Reingegrätscht -  - E-Book

Reingegrätscht E-Book

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Beschreibung

Fußball wird nicht nur gespielt und geschaut, über Fußball wird auch gesprochen und geschrieben. Woche für Woche füllt er Medien und Alltagsgespräche und ist für viele Menschen nicht nur ein Zeitvertreib, sondern beziehungs- und identitätsstiftend. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich auch die Sprachwissenschaft für das Kulturphänomen Fußball interessiert. Denn die Sprache des Fußballs, wie sie von Spieler:innen, Trainer:innen, Journalist:innen und natürlich den Fans gepflegt wird, ist ein ausgezeichneter Trainingsplatz für die unterschiedlichsten linguistischen Teildisziplinen. Zur Fußballeuropameisterschaft der Männer, die 2024 in Deutschland stattfindet, hat Simon Meier-Vieracker ein Team von fußballinteressierten Sprach wissenschaftler: innen zusammengestellt, die das Feld der linguistischen Fußballforschung vermessen. Herausgekommen ist ein Buch, so vielfältig wie die Sprache des Fußballs selbst. Ein Tiki-Taka aktueller sprachwissenschaftlicher Fragen, das alle begeistern wird, die Sprache oder Fußball mögen - und vielleicht sogar beides. Einfach überragend!

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Seitenzahl: 287

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Simon Meier-Vieracker (Hrsg.)

Reingegrätscht

Eine kleine Linguistik des Fußballs

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381114825

© 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

Internet: www.narr.de

eMail: [email protected]

ISBN 978-3-381-11481-8 (Print)

ISBN 978-3-381-11483-2 (ePub)

Inhalt

Simon Meier-Vieracker

Geht’s raus und schreibt’s über Fußball! Anstelle eines Vorworts

Vorberichte

Karina Frick

Fußball und Frauenfußball? (Bezeichnungs-)Ungleichheiten im Fußball

Thomas Gloning

Torhüter in Texten und Medien. Eine Annäherung

Cornelia Gerhardt

Der Fehleinkauf als Held

Erste Halbzeit

Marcus Callies

In den Farben getrennt, in der Sache vereint. Solidarität zwischen rivalisierenden Fangruppen

Tatjana Scheffler

. Emojis und Gruppenidentität auf Twitter

Sören Stumpf

„Zuckerpass, Traumtor, die Fans außer sich“. Evaluative Wortbildung in Fußball-Livetickern

Halbzeitpause

Daniel Pfurtscheller

Córdoba in der deutschen Wikipedia

Sven Staffeldt

Die Statik des Spiels. Ein Gespräch mit ChatGPT

François Conrad

Fußballzwerg und fußballsprachlicher Riese. Lexikalische Vielfalt im Luxemburgischen

Zweite Halbzeit

Alexander Geyken

Die Zeit von der Uhr nehmen. Einige aktuelle Entwicklungen der Fußballsprache im Allgemeinwortschatz

Sascha Wolfer

Lukas Podolski, Birgit Prinz und Joseph Haydn. Unbestimmt stehen sie für mehr

Angelika Linke

Sieg! Zur Geschichte eines Emotionsdisplays

Nachberichte

Antje Wilton

Über Scheißfragen. Fragedesign und Wissensaushandlung in Fußballerinterviews

Stefan Hauser

„Wir sind eine gut intrigierte Truppe.“ Zur Psycholinguistik von Versprechern in Fußball-Zitaten

Konstanze Marx

Beim Doppelpass: Kopf hoch

Aufstellung

Geht’s raus und schreibt’s über Fußball!

Anstelle eines Vorworts

Simon Meier-Vieracker

Es gibt kein Entkommen. Wenn im Sommer 2024 die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland ausgetragen wird, wird der Fußball wieder einmal zum bestimmenden Thema, dem man sich kaum entziehen kann. Beim täglichen Medienkonsum ebenso wenig wie in den Pausengesprächen auf der Arbeit oder in geselligen Runden in der Freizeit. Supermärkte bewerben ihre Ware als nützliche Begleiter für unvergessliche Fußballabende, und selbst normalerweise fußballfreie Zonen wie Kunstmuseen oder Theater versuchen, ein wenig an der Aufmerksamkeit teilzuhaben, die der Fußball generiert. Mit anderen Worten: Es wird sehr viel über Fußball kommuniziert. Die Linguistik sollte dabei nicht schweigen.

Dass sich die Wissenschaft dem Fußball zuwendet und das Spiel mit allem, was dazugehört, zum Gegenstand theoretischer Reflexionen und empirischer Analysen macht, ist nichts Außergewöhnliches. Christoph Leischwitz hat in seinem Buch „Die Wissenschaft des Fußballs“ (2020) einen lesenswerten Überblick darüber gegeben, welche erstaunlichen Erkenntnisse unterschiedlichste wissenschaftliche Disziplinen, von der Physik und Biologie über die Psychologie und Ernährungswissenschaft bis zur Soziologie und Religionswissenschaft, dem Fußball abtrotzen können. All diese Wissenschaften tragen das ihre dazu bei, den Fußball, dieses wie kaum ein anderes von Zufällen geprägte Spiel (Gebauer 2016: 42–51) erklärbar, deutbar und vielleicht auch berechenbar zu machen. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Sosehr die Verwissenschaftlichung des Fußballs auch dem (profi-)fußballinternen Trend entspricht, aus einem handfesten Gewinninteresse heraus den Zufall beherrschen zu wollen (Biermann 2018: 28–40) – in gegenläufiger Richtung möchte die Wissenschaft am Fußballspiel partizipieren, das bei aller kommerziellen Überfrachtung immer noch genau das ist: ein Spiel. Ein Spiel, das Spaß macht.

