also ein System zur Ordnung.

Lesch:

Ganz genau! Wenn ein System ordentlich ist, dann ist etwas daran verändert worden. Von allein ist das nicht so ordentlich – so etwas gibt‘s nicht.

Schwartz:

Die Ordnung, die ich im Schlosspark bewundert habe, ist also allein durch die Leistung und die Energie der Gärtner entstanden, die sich ziemlich viel Arbeit damit gemacht haben.

Lesch:

Die Gärtner gaben der wilden, also ungeordneten Natur Bedingungen vor; Büsche oder Blumen wurden nach einem Plan gepflanzt. Selbst ihr Wuchs wird durch Beschnitt manipuliert. Unbeeinflusst von dem Gestaltungswillen der Menschen würden Pflanzen und Bäume in anderen Formen wachsen. Das ist der natürliche Trieb, der von dir angesprochene thermodynamische Drang zur Unordnung – jedes System, ob biologisch oder physikalisch, versucht immer alle Möglichkeiten zu besetzen, wie wir in der Physik sagen.

Schwartz:

Also alles einmal ausprobieren: links rum, rechts rum, geradeaus.

Lesch:

Es stoppt erst dann, wenn irgendetwas seine Entwicklung beeinflusst.

Schwartz:

Dann hört es auf mit der Unordnung.

Lesch:

In deinem fürstlichen Park haben die Gärtner zugeschlagen. Die haben die Pflanzen beschnitten und damit klargemacht, wie das System sich zu verhalten hat. Die Gärtner haben eine Zwangsbedingung hergestellt.

Schwartz:

Eine Zwangsbedingung. Das klingt ja furchteinflößend!

Lesch:

Kommt drauf an, welche Perspektive man einnimmt.

Schwartz:

Und die Natur lässt sich das gefallen?

Lesch:

Manchmal auch nicht, das ist ganz unterschiedlich. Wenn wir durch die Natur gehen, ohne zu fragen, wie das ganze Wunderwerk entstanden ist, dann sehen wir, dass auch in der Natur eine gewisse Ordnung herrscht. Zum Beispiel wachsen Bäume nicht beliebig hoch in den Himmel.

Schwartz:

130 Meter, mehr geht gar nicht.

Lesch:

Wenn die zu groß werden, fallen sie um.

Schwartz:

Oder das Wasser kommt gar nicht mehr von den Wurzeln zur Baumkrone, wenn die Schwerkraft die Kapillarkraft übersteigt.

Lesch:

Herr Pfarrer, ich bin beeindruckt! Reinste Physik! Berge werden nicht beliebig hoch – warum nicht? Weil ihr Gewicht irgendwann zu hoch wird.

Schwartz:

Sie versinken im Boden.

Lesch:

Ich ahne schon, meine physikalischen Erklärungen über die Ordnung in der Welt reichen dir nicht aus.

Schwartz:

Du ahnst richtig.

Lesch:

Das ist ja klar, deswegen reden wir zwei hier und jetzt darüber.

Schwartz:

Was hat es eigentlich mit diesem ganzen Universum auf sich? Anscheinend wird immer wieder Energie verwandelt, damit erst mal eine Ordnung entstehen konnte und diese auch dann auch weiterhin Bestand hat. Und in der haben wir Menschen uns eingerichtet. Ist das so richtig?

Lesch:

Das ist eine Frage, die man als Naturwissenschaftler so nicht stellen kann.

Schwartz:

Oha! Wie denn das?

Lesch:

Wir können sie als Mensch stellen, natürlich, das ist klar. Als Mensch kann man sie stellen, aber als Naturwissenschaftler müssen wir eine solche Frage auseinandernehmen. Dazu unterteilen wir sie in kleinere Fragen. Ordnung und Universum, das ist eine astrophysikalische Frage …

Schwartz:

Dann machen wir das doch mal zuerst.

Lesch:

Erste Frage: Wie hat die Welt angefangen? Wie heißt es so schön in der Genesis: Wüst und wirr war die Erde. Ein ziemliches Durcheinander also.

Schwartz:

Tohuwabohu!

Lesch:

So kann man es nennen. Ich als Astrophysiker würde sagen, als das Universum begann, war sein Zustand extrem unordentlich. Eigentlich war überhaupt nix außer wahnsinniger Hitze und unglaublicher Langweile. Langweile in dem Sinne, als dass nichts anderes da war als Energie. Daraus leitet sich eine interessante Schlussfolgerung ab, die uns Astrophysiker wirklich immer wieder aufs Neue erschüttert. Energie hat immer etwas mit Masse zu tun. E=mc2, das ist eine dieser wunderbaren Gleichungen der Relativitätstheorie. Sie besagt, dass sich Energie in Masse verwandeln kann. Aber – und jetzt kommt‘s: Energie verwandelt sich immer in ein Teilchen und sein Antiteilchen. Wenn die erneut zusammenkommen, dann wird wieder – Energie daraus!

Schwartz:

Und deswegen …

Lesch:

Auf diese Art und Weise hat man einen symmetrischen, ganz wunderbar ordentlichen Übergang. Energie wird zu Masse und Masse wird zur Energie. Jetzt sehen wir aber im ganzen Universum keine Antimaterie. Wo ist die Antimaterie? Himmel nochmal!

Schwartz:

Also, wo sind die Gegenteilchen geblieben?

Lesch:

Das ist genau die richtige Frage. Die Forderung nach Antimaterie basiert auf den im Labor bestätigten Naturgesetzen. Wenn die Welt also symmetrisch, das heißt aus exakt gleich vielen Teilchen und ihren Antiteilchen entstanden ist, dann sollte es uns gar nicht geben.

Schwartz:

Das wäre schade für und um uns beide.

Lesch:

Da muss ich dir beipflichten. In diesem Fall hätte es nämlich genauso viele Teilchen wie Antiteilchen gegeben und alle hätten sich wieder in Energie verwandelt – und das wär’s gewesen. Tatsächlich aber muss es am Anfang eine geradezu aberwitzig kleine Unordnung, eine Asymmetrie, wie wir in der Physik sagen, gegeben haben. Die hat dazu geführt, dass alles, was heute im Universum zu beobachten ist, alle Sterne, alle Galaxien, übrig geblieben ist.

Schwartz:

Also verdanken wir dieser „anfangskosmischen“ Unordnung, dass wir jetzt alles so ordentlich machen können.

Lesch:

Ja! Ganz wesentlich in der modernen Physik ist die Frage: Was hat dafür gesorgt, dass diese scheinbar so ordentlichen Naturgesetze am Anfang eine so winzig kleine Unordnung zugelassen haben beziehungsweise was ist der Grund für die Unordnung? Da kommen wir naturwissenschaftlich bis an einen gewissen Punkt – und dann nicht mehr weiter. Das gebe ich ganz ehrlich zu. Was ist dafür verantwortlich gewesen, dass diese penible Ordnung am Anfang durch eine winzig kleine Unordnung gestört worden ist?

Schwartz:

Da kann der Theologe eine Antwort geben und die heißt für uns natürlich: Gott! Er hat dem Ganzen, das entstehen sollte, ein Ziel gegeben. Teleologie ist der philosophische Fachbegriff dafür, er kommt vom griechischen Wort: Telos – die Zielhaftigkeit.

Lesch:

Mit einer solchen Erklärung bin ich als Naturwissenschaftler aber sehr zurückhaltend.

Schwartz:

Das darfst du auch sein.

