Rheuma - Dr. med. Peer Aries - E-Book

Rheuma E-Book

Dr. med. Peer Aries

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Beschreibung

Junge Menschen können kein Rheuma haben. Wer Rheuma hat, sollte sich schonen. Das wurde bestimmt von einer Impfung ausgelöst. Da kann man doch was mit der Ernährung machen. Über keine andere Krankheit kursieren so viele Mythen wie über Rheuma: ein Sammelbegriff für über 400 Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten können. 1,5 Millionen Menschen leiden hierzulande an Rheuma. Nach Kopf- und Rückenschmerzen folgt es auf Platz 3 im Ranking der Beschwerden, gegen die regelmäßig Medikamente genommen werden. Gleichzeitig gilt Rheuma bis heute als Blackbox –  Mythen kursieren nicht nur über die Ursachen, sondern auch über mögliche Therapien. Dr. Peer Aries ist wissenschaftlich tätig, arbeitet als praktizierender Rheumatologe und ist für seine lebhaften Vorträge bekannt. Hier räumt er mit falschen Annahmen, Missverständnissen und (gefährlichem) Halbwissen auf: In eingängigen Kapiteln knöpft sich Dr. Peer Aries jeweils einen Mythos vor, unterzieht ihn einem medizinischen Faktencheck und gibt Tipps und Ratschläge, was wirklich hilft.

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Dr. med. Peer Aries mit Ana González y Fandiño

Rheuma

Wissen statt Mythen – rheumatische Erkrankungen verstehen und in den Griff bekommen

 

 

 

Über dieses Buch

Junge Menschen können kein Rheuma haben. Wer Rheuma hat, sollte sich schonen. Das wurde bestimmt von einer Impfung ausgelöst. Da kann man doch was mit der Ernährung machen. Über keine andere Krankheit kursieren so viele Mythen wie über Rheuma: ein Sammelbegriff für über 400 Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten können. 1,5 Millionen Menschen leiden hierzulande an Rheuma. Nach Kopf- und Rückenschmerzen folgt es auf Platz 3 im Ranking der Beschwerden, gegen die regelmäßig Medikamente genommen werden. Gleichzeitig gilt Rheuma bis heute als Blackbox –  Mythen kursieren nicht nur über die Ursachen, sondern auch über mögliche Therapien. Dr. Peer Aries ist wissenschaftlich tätig, arbeitet als praktizierender Rheumatologen und ist für seine lebhaften Vorträge bekannt. Hier räumt er mit falschen Annahmen, Missverständnissen und (gefährlichem) Halbwissen auf: In eingängigen Kapiteln knöpft sich Dr. Peer Aries jeweils einen Mythos vor, unterzieht ihn einem medizinischen Faktencheck und gibt Tipps und Ratschläge, was wirklich hilft.

Vita

Dr. med. Peer Aries ist Internist, Rheumatologe und Immunologe, Mitglied unterschiedlicher Kommissionen/Arbeitsgruppen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie und Co-Autor mehrerer Leitlinien. Er zählt nach der FOCUS-GESUNDHEIT-Liste zu den Top-Medizinern in Deutschland und leitet das Immunologikum Hamburg, ein überregionales Zentrum für Rheumatologie und klinische Immunologie. 

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Redaktion Steffen Geier

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich

Coverabbildung Asja Caspari

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01552-4

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Vorwort

Auch ohne persönlich betroffen zu sein oder sich groß für Medizin zu interessieren – von Rheuma haben wir alle schon einmal gehört. Sofort steigen stereotype Bilder vor unserem inneren Auge auf. Und so unterschiedlich sie auch sein mögen, eins ist ihnen allen gemein: Es handelt sich in der Regel um alte Menschen, denen die Schmerzen und Beeinträchtigungen durch die Krankheit anzusehen sind. Ob das nun Oma Gertraud ist, die mit ihren verformten Fingern nicht mehr richtig greifen kann, oder Herr Schmitz von gegenüber, der wegen seiner Kniegelenke nach Jahrzehnten das Wandern aufgeben musste.

An diese Vorstellungen ist häufig jede Menge vermeintliches Wissen geknüpft. Denn tatsächlich stimmt nicht vieles von dem, was im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis ausgetauscht wird beziehungsweise in den Medien zu lesen, sehen oder hören ist. Dabei befindet man sich leider schnell in bester Gesellschaft, denn manch einem Irrglauben sitzen sogar Menschen auf, die im Gesundheitsbereich tätig sind, einschließlich vieler Ärzt:innen.

Insofern haben wir Rheumatolog:innen es nicht nur mit der jeweiligen entzündlich-rheumatischen Krankheit zu tun. Wir sind immer auch gefordert, das Sammelsurium aus falschen Grundannahmen, Missverständnissen und (gefährlichem) Halbwissen zu berücksichtigen, das sich über die Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte zu dem verdichtet hat, was im Zentrum dieses Buches steht: der «Mythos Rheuma». Heutzutage würde man dazu wahrscheinlich nicht mehr «Mythos» sagen, stattdessen heißt es in der Sprechstunde häufig: «Ich habe im Internet gelesen, dass …» Inhalt und Effekt solcher Informationen sind aber traditionellen Mythen sehr ähnlich. Denn allzu häufig werden im Internet (oder im Fernsehen, in der Zeitung, im Radio etc.) angebliche Tatsachen als «wahr» und «bewiesen» dargestellt, mit dem einzigen Nachweis, dass man da jemanden kenne, der das eben genau so erlebt oder erfahren habe. Und sobald die Aussage dort schwarz auf weiß steht, ist sie ohne jegliche Zeitverzögerung von überall auf der Welt abrufbar (und wird ihrerseits als Beleg für den angeblichen Wahrheitsgehalt des Mythos angeführt). Stolpert man dann über eine ähnliche Behauptung auf einer oder mehreren anderen Webseiten, hat man auch schon die vermeintliche Bestätigung gefunden. Es kommt zu dem, was wir einen Bestätigungsfehler oder auch confirmation bias nennen.

