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Owen Rutledge kehrt enttäuscht aus dem verlorenen Bürgerkrieg auf die einsame Farm zurück. Er findet dort jedoch nur noch einen Haufen verkohlter Asche und die Leichen seiner Eltern. Seine beiden Schwestern entdeckt er erst später - vergewaltigt und ermordet.
Die fünf Mörder haben eine blutige Spur hinterlassen, die von Kentucky nach Westen führt. Aber in den weiten Bergen von Texas verliert er sie.
Owen Rutledge gibt die Suche nicht auf. Sein Ziel ist die Rache. Er wird die Mörder finden und töten - auch, wenn er selbst sein Leben dabei riskiert...
Theodore Victor Olsen (25. April 1932 in Rhinelander, Wisconsin – 13. Juli 1993 in Rhinelander) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Reiter der Rache erschien erstmal im Jahre 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.
Reiter der Rache erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
THEODORE V. OLSEN
Reiter der Rache
Roman
Apex Western, Band 42
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
REITER DER RACHE
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Owen Rutledge kehrt enttäuscht aus dem verlorenen Bürgerkrieg auf die einsame Farm zurück. Er findet dort jedoch nur noch einen Haufen verkohlter Asche und die Leichen seiner Eltern. Seine beiden Schwestern entdeckt er erst später - vergewaltigt und ermordet.
Die fünf Mörder haben eine blutige Spur hinterlassen, die von Kentucky nach Westen führt. Aber in den weiten Bergen von Texas verliert er sie.
Owen Rutledge gibt die Suche nicht auf. Sein Ziel ist die Rache. Er wird die Mörder finden und töten - auch, wenn er selbst sein Leben dabei riskiert...
Theodore Victor Olsen (25. April 1932 in Rhinelander, Wisconsin – 13. Juli 1993 in Rhinelander) war ein US-amerikanischer Western-Autor. Der Roman Reiter der Rache erschien erstmal im Jahre 1960; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1970.
Reiter der Rache erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX WESTERN.
Ein frostiger Wind wehte von den Bergen herüber. Owen griff automatisch nach den längst nicht mehr vorhandenen Knöpfen seines zerlumpten Schafpelzes, tastete vergeblich, senkte seine Hand wieder auf den Lauf des Gewehrs, das quer über seinen Knien lag. Fröstelnd zog er das Kinn ein und kauerte sich wieder geduldig auf die Hacken. Das dichte Unterholz, das den Steilhang über dem trockenen Flussbett überzog, deckte ihn gegen Sicht. Der Lagerplatz da unten war genau so ruhig und verlassen wie den ganzen Nachmittag über, den Owen wartend verbracht hatte.
Zum hundertsten Male versuchte Owen, sich den noch unsichtbaren Besitzer des Lagerplatzes da unten vorzustellen. Es war ein karges, spartanisch ausgerüstetes Lager. Auf einer Seite waren ordentlich ein paar Ausrüstungsgegenstände und Vorräte aufgestapelt. Die verkohlten Enden des ausgebrannten Feuers waren sorgfältig in die Erde getreten. Das deutete auf einen Mann hin, der weiß, was er will. Vorsichtig war er zweifellos auch.
Owen musste bedächtig Vorgehen. Er wollte den Mann auf jeden Fall lebend haben.
Er hob den Blick zu dem gegenüberliegenden Hang. Drüben stand der Wald genauso dicht und bot gute Deckung für Abner. Vor zwei Stunden hatte Owen beobachtet, wie Ab hinter einem dichten Gebüsch, wenige Meter über dem trockenen Flussbett, in Deckung gegangen war. Seitdem hatte er keine Bewegung mehr wahrgenommen.
Sie waren zwei vorsichtige Männer, und sie waren schon zu lang auf dieser Fährte geritten, um im letzten Augenblick noch einen Misserfolg zu riskieren und ihr Wild zu verscheuchen.
Owen hörte das ferne, monotone Geräusch der hölzernen Waschpfanne. Es kam von einer flussaufwärts gelegenen Stelle, wo Garvey arbeitete. Die Sonne war schon hinter den Bergen im Westen untergegangen, und auch die Dämmerung glitt schon ins Dunkel der Nacht hinüber. Garvey musste jetzt bald Schluss machen und in sein Camp zurückkehren.