Lesch:

Zurückhaltend deshalb, weil wir in der Physik nie nach einem Zweck fahnden. Es gab zwar früher viele Versuche in diese Richtung; denk nur an die ersten Naturphilosophen bei den Griechen. Die haben einen Zweck nie bezweifelt: Die Götter haben das eben genauso eingerichtet, damit es so funktionieren kann. Heute denken wir anders darüber. Ein Beispiel: Ich nehme mir irgendein Atom, etwa ein Kohlenstoffatom, und schau mir an, was die Elektronen so machen, die um diesen Atomkern herumschwirren. Haben diese Elektronen einen Zweck? Haben die ein Ziel? Verbinden sich zwei Kohlenstoff-Atome miteinander, weil sie wissen, dass ein Molekül entsteht, wenn sich noch 50.000 andere miteinander verbinden? Nimm nur dieses Molekül an meiner Fingerkuppe, das dafür sorgt, dass ein verletztes Stück Haut sich wieder repariert. Auf die Idee würden doch die zwei Kohlenstoff-Atome nie kommen!

Schwartz:

Das kann man durchaus anders sehen. Die Kohlenstoff-Atome müssen nicht wissen, dass sie einen Zweck erfüllen. Es kommt vielleicht eher darauf an, dass jemand anders darin einen Zweck sieht. Schau uns beide an. Ich finde das sehr zweckhaft, dass ich eine Kohlenstoffeinheit bin, die lebt. Und du denkst doch genauso. Aber man kann noch weiterdenken: Da könnte einer sein, der jenseits dieser Kohlenstoff-Atome einen Zweck in deren Verhalten hineinlegt, sie programmiert, steuert oder leitet. Ihr dürft so etwas aber wohl nicht denken oder?

Lesch:

Dürfen dürfen wir schon, aber es bringt uns nichts, denn Zwecke sind kein Gegenstand empirischer Forschung.

Schwartz:

Wenn wir doch sehen, wie sich alles verbindet und das Ergebnis ganz wunderbar ist … ein staunenswerter Vorgang! Da liegt doch die Überlegung nahe, dass das alles einen Zweck haben könnte. Dass wir damit auch in uns einen Zweck entdecken können. Zumindest haben wir die Fähigkeit, einen solchen Deutungshorizont aufzustellen oder nicht?

Lesch:

Natürlich haben wir die. Finalität, Zweck und Ziel sind immer vom Menschen her zu denken, die Begriffe sind rein subjektiv. Nur allein der Mensch – oder irgendein anderes intelligentes Lebewesen im Universum – kann aus seiner Existenz heraus die Welt betrachten und sagen: O.k., die Welt ist dafür da, dass ich jetzt zum Beispiel darüber nachdenken kann, wie sie ist.

Schwartz:

Die Welt ist dafür da, dass ich darüber nachdenken kann. Holla!

Lesch:

Ja … na ja, so könnte man doch denken. Damit würde man sich selbstbewusst ins Zentrum des Kosmos stellen. Darüber können wir bei Gelegenheit nochmal reden. Für uns Physiker ist diese zweckgerichtete Art und Weise, über die Dinge nachzudenken, schlicht unpragmatisch. Wenn du nämlich von vornherein einen Zweck hineindenkst, dann – wenn es ganz schlimm kommt – kannst du den Weg zu einer naturwissenschaftlichen Wahrheit schon allein deswegen verlieren, weil du bereits vorher ein Ergebnis festlegst.

Schwartz:

Der gute Kant – die Methode bestimmt das Ziel.

Lesch:

Wir schauen uns erst einmal eine völlig zwecklose Welt an und fragen nach den Gesetzen, die diese Welt regieren. Wir versuchen sie zu entschlüsseln und zu deuten. Frage mal jemanden, warum ein Veilchen Blüten hat und er wird dir antworten: damit Insekten es bestäuben können. Die Blüten haben einen Zweck und damit ist auch klar, was für ein Ziel das Veilchen hat. Es will, oder besser, es muss bestäubt werden, damit seine Art weiterleben kann. Wenn ich aber im gleichen Maße vom Kohlenstoff-Atom spreche, indem ich seinen vier Außenelektronen den alleinigen Zweck unterstelle, sich mit einem anderen Kohlenstoff-Atom zu verbinden, dann kann ich nicht den wahren Grund dafür erkennen. Der physikalische Grund ist: Das elektrisch neutrale Atom braucht genauso viele negativ geladene Elektronen, wie es positiv geladene Protonen im Atomkern besitzt. Ein biologisches System hingegen kann man nicht wirklich verstehen, ohne ihm einen Zweck zu unterstellen.

Schwartz:

Das ist höchst interessant, was du da sagst: Biologisches Leben hat etwas mit Zweckhaftigkeit zu tun.

Lesch:

Das scheint sich bei Lebewesen kaum verhindern zu lassen.

Schwartz:

So habe ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Leben heißt also, Finalität wahrzunehmen. Habe ich das richtig verstanden?

Lesch:

Ja, so habe ich das gemeint.

Schwartz:

Und die unbelebte Natur, also ein Kohlenstoff-Atom oder Atome allgemein haben diese Finalität nicht. Ich sage mal so: Die hat nicht viel Zweck.

Lesch:

Das Kohlenstoff-Atom hat für sich gesehen überhaupt keinen Zweck. Vielleicht ändert sich das, wenn es mit ein paar anderen zusammenkommt und daraus irgendwann ein Lebewesen entsteht; das Phänomen Leben entsteht aus toter Materie. Nimm zum Beispiel die Erdgeschichte. Am Anfang war unser Planet so heiß, dass nichts darauf leben konnte. Eine ganze Zeit später entstanden die ersten Lebewesen. Ich meine, dieser Sprung von anorganischer, nicht lebender Materie …

Schwartz:

… also zweckfreier Materie …

Lesch:

… hin zu einem Wesen, das auf einmal über etwas ganz besonderes verfügt, nämlich einen Willen.

Schwartz:

Uns also.

Lesch:

Genau! Wir haben den Willen zu überleben, im Gegensatz zu den Tieren und Pflanzen, die das Programm zum Überleben haben. Ein Kohlenstoff-Atom hingegen hat keinen Willen, schon gar nicht zum Überleben. Das weiß nichts vom Leben.

Schwartz:

Das Atom schwingt so vor sich hin, ist einfach da im Hier und Jetzt.

Lesch:

Aber – und das ist für mich der wesentliche Unterschied – in dem Moment, wo ein Lebewesen auftaucht …

Schwartz:

Aber dann ist es ein noch viel größeres Wunder, dass aus dieser anfänglichen Unordnung – wir kommen zurück zu dem, was wir schon besprochen haben –, dass aus einer anfänglichen Unordnung, Stichwort: Asymmetrie, etwas entsteht. Ein winziger Bruchteil von den vielen Elementarteilchen, die es am Anfang gegeben haben soll, ist nicht wieder zerstrahlt. Aus dieser kleinen Unordnung entsteht alles im Universum. Bis hierher kann alles noch zweckfrei sein.Jetzt kommen Planeten hinzu, es werden immer mehr und auf zumindest einem dieser Planeten tummeln sich schließlich Lebewesen, die Finalität wahrnehmen und damit erleben. Diese Wesen suchen nach Zwecken, finden sie und planen sogar auch welche.

Das halte ich nun aber für sehr unwahrscheinlich.

Lesch:

Angesichts des Aufwands, den das Universum betrieben hat, um überhaupt zu einem solchen zu werden, ist das Leben auf einem Planeten ein – wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf – zutiefst unwahrscheinlicher Akt. Normalerweise hat Materie überhaupt nicht die Tendenz, sich so hochgradig zu strukturieren, wie es das hier auf diesem Planeten getan hat.