All das gilt auch für die Linguistik, der Leischwitz in seinem Buch übrigens auch ein Kapitel widmet. Die Bedeutung von Sprache und Kommunikation für den Fußball, von der Fachterminologie der Trainingslehre und der Regelwerke über rhetorische Strategien in Kabinenansprachen oder im Umgang mit der Presse bis hin zur Antidiskriminierungsarbeit in den Fanszenen, wird von Fußballakteur:innen sehr wohl gesehen. Wenn man den Fußballjournalismus dazurechnet, der vom Reden und Schreiben über den Fußball buchstäblich lebt, erst recht. Umgekehrt hat die Linguistik schon vor vielen Jahrzehnten den Fußball für sich als Gegenstand entdeckt. Die Sprache des Fußballs, wie sie von Spieler:innen, Trainer:innen, Journalist:innen und natürlich den Fans gepflegt wird, ist ein ausgezeichneter Trainingsplatz für die unterschiedlichsten linguistischen Teildisziplinen. Es gibt überhaupt keinen Grund, an der Ernsthaftigkeit linguistischer Fußballforschung zu zweifeln, denn warum sollte man das linguistische Kerngeschäft, die Untersuchung von Sprache und Sprachgebrauch, nicht am Beispiel der Sprache des Fußballs betreiben? Es spricht aber noch ein weiterer Grund für eine Linguistik des Fußballs: Es macht einfach Spaß.

Unter den genannten Wissenschaften, die sich mit Fußball beschäftigen, nimmt die Linguistik vielleicht noch einmal eine Sonderrolle ein. Und das aus einem einfachen Grund: Ihr Gegenstand, das vielfältige Reden und Schreiben über Fußball, fällt mit dem zusammen, was sie selbst tut, nämlich reden und schreiben über Fußball. Anders als etwa in der Physik, welche die Flugeigenschaften des Balls während einer Bananenflanke berechnet und hierfür in Zahlenreihen symbolisch repräsentiert, sind Gegenstand und Medium der Linguistik letztlich eins, nämlich Sprache. Diese Sprache ist für den Fußball von größter Bedeutung, auch wenn der innerste Kern des Fußballspielens, also die Bewegungen von Körper und Ball, ohne Sprache auskommt. Aber erst durch Sprache wird der Fußball kommunizierbar, deutbar und schließlich auch erzählbar, angefangen von den vielfältigen Bezeichnungen der Spiel- und Wettkampfelemente (Burkhardt 2022) über die Metaphern zur bildhaften Repräsentation des Geschehens (Küster 2009) bis hin zu den kulturellen Schemata, die ein Spiel etwa als „Kampf von David gegen Goliath“ erscheinen lassen (Meier-Vieracker 2024: 157–160).

All diese sprachlichen Ausdeutungen des Fußballs deutet die Linguistik ihrerseits sprachlich aus – und setzt auch damit nur fort, was im Feld des Fußballs bereits angelegt ist. Denn die Sprache des Fußballs mit ihren besonderen Eigenschaften und Funktionen bleibt natürlich auch den Fußballakteur:innen nicht verborgen. Zahlreiche Fußballpodcasts wie „Zeigler und Köster“, deren Hosts mit kindlicher bis diebischer Freude des Fußballjargons frönen und ihn zugleich thematisieren, sind ein Beispiel dafür. Es gilt aber auch für die mitunter zu nationalen Mythen erhobenen Spiele wie das „Wunder von Bern“, das ohne Zitate aus Herbert Zimmermanns Rundfunkkommentar („aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …“) überhaupt nicht erzählt werden kann.

Eine Linguistik des Fußballs, wie sie in diesem Band in vielen Einzelperspektiven entwickelt wird, führt also das Reden (und Schreiben) über Fußball fort, das selbst oft genug ein Reden über dieses Reden über Fußball ist. Aber natürlich bringt die Linguistik als Wissenschaft auch noch andere Ansprüche in Sachen Methodik und begrifflicher Reflektiertheit in den Fußballdiskurs ein. Sie schaut eben doch soweit es geht von außen auf diesen Diskurs und unterbricht vielleicht auch mal seine üblichen kommunikativen Routinen. Mit dem für den Band titelgebenden Fußballausdruck gesprochen: Es wird reingegrätscht!

Das Wörterbuch der Fußballsprache (Burkhardt 2022) definiert „grätschen“ als „einen langgezogenen, häufig gesprungenen Spagatschritt […], um den ballführenden Gegner vom Ball zu trennen o. zu Fall zu bringen.“ In metaphorischer Übertragung, die zeigt, dass nicht nur der Fußball versprachlicht, sondern auch Sprache im Lichte des Fußballs betrachtet wird, ist „reingrätschen“ ein Akt des Unterbrechens, der meist ungefragten, wenn auch oft durch Entschuldigungen begleiteten Intervention in ein laufendes Gespräch. Man kann das auf unfaire und gewaltvolle Weise tun – im Fußball spricht man dann von einer „Blutgrätsche“ –, ebenso aber auf gekonnte, vielleicht sogar kunstvolle Weise. Im Fußball gelten Grätschen als Ausdruck von Einsatzwille und Leidenschaft, und abgesehen von Toren vermag wenig das Stadionpublikum so sehr zu elektrisieren wie eine präzise Grätsche, die ein sicher geglaubtes Tor in letzter Sekunde verhindert. Auch verbales Reingrätschen kann kunstvoll sein, ein präziser Einwurf zur rechten Zeit, der das Gespräch im besten Falle bereichert statt stört.

Für den vorliegenden Band habe ich ein Team von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern zusammengestellt, die die so verstandene Kunst des Reingrätschens besonders gut beherrschen und die in ihren Beiträgen vorführen, was eine Linguistik des Fußballs zu leisten imstande ist. Bei der Kaderzusammenstellung habe ich, wie das auch Fußballtrainer:innen von Nationalmannschaften zu tun pflegen, auf Ausgewogenheit geachtet. International erfahrene und bestens ausgewiesene Fußballlinguist:innen sind dabei, aber auch Newcomer bekommen ihre Chance, sich im Feld der linguistischen Fußballforschung zu bewähren, denn gerade diese können der Forschung neue Impulse geben. Einige dürften sich bei der Einladung gefühlt haben wie einst der Flügelflitzer David Odonkor, der von Jürgen Klinsmann vollkommen überraschend in den deutschen WM-Kader 2006 berufen worden war. Aber, so formulierte ich im Einladungsschreiben, ich kannte ihre Stärken und wusste, „dass sie noch sehr wichtig werden können auf unserem gemeinsamen Weg zum Erfolg“. Ich sollte recht behalten, denn alle haben ihren Teil dazu beigetragen, dass wir jetzt, pünktlich zur Europameisterschaft 2024 der Männer, das Buch in Händen halten und in den Himmel strecken dürfen.

So wie sich um jedes Fußballspiel auch in zeitlicher Hinsicht ein ganzes Universum an Texten, Bildern und Gesprächen herumlagert, angefangen von den Vorberichten bis hin zu den Spielanalysen und Interviews nach Abpfiff, so orientiert sich auch die Zusammenstellung der Beiträge an der Chronologie des Spiels in seiner medialen Inszenierung.

