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Sechs lange Jahre sind vergangen, seit Marie Lukas das letzte Mal in die Augen geschaut hat. Sie hat ihr Leben weitergeführt, studiert Tiermedizin und nimmt nur noch gelegentlich an Reitturnieren teil. Doch als ihre beste Freundin Liz wegzieht, bricht für Marie die Welt zusammen. Plötzlich fühlt sie sich einsam und verlassen, nur ihre treue Stute Viva bleibt an ihrer Seite. Und als würde das Schicksal es nicht gut mit ihr meinen, taucht genau in dieser schweren Zeit ausgerechnet Lukas wieder auf. Innerhalb weniger Tage steht ihr Leben Kopf, und Marie findet sich zwischen alten Gefühlen und der Hoffnung auf einen Neuanfang wieder. Immer wenn sie glaubt, einen Platz in seinem Leben gefunden zu haben, zieht er sich wieder zurück. Wer ist er überhaupt nach all der Zeit? Was macht er wirklich? Und warum ist er zurückgekehrt? Das ist ihre letzte Chance. Wird es dieses Mal klappen, oder wird sie erneut enttäuscht werden?
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Seitenzahl: 415
Veröffentlichungsjahr: 2024
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In diesem Buch gibt es Darstellung von suizidalen Tendenzen. Sollte es dir mit diesem Thema nicht gut gehen, dann lies bitte nicht weiter.
Hilfestellen solltest du mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, findest du hier:
Telefonseelsorge, jederzeit erreichbar und bietet kostenlose anonyme Beratung an:(0800)1110111 oder (0800)1110222
Nummer gegen Kummer, kostenloses Kinder- und Jugendtelefon, montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr: 116111 oder montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr: (0800)11105 unter der Telefonnummer können auch Eltern dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr die kostenlose Beratung in Anspruch nehmen .
Montags, dienstags und donnerstags bietet die deutsche Depressionshilfe ein Infotelefon von 13 bis 17 Uhr und mittwochs und freitags von 8.30 bis 12.30 Uhr. Erreichbar sind sie unter (0800) 33 44 533. Außerdem bieten sie auf ihrer Internetseite Hilfe und Informationen an zu allen Themen rund um Depressionen.
Ansonsten wünsche ich dir ganz viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße
Marina
Pferdebücher, die begeistern
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Mit wässrigen Augen starrte ich auf das immer dunkler werdende Bild auf meinem Laptopbildschirm. So gemütlich dieses Schwedenhaus auch aussah, so sehr machte es den Umstand auch greifbarer, dass meine beste Freundin nicht mehr zehn Minuten von mir entfernt lebte. Das Bild darunter, auf dem sie in einem leichten Sommerkleid mit niedlichem Blümchenprint einen Schlüssel stolz und mit einem breiten Grinsen in die Kamera hielt, machte es nicht leichter. Ich musste schlucken, aber der Knoten in meinem Hals ging nicht weg. Im Gegenteil. Er schien nur noch größer werden zu wollen.
Was sollte ich nur ohne Liz machen? Warum hatte Ole auch dieses verdammte Angebot in Schweden annehmen müssen und warum war sie mitgegangen? Das war doch nicht fair! Auch Ole vermisste ich. Er hatte immer so viel Ruhe in unsere Gespräche gebracht, besonders nachdem Lukas, sofort nach dem Abi abgehauen war. Ohne ein verdammtes Wort! Allein bei dem Gedanken daran brodelte in mir wieder die Wut hoch. Das würde ich ihm nie vergessen!
Der Bildschirm wurde schwarz, mir blickte nur noch mein verzweifeltes Spiegelbild entgegen. Ich ließ den Kuli in meiner Hand sinken und senkte meinen Blick wieder auf das Lehrbuch vor mir. Anatomie des Pferdes. Ich war gerade dabei gewesen, die Abbildung eines Auges und seiner einzelnen Bestandteile in meine Notizen zu übertragen, und dann war diese Mail gekommen und hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Jetzt hatte ich auch keinen Nerv mehr dazu, für meine Zulassung zu lernen. Die Konzentration war schon vor der Mail nicht wirklich da gewesen.
Durch das fehlende Licht vom Laptop war es eh zu düster zum Zeichnen und Schreiben. Seufzend lehnte ich mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück. So konnte ich die vorlesungsfreie Zeit eindeutig nicht genießen.
Mit wem sollte ich denn jetzt ausreiten gehen? Wer sollte mich jetzt in Steffis Stunden ermutigen, den höheren Sprung zu nehmen? Wer sollte sich jetzt auf Turnieren mit mir eine Waffel teilen und über einen Kaffee über die Konkurrenz lästern?
Fuck! Ich fing jeden Moment an zu heulen. Also doch weiter lernen! Mit den Fingern tastete ich nach dem Schalter meiner Schreibtischlampe. Eigenartig, so spät war es doch noch gar nicht. Wir hatten höchstens vier. Ich wagte es allerdings auch nicht, aus dem Fenster zu gucken in der Angst, dass ich jetzt auch noch Haddy sah. Das würde mir wohl den Rest geben. Ebenso wie dem Spediteur in wenigen Tagen zu helfen, auf Oles und Liz Bitten die Pferde zu verladen. Dann wären auch sie auf der Reise nach Visby oder viel mehr einem kleinen Hof, den Oles Eltern eigentlich für ihre Rente gekauft haben, kurz vor dem Stadtrand der kleinen Stadt auf Gotland.
Liz hatte mir beteuert, dass sie in vier Jahren wieder zurück wären, aber ein Teil von mir bezweifelte es. Besonders nach dem Foto von Liz mit dem Schlüssel in der Hand.
Der Schalter meiner Lampe klickte. Nichts passierte. Die Glühbirne flackerte nicht einmal. War ich jetzt bescheuert? Ich legte ihn noch einmal um, aber wieder nichts. Schnell rutschte ich mit dem Stuhl zurück und suchte im Kabelwirrwarr unter dem Schreibtisch nach dem zugehörigen Kabel. Ernüchtert musste ich feststellen, dass die Lampe eingesteckt war. Dann war wohl die Glühbirne durchgebrannt.
Seufzend zog ich den Stecker und rutschte schließlich wieder vor zur Schreibtischplatte. Vorsichtig drehte ich die Lampe heraus, dabei wischte ich fast mit dem Ellenbogen meinen Laptop gefolgt von drei Fachbüchern vom Tisch. In letzter Sekunde hielt ich noch inne und zog die Lampe lieber näher zu mir. Alles war besser, als dass mein Laptop, der gerade mal zwei Monate alt war, genau jetzt die Biege machte.
Mit der milchig weißen Glühbirne in der Hand hastete ich die knarzende Flurtreppe herunter. Über dem Knauf am Ende hing schon wieder irgendeine Laufjacke von Papa. Er hatte bestimmt vergessen, sie heute Morgen wegzuhängen und würde heute Abend von Mama einen drüber bekommen, die beim Verlag in Hamburg in mehreren Meetings saß, um ihr Artkonzept für den vierten Teil von »Maja und die Zaubergerte« vorzustellen. Dass eigentlich auf jeder Seite eine Zeichnung von einem Donatello im Ponyformat zu sehen war, macht es fast schon wieder witzig.
Ohne zu klopfen, rauschte ich in Papas Büro, in dem er schon wieder über dem Computer saß und mit steiler Denkerfalte seine Lebensentscheidungen zu hinterfragen schien. »Papa, wo haben wir die Glühbirnen?«
Er seufzte auf. »Da, wo sie schon immer waren. Kellertreppe runter und direkt links. Die wirst du wohl selber reinschrauben können, oder muss ich dafür nach oben kommen?«
»Danke.« Den letzten Teil seines Kommentars ignorierte ich einfach.