Wenn man sich da draußen im Weltraum umschaut, was ist da los? Der Raum, das Universum, ist leer. Es ist so leer, leerer geht‘s überhaupt nicht! Die Galaxien sind große Gasscheiben mit Sternen. Diese wiederum sind Gaskugeln. Lass mich sie mal so beschreiben: Ein Stern ist dümmer als ein Stück Brot. Er ist einfach nur ein Gasball, heiß und sonst nix. Bei den Planeten wird es schon interessanter. Da gibt es diese harten und kalten Felskugeln, so wie unser Planet. Ein fester Untergrund. Gediegen. Auf einem dieser Planeten entsteht plötzlich etwas, was eigentlich so ohne weiteres gar nicht hätte passieren dürfen, deswegen ist es für uns auch so unverständlich. Ein historischer Prozess! Wenn wir Physiker von Naturgesetzen sprechen, dann meinen wir unhistorische Naturgesetze. Die gelten immer und überall.

Schwartz:

Respekt! Ihr seid ja wohl die größten aller Philosophen.

Lesch:

Na ja! Eher sind wir arrogant. Tatsache ist, dass die Physik so eine Art Juristerei des Universums darstellt. Wir wollen Gesetze finden und formulieren. Wir wollen wissen, wie diese Gesetze miteinander funktionieren. Und Lebewesen, auch wir Menschen, haben Geschichte.

Schwartz:

Also Entwicklung, Evolution.

Lesch:

Eben! Entwicklung ist für uns Physiker eigentlich kein Wert. Wir sehen zwar, dass Zeit vergangen ist, so dass sich etwas hat entwickeln können, aber aus unseren physikalischen Gesetzen ist das gar nicht so einfach ableitbar. Wir müssen also ganz schön strampeln, um zu verstehen, warum aus anorganischer Materie auf einmal Leben entstanden ist. Da ist – abgesehen von dieser winzig kleinen Asymmetrie zu Beginn des Universums – eigentlich nichts …

Schwartz:

Auch wenn man tonnenweise Aminosäuren zusammenschüttet und kräftig umrührt, kommt noch lange kein Leben raus. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit dafür unvorstellbar gering.

Lesch:

Nun muss man sich aber auch Folgendes vergegenwärtigen: Dass wir zwei uns heute getroffen haben, ist angesichts der Anzahl der Menschen auf dem Planeten und der Möglichkeiten, sich zu treffen, natürlich auch beliebig unwahrscheinlich. Eigentlich hätten wir uns gar nicht treffen dürfen, wenn wir uns nicht nach bestimmten Regeln verhalten würden. Erstens haben wir uns verabredet. Zweitens haben wir bestimmte Wege zu unserem Treffpunkt eingeschlagen und diese Wege sind nach gewissen Regeln vorgegeben. Es gab also eine ganze Reihe von Zwangsbedingungen, die dazu geführt haben, dass wir beide jetzt hier sind.

Schwartz:

Damit wären wir bei deinen Naturgesetzen.

Lesch:

Die Frage nach dem Ziel des Ganzen jedoch – auch dem Ziel von Naturgesetzen – ist für uns Physiker nicht beantwortbar. In der Physik sollte man so ein Problem gar nicht angehen und schon gar nicht erwähnen, damit hat jeder Physiker so seine Probleme: Ziel, Finalität, Causa finalis. Was ist die Letztbegründung für die Dinge? Da ziehen wir uns am besten hinter einen dichten Busch zurück.

Schwartz:

Selbst wir Theologen trauen uns teilweise nicht mehr dran; dabei ist gerade dieses Thema so interessant.

Lesch:

Eigentlich geht es nur darum. Ich wage mal die These, dass es uns allen in den Naturwissenschaften nur darum geht, zu verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Etwas anderes wollen wir gar nicht wissen. Nur die Physik hat diese Frage im Laufe des 20. Jahrhunderts aus ihrer Methodik rausgenommen. Auch wir finden, dass das eine ganz wichtige Frage ist, aber wir können sie nicht beantworten, also kümmern wir uns nicht darum, warum die Welt so ist, wie sie ist. Gerade dieser Übergang – nehmen wir doch einfach mal Wasser, also Wasserstoff und Sauerstoff H2O. Nehmen wir dazu noch die Moleküle aus der Luft – Stickstoff, Sauerstoff, dann noch ein bisschen Kohlenstoff von irgendwelchem Material dazu – Wasser, Luft und Erde. Und dann warten wir … und warten.

Schwartz:

Und dann?

Lesch:

Es wird nix passieren! Aber die gleichen Atome – Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff – in einer anderen Kombination, einer anderen Verbindung: peng! Es entsteht ein Lebewesen daraus.

Schwartz:

Da fragt der neugierige Mensch natürlich nach dem Zweck, nach dem Warum, Weshalb, Wieso. Als Physiker kannst du das nicht erklären.

Lesch:

Es gibt im Moment mindestens zehn Theorien für die Entstehung von Leben auf der Erde. Jede einzelne davon kann vielleicht die richtige sein. Wir wissen nur mit Sicherheit, dass man dazu Energie braucht. Entscheidend für die Existenz von Lebewesen ist die Sonne, sie ist unser Energielieferant. Wichtig ist aber auch, dass das Universum schön kalt ist. Die Energie der Sonne wird von der Erde tagsüber gespeichert und nachts ans Universum zurückgegeben. Dank dieses Energiegefälles sind wir so etwas wie kosmische Durchlauferhitzer. Wir verwandeln durch Nahrungsaufnahme die ursprüngliche Sonnenenergie in Wärme und Zucker. Ohne eine ausreichende Zufuhr von Sonnenenergie gäbe es keine Lebewesen; die Erde wäre ein toter Gesteinsbrocken. Leben ist ein weitaus komplexeres Phänomen als ein Stein. Ein Lebewesen ist ein hochgradiges Wunderwerk: Es funktioniert mittels eines ständigen physikalisch-biochemischen Überprüfungsprozesses seiner selbst. Die Physik beschreibt dabei nur die Einzelprozesse. Das Lebewesen als Ganzes ist nicht Gegenstand physikalischer Forschung. Noch ein Beispiel, ich glaube, das habe ich schon mal gebracht: Früher gab es mal Schallplatten.

Schwartz:

Die wunderbaren Singles und wagenradgroßen Langspielplatten.

Lesch:

Dazu benötigte man einen Schallplattenspieler. Die Nadel des Tonabnehmers setzte man in die Rille und schon wurde es laut. Die Lieblingsmusik ertönte. Der Physiker nimmt diese Schallplatte, von der er genau weiß, dass seine Lieblingsmusik drauf ist, die sein Herz erwärmt. Er legt sie aber nicht auf den Teller des Plattenspielers, sondern schaut sich die Rille an. Taucht immer tiefer in sie ein. Tiefer und tiefer! Doch welch Drama! Er kann die Musik nicht finden!

Schwartz:

Kein Elvis, keine Beatles, kein Mozart.

Lesch:

Er findet keinen von ihnen in der Rille. Da sieht man das Problem: Wir Naturwissenschaftler erforschen alle Details, dringen immer tiefer ein, und wir kriegen dabei nicht mit, wie das große Ganze aussieht.

Schwartz:

Doch ihr merkt, dass es Unterschiede gibt. Ordnung, Unordnung, Asymmetrien. Nur eine Zweckhaftigkeit, eine über allem liegende Ordnung, die könnt ihr nicht erkennen.

Lesch:

Es gibt noch ein schönes Gleichnis für die Arbeitsweise der Naturwissenschaftler: Wenn die Natur ein Text ist, dann sind wir diejenigen, die die grammatikalischen Regeln in diesem Text suchen. Stimmt die Groß- und Kleinschreibung, ist die Kommasetzung richtig und so weiter. Wenn ich aber wissen will, was in diesem Text steht und was er bedeutet, dann muss ich den gesamten Text lesen und unter Umständen auch das, was zwischen den Zeilen steht.