Die Vorberichte eröffnet Karina Frick mit der Frage, warum der Fußball der Männer eigentlich für gewöhnlich einfach „Fußball“ heißen darf, während sein Gegenstück, der Frauenfußball, immer als solcher benannt werden muss. Sie zeigt, wie diese Bezeichnungsungleichheit in der medialen Berichterstattung weiter ausbuchstabiert wird und damit auch Ungleichheiten jenseits der Sprache zum Vorschein bringt und zugleich reproduziert. Thomas Gloning nimmt sodann mit Torhütern einen besonderen Spielertypus in den Blick und zeigt auf, wie dieser in verschiedenen Medienangeboten sprachlich und bildlich präsentiert wird. Das geht weit über Schilderungen der Torhüteraktion schlechthin, der Parade, hinaus und reicht bis zu umfassenden Spielerporträts. Eine weniger positionsgebundene als vielmehr leistungsbezogene Rollenzuschreibung nimmt schließlich Nele Gerhardt in den Blick: den Fehleinkauf. Sie zeigt, wie karriereschädigend dieses Label für einzelne Spieler:innen sein kann, dass es aber auch besonderes erzählerisches Potential hat, wenn ausgerechnet der vermeintliche Fehleinkauf für den Sieg sorgt und zum Held wird.

Die erste Halbzeit gehört zunächst den Fans. Marcus Callies lenkt unseren Blick auf die Tribünen im Stadion, wo insbesondere die organisierten Fans mit ihren spektakulären Aktionen, ihren Gesängen, Spruchbändern und Choreographien für Stimmung sorgen. Das reicht über Anfeuerungen des eigenen Teams hinaus und erschöpft sich auch nicht in Beschimpfungen des Gegners und dessen Fans. Denn der gemeinsamen Kampf für einen möglichst kommerzfreien Fußball bietet auch Anlässe zu Solidarisierung. Digitale Begleitkommunikation untersucht dagegen Tatjana Scheffler, die der Frage nachgeht, wie in der Fankommunikation auf Twitter Emojis genutzt werden, um Gruppenidentität zu stiften und zugleich Individualität auszuleben. Ähnlich expressiv, aber rein sprachlich funktionieren die evaluativen Wortbildungsmuster wie Traum-X, Sahne-X oder Horror-X, die Sören Stumpf in seiner Analyse von Fußball-Livetickern untersucht. Sie bieten den Autor:innen hochvariable Mittel, um den Lesenden das Spielgeschehen auch in der Schrift auf mitreißende Weise zu vermitteln.

Die Halbzeitpause nutzen wir, um uns im Internet über Hintergründe zu informieren. Mit Daniel Pfurtscheller lesen wir in der deutschsprachigen Wikipedia nach, wie dort – je nach Perspektive – das Wunder oder die Schmach von Córdoba, das 1978 ausgetragene und von Österreich gewonnene Spiel gegen Deutschland beschrieben wird, und er zeigt, dass sich die nationale Mythenbildung rund um dieses Spiel noch in den Artikeldiskussionen und den dort nachvollziehbaren Edit Wars fortsetzt. Sven Staffeldt nutzt dagegen eine ganz neue Wissensressource und fragt ChatGPT, was es mit der eigenartigen Rede von der „Statik des Spiels“ auf sich hat. Der Chatbot erweist sich als unzuverlässiger Gesprächspartner, regt aber genau dadurch zu einer Selbstreflexion linguistisch-lexikographischer Tätigkeit an. Vor dem Wiederanpfiff richten wir nach Österreich den Blick auf einen noch viel kleineren Player im Weltfußball: François Conrad zeigt, wozu die luxemburgische Fußballsprache in der Lage ist, die in Sachen Mehrsprachigkeit in einer ganz eigenen Liga spielt.

Das ist schon die perfekte Überleitung zur zweiten Halbzeit, die Alexander Geyken mit seiner Vorstellung der fußballlexikographischen Ressourcen des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache einleitet. Das dort angebotene und laufend erweiterte Fußballglossar ist mit den angeschlossenen Korpusressourcen die ideale Ergänzung zum bereits genannten Wörterbuch der Fußballsprache von Burkhardt (2022), indem es auch regionale Verteilungen und zeitliche Entwicklungen abbilden kann. Während hier Gattungsnamen wie „Viererkette“ im Fokus stehen, nimmt Sascha Wolfer sodann Eigennamen in den Blick; allerdings in der auch im Fußball nicht ungewöhnlichen Kombination mit unbestimmtem Artikel („ein Lothar Matthäus“), die sie doch wieder in die Nähe von Gattungsnamen rücken. Mit dem Abpfiff des Spiels ist dann klar, wer von beiden Teams als Sieger vom Platz geht. Angelika Linke zeigt anhand von Siegerfotos aus verschiedenen Jahrzehnten, dass die Körper und ihre Gesten, sosehr diese als spontane Gefühlsausdrücke erscheinen mögen, auf historisch variable Weise als Zeichen genutzt werden und somit auch auf sich wandelnde kulturelle Konzepte etwa von Leistung verweisen.

In den Nachberichten kommen endlich auch einmal die Spieler:innen zu Wort. Antje Wilton untersucht das Medienritual der Post Match Interviews, jenen zumeist allzu vorhersehbaren kurzen Gesprächen mit den verschwitzten Spieler:innen am Spielfeldrand. Sie zeigt, welche Fragetechniken Journalist:innen nutzen und was passiert, wenn ein Spieler das Spiel nicht mitspielt und die Fragen als „Scheißfragen“ zurückweist. Versatzstücke aus diesen Interviews können berühmt werden, besonders dann, wenn sich die Spieler:innen versprechen. Stefan Hauser sichtet berühmte Versprecher und zeigt, wie man sie psycholinguistisch erklären kann und wie man damit auch die wegen ihrer Versprecher oft vorschnell als hohl verschrienen Spieler entlasten kann. Den Band beschließt Konstanze Marx, die gleichsam als Gegenstück zu Linkes Analyse der Siegergesten untersucht, wie die deutschen Nationalspielerinnen nach ihrem überraschenden Vorrunden-Aus ihrer Enttäuschung auf Instagram Ausdruck verleihen und tröstende Worte ihrer Fans entgegennehmen. Die Sozialen Medien werden zu einer Bühne, auf der Werte und Wertorientierungen gemeinsam sprachlich ausgedrückt und verhandelt werden.

