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Beschreibung

Dieses Buch - gibt einen Überblick über religiöse Glaubensrichtungen im gegenwärtigen China, - erkundet das Vordringen fremder Religionen nach China und deren Entwicklung sowie die der traditionellen chinesischen Religionen, - analysiert die vielschichtigen Querbeziehungen zwischen Religion, Kultur und Politik im gegenwärtigen China. Xinping Zhuo untersucht den religiösen Glauben in China umfassend aus der Perspektive der Kulturphilosophie und Kulturgeschichte. Er analysiert die sozialen, politischen, kulturellen und sozialen Aspekte sowie die spirituelle Bedeutung der Religionen in China – Taoismus, Buddhismus, Katholizismus und Christentum, Islam – einschließlich ihrer historischen Entwicklung und im Laufe der Entwicklung vollzogener Paradigmenwechsel. Dabei betrachtet er auch die Charakteristika der lokalen Religionen Chinas sowie den Prozess der Indigenisierung der Weltreligionen und beschreibt das friedliche Zusammenleben und das harmonische Zusammenfließen mehrerer Religionen im chinesischen spirituellen Leben, wodurch die lebendige Vielfalt der gegenwärtigen chinesischen religiösen Kultur entsteht. Das Buch bietet eine Analyse der sozialen und kulturellen Aspekte von Religion in der zeitgenössischen chinesischen Gesellschaft und gewährt so faszinierende Einblicke in deren kulturelle Funktion sowie in die vielschichtige Verflechtung von Religion, Kultur, Gesellschaft und Politik in China.

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Seitenzahl: 668

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Vorwort

Seit den kollegialen Zeiten des jesuitischen Weltgelehrten Mateo Ricci (1552–1610) und des christlich-konfuzianischen Mandarins Xu Guangqi (1562–1633) liegt er zwischen China und Europa offen da, ein Weg: Das Dao (道) der Angewöhnung (Akkommodation), sich einander anzuverwandeln, gemeinsam zu lernen und zu arbeiten, um aus der Verbindung beider Geisteswelten eine Zukunft zu gestalten. Die Erlebenshorizonte der Religion und die Weltordnungsentwürfe der Philosophie als vielfältigen Raum für Kultivierung und gutes Leben zu gestalten, Ökonomie, Wissenschaft und technologische Innovation für Menschlichkeit dienstbar zu machen – diese Möglichkeiten sind im Himmel des Denkbaren geblieben und harren seither der Verbindung mit unserem Handeln.

Das Religiöse als kulturelles Thema läuft auf die Frage hinaus, worauf wir uns verlassen können, wenn wir von allem verlassen sind. Woran, warum und wie wir glauben, sagt etwas über uns, wer wir innerlich sind und sein wollen. Dieses Sagen ist aber trügerisch. Viele Menschen, die sich modern geben wollen, sagen, sie glaubten an gar nichts, erst recht nicht an Gott – nur an Fakten. Was die Fakten übersteige, gehe sie nichts an. So werden sie selbst zu Göttern einer winzigen Welt, in der es keine oder nichts als Spiegel gibt. Andere halten sich an die Wissenschaft als Aufklärung, um die Macht des Unsagbaren zu mildern, und kultivieren eine skeptisch-achtsame Aufgeschlossenheit. Weitere widmen ihren Glauben einer Ideologie, die nicht religiös sein will, und nehmen in Kauf, dass die Ideenbilder den Logos erdrücken und das ursprüngliche Erleben des Erlebens ersticken. Der konfuzianisch geschulte Chinese aber verlässt sich nicht auf Versprechen, nicht auf Wirtschaft, nicht auf Rüstung – sondern auf das besondere Vertrauen, das ein Wissen über sich selbst enthält.

So entsteht die Verbindung zur Tiefe der Geschichte, durch das Wissen um die Quellen der kulturellen Entwicklung und um die soziale, ökologische, immer bedürftige Natur des Menschen. Vor allem aber erschließt sich die heilende Lebenskraft im Aufgehobensein, die Freiheit, sich zu überheben, Vergebung zu erfahren, um sich fallen zu lassen. Ohne Religion haben weder Existenz noch Maß noch Ziel einen Resonanzraum. Deshalb ist es klug und schön, wenn wir uns dem Religiösen anhand seiner minimalsten existentiellen und hochfliegenden Entwürfe zuwenden: im Vollzug seines Schaffens, Gestaltens, Erstarrens, seines Spiels – und über die uns geläufigen Formen hinaus, in einem anderen Land, aber zu unserer Zeit. Also: Religion und Kultur in China!

Diesem Buch, „Religion und Kultur in China“, ist die enge Verbundenheit des Autors mit der deutschen Geisteswissenschaft anzumerken. Im klassischen Dreiklang entfaltet es seine programmatische Struktur, vom inhaltlichen Verständnis über die Entwicklung bis zur politischen Bedeutung der besonderen Kultur des Religiösen in China. Es lebt von umsichtigen Definitionen und einem Spannungsbogen, der die Leserschaft informativ, anregend und dramaturgisch mitreißend bis zur Auflösung in seiner guten Botschaft geleitet.

So setzt Xinping Zhuo einen beruhigenden Kontrapunkt zur womöglich verstörenden inhaltlichen Fremdheit seiner wichtigsten Aussagen. Dazu gehört der Gedanke der Religion als Bereitschaft zur „Transposition [换位] im Denken“: Das ist die Annahme des Perspektivenwechsels als Vollzug von Religiosität. Solche Gedanken wollen sich der Grundordnung deutscher Erfahrung mit der oft missionarisch-monothetisch verfassten Religion sperren, entziehen. Der klare, gewohnte Aufbau des Buches gestattet dem Leser kleine Ruhepausen, an denen die Gedanken innehalten, stiftet Zutrauen. Hier findet die religionskulturelle Arbeit selbst ihren eigenen kulturreligiösen Ausdruck. Dem Leser wird es erleichtert, das zwischen den Zeilen mitzudenken, was als Geschriebenes mehr Missverstehen als Verständigung hervorrufen kann.

Zhuo stellt sich den unvermeidlichen politischen Fragen nach der Möglichkeit von Religion und Glaube in der laizistischen Volksrepublik. Dabei nimmt er eine Haltung der Hoffnung ein: Er benennt klare Voraussetzungen für eine Entwicklung der nachhaltigen und fruchtbaren Integration der organisierten Religion in Gesellschaft und Staat – und erklärt den inneren Zusammenhang ihrer Möglichkeit.

Zur Funktion religiöser Autorität hat er in einem Interview einmal gesagt: „Auf dem chinesischen Festland gibt es die Redewendung ‚Transposition of Thinking‘. Man soll sich in die Lage anderer Leute versetzen und deren Ansicht berücksichtigen. Wenn die Bereitschaft zum Zuhören besteht, kann es zum echten Gespräch kommen. Es wird immer unterschiedliche Meinungen geben, aber für unterschiedliche Meinungen kann es zwei Standards geben. Dann muss man nach dem Gemeinsamen suchen. Wenn sich keines findet, gibt es in der chinesischen Kultur die Praxis des ‚Übereinstimmens, nicht übereinzustimmen‘. So können wir anders sein, aber trotzdem harmonisch zusammenleben.“1

Hieraus ergibt sich das Verhältnis der Religion zur Politik. „Eigentlich stellt sich Religion nicht gegen die chinesische sozialistische Ideologie und deren zentralistische Sichtweise. Auf einer tiefgreifenden sensiblen Ebene der Welt-, Lebens- und Wertanschauung können Religion und die chinesische Ideologie Dialoge führen, miteinander kommunizieren, die Verschiedenheit bestehen lassen und nach Gemeinsamkeiten suchen oder die Harmonie bestehen lassen und die Verschiedenheit beibehalten.“ (S. 283f.)

Geschickt entwickelt Zhuo eine realistische Vision der Religion im heutigen China und führt dabei zugleich vor, wie strategisches Denken heute angesichts unauflösbar scheinender Widersprüche in China funktioniert, etwa am Beispiel von Problemen in der Administration: „Wie in der Reform- und Öffnungspolitik sowie der wirtschaftlichen Entwicklung die Linie der Partei umgesetzt wird, kann als Inspiration für eine neue Denkweise genutzt werden. Mit dem Eintritt einiger aus der Wirtschaft stammenden Persönlichkeiten in die Partei, mit dem Ausbau der Grundstruktur der Partei im privaten und ausländischen Business wurde bereits ein theoretischer Durchbruch und eine praktische Ausweitung des Verständnisses von der Herrschaft des Proletariats erreicht. Das Verbot (…) der Glaubensangehörigkeit von Parteimitgliedern muss aufgehoben oder zumindest noch einmal neu diskutiert werden.“ (S. 183) Zhuo nutzt die guten Erfahrungen aus der Integration früherer „Klassenfeinde“ als vertrauensbildende gesellschaftspolitische Maßnahme und deutet die Öffnung der Partei für Gläubige als Transfer des bewährten Modells auf einen anderen gesellschaftlichen Bereich. Hier kann sein Werben für die positive Wirkung von Religion beim „Aufbau einer harmonischen Gesellschaft“ anschließen. Denn: Unsere „sprühende Lebenskraft beruht auf dem gesellschaftlichen Ansatz, ‚alle Ströme ins Meer fließen zu lassen‘ (…) und dadurch gleichzeitig Flexibilität und einen gemeinsamen Geist zu fördern. Ziel ist die große Einigkeit in der Welt, selbst wenn es dadurch die Notwendigkeit gibt, Ungleiches zu verschmelzen. Dies ist die Basis der heute im politischen Gesellschaftssystem Chinas proklamierten Kultur der Harmonie.“ (S. 68)

Die Aufstellung des Glaubens vollzieht sich bei Zhuo als „ein geistiger Ausdruck des Menschen und wird damit an der Seite der realen Existenz des Lebens zu einer Art spiritueller Kraft. Wenn diese spirituelle Kraft die gesellschaftlichen und politischen Kräfte beeinflusst, kann der Glaube im realen gesellschaftlichen Leben für eine komplizierte Machtbeziehung zwischen eben diesen drei Kräften sorgen. Der Glaube wird als eine geistige Methode des Volkes gesehen, das Leben in allen Situationen zu meistern. (…) Glaube beschreibt aus Sicht der chinesischen Schriftzeichen den ehrlichen Umgang der Menschen untereinander, das Wort kommt aus dem Herzen.“ (S. 30) Das konfuzianische Grundmotiv der Integrität verbindet in der geistigen Perspektive des Glaubens den Einzelnen mit der Politik durch die Gesellschaft stiftende Tugend der „Ehrlichkeit“. Es erlaubt sowohl die Befreiung als auch die Ordnung der Kräfte zum Wohl des sozialen Ganzen.