Schwartz:

Du musst den Text deuten.

Lesch:

Und das kann Naturwissenschaft allein nicht leisten. Deswegen bin ich über jeden froh, der die Welt anders sieht als ich. Nur so lässt sich herausfinden, was die Welt tatsächlich bedeutet.

Wir können heute in der Physik zum Beispiel Aussagen über das Zusammenspiel der im Universum wirkenden Kräfte machen und haben dabei deren präzise Feinabstimmung festgestellt. Diese Kräfte sind so unglaublich fein aufeinander abgestimmt, dass man bei näherer Betrachtung dieses Phänomens eigentlich nur noch grenzenlos staunen kann – sogar ich als Physiker.

Schwartz:

Lass mich mitstaunen!

Lesch:

Nimm zum Beispiel die Elementarteilchen: Nach unserer heutigen Erkenntnis ist das Neutron schwerer als das Proton. Das Neutron, im Atomkern elektrisch nicht geladen, zerfällt, wenn es frei ist, nach etwa 14 Minuten, in ein Proton, ein Elektron und noch was anderes. Ein Proton zerfällt nicht, das ist stabil.

Thomas, was würde passieren, wenn das Proton ein bisschen schwerer wäre als das Neutron?

Schwartz:

Quäl mich nicht, das ist ja wie in der Schule!

Lesch:

Setzen, sechs! Es würde zerfallen. Die Folge: Wir wären nicht da. Neutronen allein bilden keine Atome – Feierabend! Wenn wir das Spiel mit sämtlichen Parametern, die wir für das Universum kennen, durchspielen und fragen: Hätte das Universum auch ganz anders anfangen können? Mit anderen Parametern?

Schwartz:

Wenn du mich schon so fragst: wahrscheinlich nicht.

Lesch:

O.k., ich streiche die Sechs wieder. Du hast Recht, das Universum mitsamt seinem Inhalt hätte keine Chance gehabt. Dieses Feinabstimmungsphänomen hat schon zu den absurdesten Theorien geführt. Wenn man den naturwissenschaftlichen Rahmen setzt und mit Naturkonstanten wie zum Beispiel der Lichtgeschwindigkeit, der Masse des Elektrons und der Masse des Protons rechnet, dann stößt man an Erkenntnisgrenzen. Das Thema Feinabstimmung bringt uns Physiker immer wieder unweigerlich in die Bredouille. Aber ein Meister für die Lösung von Bredouillen bist ja du, mein lieber Thomas. Was mache ich jetzt, da ich weiß, dass alles im Universum so gut aufeinander abgestimmt ist? Kann mir die Theologie etwas dazu anbieten? Muss ich mich als Naturwissenschaftler aus so einer Frage völlig zurückziehen? Soll ich diese Fragen am besten gar nicht stellen und mich einfach nur freuen, dass ich da bin? Eigentlich kann es mir herzhaft egal sein, wie das Universum funktioniert – Hauptsache, es funktioniert!

Schwartz:

Ich habe öfter den Eindruck, dass die Naturwissenschaftler oder die Physiker dieses Problem zwar sehen, aber nicht wirklich eine Antwort suchen. Schon gar nicht bei uns, den Theologen. Du bist da eine echte Ausnahme. Wir haben ja auch ein gutes Gespräch! Ich glaube, ein Naturwissenschaftler muss sich daran erinnern, dass er jenseits der Naturwissenschaft auch als Mensch wissen will, was die Welt zusammenhält. Und er sollte sich als Naturwissenschaftler auch klar darüber sein, dass er als Mensch Naturwissenschaftler ist und nicht Naturwissenschaftler und deshalb Mensch. Und so kann er, wenn er mit seiner eigenen Methode nicht weiterkommt, durchaus das Gespräch mit anderen suchen. Allerdings darf er keine naturwissenschaftlichen Antworten erwarten. Ich kann nur aus einer anderen Sichtweise, einer anderen Hermeneutik heraus eine Antwort versuchen. Übrigens – das Wort habe ich schon mal genannt –, Hermeneutik bedeutet eigentlich nichts anderes als Auslegekunst: wie ich etwas deute, wie ich die Welt deute, wie ich einen Text deute oder wie ich etwas verstehen möchte. Aus einer anderen Hermeneutik heraus kann ich versuchen, einen Sinn oder eine Erklärung für die Feinabstimmung zu finden. Diese Sinnorientierung, die Zweckhaftigkeit, die Finalität, ergibt sich für mich aus einem ersten Prinzip. Wir als Theologen schämen uns nicht, dieses „Gott“ zu nennen.

Lesch:

Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass das alles nur eine Erfindung der Menschen ist. Ein himmlischer Ausweg, um einigermaßen damit klarzukommen, dass der Mensch nach einer endlichen Zeitspanne, nämlich am Ende seines Lebens, sterben muss. Also erfindet er eine Konzeption, die er „Gott“ nennt und dieser Gott ist dann auch noch dafür zuständig, dass die Welt so wunderbar funktioniert. Die Naturwissenschaften haben dazu nichts beizutragen. Obwohl sie uns in den letzten 200 Jahren so wunderbare Triumphe beschert haben und uns viele technologische Entwicklungen …

Schwartz:

… und Wohltaten schenkten.

Lesch:

Sogar die Möglichkeit, die Natur entsprechend zu manipulieren und zu beherrschen. Herr über die Natur zu spielen!

Schwartz:

Und der nächste Sturm, das nächste Erdbeben, machen alles wieder kaputt.

Lesch:

Und zwar schlagartig!

Schwartz:

Weil aber der Naturwissenschaftler wahrnimmt, dass es ein Wunder ist, überhaupt so forschen und das alles entdecken zu können, er aber trotzdem nicht erklären kann, warum das so ist, dann ist die Antwort „Gott“ nicht unbedingt eine Erfindung des Menschen, sondern es verhält sich vielleicht eher umgekehrt. Die Rede von und der Gedanke an einen Gott, ist das nicht fast eine Denknotwendigkeit, wenn man überhaupt eine Antwort auf eine Frage nach dem Sinn oder Zweck erwartet?

Lesch:

Dass wir überhaupt in der Lage sind, Fragen zu stellen, das ist schon merkwürdig genug.

Schwartz:

Fragen nach dem Warum, nach einer Finalität, die eigentlich in der Naturwissenschaft gar nicht interessieren, sind schon eher theologischer Natur. Dann darf man auch theologisch darauf antworten und muss nicht sagen, dass das eine Erfindung ist.

Lesch:

Das ist aber interessant! Das ist aber sehr interessant! Dann würde allein die Tatsache, dass das Problem mit der Feinabstimmung existiert, bereits als – ich will nicht sagen, Gottesbeweis – aber als deutlicher Hinweis darauf zu verstehen sein, dass es eine Welt jenseits der rein naturwissenschaftlichen …

Schwartz:

Dass die Welt zumindest nicht nur naturwissenschaftlich erklärbar ist. Das zeigt schon, dass es noch eine andere Dimension gibt. Die Frage nach dem Warum oder nach der Finalität der Zweckhaftigkeit ist im Grunde nur dann zu stellen, wenn es auch eine Antwort darauf geben kann. Sonst ist die Fragestellung unsinnig. Aber da der Mensch die Frage immer stellt und schon immer gestellt hat …

Lesch:

Damit wird er nie aufhören.

Schwartz:

… muss es doch auch letztlich einen Grund dafür geben, dass diese Frage gestellt wird.

Lesch:

Viele Menschen fragen danach, warum die Welt so ist, wie sie ist. Sie suchen ihre Antworten, wo immer sie etwas finden können, und meist sind ein paar Antworten dabei, mit denen sie klarkommen.

Schwartz:

Ein weites Feld der Sinnsuche!