Vor diesem Hintergrund habe ich für dieses Buch aus dem großen Meer der Mythen zu den entzündlich-rheumatischen Krankheiten diejenigen herausgefischt, die mir in meiner Sprechstunde, in Internetforen sowie auf Veranstaltungen mit Patient:innen am häufigsten begegnen. Dabei beschränke ich mich nicht nur auf traditionelle Mythen aus vorherigen Jahrhunderten, also gewissermaßen die «Klassiker», sondern behandele bewusst auch moderne Mythen, die erst in jüngerer Vergangenheit entstanden sind. Alle zusammen lassen sich in drei große Gruppen unterteilen:

Allgemeine Mythen

Mythen zu Ursachen

Mythen zu Therapien

Jeder einzelne Mythos wird nach demselben Muster unter die Lupe genommen, wobei ich mich an folgenden drei Fragen orientiere:

Wie lautet der Mythos und worauf gründet er? → Der Mythos

Wie sieht der aktuelle Stand des Wissens dazu wirklich aus? → … und die Fakten dazu

Was können Sie für sich mit nach Hause und in Ihren Alltag beziehungsweise mit in die nächste Sprechstunde nehmen? → die Take-home-Message

Wie Sie sehen werden, verfolge ich zwei Ziele mit diesem Buch: Zum einen möchte ich in einem kurzen ersten Teil die gesellschaftliche Wahrnehmung von Rheuma erweitern. Die Kursivsetzung mag Sie irritieren, doch aus medizinischer Sicht ist sie unerlässlich – weil Rheuma eben keine einzelne Erkrankung ist, sondern ein Sammelbegriff für Hunderte von Erkrankungen, die in jedem Alter auftreten können. Wir Rheumatolog:innen verstehen uns deshalb auch grundsätzlich als klinische Immunolog:innen und Expert:innen für Autoimmunerkrankungen.

Zum anderen möchte ich in einem längeren zweiten Teil mit den gängigsten Mythen in der Rheumatologie aufräumen, um betroffenen Menschen zu helfen, ihre Chance auf die bestmögliche medizinische Versorgung wahrzunehmen und besser zwischen Mythen und Fakten unterscheiden zu können. Dabei setze ich auf die mündige Patientin beziehungsweise den mündigen Patienten. Und das geht nicht ohne eine fundierte Entscheidungsgrundlage. Denn je mehr Betroffene über ihre Erkrankung wissen, desto besser können sie

sich mit ihr auseinandersetzen und sie verstehen,

individuell passende Bewältigungsstrategien finden und dauerhaft anwenden sowie

informierte Entscheidungen über Behandlungsoptionen gemeinsam mit den behandelnden Ärzt:innen treffen.

Der Weg dorthin ist ein Prozess, den man heute auch als Empowerment bezeichnet und zu dem ich auch mit diesem Buch beitragen möchte. In diesem Sinne lade ich Sie ein, mit mir zu erkunden, welche Mythen und Narrative sich um die rheumatischen Erkrankungen ranken – um sie zu entlarven und zu entdecken, was wirklich hinter diesen Krankheiten steckt und wie man bestmöglich mit ihnen leben kann.

Teil 1Entzündlich-rheumatische Erkrankungen – eine Einführung

Rheuma damals und Rheuma heute

Was ist das denn nun eigentlich, dieses Rheuma? Das Wort hat einen altgriechischen Ursprung und bedeutet wörtlich so viel wie «fließender Schmerz». Das bezieht sich darauf, dass es sich historisch betrachtet um einen Sammelbegriff handelt, unter dem jegliche Schmerzen im Bewegungsapparat zusammengefasst wurden, die typischerweise einen wechselhaften Verlauf zeigen: Während es den Betroffenen an dem einen Tag gut geht, können sie sich an einem anderen nicht einmal mehr selbst einen Pullover anziehen.

Bis heute hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass Schmerzen im Bewegungsapparat immer gleich Rheuma seien – und es kein Rheuma ohne Gelenkschmerzen gebe. Was allerdings genauso falsch ist wie die weitverbreitete Annahme, dass die Rheumatologie ein Untergebiet der Geriatrie (Altersmedizin) oder Orthopädie darstelle. Die Medizin hat sich im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelt, hinzugelernt und spezialisiert, sodass heute streng genommen ausschließlich entzündliche Erkrankungen unter den Begriff Rheuma gefasst werden. Nicht entzündliche Veränderungen wie Arthrose – der ein fortschreitender Verschleiß der Gelenke zugrunde liegt – oder auch das Fibromyalgie-Syndrom – als nicht entzündliches Weichteilrheuma bekannt – fallen im engeren Sinne nicht unter Rheuma beziehungsweise unter die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, wie die medizinisch korrekte Bezeichnung lautet.

Aber wonach entscheidet die moderne Medizin eigentlich genau, welche Krankheit nun zu Rheuma dazugehört und welche nicht? Als ausschlaggebendes gemeinsames Kriterium gilt, dass es zu einer generalisierten, das heißt systemischen Entzündung kommt, die durch das Immunsystem vermittelt wird. Diese körpereigene Krankheitsabwehr besteht unter anderem aus Knochenmark, Thymus, Milz, Rachenmandeln, Lymphknoten und speziellen weißen Blutkörperchen, die wie in einem Netzwerk miteinander kommunizieren und interagieren. Erkrankt man an Rheuma, dann kommt es also zu einer ungewollten Reaktion des Immunsystems, die sich gegen den eigenen Körper richtet. In der Medizin sprechen wir in solchen Fällen von Autoimmunerkrankungen.