Ich wollte die Tür schon schließen, da fügte er an. »Wenn du allein lebst, kann ich dir auch nicht immer sagen, was du brauchst.«
Schnell schloss ich die Tür hinter mir. Diese Sprüche durfte ich mir anhören, seit ich im ersten Studienjahr nur drei Monate im Wohnheim in Kiel ausgehalten hatte. Mein Vater fand es völlig übertrieben von meiner Seite, dass ich schon nach drei Monaten wieder nachhause gewollt hatte. Mama hingegen war froh gewesen. So hatte Viva nicht in einen noch teureren Stall ziehen müssen und sie konnte sich immer melden, sollte was mit den Pferden sein.
Lustlos lief ich zur Kellertür. Ich hatte wenig Lust, in staubigen Regalen, in der modrigen, etwas feuchten Kellerluft nach der richtigen Glühbirne zu suchen. Da flog Papas Bürotür wieder auf.
»Marie? Hast du Hannah nicht versprochen, heute selber reinzustellen? Es sieht gerade wirklich sehr nach Regen aus. Vielleicht solltest du rüber.« Er seufzte und lehnte sich an den Türrahmen. »Dann kümmere ich mich um die Lampe. Geht ja nicht, dass du nicht lernen kannst.«
Endlich sah ich mal aus dem Fenster. Dunkle Wolken türmten sich vom Meer her auf. Jeden Moment konnte es losgehen und das sah auch eher nach Sturm aus als nach reinem Regen.
»Scheiße!« Fluchend drückte ich ihm die Birne in die Hand und sprang in meine Stiefeletten, die noch von heute Morgen an der Tür standen. In der Eile hätte ich fast meine Schlüssel vergessen. Gerade noch, bevor die Tür hinter mir ins Schloss fiel, angelte ich sie aus der Schale bei der Tür.
Viva und Doni bekam ich noch vor dem Wolkenbruch in den Stall. Beide hatten auf einer Weide sehr nah am Stall gestanden. Sie waren allerdings nicht die Einzigen, die ich momentan bewegte.
Im Laufschritt hastete ich über den schmalen Grasweg zwischen Weidezäunen zur vorletzten Weide. Ein feiner schwarzer Pferdekopf schaute schon über das Gatter und brummelte erwartungsvoll. Hinter ihm tauchte ein Brauner mit breiter Blässe und großen dunklen Augen auf. Er trat ebenfalls ungeduldig von einem Bein aufs andere.
Mit wild kopfendem Herzen und schon einer grauen Vorahnung, was mich erwarten würde, knotete ich die Führstricke vom Gatter los und legte schließlich den Riegel um.
Pantas drückte sich sofort dagegen, dass es weiter aufschwang, als es sollte.
»Lass das!« Ich klinkte den Strick gerade so in sein Halfter. Fehlte nur Blaze, der noch nervöser war als sonst. Verdammt. Mein Blick glitt wieder gen Himmel. Gefühlt war es noch dunkler geworden. »Mach kein Drama, Blaze! Bitte!«
Natürlich zuckte er zurück, als ich auch ihn ans Halfter nehmen wollte. Pantas drängte derweil schon aus dem Gatter. Ich ruckte einmal sachte am Strick, dann hörte zumindest der Rappe auf, mit was auch immer er da schon wieder versuchte. Blaze bekam ich dann auch endlich mal an sein schwarzes Weidehalfter. »Na dann mal los Jungs!« Ich versuchte mich an einem Lächeln und einem motivierten Tonfall, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass das ein nerviges Unterfangen werden würde mit den beiden unversehrt zum Stall zu kommen.
Blaze trabte schon wieder beinahe auf der Stelle, Pantas warf seinen Kopf hoch und versuchte zu ziehen, als wir den Weg herunterliefen. Bei der Elektrizität in der Luft kein Wunder. Ich konnte sie auf meiner Haut fühlen. Wie musste es da erst bei ihnen sein?
Wir betraten den gepflasterten Weg zu den Stallungen, da brachen die Wolken auf. Mit einem schnellen Blick auf die beiden Pferde entschied ich loszulaufen. Ich hoffte nur, ich würde das nicht bereuen!
Der Regen durchweichte in wenigen Augenblicken meinen beigen Lieblingspulli, der mir etwas zu groß war, aber ich mich bisher nicht von ihm trennen wollte. Die Pflastersteine glänzten vor Feuchtigkeit. Vor dem Halleneingang hatte sich eine Pfütze gebildet. Reitschüler liefen neben ihren Eltern zum Parkplatz. Sogar die junge braun gefleckte Hündin Krümel, die Hannahs Vater letzten Sommer aus dem Tierheim geholt hatte, galoppierte in einen der Ställe. Wahrscheinlich würde Hannah sie wieder in einer der Boxen finden und sich riesig aufregen.
Pantas schnaubte aufgeregt. Die beschlagenen Hufe hallten unheilvoll von den Gebäuden wieder. Wenigstens leuchteten die Laternen uns den Weg zum Stalltor.
Durch die Regenwand sah man erst nur Umrisse im Schein einer der Lampen stehen. Eindeutig ein Mann. An seiner Stelle würde ich auch unter dem kleinen Dachvorsprung zwischen Stall und Putzplatz stehen.
Blaze zog an und ich musste langsamer werden. Wenn er sich jetzt losreißen würde, dann war das Risiko nur noch viel höher, dass er auf dem nassen Boden mit den Eisen wegrutschte. Widerwillig parierten beide Pferde durch. Pantas ließ ein genervtes Brummeln hören. Blaze hingegen schlug nervös mit dem Schweif und tänzelte schon wieder neben mir her, als wenn es jeden Moment auf irgendeine große Vielseitigkeitsstrecke gehen würde. Er blähte die Nüstern und wölbte den Hals auf, während die Ohren aufgeregt spielten.
Ich blickte noch einmal zu dem Mann im Schein der Laternen. Kurz davor ihn zu fragen, ob er mir helfen konnte, hielt ich inne und blieb viel zu abrupt stehen. Pantas schlingerte auf dem Pflaster, dann sah er sich aufgeregt um. Blaze hingegen schlug mit der Vorderhand und ruckte am Führstrick. Normalerweise hätte ich versucht, beide zu beruhigen, aber gerade sah ich einfach nur fassungslos zu der Gestalt, die sich da aus dem Lichtkegel löste.
Mit schnellen, aber nichtsdestotrotz ruhigen Schritten kam er auf mich zu. Dumpf hallten seine Schritte über den Platz.
Ich musste schwer schlucken.
Er sah aus wie das Postermodel der Horse and Hound. Die schwere Wachsjacke, mit dem gegen den Regen aufgestellten Kragen, wirkte wie für ihn gemacht. Die beige Reithose sah aus, als wenn sie noch keinen Tag getragen worden wäre. Das Bild rundeten noch die klassischen Hunter Gummistiefel ab.
Scheiße! Nach damals, hatte ich immer gehofft, wir würden uns nie wieder sehen oder erst, wenn wir beide alt sind, und ich mir einreden konnte, dass ich ihn nicht mehr auch nur ansatzweise attraktiv finde.
Jetzt stand ich hier komplett nass, in einem verwaschenen ausgeleierten Pulli, dreckiger grauer Reithose und einer Frisur, die wohl an einen Dutt erinnern sollte. Kurzum, ich sah aus, als hätte ich mein Leben nicht mal ansatzweise im Griff, während er wie der Posterboy des verdammten britischen Landadels daher kam.