Wer sich am Ende der Fußball-Europameisterschaft der Männer mit Siegergesten fotografieren lassen darf und wer stattdessen auf Instagram Trost suchen muss; welcher Torhüter dem Turnier den Stempel aufdrücken wird und welcher in seinem Club als Fehleinkauf gehandelte Spieler im Nationaltrikot vielleicht doch überzeugen kann; ob ein Mbappé wieder einmal mit seinen Sahnepässen glänzen wird, ob Österreich womöglich Frankreich bezwingen und für ein neues Córdoba sorgen wird; wie sich derweil Luxemburg die Zeit vertreibt, nachdem es sich erneut nicht qualifizieren konnte; ob die Fans in den Stadien Gelegenheit zum Protest gegen die UEFA und ihre Machenschaften finden werden; welche Stilblüten die Spieler in den Interviews raushauen werden und welche Social Media Plattform sich für die Second Screen Aktivitäten etablieren wird, nachdem X, ehemals Twitter, als zunehmend von Rechten gekaperte Plattform keine Option mehr ist – das alles wird sich ebenso zeigen wie die Antwort auf die Frage, ob die Fußball-EM der Männer in den Medien auch als solche bezeichnet wird, oder ob sie immer noch als „die“ Fußball-EM den Alleinvertretungsanspruch haben darf.

Derweil mögen sich alle, die sich für die sprachliche Seite dieser Fragen interessieren, mit dem vorliegenden Buch, mit dieser kleinen Linguistik des Fußballs die Zeit vertreiben. Ich hoffe, es bereitet Spaß. Und dieser ist zum Glück auch unabhängig von den Spielergebnissen – egal zu welcher Mannschaft man hält.

Dresden, im April 2024

Simon Meier-Vieracker

Biermann, Christoph. 2018. Matchplan: Die neue Fußballmatrix. Köln: Kiepenheuer & Witsch.

Burkhardt, Armin. 2022. Wörterbuch der Fußballsprache: Von Abblocken bis Zweitligist. 2. Auflage. Hildesheim: Arete Verlag.

Gebauer, Gunter. 2016. Das Leben in 90 Minuten: Eine Philosophie des Fußballs. München: Pantheon.

Küster, Rainer. 2009. Metaphern in der Sportsprache. In Armin Burkhardt & Peter Schlobinski (eds.), Flickflack, Foul und Tsukahara: Der Sport und seine Sprache, 60–79. Mannheim: Dudenverlag.

Leischwitz, Christoph. 2020. Die Wissenschaft des Fußballs: Von der Physik der Bananenflanke bis zur Biologie des Rasens. München: Riva.

Meier-Vieracker, Simon. 2024. Sprache ist, was du draus machst. Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden. München: Droemer.

VORBERICHTE

Fußball und Frauenfußball? (Bezeichnungs-)Ungleichheiten im Fußball

Karina Frick

Als Unterstützerin der italienischen (Männer-)Nationalmannschaft musste ich mein Fantum früher stets legitimieren – und zwar nicht aufgrund der von mir als unterstützenswert auserwählten Nation (als Liechtensteinerin ergibt sich die Gelegenheit, die Geburtsnation anzufeuern, leider nur selten), sondern vielmehr aufgrund meines eigenen Geschlechts: weibliche Fußballfans? Ich soll doch bitte zunächst alle Spieler [sic] der Nationalmannschaft aufzählen und die Abseitsregel erklären, erst dann ist frau offenbar des Fantums würdig (vgl. dazu auch Meuser 2017: 185 sowie Sülzle 2011: 225). Auch wenn mein eigenes Fantum nun schon lange nicht mehr auf die Probe oder in Frage gestellt wurde, ist Fußball-Fankultur, insbesondere abseits der großen Turniere, noch immer sehr stark männlich geprägt und kodiert, während „Frauen* als Fußballinteressierte nahezu unsichtbar bleiben“ (Küppers 2018: 88; vgl. dazu auch Meier-Vieracker 2022; Meuser 2017; Claus & Gabler 2017; Dezort 2014; Sülzle 2011). Aber nicht nur das Interesse am Sport, sondern auch dessen Ausübung durch Frauen*1 ist nach wie vor von großen Ungleichheiten in der Bewertung und Wahrnehmung geprägt, was auf eine jahrzehntelange, systematische und institutionelle Unterdrückung des Frauenfußballs zugunsten der Förderung des Männerfußballs zurückzuführen ist (vgl. Dezort 2014: 120). An der diesjährigen Weltmeisterschaft wurde einmal mehr deutlich, wie weitreichend und tiefgreifend das Sexismusproblem im (Frauen-)Fußball ist (vgl. dazu auch Meuser 2017: 185 sowie Sülzle 2011: 223–228), als das Ende des Turniers von einem Kussskandal überschattet wurde, der letztlich ein größeres mediales Echo auslöste als die beeindruckende Leistung des siegreichen spanischen Teams.

Diese Ungleichheiten manifestieren sich auch und im Besonderen, und das ist das zentrale Thema dieses Beitrags, auf der sprachlichen Ebene: Wenn beispielsweise von Fußball die Rede ist, wird damit in aller Regel auf von Männern* gespielten Fußball Bezug genommen und werden vermutlich erstmal vorwiegend heteronormativ-männliche Bilder aufgerufen, während Frauenfußball meistens durch das Determinativkompositum sprachlich explizit als solcher ausgezeichnet wird (ebenso in: ‚Nationalmannschaft‘ vs. ‚Frauen-Nationalmannschaft‘). Auch bei den offiziellen Bezeichnungen wichtiger Turniere werden die Frauen* in Form eines Genitivattributs zum ‚Anhängsel‘ gemacht: Während Männer* in der ‚Fußball-Europameisterschaft‘ (UEFA Euro) gegeneinander antreten, messen sich Frauen* in der ‚Fußball-Europameisterschaft der Frauen‘ (UEFA Women’s Euro). Mit solchen Bezeichnungsungleichheiten geht nicht nur eine Abwertung – im Sinne einer sprachlichen Markierung des von der Norm abweichenden – einher, sondern darin spiegeln sich gleichsam weitere Formen der Ungleichbehandlung, beispielsweise, was das Prestige des Sports oder die Bezahlung der Spielerinnen anbelangt. Die deutsche Nationaltorhüterin Almuth Schult hat diesen Umstand vor der Europameisterschaft 2022 öffentlich kritisiert und damit eine mediale Debatte ausgelöst. Die FAZ titelte im Juli 2022 „Schluss mit Frauenfußball“2 und die Welt stellte die titelgebende Frage „Warum heißt es Frauenfußball, aber nicht Männerfußball?“3. Unter anderem dieser Frage geht auch der vorliegende Beitrag nach, indem mediale Diskurse zu (Bezeichnungs-)Ungleichheiten in den Bewertungen von bzw. Positionierungen gegenüber von Frauen* gespieltem Fußball in den Blick genommen werden. Ich stütze mich dabei vorwiegend auf Medienberichte aus Deutschland und der Schweiz, die aus den letzten beiden Jahren stammen (und damit die Europa- und Weltmeisterschaft einschließen). Weitere Beispiele aus sozialen Medien werden schlaglichtartig hinzugezogen.