Gehen wir einen Schritt zurück, dann stellt sich die Frage: Was heißt das für die Ursachen von Rheuma? Die ursprüngliche Entzündung, die den rheumatischen Beschwerden zugrunde liegt, entsteht nach heutigem Wissen nicht lokal in einem Organ wie dem Auge, der Niere oder der Lunge beziehungsweise in einem Gelenk wie dem Knie-, dem Hüft- oder dem Fingergelenk. Sie bahnt sich stattdessen zentral im Immunsystem an, um dann von dort durch die weißen Blutkörperchen in die einzelnen Organe oder Gelenke getragen zu werden und sich dort weiterzuentwickeln.

Die meisten rheumatologischen Erkrankungen zählen demzufolge zu den Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem offensichtlich nicht nur gegen Viren und Bakterien kämpft, sondern eben auch gegen den eigenen Körper. Es handelt sich dabei um eine übermäßige Aktivierung des Immunsystems, das dann quasi «hochtourig» – im übertragenen Sinne mit einer Leistung von sozusagen 130 Prozent – läuft. Da der eigentliche Fehler nicht in dem betroffenen Organ oder Gelenk an sich liegt, ist es auch selten sinnvoll, nur die eine entzündete Stelle des Körpers zu behandeln. Denn das Immunsystem sucht sich dann in der Regel einfach eine andere Stelle für die Entzündung. Dementsprechend zielen rheumatologische Therapien nicht nur auf die eine Entzündung, die sich bemerkbar macht, sondern versuchen, «ganzheitlich» anzugreifen, also die Ursachen im Immunsystem an der Wurzel zu packen.

Um einmal aus meinem «beruflichen Nähkästchen» zu plaudern: Es kommt zwar nicht täglich, aber doch immer wieder vor, dass Patient:innen nach Monaten der rheumatologischen Betreuung fragen, ob sie denn wirklich Rheuma hätten. Denn eigentlich ginge es bei ihnen doch zum Beispiel nur um eine Entzündung im Auge und in der Niere, während der Bewegungsapparat überhaupt nicht betroffen sei. Daran erkennt man vor allem eins sehr deutlich: dass leider auch mein Team und ich es offensichtlich nicht immer schaffen, die Patient:innen informativ dort abzuholen, wo es notwendig wäre.

Der wichtigste Grundsatz – sowohl für uns behandelnde Ärzt:innen als auch für unsere Patient:innen – lautet: Rheuma ist nicht gleich Rheuma! Ich habe es zwar selbst nicht genau durchgezählt, aber es gibt über den Daumen gepeilt mehr als 400 unterschiedliche entzündlich-rheumatische Erkrankungen, die sich grob in drei Gruppen unterteilen lassen: Arthritiden, Kollagenosen und Vaskulitiden. Schauen wir uns doch einmal etwas genauer an, was sich dahinter verbirgt.

1. Arthritiden, also verschiedene Formen der Arthritis (Gelenkrheuma)

Die entzündlichen Gelenkrheumaerkrankungen sind diejenigen, die in der Bevölkerung klassischerweise als Rheuma verstanden und pauschal mit diesem Etikett versehen werden. Im Vordergrund steht die Entzündung von Gelenkkapseln, Sehnen und Sehnenansätzen, die unter anderem im Knie, in der Hand, im Kiefer oder in der Wirbelsäule auftreten kann. In der Regel geht das mit Schmerzen und einer gewissen Steifheit der Gelenke einher. Häufig haben Betroffene besonders nach dem Aufwachen beziehungsweise Aufstehen größere Schwierigkeiten, die Wirbelsäule und/oder die Gelenke zu bewegen. Alles ist wie eingerostet.

Dieses als Morgensteifigkeit bekannte Phänomen kennen allerdings viele Menschen mit zunehmendem Alter. Im Normalfall braucht es nur ein paar Schritte und wenige Minuten, in seltenen Fällen können es auch mal bis zu 30 Minuten sein, bis die gewohnte Beweglichkeit wiederhergestellt ist. Bei Menschen mit Rheumatoider Arthritis hingegen vergehen meist mehr als 45 Minuten, bis sich die Morgensteifigkeit legt.

Je nachdem, wie viele Gelenke betroffen sind, spricht man von einer Monoarthritis (ein Gelenk), einer Oligoarthritis (weniger als vier Gelenke) oder einer Polyarthritis (mehr als vier Gelenke). Falls Sie sich fragen, wie es mit der Wirbelsäule aussieht: Sie stellt im Grunde eine Aneinanderreihung von Gelenken dar, darunter die kleinen Wirbelgelenke (zum Beispiel Facettengelenke oder Rippengelenke) sowie die großen Steißbeingelenke (Sakroiliakalgelenke).

Die Entzündungen bei gelenkrheumatischen Erkrankungen beschränken sich aber nicht auf die Gelenke. Sie können auch, wie eingangs erwähnt, sowohl die Sehnen betreffen (= Tendinitis), beispielsweise die Achillessehne, als auch die Schleimbeutel (= Bursitis). Darüber hinaus kann es im Rahmen sämtlicher Arthritiden (Mehrzahl von Arthritis) zu extraartikulären Entzündungen kommen, also zu entzündlichen Veränderungen außerhalb der Gelenke. Hierzu zählen unter anderem Entzündungen des Auges (zum Beispiel Uveitis), des Darms (zum Beispiel chronisch-entzündliche Darmerkrankung), der Haut (zum Beispiel Psoriasis) oder der Lunge (zum Beispiel Lungenfibrose).