Der Plan war einfach. Owen und Ab hatten ihn am Nachmittag, gleich nach ihrer Ankunft, genau festgelegt. Sie hatten Garvey nicht gesehen, aber sie hatten ihn arbeiten gehört, anscheinend in einem wasserführenden Arm, der weiter oben von dem trockenen Flussbett abzweigte.
Der alte Mann drunten im Dorf hatte ihnen gesagt, dass Garvey unberechenbar und jähzornig sei. Vor ein paar Wochen war er hier auf eine ausgiebige Goldader gestoßen und hatte ein paar Männer, die seinem Claim zu nahe gekommen waren, mit dem Gewehr verjagt. Garvey trug stets ein Gewehr und einen Colt bei sich, und er konnte mit beiden Waffen gut umgehen.
»Freunde von Garvey?«, hatte der alte Mann gefragt.
»Wir kennen ihn«, war Owens ausweichende Antwort gewesen.
Er lächelte grimmig vor sich hin. Ja - sie kannten diesen Garvey, obgleich nur Abner ihn vor sieben Jahren einmal kurz gesehen hatte. Sie wussten genau, wo und wann er geboren war, wie er aussah, was er getrieben hatte. Und sie kannten ziemlich genau seine Todesstunde, dachte Owen grimmig. Der Gedanke an Garveys Tod war schon fast zu einem festen Bestandteil seines Lebens geworden.
Wenn sie sich nachher an den Mann anschlichen, durfte es kein zufälliges Geräusch geben. Garveys Nerven waren sicher so gereizt, dass er beim geringsten Anzeichen einer nahenden Gefahr wild um sich knallen würde. Zu zweit konnten sie ihn in die Enge treiben, sobald er in sein Camp zurückkehrte. Einer konnte ihn in Schach halten, während der andere ihn erledigte. Owen hoffte, dass Garvey vernünftig genug sein würde, um im rechten Augenblick die Pfoten hochzunehmen.
Plötzlich waren Owens Sinne hellwach und zu äußerster Aufmerksamkeit gespannt. Das hölzerne Quieken der Waschpfanne hatte aufgehört. Er legte den Kopf lauschend auf die Seite und spähte durch das dichte Blattwerk, das ihn verbarg, flussaufwärts.
Gleich darauf bog Garvey um eine Biegung des trockenen Flussbettes. Owen fasste ihn scharf ins Auge. Garvey war ein kleiner, bärtiger Mann mit wasserhellen Augen in einem ausdruckslosen Gesicht, das irgendwie an ein harmloses Schaf erinnerte. Er trug eine verschmierte Arbeitshose und ein Baumwollhemd, das ihm vor Schweiß am Körper klebte. Den Schlapphut hatte er tief in die Stirn gezogen. Die schmalen Schultern waren von harter Arbeit gebeugt. In einer Hand trug er das Gewehr, in der anderen den Goldbeutel aus Elchleder.
Garvey trat zu der Feuerstelle, bückte sich und legte den Lederbeutel auf den Boden. Dann lehnte er das Gewehr quer darüber. Er griff nach dem bereitliegenden trockenen Reisig, um das Feuer anzulegen.
Owen bewegte seine verkrampften Beinmuskeln und richtete sich langsam auf. Er öffnete schon die Lippen zu einem scharfen Ruf.
Aber mitten in der Bewegung verharrte er mit gebeugten Knien regungslos, als sich Garvey mit einem Ruck aufrichtete. Mit angehaltenem Atem lauschte Owen und wagte sich nicht zu rühren, als Garvey die Arme über den Kopf reckte und sich laut gähnend dem Abhang zuwandte. Sein Blick glitt dabei über das Unterholz und blieb für eine Sekunde an der Stelle hängen, wo Owen hockte. Dann schaute Garvey scheinbar teilnahmslos in eine andere Richtung. Owen beobachtete ihn gespannt. Er bückte sich, hob das Gewehr und einen kleinen Korb auf, drehte sich um und verschwand ohne besondere Eile hinter der Biegung des Trockenbettes.