Bezeichnungsungleichheit: Warum heißt es nicht Männerfußball?

Zunächst möchte ich den Begriff ‚Männerfußball‘ kurz umreißen, da dieser, wie Meier-Vieracker (2018) aufzeigt, mindestens zwei verschiedene Lesarten aufweist: „[Z]unächst mal dient die Bezeichnung ‚Männerfußball‘ der eindeutigen Bezugnahme“ in Abgrenzung zum Frauenfußball, oft in kontrastierender Thematisierung. Die zweite Deutung betrifft nicht die geschlechtsbezogene Kategorisierung der spielenden Personen, sondern „eine bestimmte Spielweise“ im Sinne einer bewertenden Stellungnahme des gespielten oder zu spielenden Fußballs. Männerfußball in diesem Sinn zeichnet sich durch als typisch männlich gelesene Attribute wie ‚Härte‘ oder ‚Kampfgeist‘ aus. Auf diese zweite Lesart werde ich im zweiten Teil meines Textes eingehen, zunächst widme ich mich aber der kontrastierenden Thematisierung durch die spezifizierenden Determinativkomposita, wobei – wie einleitend erwähnt – das Determinativkompositum vorwiegend bei von Frauen* gespieltem Fußball zum Einsatz kommt, während von Männern* gespielter Fußball quasi den unmarkierten (und deswegen sprachlich nicht zu markierenden) Fall darstellt und daher nicht näher spezifiziert werden muss (vgl. dazu auch Meier-Vieracker 2018). Dazu möchte ich gleich eine erste Beobachtung in punkto (sprachlicher) Ungleichheit erwähnen, die mir während des Schreibens dieses Beitrags aufgefallen ist: Als Schweizerin ist mir die Verwendung des Eszett nicht geläufig, ich schreibe deshalb alle Wörter erstmal mit Doppel-s und übernehme anschließend die entsprechenden Korrekturvorschläge des Textverarbeitungsprogramms – so auch beim Wort Fußball. Bei den Kompositaschreibungen ergibt sich dabei folgende Situation:

Abb. 1: Keine Vorschläge gefunden

Während es für das Kompositum ‚Frauenfußball‘ einen Korrekturvorschlag für die bundesdeutsche Variante mit dem Eszett gibt, ist das bei ‚Männerfußball‘ nicht der Fall: Diesen Begriff scheint die Rechtschreibsoftware nicht zu (er)kennen.4 Das mag zwar ein Detail, aber sicher kein Zufall sein – und abgesehen davon, dass es für meinen Schreibprozess ziemlich mühsam ist, widerspiegelt sich darin letztlich die angesprochene Ungleichheit in der Bezeichnung: Männer* spielen Fußball, Frauen* spielen Frauenfußball. Der Vollständigkeit halber muss jedoch hinzugefügt werden, dass der Duden online beide Varianten verzeichnet, wenn auch das Wort ‚Frauenfußball‘ gemäß den dortigen Angaben eine höhere Gebrauchsfrequenz aufweist. Das zeigt sich indes auch an den DWDS-Verlaufskurven:5

Abb. 2: DWDS-Verlaufskurve für ‚Frauenfußball‘

Abb. 3: DWDS-Verlaufskurve für ‚Männerfußball‘

Die zwei Kurven sehen sich zwar auf den ersten Blick ähnlich, bei beiden ist ein deutlicher Anstieg im neuen Jahrtausend, insbesondere seit den 2010er-Jahren zu verzeichnen. Dieser erste Eindruck täuscht jedoch mit Blick auf die absoluten Zahlen, wie sie auf der y-Achse erfasst sind: Der Begriff ‚Frauenfußball‘ benötigt eine Skala bis 10‘000, mit einem Peak im Jahr 2011 (damals fand die Weltmeisterschaft in Deutschland statt), in dem es 9081 Nennungen gibt und einer zweiten Spitze im Jahr 2022 (ein Europameisterschaftsjahr), die aber nur noch 4871 Nennungen erreicht. Die Achse beim Männerfußball reicht hingegen überhaupt nur bis 700, der höchste Punkt ist mit 647 Nennungen im Jahr 2023 zu verzeichnen, die zweithöchste im Weltmeisterschaftsjahr 2011 mit 634. Daran zeigt sich erstens, dass das Turnier in Deutschland dem von Frauen* gespielten Fußball große Aufmerksamkeit verschaffte (vgl. dazu auch Dezort 2014: 119), während der Begriff zuvor nur selten zur Anwendung kam, obwohl er seit den 1970er-Jahren in der Presse Verwendung findet (vgl. Meier-Vieracker 2024: 44). Zweitens wird deutlich, dass die Bezeichnung ‚Frauenfußball‘ im zeitlichen Verlauf tendenziell seltener gebraucht wird, während sich beim Begriff ‚Männerfußball‘, der übrigens erst 1992 geprägt wurde (vgl. Meier-Vieracker 2024), tendenziell eine Zunahme abzeichnet. Auch wenn die Zahlen noch immer sehr weit voneinander entfernt sind und diese Entwicklung im alltäglichen Sprachgebrauch oder auch in der Wahrnehmung der Sprachbenutzer:innen vermutlich (noch) kaum nachzuverfolgen ist, so lässt sich an den Kurven doch wenigstens ablesen, dass in den Medien vermehrt über diese Bezeichnungsungleichheit reflektiert wird – ganz im Sinne der Forderung von Almuth Schult. Offen bleibt indes die Frage, ob die Entwicklung in Richtung einer Bedeutungserweiterung von ‚Fußball‘ geht, sodass damit Teams beider Geschlechter gleichermaßen gemeint sind (wie es der oben zitierte FAZ-Artikel vorschlägt oder beispielsweise in Schweden schon seit längerem der Fall ist), oder ob vermehrt auch bei männlichen Teams das Determinativkompositum zum Einsatz kommen wird (wie es die ‚Welt‘ vorschlägt), und zwar auch in nichtkontrastierender Funktion. Letzteres könnte sich allerdings aufgrund der mit den Begriffen verbundenen Konnotationen als problematisch erweisen, wie ich weiter unten nochmal genauer zeigen werde.

