Reisebilder. Erster Teil - Heinrich Heine - E-Book

Reisebilder. Erster Teil E-Book

Heinrich Heine

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Beschreibung

Heinrich Heines "Reisebilder" sind aus der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken: Er entführt den Leser mit seinen Reiseberichten, die sowohl Lyrik als auch Prosa auf damals neuartige Weise verbanden, von der Nordsee über den Harz bis nach Italien und England. Dabei beschreibt er nicht nur Orte, Sehenswürdigkeiten und Landschaften, sondern notiert auch Gedanken, kritisiert und berichtet oftmals satirisch über Begebenheiten. -

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Heinrich Heine

Reisebilder. Erster Teil

 

Saga

Reisebilder. Erster Teil Die Heimkehr, Die Nordsee, Die HarzreiseCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1826, 2020 Heinrich Heine und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726539356

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Die Heimkehr

1 In mein gar zu dunkles Leben

strahlte einst ein süsses Bild;

nun das süsse Bild erblichen,

bin ich gänzlich nachtumhüllt.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln,

wird beklommen ihr Gemüt,

und um ihre Angst zu bannen,

singen sie ein lautes Lied.

Ich, ein tolles Kind, ich singe

jetzo in der Dunkelheit;

klingt das Lied auch nicht ergötzlich,

machts mich doch von Angst befreit.

2 Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,

dass ich so traurig bin;

ein Märchen aus alten Zeiten,

das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt

und ruhig fliesst der Rhein,

der Gipfel des Berges funkelt

im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet

dort oben wunderbar,

ihr goldnes Geschmeide blitzet,

sie kämmt ihr gold’nes Haar.

Sie kämmt es mit gold’nem Kamme,

und singt ein Lied dabei;

das hat eine wundersame,

gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe

ergreift es mit wildem Weh;

er schaut nicht die Felsenriffe,

er schaut nur hinauf in die Höh.

Ich glaube, die Wellen verschlingen

am Ende Schiffer und Kahn;

und das hat mit ihrem Singen

die Lorelei getan.

3 Mein Herz, mein Herz ist traurig,

doch lustig leuchtet der Mai;

ich stehe, gelehnt an der Linde,

hoch auf der alten Bastei.

Da drunten fliesst der blaue

Stadtgraben in stiller Ruh;

ein Knabe fährt im Kahne,

und angelt und pfeift dazu.

Jenseits erheben sich freundlich,

in winziger, bunter Gestalt,

Lusthäuser, und Gärten, und Menschen,

und Ochsen, und Wiesen, und Wald.

Die Mädchen bleichen Wäsche,

und springen im Gras herum;

das Mühlrad stäubt Diamanten,

ich höre sein fernes Gesumm.

Am alten grauen Turme

ein Schilderhäuschen steht;

ein rotgeröckter Bursche

dort auf und nieder geht,

Er spielt mit seiner Flinte,

die funkelt im Sonnenrot,

er präsentiert und schultert —

ich wollt, er schösse mich tot.

4 Im Walde wandl ich und weine,

die Drossel sitzt in der Höh;

sie springt und singt gar feine:

Warum ist dir so weh?

„Die Schwalben, deine Schwestern,

die könnens dir sagen, mein Kind,

sie wohnten in klugen Nestern,

wo Liebchens Fenster sind.“

5. Die Nacht ist feucht und stürmisch,

der Himmel sternenleer;

im Wald, unter rauschenden Bäumen,

wandle ich schweigend einher.

Es flimmert fern ein Lichtchen

aus dem einsamen Jägerhaus;

es soll mich nicht hin verlocken,

dort sieht es verdriesslich aus.

Die blinde Grossmutter sitzt ja

im ledernen Lehnstuhl dort,

unheimlich und starr, wie ein Steinbild,

und spricht kein einziges Wort.

Fluchend geht auf und nieder

des Försters rotköpfiger Sohn,

und wirft an die Wand die Büchse,

und lacht vor Wut und Hohn.

Die schöne Spinnerin weinet

und feuchtet mit Tränen den Flachs;

wimmernd zu ihren Füssen

schmiegt sich des Vaters Dachs.