Owen sank auf den weichen Boden. Seine Muskeln bebten. Er spürte, wie ihm unter dem Hemd die Schweißtropfen herunterliefen.
Verdammt - er kann mich nicht gesehen haben! Oder doch? Er wollte schon das Feuer anlegen... Nein, er will mit dem lehmverschmierten Korb nur Wasser holen! Er braucht das Wasser für den Kaffee, das ist alles...
Trotzdem verfluchte er sich jetzt wegen seines Zauderns. Er hätte Garvey anrufen müssen, als er sein Gewehr noch nicht in der Hand hielt.
Die Sekunden dehnten sich zu Minuten. Ein ungutes Gefühl beschlich Owen. Das Wasser war gleich da drüben hinter der Biegung. Vielleicht hat er mich doch entdeckt?
Er darf mir nicht entkommen!
Owen richtete sich lautlos auf und durchforschte mit den Blicken den schweigenden Wald und das gegenüberliegende Ufer. Aufgerichtet maß er über ein Meter fünfundachtzig, ein Mann mit den Muskeln eines Schmieds, dessen ausladende Schultern durch die Schaffelljacke noch breiter wirkten. Um das Gewehr spannten sich mächtige Fäuste, die an den Knöcheln verschrammt waren. Sein breites Gesicht wurde durch die vorstehenden Backenknochen betont. Die Nase war zweimal gebrochen. Aber es war ein Gesicht ohne brutalen Zug. Das Gesicht eines stolzen, aufrechten Mannes, der zu kämpfen weiß - der aber keinen Streit sucht und nur dann kämpft, wenn er muss.
Das verfilzte Haar endete am Kinn in einem knappen, haselnussbraunen Bart, der die harten Linien um den Mund etwas milderte. Die großen grauen Augen blickten wach und nüchtern in die Welt.
Owen wollte sich schon mit einem halblauten Ruf mit Abner verständigen - da hörte er fünfzig Schritte hinter seinem Rücken das Knacken eines trockenen Zweiges. Es war nur ein ganz kurzes Geräusch, als ob jemand fehlgetreten und dann sofort innegehalten hätte.
Das war kein Tier!, dachte Owen. Er hat mich gesehen und glaubt, dass ich ihn umlegen will, um den Goldbeutel zu bekommen. Auf keinen Fall wird er davonlaufen und den Goldstaub im Stich lassen. Er will mir in den Rücken fallen, um einen guten Schuss anzubringen...
Regungslos wartete Owen auf das nächste verräterische Geräusch. Da - ein trockener Ast knackte unter einem Tritt! Owen verließ sein Versteck, und kletterte den Abhang hinauf. Seine Zehen krallten sich in den lehmigen Boden. Trotz seiner Schwere bewegte er sich mit katzenhafter Gewandtheit zwischen den Baumstümpfen und Wurzeln.
Er erblickte für einen Moment Garveys schmächtige Gestalt. Mit eingezogenem Kopf arbeitete sich Garvey durch das Astwerk und kam den Hang herunter. Owen presste sich an den umfangreichen Stamm einer alten Fichte und ließ Garvey näher kommen. Dann plötzlich entdeckte ihn der Mann und erstarrte zur Unbeweglichkeit einer steinernen Statue.
Owen holte tief Luft und rief: »Wirf die Eisen weg, Garvey! Ich will deinen gelben Staub nicht, sondern...«
Garvey stieß einen unterdrückten Schrei aus und riss gedankenschnell das Gewehr hoch. Bäume und Felsen warfen das Echo des Schusses zurück. Die Kugel fetzte einen Meter über Owens Kopf tote Rinde von dem Fichtenstamm und schwirrte davon.
Garvey wirbelte herum und keuchte den Abhang hinauf. Owen folgte ihm, brach wie ein wütender Bisonbulle durch das Unterholz. Er hätte jetzt ein klares Ziel vor sich gehabt, aber er nahm sich nicht die Zeit für einen gezielten Schuss.