Das Leben wollte mich doch in letzter Zeit verarschen! Erst war Liz nach Schweden gezogen und jetzt tauchte er aus dem Nichts wieder hier auf. Wo war die versteckte Kamera?
Mit großen Augen beobachtete ich, wie er mir Blazes Strick aus der Hand nahm. Er stand gerade dicht genug, dass er nach dem kratzigen und ausgebleichten Baumwollding greifen konnte. Ich hielt trotzdem die Luft an.
Er war nicht hässlicher geworden, obwohl ich mir das insgeheim gewünscht hatte. War er vor über fünf Jahren als Junge einfach weggewesen, war das da vor mir eindeutig ein Mann.
»Danke.«
Irritiert starrte ich ihn nur weiterhin an. Danke? War das sein verdammter Ernst? Nach allem, was zwischen uns passiert war? Nach der verdammten Erklärung, die er mir seit sechs Jahren schuldete?
Der Bannkreis, den er um sich wob, war schon wieder zurück und lähmte mich. Bei jedem anderen wäre ich wohl ausgeflippt und hätte ihm noch im Regen eine Ansage gemacht! Ich war doch eh schon nass, ob ich da nun noch etwas länger im Regen stand oder nicht war nebensächlich.
Anstatt etwas zu sagen, dreht er sich einfach um und schnalzte. Blaze folgte ihm, ohne ein Anzeichen von Unmut. Auch ich setzte mich langsam in Bewegung.
Das musste ein Traum sein! Er konnte unmöglich zurück sein!
Im warmen Schein der Oberbeleuchtung des Stalls glänzte seine dunkelgrüne Jacke und ich konnte sehen, dass auch seine dunklen Haare an seinem Kopf klebten. Er schien sich immer noch verdammt gut auszukennen, denn er hatte Blaze ohne Umschweife in seine Box gebracht, obwohl wir die beiden, seit er weg war, schon ein paar Mal innerhalb des Stalls umgestellt hatten.
Das noch frische Stroh knackte, als ich Pantas Box betrat und den Hengst so um mich herum dirigierte, dass er mit dem Kopf zur Stallgasse stand. Mit einem Klacken rastete der Panikharken aus und ich versuchte, mit klammen Fingern den Verschluss seines Halfters zu öffnen. Immer wieder blickte ich verstohlen in die Nebenbox, als hätte ich Angst, Lukas würde sich wieder in Luft auflösen, wenn ich ihn länger aus den Augen ließ.
Mit einem leisen Schnappen bekam ich endlich den Verschluss des Halfters auf und stürzte beinahe schon aus der Box, die ich mit zitternden Händen hinter mir schloss, ehe Pantas auf Wanderschaft ging.
Lukas kam mir da schon mit zwei Abschwitzdecken aus dickem Fließstoff entgegen. Wortlos reichte er mir eine dunkle Grüne mit dem Logo eines Turniers, das sie vor Jahren mal gewonnen hatten. Ich musste mich zusammenreißen, nicht stehenzubleiben und ihn wieder anzustarren wie eine seelenlose Statur.
Ich hängte das Halfter an die Boxentür. Neben das Schild, auf dem vermerkt worden war, dass Pantas nur wenig Pellets bekommen sollte und mehr Hafer. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und überlegte, was ich sagen sollte. Bestimmt schob ich die Boxentür auf und betrat Pantas Reich wieder.
Wie fing man ein Gespräch mit jemandem an, der einen am Abend seines Abiballs nach der Afterparty heftig geküsst hatte? Mit dem man in dem Moment bereit gewesen wäre, auf einem piksigen Strohballen Sex zu haben. Der einen so zärtlich berührt hatte wie danach nie wieder jemand. Der sich einfach umgedreht hatte, einem zu gelächelt hatte und dann verschwunden war. Von dem man nie wieder etwas gehört hatte.
An jenem Abend war es mir zum ersten Mal vorgekommen, als hätten wir eine Zukunft, als wären wir doch deutlich mehr als Freunde. Eigentlich hatten wir so viele Chancen schon damals längst verpasst.
Pantas drückte mir seine Nase an den Bauch und holte mich damit zurück ins Hier und Jetzt. Zurück in den warmen, nach Stroh, Heu und Pferd duftenden Stall. Zurück in seine geräumige Box, vor deren Fenster der Sturm wütete und Blitze über den Himmel zuckten, als wäre irgendetwas unheimlich wütend auf die Welt und eine andere Macht so sehr am Weinen darüber, dass sie die ganze Welt überschwemmen wollte. Letzterer fühlte ich mich sehr nah.
Ich verzog die Lippen zu einem unzufrieden Gesichtsausdruck und breitet neben dem Rappen seine Decke aus. Gehorsam blieb er stehen und ließ sich brav eindecken, auch wenn ich nicht ganz bei ihm war, und beinahe es nicht ganz geschafft hätte, die Kreuzgurte unter seinem Bauch zu schließen. Der vordere Gurt war ihm bei meinem kläglichen ersten Versuch gegen die Fessel geschlagen. Nicht heftig, aber genug, dass er genervt mit dem Schweif schlug und einen Schritt nach vorne machte.
Ich atmete auf, als ich die Gurte geschlossen hatte und Pantas noch einmal durch den nassen schwarzen Schopf fuhr. Auch wenn er seit Jahren kein Turnier mehr gegangen war, hatte Lena die Sportmähne beibehalte, genauso wie den teuren Stollenbeschlag.
Mit mächtigem Herzklopfen öffnete ich die Boxentür gerade genug, dass ich hinausschlüpfen konnte. Natürlich stand Lukas schon auf der Stallgasse und blickte mir undefinierbar entgegen. Sein Pokerface hatte er also beibehalten.
Unschlüssig blieb ich, nachdem ich die Box geschlossen hatte, vor ihm stehen. Die hohen Wangenknochen waren definierter als noch vor sechs Jahren. Der Kiefer war ebenfalls markanter geworden. Nur die grünen Augen waren immer noch so faszinierend und stechend wie früher. Erwachsen sein stand ihm, zumindest optisch. Seine Anwesenheit verunsicherte mich deutlich. Auf die Frage, über was ich mit ihm reden konnte, hatte ich auch immer noch keine Antwort gefunden. Dass er mich musterte, tat sein Übriges dazu, dass ich wieder einfach nur unbeweglich auf der Stallgasse stand und gedanklich ständig zwischen ihn anstarren und verlegen auf den Betonboden schauen wechselte.
»Mensch du!« Ich fuhr zusammen, als ich plötzlich Hannahs Stimme links von mir hörte. Blitzschnell und dankbar nicht mehr alleine mit ihm zu sein, drehte ich mich zu ihr. Mit der Ausstrahlung einer ausgewachsenen Naturgewalt eilte Hannah mit breit ausgebreitet Armen auf Lukas zu.
Noch bevor er etwas sagen konnte, fand er sich in ihren Armen wieder.
»Was sagen, dass du zurück bist, hältst du auch nicht für nötig, oder!«, rügte Hannah ihn auch augenblicklich. »Allgemein hättest du dich mal melden können! Alles musste ich mir aus dem Internet holen. Aber schön, dass du wieder Vielseitigkeit reitest! Du musst mir alles über dein Projekt da erzählen.«
Lukas drückte sie von sich. »Ich hatte viel um die Ohren.« Dann setzte er ein charmantes Lächeln auf. »Vergessen habe ich dich natürlich nicht.«
Hannah boxte ihn auf den Oberarm. »Das entschuldigt die Funkstille in keiner Art!«
»Tut mir wirklich leid, Hannah.« Abwehrend hob er die Hände. Der Stoff seiner Jacke raschelte dabei leise.