Dieser sich zögerlich andeutenden Entwicklung steht einerseits die offizielle Sprachregelung der Verbände und der Europäischen Fußball-Union entgegen. Kritik daran kommt etwa in der einleitend erwähnten Forderung der deutschen National-Keeperin nach einer neuen Sprachregelung zum Ausdruck, die Ende Juni 2022 in zahlreichen Medien aufgegriffen wurde:

Nationaltorhüterin Almuth Schult hat die großen Fußball-Verbände aufgefordert, für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Die offizielle Unterscheidung zwischen Fußball und Frauenfußball sei eine Abwertung. (NDR, 27-06-2022)

Andererseits hat sich, wie es im Artikel weiter heißt, der Begriff längst – auch als Selbstbezeichnung vieler Spielerinnen – etabliert, entsprechend ist er auch im alltäglichen (im Gegensatz zum massenmedialen) Sprachgebrauch viel stärker verankert als ‚Männerfußball‘. Das Bewusstsein um die damit einhergehende Abwertung dürfte unterschiedlich stark ausgeprägt sein, mitgetragen oder auch gezielt eingesetzt werden – dass aber durch die begriffliche Auszeichnung Frauenfußball als sich vom ‚normalen‘, nicht zusätzlich spezifizierten Fußball unterscheidende Form des Spiels markiert wird, ist nicht zu bestreiten. Das anerkennt auch die FAZ, nur um die damit aufgerufenen Vorurteile anschließend selbst zu bekräftigen:

Und ja, das Spiel der Frauen mag im Vergleich zu den Männern nicht so dynamisch, nicht so schnell, nicht so kraftvoll sein. Aber ist es deswegen schlechter? Brauchen wir diesen Vergleich überhaupt, zwischen dem einen und dem anderen? (FAZ, 07-07-2022)

Wie stark solche Bewertungen fußballerischer Leistungen von Gendervorurteilen geprägt – und eben nicht auf irgendwie objektiv messbare Parameter zurückzuführen – sind, hat kürzlich eine experimentelle Studie der Universität Zürich aufgezeigt, in der 613 Studienteilnehmende sich verschiedene Torszenen aus dem Spitzenfußball angesehen und diese bewertet haben.6 Die Ergebnisse waren deutlich: Nur wenn die Proband:innen das Geschlecht der spielenden Person identifizieren konnten, wurde der Männerfußball signifikant besser bewertet; wurden die Spieler:innen verpixelt, verschwanden die Unterschiede zwischen den Bewertungen. Von Frauen* gespielter Fußball ist also entgegen immer noch vorherrschender gängiger Meinungen keineswegs qualitativ schlechter als der von Männern* gespielte (mal abgesehen von Defiziten, die der verspäteten und teils aktiv verhinderten Professionalisierung geschuldet sind) – er ist aber von geschlechtsspezifischen stereotypen Zuschreibungen geprägt, die ich im Folgenden noch etwas genauer betrachten möchte.

Fußball ist ein Männersport!

In diesem Sinne werde ich nun wie angekündigt noch auf die zweite Lesart von Männerfußball eingehen, der man sich bei der Beschäftigung mit diesem Thema kaum entziehen kann und in der sich letztlich die ganze „Unerträglichkeit der Rede von ‚Männerfußball‘“ (Meier-Vieracker 2018) manifestiert. Eine kürzlich publizierte Zitat-Schlagzeile aus dem Schweizer Boulevard-Blatt ‚Blick‘ veranschaulicht diese Konzeptualisierung:

Abb. 4: Schlagzeile vom 27.11.2023 im Schweizer Boulevard-Blatt ‚Blick‘

Abgesehen vom deutlichen Clickbait-Charakter dieser Schlagzeile – das Zitat spielt eine untergeordnete Rolle im gesamten Artikel und widerspiegelt lediglich eine (Außenseiter-)Position zum thematisierten Foul – kann man daran ablesen, welche Eigenschaften sogenanntem ‚Männersport‘ im Gegensatz zu als nichtmännlich bewerteten Sportarten wie Schach zugeschrieben werden: „Bezogen auf die Sportler selbst gelten etwa körperliche Härte und Disziplin als besonders männliche und zugleich geforderte Spielweisen“ (Meier-Vieracker 2022: 249). Damit werden letzten Endes heteronormative Männlichkeitsvorstellungen reproduziert (vgl. ebd.: 251), die als Bewertungsfolie für Negativzuschreibungen für von Frauen* gespielten Fußball dienen – bspw. durch die Degradierung eines Spielers, der unter „Effeminierungsverdacht“ gestellt und von dem im Zuge dessen behauptet wird, „er spiele wie eine Frau oder ein Mädchen“ (Meuser 2017: 183) als „eine der schlimmsten Herabsetzungen für einen Spieler“ (Sülzle 2011: 225). Diese Abwertungsressource wird dabei quasi metonymisch von den Spielern auf die Fans übertragen, indem das Absprechen von Männlichkeit resp. die damit einhergehende Zuschreibung weiblicher Attribute – übrigens häufig in Kombination mit Homophobie – zu den zentralen Topoi der Beschimpfungskultur von Fußballfans gehört und so zum „hegemoniale[n] Maßstab“ der Zugehörigkeit wird (vgl. Meier-Vieracker 2022: 248).