Die Pluralität, Kreativität und Moralität kann in der modernen Gesellschaft nur im Rahmen eines lebendigen Ganzen ihre Qualität entfalten, wenn Räume und Prozesse der Vertrauensbildung gelassen werden. „Daher ist der Weg des Dialogs, des Austauschs und der Kommunikation äußerst wichtig; genaues Zuhören, Suchen nach Gemeinsamkeiten und Beibehalten von friedlichen kleinsten gemeinsamen Nennern sind die definitiv benötigten Elemente für ein gegenseitiges Verständnis. Während dieser Anpassung sollte der Standpunkt von Religion der des Dialoges bleiben und nicht zum Monolog werden, Religion sollte kommunizieren und nicht in die Knie zwingen, den Gegenüber respektieren und nicht Arroganz walten lassen. Der Prozess der Anpassung darf nicht von oben herab geschehen, sondern sollte im Geist zurückhaltend, bescheiden und selbstopfernd sein.“ (S. 300) Diese Aufforderung zur dienenden Toleranz richtet sich an alle Beteiligten. Mit der Hoffnung auf Harmonie ist der Abschied von Alleinvertretungsansprüchen der Wahrheit im öffentlichen Raum verbunden. Macht dient bei dieser Arbeitsteilung zwischen Politik und Religion nur dazu, die Ordnung aufrecht zu erhalten, in der diese Vielfalt sich produktiv entfalten kann. Ehrliche Sprache und achtsames Zuhören gehören als Webfäden in die Auseinandersetzung, das beginnt beim Erkenntnis stiftenden Interesse an der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Der Autor, Dr. Xinping Zhuo, verkörpert selbst geradezu das Thema dieses Werkes: Er ist ein ausgezeichneter Gelehrter, weltgewandter Akademiker und hochrangiger Politiker mit engen Bindungen an Deutschland. Sein Werk macht deutlich, dass gerade im schwierigen Umgang zwischen Deutschland und dem heutigen China die Religion und der Glaube zu befreienden, befreundenden und begeisternden Triebkräften einer globalen Verständigungsarbeit werden können.

Leser dieses Buches finden im Autor einen offenen Gesprächspartner, von dessen Ehrlichkeit und Kompetenz viel zu lernen ist: durch die besondere Sicht des Religiösen in den geistigen Bewegungen der Gesellschaft des heutigen China. Wir verstehen besser die wirklichen Differenzen und können, angesichts der mitgelieferten Strategie der Vielfalt-bejahenden Harmonie, entspannt konstruktiv damit umgehen. Zhuo steht glaubwürdig für die Sehnsucht nach Tiefe und Ernst bei der Suche nach Quellen der übergreifenden Orientierung im 21. Jahrhundert. Die reiche, bildhafte Sprache und klare Form des Textes ermöglichen auch eine hervorragende Übersetzung – die dem deutschen Publikum sowohl die fremden als auch die vertraut anmutenden Einblicke nahebringt.

Das Buch „Religion und Kultur in China. Verständnis – Entwicklung – politische Bedeutung“ eröffnet die Reihe „Chinesische Perspektiven: Politik“, die grundlegende Werke chinesischen Denkens einem größeren deutschen Publikum zugänglich machen möchte. Mit dieser Publikation ermöglichen der ibidem-Verlag und Social Science Academic Press (China) weitere tiefe Einblicke in die besondere Position und Klangfarbe intellektueller Arbeit in China und erweitern die Basis unserer Verständigung.

 

Berlin, im September 2019

Ole Döring

 

1 Übersetzt und gekürzt aus: https://chinafocus.ucsd.edu/2015/02/22/religion-and-the-chinese-state-in-conversation-interview-with-xinping-zhuo/.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Ole Döring

Vorwort des Autors

Einführung

Kapitel 1: Verständnis des Glaubensbegriffs

Erster Abschnitt: Verständnis des Glaubensbegriffs im heutigen China

Zweiter Abschnitt: Gedanken zur Gliederung des Glaubens

Dritter Abschnitt: Glaubensinhalte/Glaubenstoleranz: Geistige Koexistenz in Zeiten der Globalisierung

Kapitel 2: Verständnis von Kultur

Erster Abschnitt: Über das Verständnis von Kultur und Zivilisation

Zweiter Abschnitt: Der kulturelle Dialog ist der Weg der Harmonie auf der Welt

Dritter Abschnitt: Erbe und Öffnung der chinesischen Zivilisation

Vierter Abschnitt: Verwirklichung einer starken Kulturnation durch Erweiterung des Dao der chinesischen Kultur

Kapitel 3: Religionsverständnis

Erster Abschnitt: Die Schwierigkeiten des chinesischen Glaubensverständnisses

Zweiter Abschnitt: Die Hoffnung für das Religionsverständnis in China

Dritter Abschnitt: Die Notwendigkeit zur Desensibilisierung der Religion in China

Kapitel 4: Globalisierung und die heutigen Religionen Chinas

Erster Abschnitt: Die Bedeutung der Globalisierung für das heutige China

Zweiter Abschnitt: Globalisierung und die fünf großen Religionen in China

Dritter Abschnitt: Neue Tendenzen in China hinsichtlich der Existenz von anderen Religionen außerhalb von Religionen, Existenz von Sekten innerhalb von Religionen im Zeitalter der Globalisierung

Kapitel 5: Die globalisierte Religion und das chinesische Verhältnis von Politik und Religion

Erster Abschnitt: Die geschichtlichen Hintergründe und gesellschaftliche Entwicklung des Verhältnisses von Politik und Religion in China

Zweiter Abschnitt: Das Fortsetzen alter Traditionen und die modernen Seiten des heutigen Verhältnisses zwischen Politik und Religion in China

Kapitel 6: Das Schaffen eines angemessenen Bewusstseins für die Religionsfrage auf Basis der Strategie zur Erhaltung und Förderung der Kultur

Erster Abschnitt: Das Bewusstsein über die Charakteristiken der chinesischen Religion

Zweiter Abschnitt: Das Bewusstsein über die Existenz der chinesischen Religion

Dritter Abschnitt: Das Bewusstsein über die Administration der chinesischen Religion

Vierter Abschnitt: Das Bewusstsein über die Realisierung des Atheismus in China

Kapitel 7: Die globalisierte Religion und die Strategie zur Erhaltung und Förderung der chinesischen Kultur

Erster Abschnitt: Ein globalisiertes Religionsbewusstsein

Zweiter Abschnitt: Die Entwicklung der globalisierten Religionen

Dritter Abschnitt: Überlegungen zur Strategie bezüglich der Problematik um die chinesischen Religionen

Kapitel 8: Die Wichtigkeit der Religion für die Außenpolitik Chinas

Erster Abschnitt: Die Religion ist ein entscheidender Bestandteil der zivilen Diplomatie mit dem Ausland

Zweiter Abschnitt: Die Nutzung der positiven Funktion der Religion im international kulturellen Austausch

Kapitel 9: Reflexion über die Situation und Entwicklung der Religionen Chinas

Erster Abschnitt: Inwiefern Menschen von Religion geprägt sind

Zweiter Abschnitt: Religiosität in der traditionellen Gesellschaft Chinas

Dritter Abschnitt: Die Position der Religionen in der Gesellschaft Chinas

Vierter Abschnitt: Interaktion der Religionen untereinander im heutigen China

Fünfter Abschnitt: Analyse zur Beziehung von Religion zur Kultur Chinas

Sechster Abschnitt: Vorhersage für die zukünftige Entwicklung der Religionen Chinas

Kapitel 10: Ausblick auf die Entwicklung religiösen Verständnisses und religiöser Theorien in China

Erster Abschnitt: Analyse des gegenwärtigen Religionsverständnisses und der Bedeutung der Religionstheorie

Zweiter Abschnitt: Die Veränderung von religiöser Kenntnis und religiösem Verständnis in China

Dritter Abschnitt: Theologische Reflexion Chinas seit seiner Öffnung

Vierter Abschnitt: Ausblick auf Chinas religiöses Verständnis im nächsten Jahrzehnt

Kapitel 11: Die Religionen Chinas und die Harmonie der Gesellschaft

Erster Abschnitt: Der Dialog zwischen Religion und Zivilisation in der Suche nach Harmonie

Zweiter Abschnitt: Die Wirkung von Religion im Aufbau einer harmonischen Gesellschaft Chinas

Vorwort des Autors

Mit der Einberufung des 18. Nationalkongresses der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) begann auch ein neues Zeitalter der Entwicklung der chinesischen Gesellschaft. Es ist uns Chinesen allen eine Herzensangelegenheit, den Geist des 18. Nationalkongresses der KPC zu erfassen, in Taten umzusetzen und damit mit voller Kraft das Bewahren und Gedeihen der chinesischen Kultur zu unterstützen. Direkt damit einher geht die Religionsforschung und die Stärkung des kulturellen Bewusstseins, um aus der Synthese beider eine Strategie zur Erhaltung und weiteren Förderung der Kultur ableiten zu können. Sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf kultureller Ebene sehen wir uns mit einer grundlegend neuen Situation konfrontiert. So stellte Genosse Hu Jintao, achter Generalsekretär des Zentralkomitees, während seines Berichtes anlässlich des 18. Nationalkongresses der KPC fest: „Wir befinden uns in einer Zeit grundlegender Veränderungen der globalen, nationalen sowie parteilichen Situation. Uns stehen nie dagewesene Chancen zur Weiterentwicklung, ebenso aber auch bis dato unbekannte Risiken und Herausforderungen bevor.“ Um die künftigen Aufgaben meistern zu können, bedarf es einer neuen Denk- und Herangehensweise. Dieser Innovationsgeist wird für uns in Zukunft unabdingbar sein. Das von Generalsekretär Xi Jinping geleitete Zentralkomitee der KPC führt mit seinem Pionier- und Innovationsgeist sowie einer pragmatischen und realitätsnahen Haltung die Reform- und Öffnungspolitik unter besonderer Hervorhebung gesellschaftlicher und kultureller Aspekte fort. Deshalb sollten wir für die Realisierung des Geistes des 18. Nationalkongresses der KPC „nicht nur, aber besonders die theoretische, systemische, wissenschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung ununterbrochen voranbringen.“