Hannah sah zu mir herüber. »Och, nee! Sag mir nicht, du hast gerade die Pferde geholt, als es angefangen hat so pladdern? Soll ich mal schauen, ob ich hier irgendwo eine Jacke habe?«
Schnell schüttelte ich den Kopf. »Ich habe noch eine im Spind und wollte auch sofort wieder rüber, wenn es aufhört.« Alleine schon, um Lukas nicht mehr sehen zu müssen.
Wie auf Bestellung sah Hannah zwischen uns hin und her. »Da hatte ich mir auch mehr Wiedersehensfreude erwartet. Ihr wart doch so dicke. Wir waren uns alle nicht ganz sicher, ob …« Sie unterbrach sich, selbst als sie meinen Blick sah. Sie musste nun wirklich nicht auch noch den Finger in die Wunde legen. »Na ja, wie dem auch sei.« Sie lachte auf. »Ist ja auch egal. Ich dachte nur, gerade weil Marie deine Pferde in letzter Zeit geritten ist.«
Überraschung zeichnete sich auf Lukas Gesicht ab und er musterte mich wieder, als, müsste er sichergehen, dass ich mir in der Zeit nicht wehgetan hatte.
»Deine Mutter hatte mich und Ole darum gebeten, nachdem sie von Pantas gefallen war und sich das Schlüsselbein gebrochen hatte.«
Langsam nickte Lukas. Auch diese Geschichte schien neu für ihn zu sein.
»Hat ihr, wie ich finde, auch wirklich gutgetan«, warf Hannah ein. »Steffi war ganz begeistert, als sie mit Pantas die Stunde mitgeritten ist.«
Lukas presste die Lippen zusammen und nickte, während sein Blick zu Boden wanderte.
»Auch Blaze Kolik vor fünf Wochen hat Marie wirklich gut gehändelt. Aber was erwartet man von einer Veterinärmedizinerin im vorletzten Semester?«
Da wurde Lukas kurz mal etwas blass. Ich hatte ihm geschrieben. Lena hatte mir seine Nummer gegeben, aber es war nichts gekommen. Nicht mal eine Nachfrage, ob es Blaze gut ging und wie er die Kolik überstanden hatte. Ich hatte gut drei Stunden mit Frank um sein Leben gekämpft.
Das einzige Gute, neben Blaze Überleben ohne operativen Eingriff, war, dass Dr. Frank Liebermann, der Veterinär of choice in Kleinblommen, mir noch in derselben Nacht angeboten hatte, ihm zu assistieren, wann immer nötig. So war ich mehr oder weniger zu einem Mentor gekommen, dem ich schon seit Jahren immer klammheimlich über die Schulter geschaut hatte.
So schnell mal der Anflug einer Emotion über sein Gesicht gehuscht war, war das Pokerface auch schon zurück. »Da war er wirklich in sehr kompetenten Händen.«
Arschloch! Dieser Typ machte mich noch wahnsinnig!
Am liebsten hätte ich mich einfach umgedreht und wäre mit schnellen Schritten über den Vorplatz, die Einfahrt herunter nachhause gestürzt. Nur der Starkregen hielt mich davon ab, ihn nicht einfach stehenzulassen.
Hannah fuhr sich durch die blonden Haare, die unordentlich in einem Pferdeschwanz frisiert waren. Seit sie Mutter war, hing sie nicht mehr in einer Tour am Handy, und auch die falschen Fingernägel hatten einen festen Platz in der Vergangenheit gefunden. Dafür hatte ihre Tochter Rieke nun das Zentrum ihres Lebens gebildet. Es stand ihr eindeutig. Sie wirkte sortierter, orientierter und vor allem wirklich glücklich. Wie ihr Mann Jürgen dazu beitrug, wusste ich nicht. Man sah ihn nur ab und an mal mit Rieke auf dem Arm über den Hof laufen und eigentlich einen großen Bogen um jedes Pferd machen. Ironischerweise hatte er allerdings keine Angst vor den Shetlandponys.
»Da fällt mir ein. Flora ist schon wieder von Bounty gebissen worden. Weiß der Geier, was da schon wieder los war, aber du kannst das vielleicht später mal angucken. Ich will ungern Frank holen für eine einfache kleine Bisswunde.«
Typisch Hannah. Seit ich mich auf Pferde angefangen hatte zu spezialisieren, war ich ihre erste Adresse, und Frank wurde immer erst gerufen, nachdem ich es ihr klipp und klar angeraten hatte. Wie sollte das erst werden, wenn ich fertig war? Das dauerte höchstens noch ein Jahr.
»Kann ich machen. Hast du schon Blauspray darauf gemacht? Oder muss genäht werden? Dann musst …«
Hannah rollte mit den Augen. »Ich weiß, dann muss ich Frank anrufen, weil du noch nicht darfst. Doni hast du vor zwei Wochen auch genäht.«
»Das ist etwas anders. Er gehört uns. Hätte ich da gepfuscht, hätte ich das selber ausbaden müssen. So übernimmt das keine Versicherung und ich könnte mir jede Chance auf eine Zulassung verbauen.«
»Ach, das bisschen nähen. Was soll da schon schiefgehen!« Hannah winkte ab und wandte sich wieder an Lukas. »Lena meinte, du wärst für drei Monate in London gewesen. Was hast du da denn gemacht?« Es klang beinahe vorwurfsvoll, als hätte er eigenhändig die Queen ermordet.
»Ich habe da bloß gearbeitet. War nicht meins.« Sein Tonfall machte mir klar, dass das nur die halbe Wahrheit war.
Bevor ich Hannahs Antwort hören konnte, drehte ich mich schon weg und lief zum großen Stalltor. Es wurde langsam wieder heller. Mein Ticket, aus dieser Nummer rauszukommen.
Die Haustür fiel hinter mir ins Schloss. Ich fror und die Begegnung mit Lukas saß mir immer noch in den Knochen. Kein einziges Mal hatte er es gewagt, mir in die Augen zu sehen. Warum hatten wir uns nicht erst in zwanzig Jahren wieder über den Weg laufen können!
Ich öffnete den Reißverschluss meiner Stiefeletten und strich mir die immer noch feuchten Haare aus dem Gesicht.
Warum hatte er heute da sein müssen? Ausgerechnet heute.
»Oh Gott, wie siehst du denn aus?« Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Mama schon wieder zu Hause war.
Ich schlüpfte aus meinen Schuhen und stellte sie neben die Tür. »Es hat geschüttet wie aus Kübeln.«
»Warum bist du dann nicht direkt nachhause?«
»Hannah wollte, dass ich mir noch eine Bisswunde angucke. War nichts Schlimmes.«
»Mhm.« Mama zog die Augenbrauen zusammen. »Aber sie kann nicht immer dich fragen. Noch bist du keine Tierärztin.«
»Das habe ich ihr auch gesagt, aber das trifft auf taube Ohren.« Matt lächelte ich und wischte mir die dreckigen Hände an der Reithose ab.
Verständnislos schüttelte Mama den Kopf und holte eine große Tasche unter der Garderobe hervor. »Guck mal!« Sie zog eine hellblaue Schabracke heraus und hielt sie stolz vor ihre Brust. »Die habe ich heute von der Autorin geschenkt bekommen. Ein Fliegenmützchen war auch dabei, aber ob das auf Donis Eselsohren passt.« Sie kicherte und wies auf die Stickerei. Eine ihrer schönsten Zeichnungen des Mädchens und ihres Ponys waren ordentlich in den Stoff gestickt worden und darunter stand in Schnörkelschrift »Zauberdoni«.