Diese mit Stärke und Härte konnotierte, heterosexuell-hegemoniale Lesart von ‚Männerfußball‘ als Ausgangspunkt wirkt sich zwangsläufig auf das Bedeutungsspektrum von ‚Frauenfußball‘ als (auch historisch bedingtes) quasi sekundäres, nachgeordnetes Phänomen aus, wobei das kontrastive Moment gerade das Fehlen dieser für Männerfußball typischen Eigenschaften impliziert: Wenn Männerfußball ‚hart‘, ‚körperbetont‘ und ‚stark‘ ist, kann Frauenfußball das nicht im gleichen Masse sein. Auf diese mehr oder weniger explizit gemachte Annahme wird unterschiedlich reagiert: Einerseits wird ex negativo gerade das Fehlen der für Männerfußball typischen Merkmale positiv (um)gedeutet, von Frauen* gespielter Fußball zeichnet sich dann beispielsweise zwar durch „Kraft“ (nicht aber Stärke!) aus, er ist aber auch „verspielt“ und „elegant“:

Doch dann passierte etwas. Die Frauen foulten seltener, sie spuckten nicht, sie hatten Kraft, sie spielten verspielt und elegant. Die Siegerinnen zeigten ihre Freude nicht überschwänglich, das fand ich cool, gerade, weil man von den Frauen das Gegenteil erwartet: Gefühle natürlich.

Sie rannten, wirbelten, sprangen hoch, fielen hin, standen auf. Beim dritten Treffer schob eine Engländerin den Ball mit der Ferse ins Tor. Wer braucht da noch Männerfussball? (NZZ-Kolumne, 29-07-2022)

Dieser – meines Erachtens ziemlich ungelenke – Versuch einer positiven Begriffsbesetzung zementiert letzten Endes die stereotypen Zuordnungen: Männer* kämpfen entschlossen und mit allen ihnen körperlich zur Verfügung stehenden Mitteln, Frauen* wirbeln verspielt über das Feld. Und weil die starken Emotionen bereits für den ‚echten‘ Männerfußball reserviert sind (vgl. Meuser 2017: 181f.), zeigen die Siegerinnen ihre Freude auch nicht überschwänglich, sondern halten sich zurück, was für sie als gefühlsgeleitete Wesen ganz untypisch ist (aber das sind Emotionen bei Männern* ja auch: Die Verhältnisse kehren sich also im Fußball einfach um).

Andererseits werden die mit dem Männerfußball verknüpften Eigenschaften auch für den Frauenfußball reklamiert, um damit letztlich eine ‚Vermännlichung‘ im Sinne einer gesteigerten Wertschätzung in der Wahrnehmung des Frauenfußballs anzustreben; dies geschieht häufig in Form von rechtfertigenden oder verteidigenden Aussagen, wie es die folgenden Ausschnitte exemplarisch illustrieren:

Und er bot allerbeste Werbung dafür, wie attraktiv und kurzweilig der Frauenfussball auch in der Schweiz sein kann. (NZZ, 07-06-22)

Aber auch damit, dass eine breite Masse erkennt, dass die jahrelang mal mehr, mal weniger offensiv ausgesprochenen chauvinistischen Vorurteile einfach nicht stimmen: dass der Fussball weniger attraktiv sei, qualitativ schlechter. Das hat die Euro eindrücklich widerlegt, eine Vielzahl der Partien war hochstehend, mit Duellen, die mit offenem Visier geführt wurden (NZZ, 02-08-2022)

Es macht Freude, Frauenfussball zu schauen. Die Qualität stimmt, der Unterhaltungswert ist gross, das hat der diesjährige Champions-League-Final in Eindhoven gezeigt (Blick, 15-07-2023)

Die Attraktivität und die Qualität des von Frauen* gespielten Fußballs scheint immer noch explizit thematisiert und verteidigt werden zu müssen; das zeugt davon, wie hartnäckig sich solche herabsetzenden Annahmen halten (auch wenn sie in Studien widerlegt wurden, siehe oben). Auch der nachfolgend abgebildete Instagram-Post des ARD-Accounts verdeutlicht diesen Umstand:

Abb. 5: Frauenfußball ist echt, spaßig und leidenschaftlich

Die hier zitierte deutsche Fußballnationalspielerin Alexandra Popp betont die ‚Echtheit‘ von Frauenfußball (im Bild zusätzlich markiert durch die Großschreibung und die farbliche Markierung)7 und demonstriert diese anhand der Werte ‚Authentizität‘ (in gewisser Weise eine Doppelung der ‚Echtheit‘, was die Notwendigkeit ihrer Betonung offenkundig macht), (extreme) ‚Leidenschaft‘ und ‚Spaß‘. Inwiefern diese letzte Zuschreibung auch im Männerfußball eine entscheidende Rolle spielt, ist angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der teilweise in den Fan(sub)kulturen agiert wird (vgl. Meuser 2008), fraglich; der Post verdeutlicht aber, dass es neben der offensichtlich immer noch bestehenden Notwendigkeit zur Legitimierung von Frauenfußball als ‚echtem‘ Fußball die Anlehnung an männlich gelesene Werte ist, die diesen Zweck letztlich am besten zu erfüllen vermag.

Mit diesen Vermännlichungsstrategien einher gehen letztlich auch prototypische und weit verbreitete Vorstellungen von lesbischen und/oder burschikosen Fußballerinnen (vgl. Schöndorfer 2014: 105). Kompliziert – und interessant – wird es deshalb immer dann, wenn diese prototypischen Zuschreibungen nicht mehr funktionieren. Das möchte ich zum Abschluss gerne an dem Beispiel der Schweizer Nationalspielerin Alisha Lehmann illustrieren, die auf Instagram 16.3 Millionen und damit mehr als fünfmal so viele Follower:innen als der Captain des schweizerischen Männer-Nationalteams Granit Xhaka aufweist (dieser hat 3.1 Millionen Follower:innen, Stand Dezember 2023). Diese Popularität ihrer Person, die mit ihrem Aussehen begründet wird, lässt sich für viele nicht mit ihrer Aufgabe als Fußballprofi zusammenbringen, wie die folgenden Kommentare zu einem Watson-Artikel, der sich mit Lehmanns Rückkehr in die Nationalmannschaft und ihren Instagram-Follow:innerzahlen befasst, zeigen:

Das ist jetzt eine ganz ernste Frage, kann diese Dame auch Fussball spielen? Ich lese nur immer von ihren Instagram Aktivitäten und sehe mer nackte Haut als Fussball Utensilien. (Kommentar watson.ch, 01-02-2023).

Ich tippe auf extreme Unsicherheit bezüglich sich selbst (also das Gegenteil von Selbstvertrauen). Schau dir das Titelbild an: Links und rechts sitzen zwei Damen, in natura, ungeschminkt. Diese strahlen mehr Selbstsicherheit aus, als die finanziell erfolgreiche Frau Lehmann. Warum muss man auf dem Fussballplatz gestylt sein wie auf dem Model-Laufsteg? Ich bin sicher, Alisha Lehmann wäre ohne 2 kg Make-Up-Maske und ohne gemachte (sind die gezeichnet oder sogar tättowiert?) Augenbrauen eine wirklich schöne Frau (Kommentar watson.ch, 02-02-2023).

Ich habe immer gehofft, dass Frauenfussball mehr Aufmerksamkeit bekommt. Aber nicht so. Die hat mehr Follower als Marta Silva. Stimmt mich schon traurig. (Kommentar watson.ch 01-02-2023)

Abgesehen davon, dass der Artikel an sich tendenziös ist, indem er die Kombination ‚Fußballerin und Influencerin‘ als bemerkenswert herausstellt, wird deutlich, dass die Kommentierenden hier vermeintlich unvereinbare Dissonanzen relevant setzen, die bei männlichen Fußballprofis in dieser Form nicht oder kaum je thematisiert werden; so sind ja auch zahlreiche Fußballprofis auf Instagram in ganz ähnlicher und nicht weniger finanziell ertragreicher Weise aktiv (z. B. Cristiano Ronaldo). Bei Fußballerinnen scheint das aber ein Problem zu sein: Diese können nicht gleichzeitig in einem ‚Männersport‘ erfolgreich sein (das setzt ja gerade die oben beschriebene ‚Vermännlichung‘ voraus) und ihr weiblich gelesenes Aussehen – das bei Alisha Lehman ja insbesondere auch an ihrer als zu exzessiv bewerteten Vorliebe für Makeup und Styling festgemacht wird – vermarkten. Dass Fußballerinnen sich für ihr Aussehen und ihre Styling-Präferenzen rechtfertigen müssen, ist letztlich ein weiteres Spiegelbild für den tief und auf allen Ebenen verankerten Sexismus im Fußball; und solange geschlechtsbezogene Informationen sich so stark auf die Wahrnehmung von Leistung auswirken – die ohne diese Information ganz anders bewertet wird – sind die in diesem Beitrag nur andeutungsweise aufgezeigten Ungleichheiten im Fußball kaum zu überwinden.

Claus, Robert & Jonas Gabler. 2017. Sprache und Kommunikation in Fußballfangruppen. In Eva Neuland & Peter Schlobinski (eds.), Handbuch Sprache in sozialen Gruppen, 370–384. Berlin, Boston: De Gruyter.

Dezort, Philipp. 2014. Fankulturen des Männer- und des Frauenfußballs: Qualitative Unterschiede und mögliche historische Ursachen. In Jonas Bens, Susanne Kleinfeld & Karoline Noack (eds.), Fußball. Macht. Politik, 119–142. Bielefeld: transcript.

Küppers, Carolin. 2018. Die mediale Konstruktion von Männlichkeit und Heteronormativität zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. In Martin K.W. Schweer (ed.), Sexismus und Homophobie im Sport, 85–104. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Meier-Vieracker. 2018. „Männerfußball“. Fußballlinguistik. https://fussballlinguistik.de/2018/06/maennerfussball/ (20.12.2023).

Meier-Vieracker, Simon. 2022. Zwischen Gay Pride und archaischer Männlichkeit. Linguistische Perspektiven auf Diversität unter Fußballfans. Jahrbuch des Russischen Germanistenverbandes 19. 246–262. https://doi.org/10.47388/2782-2605/lunn2022-19-246-262.

Meier-Vieracker, Simon. 2024. Sprache ist, was du draus machst! Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden. München: Droemer Knaur.

Meuser, Michael. 2008. It’s a Men’s World. Ernste Spiele männlicher Vergemeinschaftung. In Gabriele Klein & Michael Meuser (eds.), Ernste Spiele, 113–134. Bielefeld: transcript Verlag.

Meuser, Michael. 2017. Fußballfans: Inszenierungen außeralltäglicher Männlichkeit. In Gabriele Sobiech & Sandra Günter (eds.), Sport & Gender – (inter)nationale sportsoziologische Geschlechterforschung, 179–192. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Schöndorfer, Simone. 2014. Fußball ist nicht gleich Fußball: Ein Sport. Zwei Geschlechter. Unzählige mediale Berichterstattungsdifferenzen. In Jonas Bens, Susanne Kleinfeld & Karoline Noack (eds.), Fußball. Macht. Politik, 101–118. Bielefeld: transcript.

Sülzle, Almut. 2011. Fußball, Frauen, Männlichkeiten: eine ethnographische Studie im Fanblock. Frankfurt, New York: Campus Verlag.

1Ich schließe mich hier Küppers (2018: 85) an, die den Asterisk an (im medialen Diskurs häufig einseitig) vergeschlechtlichte Begriffe anhängt, „um die geschlechtliche Adressierung kenntlich zu machen, ohne diese zu reifizieren.“

2Siehe https://www.faz.net/aktuell/sport/frauenfussball-em/fussball-em-wieso-das-wort-frauenfussball-abgeschafft-werden-sollte-18154189.html <25.03.2024>

3Siehe https://www.welt.de/sport/fussball/article239588591/Geschlechter-Debatte-Warum-heisst-es-Frauenfussball-aber-nicht-Maennerfussball.html <25.03.2024>

4Bei der Spracheinstellung ‚Deutsch (Schweiz)’ sind interessanterweise beide Varianten unmarkiert, werden also nicht als korrekturbedürftig angezeigt.

5Einen lexikalischen Eintrag gibt es aber für Männerfußball im DWDS nicht, dort heißt es stattdessen: „Es tut uns leid, Ihre Anfrage Männerfußball ist nicht in unseren gegenwartssprachlichen lexikalischen Quellen vorhanden.“ (siehe https://www.dwds.de/?q=M%C3%A4nnerfu%C3%9Fball&from=wb <25.03.2024>).

6https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2023/Frauenfussball.html <25.03.2024>

7Die Farbgebung dürfte hier allerdings nicht zufällig einen Kontrast zu den darin vermittelten Inhalten eröffnen, da es sich um eine tendenziell weiblich konnotierte Farbe handelt.

Torhüter in Texten und Medien. Eine Annäherung

Thomas Gloning