Lesch:

In der akademischen Welt allerdings haben Theologie und Naturwissenschaften einen Kampf aufgenommen. Vor ungefähr 500 Jahren …

Schwartz:

Da ging es los! Da wurde angefangen zu fragen, zu entdecken und zu zweifeln.

Lesch:

Das klassische Bild: Mit jeder Entdeckung in den Naturwissenschaften musste die Theologie einen Schritt zurückgehen: Schließlich wurde sie in eine Ecke gestellt und steht nun so da und …

Schwartz:

Weil die Theologie den Fehler gemacht hat, nicht bei ihren Leisten zu bleiben, die eigentlich groß genug sind. In ihrer Welterklärungsmanie hat sie gemeint, die neue Form der naturwissenschaftlichen Wahrnehmung der Welt müsste von ihr gelenkt, dosiert und mit ihrer Lehre und Weltsicht methodisch eingeschränkt werden. Und das oft mit drastischen Mitteln. Mir fallen da Giordano Bruno und Galileo ein.

Lesch:

Wenn wir schon über Ordnung und Unordnung reden – Theologie ist doch auch ein hermeneutischer Prozess, ja? Ich sehe etwas in der Welt und versuche, aus den Mustern, die ich in ihr erkenne, abzuleiten, was dahinter steckt.

Schwartz:

Um zu deuten, mich hineinzuversetzen, ja, genau!

Lesch:

Naturwissenschaft ist auch ein Deutungsversuch, allerdings mit außerordentlich praktischen Konsequenzen. Theologische Deutungsversuche haben ebenfalls praktische Konsequenzen, siehe die Ethik.

Schwartz:

Das ist eine Handlungslehre.

Lesch:

Jeder versucht die Deutungshoheit zu erlangen. Wie konnten beide nur in eine solche Situation hineingeraten, die heutzutage eine klare Entscheidung fordert: Entweder du glaubst an Gott oder an die Physik – beides zusammen geht nicht.

Schwartz:

Ich glaube, vor 500 Jahren gab es die Sorge, dass das, was man in eine schöne Ordnung gebracht hatte – die Ordnung der Offenbarung in der Bibel –, bestehen bleibt. Das musste natürlich auch so bleiben, weil man darin die Wahrheit sah. Jetzt wird diese Ordnung, diese Beziehung von Gott und Mensch, zumindest in einigen Punkten angezweifelt. Damit gerät auch der absolute Wahrheitsgrundsatz oder die Basis für das Erkennen der Welt, die Basis für das Verstehen der Welt, in Gefahr, verloren zu gehen. In der Schrift finden sich – zeitbedingt – naturwissenschaftliche Fehler. Ich meine, ein Hase ist eben noch kein Wiederkäuer, nur weil er sein Maul von links nach rechts und von oben nach unten bewegt. Das steht aber so in der Bibel drin. Da hat man gemerkt: Holla, das, was wir bisher für wahr hielten, hat doch so seine Haken und Ösen. Man sah seine Felle davonschwimmen. Auch die Theologie hat in dem langen Prozess der letzten 500 Jahre ihre eigenen Methoden überprüfen, ihre eigene Basis noch einmal überdenken müssen. Seit dem Mittelalter hat sie sich in einigen Bereichen – nicht inhaltlich, aber im Verstehen dessen, wie man Gott anschauen kann – in den Methoden gewaltig verändert. Sie hat vieles von den hermeneutischen Wissenschaften wie den Literaturwissenschaften angenommen, um die eigenen Quellen neu interpretieren zu können. Wir dürfen nicht alles wortwörtlich nehmen. Wir können das gar nicht, weil wir eben keine exakte Wissenschaft sind.

Lesch:

Welch schöne Einsicht!

Schwartz:

Damals klammerte man sich an das Wort der Heiligen Schrift. Man hat sich als Theologie abgeschottet und versucht, den Naturwissenschaftlern zunächst einmal die Deutungshoheit oder sagen wir mal so, den Primat als Welterklärungsdisziplin vorzuenthalten. Das konnten sich die Naturwissenschaftler auf Dauer gar nicht gefallen lassen und sie drehten irgendwann den Spieß um und sagten: Moment mal! Wir können unsere Welt erklären. Beweist ihr als Theologen mal, dass ihr das besser könnt. Mit ihrem Entdeckermut und Optimismus glaubten sie damals, sie könnten die ganze Welt durchschauen und verstehen.

Lesch:

Das war auch so! Die haben die Planetenbewegung entdeckt. Sie konnten die Bewegungen tatsächlich ausrechnen. Galilei war der Erste, der Experimente gemacht hat, Kepler mit seinen Himmelsgesetzen und dann noch Newton. Frohgemut hieß es: Wir holen den Himmel auf die Erde und können die ganze Natur berechnen. Alles!

Schwartz:

Und nicht nur die Natur, sondern gleich die ganze Welt. Ihre Kritik an den Theologen war aufgrund ihrer Erfolge verständlich: Was erzählt ihr denn da für schräge Sachen? Wir beweisen euch das Gegenteil! Jetzt zeigt doch mal, wo ihr noch Wissenschaft seid! Wenn ihr das nicht zeigen könnt, dann habt ihr im Bereich der Universitäten und bei den Gebildeten nichts zu suchen!

Lesch:

Es gibt natürlich nicht nur diese Auseinandersetzung, mein lieber Thomas. Die Frage nach dem Zweck ist für einen Theologen eine Frage von Sein oder Nichtsein. Die Naturwissenschaft ist vor allen Dingen deswegen so erfolgreich geworden, weil sie die Welt „entzweckt“ hat. Je weniger Zweck natürliche Vorgänge haben, umso einfacher sind sie für uns zu erklären, weil wir sie als Mechanismen darstellen können, die völlig unabhängig funktionieren. Wir sind darauf angewiesen, dass es Zweck oder Finalität nicht gibt. Dann können wir gut arbeiten. Theologen jedoch erkennen von vornherein einen Zweck in allem. Unsere Ausgangspositionen könnten unterschiedlicher kaum sein.

Schwartz:

Aber andererseits müsst ihr – je mehr ihr wahrnehmt von der Feinabstimmung des Universums – zugeben, dass es irgendwo einen Zweck geben muss. Daran kommt man gar nicht vorbei, wenn man diese Unwahrscheinlichkeit unserer eigenen Existenz in dieser Unwahrscheinlichkeit des Universums insgesamt betrachtet, oder etwa nicht?

Lesch:

Das ist sicher!

Schwartz:

Und so wären wir beide wieder im gleichen Boot.

DER ANFANG VON ALLEM

Lesch:

Wir zwei treten jetzt den Gegenbeweis zu dem Vorurteil an, dass Naturwissenschaftler die Straßenseite wechseln, wenn sie Theologen begegnen und umgekehrt natürlich auch. Angeblich gönnen sich beide gegenseitig nicht einmal die Butter auf dem Brot, geschweige denn das Schwarze unterm Fingernagel. Wir zwei können uns sehr wohl aushalten und haben uns auch etwas zu sagen. Thomas, es geht um die Schöpfungsgeschichte. Was fangen wir mit einer 3000 Jahre alten Schöpfungsgeschichte an, bei der am Anfang nix ist außer Tohuwabohu? Was kann die uns heute noch sagen?

Schwartz:

Zunächst muss man einmal festhalten, dass es in der Bibel zwei Schöpfungsberichte gibt. Beide haben uns insofern etwas zu sagen, als die Fragen, die in diesen beiden Texten gestellt werden, immer noch dieselben sind wie heute: Woher kommt der Mensch? Woher kommt die Welt? Wohin geht sie letztlich? Steckt da eine Ordnung dahinter, gibt es irgendwas oder irgendjemanden, der der Ursprung von allem ist? Gibt es ein Gesetz, das in allem wirkt? Von daher sind die Fragen, die die Menschen schon in der Frühzeit ihrer Geschichte gestellt haben, die gleichen wie heute. Ihr Astrophysiker beantwortet sie mit dem Big Bang.