»Das ist ja nett.«
»Ja, oder! Ich muss die Morgen unbedingt mit in den Stall nehmen und ihr ein Foto schicken. Das wird bestimmt alles ganz toll an dem Dickerchen aussehen.«
Ich rang mir ein Lächeln ab. Wenn Lukas morgen immer noch in Kleinblommen war, dann war mir eindeutig die Lust auf den Stall fürs Erste vergangen. »Bestimmt.«
»Wie ist das Lernen gelaufen?«
»Ganz gut. Liz hat mir Bilder geschickt. Das ist wirklich so ein Klischee Schwedenhaus.«
»Wie schön. Ich hoffe, ihr gefällt es da. Da hab ich neulich erst in einem Podcast von gehört …«
Ich unterbrach sie. »Habt ihr jetzt eigentlich eure Reise gebucht?«
»Äh …« Mama blinzelte und ließ die Schabracke sinken. »Keine Ahnung. Ich wollte ja mal wieder nach Amsterdam, aber dein Vater meinte, er kennt da bald jede Straße. Jetzt will er nach Milan.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich würde ihm zutrauen, dass er heute schon etwas gebucht hat.«
»Wann wollt ihr denn fahren?«
»In zwei Wochen, meine ich, aber dieses Meeting hat mich noch so im Griff. Ich könnte mich auch irren.« Sie strahlte wieder. »Wir haben den Auftrag für noch zwei weitere Bände bekommen. Kannst du dir das vorstellen? Und ich darf eine neue Merchkollektion illustrieren. Dieses Mal soll es sogar die Zaubergerte geben. Die muss ich unbedingt in mein Büro hängen.«
Fragte sich nur, wo da noch Platz war zwischen den Konzeptzeichnungen zum ersten Band und den vielen Bildern von Donatello.
»Herzlichen Glückwunsch. Dann müssten wir ja eigentlich gleich darauf anstoßen.«
»Womit denn? Mit Wasser? Und du ziehst dich jetzt erstmal um, Kind! Nicht, dass du mir krank wirst.«
Wenig später kam ich in trockenen Sachen und frisch geduscht wieder die Treppe herunter. Papa saß schon am Küchentisch und redete mit Mama über die bevorstehende Reise.
»Milan wird dir gefallen. Es ist doch das Zentrum für Design.«
»Design.« Mama seufzte und füllte Wasser in eine Blumenvase. »Ich möchte auch einmal Pause von meinem Job. Außerdem geht es da eher um Industriedesign.«
»Aber nicht schon wieder nach Amsterdam. Lou, ich kenne die Stadt bald in- und auswendig.«
»Dann vielleicht Kopenhagen?« Sie ließ den auf der Arbeitsfläche abgelegten bunten Blumenstrauß in die Vase gleiten. »Oder Malmö?«
Papa schüttelte den Kopf. »Mit Malmö war was. Da habe ich mich neulich noch mit dem Freund von Liz drüber unterhalten.«
Ich lehnte mich in den Türrahmen. »Ole ist Stockholmer, das ist, als würdest du einen Kölner fragen, ob es in Düsseldorf schön ist.«
»Hast du noch was von ihnen gehört?« Mama blickte vom Richten des Blumenstraußes auf.
Ich presste die Lippen aufeinander und atmete ein. »Nein. Ich weiß nur, dass momentan noch das Chaos regiert und Liz sich bei mir melden will, sobald sie alles zusammen haben.«
»Das wird sie auch tun.« Ein aufmunterndes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. »Liz wird dich da oben in Skandinavien schon nicht vergessen.«
Das hoffte ich auch. Sonst hatte ich niemanden mehr wirklich außer ihr.
»Sie sind jetzt also in Visby angekommen?«, fragte Papa interessiert.
»Mhm, Liz ist ganz angetan von dem kleinen Hof.«
»Die haben wirklich einen ganzen Hof gekauft?« Die Blumenvase stellte Mama in die Tischmitte und lehnte sich an die Arbeitsfläche. »Das Geld hätte ich auch gerne.«
»Das sind Architekten. Außerdem sind die Immobilienpreise in Schweden nicht mit hier zu vergleichen.« Papa zückte sogleich sein Handy.
»Du kannst sie bestimmt nach der Zulassung besuchen. Und Charly, Emma und Bea kommen doch auch noch ab und an her.« Aber viel zu selten!
Ich rang mir ein verhaltenes Lächeln ab. Ich hatte meine gesamte Kindheit und Jugend mit Liz verbracht. Sie war nicht wegzudenken. Diese drei Monate in Kiel waren auch nur drei Monate gewesen, weil ich kaum Anschluss gefunden hatte und trotzdem jede freie Minute mit Liz in Kleinblommen verbracht hatte.
»Wann sind die Mädels denn mal wieder hier?« Papa sah von seinem Handy auf.
Ich zuckte mit den Schultern. »Sie schreiben immer erst kurz, bevor sie herkommen.«
»Mach dir wirklich nichts draus. Vielleicht ist das auch mal ganz gut, dass du und Liz nicht ständig zusammenhängen könnt. So kommst du vielleicht wieder unter neue Leute.« Ich wollte aber keine neuen Leute. Ich wollte meine beste Freundin! Mama trommelte mit den Fingern auf der Arbeitsfläche herum und ließ ihren Blick durch die Küche gleiten. »Lena hat erzählt, dass Lukas auf unbestimmte Zeit wieder hier ist. Vielleicht wollt ihr ja mal wieder etwas zusammen machen.«
Ich musste schwer schlucken. Nur über meine Leiche.
»War der Job in London nichts, von dem sie so angetan war?« Papa klang missmutig.
Mama zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Davon hat Lena nichts gesagt.« Dann wandte sie sich wieder an mich. »Wir gehen morgen früh einfach zusammen ausreiten. Hmh? Ein bisschen Kopf freibekommen, bevor du zurück an den Schreibtisch musst und ich wieder ans Grafiktablett.«
Widerwillig nickte ich. Ein Ausritt mit Liz am Meer, nach dem Checken des Gezeitenkalenders, war mir trotzdem lieber. »Können wir machen. Dann kann ich auch die Fotos für dich machen.«
Papa sah verwundert zwischen uns hin und her. »Welche Fotos?«
Mama strahlte sofort wieder von einem Ohr zum anderen. »Ich habe heute vor dem Meeting von der Autorin ein neues Set für Doni geschenkt bekommen. Total süß. Hellblau mit den Protagonisten aufgestickt.«
»Aha«, kam es nur gedehnt von Papa. »Am Wochenende kann ich auch mal wieder mit dem Fahrrad mitkommen, oder habt ihr da schon wieder ein Turnier genannt?«
Mama sah zu mir. Ich schüttelte den Kopf. Inzwischen fuhr ich nicht mehr allein. Über M war ich sehr zu Steffis Unmut auch bisher nicht gestartet. Bald war Mama mit mir wieder auf einem Niveau.