6. Als ich, auf der Reise, zufällig

meines Liebchens Familie fand,

Schwesterchen, Vater und Mutter,

sie haben mich freudig erkannt.

Sie fragten nach meinem Befinden,

und sagten selber sogleich:

ich hätte mich gar nicht verändert,

nur mein Gesicht sei bleich.

Ich fragte nach Muhmen und Basen,

nach manchem langweilgen Geselln,

und nach dem kleinen Hündchen,

mit seinem sanften Belln.

Auch nach der vermählten Geliebten

fragte ich nebenbei;

und freundlich gab man zur Antwort,

dass sie in den Wochen sei.

Und freundlich gratuliert ich,

und lispelte liebevoll,

dass man sie von mir recht herzlich

viel tausendmal grüssen soll.

Schwesterchen rief dazwischen:

Das Hündchen, sanft und klein,

ist gross und toll geworden,

und ward ertränkt, im Rhein.

Die Kleine gleicht der Geliebten,

besonders wenn sie lacht;

sie hat dieselben Augen,

die mich so elend gemacht.

7 Wir sassen am Fischerhause,

und schauten nach der See;

die Abendnebel kamen,

und stiegen in die Höh.

Im Leuchtturm wurden die Lichter

allmählich angesteckt,

und in der weiten Ferne

ward noch ein Schiff entdeckt.

Wir sprachen von Sturm und Schiffbruch,

vom Seemann, und wie er lebt,

und zwischen Himmel und Wasser,

und Angst und Freude schwebt.

Wir sprachen von fernen Küsten,

vom Süden und vom Nord,

und von den seltsamen Menschen

und seltsamen Sitten dort.

Am Ganges duftets und leuchtets,

und Riesenbäume blühn,

und schöne, stille Menschen

vor Lotusblumen knien.

In Lappland find schmutzige Leute,

plattköpfig, breitmäulig und klein;

sie kauern ums Feuer, und backen

sich Fische, und quäken und schrein.

Die Mädchen horchten ernsthaft,

und endlich sprach Niemand mehr;

das Schiff war nicht mehr sichtbar,

es dunkelte gar zu sehr.

8 Du schönes Fischermädchen,

treibe den Kahn ans Land;

komm zu mir und setze dich nieder,

wir kosen Hand in Hand.

Leg an mein Herz dein Köpfchen,

und fürchte dich nicht zu sehr,

vertraust du dich doch sorglos

täglich dem wilden Meer.

Mein Herz gleicht ganz dem Meere,

hat Sturm und Ebb und Flut,

und manche schöne Perle

in seiner Tiefe ruht.

9 Der Mond ist aufgegangen

und überstrahlt die Welln;

ich halte mein Liebchen umfangen,

und unsre Herzen schwelln.

Im Arm des holden Kindes

ruh ich allein am Strand; —

was horchst du beim Rauschen des Windes?

Was zuckt deine weisse Hand?

„Das ist kein Rauschen des Windes,

das ist der Seejungfern Gesang,

und meine Schwestern sind es,

die einst das Meer verschlang.“

Auf den Wolken ruht der Mond,

eine Riesenpomeranze,

überstrahlt das graue Meer,

breiten Streifs, mit goldnem Glanze.

Einsam wandl ich an dem Strand,

wo die weissen Wellen brechen,

und ich hör viel süsses Wort,

süsses Wort im Wasser sprechen.

Ach, die Nacht ist gar zu lang,

und mein Herz kann nicht mehr schweigen —

schöne Nixen, kommt hervor,

tanzt und singt den Zauberreigen!

Nehmt mein Haupt in euren Schoss,

Leib und Seel sei hingegeben!

Singt mich tot und herzt mich tot,

küsst mir aus der Brust das Leben!

Eingehüllt in graue Wolken,

schlafen jetzt die grossen Götter,

und ich höre, wie sie schnarchen,

und wir haben wildes Wetter.