Der verzweifelte Entschluss, Garvey um jeden Preis lebend zu fangen, brannte in seiner Brust wie ein Schwur.
Der Hang wurde steiler, steiniger. Baumwuchs und Vegetation hörten auf. Garvey erklomm einen schmalen Pfad, schnellte von einem Felsabsatz zum anderen mit Sätzen, wie sie eine Bergziege in höchster Verzweiflung zustande bringt.
Plötzlich verlor der Mann das Gleichgewicht und wirbelte auf den Fersen herum. Seine ausgestreckten Hände suchten an einem verwitterten Felsvorsprung nach Halt. Er fing sich noch einmal, verlor aber das Gewehr. Es glitt über die nackten Felsen herab und blieb genau vor Owens Füßen liegen, als dieser aus den Büschen auftauchte und am Fuß des steinigen Steilhangs innehielt.
Garvey hing da oben zwischen Himmel und Erde, an seinen dürftigen Halt geklammert, und brabbelte unverständliche Verwünschungen.
»Garvey, komm runter!«
Statt einer Antwort tastete Garvey mit unsicherer Hand nach dem Colt. Owen zog scharf die Luft ein und hielt sie an, während er sorgsam zielte. Sein Schuss krachte in dem Augenblick, als Garvey das Eisen aus dem Halfter brachte.
Garvey brüllte und kauerte sich auf den Boden. Er umklammerte den zerschmetterten Arm. Sein schmerzliches Wimmern verstummte, als Owen den Aufstieg begann. Er trat vorsichtig von einem Felsbrocken auf den anderen und arbeitete sich schräg hinauf. Er wollte Garvey unter sich bekommen, um ihn dann von oben her angreifen zu können.
Doch der Goldwäscher durchschaute seine Absicht. Er kletterte weiter, wobei er in seiner verzweifelten Hast, dem unausweichlichen Schicksal zu entrinnen, ganze Lawinen von lockerem Gestein auslöste.
Owen fluchte vor sich hin. Aber er ließ nicht locker. Seine Hände und Füße fanden auch den kleinsten Halt und nutzten ihn geschickt aus. Garvey hätte zum Klettern beide Hände gebraucht. Eine war verletzt. Seine keuchenden Atemzüge drangen immer deutlicher an Owens Ohr, als er sich näher heranarbeitete.
Garvey erreichte ein schmales Felsband und spähte mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. Dann duckte er sich. Owen vernahm Garveys angestrengtes Keuchen und das Knirschen von Stein auf Stein. Er hatte nicht genug Zeit zum Ausweichen, konnte sich nur flach an die Felswand pressen, als von oben ein riesiger Brocken über das Felsband rutschte und auf ihn herunterkrachte. Eine Felsnase lenkte das tödliche Geschoss im letzten Augenblick zur Seite hinab. Es stürzte einen Schritt neben Owen in die Tiefe.
Owen wurde von kleineren Steinen und trockenem Staub überschüttet. Er hustete und kämpfte die Panik nieder. Dann lehnte er sich soweit wie möglich zurück und krallte seine Finger in einen Felsspalt. Sein Blick erspähte den nächsten Halt für die Füße - er schwang sich zur Seite und war in Sicherheit.
Oben an der Kante tauchte Garvey auf. Er hielt einen großen Stein in der erhobenen Hand. Weit holte er aus - der Stein flog in großem Bogen über Owen hinweg. Aber das nächste Wurfgeschoss schlug so nahe neben Owen ein, dass er die abgesplitterten Steinfetzen durch das dicke Schaffell spürte.
Owen hatte sein Gewehr unten zurückgelassen. Er zog den Colt und feuerte. Die Kugel riss Funken aus dem Felsband, und Garvey verschwand. Owen steckte das Eisen weg und kletterte weiter. Der Atem rasselte in seiner Brust, er war von der Anstrengung schweißüberströmt. Schmerzhaftes Seitenstechen machte sich bemerkbar.
In weniger als einer Minute erreichte er einen Punkt auf gleicher Höhe mit Garveys Felsband. Dann schob er sich vorsichtig seitlich weiter. Garvey hockte auf den Fersen und hielt seinen verletzten Arm. Gleichgültig beobachtete er Owens Näherkommen. Dann starrte er auf den Boden und hob den Blick erst, als Owen mit einem Satz neben ihm auf dem Felsband stand.
Owen packte ihn am Kragen und zog den schmächtigen Gegner scheinbar mühelos hoch. Sein Gesicht schob sich vor, bis es ganz dicht vor Garveys schweißüberströmter Stirn war.
»Schau mich an! Du wirst mich wiedererkennen!«
Garvey schüttelte mühsam den Kopf. Er konnte sich in dem harten Griff kaum bewegen.
»Nein. Nie gesehen. Hab' dir nie was getan!«
»Du hast mich schon gesehen, Garvey!« Owens Stimme klang in seinen eigenen Ohren wie ein wilder Schlachtruf. »Da waren noch vier andere Gesichter, die sahen meinem ähnlich. Ein Mann - eine Frau - zwei Mädchen... halbe Kinder noch. Streng deinen Grips an! Das war vor sieben Jahren... das blaue Grasland hinter Lexington. Eine große Farm. Du warst damals bei der Tierney-Bande. Nur fünf von euch sind davongekommen. Die übrigen sind unter Morgans Kugeln krepiert. Der Krieg war schon seit einer Woche vorbei...«
Owen hielt inne. Garveys Gesicht war fahl vor Angst und Entsetzen, und in seinen blassen Augen schimmerte Erkennen.
»Oder - willst du dich nicht erinnern?«, fragte Owen leise. »Es muss noch einen ganzen Haufen niedergebrannter Farmen gegeben haben. Eine Masse getöteter Kinder und Frauen, bis der Krieg aus war. Auch danach - getötet von dir und Tierney, was?
Ich rede von der Rutledge-Farm. Die vier ähnlichen Gesichter... meine Mutter, mein Vater, meine Schwestern... Garvey!«
Die letzten Worte wurden zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorgepresst. Dann schleuderte Owen seinen Gegner gegen die Felswand. Garvey sank auf Hände und Knie nieder. Seine Augen waren von den wirren Haaren, die ihm in die Stirn fielen, halb verdeckt. Der Mann flüsterte:
»Du - bist Owen Rutledge... bist mir all die Jahre gefolgt... all die vielen Jahre...?«
»Du wirst am Leben bleiben, bis alles erledigt ist, Garvey«, sagte Owen tonlos. »Zwei Banditen wurden erledigt. Erschossen von den Bundestruppen. Blieben noch drei: Du, ein Leutnant namens Sykes und Tierney. Ihr drei seid nach Texas verschwunden.« Owen stand breitbeinig über der zusammengesunkenen Gestalt, seine Fäuste ballten und öffneten sich immer wieder. »Wo sind die anderen, Garvey? Wo stecken Tierney und Sykes? Du wirst es mir sagen, verdammt noch mal!«
»Hör zu«, flüsterte Garvey heiser. »Ich - will dir alles sagen. Wir können uns doch verständigen...«
Owen bückte sich, packte ihn an der Kehle und schüttelte ihn wie eine Ratte.
»Lass dir Zeit, Garvey!«, knurrte er. »Ich hab Zeit - du nicht!« Er ließ ein bisschen Luft durch die Kehle und musste sich niederbeugen, um die geflüsterte Antwort verstehen zu können:
»Blanco. Blanco Town - im Blancotal. Beide - alle beide!«
Owen ließ ihn mit einem Ruck los. Er stand schweratmend da, nur langsam verließ ihn die Erregung. Sieben Jahre, dachte er. Sieben lange Jahre waren es - und nun...
Seltsam, wie sehr Rachegedanken zu einer Gewohnheit werden können. Wie sie abstumpfen, bis man plötzlich am Ende der Reise steht und merkt, dass man sein Ziel erreicht hat. Als ob damit auch alles andere zu Ende wäre...
Eine tiefe Stimme hallte von unten herauf. Owen lehnte sich mit dem Rücken gegen den Fels und warf einen Blick in die Tiefe. Er sah Abner unten am Fuß des felsigen Steilhangs. Er schaute fragend herauf zu ihm. Owen winkte ihm beruhigend zu.
Er hörte Garveys plötzliche Bewegung nicht, er ahnte sie mehr und fuhr herum, Garvey stieß ihm die flache Hand gegen den Magen. Sein ganzes Gewicht, seine ganze Willenskraft steckten hinter diesem verzweifelten Stoß.
Für einen Mann von Owens Statur bedeutete der Stoß normalerweise nicht viel. Aber auf dem fußbreiten Felsband konnte Owen keinen Schritt zurücktreten, um das Gleichgewicht zu halten. Sekundenlang wirbelten seine Arme wie wild durch die Luft. Er versuchte, sein ganzes Gewicht zur Seite zu werfen, sich fallen zu lassen. Aber sein Körper hing größtenteils über dem Abgrund, als er den Boden berührte.
Seine Finger krallten sich in den morschen Stein und fingen das Körpergewicht mit einem solchen Ruck auf, dass Owen dachte, es würde ihm die Fingernägel herausreißen. Steine bröckelten unter seinem Griff. Aber der Griff hielt. Er baumelte an ausgestreckten Armen von dem Felsband herab. Er strampelte, schwang die Beine vor, um mit den Zehen Halt zu finden - umsonst.
Garvey lachte hysterisch. Seine Stiefel kratzten über den Boden. Owen warf den Kopf in den Nacken und starrte nach oben. Er sah gerade, wie der Mann den Fuß hob, um mit dem Absatz nach seinen Händen zu treten.
Der Gewehrschuss knallte scharf und laut.
Mitten in der Bewegung hielt Garvey inne und drehte sich beinahe elegant um die eigene Achse. Dann wirbelte er in freiem Fall acht Meter tief durch die Luft, bevor sein Körper am Fuß der aufragenden Klippe zerschellte. Er rollte noch wie eine Stoffpuppe ein Stück weiter und blieb regungslos liegen.
Owen verrenkte sich fast den Hals und blickte nach unten. Abner ließ das Gewehr sinken.
»Musst noch eine Weile aushalten!«, rief er herauf.
»Eine Minute - länger - geht's nicht - Ab!«, stöhnte Owen.
Er hörte die raschen Schritte näher kommen. Abner kletterte, so schnell er konnte. Er ist zu langsam, dachte Owen, als ginge ihn das nichts mehr an. Mein Gott - wie schnell kann ein Mensch überhaupt klettern? Seine Arme wurden bis in die Schultern lahm, dafür schoss ihm das Blut in die Fingerspitzen wie mit tausend glühenden Nadeln. Er presste die Stirn gegen den Fels und schloss die Augen. Funken sprühten hinter den geschlossenen Lidern. Er wusste, dass seine Finger jetzt nachgeben würden.
Da schlossen sich kräftige Fäuste um seine Handgelenke.
Er beugte den Kopf weit zurück und blickte in Abners mahagonibraunes Gesicht.
»Kann dir nicht helfen - nichts unter den Füßen!«, ächzte er.
»Musst aber helfen, Master Owen!«, sagte die tiefe Stimme des Negers. »Kann so nicht richtig zupacken. Kann dich kleines Stück heben, nicht weit. Dann versuch, die Zehen irgendwo einzustemmen. Kann dann nachfassen und wieder ziehen...«
Abner stemmte die Absätze gegen den Stein und zerrte. Owen spürte, wie sein schwerer Körper ein paar Zentimeter an dem rauen Felsen hochgezogen wurde. Er drückte die Knie nach außen und zog sie so weit an, bis er seine Zehen in einen winzigen Spalt schieben konnte.
»Geht schon!«, keuchte er.
Abner ließ auf der einen Seite los und griff tiefer, packte Owens Arm hinter dem Ellbogen. Als sein Griff sich fest geschlossen hatte, griff er auf der anderen Seite nach.
»Jetzt!«
Abner lehnte sich weit zurück. Owen kroch mit ungeheurer Anstrengung an dem glatten Fels hoch und fiel Abner genau vor die Füße. Sie lagen da und schnappten nach Luft.
Abner richtete sich auf und half Owen hoch. »Alles in Ordnung, Master Owen?«
Owen rieb sich Arme und Schultern und nickte.
»Hat er was gesagt?«
»Blanco... das Blancotal.«
»Welcher?«
»Beide. Tierney und Sykes. Alle beide sind dort.«
Sekundenlang standen sie da und starrten sich gegenseitig ins Gesicht. Sie waren weit miteinander geritten - zwei Männer von zwei verschiedenen Rassen, aber mit einem gemeinsamen Ziel. Owen betrachtete den Neger mit einem Gefühl dankbarer Zuneigung und dachte an die vielen Spuren, die diese sieben Jahre bei ihnen hinterlassen hatten. Abner war fünfunddreißig, nur sechs Jahre älter als Owen, aber sein kurzes, krauses Haar lag bereits in grauen Flocken um den runden Schädel. Sie waren gleich kräftig, trugen die gleiche abgewetzte Kleidung, doch Owen überragte seinen Begleiter um eine volle Haupteslänge.
Abners tiefer, tönender Bass sprach aus, was sie beide dachten:
»Hat vielleicht gelogen, dieser Garvey. Hast ihn in die Enge gedrängt. Da hat er vielleicht irgendwas gesagt, nur um was zu sagen. Vielleicht hat er gar nichts gewusst.«
»Es gibt nur eine Möglichkeit, um das herauszufinden«, sagte Owen entschlossen.
Abner nickte wieder und sagte ernst: »Dann sollten wir von diesem verdammten Felsen verschwinden, Master Owen.«
»Trouble, oh Lord - nothing but trouble in the land of Canaan...«
Abner sang mit weicher Stimme den alten Gospel-Song, während sie einen tiefen Sattel zwischen zwei Berghängen durchquerten. Der Pass zeigte noch alte Wagenspuren und würde sie vor der Nacht ins Blancotal bringen.
»Sieht bös aus da vorn«, stellte Owen fest. »Hoffentlich hast du dein Grisgris mit?«
Abners Faust verschwand unter dem Hemdkragen und kam mit dem Talisman wieder zum Vorschein - einer vertrockneten, eingeschrumpften, an einem dünnen Lederriemen befestigten Kaninchenpfote.
»Hab's die ganze Zeit über gerieben, damit der Teufel sein Herz nicht kriegt.«
»Na, dann ist's ja gut«, sagte Owen lächelnd.
Abners mächtige Hand schloss sich in einer zärtlichen Geste um die Kaninchenpfote. »Das ist der beste Grisgris von ganz Kentucky. Beste im ganzen Westen, wette ich. Hab's von Tante Marie bekommen, an dem Tag, wo du geboren bist.«
Owen nickte ernsthaft. Er hatte die Geschichte viele Male gehört. Tante Marie war die Dienerin seiner Mutter, später sein Kindermädchen, für viele Jahre. Die uralte, kleine Negermammie wurde von ihren Leuten als die größte Voodoo-Zauberin der ganzen Gegend respektiert.
Nachdenklich fuhr Abner fort: »Damals hat sie zu mir gesagt: Wirst der Leibdiener von dem kleinen weißen Herrn werden, mein kleiner Ab. Ist unter keinem guten Stern geboren, der kleine Herr. Viele Schwierigkeiten warten auf ihn. Dieses Grisgris wird euch beide beschützen. Und ihr werdet an dem Tag sterben, wo Grisgris zerbrochen wird. Sieh zu, dass du's immer an deinem Körper trägst... Hat sie gesagt.«
Owen lächelte. Die alten Erinnerungen verscheuchten teilweise die innere Unruhe. Erinnerungen an die gute alte Zeit...
Aber Tante Marie hatte recht behalten. Die Schwierigkeiten fingen sehr bald an. Für den Süden begannen sie mit der ersten Granate, die auf Fort Sumter fiel. Und für Owen hatten sie noch nicht aufgehört.
Er und Abner hatten Garvey an der Stelle beerdigt, wo seine Leiche gelegen hatte. Aufgetürmte Felsbrocken schützten das flache Grab. Zwei kreuzweise zusammengebundene Äste bildeten ein Mal, das nichts über den Toten darunter verriet.
Eine Woche lang waren sie geritten, dann hatten sie den Fuß der ausgezackten Berge eines Ausläufers der Sangre de Cristo Mountains erreicht. Dahinter lag das Blancotal. Jetzt, am Spätnachmittag, näherten sie sich der Passhöhe von Süden her.
Abner machte Owen auf die hellen, niedrighängenden Wolken am nördlichen Horizont aufmerksam.
»Das kriegen wir in ein oder zwei Stunden aufs Dach, Master Owen. Wird höllisch stürmen. Wenn's losgeht, sollten wir irgendwo unterkriechen.«
»Hier nicht. Wir reiten weiter. Gleich geht es wieder bergab. Ich möchte das Tal noch vor der Nacht erreichen - wenn es uns der Sturm erlaubt.«
Abner nickte. Er verstand die Ungeduld seines Herrn, der fast sein Freund geworden war.
Seltsam, dachte Owen, wie eine sieben Jahre dauernde Verfolgung Teil des Lebenszwecks werden kann! Wie man glaubt, es gäbe überhaupt kein anderes Ziel mehr. Und zu anderen Zeiten fühlt man diese innere Unruhe, diese ewige Hetze wie ein Gift, das man ausspucken sollte. Trotzdem hatte er immer eiserne Ruhe bewahrt, eine fast übermenschliche Geduld. Jetzt, wo das Ende von alldem in Sicht war, peinigte ihn der Gedanke, auch nur eine einzige Stunde mehr zu vergeuden.
Zuerst ging es nur allmählich bergab. Der Boden war eben genug, um einen raschen Abstieg zu ermöglichen. Sie legten häufig kurze Pausen ein, um ihre Pferde in der dünnen Höhenluft nicht zu überanstrengen. Unter ihnen tauchte das Blancotal auf, ein flacher, grünender Talkessel, geschützt durch die wilden Seitenberge des Sangre-Gebirges. Hier hatte sich in den letzten zweihundert Jahren unter spanischer und amerikanischer Herrschaft ein Vorposten der Zivilisation entwickelt, ein dichtbewohntes Rinderland, gegen das brodelnde und feindselige Grenzland geschützt und abgeschirmt. Von der Höhe aus konnte man in der klaren Luft schon wie ein winziges Spielzeug die Häuser von Blanco City erkennen.
Der Sturm brach erst über sie herein, als sie den Pass überwunden hatten und die sanften Hügel weiter unten durchritten. Erst trieben ein paar heftige Böen schwarze Wolken heran und beschleunigten die frühe Dämmerung. Dann legte der Sturm mit voller Wucht los und zerrte tosend und brausend an Pferd und Reiter.
Owen und Abner hielten sich dicht an einem kleinen Bergrücken und hofften, in einer Höhle oder unter einem Felsüberhang Schutz zu finden. Dann fanden sie den schmalen Weg, der durch ein Cottonwood-Wäldchen führte. Hier wurden Sturm und Regen etwas abgehalten.
Zwischen den hohen Stämmen gab es kein Unterholz. So erspähten sie das Feuer vor ihnen schon aus einer Entfernung von mindestens fünfzig Meter. Keiner der beiden sagte ein Wort oder verlangsamte den Ritt. Sie hatten gemeinsam zu viele Gefahren bestanden und brauchten sich nicht durch Worte zu verständigen. In einer so scheußlichen Nacht würde es wenig Menschen geben, die einen Fremden abwiesen. Aber sie wussten nicht, ob das Feuer einem Freund oder einem Feind gehörte.
Abner erriet Owens Gedanken. Er knöpfte den Mackinaw auf und lockerte das Bowiemesser im Gürtel. Er trug keinen Revolver, aber auf kurze Entfernung konnte er die schwere, kräftige Klinge so genau und mit tödlicher Treffsicherheit werfen, dass sie eine zuverlässigere Waffe war als für andere der Colt.