»Na dann Till, heißt das wohl Kette reparieren und mental schon mal auf Samstag vorbereiten.«
»Sag mal was, hat eigentlich am Stall so lange gedauert. Ich dachte, du wolltest nur eben reinstellen.« Papa legte sein Handy auf den Tisch. »Die Glühbirne habe ich übrigens gewechselt.«
»Viva und Doni gingen sehr schnell. Pantas und Blaze waren etwas schwerer, dann war es so am Schütten und Hannah wollte auch noch, dass ich mir eine Bisswunde an einem Schulpferd angucke.«
»Bald bist du ihre Privattierärztin, wie es aussieht.«
»Das habe ich auch schon gesagt.« Mama lachte und drehte sich zu den Küchenschränken hinter ihr. »Haben wir eigentlich noch Brot?«
»Ich habe heute Mittag Neues geholt und ansonsten sind da auch noch Brötchen von Ellie. Die fragte auch gestern noch, wann du mal wieder aushelfen kannst. Ich habe ihr gesagt, sie soll dir schreiben, Marie.«
»Bisher hat sie mir noch nicht geschrieben.« Eigentlich eigenartig. Seit ich wieder in Kleinblommen lebte, war ich Ellies erste Adresse, wenn sie kurzfristig eine Aushilfe brauchte. »Aber kommt wohl noch.«
»Na dann ist ja alles gut. Und du wahrscheinlich beschäftigt, wenn wir weg sind.« Mama zog drei Teller aus dem mittleren Fach.
Am nächsten Tag betrat ich schon um acht Uhr den Stall. Die Luft roch noch intensiv nach Heu und Hafer. Mama saß vor einer Besprechung und ich hatte die wundervolle Aufgabe bekommen, schon einmal die Pferde zu putzen. So einen Service hätte ich auch gerne.
Haddy brummelte mir entgegen und streckte neben Viva den Kopf über die Boxentür. Sofort wurde mir wieder schwer ums Herz. Übermorgen wäre sie schon auf dem Weg nach Schweden.
Tief atmete ich ein und rieb ihr sanft über den Nasenrücken. Sie streckte die Schnauze vor und knabberte an meinem Reißverschluss. »Ich vermisse sie auch.«
Viva trat da schon ungeduldig vor die Tür.
»Ja, ja. Sie frisst dir schon nicht die Hagebutten weg!«
Ich langte in meine Jackentasche und hielt Haddy eine der getrockneten Knospen hin. Ohne genau zu riechen, was es war, nahm Haddy das Leckerli zwischen die Lippen. Der Kiefer malmte und sie forderte schon das Nächste. Ich strich ihr noch einmal wehmütig durch den Schopf, dann begab ich mich zu meinem Pferd.
Viva schnaubte und stieß mich sofort fordernd an. Doni in der Nebenbox mümmelte immer noch sein Heu und hob, als ich neben Viva stehen blieb, nur kurz den Kopf.
Ich mochte diese Morgen im Stall. Diese Ruhe, nur durchbrochen vom rhythmischen Malmen der Pferdekiefer und dem Rascheln von Heu und Stroh.
Ich schnappte mir Vivas Halfter von dem Harken an ihrer Box und öffnete die schwere Schiebetür. Ihr Frühstück hatte Viva schon längst inhaliert und schob mir ungeduldig ihren rotbraunen Kopf entgegen. Ich streifte ihr das schmutzige Nylonhalfter über und kraulte sie dann hinter den Plüschohren. Sie quittierte die Behandlung mit einem weiteren tiefen Schnauben. »Im nächsten Leben wirst du noch Schmusepony.« Ich musste lachen.
Gerade führte ich Viva aus ihrer geräumigen Fensterbox, da hörte ich Schritte auf der Stallgasse. Lächelnd wandte ich mich in die Richtung, um demjenigen freundlich einen guten Morgen zu wünschen, das guten Morgen blieb mir jedoch im Halse stecken, als sich sah, wer da durch die Stalltür getreten war.
Immer noch ein elendiges Pokerface auf dem Gesicht schlenderte er, die Hände tief in den Taschen der abstoßend gut sitzenden grauen Reithose vergraben, die Stallgasse hinab. Die teure Sonnenbrille hatte er nicht einmal von der Nase genommen. So wie früher nach heftigen Stufenpartys.
Ich musste schlucken und sah sofort wieder weg. Warum musste ich ihm gerade jetzt über den Weg laufen? Wo war Mama, wenn man sie brauchte? Konnte ihr Meeting nicht früher enden?
Pantas brummelte leise, als er Lukas bemerkt hatte. Auch Blaze tänzelte nervös vor seiner Boxentür hin und her.
»Beruhigt euch mal wieder.« Seine Stimme ging mir immer noch runter wie Öl. Wie auf Bestellung zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
Kurz blickte ich zu Viva, die mich sanft aus ihren großen dunklen Augen ansah. Ich seufzte ganz leise, worauf sie aufmerksam mit den Ohren spielte. Sanft drückte sie ihre Nase an meine Wange und pustete mir ihren warmen Atem tröstlich ins Gesicht.
Zärtlich strich ich ihr über die zarte Nase und lächelte meine Stute an. Sie war so verdammt süß!
»Ich störe ja nur ungern, aber hast du gerade einen Moment?« Überrascht fuhr ich zusammen. Lukas lehnte lässig wie eh und je neben mir an der Box, die Arme vor der Brust verschränkt und die Sonnenbrille in der linken Hand. Einige Haarsträhnen hingen ihm ins fein geschnittene Gesicht.
Ich öffnete die Lippen und wollte zu einer halbherzigen Ausrede ansetzen, aber er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen.
Ein einnehmendes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Die Grübchen in seinen Wangen kamen zum Vorschein. Sein Blick hatte dieses Verruchte, das mich damals schon so fasziniert hatte.
»Danke, dass du dich um die beiden gekümmert hast, nach Mums Unfall.«
Ich schluckte. Mein Mund fühlte sich plötzlich so trocken an. »War doch kein Problem.« Das Blut schoss mir in die Wangen. Wie ich es hasste, wenn er mich so ansah. Er sah immer aus, als wüsste er, dass er mich so handzahm bekam.
»Eigentlich wäre das meine Aufgabe gewesen.« Er lachte. Seine grünen Augen funkelten schelmisch auf. »Ich schulde dir wohl was.«
Ich vergaß in dem Moment zu atmen. Das, wie er es sagte, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. In meinen Gedanken war ich wieder bei der Afterparty vor über fünf Jahren. Was sollte er mir schulden?
Viva hob die Nase und schnüffelte an seiner Jacke. Er strich ihr über die Stirn. »Immer noch so verfressen wie früher.« Er hatte immer noch dieselbe Liebe für die Pferde im Blick wie damals. Mein Herz schlug schneller. Viva zog derweil enttäuscht den Kopf wieder weg. Streicheln war gut, aber Leckerlis eben doch um einiges besser.
Ich musste hier weg! Sofort! Sonst tat ich noch etwas Dummes. Mit gestrafften Schultern machte ich einen großen Schritt aus der Box. »Kannst du die Tür hinter uns schließen?« Innerlich klopfte ich mir für meinen festen Tonfall auf die Schulter. Das zwischen uns war vorbei.
Er biss sich auf die Unterlippe. Ich meinte sowas wie Ernüchterung aus seinem Blick lesen zu können. Es hätte alles anders sein können, wenn er nicht einfach abgehauen wäre. Vielleicht hätte ich mich dann sogar gefreut, ihn wiederzusehen.
Vivas Hufe klapperten über die Pflastersteine auf der Stallgasse. Hinter uns wurde die Tür zugeschoben und schnelle Schritte folgten uns.
Den Blick nach vorn gerichtet lief ich stur weiter. Bloß nicht umdrehen. Scheiße! Warum konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Warum konnte er nicht vor einer Woche zurückkommen? Liz hätte ihm wohl was gehustet und Ole ihm ebenfalls die Hölle heiß gemacht. Er war mindestens genauso verletzt gewesen über Lukas Verschwinden, wie ich. Bei ihm hatte der Dickschädel sich jedoch wenigstens nach drei Wochen Funkstille gemeldet.