Mit kultureller Weiterentwicklung einen kulturell starken, sozialistischen Staat aufzubauen, ist die Hauptaufgabe unserer Generation. Kulturelle Weiterentwicklung fordert von uns wiederum, „mit aller Kraft den Volks- und Zeitgeist zu stärken“. In Bezug auf die kulturellen Bedürfnisse des Individuums ist die Hochachtung von „gesellschaftlichem füreinander Sorgen und psychologischer Befreiung, Kultivierung der Selbstachtung und des Selbstvertrauens sowie des gesellschaftlichen nach vorne Strebens“ essentiell. Aus Sicht der kulturellen Weiterentwicklung geht es um die Errichtung eines Systems zur Erhaltung generationsübergreifender Traditionen, um den Bestand der traditionsreichen, chinesischen Kultur zu sichern. Deshalb ist die Stärkung des kulturellen Bewusstseins und kulturellen Selbstvertrauens unverzichtbar. Jene sind Garant für das Gelingen unseres Voranbringens gesellschaftlicher Harmonie, welche nach wie vor den Kern der chinesischen Kultur bildet. Eben diese pluralistische Vereinigung ist das Fundament der tausende Jahre alten, chinesischen Geschichte. Bis heute dürfen wir mit Stolz sagen, dass „harmonisches gesellschaftliches Miteinander die Basis für den Sozialismus mit chinesischen Charakteristika ist.“

Im Prozess der Stärkung des kulturellen Selbstvertrauens und des harmonischen gesellschaftlichen Miteinanders sind Glaube und Religion essentielle Faktoren. Deshalb sollten wir Chinesen der Rolle von Spiritualität und Religiosität besondere Beachtung schenken und die Einflüsse der globalen Religionen und Glaubensströmungen auf die kulturelle Entwicklung Chinas genauer betrachten. Hierbei den richtigen Weg und das richtige Maß zu finden, ist, was im Konferenzbericht des 18. Parteitages angedeutet wurde mit „das Leitprinzip für den Umgang mit Religionen der Partei befolgen und damit den Nutzen von Theologen und Glaubensgruppierungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Chinas zur vollen Entfaltung bringen.“ Auch das neue Parteistatut gibt vor, dass wir „das Leitprinzip für den Umgang mit Religionen der Partei befolgen müssen, um den Beitrag der Glaubensgemeinschaften zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Chinas zu fokussieren.“ Folglich müssen wir bei der Ausgestaltung der Strategie zur Erhaltung und Förderung der chinesischen Kultur besonderes Augenmerk auf Religion legen.

In welchem Zusammenhang steht chinesische Religion und Kultur mit der Kultur der restlichen Welt? Welche Rolle spielt Religion für die Entwicklung und das Gedeihen Chinas? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist unumgänglich, insbesondere vor dem Hintergrund fortschreitender Reifung der chinesischen Kultur und Gesellschaft. Die Religionsfrage fügt sich damit ganz natürlich in das Ausarbeiten der Strategie zur Erhaltung und Förderung der Kultur ein. Was wir hier zu untersuchen haben, ist der Zusammenhang von Glaube, Religion und Kultur, die Position von Religion im Bereich des Glaubens und die Bedeutung beider für die chinesische Kultur. Das Vorantreiben der Harmonisierung der Religionen in und mit der heutigen Gesellschaft ermöglicht der Religion, sich optimal auf diese abzustimmen und einen einzigartigen Beitrag zu ihr zu leisten. Wir müssen den bestmöglichen Weg für die Integration der Religion in die moderne Gesellschaft finden, damit die Religion darin ihr volles Potential ausschöpfen kann. Es zeugt von politischer Vernunft und Weitsicht, Religion im Hinblick auf die Strategie zur Erhaltung und Förderung der Kultur zu betrachten, daraus mit wissenschaftlichen Herangehensweisen eine politische Linie zu entwickeln, die Religion damit für die heutige Gesellschaft zu adaptieren und so einerseits den Erhalt der Religion zu garantieren, andererseits die chinesische Kultur zu bereichern und bewusst die positive Entwicklung innerhalb der Bevölkerung zu unterstützen. Dies ist die Richtung, in die wir streben sollten.

Auf Basis des oben Beschriebenen habe ich die wichtigsten Publikationen der letzten Jahre, die sich mit Glaubensverständnis und Religionen auseinandersetzen, durchkämmt, geordnet, zusammengefasst und mein Verständnis davon im Kontext des Geistes des 18. Nationalkongresses vertieft. Das Ergebnis dieses Prozesses ist dieses Buch. Es baut in gewisser Weise auf meinem 2008 geschriebenen Buch „‚Globalisierung‘ der Religion und das moderne China“ auf, nachdem ich mich nach der Veröffentlichung weiter mit theoretischer und praktischer Bedeutung dessen auseinandergesetzt hatte. Das schließt auch das Ausformulieren, Ordnen und Vervollständigen meiner Gedanken für meine nach 2008 veröffentlichten Artikel ein. Die Grundgedanken und die Richtung stimmen mit denen aus „‚Globalisierung‘ der Religion und das moderne China“ überein, jedoch haben sich meine Sichtweise und mein Fokus auf die behandelten Fragestellungen auf Grundlage meines gestärkten kulturellen Bewusstseins weiter konkretisiert. Da ich in meinen bereits erwähnten Veröffentlichungen an verschiedenen Stellen aus verschiedensten Gründen kürzen musste, suchte ich permanent nach einer Gelegenheit, auch dem noch nicht Gesagten Ausdruck zu verleihen, was die ursprüngliche Intention für das Schreiben dieses Buches war. Auch wenn ich es nicht wage, für mich in Anspruch zu nehmen mit meinen Standpunkten die absolute Wahrheit erfasst zu haben, so kann ich wenigstens von mir behaupten, meinen Beitrag zur sozialen und kulturellen Erstarkung meines Heimatlandes China geleistet zu haben. Dieses Buch baut auf die Basis dreier Grundprinzipien: Erstens, dem Anspruch an Wirklichkeitsnähe und Faktentreue; zweitens, objektiver, rationaler und wissenschaftlicher Analyse und drittens, dem Streben nach sozialer Harmonie und nachhaltigem Frieden. Ich muss mir eingestehen, dass durch die Sammlung und Zusammenstellung meiner Artikel bei manchen Lesern eventuell ein Gefühl von Repetition aufkommen mag, und so sehr ich dies im Prozess des Editierens zu vermeiden versucht habe, sind aus Gründen der Akzentuierung möglicherweise weiterhin Spuren von Wiederholung zu finden. Ich bitte diesbezüglich um Nachsicht. Der Vorteil dessen besteht darin, dass sich jedes Kapitel dieses Buches einzeln lesen lässt. Was die genannten Veröffentlichungen von mir angeht, möchte ich an dieser Stelle auf eine detaillierte Aufzählung verzichten, interessierte Leser finden diese im Anhang. Aufgrund beruflicher Gegebenheiten blieb mir nur sporadisch Zeit zum Verfassen dieses Buches, weswegen es sich schwer vermeiden ließ, dass die Gedankengänge teils etwas unzusammenhängend und unvollständig wirken mögen, was möglicherweise auch einen Einfluss auf dieses Buch als organisches Ganzes hat. Es ist mir an dieser Stelle wichtig, dies noch einmal gesagt zu haben.

Die Reifung und Blüte von Gesellschaft und Kultur erfordert engagiertes Nachdenken und vielfältige Meinungsäußerung von praktischen, innovativen und zugleich zielorientierten und konstruktiven Standpunkten. Die kulturelle Weiterentwicklung geht mit dem Wiedererwachen Chinas und Sichern dessen nachhaltigen Wohlstands einher. Gerade heute ist die Entwicklung chinesischer Kultur und spiritueller Zivilisation von besonderer Bedeutung, weshalb wir diese Gelegenheit gemeinsam und mit vereinten Kräften angehen sollten. Um diese Aufgabe zu bewältigen, muss jeder, dem das Schicksal der chinesischen Kultur am Herzen liegt, engagiert und mutig seine Stimme erheben. Ich hoffe, Sie alle erkennen die Wichtigkeit der Auseinandersetzung mit der Erstarkung der chinesischen Kultur sowie mit den religiösen Aspekten dieser. Ich möchte sie einladen, sich kritisch mit diesem Buch zu befassen und eventuelle Kritikpunkte oder Verbesserungsvorschläge frei zur Sprache zu bringen.

 

Einführung

Unter dem Geist des 18. Nationalkongresses der Kommunistischen Partei Chinas ist die Entwicklung hin zu einem harmonischen gesellschaftlichen Miteinander in der heutigen Zeit in vollem Gange. Dabei treten Schwierigkeiten in der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft immer mehr zum Vorschein, wodurch die nähere Betrachtung dieser Problematik eine besondere Bedeutung erfährt. Wird auf die gesellschaftliche Weiterentwicklung bis hin zu kultureller Blüte besonderer Wert gelegt, sind Überlegungen zu Glaube, Religion, Kultur und gesellschaftlichem Umgang untereinander unabdingbar. Einerseits wird in der Gesellschaft viel Wert auf die innere Stärkung gelegt, insbesondere seit der Zeit der Reform- und Öffnungspolitik Chinas wird dies als immer wichtiger erachtet. Dazu braucht die Gesellschaft eine Konservierung der Han-Chinesischen Kultur, sonst ist die weitere gesellschaftliche Entwicklung zu oberflächlich, was große Auswirkungen auf die Gesellschaft hätte. Andererseits haben viele Menschen unterschiedliche Auffassungen bezüglich Glaubens-, Religions- und kulturellen Fragen, sodass es sehr schwer sein wird, unter den multiplen Ansichten eine Einigkeit bzw. ein gemeinsames Verständnis zu finden.

Obwohl China neue politische und wirtschaftliche Strategien mit starker Hand und großer Durchschlagskraft realisiert, wird das Formulieren von Strategien zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Kultur Chinas noch eher passiv betrieben. Heute ist es für die Bevölkerung Chinas sowohl schwierig, zur früheren Tiefe der Han-Chinesischen Kultur zurückzufinden, als auch, bei der Formung eines neuen kulturellen Geistes auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Wenn für diese Problematik keine geeignete Lösung gefunden werden kann, wird die aktuell positive Entwicklung Chinas in ihrer Zukunft begrenzt und beeinflusst werden; ähnlich eines erlahmenden Riesen. Durch die mehr als 30 Jahre Reform- und Öffnungspolitik Chinas hat sich die Gesellschaft bereits tiefgreifend verändert und wird es auch weiterhin tun. Aktuell gibt es im internationalen Umfeld große Veränderungen, auch innerhalb Chinas tendieren viele Konflikte dazu, sich zuzuspitzen, im Speziellen in Bezug auf ethnische Gruppen und Religion, da bspw. das Ausüben von Religionen komplizierteren Rahmenbedingungen unterliegt. Die Bevölkerung Chinas ist vielfältig und sehr schwierig zu einen. Einige vorgegebene Theorien und Praktiken haben logische Schwächen und behindern sich in ihrer Umsetzung gegenseitig. Oft stimmen Kenntnis und Handeln bereits nicht mehr mit dem echten chinesischen Patriotismus sowie den klassischen Autoren der Theorie und wissenschaftlichen Methodik des Marxismus überein. Die Formulierungen und Praktiken einiger Dogmatismen sind dabei, dem Ansehen des Marxismus zu schaden und haben bereits den Bestrebungen nach gesellschaftlicher Harmonie, nationaler Einigkeit, religiöser Anpassung und einer gewissen Grund-Stabilität geschadet. Teile der Gesellschaft haben die Gewohnheit entwickelt, sich an westlichen Theorien und Praktiken zu orientieren und ihnen zu folgen, womit sie eine gewisse Selbstbestimmung, Selbstreflexion sowie die Motivation, neue Wege zu erschließen, aufgeben. Um dieser Situation entgegen zu treten sollten jegliche Äußerungen, Theorien und dazugehörige Politik besonnen formuliert sein. Die gesellschaftliche Situation sollte wissenschaftlich analysiert werden sowie der erforderliche ideologische Wandel mit der nötigen Transparenz, Anpassung und Verbesserung der öffentlichen Wahrnehmung und Politik umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang braucht China eine zeitgemäße Entwicklung des Marxismus, mit sowohl patriotisch chinesischen als auch weltbürgerlichen Elementen. Diese Entwicklung muss sowohl die geschichtliche Entwicklung als auch eine objektive und transparente Gesetzgebung berücksichtigen. Systematisch muss der Sozialismus chinesischer Prägung mit seinen Kern-Wertvorstellungen innovativ vorangetrieben werden. Damit kann der für die Weiterentwicklung Chinas vorteilhafte Aufbau einer harmonischen Gesellschaft fortgeführt werden. Dies erfordert jedoch eine freiere Denkweise und eine Änderung der Ansichten jedes Einzelnen. Aus der Betrachtung realer aktueller Bedürfnisse muss für jeden Einzelnen eine strategische Anpassung erfolgen und zeitnah umgesetzt werden.

Während des Prozesses der Kultur-Erneuerung ist die Formulierung einer entsprechenden Strategie zur Erneuerung der Kultur unabdingbar. Der Aufbau eines heute starken Chinas hängt eng mit der sozialistischen Kultur Chinas zusammen, und zwar im Kern mit der Erzeugung eines kulturellen Bewusstseins, das inspiriert von allen ethnischen Gruppen ist und nicht durch Prägung einer Art Kulturindustrie. Im Zeitalter der Fokussierung auf die Gedanken und Meinungen des Volkes kann Glaube und Religion unterstützend wirken. Diesen Prozess der Fokussierung gilt es zu beeinflussen, um eine Art Echo hervorzurufen, das abhängig vom gegenwärtigen Verständnis von Glaube und Religion ist. Wenn die Han-Chinesische Kultur eine Zukunft haben soll, China sich im guten Geist weiterentwickeln, den Chinesischen Traum wiederbeleben sowie der Welt einen guten Eindruck von China geben will, ist es notwendig, die hervorragenden Seiten der traditionellen chinesischen Kultur beizubehalten und weiterzuentwickeln. Dies beinhaltet definitiv auch Glaubens- und religiöse Elemente. In der Vergangenheit wurden oft nur die negativen Aspekte und Auswirkungen der traditionellen Kultur und auch Religion betrachtet, was eher Bedrückung auslöste und eine psychologische Last war. Dieser Zustand sollte möglichst schnell eine Änderung erfahren. Wie andere große Völker der Erde sollten die Chinesen zu ihrer traditionellen Kultur stehen, den Kopf heben und stolz auf ihre Kultur sein, um sie angemessen fortführen und weiterentwickeln zu können. Aus demselben Grund sollten die Chinesen Religion als Stütze im Leben eines jeden Bürgers sowie als Quelle geistiger Frische sehen. Religion sollte also nicht als suspekt und alternativ angesehen werden, sondern als wichtige Stütze im Wiederaufbau der chinesischen traditionellen Kultur dienen. Religion als Phänomen geistiger Kultur ist ein allgemeines Phänomen der Menschheit und wichtiger Teil der Weltgeschichte. Die lange Kulturgeschichte der Han-Chinesen lässt es nicht zu, den Religionen der Welt keine Beachtung zu schenken, schon alleine wegen der eigenen religiösen Geschichte und der heutigen gesellschaftlichen Realität. Der etwa 100-jährige Knoten im Herzen der Religionsgeschichte Chinas sollte gelöst werden, was die Chinesen zu einer völlig neuen Entwicklung einlädt. Diese Entwicklung sollte mit einem lockeren und entkrampften Seelenzustand einhergehen. Jeder gewöhnliche Mensch sollte freiheitlich sein geistiges Leben mit den zugehörigen kulturellen Bräuchen zu führen imstande sein. Natürlich steht Religion mit der Politik Chinas in einem komplizierten Verhältnis und hat darüber hinaus mit gesellschaftlichen Problemen zu kämpfen, jedoch sind sehr viele gesellschaftliche Erscheinungen mit der Politik Chinas verknüpft, daher muss nicht darüber nachgedacht werden, Religion allein zu einem politischen Konflikt emporzuheben. Dadurch wird ein Abrutschen hin zum Aufbau oder zur Ausdehnung von feindlichen Gefühlen gegenüber Religion oder auch Politik verhindert. In der religiösen Fragestellung sollte von der gesamten Gesellschaft ein Fortschritt erfolgen, mit Fokus auf Harmonie zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, der kulturellen Weiterentwicklung und auch unter der Perspektive einer internationalen Welt. Dieser Fortschritt soll von einer positiven Einstellung geleitet sein, Barrieren sollen verschwinden, ohne dass Misstrauen und Angst eine Rolle spielen. Tatsächlich haben sich in den letzten 50 bis 60 Jahren die politischen Kenntnisse der Bevölkerung stark gewandelt. So sind die heute in der Politik Chinas vorzufindenden Themen Toleranz, Begnadigung und Zusammenarbeit auf politischer Ebene Ergebnis gesellschaftlicher Forderungen. Somit braucht China auch für die Beziehungen zwischen Religion und Politik positive Impulse. In der Aufklärungsphase während der neuen Kultur-Bewegung vor 100 Jahren sind die Chinesen bezüglich der Weltreligionen und der in China vorkommenden Religionen auf eine Art Holzpfad gelangt. Dadurch erfuhr die Entwicklung der Han-Chinesischen Kultur einen Knick. In der Folge war es bis heute nicht möglich, die Han-Chinesische Kultur zu erneuern und hin zu einer neuen Kultur zu entwickeln. Stattdessen erfährt die traditionelle Han-Chinesische Kultur heute von allen Völkern der Welt eine unbegrenzte Faszination und Anziehung. Dadurch wird klar, dass sich eine neue Kultur nicht auf Nichts aufbauen kann, sie braucht die Weiterführung und Erneuerung der traditionellen Han-Chinesischen Kultur. Diese beinhaltet insbesondere auch die religiöse Kultur, die eine Art zweite Aufklärung benötigt, um Nihilismus, Träumereien und dem Borgen kultureller Elemente aus anderen Kulturen entgegenzuwirken und zur kulturellen gesellschaftlichen Realität zurückzukehren. Während der Untersuchung geistiger bzw. religiöser Fragestellungen hat die Menschheit in der Vergangenheit lange Zeit im Dunkeln getappt. Jedoch gelang es der Menschheit, Licht ins Dunkel vieler Phänomene zu bringen. Teile der Menschheit haben sich allerdings an das Dunkle und Unbekannte gewöhnt und wollen die Realität nicht erkennen oder trauen sich nicht, sie als wahr anzuerkennen. Dieser Teil der Menschheit lässt die Gelegenheit verstreichen, Licht ins Dunkel zu bringen und verliert sich weiter im Ungeklärten. Die Völker Chinas entwickeln sich heute sehr dynamisch und die globalen Gegebenheiten entwickeln sich aktuell zum Vorteil Chinas. Daher ist die Chance zur Wiederbelebung der Kultur Chinas so groß wie lange nicht. Diese Chance besteht sicher nicht ewig, weshalb sie möglichst schnell wahrgenommen werden sollte. Da sich viele Völker der Erde positiv entwickeln, indem sie die sanfte Macht der Religion anwenden, wäre es fast schon selbstzerstörerisch, wenn die Chinesen eine grundsätzlich ablehnende Einstellung zur Religion hätten.

Mit Bezug auf die Weiterentwicklung von Kultur hat der niederländische Philosoph Van Peursen in seinem englischsprachigen Werk „Strategy of Culture“ folgendes hervorgehoben: „Kultur ist kein Substantiv, Kultur ist ein Verb. Kultur ist nicht nur Tradition, sondern auch Aufgabe“. Besonders in der heutigen globalisierten und offenen Gesellschaft „muss Kultur dynamischer werden und der Zukunft zugewandt sein“, weil „die Welt von morgen viele Wirtschaftszentren, Wissenschaftszentren und, noch wichtiger, Kulturzentren haben wird“1.

„Strategie der Kultur“ meint hier dynamische kulturelle Entwicklung sowie zivilisatorische Fortschritte, die für die zukünftige Entwicklung bedacht werden müssen. Kultur ist eine Art permanenter Prozess und kein starrer Zustand. Genau in diesem Prozess muss jeder eine wichtige Rolle einnehmen, erst dann kann sich Kultur weiterentwickeln und neu erfinden. Natürlich müssen in diesen Reflexionen über Kultur vergangene mit heutigen kulturellen Entwicklungen verknüpft betrachtet werden, um ein allumfassendes und klares Verständnis zu erlangen und Kultur zukünftig positiv weiterentwickeln zu können. Im heutigen China stellen die Überlegungen bezüglich der kulturellen Weiterentwicklung einen strategischen Richtungswechsel dar und sorgen für eine aktive und lebendige Weiterentwicklung der Kultur Chinas. Dies ist besonders wichtig für das Verstehen der Bedeutung von Glaube, Religion und anderen geistigen Strömungen. Als Ergebnis sollte die Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur der Chinesen eine dynamische Verbindung zwischen gestern und heute in Betracht ziehen. Der Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur sollte eine dialektische Herangehensweise zugrunde liegen, die den Rhythmus der geschichtlichen und kulturursprünglichen Entwicklungen sowie der Veränderungen der religiösen Entwicklungen und ihrer Beziehung zur traditionellen Kultur und heutigen Gesellschaft berücksichtigt.

Darauf aufbauend muss die chinesische Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur Modernität und Offenheit implizieren. Dafür ist es zunächst notwendig, kulturelle und geistige Vielfältigkeit zu erkennen. Die Tendenz zur Vereinigung aller menschlichen Kulturen kann nur in einer gemeinsamen Koexistenz verschiedener kultureller Elemente funktionieren, wie in der Geschichte Chinas bereits geschehen. Diversität in der Welt ist bereits zur Normalität geworden, die Menschen denken allgemein: „Unsere Zukunft wird eine offene und globale Kultur sein, sie wird viele Gesichter haben, sie wird von vielfältigen Transformationen, fruchtbarem Dialog und philosophischem Austausch geprägt sein. Jede Art altertümliche Kultur war einmal ein verschlossenes System. Doch Biologie und Menschheitsgeschichte haben uns offenbart, dass es unvermeidbar ist, dass verschlossene Systeme überholt und durch neue ersetzt werden. Folglich müssen sich diese Systeme in der heutigen Zeit öffnen: einerseits öffnen für den gegenseitigen Nutzen der Kultur und Weisheit, andererseits öffnen für das Finden gemeinsamer Methoden zum Lösen von Aufgaben und Problemen im technischen Zeitalter.“2 In dieser Epoche der vielen Möglichkeiten und wechselnden Strategien sind die Betrachtung und das geschickte Balancieren mit vielfältigen Koexistenzen sowohl philosophisch intelligent als auch politisch weise. In den Bereichen Politik, Kultur und Glaube existiert immer noch die Illusion der alleinigen Existenz einer einzigen Weisheit. Dieser Gedankenansatz ist jedoch starr und fußt auf einem inkompletten Verständnis der Gesamtsituation. Als Mensch offen zu sein für Diversität und unter Einbeziehung vielfältiger Elemente die bestmögliche Entwicklung für sich selbst zu nehmen, muss der Weg für heutige Kulturen sein. „Eine Kultur im heutigen Zeitalter darf nicht nur auf materiellen und wirtschaftlichen Elementen aufbauen, sondern muss in moralischen und geistigen Aspekten von anderen Kulturen lernen und sich selbst weiterentwickeln, um überhaupt erst eine offene Kultur werden zu können. Dafür muss jeder Einzelne sein Leben und seine Lebensweise öffnen“, „also muss jeder von dem anderen lernen“. Diese Diversität hat das Potenzial, die Menschen stark zu inspirieren. Auch zählen zu den Voraussetzungen für Diversität die Entdeckung von gemeinsamen Tendenzen und Wegen, die dann wiederum dafür sorgen, dass die eigenen kulturellen Traditionen vielfältiger und reichhaltiger werden. Tatsächlich hat es nach der Öffnung Chinas bereits eine große Öffnung der Geschäftskultur und Aufnahme fremder kultureller Elemente in die chinesische Geschäftswelt gegeben. Jedoch sollte diese Öffnung nicht nur in materiellen, technischen und wirtschaftlichen Bereichen geschehen. Es sollte nicht nur die Coca-Cola Kultur oder Hollywood Kultur Popularität erlangen, da diese Einflüsse schlichtweg zu oberflächlich sind. Daher muss Wert auf eine Offenheit in der geistigen und vielfältigen Entwicklung der Kultur gelegt werden. Dies bedeutet, dass in den geistig tiefgehenden Schichten wie Glaube und Religion eine gewisse Offenheit, Moderne sowie tiefgreifendes Wissen und Begreifen vorherrschen muss. Wenn Kenntnisse über den Glauben unklar sind, Erlangen von Verständnis von Religionen nicht erlaubt ist, so befindet sich die gesellschaftliche Kultur in einem hohen Maß in einer geistigen Krise. Diese Krise zu beenden steht im absoluten Fokus der nächsten fünf bis zehn Jahre. Also erfordert die aktuelle dynamische Entwicklung der chinesischen Kultur sowie der Versuch einer kulturell strategischen Neuausrichtung eine klare Ausrichtung der Gesellschaft bezüglich Verständnis und Einstellung gegenüber Glaube und Religion.

Also, was ist Glaube? Was hat Glaube im heutigen China für eine Bedeutung? Dies ist ein Problem der heutigen chinesischen Gesellschaft auf deren theoretischer sowie wissenschaftlicher Ebene. Haben Menschen einen Glauben oder nicht, brauchen sie einen Glauben oder nicht? Dies sind in der Öffentlichkeit ebenfalls kontrovers diskutierte Fragestellungen, zu denen es keine klare Antwort gibt. Eigentlich ist Glaube aus der Menschheit heraus selbst entstanden und mit der Menschheit seit jeher eng verflochten. Glaube ist in der aktuellen Entwicklung Chinas ein gesellschaftliches Problem, auch weil viele nicht mehr wissen, was Glaube eigentlich ist. Viele Chinesen haben ihren Glauben verloren und dadurch für ihr geistiges Leben auch das Gefühl des rechten Weges verloren. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Glaubenskrise einer der Faktoren ist, die die weitere Entwicklung des heutigen Chinas begrenzen. Der Verlust oder die Verdrehung von Glaube im heutigen gesellschaftlichen Leben Chinas ist unumstößliche Realität. Diese Realität hat in großem Rahmen Einfluss auf den Aufbau einer geistigen Heimat der Chinesen und auch auf die Möglichkeit, ein neues Lebensmodell zu entwerfen. Eigentlich hat die Han-Chinesische Kultur was Glaube angeht reichhaltige Quellen. Im Angesicht der heutigen Situation melden sich visionäre und erfahrene Chinesen dann folgendermaßen zu Wort: „Auf keinen Fall darf die Welt denken, dass wir Chinesen keinen Glauben haben!“ Daher hat die Untersuchung der Glaubensproblematik sowohl praktische als auch theoretische Bedeutung und es ist notwendig zu versuchen, diese gründlich und durchweg transparent zu lösen.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was Religion ist. Haben Chinesen eine Religion, brauchen Chinesen Religion? Auch das ist eine vieldiskutierte Fragestellung, in der es sehr schwer ist, eine Einigkeit zu finden. Die Betrachtung von Religionen und Positionierung gegenüber Religionen stellt insbesondere in der heutigen sozialistischen Gesellschaft Chinas ein sowohl theoretisch als auch praktisch bisher ungelöstes Problem dar. Die in Politik und Gesellschaft vorherrschenden Einstellungen gegenüber Religion bieten keine große Hilfe für das Verständnis von Religionen. Dieser Bereich wird sehr sensitiv behandelt, weshalb es für Chinesen äußerst schwierig ist, aus der kulturellen Sichtweise heraus eine klare Meinung bezüglich Religion zu haben. Neben der Bewertung des Werts und der Position von Religion in der Gesellschaft gibt es mindestens zwei weitere klar existierende Streitpunkte: Erstens, sind die religiösen Entwicklungen in der heutigen Welt am Wiederaufleben oder am Nachlassen; zweitens, sind die heutigen religiösen Entwicklungen in China ein allgemeines Phänomen oder ein regionales Phänomen der Minderheiten und zeigen die Religionen Chinas nicht aufgrund der sogenannten Genesung ein rapides Wiederaufleben? Diese Bewertung der aktuellen religiösen Gegebenheiten im internationalen und chinesischen Umfeld sorgt in einem hohen Grad für Verständnisschwierigkeiten von Religionen. Tatsächlich hat das religiöse Verständnis direkten Einfluss auf die Überlegungen und Formulierungen der Strategie für eine Weiterentwicklung der Kultur. Aktuell gibt es in dieser Strategie noch keine Positionierung in Bezug auf Religion, im Vergleich zu Strategien oder Gedanken zur Entwicklung von Kultur anderer Länder steckt die Kultur Chinas hier in einer unvorteilhaften Situation. Der von Religion ausgehende Nutzen ist immer noch klein. Also muss China im globalen Umfeld, im Speziellen in Dialog und Konfrontation mit der westlichen Welt sowie Chinas Nachbarländern eine genaue Position finden, wie Religion mit der Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur vereinbar ist. Dabei muss der Fokus auf Konzept und Ausführung einer Kombination der Religionen Chinas mit der Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur Chinas gelegt werden. Religion ist eine Art Glaubenssystem und hat Einfluss auf die gesellschaftliche Existenz und das gesellschaftliche Verhalten der Gläubigen. So gibt es auf gesellschaftlicher Ebene die Frage, wie man mit religiösen Organisationen und religiösem Verhalten umgeht. Insbesondere in einem Land wie China, das die politische Tradition hat, viele Regionen zu einer großen Einheit zu verschmelzen und alle ethnischen Gruppen kulturell zu einer großen Familie zu einen, ist für religiöse Gesellschaften äußerst wichtig, dass bezüglich Religion politisch vorsichtig und allumfassend gehandelt wird. Daher sind religiöse Grundkenntnisse sowie eine objektive und ehrliche Bewertung von Religionen unabdingbar. Auch dürfen Religionen nicht nur unter dem Aspekt der Praktikabilität oder des Nutzens betrachtet werden. Gerade im Aufbau des Sozialismus chinesischer Prägung, des harmonischen Sozialismus, sollten Religionen dazu eingeladen werden, positiv mitzuwirken und auf keinen Fall leichtsinnig ausgeschlossen werden. Wird Religion in China weiterhin politisch diskriminiert und gesellschaftlich benachteiligt, werden die Probleme im kulturellen System Chinas größer und China steht auch international sowie im globalen Kulturaustausch isoliert da, was eine unvorteilhafte Situation darstellen würde. Aus einem globalen Blickwinkel gesehen müssen die Chinesen in Bezug auf Äußerungen von Sichtweisen bezüglich Religionen einmal mehr vorsichtig sein, die richtige Wahl treffen und erst nach mehrmaligem Nachdenken handeln.

Wenn es um die Einstellung zum Thema Religion geht, liegt die Hoffnung darin, dass Religion nicht einfach zu einer weiteren Ausprägung der heutigen chinesischen Gesellschaft wird. Betrachtet man die aktuelle Situation in China, dann wird das Wiederaufleben von Religion gelassen wahrgenommen. In diesem Prozess sollten keine Missverständnisse mit Religionen entstehen, es ist klar, dass in der heutigen Gesellschaft Chinas Religion nicht den Fokus darstellt oder Kernwertvorstellungen repräsentiert, nach denen sich alle richten. Der Kern der Gesellschaft Chinas ist und bleibt der Marxismus sowie die politische Positionierung der Kommunistischen Partei Chinas und ihrer Lehre, daran gibt es keinen Zweifel und daran wird nicht gerüttelt. Die Chinesen müssen klar anerkennen, dass das, was durch die Kommunistische Partei Chinas betont wird und auf was sie besteht, die Basis der harmonischen sozialistischen Gesellschaft sowie der Entwicklung einer harmonischen Kultur ist. Exakt zu dieser in allen Positionen der KPC wiederzufindenden Gestaltung einer harmonischen Gesellschaft und Kultur kann Religion einen wichtigen positiven Beitrag leisten. Dies wird von Partei und Gesellschaft äußerst begrüßt. Religion ist Sediment und Ausdruck menschlicher Kultur und kann organische Struktur der Han-Chinesischen Kultur werden und gleichzeitig eine legale und freiheitliche Existenzberechtigung haben. Daher sollte die chinesische Gesellschaft Religion und Glaube genau verstehen, objektiv bewerten, einen passenden Platz in der Gesellschaft geben und ihnen gegenüber immer offen sein. Auf letztere herabzusehen, letztere auszuschließen, brutal zu bekämpfen oder herzlos zu attackieren kann nicht die Wahl sein. Der Wille des Volkes ist in Religionsfragen sehr wichtig, daher darf die Haltung in Religionsfragen nicht als harmloses Nebenthema abgehandelt werden, sondern muss als gewichtiger Faktor für die Einigkeit des Landes, der Völker und der Gesellschaft behandelt werden. Für die Harmonie in der Gesellschaft sollten die Chinesen anhaltend tolerant und respektvoll gegenüber Religion und Glauben sein. Diese Harmonie ist nur mit Empathie und Wissen zu erlangen und als ein offener und ehrlicher Dialog auf geistiger Augenhöhe zu gestalten, der zu einem einheitlichen Verständnis führen soll. Natürlich ist Religion im realen Leben sehr komplex und wird sowohl die Politik beeinflussen als auch sich auf sie einlassen müssen. Hier müssen die Chinesen positiv vorangehen, die rechte Funktion von Religion in der Gesellschaft entfalten sowie den gesellschaftlichen Nutzen und positiven Einfluss auf die Gesellschaft hervorheben. Außerdem müssen benachteiligende Gesetzgebung sowie auf die Gesellschaft negative bis zerstörerische Einflüsse festgestellt, entschieden verhindert und beseitigt werden. Hier muss sowohl Gesellschaft als auch Religion positive Antworten finden, beide Seiten müssen sich aufeinander zu bewegen. Daher müssen die Chinesen sich von politisch linken und rechten Parolen und Praktiken abwenden und ihnen entgegentreten. Sie dürfen eine ausschließliche Betrachtung der negativen Elemente von Religion nicht erlauben, genauso wie jegliche feindliche Kräfte, die versuchen Religion auf die der Gesellschaft feindlich gesinnte Seite zu schieben. Es muss insbesondere darauf geachtet werden, dass linksextreme Sichtweisen, die keine Verbindung zwischen Religion und Glaube mit politischen Wertvorstellungen sowie der gesellschaftlichen Mitte sehen und alles dafür tun, Religion als Gegenpol der Gesellschaftspolitik zu positionieren, nicht zugelassen werden. Ebenfalls dürfen rechtsextreme Kräfte, die verlauten lassen, dass die KPC grundsätzlich Religion und religiöser Harmonie misstrauen muss und damit Religion ebenfalls auf der Gegenseite der Gesellschaftspolitik positionieren will, nicht zugelassen werden. Diese Positionierung durch links- und rechtsextreme Kräfte geschieht in der Praxis auf verschiedene Art und Weise. Gebündelt sind sie die vereinte Kraft, die Religion der Gesellschaft entfremden und von ihr abtrennen will. Die Chinesen dürfen die Entstehung dieser Art der vereinten Kräfte nicht zulassen, um die Isolation der Religion von der Gesellschaft sowie die Tendenz, Stabilität und Einigkeit zu stören, zu verhindern. Der Aufruf des 18. Nationalkongresses der KPC sollte unterstützt werden: „ganzheitliche Umsetzung der parteilichen Basis-Richtlinie für religiöse Arbeit, den positiven Einfluss religiöser und gläubiger Menschen für die Weiterentwicklung der Wirtschaft und Gesellschaft nutzbar machen“. Dieser Aufruf soll positiv umgesetzt werden. Es sollen Ideen für positive Einflussmöglichkeiten entstehen, Zeit und Energie investiert werden, und die der Religion grundsätzlich feindlich gesonnen und kritisierenden Kräfte, die Barrieren aufbauen und mehr Hindernis als Hilfe sind, nicht zugelassen werden. Eine zentrale Forderung der Partei ist die Festigung und Weiterentwicklung einer breiten, patriotischen Einigkeit. Dafür sollen Beziehungen der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander sowie Beziehungen zur Religion mit großer Stärke gefördert werden. Dieser Begriff der Breite schließt Religion und gläubige Bevölkerung explizit ein. Obwohl es in China mehr als 80 Millionen Parteimitglieder der KPC gibt und diese damit die größte regierende Partei der Welt ist, darf man nicht vergessen, dass es in China aktuell auch 900.000 demokratische Parteimitglieder, mehr als drei Mio. Mitglieder der Vereinigung Industrie- und Handel sowie 40 Mio. Mitglieder der selbständigen Industrie und Handelsvereinigung, 30 Mio. Hongkonger, Macauer und Taiwanesen sowie mehr als 50 Mio. im Ausland lebende Chinesen gibt, 110 Mio. Menschen in China ethnischen Minderheiten angehören sowie mehr als 100 Mio. Menschen religiös sind. Nur über die Breite können diese Gruppen vereinigt werden, nur so werden alle notwendigen Kräfte, die für eine Vereinigung notwendig sind, akquiriert. Erst dadurch kann die große Erneuerung der Han-Chinesischen Stärke sowie die Führung der KPC gesichert werden und nur so ist Erfolg garantiert. Damit ist die erforderliche Haltung gegenüber Religion und Glaube sowie derer gesellschaftlichen Existenz offensichtlich.

Glaube und Religion involviert immer auch die Fragestellung der geistigen Kultur des Menschen, daher ist Wissen über Kultur unabdingbar. Glaube und Religion müssen daher immer aus der Perspektive der globalen kulturellen Entwicklungen sowie der ursprünglichen Strömungen der Han-Chinesischen Zivilisation betrachtet werden. Gerade das Wertlegen auf kulturelle und geistige Weiterentwicklung wurde auf dem 18. Nationalkongress der KPC besonders betont. Staatspräsident Xi Jinping hat bezüglich der Realisierung der Beschlüsse des 18. Nationalkongresses aufgezeigt, dass „wir Chinesen weiterhin an der kulturellen Weiterentwicklung des chinesischen Sozialismus festhalten, die sozialistische Kultur zum Blühen bringen, das kulturelle System tiefgreifend reformieren, die sanfte Macht der chinesischen Kultur vergrößern, verstärkt Systeme mit den sozialistischen Kernwertvorstellungen aufbauen, das geistige Leben der Bevölkerung bereichern sowie die Kraft des Geistes jedes einzelnen verstärken müssen“. Nur durch die gesunde Weiterentwicklung der Kultur kann eine echte Weiterentwicklung der Gesellschaft garantiert werden, geistige Kultur ist dabei Heimat der Seele und Quelle der Lebenskraft der chinesischen Gesellschaft. Daher muss eine Weiterentwicklung der Kultur garantiert werden und die entsprechenden Schritte für das Formulieren einer Strategie zur Weiterentwicklung der Kultur unternommen werden. Dafür ist das essentielle Verständnis von Kultur und deren substantieller Strukturen elementar, erst dann hat Kultur ihre einzigartige Bedeutung und ihren einzigartigen Wert.

Die Überlegungen zu einer Art Kulturstrategie müssen auf dem Verständnis und der gewissenhaften Bewertung von Kultur fußen, das heißt, wer sich darüber Gedanken macht, sollte selbst zu dieser Kultur gehören sowie diese Kultur weitervermitteln. Es sollte unbedingt Abstand genommen werden vom bloßen Bewerten der Produktivität, Effektivität oder des Nutzens von Kultur. Der Fokus sollte vielmehr auf der Entwicklung eines kulturellen Geistes gelegt werden, um die heute lebenden Chinesen zu motivieren, Kultur zu leben, weiterzugeben sowie das heutige China als großes Kulturland mit zeremoniellen Elementen, geistiger Blüte und ewigem Weitervererben von kulturellen Werten als Heimat der chinesischen Seele erstrahlen zu lassen. Die tatsächlichen Erwartungen an Kultur sind keinesfalls materieller Art, sondern liegen in der Kreation eines gesellschaftlichen Geistes sowie einer ethnischen Seele. Dies hat natürlich Einfluss auf religiöse und glaubensrelevante Aspekte der Kultur. Gleichzeitig muss auch Religion genau untersucht und betrachtet werden, es darf nicht nur an den wirtschaftlichen Nutzen und Profit sowie den potentiellen Markt für Religion gedacht werden. In gewisser Weise symbolisiert das Fehlen von Glaube und Religion Leere, Schwäche und Geistlosigkeit. Dieser oberflächliche Zustand gibt keine Motivation und Kraft für eine Weiterentwicklung jeglicher Art, was dazu führt, dass der chinesischen Gesellschaft potentielle geistige Stärke fehlt. Diese oberflächliche Kultur kann zwar kurzzeitig Lebhaftigkeit generieren, die aber niemals lange andauert. In dieser Art schwammigen und oberflächlichen Kultur kann keine tiefe Befriedigung gefunden werden. Bald schon ist man mit der Vielfältigkeit der Ablenkung überfordert und das rationale Verständnis geht verloren. Dann sind ein aufgewecktes kulturelles Verständnis, eine tiefgehende kulturelle Analyse und eine kluge strategische Neuausrichtung unabdingbar. Daher gesehen stellen die drei umfassenden Begrifflichkeiten Glaube, Religion und Kultur für die religiöse und kulturelle strategische Ausrichtung die Eckpfeiler dar. Daher sind die in diesen drei Eckpfeilern existierenden Fragestellungen mit hoher Priorität zu lösen. Förderung von gesellschaftlichem Pflichtbewusstsein sowie Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen in Glaube, Kultur und Religion helfen dabei, den Fokus auf eine gemeinsame Entwicklung von religiöser und kultureller Strategie zu setzen.

1 Von Pearson: Kulturstrategie, China Social Sciences Press, 1992, S. 8 (Zitat ist der chinesischen Version entnommen).

2 Von Pearson: Kulturstrategie, China Social Sciences Press, 1992, S. 8 (Zitat ist der chinesischen Version entnommen).

Kapitel 1: Verständnis des Glaubensbegriffs

Erster Abschnitt: Verständnis des Glaubensbegriffs im heutigen China

Glaube ist oft Gegenstand von Diskussionen und es ist daher unvermeidbar, sich mit dem Zustand des Glaubens der heute lebenden Chinesen zu befassen. Die Wertlegung der chinesischen Gesellschaft auf den Glauben muss tatsächlich intensiv reflektiert werden, hier besteht eindeutig Nachholbedarf. In der heutigen Gesellschaft treten einige grundsätzliche und nicht von der Hand zu weisende Probleme auf, die aktuell bereits zu einem gesellschaftlich heißen Thema geworden sind. Diese Diskussion hat sich aus der heutigen moralischen Sicht sowie aus Sicht des gemeinsamen gesellschaftlichen Wertespektrums und Verhaltens bereits ausgebreitet bis auf die Glaubensfrage des Menschen. Wird die Brisanz dieses Themas realisiert und der damit verbundene Weckruf registriert, bringt das das Innere eines Menschen durcheinander und sorgt für ein hart zu ertragendes, leidvolles Bewusstsein der aktuellen Situation. Die Menschen beginnen Fragen zu stellen, bspw. ob Chinesen nun glauben oder nicht, ob Parteimitglieder glauben sollen oder nicht oder ob Kommunismus eine Art des Glaubens ist oder nicht. Kompliziert dabei ist, dass sich die Antworten auf diese Fragen innerhalb der Gesellschaft unterscheiden und es offensichtliche Differenzen gibt. Einige Chinesen denken, China braucht den Glauben grundsätzlich nicht, da die charakteristischen Philosophen in der Kulturgeschichte Chinas sowie die wissenschaftliche Rationalität der KPC den Glauben überflüssig gemacht hat. Daher kann ihrer Meinung nach alles durch philosophische Rationalität erklärt werden, außerdem ist der Kommunismus eine systematische Struktur, die mit Glauben nicht zu tun hat. Aktuell gibt es bereits Menschen, die öffentlich verlautbaren dass Chinesen und Parteimitglieder der KPC den Glauben nicht brauchen. Diese Einstellung ist aus Sicht des Autors sehr rechthaberisch und wird unter der Annahme geteilt, dass das Recht auf dessen Seite ist. Dabei wird Atheismus als charakteristisch für die heutige gesellschaftliche Veränderung Chinas gesehen und stellt ein eindeutiges Unterscheidungskriterium zu anderen Völkern und Regierungen dar. So gesehen ist Glaube in China bereits von der Bildfläche verschwunden. Nach dieser Logik sind die Aussagen von Kang De, über dem Kopf der Sternenhimmel, im Herzen die Moral, welche das Übernatürliche ehren und das Innere des Menschen begrenzen und eine Kombination aus objektivem und subjektivem Idealismus darstellen, sowie die Einstellung des traditionellen China, dass es überall einen Zeugen gibt, als abergläubischer Blödsinn abgestempelt. Glaube sowie alles unsichtbare und ungreifbare ruft natürlicherweise einen bestimmten Argwohn hervor, aber wenn die Menschen wirklich nicht das Geistige suchen würden, wäre das in der Realität auch schlichtweg bedenklich und für die Weiterentwicklung der Zivilisation nicht von Vorteil. Ehrfurcht ist ein religiöses Gefühl, das die Übernatürlichkeit des Glaubens verkörpert sowie die moralischen Gesetze im Herzen eines Menschen führt und kontrolliert. Dies stellt eine wichtige Ergänzung gesellschaftlicher Standards in Gesetz, Ordnung und weiterem dar. Das Gesetz ist hierbei als oberflächliche Schicht anzusehen, deren Formulierungen aus tiefschichtigeren Gedankengängen kommen, welche auf Initiative und Aktivität menschlicher Gedanken fußen. Gibt es keinen Glauben, kommen alle bereits erwähnten gesellschaftlichen Probleme ans Tageslicht. Unter diesem moralischen Dilemma und Werteverlust leiden das Bewusstsein und die Gutherzigkeit der Chinesen, dies sorgt außerdem für ein Verlustgefühl. Daher gibt es nicht wenige Menschen, die denken, dass Glaube für die Menschheit notwendig ist, ja sogar Pflicht. Selbst wenn aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses von Religion gesagt wird, Chinesen haben keine Religion, heißt das nicht, dass Chinesen keinen Glauben haben! Eine ethnische Gruppe, Partei oder ein Land, das keinen Glauben hat, baut auf sehr riskantem Grund und es ist für diese dann sehr schwierig, eine gemeinsame Denkweise zu finden. Also wird oft gesagt, Glaube ist Seele, Kultur ist Ausdruck, Wissenschaft und Technologie ist Kraft und Motivation; die vollumfängliche Entwicklung der menschlichen Zivilisation wird durch diese drei Stützen vorangetrieben. Unter den Gläubigen ist religiöser Glaube ein wichtiger Teil ihres Lebens, was aber nicht heißt, dass es die einzige Wahl ist. Einige denken, dass Glaube ausschließlich für religiöse Menschen möglich ist, tritt man aus der Religion aus, hat man über Glaube auch nichts mehr zu sagen. Dieses uneinheitliche Verständnis sowie die komplexen Haltungen bezüglich der Religionsfrage drücken einmal mehr die multiplen Situationen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb des aktuellen Wandlungsprozesses der chinesischen Gesellschaft aus. Somit ist innerhalb des chinesischen Sprachgebiets nicht nur in der Religionsfrage noch kein einheitliches Verständnis erreicht, sondern auch in der Glaubensfrage fehlt noch eine einheitliche Meinung.

In der Praxis ist die Moral der Gesellschaft ohne die Unterstützung des Glaubens wie ein Fluss ohne Quelle oder ein Baum ohne Wurzeln. Glaube kann für die Weiterentwicklung der Moral Quelle kontinuierlicher Motivation sein, ohne ihn wird sie sich nicht langfristig weiterentwickeln können. Natürlich können für die Weiterentwicklung der Moral auch entsprechende moralische Prinzipien aus der Theorie zu einem neuen Glauben emporgehoben werden. Tatsächlich wurden im alten China positive moralische Prinzipien erhoben zu Anforderungen an den Glauben, beispielsweise wurde die öffentliche Verehrung zu einer Art ehrenwerter, loyaler Vergötterung. Durch Erhebung und Heiligung können Menschen heilig werden. Personifizierung von moralischem Geist wird zu Ausdruck von Heiligkeit. Qian Muzeng sagt: „Warum hat Guan Yu (Gott des Krieges) unter der Art und Weise der Anbetung der Chinesen gelitten? Genau weil Guan Yu seine eigene Art moralischen Geistes hatte“. Obwohl seine Mission unerfüllt blieb, und seine Truppen geschlagen und getötet wurden, „hat sein moralischer Geist ohne Schaden bis heute überlebt“1. Guan Yu ist dafür bekannt, seine Versprechen zu halten, es bestehen kontinuierliche Freundschaftsbanden zum früheren Offizier und die Chinesen ehren und verkünden sein moralisches Verhalten bis heute. Leider hat sich die Verehrung Guan Yus gewandelt von einer geistigen Ebene hin zu einer materiellen. In der materialistisch geprägten Gesellschaft wird er ausschließlich als Gott des Wohlstands verehrt, so ist er vor allem auf den Türen und in den Hallen von Restaurants und Kantinen zu finden. So soll der alte Opa Guan beim Geldverdienen unterstützen und seine ursprüngliche Verkörperung von Werten ist von den meisten Menschen bereits vergessen; der eigentliche Grund der Verehrung als personifizierter Geist der Moral ist nicht mehr bekannt. Daran sieht man, dass die Heiligen in den Herzen der Menschen durch die Veränderung von Bräuchen und dem zunehmenden Fokus auf materielle Güter verloren gehen und in Bedeutungslosigkeit versinken beziehungsweise hinsichtlich ihrer Bedeutung eine Transformation erfahren. Genau in dieser Moral- und Sinnkrise fangen die Chinesen wieder an, sich auf moralische Werte und die Bedeutung des Glaubens zurückzubesinnen, die geistige Heimat wieder zu suchen. So wird beispielsweise der Geist von Lei Feng (sein Leben und Wirken gilt als Paradebeispiel für Aufopferung, gelebt 1940–1962, Anm. d. Übersetzers), obwohl seine Tage bereits lange vorbei sind, in der heutigen Gesellschaft wieder lebendig. Die Städte Guangzhou und Wuhan bringen gemeinsam das Theaterstück „Glaube“ auf die Bühne, um Glaube in künstlerischer Form der Gesellschaft wieder näher zu bringen. Es gibt sogar Tendenzen, die Anbetung von Guan Yu zu ihrer ursprünglichen Form zurückzuführen. Also, was ist Glaube dann eigentlich? „Glaube ist ein kleiner Vogel, der in den Stunden vor der Morgendämmerung bereits nach dem ersten Licht greift und das erste Lied des Lobes singt.“ So lautet die Antwort des indischen Poeten Tagore. Man kann sagen, Glaube ist in die Zukunft orientiert, hilft uns, voranzuschreiten und für noch nicht Erreichtes oder Realisiertes zu kämpfen. Glaube beschreibt die Richtung und Suche für zukünftige Ideale oder in der Realität nicht erreichbare Träume. Selbst wenn das Ziel noch nicht erreichbar ist, kann dem Prozess des Suchens eine spezielle Bedeutung abgewonnen werden. Glaube gibt in den anstrengenden Zeiten des Lebens Motivation und Unterstützung, er ist Führung und gibt Hoffnung im Leben. Deshalb müssen die Chinesen die Glaubensfrage tiefgehend und systematisch untersuchen sowie für die unbedingte Bedeutung des Glaubens der Menschheit kämpfen und die Rückkehr zum Glauben ausrufen.

1. Verständnis des Glaubensbegriffs

Bei der Betrachtung philosophischer und geistiger Lebensfragen ist vor allem im Kontext religiöser Fragestellungen eine genaue Erläuterung des Begriffs Glaube unumgänglich. In einem ersten Schritt gilt es daher, zunächst das Verständnis des Glaubensbegriffs darzulegen. Glaube ist ein wichtiger Bestandteil der geistigen Kultur und wird oftmals mit Menschen in Verbindung gebracht, die über sich selbst hinauswachsen und sich über Naturgewalten oder gesellschaftliche Vorstellungen hinwegsetzen, mit dem Ziel, die Bedeutung des Universums, des Lebens sowie der eigenen Existenz neu zu definieren. Der Glaubensbegriff steht für Entscheidungen und Umsetzungen, die unter geistigen und praktischen Gesichtspunkten ihrer Zeit voraus sind und verkörpert das Suchen des Menschen nach übernatürlichen und mystischen Grenzerfahrungen. Das Wort Glaube setzt sich im Chinesischen aus zwei Zeichen zusammen: 信 – vertrauen, glauben und 仰 – heraufschauen, bewundern, respektieren, vertrauen auf. Das Zeichen 信 steht dabei für geistigen Fortschritt und Transzendenz, das heißt Erfahrungen, die über die Realität hinausgehen. Das Zeichen 仰 umschreibt dabei Eigenschaften wie über sich hinauswachsen, es deutet auf etwas Höheres hin, das Gewöhnliches übersteigt und eine überzeugte Denkweise und entsprechende Umsetzung dieser beinhaltet. Obwohl Glaube möglicherweise auch Nichtwissen, Verschwommenheit oder Mystik impliziert, verkörpert er doch hauptsächlich Bewunderung, Verehrung, Lobpreis und Heiligkeit. Glaube ist jedoch ein geistiger Ausdruck des Menschen und wird damit an der Seite der realen Existenz des Lebens zu einer Art spirituellen Kraft. Wenn diese spirituelle Kraft die gesellschaftlichen und politischen Kräfte beeinflusst, kann der Glaube im realen gesellschaftlichen Leben für eine komplizierte Machtbeziehung zwischen eben diesen drei Kräften sorgen.

Der Glaube wird als eine geistige Methode des Volkes gesehen, das Leben in allen Situationen zu meistern. Die Besonderheit der Glaubenslogik liegt dabei in geringer Intension und weiter Extension. Das bedeutet, durch den Glauben werden erwartungsvolle, nach etwas strebende, suchende und hingebungsvolle Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber einer Aufgabe, eines Verständnisses oder einer Fantasie sowie gegenüber jeglichen Wertvorstellungen, Lebens- und Weltanschauungen streng aufrechterhalten. Glaube ist von der Realität abgeleitet, unterscheidet sich ihr gegenüber jedoch grundlegend: Zentral ist dabei die Suche nach übernatürlichen psychologischen Erfahrungen und einem spirituellen Leben. Glaube entwirft ein ideales Menschenbild und schafft damit Idealvorstellungen, nach denen es zu streben gilt. Glaube verbindet Realität mit Fantasie und ist Ausdruck ernstzunehmender Sorge und langanhaltender Suche des Menschen. Dingen gegenüber, die als unsicher gelten oder unbekannt sind, vermittelt Glaube Sicherheit. Unter kulturellen Gesichtspunkten stellt Glaube das höchste Gut dar, nach dem geistiges Leben streben kann. Glaube entspricht damit dem höchsten Zustand intellektuellen Lebens. Der Glaube und das Streben nach Idealen beschreiben folglich diejenigen Eigenschaften, die den Menschen letztendlich gegenüber anderen Lebewesen grundlegend unterscheiden. Unter dem Verständnis der chinesischen Kultur kann aus den beiden Zeichen für Glaube – 信仰 erkannt werden, dass das Zeichen 信 das Zeichen für Mensch – 人 beinhaltet, Glaube ist also ein von Menschen formuliertes Phänomen und ein Gefühl der Menschen. Glaube beschreibt aus Sicht der chinesischen Schriftzeichen den ehrlichen Umgang der Menschen untereinander, das Wort kommt aus dem Herzen. In seiner Präsenz bewundert Glaube das Licht und verehrt die Sonne und lässt den Geist alles Lebenden aufscheinen.2 Glaube gehört zur tiefen geistigen Suche der Menschheit und hat somit eine wichtige Position in der kulturellen Existenz. Aufgrund seiner Weitsichtigkeit, Prophezeiung bestehen zur Realität Unterschiede und Spannungen. Glaube existiert immer in Form von Bewusstsein und Ansichten. Dabei existieren Unterschiede und Konflikte auf idealer und praktischer Ebene mit der aktuellen realen Situation. Aber „erst wenn echter Glaube existiert, kann es einen Kontrast zur Realität geben“3, Glaube hat also etwas der Realität Abgewandtes und über die Realität Hinausgehendes. Er repräsentiert die Suche des Menschen nach einem idealen Zustand in der Zukunft und unterscheidet sich von Gedanken und Formen allgemeiner Gewohnheiten, hat dabei seinen unkonventionellen und übernatürlichen Charakter. Glaube geht über Realität hinaus und kann durch seine potentielle geistige Stärke die positive Entwicklung der Realität beschleunigen. Daher darf er nicht als unbedeutende, übriggebliebene Tradition bewertet werden. Glaube ist für das Temperament eines Menschen wichtigstes Element, im logischen Schließen und rationalen Verständnis jedoch gibt es objektiv gesehen für den Blick in die Zukunft und zukünftige Bedeutungen keine Eindeutigkeit. Wenn es hier eine eindeutige Vorhersage gäbe, müsste Glaube die Richtigkeit dieser beweisen und würde damit seine eigenen Charakteristika verlieren. Die Nicht-Eindeutigkeit in dieser Frage ist für das Meistern der Zukunft das klassischste und tiefgreifendste kulturelle Merkmal, welches zu einer Methode des Menschen, nach der Welt zu greifen wird sowie eine große Charakteristik der geistigen Kultur der Menschheit darstellt.

2. Zwei Arten des Glaubensverständnisses

Menschen haben, was Glaube angeht, ein unterschiedliches Verständnis. Allgemein können zwei Arten des Verständnisses unterschieden werden: Ersteres sieht Glaube als ausschließlichen Teil von Religion, tritt man aus der Religion aus, so hat man auch keinen Glauben mehr. Das Zeichen 信 steht für Überzeugung und Bestimmtheit, das Zeichen 仰 steht für verehren und respektvolles Aufschauen. So wird betont, dass Glaube – 信仰 aufgrund seiner ursprünglichen Bedeutung ein Ausdruck religiöser Spiritualität und Anbetung ist. Das Wort Glaube – 信仰 repräsentiert im Chinesischen mit 信 einerseits die Gläubigen, andererseits mit 仰 das Anbeten und Verehren des Heiligen und Übernatürlichen, jedoch auch das Gefühl des Heraufschauens, Bewunderns und der aufwärts gerichteten Haltung. Heiligkeit, Geist und Übernatürlichkeit sind elementare Bestandteile des Glaubens. Allen weltlichen Ideen, Individualismen, materiellen Gütern, Doktrinen und Idealen fehlt diese Charakteristik und somit ist Glaube mit allem Weltlichen schwer vergleichbar. Das Zeichen 信 repräsentiert das Bewusstsein des Fortschritts, das Zeichen仰 repräsentiert das Eingreifen des Übernatürlichen, etwas nach oben gerichtetes, eine transzendente Einstellung und dementsprechendes Handeln. Dabei kann Verehrung und Anbeten nur durch ultimative Existenz oder ultimative Heiligkeit entstehen; außerdem kann das Glauben an die Realität oder an eine zweite ultimative Wahrheit nur als eine Art Denkweise bezeichnet werden und ist dem Glauben nicht ebenbürtig. Offensichtlich hat diese Art Verständnis eine einseitige Begrenzung.

Eine andere Denkweise wiederum begrenzt Glaube nicht nur auf Religion, sondern schreibt ihm eine breitere Implikation zu, da „Religion nicht notwendig für Glaube und nicht seine einzige Ausdrucksform ist“. Tatsächlich „ist Glaube eine fundamentalere Sache“4. Anders ausgedrückt gibt es außer dem religiösen Glauben auch noch anderen (weltlichen) Glauben. Obwohl die westliche Gesellschaft in Glaubensfragen die Implikation von Religion betont, gibt es keine Aussage, welche Religion als einzige Form des Glaubens darstellt. In der chinesischen Ausgabe der britischen Enzyklopädie wird der englische Ausdruck belief als Glaube – 信仰 übersetzt und definiert als „akzeptable Lösung für eine reelle Situation, die mit Vernunft nur ungenügend erklärt werden kann“. Diese Art Erklärung bezeichnet Glaube „als offensichtliches Phänomen des Produkts der Selbstreflexion, […] Glaube führt aufgrund der Unbestimmtheit seines Ausmaßes zu Differenzen, beispielsweise in Spekulationen, Standpunkten und Überzeugungen. Nur wenn aus Sicht der Gläubigen etwas offensichtlich echt ist, wird dies zu Wissen“5 Es kann ausgesagt werden, dass Glaube in enger Verbindung zu Überzeugungen, Vertrauen sowie Idealen steht. Beinhaltet Glaube jedoch nur diese Elemente, so könnte er sowohl als religiös als auch als weltlich gelten. Der englische Ausdruck ‚faith‘ wird in der chinesischsprachigen Ausgabe der britischen Enzyklopädie mit dem Zeichen 信 übersetzt und wird als religiöses Vokabular geführt: ‚faith‘ „gehört zum religiösen Vokabular und meint die innere Anerkennung, Überzeugung und das Vertrauen auf den höchsten Gott und die ultimative Salvation“6 Ähnlich weit wird Glaube im chinesischen Cihai (Standard-Enzyklopädie, Anm. d. Übersetzers) gefasst, so wird „Glaube von allen Religionen und Doktrinen akzeptiert und respektiert und er wird von ihnen als praktizierter Standard verwendet.“7 Hier kann Religion und Doktrin als Gegenüber des Glaubens gesehen werden.

3. Glaube und Überzeugung