Lesch:

Moment! Wir Naturwissenschaftler reden aber nicht von Schöpfung. Wir benutzen zwar gern auch mal eure Wörter, eben auch „Schöpfung“, aber unser wissenschaftlicher Begriff dafür ist „Evolution“. Wir würden auch nicht sagen, dass am Anfang ein Tohuwabohu herrschte, ein Chaos. Wir neigen dazu zu sagen, am Anfang war Licht. Gut, wir wissen nicht so genau, wo das herkam, wir wissen nur, dass sehr viel Licht war. Die naturwissenschaftliche Art und Weise, über den Anfang der Welt nachzudenken, ist aber nicht die der Schöpfungsgeschichte. Mit Licht fing es also an. Ist das bei euch ein Symbol oder ist es physikalisch gemeint?

Schwartz:

Im hebräischen Text heißt es: Gott sprach „Licht“.

Lesch:

Er hat den Schalter umgelegt.

Schwartz:

Er sprach „Licht“, und dann ist das nächste Wort: Siehe, Licht. Gott sagte also nicht, dass jetzt mal ein bisschen Licht werden soll, vielmehr war es so wie ein Anfang von allem, ein erstes Wort.

Lesch:

War da schon jemand dabei? Hat jemand außer Gott gesehen, dass Licht da war?

Schwartz:

Nein, das hat später ein Mensch so niedergeschrieben, um den anderen deutlich zu machen, dass es etwas gab, was Licht hervorbrachte.

Lesch:

Aber in dem Moment war keiner außer Gott da.

Schwartz:

Das ist aber doch schon ziemlich viel, oder?

Lesch:

An eurer Schöpfungsgeschichte fasziniert mich am meisten, dass sie im Vergleich zu vielen anderen Schöpfungsgeschichten friedlich beginnt. Bei den anderen hauen sich die Götter die Köpfe ein: bei den Griechen, bei den Babyloniern, ein einziges Hauen und Stechen! Hier haben wir es mit einer Geschichte zu tun, die schlicht damit beginnt, dass Gott sprach, es werde Licht. Hatte der schon alle Kämpfe hinter sich?

Schwartz:

Das Wichtige bei dieser Schöpfungsgeschichte ist, dass der oder diejenigen, die das aufgeschrieben haben, klarmachen wollten: Es gibt keinen Götterkampf, weil es gar keine anderen Götter gibt. Gerade bei der biblischen Schöpfungsgeschichte geht es darum, dass es nur einen einzigen Gott gibt, der Ursprung von allem ist. Dieser Gott, der am Anfang steht, ist ordnend tätig.

Lesch:

O.k., das habe ich jetzt verstanden. Soweit, so gut! Wir haben also Licht, wir haben einen Gott, der die Sache praktisch von Anfang an im Griff hat. Zumindest dem Schreiber dieser Zeilen stellt sich nicht die Frage, ob es Gott gibt. Bei dieser Schöpfungsgeschichte ist Gott von vornherein da. Wir modernen Menschen fragen uns oft, ob es Gott gibt und wie er wirkt. Ist Gott allmächtig oder eher nicht? Stichwort: Ungerechtigkeit, das Böse. Hier haben wir es mit einem Gott zu tun, der einfach da ist und jetzt sein Ding macht. Mit Licht fing es an. Welche Bedeutung hat es, dass es auf einmal Land und Meer gab? Ist das auch nur symbolisch gemeint?

Schwartz:

Anscheinend ist es nicht selbstverständlich, dass es Land und Meer gibt. Für die Menschen damals waren Überschwemmungen ein unerklärliches, bedrohliches Naturereignis. Die Überschwemmung des Schwarzen Meers war für die abendländische und orientalische Gesellschaft ein tiefgreifendes Ereignis, das in Mythen seinen Platz gefunden hat. So auch die Sintflut …

Lesch:

Ach! Die Sintflut hat es wirklich gegeben?

Schwartz:

Die gab es wahrscheinlich tatsächlich. Viele Theorien besagen, dass dieses Überschwappen des Mittelmeers ins Schwarze Meer stattgefunden hat. Der Bosporus war nicht immer eine Meeresenge, da muss wohl mal eine Landbarriere gewesen sein.

Lesch:

Ich staune! Der Mann ist schließlich Theologe und kein Naturwissenschaftler!

Schwartz:

Theologie schließt profanes Wissen in keiner Weise aus, lieber Harald. Also, soviel mir dazu einfällt, sind gewaltige Wassermassen ins Schwarze Meer übergeschwappt. In 30, 40 Meter Tiefe wurden Reste von Siedlungen gefunden. Das war wohl für die Menschen ein traumatisches Geschehen. Sie fragten sich nach der Ursache. Man suchte nach Erklärungsmustern. In der damaligen Zeit rechnete man eben mit Gott, nicht so wie heute, wo Gott vielfach nur als eine Idee, eine Fiktion angesehen wird. Nein, damals war Gott begreifbar und nah. Die Leute sagten: Gott hat uns bestraft, wir waren böse. Ein Mythos ist immer ein Erklärungsmuster für etwas, was Menschen bewegt.

Lesch:

In gewisser Weise ist die Naturwissenschaft für viele Menschen heute auch ein Mythos. Es gibt naturwissenschaftliche Theorien, die versteht kein Mensch, nicht einmal ein Naturwissenschaftler. Wir können uns nur auf die Mathematik verlassen und hoffen, dass es irgendwie stimmt. Insofern sind wir von Mythen gar nicht so weit entfernt. Aber nochmal zurück: Wir haben also Meer, das habe ich jetzt verstanden. Dann hat der Schöpfer das Meer vom Land getrennt. War Land wichtig?

Schwartz:

Natürlich! Weil auf dem Land etwas wächst. Land ist die Lebensgrundlage für Tier und Mensch. In der Geschichte von der Erschaffung des Menschen ist zu lesen, dass er nach seiner Vertreibung aus dem Paradies etwas anbauen musste. Wo kein Land ist, da kann man nur fischen. Aber der Mensch lebt nicht nur vom Fisch allein.

Lesch:

Ein paar Vitamine braucht er schließlich auch noch. Dann hätten wir das soweit abgearbeitet. Schon beeindruckend, wie geradlinig das geht. Als ob Gott eine Checkliste gehabt hätte.

Schwartz:

Heute machen wir mal das, dann das …

Lesch:

… zack, zack, und was brauchen wir noch? Wir haben Land und Meer. Luft hat er nicht gemacht, oder doch?

Schwartz:

Die Luft war von Anfang an da. Das setzt man voraus.

Lesch:

Das finde ich aber enorm. Bei den Griechen zum Beispiel spielt Pneuma eine ganz wichtige Rolle.

Schwartz:

Auch in der biblischen Geschichte spielt Pneuma eine wichtige Rolle. Das Problem ist allerdings, dass dieses Pneuma etwas ist, was Leben einhaucht. Der Geist Gottes schwebt über dem Urwasser. Das ist die Luft, die Voraussetzung für Leben überhaupt.

Lesch:

Ich verstehe. Die Luft ist also schon da gewesen. Hier stellt sich die interessante Frage: Atmet Gott auch?

Schwartz:

Er atmet zumindest aus.