Wildes Wetter! Sturmeswüten

will das arme Schiff zerschellen —

ach, wer zügelt diese Winde

und die herrenlosen Wellen!

Kanns nicht hindern, dass es stürmet,

dass da dröhnen Mast und Bretter,

und ich hüll mich in den Mantel,

um zu schlafen wie die Götter.

10 Der Wind zieht seine Hosen an,

die weissen Wasserhosen;

er peitscht die Wellen, so stark er kann,

die heulen und brausen und tosen.

Aus dunkler Höh, mit wilder Macht,

die Regengüsse träufen;

es ist, als wollt die alte Nacht

das alte Meer ersäufen.

An den Mastbaum klammert die Möwe sich

mit heiserem Schrillen und Schreien;

sie flattert und will gar ängstlich

ein Unglück prophezeien.

11 Der Sturm spielt auf zum Tanze,

er pfeift und saust und brüllt;

heisa! wie springt das Schifflein!

Die Nacht ist lustig und wild.

Ein lebendes Wassergebirge

bildet die tosende See;

hier gähnt ein schwarzer Abgrund,

dort türmt es sich weiss in die Höh.

Ein Fluchen, Erbrechen und Beten

schallt aus der Kajüte heraus;

ich halte mich fest am Mastbaum,

und wünsche: Wär ich zu Haus.

12 Der Abend kommt gezogen,

der Nebel bedeckt die See;

geheimnisvoll rauschen die Wogen,

da steigt es weiss in die Höh.

Die Meerfrau steigt aus den Wellen,

und setzt sich zu mir, am Strand;

die weissen Brüste quellen

hervor aus dem Schleiergewand.

Sie drückt mich und sie presst mich,

und tut mir fast ein Weh: —

du drückst ja viel zu fest mich,

du schöne Wasserfee!

„Ich presse dich in meinen Armen,

und drücke dich mit Gewalt;

ich will bei dir erwarmen,

der Abend ist gar zu kalt.“

Der Mond schaut immer blasser

aus dämmriger Wolkenhöh;

dein Auge wird trüber und nasser,

du schöne Wasserfee!

„Es wird nicht trüber und nasser,

mein Aug ist nass und trüb,

weil, als ich stieg aus dem Wasser,

ein Tropfen im Auge blieb.“

Die Möwen schrillen kläglich,

es grollt und brandet die See; —

dein Herz pocht wild beweglich,

du schöne Wasserfee!

„Mein Herz pocht wild beweglich,

es pocht beweglich wild,

weil ich dich liebe unsäglich,

du liebes Menschenbild!“

13 Wenn ich an deinem Hause

des Morgens vorübergeh,

so freuts mich, du liebe Kleine,

wenn ich dich am Fenster seh.

Mit deinen schwarzbraunen Augen

siehst du mich forschend an:

Wer bist du, und was fehlt dir,

du fremder, kranker Mann?

„Ich bin ein deutscher Dichter,

bekannt im deutschen Land;

nennt man die besten Namen,

so wird auch der meine genannt.

„Und was mir fehlt, du Kleine,

fehlt Manchem im deutschen Land;

nennt man die schlimmsten Schmerzen,

so wird auch der meine genannt.“

14 Das Meer erglänzte weit hinaus,

im letzten Abendscheine;

wir sassen am einsamen Fischerhaus,

wir sassen stumm und alleine.

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,

die Möwe flog hin und wieder;

aus deinen Augen, liebevoll,

fielen die Tränen nieder.

Ich sah sie fallen auf deine Hand,

und bin aufs Knie gesunken;

ich hab von deiner weissen Hand

die Tränen fortgetrunken.

Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,

die Seele stirbt vor Sehnen; —

mich hat das unglückselge Weib

vergiftet mit ihren Tränen.

15 Da droben auf jenem Berge,

da steht ein feines Schloss,

da wohnen drei schöne Fräulein,

von denen ich Liebe genoss.

Sonnabend küsste mich Jette,

und Sonntag die Julia,

und Montag die Kunigunde,

die hat mich erdrückt beinah.