Ich knirschte mit den Zähnen. Eigentlich hatte ich alles Recht, ihm gegenüber auszuflippen. Was hielt mich davon ab, ihm eine Szene zu machen? Verdient hätte er es!
Fest presste ich die Lippen aufeinander und beschleunigte meine Schritte. Hoffentlich merkte er, dass ich kein Interesse an einer weiteren Konversation mit ihm hatte.
Am Anbindebalken blieb ich stehen. Viva streckte sich, um den Boden abzuschnüffeln. Er holte zu uns auf.
»Was hast du jetzt vor?« Ein Teil wollte, dass er sich wie früher Pantas schnappte und mitkam, ein anderer, dass er zur Hölle fuhr. Letzter überwog.
»Ich gehe mit Mama ausreiten.« Ich zog Vivas Kopf vom Boden hoch und klinkte den Anbinder in ihr Halfter. Mit fest zusammengebissenen Zähnen öffnete ich den Führstrick.
»Ist Liz nicht hier?« Ich sah aus dem Augenwinkel, wie er seinen Blick über, den noch viel zu ruhig daliegenden Hof wandern ließ.
Augenblicklich schossen mir die Tränen in die Augen. Natürlich musste er mit Anlauf ins Fettnäpfchen springen. Viva drückte mir schon wieder ihre Nase tröstend an die Wange. Mit einer Hand griff ich Halt suchend in ihre Mähne. Er sollte ja nicht merken, wie sehr mich das mitnahm. »Ole und sie sind letzte Woche nach Schweden gezogen.«
»Krass. Die beiden sind immer noch zusammen?« War das alles, was er dazu zu sagen hatte. Ich dachte, Ole wäre sein bester Freund? »Ich habe echt eine Menge verpasst.«
Mein Griff in Vivas kurzer Mähne wurde wieder lockerer. Vielleicht zog er endlich Leine.
»Was ist hier eigentlich los? Hannah hätte doch sonst schon die ersten Kinder zum Ferienkurs auf der Matte stehen. Oder vertue ich mich?«
»Betriebsferien. Hannah will mehr Zeit mit ihrer Tochter verbringen.«
»Und dann wirft sie mir vor, dass ich mich nie gemeldet hätte.« Missmut schwang in seiner Stimme mit. Die Anbindestange knackte leise, als er sich dagegen lehnte und mich schon wieder mit schief gelegtem Kopf betrachtete. Der Flaum in meinem Nacken stellte sich auf.
Zittrig atmete ich ein und trat zögerlich von Viva weg. Er sollte einfach wieder in seinem Loch verschwinden und nie wieder an der Erdoberfläche auftauchen.
Lukas grinste wissend. »Sicher, dass du heute nicht doch noch irgendwie Zeit hast?«
»Da muss ich dich enttäuschen, Lukas. Meine Tochter gehört heute Morgen mir und danach muss sie sich um ihre Zulassung kümmern.« Selten war ich so erleichtert, Mama zu sehen. Mit Schwung schmiss sie die neue Schabracke über den Balken.
Charmant lächelnd, wie eh und je, hob er abwehrend die Hände. »Dann darf sie heute nicht zum Spielen kommen?« Er lachte. »Hallo Louise, lange nicht mehr gesehen.«
Mama hob nur beide Augenbrauen. »Kann man so sagen.« Es war ein offenes Geheimnis zwischen ihr und mir, das er hinter meinem gebrochenen Herzen gesteckt hatte. »Wie lange ist deine Mutter noch in Lüneburg?«
Er zuckte mit den Schultern. »Sie wollte sich melden. Das war gestern Abend. Ich schätze mal, übermorgen ist sie spätestens zurück.«
»Dicke Luft?«
Er verzog das Gesicht. »Eigentlich nicht.«
Mama nickte langsam und warf mir einen Seitenblick zu. »Ich hole mir dann mal mein Pferd, der macht sich leider noch nicht selbst fertig.«
Wenig später ritten wir nebeneinander durch das Wäldchen. Die Zügel lang und die Hälse gesenkt trotten Viva und Doni einträchtig nebeneinander über den weichen Weg aus festgetretener Erde, Laub und auch einigen Pfützen.
»Wie geht es dir damit, dass er zurück ist?«, tastete sich Mama vorsichtig vor.
Ich musste schlucken. »Gut.«
»Marie, bitte!«
»Was? Was willst du hören?« Mit schnippischem Zug um die Lippen nahm ich Viva wieder auf.
Mama seufzte. »Ich will nicht wissen, was zwischen euch passiert ist, das geht mich auch nichts an, aber England scheint ihm ganz gutgetan zu haben. Liz ist weg, ich weiß, das ist gerade schwierig. Ganz vielleicht, ich meine ja nur,...«
»Nein! Vergiss es!« Energisch ritt ich vorwärts.
»Vielleicht überlegst du dir das ja noch mal. Als Kinder wart ihr jedenfalls wirklich süß zusammen.«
Als Kinder. Jetzt waren wir erwachsen, und ich schaffte es nicht mal, ihm länger in die Augen zu sehen.
»Wo wollen wir hin? Deich? Strand? Oder schon wieder zurück?«
»Strand«, entschied ich. Ein Strandgalopp würde mir eindeutig guttun.
Am Donnerstagnachmittag machte ich mir ausnahmsweise einmal Doni fertig. Mama saß total vertieft in ihren Zeichnungen am Schreibtisch und war nur kurz aus ihrer Höhle gekrochen, um mich darum zu bitten Doni ebenfalls zu reiten.
Die Sonne brannte vom Himmel und keine Wolke war weit und breit zu erkennen. Hannah war auch vor wenigen Minuten mit einem ihrer Pferde und ihrer kleinen Tochter auf einem Shetty als Handpferd losgeritten in die Felder. Sie hatte angeboten, zu warten, bis ich fertig war, aber mich zog es eher an den Strand.
Wie immer wartete Doni geduldig darauf, dass ich mit dem Putzen fertig wurde, und schlug nur gelangweilt mit dem Schweif. Viva hätte da schon längst wieder den halben Putzkasten auf der Fläche vor ihr verteilt.
In solchen Momenten beneidete ich meine Mutter für ihren ruhigen Wallach.
Als ich den Sattel und die Trense aus ihrem Spind in der Sattelkammer holte, musste ich feststellen, dass Pantas Spind nur angelehnt war.
Sofort wurde mir schlecht. Lukas war also auch hier. Na super. Ich hatte es geschafft, ihm die Woche über weitgehend aus dem Weg zu gehen. Bisher.
Blieb zu hoffen, dass ich schnell genug vom Hof kam, um ihm nicht in die Arme zu laufen. Bei meinem Glück würde ich ihm wohl auf den letzten Metern geradewegs vor die Füße fallen.
Ich schluckte schwer, zog Donis Sattel, unter dem immer noch die neue Schabracke befestigt war, und die mexikanische Trense aus dem Schrank. Mit einem Knallen fiel die Schranktür zu. Das Vorhängeschloss ließ ich einfach offen am feststehenden Teil des Schrankes baumeln.
Im Schritt ritt ich eine Stunde später den schmalen Dünenweg zum Strandabschnitt des Reitclubs hoch. Das Dünengras wog sich in der kräftigen Brise, die vom Meer kam. In meinem dünnen gelb-weiß gestreiften T-Shirt kam ich ganz schön ins Frösteln.
Doni lief fleißig und mit gespitzten Ohren vorwärts. So lahmarschig, wie er sonst auch sein mochte, wenn es zum Strand ging, dann entdeckte er plötzlich, dass er seine langen Beine nutzen konnte.
Schon von weitem konnte man hören, dass sich etwas Massiges zwischen den Wellen bewegte. Stimmen wehten verzerrt zu mir herüber.
Wahrscheinlich hatten sich wieder fremde Reiter an diesen Abschnitt verirrt, oder Spaziergänger mit einem großen Hund.
Wir bogen auf die offene Strandfläche ab. Zur Sicherheit hielt ich mich in der Nähe der Dünen und ritt Doni, sehr zu seinem Unmut, weiterhin im Schritt.
Neugierig suchte ich nach dem Ursprung des Geräuschs, nur um sofort darüber nachzudenken, einfach kopflos davon zu galoppieren.
Pantas trabte aus den Wellen. Sein schwarzes Fell glänzte wie polierter Onyx in der Sonne und er bog den beeindruckenden Hengsthals bis kurz vor der Senkrechten. Elegant pflügten seine Hufe durch den feuchten Sand auf einen jungen Mann mit Kamera in der Hand zu.
Auf seinem blanken Rücken saß natürlich Lukas. Ein fröhliches Grinsen auf den Lippen, ohne Reithelm und das wohl abstoßendste, oberkörperfrei.
Die Spiegelreflex in der Hand des anderen Mannes klickte. Immer und immer wieder. Pantas warf sich nur noch mehr in den Trab hinein. Es war, als würde er beweisen wollen, dass er für ein Springpferd auch durchaus passabel seine Beine zu schmeißen wusste.
Lukas ritt ihn genau bis kurz vor die Senkrechte. Etwas, das ich zugegeben sehr beneidete. Steffi sagte immer, dass das »Rundreiten« Schwachsinn wäre. Als Veterinärmedizinstudentin musste ich ihr da recht geben und beneidete Lukas nur noch mehr. Viva rollte sich oft viel zu sehr ein.
Sie riefen sich wieder etwas zu und Lukas drehte den Rappen wieder um. Gespannt beobachtete ich, wie er Pantas nach wenigen Metern wieder wendete. Der Hengst schlug mit dem Schweif und spielte erwartungsvoll mit den Ohren.
Der andere Mann trat zur Seite und verstellte etwas an seiner Kamera. Der Wind zerzauste seine kurzen blonden Haare. Mit einem Handheben gab das Startzeichen.
Mit einem großen Satz stob Pantas los. Tief gruben sich die Hufe in den festen Sand. Die kurze Mähne wehte über dem langgestreckten Hals.
Lukas lachte und trieb ihn nur noch mehr an.
Diese Leichtigkeit riss mich mit. Er ritt noch wie früher. Jede Hilfe kam punktgenau, kaum sichtbar. Seine ganze Körperhaltung war entspannt und strahlte eine solche Lebensfreude aus. Ich hatte ihn nie so glücklich gesehen, wie auf dem Pferderücken.
Vor Jahren wäre ich noch neben ihm über den Strand gefetzt. Meine Kehle wurde trocken und ich biss mir auf die Unterlippe.
Liz würde jetzt sagen, ich solle die Leichen im Keller lassen. Aber sie war nicht hier, um mich daran zu erinnern, dass er mir das Herz gebrochen hatte und nicht andersherum.
Doni unter mir nutzte meine Unaufmerksamkeit, um anzutraben. Schnell zügelte ich ihn und dankte ihm gleichzeitig dafür, dass er beim Starren gestört hatte. Wäre ja noch schöner gewesen, hätte Lukas das mitbekommen.
Ich nahm die Zügel weiter auf und blickte noch einmal zu dem Reiter auf dem schwarzen Pferd.
Sie hatten inzwischen angehalten und Lukas mich auch entdeckt. Zumindest hob er die Hand und lächelte in meine Richtung.
Kurz überkam mich die Angst, dass er jeden Moment zu mir herüber traben und wieder einen dieser unangebrachten Flirtversuche starten würde. Das tat er sowieso nur aus Langeweile. Ich sollte ihn eigentlich zu gut kennen, um mich von der Masche aus dem Konzept bringen zu lassen.
Dann fiel mir jedoch ein, dass ich auf Doni unterwegs war und auf die Distanz nach meiner Mutter aussah. Zufrieden grinste ich in mich hinein. Manchmal war es anscheinend doch für etwas nützlich, meiner Mutter sehr ähnlich zu sehen.
So grüßte ich lediglich zurück und ließ Doni gemächlich antraben. Bloß weg hier, ehe er noch blickte, dass ich heute den Schecken ritt. Mit einem Schnalzen trieb ich Doni in den Galopp.
Kurz vor der Abzweigung zurück auf den Feldweg zum Deich parierte ich den Wallach wieder durch. Er prustete und Schweiß glänzte auf seiner braun-weiß gescheckten Schulter. Das Gebiss klackte, als er den Kopf hochriss und deutlich zeigte, dass er gerne noch weiter galoppiert wäre.
Tief atmete ich noch einmal die salzige Meerluft ein. Heute hatte ich wohl doch einen kleinen Schutzengel auf meiner Seite. Der Tag konnte nur noch besser werden.
Und wie auf Bestellung klingelte mein Handy, als ich auf den Dünenweg einbog. Sofort fingerte ich es aus meiner Hosentasche und hätte am liebsten vor Glück laut aufgelacht, als ich Liz’ Namen sah. Korrigiere, der Tag konnte nicht noch besser werden, er war schon verdammt gut!
Mit wild pochendem Herzen saß ich am Nachmittag vor meinem Laptop. Die Webcam blinkte grün und ich blickte mir selbst von der unteren Ecke entgegen. Die schwitzigen Hände wischte ich mir nachlässig an der dreckigen Reithose ab. Ich sah abgekämpft aus, was hauptsächlich daran lag, dass ich Lukas aus dem Weg gehen musste, als er Blaze ritt und ich mit Viva eigentlich auch auf dem Platz wollte. Ich hatte mich dann auf ein naheliegendes Stoppelfeld verzogen. Viva da erstmal zu verklickern, dass sie nicht einfach losfetzen durfte, war ein mehr als schweres Unterfangen gewesen.
Das Bild flackerte und dann sah ich das erste Mal seit einer Woche meine beste Freundin. Mir kamen beinahe die Tränen. Es kam mir immer noch so surreal vor. Sie in Schweden. Liz, die mit Fremdsprachen die ganze Schulzeit über Probleme gehabt hatte und der wohl niemand im Traum zugetraut hätte, ins Ausland zu ziehen.
»Oh mein Gott, du glaubst gar nicht, wie gut es tut dich zu sehen!« Aufgeregt stellte sie die Kamera richtig ein.
»Wenn ich noch einen Farbeimer sehe, dann bekomme ich einen Anfall.«
»Ihr seid noch am Streichen?« Der Hintergrund sah zumindest schon ziemlich fertig aus. Ein modernes Regal, gefüllt mit Büchern und kleinen Modellen von Projekten, die Ole an der Uni umgesetzt hatte. Mit einem davon musste er auch irgendeinen Nachwuchspreis gewonnen haben.
»Noch? Du meinst wohl wieder! Hätte mir auch mal jemand sagen können, dass diese Schwedenhäuser so irre viele Schichten brauchen.« Sie schob die Unterlippe vor und plusterte die Wangen auf. Ihre blauen Augen blitzten in die Kamera.
»Aber sonst gefällt es dir?«
Sie wiegelte den Kopf hin und her. Mein Herz schlug höher. Würde sie zurückkommen? »Schon alles cool und so.«
»Aber?«