Lesch:

Wenn, dann aus, o.k., aber nicht ein. Was haben wir noch? Wasser ist eine andere Geschichte, da kommen wir noch drauf zurück. Und dann: Tiere! Für mich als Naturwissenschaftler ist es ein Faszinosum und immer noch nicht klar, wie aus unbelebter Materie lebende Materie geworden ist. Wir sind tief in die Materie eingedrungen, wir sehen Elektronen um die Atomkerne herumsausen, wir wissen um die Existenz von Molekülen. Aber wieso ist das eine Molekül anorganisch, also nicht lebendig, und das andere in Kombination mit vielen anderen Molekülen plötzlich lebendig? Da zeigt sich ein Wille, da ist ein Zweck offensichtlich, und damit ergibt sich ein Sinn. In meinen Augen ist das der entscheidende Schritt in der Schöpfungsgeschichte: Erst wird eine Kulisse gebaut und dann kommt Leben in die Bude.

Schwartz:

Wobei diese Art von Leben noch nicht vollständig ist. Da sind Tiere, die sich zwar bewegen, sich ihrer selbst aber nicht bewusst sind. Die wissen nicht, dass sie Tiere sind. Die haben noch keinen Namen. Die Gans weiß nicht, dass sie eine Gans ist.

Lesch:

Aber sie lebt.

Schwartz:

Sie vegetiert. Das Tier wird erst zu einem Tier, im vom Menschen zu unterscheidenden Sinn, nachdem es von ihm einen Namen bekommen hat. Das ist eine der Grundaufgaben, die der Mensch in der Schöpfungsgeschichte, in diesem Mythos bekommen hat. Wer in der biblischen Geschichte einen Namen vergeben darf, dem gehört das Ganze dann auch.

Lesch:

Namensgebung ist also Macht, Besitznahme.

Schwartz:

Inbesitznahme!

Lesch:

Am Anfang war das Wort.

Schwartz.

Nicht ganz in diesem Sinne, aber auch nicht schlecht! Wenn der Mensch von Gott den Auftrag bekommt, alle Tiere zu benennen, dann wird ihm damit gleichzeitig gesagt: Nimm sie in Besitz, du bist der Boss.

Lesch:

Das ist aber hochgefährlich, zum Boss ernannt zu werden. Hat dieser Titel dieselbe Bedeutung wie bei dem Boss einer Aktiengesellschaft: Gewinnmaximierung und achte auf das Preis-Leistungs-Verhältnis? Oder ist das eher die Geschichte mit der Verantwortung für die Schöpfung? Gerade diese Stelle – es gibt viele andere Stellen der Genesis, aus denen die haarsträubendsten Dinge herausgelesen worden sind –, steht da tatsächlich drin, dass der Mensch der Chef über die Natur ist? Steht das so da drin?

Schwartz:

Es steht drin, dass er im Auftrag Gottes – und das ist wichtig – den Tieren Namen zu geben hat. Also hat der Mensch gesagt: Du bist ein Pferd, du bist ein Zebra, du bist ein Kamel. Damit hat er im Auftrag Gottes gehandelt, hinter ihm steht aber immer der Big Boss, also Gott. Ihm ist der Mensch für sein Tun Rechenschaft schuldig.

Lesch:

Jetzt muss ich nochmal fragen, rein historisch: Waren die Menschen im späteren Heiligen Land schon Bauern?

Schwartz:

Bauern und Nomaden, beides.

Lesch:

Gehörten die, die das geschrieben haben, zu den Bauern oder zu den Jägern und Nomaden?

Schwartz:

Die gehörten schon eher zu der bäuerlichen Gesellschaft in den ersten kleinen Städten, besser gesagt zu der Gesellschaft, die im Reich Davids und Salomons um 1000 vor Christus den Glauben an diesen Gott noch einmal reflektierten. Sie waren auch in Kontakt mit vielen anderen Völkerschaften, mit Ägypten, mit Assur, Klein-Babylon, Hethitern, mit den Kleinstaaten und großen Staatsgebilden, wo die Mythen mit ihren Götterkulten und dem ganzen „Göttergerangel“ herkamen …

Lesch:

Die Ägypter hatten doch eine unglaublich erfolgreiche Religion, mit all ihren unzähligen Göttern, darunter einem, der direkt auf Erden residierte, ihrem Pharao. Was war eigentlich der Grund für die Schreiber deiner Schöpfungsgeschichte, sich etwas völlig anderes einfallen zu lassen? Was hat sie dazu veranlasst, einen – fast hätte ich gesagt, so akademischen – Schöpfungstext aufzuschreiben?

Schwartz:

Erstens waren das tatsächlich zum Teil Akademiker, zumindest schriftgelehrte Priester – Universitäten gab es noch nicht –, also Leute, die nachgedacht haben über das, was wichtig ist. Zum Zweiten wollte man irgendwie begründen, warum man anders als die Anderen war. Ein kleines Volk sucht seine Identität. Wir müssen uns bewusst machen, dass Israel zur damaligen Zeit das Saarland des Mittleren Ostens war – der kleinste Flächenstaat. Ich habe mal im Saarland gewohnt, nix Großartiges, der sogenannte Rest der Welt. Da liegt es nahe, dass sich die Israelis fragten: Warum sind wir wichtig? Warum gibt’s uns überhaupt?

Lesch:

Eine besondere Schöpfungsgeschichte, um sich selbst …

Schwartz:

Um sich abzugrenzen und zusammenzuhalten, sich selbst bewusst zu machen.

Lesch:

Donnerwetter!

Schwartz:

Es gab Tendenzen, dass die Könige auch ganz gern Pharaonen geworden wären. Das war quasi der Gott auf Erden.

Lesch:

Das ist aber eine andere Geschichte. Wo waren wir stehengeblieben? Genau, wir waren bei den Tieren. Jetzt fehlt noch …

Schwartz:

… der Mensch!

Lesch:

Ich habe dazu extra nochmal nachgelesen. Es gibt bei mir die Tendenz zum Zweitbuch. Ich habe also ein Physikbuch zuhause und die Bibel, und in dieser steht, dass Gott den Menschen geschaffen hat als Mann und Frau. Da ist von einer Rippe des Mannes nichts zu finden.

Schwartz:

Wo nichts ist, kann auch nichts sein. Auch Eva ist ein Abbild Gottes. Wo kämen wir denn da hin!

Lesch:

Es gibt den netten Satz: Wenn Gott nur eine 5-Tage-Woche gehabt hätte, wäre der Welt der Mensch erspart geblieben. Gott hat sich aber am sechsten Tag doch nochmal ans Werk gemacht. Warum er wohl auf diese Idee kam, bei einer Welt, die schon so gut funktionierte ohne uns?

Schwartz:

Warum er den Menschen erschaffen hat?

Lesch:

Ja.

Schwartz:

Das haben sich die Menschen damals auch schon gefragt: Warum gibt’s uns? Ganz einfach, weil er uns erschaffen hat. Die Frage ist nicht, warum hat Gott sich das nicht erspart, sondern warum sind wir überhaupt da? Die Antwort war damals – wie übrigens heute auch noch –, na ja, weil er es halt so wollte. Er wollte etwas schaffen, das nicht nur so vor sich hinvegetiert, sondern ihm in gewisser Weise Paroli bieten kann. Gott wollte, dass einer da ist, der ihm Partner sein kann – bei aller Begrenztheit. Also eine Herausforderung für Gott. Die Altvorderen haben sich schon ganz schön wichtig genommen.

Lesch:

Aber Moment! Hier liegt es doch auf der Hand, zu fragen, ob Gott einsam war? Brauchte er Ansprache?

Schwartz:

Das wäre ein sehr anthropomorphes Bild, also dem Menschen gemäß. Einsam war er nicht, aber vielleicht gelangweilt.