Die effektive medikamentöse Entzündungshemmung verfolgt daher das Ziel, sowohl die Entzündungen in den Gelenken herunterzufahren als auch extraartikuläre Entzündungen zu verhindern.

Zu den Arthritiden gehören unter anderem:

Rheumatoide Arthritis,

Spondyloarthritis,

undifferenzierte Spondyloarthritis,

reaktive Arthritis,

CED-assoziierte Arthritis,

Spondylitis ankylosans, eine früher als Morbus Bechterew beschriebene Sonderform,

Psoriasisarthritis.

2. Kollagenosen, also verschiedene Formen der Kollagenose (Weichteilrheuma)

Bei den unterschiedlichen Formen der Kollagenosen spielen sich die entzündlichen Veränderungen in erster Linie im Bindegewebe ab, das zu einem großen Teil aus Kollagen aufgebaut ist. Bindegewebe findet sich überall im menschlichen Körper. Aufgrund seiner formgebenden und stützenden Funktion stellt es einen unerlässlichen Bestandteil unserer Körperorgane dar – von Herz, Lunge und Niere über das zentrale Nervensystem bis hin zur Haut. Auch unsere Gelenkkapseln bestehen komplett aus Bindegewebe.

Dementsprechend können die entzündlichen Veränderungen, die im Rahmen einer Kollagenose auftreten, nahezu alle Organe betreffen. Sie machen zwar auch vor den Gelenken nicht halt, diese stehen allerdings nicht so sehr im Vordergrund. Die entzündlichen Schwerpunkte konzentrieren sich vielmehr je nach Krankheit auf bestimmte Organe, hierzu zählen unter anderem:

die Drüsen – zum Beispiel die Speichel- und Tränendrüsen

die Haut und die Schleimhäute – zum Beispiel die Haut, die das Herz umgibt, bei der Herzbeutelentzündung (Perikarditis); die Haut, die die Lunge umgibt und den Brustraum auskleidet (Pleuritis); die äußere Haut, also die den Körper umgebende Hülle, bei Lichtempfindlichkeit oder Haarausfall,

die Niere – zum Beispiel das Kapillarsystem der Niere bei der Glomerulonephritis (eine besonders gefürchtete entzündliche Veränderung).

Neben den Symptomen, die mit der akuten Entzündung einhergehen, kann es nach deren Abklingen zu Vernarbungen des Bindegewebes – also beispielsweise von Drüsen, Organen, Haut und Nerven – kommen, die sich langfristig bemerkbar machen können und entsprechend berüchtigt sind.

Zu den Kollagenosen zählen unter anderem:

systemischer Lupus erythematodes (SLE),

Sjögren-Syndrom,

Dermatomyositis/Polymyositis,

Systemische Sklerose (auch Sklerodermie genannt),

Mischkollagenosen.

3. Vaskulitiden, also verschiedene Formen der Vaskulitis (Gefäßrheuma)

Bei den Vaskulitiden stehen in erster Linie die Wände der Blutgefäße (lat. vasa sanguinea) im Mittelpunkt. Unsere Blutgefäße bilden ein weitverzweigtes Netzwerk, über das der Körper mit Blut versorgt wird. Schwellen die Gefäßwände durch die Entzündung an, kommt es zu einer Behinderung des Blutflusses. Je nachdem, wie groß das betroffene Gefäß ist und welches Organ es – nur noch eingeschränkt – versorgt, besteht die Gefahr einer akuten Durchblutungsstörung und Unterversorgung. Die Folgen können dramatisch sein: Ist das Herz betroffen, kann sich das als Herzinfarkt äußern. Wird das Auge unterversorgt, kann das zu Blindheit führen. Und stehen die Nieren am Ende einer solchen eingeschränkten Versorgung, droht ein akutes Nierenversagen.

Grundsätzlich kann jedes Blutgefäß von einer Vaskulitis betroffen sein. Die verschiedenen Arten kennzeichnen sich im Wesentlichen dadurch, dass meist eine bestimmte Größe der Blutgefäße hauptsächlich betroffen ist. Bei den Großgefäßvaskulitiden werden beispielsweise überwiegend die großen Blutgefäße in Mitleidenschaft gezogen, bei den Kleingefäßvaskulitiden entsprechend die kleinen.

Zu den Vaskulitiden gehören unter anderem:

Vaskulitis der großen Gefäße:

Riesenzellarteriitis (RZA, früher bekannt als Arteriitis temporalis oder Morbus Horton),

Takayasu-Arteriitis,

Vaskulitis der mittelgroßen Gefäße,

Panarteriitis nodosa,

Kawasaki-Syndrom.

Vaskulitis der kleinen Gefäße:

ANCA-assoziierte Vaskulitiden,

Granulomatose mit Polyangiitis (GPA),

Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis,

Mikroskopische Polyangiitis,

Immunkomplexvaskulitiden,

Kryoglobulinämische Vaskulitis,

Hypokomplementämische Urtikaria Vaskulitis (HUV),

IgA-Vaskulitis (früher Purpura Schönlein-Henoch),

GBM-Vaskulitis (früher Goodpasture-Syndrom).

Vaskulitiden mit Beteiligung von Gefäßen mit variabler Größe:

Morbus Behçet,

Cogan-I-Syndrom.

Aus medizinischer Perspektive ist also klar definiert, was zu den rund 400 entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gehört und was nicht. Demgegenüber herrscht in der breiten Öffentlichkeit die Vorstellung, dass Rheuma eine Krankheit mit lediglich einer Handvoll Symptomen sei, die sich im Wesentlichen mit denen der häufigsten Krankheit decken: den Gelenk- und Muskelschmerzen der Rheumatoiden Arthritis. Und gerade weil sie so weit verbreitet ist, kursieren falsche Vorstellungen zu den Ursachen sowie etliche im Laufe der Zeit entstandene Tipps und Tricks, mit denen man die Beschwerden vermeintlich selbst behandeln könne.

Das ist leider nicht ganz unproblematisch: Denn wer die Vielschichtigkeit der Symptome nicht kennt, kommt gar nicht auf die Idee, die eigenen Beschwerden mit Rheuma in Verbindung zu bringen und entsprechend behandeln zu lassen. Das wiederum kann sowohl die Diagnose als auch die Therapie verzögern und unerwünschte Auswirkungen auf den Behandlungserfolg haben. Erschwerend hinzu kommt, dass sogenannte Hausmittel und natürliche beziehungsweise nicht-medizinische Behandlungsalternativen so gut wie immer an den tatsächlichen Ursachen vorbeigehen und bestenfalls in der Lage sind, die jeweils angemessene medizinische Therapie zu unterstützen.

Alles schön und gut, denken Sie sich vielleicht gerade. Aber wie bekommt man Rheuma denn dann wirklich in den Griff?

Rheuma haben oder im Griff haben

Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, ist Rheuma ein Begriff, der leicht darüber hinwegtäuscht, wie viele verschiedene Erkrankungen und Symptome sich eigentlich dahinter verbergen. Hinzu kommt der Irrglaube, dass man ein fortgeschrittenes Alter erreichen muss, um betroffen zu sein – und zu bleiben. Die Wahrheit mag überraschen: Jeder Mensch kann eine entzündlich-rheumatische Krankheit entwickeln – und sie in den Griff bekommen.

Bei den unterschiedlichen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen handelt es sich in den allermeisten Fällen um Autoimmunerkrankungen. Daher besteht das bei Weitem häufigste Therapiekonzept in der Rheumatologie darin, das Immunsystem mithilfe von Medikamenten in seiner Funktionsweise zu verändern oder teilweise zu hemmen. Das Ziel besteht darin, die aktuelle Entzündung zu unterdrücken sowie Schäden zu verhindern, die durch die Entzündung an sich oder durch die narbige Abheilung der Entzündung entstehen können. Es wird also versucht, ein hochtourig laufendes Immunsystem wieder auf Normalbetrieb zu bringen.

Angestrebt wird ein Zustand ohne jegliche Entzündungszeichen, und zwar in Bezug auf die Beschwerden, die Laborwerte sowie ergänzende Untersuchungen (zum Beispiel Ultraschall, Röntgen, Computertomografie/CT oder Magnetresonanztomografie/MRT). Ist das erreicht, sprechen wir von einer «Remission» (fehlende Krankheitsaktivität). Sie ist das ausdrückliche Ziel einer jeden Therapie. Wird sie nur zum Teil erreicht, sprechen wir von einer «Teilremission». Das heißt im Umkehrschluss: Das Gegenteil der Remission ist eine «aktive Erkrankung».

Folgende Therapiekonzepte haben sich in den letzten Jahren durchgesetzt:

Hit-hard-and-early

Der Einsatz der Therapie muss rechtzeitig erfolgen. Einerseits, um die Zeit des Leidens möglichst kurz zu halten, andererseits, um die Entwicklung von Schäden durch die Entzündung zu verhindern. Bei der Auswahl muss darauf geachtet werden, dass die Art der Therapie auch eine ausreichende Chance hat, diese Ziele zu erreichen. Sie soll nicht zu schwach, aber eben auch nicht zu stark sein.

Treat-to-target

Es kommt bei der Therapie nicht alleine darauf an, welches Medikament eingesetzt wird, sondern ob die gesetzten Therapieziele auch innerhalb eines angemessenen Zeitraums erreicht werden. Stellen sich nach meistens zwölf Wochen (bis maximal 24 Wochen) keine zufriedenstellenden Ergebnisse im Sinne einer Remission ein, ist in der Regel eine Therapieumstellung zu empfehlen.

Tight-control

Werden Medikamente eingesetzt, dann ist es notwendig, ihre Wirkung regelmäßig zu kontrollieren. Sowohl bezüglich möglicher Nebenwirkungen als auch im Hinblick auf die Frage, ob das Therapieziel erreicht wird. Deshalb sind zur Verlaufskontrolle regelmäßige medizinische Untersuchungen, zum Beispiel bei den Hausärzt:innen oder Rheumatolog:innen, unerlässlich.

Dieses letzte Therapieprinzip ist in erster Linie einer der Hauptnebenwirkungen geschuldet, die leider fast alle in der Rheumatologie eingesetzten Medikamente nach sich ziehen können: eine erhöhte Infektanfälligkeit. Das lässt sich durch den Zusammenhang mit dem Immunsystem gut nachvollziehen, in der Therapie aber leider nicht umgehen. Bei der Auswahl der Therapiekonzepte heißt es also neben der Wirksamkeit auch das Risiko der Nebenwirkungen und insbesondere der Infektanfälligkeit im Auge zu behalten.

Mythen in der Medizin

Das ursprünglich griechische Wort «Mythos» bezeichnet eine Erzählung beziehungsweise eine Geschichte, die sich um einen beliebigen Sachverhalt rankt. Das wichtigste Kennzeichen besteht darin, dass der Mythos dabei einen Wahrheitsgehalt für sich in Anspruch nimmt, der nicht weiter hinterfragt, sondern einfach hingenommen wird.

Erkennen lassen sich Mythen daran, dass sie weder durch logische Argumente hergeleitet werden noch unabhängig überprüfbare Beweise ins Feld führen. Ihre Grundlage bilden stattdessen Beobachtungen und selbst Erlebtes beziehungsweise Überliefertes, woraus dann scheinbar offensichtliche Schlüsse gezogen werden. Oft reichen Mythen etliche Generationen zurück oder gründen sich gar auf jahrhundertealten tradierten Wissensvorstellungen und vermeintlichen Weisheiten. Das wiederum verleiht ihnen eine gewissermaßen «gewachsene» Legitimation, die über jeden Zweifel erhaben scheint.

Es gibt aber natürlich auch moderne Mythen – Erzählungen, Gerüchte und Dinge, die man sich erzählt, weil man sie irgendwo aufgeschnappt hat. Zudem können sich Mythen im Wandel der Zeit ausgesprochen flexibel, anpassungsfähig und erneuerungsfreudig zeigen. So ist man früher felsenfest davon ausgegangen, Rheuma sei eine unvermeidbare Folge des Älterwerdens. Später gab es Phasen, in denen man glaubte, Rheuma hänge irgendwie mit den Zähnen zusammen. Dann gerieten wahlweise Borreliose beziehungsweise «die Gene» ins Visier, und inzwischen gelten diverse Umweltgifte als Verdächtige, wenn es um die Ursachen von Rheuma geht. Glaubt man den selbst ernannten Expert:innen, die sich in Talkshows, Tageszeitungen und anderen Medien trotz begrenztem medizinischen Fachwissen eifrig zu Wort melden, dann entstehen aktuell die meisten Autoimmunerkrankungen durch COVID-19-Infektionen. Um es hier kurz zusammenzufassen: Ja, es gibt sicher einzelne Patient:innen, die im Anschluss an eine COVID-19-Infektion eine entzündlich-rheumatische Erkrankung entwickelt haben. Das ist aber kein spezifischer Effekt des SARS-CoV2-Virus, sondern wird seit Jahrzehnten genauso auch nach anderen Infektionen beobachtet.

Schon Aristoteles unterschied zwischen Mythos, also einer Erzählung, die sich der Wahrheit bestenfalls annähern kann, und Logos, dem analytischen und vernunftbasierten Denken, mit dem wir uns die Wahrheit rational erschließen. Spätestens im Siegeszug der Aufklärung, für die Vernunft und rationales Denken die Leitprinzipien darstellen, hätten Mythen also eigentlich keine große Rolle mehr spielen dürfen. Stattdessen überlebten aber selbst längst widerlegte Mythen über die Jahrhunderte hinweg. So neigen Menschen gerade in Zeiten von gehäuften Krankheitsausbrüchen oder Pandemien dazu, nach Erklärungen und Schutzmaßnahmen zu suchen, um ihre Ängste und Unsicherheiten zu bewältigen. Ein Beispiel dafür ist der Glaube daran, dass Amulette oder Talismane Schutz vor ansteckenden Krankheiten bieten könnten. Obwohl die moderne Medizin die angebliche Wirkung solcher magischen Schutzmaßnahmen längst widerlegt hat, halten sich diese Mythen weiterhin hartnäckig.

Es stellt sich nicht nur aus philosophischer Sicht die Frage, welche Mechanismen dem Mythos seine Widerstandskraft verleihen. Und ob das womöglich darin begründet liegt, dass der Mythos sogar etwas kann, was der Wissenschaft verschlossen bleibt. Denn bei allen Verdiensten, die wir der Wissenschaft zu verdanken haben: Sie kann nur das erklären, was sie durchschaut und verstanden hat. Entsprechend sind nach wie vor viele Fragestellungen offen, für die es (noch) keine Antworten, Lösungen und Erklärungen gibt. An diesen Leerstellen docken Mythen besonders gerne an: Sie stiften «Sinn» in genau diesen Bereichen, ohne irgendwelche Beweise für die Annahmen und Aussagen ins Feld führen zu müssen, auf denen sie beruhen. Sie erklären Phänomene, Rätsel und Probleme auf eine nachvollziehbare Weise und geben der Gesellschaft, der sie entspringen, dadurch das beruhigende Gefühl, die eigene Lebenswelt besser zu verstehen. Philosoph:innen sprechen in diesem Zusammenhang von der Entwicklung einer gemeinschaftlichen Identität, was den Mythos zum Katalysator für ein Selbstverständnis macht, das über das eigene Ich hinausreicht.

Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, wenn Beobachtungen zu Ursache und Wirkung systematisiert und zur Problemlösung herangezogen werden. Auch die frühe Medizin ist nach diesem Prinzip verfahren und hat sich – notgedrungen – über Versuch und Irrtum weiterentwickelt. Die Errungenschaften der modernen Medizin verdanken sich allerdings im Wesentlichen naturwissenschaftlichen Methoden, auf deren Basis Diagnostik und Therapie enorme Fortschritte gemacht haben. Inzwischen stützt man sich in sämtlichen Teildisziplinen der Medizin auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, in denen die Wirksamkeit von Methoden und Medikamenten nachgewiesen – oder eben widerlegt – werden.

Was wir diesen Studien verdanken, sind objektive und vergleichbare Daten und Ergebnisse, dank deren individuell angepasste Entscheidungen für die einzelnen Patient:innen vorgenommen werden können. Dabei gilt es unter anderem folgende Fragen zu berücksichtigen:

Anhand welcher Kriterien lässt sich die Krankheit am besten bestimmen?

Welche Behandlungsmöglichkeiten sind erwiesenermaßen wirksam?

Welche Methoden versprechen keinen nachweislichen Erfolg?

Und welche Empfehlungen sind womöglich sogar schädlich?

Welche individuellen Faktoren spielen eine Rolle – und welche nicht?

Welche Aussichten auf Heilung und/oder Linderung gibt es?

Gerade bei Krankheiten, die schon lange bekannt und weitverbreitet sind, haben sich allerdings oft Behandlungsweisen etabliert, die mehr auf Erfahrungswerten und weniger auf medizinischen Erkenntnissen beruhen. Wir alle kennen sogenannte Hausmittel, um eine Erkältung oder Magen-Darm-Beschwerden selbst in den Griff zu bekommen.

Und in der Tat kann es bei einer aufkommenden Erkältung möglicherweise helfen, wenn man mit einer selbst gekochten Hühnersuppe verwöhnt wird – auch wenn keine Studienergebnisse existieren, die eine vorteilhafte antientzündliche Wirkung beweisen würden. Womöglich entfalten gar nicht die Inhaltsstoffe der Suppe eine heilende Wirkung, sondern die wohltuende Wärme und die damit verbundene Gefäßerweiterung? Ebenfalls denkbar, aber genauso wenig bewiesen ist die Annahme, dass die Hühnersuppe dem Körper Energie liefert und dadurch die Genesung unterstützt.

Gerade zu Zeiten, als die evidenzbasierte, also auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußende Medizin noch in den Kinderschuhen steckte und nicht allen Menschen gleichermaßen zugänglich war, kam medizinischen Mythen auch noch eine andere Funktion zu: In Ermangelung einer wissenschaftlich fundierten Erklärung liefert ein Mythos den scheinbaren Beweis dafür, dass die jeweilige Behandlung tatsächlich effektiv und damit richtig ist. Er liefert sozusagen die Legitimation für das medizinische Handeln, während er den empirischen Beweis für seine Wirksamkeit schuldig bleibt. Dabei kommen ihm zwei interessante psychologische Mechanismen zu Hilfe:

Je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse, desto weniger Platz für Mythen – könnte man meinen, dem ist aber nachweislich nicht so. Denn Mythen bieten auch immer Raum für Wünsche und suggerieren uns, dass es eine Hintertür für einen Plan B gibt: Es muss doch möglich sein, meine Arthritis/meine Kollagenose/meine Vaskulitis anders zu behandeln als mit (mehr oder weniger starken) Medikamenten! Auf dieser Hoffnung basierend propagieren Mythen alternative Therapieformen, denen man eine gewünschte Wirkung zuschreibt, zumal sie dem Hörensagen nach in der Vergangenheit bereits erfolgreich gewesen sein sollen. Aber, ich wiederhole mich an dieser Stelle gern, häufig fehlt dafür jeder wissenschaftliche Beleg.

Allein der Glaube an die Wirksamkeit einer Behandlung kann sich tatsächlich positiv auf den Körper auswirken. Das heißt, es tritt eine Besserung ein, nur weil ich glaube, dass die Ärztin/der Therapeut/das Medikament/die Maßnahme mir hilft. Dieser sogenannte Placebo-Effekt lässt sich in wissenschaftlichen Studien nachweisen, wenn Personen beispielsweise nach Einnahme eines vermeintlichen Schmerzmittels über eine Linderung ihrer Beschwerden berichten, obwohl sie lediglich eine wirkungslose, aber echt aussehende Tablette eingenommen haben. Das Ganze funktioniert übrigens auch mit umgekehrten Vorzeichen, nur dass es dann Nocebo-Effekt heißt: In diesem Fall treten Nebenwirkungen auf, weil es zu einer vermeintlichen Gesundheitsbeeinträchtigung gekommen ist und Beschwerden erlebt werden, ohne dass sich dafür medizinische Gründe nachweisen lassen.

Beide Effekte macht sich die heutige medizinische Forschung zunutze, wenn sie versucht, solchen Zusammenhängen von Ursache und Wirkung mithilfe naturwissenschaftlicher Forschung auf die Schliche zu kommen: Inwiefern gehen (Neben-)Wirkungen von Medikamenten und nicht-pharmakologischen Therapieformen über einen Placebo- beziehungsweise Nocebo-Effekt hinaus? Hat tatsächlich die Therapie oder das Medikament den beobachteten positiven Effekt – oder gibt es einen anderen Grund dafür, der womöglich weniger offensichtlich ist?

Vermutlich ahnen Sie schon längst, worauf ich hinaus möchte: Es existieren in der Medizin mehr als genug Mythen über die Heilungswirkung von Hausmitteln und den Nutzen vermeintlich gesundheitsfördernder Verhaltensweisen einerseits und die Nachteile ärztlich verordneter Medikamente und Behandlungsformen andererseits – und sie alle beruhen genau auf dem Placebo- beziehungsweise dem Nocebo-Effekt. Diese Effekte sind wie gesagt nachweisbar, also durchaus vorhanden, doch man übersieht dabei leicht einen ganz wichtigen Fakt: Korrelation ist nicht gleichbedeutend mit Kausalität. Man könnte schließlich auch meinen, dass sich das Risiko für Sonnenbrand erhöht, je mehr Speiseeis konsumiert wird – dabei bedingen sich diese beiden Faktoren nicht gegenseitig, sondern hängen von einer dritten Variablen ab, nämlich strahlendem Sonnenschein und damit einhergehenden sommerlich warmen Temperaturen.

In Anbetracht fehlender medizinischer Optionen mögen solche Mythen in der frühen Medizin vielleicht hilfreich gewesen sein und eine gewisse Berechtigung gehabt haben. Schwierig wird es aber immer dann, wenn sie heute – angesichts des inzwischen umfassenden faktenbasierten Wissens – einer korrekten Diagnose und angemessenen Therapie im Weg stehen. Denn dann behindern sie die Behandlung und damit womöglich einen Therapieerfolg. Und das ist weder im Sinne der behandelnden Ärzt:innen noch der Patient:innen. Die gleiche entzündlich-rheumatische Erkrankung hat bei einer frühen Diagnosestellung und Therapieeinleitung nun einmal eine deutlich bessere Prognose als bei einer verzögerten Einleitung derselben Therapie. Wie gesagt: bei exakt derselben Erkrankung und ein und derselben Person.

Ich kann es in meiner Sprechstunde immer wieder beobachten: Nicht wenige Menschen haben insbesondere zu Beginn der Erkrankung Schwierigkeiten, die Diagnose anzunehmen und die notwendigen therapeutischen Schritte umzusetzen. Stattdessen klammern sie sich an die Hoffnung, die Diagnose sei vielleicht doch nicht richtig oder aber die Erkrankung werde von alleine wieder zur Ruhe kommen beziehungsweise nicht wissenschaftliche Therapieempfehlungen könnten ebenso gut helfen. Und genau dieses Wunschdenken steht den Betroffenen dann im Weg und macht sie für Mythen empfänglich.

Wissen statt Mythen

Gerade bei anhaltenden oder wiederkehrenden Beschwerden empfiehlt es sich, Selbstdiagnose und Eigenmedikation von ärztlicher Seite bestätigen beziehungsweise revidieren zu lassen. Doch je häufiger eine Erkrankung in der Bevölkerung ist, desto eher entsteht der Eindruck, man könne sowieso nichts dagegen machen. Nur selten ist es uns bewusst, welch außerordentliche Kraft tradierte Vorstellungen von Krankheiten entfalten können.

Die meisten von uns haben es über die Jahre wahrscheinlich schon erlebt, dass zunächst die Großeltern, später dann auch andere ältere Menschen im Freundes- und Bekanntenkreis über steife Gelenke klagten, zunehmend Schwierigkeiten beim Greifen hatten und sich nur schwerfällig bewegen konnten. Ein klarer Fall, könnte man also meinen, solche Beschwerden gehören offensichtlich zum Altern dazu. Rheuma, heißt es dann oft ganz pauschal. Und manchmal schieben Betroffene wie Angehörige noch achselzuckend hinterher: «Da kannste nicht viel machen.»

Dabei greifen hier gleich mehrere Fehlinterpretationen ineinander:

Ohne eine medizinische Diagnose besteht die Gefahr, dass Symptome der falschen Krankheit zugeschrieben werden. Besonders für Laien gilt: Was ich nicht kenne, kann ich auch nicht erkennen. Konkret heißt das: Nicht jedes schmerzhafte Gelenk ist Folge einer rheumatischen Erkrankung, und nicht jede rheumatische Erkrankung lässt sich an geschwollenen Gelenken erkennen.

Krankheiten werden auf bestimmte Personengruppen reduziert, obwohl sie auch in ganz anderen Kreisen auftreten können. Mit Blick auf rheumatische Erkrankungen heißt das: Es stimmt eben nicht, dass nur alte Menschen Rheuma haben. Denn ganz im Gegenteil ist man in keinem Alter davor gefeit, auch Kinder und Jugendliche, ja selbst Säuglinge haben entzündlich-rheumatische Erkrankungen, und zwar gar nicht mal so selten.

Vermeintlich erprobte, teils von Generation zu Generation weitergegebene Tipps und Hausmittel können in bestimmten Fällen hilfreich sein, erschweren in vielen Fällen aber auch den Zugang zu einer sinnvollen medizinischen Versorgung. Denn wird eine Krankheit als unvermeidlich wahrgenommen, muss es womöglich erst zu einem enormen Leidensdruck kommen, bevor doch der Gang in die Arztpraxis erfolgt. Dabei haben viele Krankheiten, wie oben schon geschildert, eine deutlich bessere Prognose, wenn sie in einem Frühstadium entdeckt und adäquat behandelt werden.

Schwierig wird es für Ärztinnen und Therapeuten außerdem, wenn ungenaue oder unvollständige Vorstellungen von den Vorgängen im Körper mit dem wissenschaftlich gesicherten Detailwissen der modernen Medizin konkurrieren. Wird anekdotisch überlieferten Hausmitteln und Anwendungen der gleiche beziehungsweise ein noch höherer Stellenwert eingeräumt als ärztlichen Kriterien und Therapien, kann das unter Umständen die Heilung verzögern oder die Erkrankung womöglich verschlimmern. Dabei wird nämlich oft übersehen: Dass schon unsere Großmütter etwas gemacht haben, kann eben auch heißen, dass sie es im Zweifel nicht besser wussten.

 

Sollte jetzt bei Ihnen der Eindruck entstanden sein, dass hier sämtliche Hausmittel und traditionellen Gesundheitstipps und -tricks in Bausch und Bogen verurteilt werden – dem ist nicht so. Die eine oder andere Überlieferung hat sogar ihre Berechtigung, auch wenn sich dahinter oft ein ganz anderer als der vermutete Wirkmechanismus versteckt. Aber genau das zeigt, dass solche medizinischen Mythen nicht unhinterfragt bleiben dürfen, damit aus Hörensagen nicht gefährliches Halbwissen wird.

Viele Mythen in der Medizin im Allgemeinen und zu rheumatischen Erkrankungen im Speziellen halten sich hartnäckig. Vermutlich auch, weil wir alle schon die vermeintliche Wirksamkeit des einen oder anderen Mythos am eigenen Leib erfahren haben. Doch wir sollten ihnen nicht einfach blind vertrauen, sondern lieber mit offenen Augen hinterfragen, was an ihnen dran ist – und was nicht.