Doch Dienstag war eine Fete

bei meinen drei Fräulein im Schloss;

die Nachbarschafts-Herren und Damen

die kamen zu Wagen und Ross.

Ich aber war nicht geladen,

und das habt Ihr dumm gemacht!

Die zischelnden Muhmen und Basen,

die merktens und haben gelacht.

16 Am fernen Horizonte

erscheint, wie ein Nebelbild,

die Stadt mit ihren Türmen

in Abenddämm’rung gehüllt.

Ein feuchter Windzug kräuselt

die graue Wasserbahn;

mit traurigem Takte rudert

der Schiffer in meinem Kahn.

Die Sonne hebt sich noch einmal

leuchtend vom Boden empor,

und zeigt mir jene Stelle,

wo ich das Liebste verlor.

17 Sei mir gegrüsst, du grosse,

geheimnisvolle Stadt,

die einst in ihrem Schosse

mein Liebchen umschlossen hat.

Sagt an, ihr Türme und Tore,

wo ist die Liebste mein?

Euch hab ich sie anvertrauet,

ihr solltet mir Bürge sein.

Unschuldig sind die Türme,

sie konnten nicht von der Stell,

als Liebchen mit Koffern und Schachteln

die Stadt verlassen so schnell.

Die Tore jedoch, die liessen

mein Liebchen entwischen gar still;

ein Tor ist immer willig,

wenn eine Törin will.

18 So wandl ich wieder den alten Weg,

die wohlbekannten Gassen;

ich komme von meiner Liebsten Haus,

das steht so leer und verlassen.

Die Strassen sind doch gar zu eng!

Das Pflaster ist unerträglich!

Die Häuser fallen mir auf den Kopf!

Ich eile so viel als möglich!

19 Ich trat in jene Hallen,

wo sie mir Treue versprochen;

wo einst ihre Tränen gefallen,

sind Schlangen hervorgekrochen.

20 Still ist die Nacht, es ruhen die Gassen,

in diesem Hause wohnte mein Schatz;

sie hat schon längst die Stadt verlassen,

doch steht noch das Haus auf demselben Platz.

Da steht auch ein Mensch und starrt in die Höhe,

und ringt die Hände, vor Schmerzensgewalt;

mir graust es, wenn ich sein Antlitz sehe, —

der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt.

Du Doppeltgänger! du bleicher Geselle!

was äffst du nach mein Liebesleid,

das mich gequält auf dieser Stelle,

so manche Nacht, in alter Zeit?

21 Wie kannst du ruhig schlafen,

und weisst, ich lebe noch?

Der alte Zorn kommt wieder,

und dann zerbrech ich mein Joch.

Kennst du das alte Liedchen:

Wie einst ein toter Knab

um Mitternacht die Geliebte

zu sich geholt ins Grab?

Glaub mir, du wunderschönes,

du wunderholdes Kind,

ich lebe und bin noch stärker

als alle Toten sind!

22 „Die Jungfrau schläft in der Kammer,

der Mond schaut zitternd hinein;

da draussen singt es und klingt es,

wie Walzermelodein.

„Ich will mal schaun aus dem Fenster,

wer drunten stört meine Ruh.

Da steht ein Totengerippe,

und fiedelt und singt dazu:

„Hast einst mir den Tanz versprochen,

und hast gebrochen dein Wort,

und heut ist Ball auf dem Kirchhof,

komm mit, wir tanzen dort.

„Die Jungfrau ergreift es gewaltig,

es lockt sie hervor aus dem Haus;

sie folgt dem Gerippe, das singend

und fiedelnd schreitet voraus.

„Es fiedelt und tänzelt und hüpfet,

und klappert mit seinem Gebein,

und nickt und nickt mit dem Schädel

unheimlich im Mondenschein.“

23 Ich stand in dunkeln Träumen

und starrte ihr Bildnis an,

und das geliebte Antlitz

heimlich zu leben begann.

Um ihre Lippen zog sich

ein Lächeln wunderbar,

und wie von Wehmutstränen

erglänzte ihr Augenpaar.

Auch meine Tränen flossen

mir von den Wangen herab —

und ach, ich kann es nicht glauben,

dass ich dich verloren hab!

24 Ich unglückselger Atlas! eine Welt,

die ganze Welt der Schmerzen, muss ich tragen,

ich trage Unerträgliches, und brechen

will mir das Herz im Leibe.

Du stolzes Herz, du hast es ja gewollt!

Du wolltest glücklich sein, unendlich glücklich

oder unendlich elend, stolzes Herz,

und jetzo bist du elend.

25 Die Jahre kommen und gehen,

Geschlechter steigen ins Grab,

doch nimmer vergeht die Liebe,

die ich im Herzen hab.

Nur einmal noch möcht ich dich sehen,

und sinken vor dir aufs Knie,

und sterbend zu dir sprechen:

Madame, ich liebe Sie!

26 Mir träumte: traurig schaute der Mond,

und traurig schienen die Sterne;

es trug mich zur Stadt, wo Liebchen wohnt,

viel hundert Meilen ferne.

Es hat mich zu ihrem Hause geführt,

ich küsste die Steine der Treppe,

die oft ihr kleiner Fuss berührt,

und ihres Kleides Schleppe.

Die Nacht war lang, die Nacht war kalt,

es waren so kalt die Steine;

es lugt’ aus dem Fenster die blasse Gestalt,

beleuchtet vom Mondenscheine.

27 Was will die einsame Träne?

Sie trübt mir ja den Blick.

Sie blieb aus alten Zeiten

in meinem Auge zurück.

Sie hatte viel leuchtende Schwestern,

die alle zerflossen sind,

mit meinen Qualen und Freuden,

zerflossen in Nacht und Wind.

Wie Nebel sind auch zerflossen

die blauen Sternelein,

die mir jene Freuden und Qualen

gelächelt ins Herz hinein.

Ach, meine Liebe selber

Zerfloss wie eitel Hauch!

Du alte, einsame Träne,

zerfliesse jetzunder auch.

28 Der bleiche, herbstliche Halbmond

lugt aus den Wolken heraus;

ganz einsam liegt auf dem Kirchhof

das stille Pfarrerhaus.

Die Mutter liest in der Bibel,

der Sohn, der starret ins Licht,

schlaftrunken dehnt sich die ältre,

die jüngere Tochter spricht:

Ach Gott, wie einem die Tage

langweilig hier vergehn!

Nur wenn sie Einen begraben,

bekommen wir etwas zu sehn.

Du irrst, es starben nur vier,

seit man deinen Vater begraben,

dort an der Kirchhofstür.

Die ältre Tochter gähnet:

Die Mutter spricht zwischen dem Lesen:

Ich will nicht verhungern bei euch,

ich gehe morgen zum Grafen,

und der ist verliebt und reich.

Der Sohn bricht aus in Lachen:

Drei Jäger zechen im Stern,

die machen Gold und lehren

mir das Geheimnis gern.

Die Mutter wirft ihm die Bibel

ins magre Gesicht hinein:

So willst du, Gottverfluchter,

ein Strassenräuber sein!

Sie hören pochen ans Fenster,

Und sehen eine winkende Hand;

der tote Vater steht draussen

im schwarzen Predgergewand.

29 Das ist ein schlechtes Wetter,

es regnet und stürmt und schneit;

ich sitze am Fenster und schaue

hinaus in die Dunkelheit.

Da schimmert ein einsames Lichtchen,

das wandelt langsam fort;

ein Mütterchen mit dem Laternchen

wankt über die Strasse dort.

Ich glaube, Mehl und Eier

und Butter kaufte sie ein;

sie will einen Kuchen backen

fürs grosse Töchterlein.

Die liegt zu Haus im Lehnstuhl,

und blinzelt schläfrig ins Licht;

die goldnen Locken wallen.

über das süsse Gesicht.

30 Man glaubt, dass ich mich gräme

in bitterm Liebesleid,

und endlich glaub ich es selber,

so gut wie andre Leut.

Du Kleine mit grossen Augen,

ich hab es dir immer gesagt,

dass ich dich unsäglich liebe,

dass Liebe mein Herz zernagt.

Doch nur in einsamer Kammer

sprach ich auf solche Art,

und ach! ich hab immer geschwiegen

in deiner Gegenwart.

Da gab es böse Engel,

die hielten mir zu den Mund;

und ach! durch böse Engel

bin ich so elend jetzund.

31 Deine weichen Lilienfinger,

könnt ich sie noch einmal küssen,

und sie drücken an mein Herz,

und vergehn in stillem Weinen!

Deine klaren Veilchenaugen

schweben vor mir Tag und Nacht,

und mich quält es: Was bedeuten

diese süssen, blauen Rätsel?

32 „Hat sie sich denn nie geäussert

über dein verliebtes Wesen?

Konntest du in ihren Augen

niemals Gegenliebe lesen?

„Konntest du in ihren Augen

niemals bis zur Seele dringen?

Und du bist ja sonst kein Esel,

teurer Freund, in solchen Dingen.“

33 Sie liebten sich beide, doch keiner

wollt es dem andern gestehn;

sie sahen sich an so feindlich,

und wollten vor Liebe vergehn.

Sie trennten sich endlich und sahn sich

nur noch zuweilen im Traum;

sie waren längst gestorben,

und wussten es selber kaum.

34 Und als ich euch meine Schmerzen geklagt,

da habt Ihr gegähnt und nichts gesagt;

doch als ich sie zierlich in Verse gebracht,

da habt Ihr mir grosse Elogen gemacht.

35 Ich rief den Teufel und er kam,

und ich sah ihn mit Verwundrung an;

er ist nicht hässlich und ist nicht lahm,

er ist ein lieber, scharmanter Mann,

ein Mann in seinen besten Jahren,

verbindlich und höflich und welterfahren.

Er ist ein gescheuter Diplomat,

und spricht recht schön über Kirch und Staat.

Blass ist er etwas, doch ist es kein Wunder,

Sanskrit und Hegel studiert er jetzunder.

Sein Lieblingspoet ist noch immer Fouqué.

Doch will er nicht mehr mit Kritik sich befassen,

die hat er jetzt gänzlich überlassen

der teuren Grossmutter Hekate.

Er lobte mein juristisches Streben,

hat früher sich auch damit abgegeben.

Er sagte, meine Freundschaft sei

ihm nicht zu teuer, und nickte dabei,

und frug: ob wir uns früher nicht

schon einmal gesehn beim spanschen Gesandten?

Und als ich recht besah sein Gesicht,

fand ich in ihm einen alten Bekannten.

36 Mensch, verspotte nicht den Teufel,

kurz ist ja die Lebensbahn,

und die ewige Verdammnis

ist kein blosser Pöbelwahn.

Mensch, bezahle deine Schulden,

lang ist ja die Lebensbahn,

und du musst noch manchmal borgen,

wie du es so oft getan.

37 Die heilgen drei Könge aus Morgenland,

sie frugen in jedem Städtchen:

Wo geht der Weg nach Bethlehem

ihr lieben Buben und Mädchen?

Die Jungen und Alten, sie wussten es nicht,

die Könige zogen weiter;

sie folgten einem goldenen Stern,

der leuchtete lieblich und heiter.

Der Stern blieb stehn über Josephs Haus,

da sind sie hineingegangen;

Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie,

die heilgen drei Könige sangen.

38 Mein Kind, wir waren Kinder,

zwei Kinder, klein und froh;

wir krochen ins Hühnerhäuschen,

versteckten uns unter das Stroh.

Wir krähten wie die Hähne,

und kamen Leute vorbei —

„Kikereküh!“ sie glaubten,

es wäre Hahnengeschrei.

Die Kisten auf unserem Hofe,

die tapezierten wir aus,

und wohnten drin beisammen,

und machten ein vornehmes Haus.

Des Nachbars alte Katze

kam öfters zum Besuch;

wir machten ihr Bückling und Knickse

und Komplimente genug.

Wir haben nach ihrem Befinden

besorglich und freundlich gefragt;

wir haben seitdem dasselbe

mancher alten Katze gesagt.

Wir sassen auch oft und sprachen

vernünftig, wie alte Leut,

und klagten, wie alles besser

gewesen zu unserer Zeit;

Wie lieb und Treu und Glauben

verschwunden aus der Welt,

und wie so teuer der Kaffee,

und wie so rar das Geld! — — —

Vorbei sind die Kinderspiele,

und alles rollt vorbei, —

das Geld und die Welt und die Zeiten,

und Glauben und Lieb und Treu.

39 Das Herz ist mir bedrückt, und sehnlich

gedenke ich der alten Zeit;

die Welt war damals noch so wöhnlich,

und ruhig lebten hin die Leut.

Doch jetzt ist alles wie verschoben,

das ist ein Drängen! eine Not!

Gestorben ist der Herrgott oben,

und unten ist der Teufel tot.

Und alles schaut so grämlich trübe,

so krausverwirrt und morsch und kalt,

und wäre nicht das bisschen Liebe,

so gäb es nirgends einen Halt.

40 Wie der Mond sich leuchtend dränget

durch den dunkeln Wolkenflor,

also taucht aus dunkeln Zeiten

mir ein lichtes Bild hervor.

Sassen all auf dem Verdecke,

fuhren stolz hinab den Rhein,

und die sommergrünen Ufer

glühn im Abendsonnenschein.

Sinnend sass ich zu den Füssen

einer Dame, schön und hold;

in ihr liebes, bleiches Antlitz

spielt das rote Sonnengold.

Lauten klangen, Buben sangen,

wunderbare Fröhlichkeit!

Und der Himmel wurde blauer,

und die Seele wurde weit.

Märchenhaft vorüberzogen

Berg und Burgen, Wald und Au;

und das alles sah ich glänzen

in dem Aug der schönen Frau.

41 Im Traum sah ich die Geliebte,

ein banges, bekümmertes Weib,

verwelkt und abgefallen

der sonst so blühende Leib.

Ein Kind trug sie auf dem Arme,

ein andres führt sie an der Hand,

und sichtbar ist Armut und Trübsal

am Gang und Blick und Gewand.

Sie schwankte über den Marktplatz,

und da begegnet sie mir,

und sieht mich an, und ruhig

und schmerzlich sag ich zu ihr:

Komm mit nach meinem Hause,

denn du bist blass und krank;

ich will durch Fleiss und Arbeit

dir schaffen Speis und Trank.

Ich will auch pflegen und warten

die Kinder, die bei dir sind,

vor Allem aber sich selber,

du armes, unglückliches Kind.

Ich will dir nie erzählen,

dass ich dich geliebet hab,

und wenn du stirbst, so will ich

weinen auf deinem Grab.

42 „Teurer Freund! Was soll es nützen,

stets das alte Lied zu leiern?

Willst du ewig brütend sitzen

auf den alten Liebes-Eiern!

„Ach! Das ist ein ewig Gattern,

aus den Schalen kriechen Küchlein,

und sie piepsen und sie flattern,

und du sperrst sie in ein Büchlein.“

43 Werdet nur nicht ungeduldig,

wenn von alten Schmerzensklängen

manche noch vernehmlich klingen

in den neuesten Gesängen.

Wartet nur, es wird verhallen

dieses Echo meiner Schmerzen,

und ein neuer Liederfrühling

spriesst aus dem geheilten Herzen.

44 Nun ist es Zeit, dass ich mit Verstand

mich aller Torheit entledge;

ich hab so lang als ein Komödiant

mit dir gespielt die Komödie.

Die prächtgen Kulissen, sie waren bemalt

im hochromantischen Stile,

mein Rittermantel hat goldig gestrahlt,

ich fühlte die feinsten Gefühle.

Und nun ich mich gar säuberlich

des tollen Tands entledge,

noch immer elend fühl ich mich,

als spielt ich noch immer Komödie.

Ach Gott! im Scherz und unbewusst

sprach ich, was ich gefühlet;

ich hab mit dem eignen Tod in der Brust

den sterbenden Fechter gespielet.

45 Den König Wiswamitra,

den treibts ohne Rast und Ruh,

er will durch Kampf und Büssung

erwerben Wasischtas Kuh.

Oh, König Wiswamitra,

oh, welch ein Ochs bist du,

dass du so viel kämpfest und büssest,

und alles für eine Kuh!

46 Herz, mein Herz, sei nicht beklommen,

und ertrage dein Geschick.

Neuer Frühling gibt zurück,

was der Winter dir genommen.

Und wie viel ist dir geblieben,

und wie schön ist noch die Welt!

Und, mein Herz, was dir gefällt,

Alles, Alles darfst du lieben!

47 Du bist wie eine Blume

so hold und schön und rein;

ich schau dich an, und Wehmut

schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände

aufs Haupt dir legen sollt,

betend, dass Gott dich erhalte

so rein und schön und hold.

48 Kind! es wäre dein Verderben,

und ich geb mir selber Mühe,

dass dein liebes Herz in Liebe

nimmermehr für mich erglühe.

Nur dass mirs so leicht gelinget,

will mich dennoch fast betrüben,

und ich denke manchmal dennoch:

Möchtest du mich dennoch lieben!

49 Wenn ich auf dem Lager liege,

in Nacht und Kissen gehüllt,

so schwebt mir vor ein süsses,

anmutig liebes Bild.

Wenn mir der stille Schlummer

geschlossen die Augen kaum,

so schleicht das Bild sich leise

hinein in meinen Traum.

Doch mit dem Traum des Morgens

zerrinnt es nimmermehr;

dann trag ich es im Herzen

den ganzen Tag umher.

50 Mädchen mit dem roten Mündchen,

mit den Äuglein süss und klar,

du mein liebes, kleines Mädchen,

deiner denk ich immerdar.

Lang ist heut der Winterabend,

und ich möchte bei dir sein,

bei dir sitzen, mit dir schwatzen

im vertrauten Kämmerlein.

An die Lippen wollt ich pressen

deine kleine, weisse Hand,

und mit Tränen sie benetzen,

deine kleine, weisse Hand.

51 Mag da draussen Schnee sich türmen,

mag es hageln, mag es stürmen,

klirrend mir ans Fenster schlagen,

nimmer will ich mich beklagen,

denn ich trage in der Brust

Liebchens Bild und Frühlingslust.

52 Andre beten zur Madonne,

andre auch zu Paul und Peter;

ich jedoch, ich will nur beten,

nur zu dir, du schöne Sonne!

Gib mir Küsse, gib mir Wonne,

sei mir gütig, sei mir gnädig,

schönste Sonne unter den Mädchen,

schönstes Mädchen unter der Sonne!

53 Verriet mein blasses Angesicht

dir nicht mein Liebeswehe?

Und willst du, dass der stolze Mund

das Bettlerwort gestehe?

Oh, dieser Mund ist gar zu stolz,

und kann nur küssen und scherzen;

er spräche vielleicht ein höhnisches Wort,

während ich sterbe vor Schmerzen.

54 Teurer Freund, du bist verliebt,

und dich quälen neue Schmerzen;

dunkler wird es dir im Kopf,

heller wird es dir im Herzen.

Teurer Freund, du bist verliebt,

und du willst es nicht bekennen,

und ich seh des Herzens Glut

schon durch deine Weste brennen.

55 Ich wollte bei dir weilen

und an deiner Seite ruhn;

du musstest von mir eilen,

du hattest viel zu tun.

Ich sagte, dass meine Seele

dir gänzlich ergeben sei;

du lachtest aus voller Kehle,

und machtest nen Knicks dabei.

Du hast noch mehr gesteigert

mir meinen Liebesverdruss,

und hast mir sogar verweigert

am Ende den Abschiedskuss.

Glaub nicht, dass ich mich erschiesse,

wie schlimm auch die Sachen stehn!

Das alles, meine Süsse,

ist mir schon einmal geschehn.

56 Zu fragmentarisch ist Welt und Leben,

ich will mich zum deutschen Professor begeben,