Lesch:

Wir sind quasi ein Pausenclown oder netter gesagt, das Salz in der göttlichen Suppe. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Schwartz:

Gott meinte vielleicht, um in deinem Bild zu bleiben, dass es eine große, spannende Herausforderung sei, noch etwas zu schaffen, was sich sogar im Notfall von ihm trennen kann.

Lesch:

Das den freien Willen hat, sich unter Umständen gegen ihn zu entscheiden. So, die fünf Tage haben wir jetzt hinter uns. Dann der Mensch: Er schuf den Menschen nach seinem Abbild. Ja, wie jetzt? Sind wir … bist du und ich und alle um uns rum, sind wir Abbilder von einem höheren Wesen, das wir als Gott verehren?

Schwartz:

Es ist nicht so, dass Gott eine Glatze und einen Bart oder auch keinen Bart hätte, das ganz gewiss nicht. Diese Schrift, die übrigens im babylonischen Exil entstanden ist, geht zunächst davon aus, dass der Mensch zum Abbild Gottes wird, weil er sprechen kann, Vernunft und Willensfreiheit hat. Er kann sein Leben selbst gestalten.

Lesch:

Ergo schließe ich daraus: Auch Gott spricht; Gott ist frei. Er hätte sich deshalb auch gegen den Menschen entscheiden können.

Schwartz:

Er hätte sich sagen können: Ich mache den Menschen nicht, das lasse ich besser sein.

Lesch:

Er hat ihn aber nach seinem Abbild geschaffen. In diesem Zusammenhang wollte ich dich schon immer mal fragen: Ist das nicht eine ungeheure Last? Wenn ich mir überlege, da sitzen welche in Babylon und Umgebung … Überhaupt – warum gerade Babylon?

Schwartz:

Um das Jahr 587 war Jerusalem von den Babyloniern erobert worden. Die heimische Führungsschicht – soweit sie den Angriff überlebt hatte – wurde nach Babylon, der Hauptstadt der Sieger, deportiert. Für die Deportierten stellte sich nun die Frage: Wie überleben wir?

Lesch:

“By the rivers of Babylon …”

Schwartz:

… da saßen wir und weinten. Die Verschleppten haben sich damals wohl überlegt, was das besiegte Volk noch zusammenhält, und sie sind wieder auf Gott gekommen, eigentlich naheliegend. Nächste Überlegung: Wie ist der Mensch? Für die aufgeklärte Priesterschaft war es nicht wichtig, ob die Frau dem Manne untertan zu sein hat, sondern zunächst einmal, dass der Mensch von Gott stammt. Seine Würde bekommt er nicht dadurch, dass er eine große Stadt oder ein großes Reich besitzt, sondern dass er ein Geschöpf Gottes ist.

Lesch:

Die Schöpfungsgeschichte sollte offenbar für alle Menschen gelten. Du hast schon gesagt, dass die priesterliche Schöpfungsgeschichte so was wie eine nationale Identität schaffen sollte. Hier wird aber nur von Menschen im Allgemeinen gesprochen: Alle Menschen auf der Welt sind Abbild Gottes. Wo bleibt da die jüdische Identität?

Schwartz:

Langsam, Gevatter! Die jüdische Priesterschaft hat damit erst einmal ausdrücken wollen: Obwohl uns die Babylonier besiegt haben, sind sie auch nicht besser als wir. Und die Babylonier könnten daraufhin natürlich gesagt haben: Aber wir sind doch die Sieger! Damit ist ja wohl unser Marduk – so hieß ihr Gott – der stärkere Gott! Langsam, überlegt doch mal – so die israelitischen Priester –, unser Gott hat alles geschaffen. Er steht am Anfang von allem. Euer Gott ist nur ein Hirngespinst.

Lesch:

Nur ein Abteilungsleiter oder was?

Schwartz:

Der ist noch nicht mal Abteilungsleiter. Für die Israeliten so um 600 oder 500 vor Christus war ihr Gott alleiniger Vorstandsvorsitzender. Die ganze Geschichte ist im Grunde nur auf dieses Volk Israel konzentriert. Und deren Vordenker interpretieren ihr Exil in Babylon als Strafe für sein auserwähltes Volk.

Lesch:

Die Sintflut kommt in der Bibel erst später.

Schwartz:

Vor uns die Sintflut!

Lesch:

Apropos Abbild – um wieder darauf zurückzukommen: Ich will da nicht zu viel hineininterpretieren. Was ich weiß, ist, dass für die Autoren der Schöpfungsgeschichte Gott immer da war, das wurde nicht weiter hinterfragt. Er war für sie immer ein Wirkender, er hat einfach gemacht. Aber was steckt hinter der Geschichte mit dem Abbild? Als Lebewesen mit freiem Willen haben wir die Entscheidungsfreiheit, können uns für das Gute oder das Böse entscheiden. Damit sind wir aber eine Schöpfung, die wesentlich mehr beansprucht als nur das Resultat von ein paar Tagen zu sein. Diese Zeitspanne sollte man übrigens nicht zu wörtlich nehmen. Das gilt auch für die Geschichte mit dem englischen Bischof – Usher hieß er, glaube ich –, der in der Bibel herumrechnete und so zu dem Ergebnis kam, dass die Welt am 26. Oktober des Jahres 4098 vor Christi Geburt morgens um neun Uhr in Babylon entstanden war. Dagegen ist unsere babylonische Schöpfungsgeschichte geradezu stringent.

Schwartz:

Sie gibt dem Ganzen eine Ordnung.

Lesch:

Da sind wir bei der Ordnung. Der guten Ordnung halber kommt jetzt der Mensch auch als Mann und Frau vor.

Schwartz:

Es werde und es ward auch hier.

Lesch:

Den Menschen gibt es in zwei Varianten. In der Schrift steht nicht, dass die Frau dem Manne untertan sein soll oder nur aus einem Teil …

Schwartz:

… der Rippe …

Lesch:

Angeblich sei sie irgendwie aus einer Rippe des Mannes gemacht worden. Wie kommt es, dass diese beiden Schöpfungsberichte der Bibel sich in diesem Punkt so stark unterscheiden, einem so wichtigen Punkt, der immerhin die ganze Menschheitsgeschichte durchzieht? Es entsteht der Eindruck, die Frau sei zweitrangig, und vom Sündenfall wollen wir erst gar nicht sprechen. Wie kommt das?

Schwartz:

Ich glaube, das liegt zum einen daran, dass die Texte über Jahrhunderte entstanden sind. Die Leute haben sich überhaupt keine Gedanken gemacht, ob das logisch zusammenpasst. Es sind zunächst nur Erfahrungen und Deutungen konkreter Zeitabläufe. Um die Zeit 550, 580 herum war es den Autoren der Priesterschrift wohl einfach nur wichtig, allen Menschen die gleiche Würde zuzusprechen. Das war in der damaligen Zeit völlig neu. Heutzutage sind für uns Menschenrechte, Emanzipation und so weiter selbstverständlich. Die Priesterschriften haben der Frau erstmals eine Rolle zugesprochen, die sie befähigte, in der Schöpfung quasi ihren Mann zu stehen.

Lesch:

Das ist ein priesterlicher Schöpfungsbericht. Der soll dafür sorgen, dass die Herde zusammengehalten wird und alle wissen: Hier geht’s lang! Hätten es sich die Priester angesichts der Tatsache, dass auch in ihrem Volk natürlich gut die Hälfte weiblich ist, überhaupt leisten können, einen Schöpfungsbericht abzuliefern, in dem die Frau dem Mann untertan ist? Da hätten doch die Frauen gesagt: Wisst ihr was? Ihr habt die Pfanne heiß! So geht’s aber nicht! Schließlich sind wir dafür zuständig, dass sich dieses Volk weitervermehren kann. Ohne uns auch keine zukünftigen Helden!

Schwartz: