Rich & Stubborn - Angie Snow - E-Book

Rich & Stubborn E-Book

Angie Snow

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Beschreibung

Roadtrip ins Glück? Oder doch eher Höllentrip? Gestatten – mein Name ist Tameran Brady. Milliardenerbe und Playboy. Derzeit befinde ich mich auf einer Wohnmobiltour durch Kanada und die USA. Unfreiwillig. Meine wunderbaren Freunde haben mir diese Reise zum dreißigsten Geburtstag geschenkt. Unfassbar. Wohnmobile! Wildnis! Leider haben sie ein effektives Druckmittel, sodass ich diese Reise antreten musste. Und jetzt sitze ich neben meinem absoluten Traummann in der Fahrerkabine. Alles könnte halb so schlimm sein, hätte Justin Walker nicht einen fünfjährigen Sohn und die Manieren eines Neandertalers.

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Seitenzahl: 484

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Angie Snow

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Rudmer Zwerver – shutterstock.com

© gpointstudio – fotolia.com

© Viorel Sima – dreamstime.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-029-4

ISBN 978-3-96089-030-0 (epub)

Inhalt:

Roadtrip ins Glück? Oder doch eher Höllentrip?

Gestatten – mein Name ist Tameran Brady. Milliardenerbe und Playboy. Derzeit befinde ich mich auf einer Wohnmobiltour durch Kanada und die USA. Unfreiwillig. Meine wunderbaren Freunde haben mir diese Reise zum dreißigsten Geburtstag geschenkt. Unfassbar. Wohnmobile! Wildnis!

Leider haben sie ein effektives Druckmittel, sodass ich diese Reise antreten musste. Und jetzt sitze ich neben meinem absoluten Traummann in der Fahrerkabine. Alles könnte halb so schlimm sein, hätte Justin Walker nicht einen fünfjährigen Sohn und die Manieren eines Neanderthalers.

Tameran

Ich stehe in meinem Schlafzimmer vor dem großen Spiegel und betrachte mich eingehend. Der Ausflug zu Pasquale

heute Morgen hat sich gelohnt. Ich habe mich für die Party, die am Abend stattfinden soll, aufhübschen lassen. Im Spiegel sehe ich einen heißen Typen. Die Frisur ist zwar noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber selbst ich finde mich damit megascharf.

Pasquale versteht sein Handwerk, keine Frage. Schwarz mit silbernen Spitzen, so etwas kann auch nur Pas einfallen. Ich grinse mich selbst im Spiegel lasziv an und fahre mir mit der Zunge aufreizend über die Lippen. Wenn ich könnte, würde ich mich selbst vernaschen. Ein leises Fiepen lässt meinen Blick zum Bett gleiten. Meine große und einzige Liebe liegt dort und zuckt von Zeit zu Zeit mit ihren niedlichen Beinchen. Tinkabell! Die Chihuahuahündin ist seit zwei Jahren bei mir. Meine Freunde haben mir die Kleine geschenkt, als mich mein damaliger Lover verlassen hat. Ich bezeichne ihn absichtlich als ‚Lover‘, denn nach dem heutigen Stand der Dinge, war er auch nicht mehr. Ein Fuckbuddy, von dem meine naive Persönlichkeit glaubte, ihn zu lieben. Das war ein gewaltiger Irrglaube – ach was sag ich, ein exorbitanter. Dabei kann ich nicht einmal sagen, dass er gut im Bett gewesen ist. Ich tippe mir mit dem Zeigefinger ans Kinn, während ich mich wieder meinem Spiegelbild zudrehe und angestrengt überlege, was ich an Rico damals gut fand. Okay, da waren, hm – sein Aussehen und – sein Aussehen und – gut, ich gebe es zu, es waren nur sein geiler Body und sein südländisches Flair, das mich zu jener Zeit beeindruckte. Im Nachhinein betrachtet ziemlich dürftig. Aber immerhin haben wir es drei ganze Monate miteinander ausgehalten. Ein absoluter Rekord für mich.

Während mich sein Äußeres angezogen hat, lockte ihn fast ausschließlich mein Vermögen an.

Und mit dem wollte er sogar noch anderen Typen imponieren. Mit meinem Geld. Ha! Sowas läuft mit einem Tameran Brady nicht. Sorry, du puerto-ricanische Schmalzlocke. Auch wenn meine Eltern einen reichen, egoistischen und eingebildeten Spross erzogen haben, dumm ist er allerdings nicht. Ich weiß, welche Wirkung ich auf andere habe, kenne meine Stärken und Schwächen und weiß sie geschickt einzusetzen.

Immerhin habe ich es geschafft, damit dreißig Jahre alt zu werden. Und das exakt heute. Vielleicht sollte ich mir endlich einmal was anziehen. Das Cateringteam wird bald meine Wohnung stürmen. Auch wenn ich nichts zu verbergen habe, muss nicht jeder meinen Luxusbody in natura sehen.

Ich werfe mir gerade einen Hausanzug über, als der Portier das Eintreffen der leckeren Spezialitäten meldet. Maurice wird sie mit dem Lift direkt in die Wohnung bringen und in seiner Funktion als Chef des Catering, auch alles Weitere überwachen. Ich setze mich auf meine riesige Couch im Wohnzimmer und betrachte das rege Treiben aus sicherer Entfernung. Die Türe zum Schlafzimmer wird später abgeschlossen, ich habe keine Lust, dass unsere feuchtfröhliche Feier meiner kleinen Tinkabell einen Schrecken einjagt. Gott, das würde wieder Unmengen von Therapiesitzungen bei Camilla, unserer Tierpsychologin, nach sich ziehen, und darauf konnten sowohl Tinkabell als auch ich sehr gut verzichten. Auch wenn Camilla ein Vollprofi ist, wir – also Tinkabell und ich – mögen sie nicht. Deswegen vermeiden wir alles, was mein Schätzchen stresst.

Das laute Klappern von Geschirr weckt meine Maus nun endgültig auf. Ich nehme sie auf den Arm. Gemeinsam gehen wir dem Lärm nach und landen dabei in der Küche, wo Maurice seines Amtes waltet. Wie immer hat er genug Sklaven um sich herum, die ihm seine Wünsche von den Augen ablesen. So wie er durch meine Küche wirbelt, fehlt ihm nur noch eine Peitsche.

„Tam, mein Schatz. Komm, lass dir gratulieren und dich drücken“, ruft er mit seinem ‚zarten‘ Organ einmal quer durch die Küche. Mit ausgebreiteten Armen dackelt er zu mir und zieht mich an seine Brust. Ich höre bereits einige meiner Rippen verdächtig knacksen.

„Sag mal, füttert dich niemand ordentlich? Du bist ja nur noch Haut und Knochen“, motzt Maurice und betatscht mich.

„Kann ja nicht jeder so gutgenährt sein wie du. Du wirst langsam dick“, blaffe ich ihn an, nachdem ich seinem Würgegriff entkommen bin. Jesus, wie ich es hasse, wenn man mich jemand als ‚dünn‘ bezeichnet. Maurice lacht dröhnend und widmet sich wieder seiner Arbeit.

„Hast du die Leckerbissen für Tinkabell mitgebracht?“, frage ich ihn süffisant, wohl wissend, dass er es hasst, als ‚senil‘ bezeichnet zu werden.

„Tameran!“, Maurice schüttelt fassungslos den Kopf. „Ich würde doch nie unsere Prinzessin vergessen.“

„Das ist auch gut so, sie ist – abgesehen von mir –  die wichtigste Person heute Abend.“ Ich streichele meine kleine Maus zärtlich. Die schleckt mir dafür wie immer über das Kinn. Da wir nur im Weg rumstehen, während überall gearbeitet wird, ziehen wir uns wieder ins Schlafzimmer zurück.

„So, meine Süße, ein paar Stunden können wir uns noch ausruhen, bevor die ganze Meute hier aufschlägt. Komm, wir kuscheln eine Runde.“ Ich richte meine Decke und das Kissen so her, dass Tinkabell genau neben mir Platz hat und wenn sie will, auch unter die Zudecke kriechen kann. So schlummert sie am liebsten. Es dauert nicht lange, bis wir tief und fest eingeschlafen sind.

Ich habe meinen Timer auf 18 Uhr gestellt. So schaffe ich es noch locker, mich ohne Zeitdruck salonfähig zu machen. Vor allem, da heute auch meine Eltern erscheinen werden. Ich habe lange nachgedacht, es ist mir aber kein Grund eingefallen, sie nicht einzuladen. Ich liebe die beiden, aber der Druck, den sie stellenweise ausüben, ist manchmal kaum zu ertragen. Bei der heutigen Party werden sie nämlich die Einzigen sein, die nicht wissen, dass ihr Sohnemann am anderen Ufer fischt. Gott sei Dank befinden sich in meinem Bekanntenkreis auch einige Heteropärchen, also dürfte nicht allzu viel schiefgehen. Hoffe ich zumindest. Wie heißt es? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und da ist noch Marc, mein allerbester Freund. Bei dem bin ich schon am Überlegen, ob ich ihm nicht den Mund zukleben soll. Vor dieser Tratschtante ist nichts und niemand sicher. Okay, er weiß, dass ich vor meiner Familie noch nicht geoutet bin, und er würde mich nie in die Pfanne hauen. Es ist nur – seine Worte sind meist schneller als seine Gedanken. Vor allem wenn der Bacardi dem Barkeeper leicht in der Hand liegt. Ich werde ihm einfach den Champagner schmackhaft machen müssen. Von dem bekommt er nur Kopfweh und keine lockersitzende Zunge. Mir ist klar, dass sich das gemein anhört, aber Gott alleine weiß, wie oft mich der Typ bereits in Verlegenheit gebracht hat, irgendwann hört man einfach auf zu zählen.

Viel Schlaf habe ich nicht mehr bekommen, dazu bin ich zu nervös. Man wird ja immerhin nur einmal im Leben dreißig. Während ich meinen Smoking anziehe, ist von draußen bereits die Stimme meiner Mutter zu hören. Jetzt heißt es Tempo zulegen, denn ein Credo von ihr lautet: ‚Ein guter Gastgeber empfängt seinen Besuch an der Tür‘, was in meinen Fall wohl die Lifttüre sein dürfte. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich also erst in knapp einer Stunde dort stehen müsste. Natürlich ist damit zu rechnen gewesen, dass meine Eltern früher kommen. Davon steht im Knigge anscheinend nichts, oder meine Mutter hat die Stelle noch nicht gefunden. ‚Zu früh kommen‘ ist eben nie gut. Kichernd stelle ich mich vor den Spiegel und muss feststellen, dass mir ein Smoking irre gut steht. Für mein Alter sehe ich umwerfend aus. Okay, das klingt jetzt etwas selbstverliebt, aber ehrlich, wäre ich ein anderer Mann, ich würde mich sofort vernaschen. Nun aber Beeilung, bevor meine Frau Mama ins Schlafzimmer stürmt, da hat sie wirklich nichts zu suchen. Nicht, dass es was zu verbergen gäbe, aber es wäre doch sehr unangenehm. Ah ja, das Bild mit den zwei küssenden Männern, das über meinem Bett hängt, könnte mich allerdings glatt in Erklärungsnot bringen.

„Mum, wie schön, dass du bereits da bist. Wo steckt Dad?“, begrüße ich meine Mutter überschwänglich und umarme sie.

Wie immer bekomme ich einen lippenstiftfeuchten Kuss auf die Wange, bevor sie mich eine Armlänge auf Abstand bringt und nicht vorhandene Fussel von meinem Hemd wischt.

„Lass dich ansehen, Tameran. Gut siehst du aus, übernächtigt, aber gut. Wer ist das Mädel, das dich um deinen Schlaf bringt?“ Sie legt den Kopf etwas schief und sieht mich strafend an. Sie weiß ganz genau, dass ich keine Frau vor ihr verstecken würde. Echt! Wenn ich hetero wäre, könnte sie gerne all meine Verehrerinnen kennenlernen. Tja, wer will mir das Gegenteil beweisen?

„Mum, bitte. Du weißt genau, dass ich mein Junggesellendasein genieße. Also lass uns heute nicht davon anfangen. Es gibt keine Frau in meinem Leben“, antworte ich ihr leicht gereizt. Mann, wie mir dieses Thema auf die Nerven geht. Als ob es nichts anderes gäbe, über das wir reden könnten. Zum Beispiel, wo Dad abgeblieben ist und ob er die Urkunde meines Treuhandkontos mitgebracht hat. Das wird nämlich heute fällig und ich will ja wirklich nicht geldgierig erscheinen, aber es hat doch viele Vorteile, wenn die eigenen Moneten auf dem Konto liegen. Auch wenn diese von den Großeltern und Eltern erwirtschaftet wurden. Ein ganz großer Vorteil ist, dass mein Vater ab sofort keinen Einblick mehr in meine Finanzen erhält. Außerdem muss ich nun keine Ausreden mehr erfinden, wenn ich nicht will, dass meine Eltern den wahren Grund für die eine oder andere Ausgabe erfahren. Und das Beste: Unabhängigkeit. Endlich. Okay, meine Eltern legen mir auch so keine Steine in den Weg, aber damit hätte sich auch das Thema um meine Sexualität erledigt. Enterben ist dann nicht mehr drin. Und wenn doch? Mit knappen drei Milliarden Dollar auf der Bank wird mich auch das nicht tangieren. Jep, die Familie Brady ist schwerreich. Mein Grandpa hat ein Imperium geschaffen, von dessen Ertrag sicher noch einige Generationen fürstlich leben werden. Somit erübrigt sich auch die Frage nach meinem Beruf – den gibt es nämlich nicht. Ich habe zwar aus lauter Langeweile Jura und Betriebswissenschaft studiert, denn das Lernen geht mir locker von der Hand. Viel brauchte ich für meinen exzellenten Abschluss nicht zu machen. Der mir schlussendlich verliehene Titel ist der Juris Doctor, somit wurde ich in die American Bar Associationican (ABA) akkreditiert. Ich fühlte mich zu dem Zeitpunkt wie ein kleiner Gott, denn die meisten sind eher auf den Bachelor aus und zufrieden damit. Aber das ist nicht meine Art. Wenn ich etwas beginne, dann gebe ich mich erst zufrieden, wenn ich ganz oben angekommen bin. Ich werde jedoch nie in einem der von mir erlernten Berufe arbeiten. Von Gerichtssälen halte ich mich fern. Marc meinte schon spaßeshalber, dass dann alle süßen Verbrecher Narrenfreiheit hätten. Könnte gut sein. Ich kenne zwar die wichtigsten Männer und Frauen dort und auch die Richter des Landes, aber aus dem einfachen Grund, weil viele davon Freunde meiner Eltern sind. Tja, und wenn ich heute meinen Treuhandfond bekomme, dann ist der Einzige, der arbeiten wird, mein Anlageberater. Marc hat sicher wieder mehr als genug hirnrissige Ideen, aber ich weiß, dass mein Geld bei ihm gut aufgehoben ist.

Als ich mich umsehe, stelle ich fest, dass sich bereits einige der Gäste eingefunden haben und so wie es aussieht, spielt meine Mutter die Gastgeberin. Soll mir recht sein.

„Tam! Du altes faltiges Haus, wo steckst du?!“, höre ich Marc hemmungslos durch das riesige Wohnzimmer schreien. Schnell gehe ich zu ihm und umarme ihn. Genervt zische ich ihm die heutigen Verhaltensregeln ins Ohr. Marc sieht mich erschüttert an und verdreht gereizt die Augen.

„Ist dein Dad mit dem besonderen Geschenk schon da?“, fragt er und schaut sich suchend um.

„Nein, er wird wohl später aus dem Büro kommen“, antworte ich lapidar. Marcs Mut machender Schlag auf die Schulter führt fast zur Verabschiedung meines Schlüsselbeins. Aua. Mit gedämpfter Stimme spricht er aus, was mir durch den Kopf geht.

„Bist du dir sicher, dass er nicht im Büro kommen wird? Bei, auf oder in seiner neuen scharfen Sekretärin?“, fragt er frech grinsend. Ich gebe ihm einen wohlverdienten Klaps auf den Hinterkopf. Manchmal ist Marc einfach unmöglich, auch wenn er mit dieser Vermutung nicht ganz Unrecht haben dürfte. Meine Eltern führen nach außen hin die perfekte Ehe, die Betonung liegt bei dem Wörtchen ‚außen‘. Mich persönlich stört es nicht, jedem das seine. Leben und leben lassen.

„Sag mal, du Nervensäge, wo ist der Rest der Bande?“ Ich schnappe mir Marc und ziehe ihn in Richtung Bar.

„Die kommen gleich nach. Müssen noch etwas abholen“, erwidert er und schmunzelt mich süffisant an. Ich verdrehe die Augen, das kann einfach nichts Gutes bedeuten.

Justin

„Dad, wie weit ist es noch?“ JJ rutscht ungeduldig in seinem Kindersitz hin und her. Lange Autofahrten mag er überhaupt nicht. Außerdem findet er es gemein, dass sein bester Freund Billy nicht mitfahren durfte. Im Kindergarten sind die beiden unzertrennlich und nun werden sie sich knapp zwei Monate nicht sehen. JJ freut sich zwar schon lange auf die Zeit, die wir gemeinsam verbringen werden, aber ich muss mich im Moment ja auf das Fahren konzentrieren. Damit ist Langeweile vorprogrammiert.

„JJ, wir sind gleich beim Motel. Solange wirst du es wohl noch aushalten. Es gibt dort auch einen Swimmingpool.“

Ich bin mehr als dankbar, dass ich die weite Reise nach Vancouver auf vier Tage aufgeteilt habe. Ursprünglich war es mein Plan gewesen, zu fliegen, aber Justin junior wollte lieber mit dem Auto fahren. Da mein Sohnemann nicht gerade mit Geduld gesegnet ist, musste die Anreise also großzügig eingeteilt werden. Ich hoffe nur, dass diese Gruppenwohnmobilreise kein Reinfall wird. Der Veranstalter hat mir versichert, dass wir nur eine kleine Mannschaft seien und wohl auch einige Kinder dabei wären, aber man weiß ja nie. Mit fünf Jahren ist JJ jetzt in einem Alter, in dem man schon mal was Größeres unternehmen kann. Die letzten Urlaube verbrachten wir beide stets beim Wandern, Goldsuchen oder Angeln am Yukon. Dass JJs Mutter nichts mit ihrem Sohn zu tun haben will und ich somit das alleinige Sorgerecht habe, macht es viel einfacher. Sie war nach der Geburt aus dem Krankenhaus verschwunden und hatte ihren kleinen Jungen einfach zurückgelassen. Dass ich Vater geworden bin, erfuhr ich erst Tage später, als meine Mum einen Brief von Kim in der Post fand. Kurz und bündig erklärte sie darin, dass sie keinen Bock darauf hätte, Mutter zu spielen und wo genau ich meinen Sohn finden würde. Sie wünschte mir viel Vergnügen mit ihm und ich solle ihm doch einen Namen geben. Bis heute will es nicht in meinen Schädel rein, wie eine vernünftig denkende Frau so grausam ihrem eigenen Kind gegenüber sein konnte. Ich habe mir geschworen alles Menschenmögliche zu tun, damit JJ nie das Gefühl hat, eine Mutter zu vermissen. Meine Mom kümmerte sich um das Baby, während ich arbeitete und so machen wir es auch noch heute. Als Buschpilot und eigener Chef kann ich mir die Arbeitszeiten selbst einteilen. Mittlerweile besitzt meine Firma einige Angestellte, wovon drei wie ich selbst Piloten sind. Ich habe also kein Problem damit, sechs Wochen mit meinem Sohn auf Achse zu sein. Laut Navi muss ich die nächste Ausfahrt rechts raus und würde dann in ein paar Hundert Metern das Motel erreichen

„JJ, wir sind gleich da, kannst du den Fernseher ausmachen?“ Ich weiß, dass hinter mir SpongeBob Schwammkopf läuft. Die Lieblingsserie meines Kleinen. Als JJ alt genug war, hatte ich an der Rückenlehne des Fahrersitzes ein TV-Gerät installieren lassen. Die beste Investition überhaupt, findet auch meine Mutter. Mit einem genervten Seufzen macht JJ sein heißgeliebtes Programm aus.

„Wo ist der Pool?“, murrte der Kleine, als wir vor der Anmeldung parken.

„Sicher nicht direkt neben dem Parkplatz oder auf dem Parkplatz, Junior“, erkläre ich ihm entschieden.

„Du bleibst sitzen, während ich die Anmeldung erledige. Okay? Ich bin gleich wieder da. Und JJ – fass im Auto nichts an.“

„Bin doch kein Baby mehr, Dad. Ich weiß das“, zischt JJ und verdreht genervt die Augen. Immer diese Belehrungen. Diese trotzige Antwort lässt mich meinem Sohn noch einmal einen strengen Blick zuwerfen. Mir ist klar, dass er müde ist, trotzdem kann ihm allmöglicher Unsinn einfallen, da bin ich mir sicher.

„Wir haben das letzte Zimmer bekommen“, informiere ich ihn und setze mich wieder in den Wagen.

„Bin müde, Dad“, nuschelt JJ und gähnt laut. Nach zwanzig Metern parken wir genau vor unserer Zimmertür. Ich steige aus, schnappe mir meinen Sohn und sperre die Tür zu unserem Reich auf. Die Einrichtung ist, wie nicht anders zu erwarten, sehr spärlich. Ein großes Doppelbett, eine kleine Küchenzeile und in der anderen Ecke ein Tisch mit zwei Sesseln davor. Ich lege JJ aufs Bett und gehe noch einmal zum Auto um unseren Übernachtungskoffer zu holen. In dem befindet sich alles, was JJ und meine Wenigkeit für die eine Nacht brauchen.

„JJ, Pyjama anziehen und Zähneputzen, dann darfst du weiterschlafen“, fordere ich meinen Sohn auf, und hole alles Nötige aus dem Koffer.

„Mag nicht.“ JJ liegt auf dem Bauch und macht keine Anstalten sich zu rühren. Ich verdrehe die Augen. Okay, ausnahmsweise kann man ihm heute das Zähneputzen erlassen. Ich nehme den kleinen Schlafanzug heraus und beginne mit einigen Mühen, meinen Sohn auszuziehen. Wer auch immer Latzhosen für Kinder erfunden hat, gehört erschossen. Ein Blick auf meine Uhr schockt mich. Wir sind fast sieben Stunden unterwegs gewesen. Viel zu lange für meinen Kleinen. Ich schnappe mir die Landkarte und breite sie dann auf dem Tisch aus. Wenn ich mich nicht total verrechnet habe, und das sollte ich als Pilot eigentlich nicht, dann sind wir noch gut 400 Kilometer von Vancouver entfernt. Das dürfte locker in sechs Stunden zu schaffen sein. Dieser Robert Forster meinte, sein Anwesen liege außerhalb der Stadt und sei leicht zu finden. Durstgeplagt hole ich mir eine Flasche Wasser vom Automaten, der Gott sei Dank nur ein paar Schritte von unserem Zimmer entfernt steht. Seufzend setzte mich damit an den Tisch und betrachte meinen friedlich schlafenden Sohn. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Gott, wie sehr ich den kleinen Hosenpupser liebe. Er war so winzig und zerbrechlich, als ich ihn das erste Mal in den Armen hielt, nicht viel größer als meine Handfläche. Und ohne den Beistand meiner Mutter wäre ich laut schreiend aus dem Krankenhaus getürmt. Nie im Leben hätte ich mir vorstellen können, Vater zu werden. Heaven, ich – Justin Walker – bin ein schwuler Mann, der in volltrunkenem Zustand einen großen Fehler gemacht hat, der mir jedoch das größte Glück meines Lebens eingebracht hat. Wie das damals abgelaufen ist, kann ich mir bis heute nicht erklären. Meine eigene Mutter hatte auf einen Vaterschaftstest bestanden und der bewies eindeutig, dass ich der Erzeuger von diesem süßen Wesen bin. Jetzt würde ich ihn um nichts auf der Welt mehr missen wollen. Ich würde alles für ihn tun. Alles. Steifbeinig stehe ich auf und mache mich ebenfalls bettfertig. Vorsichtig lege ich mich neben JJ, ziehe ihn an mich und falle entspannt in Morpheus’ Arme.

Tameran

Die Party ist in vollem Gange und meine 300 qm große Penthouse Wohnung gleicht langsam einem Schlachtfeld. Die ‚seriösen‘ Gäste, wozu auch meine Eltern zählen, haben sich bereits kurz nach der Buffeteröffnung verabschiedet. Der Schuldigkeit meinem Vater gegenüber war genüge getan und mich kennt kaum einer dieser Leute. Die waren alle auf die Einladung meiner Eltern gekommen. Wie soll ich sie auch kennen, oder sie mich? Außer meinen Erzeugern gibt es keine Berührungspunkte. Ich lasse mich so selten in der Firma blicken, dass ich froh sein muss, nicht jedes Mal einer Leibesvisitation unterzogen zu werden. Gott sei Dank ist die Fluktuation der Angestellten eher gering und das Personal an der Anmeldung zwar schon betagt, aber noch immer dasselbe. Die meisten kannten mich bereits als kleinen Buben, der ich einst war. Was allerdings oft wechselt, sind die Vorzimmerblumen meines Vaters, doch das geht mich nichts an.

Während ich so vor mich hin sinniere und das Putzteam, das morgen früh den Saustall aufräumen muss, schon jetzt bedauere, steuert ein bereits angeschickerter Marc auf mich zu. Er stellt sich neben mich und klopft mit einem kleinen Löffel, woher er den auch immer hat, gegen die Champagnerschale. Ich mache mir wirklich Sorgen um das Glas, denn irgendwie scheint er seine Schlagkraft nicht mehr richtig einschätzen zu können. Zu meiner Erleichterung widmen uns die übrigen Gäste schnell ihre Aufmerksamkeit.

„Sehr verehrte Gäste und was auch immer. Unser kleiner Tameran wird heute dreißig Jahre alt. Wer hätte je gedacht, dass der Holzkopf mal dieses biblische Alter erreichen würde“, beginnt Marc mit seiner Ansprache und lacht am lautesten über seinen eigenen ‚Witz‘. „Nein, ernsthaft Leute. Ich bin stolz darauf, so einen feinen Kerl wie ihn hier, meinen Freund nennen zu dürfen, und wenn er nicht so verdammt eitel und eingebildet wäre, würden ihn sicherlich noch mehr Menschen liebhaben.“ Und wieder muss mein Schlüsselbein unter Marcs Hieb leiden. Gemeinsam mit den anderen hebt er sein Glas, prostet mir zu und stimmt das Geburtstagsständchen an. Wenn sie jetzt noch eine Torte bringen, aus der ein Stripper hüpft, wären alle schneller draußen, als sie ‚Happy Birthday‘ auch nur denken können. Nicht, dass ich etwas gegen Stripper hätte, um Gottes willen, aber auf Partys mag ich dieses Klischee einfach nicht. Meine Freunde scheinen mich gut zu kennen, denn dieses Ärgernis bleibt mir erspart. Das Gemeinschaftsgeschenk muss ich aber trotzdem noch über mich ergehen lassen. Ich habe keine Ahnung, was es sein wird. Seit Wochen gab es heimliche Komitees zu dieser Überraschung. Da ich mir meine Freunde nicht nach deren Kontostand aussuche, kann ich ein kostspieliges Geschenk ausschließen. Nicht jeder ist mit einem drei Milliarden Treuhandfond gesegnet. Den hat mir mein Vater übrigens mit den Worten „Ich hoffe, du steigst trotzdem in die Firma ein“ überreicht. Und dann noch gleich eine weitere Forderung hinterhergeschoben. „Außerdem erwarten ich und deine Mutter in absehbarer Zeit ein Enkelkind. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde dies auch im Vertrag stehen.“ Tja, lieber Herr Papa, darauf wirst du ewig warten können. Dass ich in die Firma einsteige und dass du von mir einen Balg bekommst, wird nie, nie, nie passieren. Eher friert die Hölle zu und der Teufel macht Urlaub in der Antarktis. Doch als guter Sohn, der ich bin, habe ich brav genickt und die Mappe an mich genommen.

„So mein Lieber. Nun kommt das Geschenk, bei dem wir wirklich, wirklich lange überlegt und alle zusammengelegt haben. Doch da ich weiß, dass du gleich einen hysterischen Anfall bekommen wirst, lass dir eines gesagt sein.“ Marcs Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Solltest du das Geschenk nicht annehmen und nutzen, wird ‚Golden Star‘ mir gehören. Da dieses Pferd dir nicht alleine gehört, ist es kein Problem für mich, deinen Anteil daran zu erwerben.“ Ich schüttele leicht verwirrt den Kopf. Was ist denn jetzt los? Warum verliere ich meine Stute, wenn ich das Geschenk nicht annehme? Heaven, was haben diese Doofköpfe sich da wieder ausgedacht? Mir wird ganz mulmig, als Lissy mir den Umschlag überreicht. Marc führt mich zur Couch. Immer noch konfus starre ich in die Runde, die vor mir steht. 

„Leute, was habt ihr gemacht? Ich bekomme direkt Angst.“ Nervös drehe ich den Umschlag in meinen Händen hin und her.

„Wir wollen dir nichts Böses, Tam. Eigentlich ist das unser Versuch, dir beizubringen, wie normal Sterbliche leben. Du bist manchmal so abgehoben, dass es uns schwerfällt, mit dir mitzuhalten. Denk immer nur daran, dass wir dich lieben.“ Moira kommt auf mich zu und küsst mich auf die Wange. Reihum geht das so, bis sich alle schließlich verabschiedet haben. Einzig Marc bleibt. Er legt sich neben mich und drapiert seinen Kopf auf meine Oberschenkel.

„Nun mach schon auf“, fordert er und deutet auf das Kuvert. Mit zittrigen Fingern reiße ich den Umschlag auf. Bevor ich den Inhalt herausnehmen kann, hält Marc meine Hand fest. Er sieht mich lange an, dann atmet er tief durch.

„Du weißt, wir haben dich alle sehr, sehr lieb und so manchen von uns hast du schon aus der Patsche geholfen. Allerdings sind wir alle der Meinung, dass du keine Ahnung vom wahren Leben hast.“ Ich will bereits aufbegehren und fühle, wie Wut und Enttäuschung in mir hochsteigen. So also denken meine ‚Freunde‘ von mir. „Das ist kein Vorwurf, Tameran, wir machen uns wirklich Sorgen um dich. Sei ehrlich zu dir selbst – ohne das Geld deines Grandpa’s und deiner Eltern könntest du nicht überleben. Du hast nie auch nur einen Tag lang gearbeitet. Okay, mal vom Studium abgesehen. Und wenn wir ehrlich sind, hast du das auch nur aus Langeweile gemacht und um deinen Vater zu besänftigen. Tam, weißt du eigentlich, wie der Rest der Bevölkerung sein Leben gestaltet? Ich meine jetzt jene Menschen, die fürs Überleben arbeiten gehen und sich ihren Urlaub hart ersparen müssen? Ich gebe dir Antwort – nein, das weißt du nicht! Und nun kommt unser Plan.“ Marc setzt sich auf und wendet sich mir zu. „Wir schicken dich in den Urlaub.“ Marc macht eine dramatische Pause. Typisch für ihn. Er liebt es Shakespeare-like.

„Deinem Grinsen nach zu urteilen, siehst du dich bereits auf Hawaii oder einer anderen schicken Insel.“ Marc schmunzelt wissend. „Nichts von dem wirst du erleben und jetzt sieh in den Umschlag rein.“ Mein bester Freund reibt sich erwartungsvoll die Hände. Gruselig! Ich nehme das erste Blatt heraus und sehe es mir mit hochgezogenen Augenbrauen an. Es ist ein Flyer mit einem großen Wohnmobil darauf. Ratlos blicke ich zu Marc. Der nimmt ihn mir aus der Hand und klappt ihn auf. Vier Wohnmobile sieht man darauf am Straßenrand parken, mit glücklich lächelnden Menschen davor. Oh, oh, in mir steigt ein äußerst übles Gefühl empor. Ich bin mir sicher, das Ganze geht nicht gut für mich aus. Das stinkt gewaltig.

„Sehen die Fahrzeuge nicht toll aus? Glückliches Reisen und dabei Menschen kennenlernen.“ Die Begeisterung ist Marc deutlich anzuhören.

„Ja, und wozu zeigst du es mir? Du wirst mir doch jetzt nicht weismachen wollen, dass ihr mir eine Wohnmobilreise schenkt?“ In mir bahnt sich ein Lachflash an. Das kann nur ein Scherz sein. Bitte Jesus, mach dass es ein kleines ‚Wir verarschen Tam‘-Kuvert ist und mein richtiges Geschenk noch auftauchen wird. Als ich dann auch noch in Marcs ernstes Gesicht blicke, war es vorbei. Ich kringle mich auf der Couch und halte mir den Bauch, während Lachtränen über mein Gesicht laufen. Erst als ich wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappe, legt sich meine Erheiterung langsam. Heaven, ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal so herzhaft gelacht habe. Mühsam setze ich mich auf, was in Anbetracht meiner schmerzenden Bauchmuskulatur gar nicht so einfach ist. Marc mustert mich immer noch mit demselben ernsten Blick.

„Alles wieder im grünen Bereich? Brauchst du einen Notarzt? Valium oder sonst ein beruhigendes Mittelchen?“, fragt er mich und scheint irgendwie beleidigt zu sein.

„Komm, sei nicht eingeschnappt, mein Süßer.“ Ich lege ihm einen Arm um die Schulter und drücke ihn leicht an mich.

„Jesus, die Vorstellung, dass ihr mich echt mit einem Wohnmobil auf Tour schicken wollt, ist doch zum Schreien komisch. Das musst du doch auch so sehen.“ Ich nehme wieder das Kuvert in die Hand und sehe nach, was es noch alles beinhaltet. Ein Ticket mit meinem Namen kommt zum Vorschein und eine Liste, auf der alles steht, was man mitnehmen muss. Geschockt blicke ich Marc an. „Das ist also euer Ernst? Ich soll mit so einem Ungetüm Urlaub machen. In der Pampa? Ihr habt sie ja nicht mehr alle! Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass ich da mitmache?“

Empört springe ich auf, gehe zur Bar und nehme mir eine Flasche Champagner aus der Kühlung. Ein Glas spare ich mir und trinke gleich einen kräftigen Schluck aus der Pulle. Ich schüttle fassungslos den Kopf. Die haben doch alle einen gewaltigen Sprung in der Gedächtnishalle. Was soll denn ein Tameran Brady in einem Wohnmobil? Ja hallo! Ich fahre überhaupt kein Fahrzeug selbst, wozu beschäftigt man schließlich einen Chauffeur? Die einzige Auswahl, die ich zu treffen habe, ist, mit welcher Karosse sie mich zu meinem Ziel kutschieren. Fahren kann ich, immerhin habe ich mit sechzehn Jahren meinen Führerschein gemacht und als Belohnung einen Maserati bekommen. Den fahre ich aber nur, um damit bei meinen Lovern anzugeben. Die meisten lasse ich dann auch mal fahren, dafür verzichten sie bei Clubbesuchen gerne auf Alkohol. Ich muss schmunzeln, im Prinzip sind meine Lover auch gleichzeitig meine Chauffeure, die halt nicht mit Geld, sondern mit einem Fick bezahlt werden. So habe ich das ja noch nie gesehen. Tja somit bekommen sie das doppelte Vergnügen, deswegen beschwert sich auch nie einer, wenn ich ihm die Autoschlüssel zuwerfe. Marc, der mit einem Bacardi auf der Couch lümmelt, klopft als Einladung neben sich. Seufzend setze ich mich und nehme noch einen deftigen Zug aus der Flasche.

„Also Tam, das Ganze ist kein Scherz. Wir haben dir diese Reise bezahlt und dich auch bereits für eine Tour angemeldet. Du wirst mit einer kleinen Gruppe unterwegs sein. Ich glaub, so ungefähr vier Fahrzeuge. Du wirst das Wohnmobil selbst steuern. Lies dir den Prospekt noch genau durch, dort ist sogar die Route beschrieben. Soweit ich das mitbekommen habe, werden bei schönem Wetter lustige Grillabende veranstaltet.“

„Sieh mich an, Marc und sag mir ehrlich ins Gesicht, ob du davon überzeugt bist, dass ich diesen Blödsinn mitmachen werde. Ich kann dir sagen, wie ich das Ganze sehe. Morgen, wenn ich ausgeschlafen habe, werde ich diese Firma anrufen, meine Reservierung stornieren und weil ich ja kein nachtragender Mensch bin, bekommt ihr euer Geld zurück. Auch wenn ihr euch das nach dieser Aktion nicht verdient habt.“ Ich lehne mich zurück und hebe die Champagnerflasche wieder an meine Lippen und streife mir die Schuhe von den Füßen. ‚Lustige Grillabende‘, also wirklich! Wie alt bin ich? Zehn?

Marc sieht mich eindringlich an. „Jetzt werde ich dir sagen, wie das Ganze laufen wird. Solltest du diese Reise nicht antreten, gehört dein Anteil von ‚Golden Star‘ mir und das ist mein voller Ernst. Dein Vater hat dazu bereits sein Okay gegeben. Mir ist sehr wohl bewusst, dass dieses Pferd neben Tinkabell deine zweite große Liebe ist. Genau deshalb ist es auch das Druckmittel. Wenn du allerdings die Reise mitmachst, ohne Abkürzung oder sonstige Tricks, kannst du dein Schmusepferdchen gratis von meinem ‚Hermes‘ decken lassen und das sooft du willst.“ Marc nimmt einen großen Schluck Bacardi und beobachtet mich aus den Augenwinkeln. Mit herunterhängenden Mundwinkeln und Augen so groß wie Pizzateller starre ich ihn an. Ist das wieder nur ein Gag oder meint er das ernst? Die Deckgebühr von ‚Hermes‘ beläuft sich bei Erfolg auf knapp eine halbe Million Dollar. Marc muss mir meine Zweifel angesehen haben, denn er nickt bekräftigend.

„Warum dieses ganze Theater?“, frage ich ihn leise. Er lehnt sich zurück und starrt die Decke an, bevor er mir antwortet.

„Tam, ich kenne dich schon ewig. In letzter Zeit hast du dich jedoch stark verändert. Dein Verschleiß an Lovern wird immer größer und, das muss ich leider so sagen, die Typen werden immer mieser. Mit Rico hast du ja dann endgültig den Bock abgeschossen. Ich habe gesehen, wie du dein Jura- und Betriebswissenschaftsstudium mit Bravour hingelegt hast. Aber danach … Was kam danach? Nichts mehr. Du entfernst dich immer mehr von der ‚realen‘ Welt. Kannst die simplen Dinge des Lebens nicht mehr schätzen. Das macht mir und auch dem Rest unserer Clique Angst. Weißt du eigentlich, warum Jessy so selten mit uns unterwegs ist?“, fragt er mich und ich muss zu meiner Schande erst einmal überlegen, wer denn jetzt genau Jessy ist. Um nicht als völliger Idiot dazustehen, schüttele ich den Kopf. „Dachte ich mir schon“, erklärt mir Marc, „Sie kann es sich nicht leisten.“

Ich sehe ihn verblüfft an. Klar ist mir bekannt, dass nicht all meine Freunde in Geld schwimmen, aber so oft sind wir doch auch nicht unterwegs – oder?

„Bei Tom und Wendy ist es das Gleiche. Aber jetzt eine andere Frage.“ Marc dreht sich um und schmiegt sich mit dem Rücken an mich. Ich lege den Arm um ihn. So kuscheln wir öfter völlig unbedarft miteinander, auch oder gerade deshalb, weil noch nie etwas zwischen uns gelaufen ist. „Was, denkst du, verdienen unsere Freunde so im Durchschnitt? Und nimm jetzt nicht Sandy oder Humphrey als Mittelmaß, denn das wird nicht klappen.“ Nachdenklich streichle ich über seinen Oberarm. Hm, über die Konten oder Einkommen meiner Clique habe ich mir noch nie den Kopf zerbrochen. Wenn wir durch die Clubs ziehen, bezahlen immer Humph, Marc oder ich. Das bürgerte sich irgendwann einfach so ein. Ich muss zu meiner neuerlichen Schande gestehen, dass ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, was ein Otto Normalverbraucher so verdient. Jetzt heißt es, schätzen und hoffen, halbwegs richtig zu liegen oder zugeben, dass ich keinen blassen Schimmer habe. Ich entscheide mich für Letzteres.

„Marc, deine Fragen überfordern mich etwas. Du weißt, dass ich mich noch nie um Geld gekümmert habe. Geld ist etwas, das man hat oder eben nicht.“ Ich schubse ihn etwas nach vorne, damit ich an meine Flasche Champagner komme. Der schmeckt so schal, wie sich unser Gespräch mittlerweile anfühlt. Ich will nicht über Geld sprechen und auch nicht über diesen verdammten Höllentrip, auf den meine Freunde mich schicken wollen. Es ist mein Geburtstag! Ich hab doch nichts gemacht? Nie jemandem vorgeworfen, dass er kein Geld hat. Doch Marc lässt nicht locker.

„Jetzt mach schon. Irgendeine Idee wirst du doch haben!“, fordert er mich genervt auf. Ich zucke mit den Schultern.

„Okay. Also ich schätze dann einfach mal drauf los. Im Durchschnitt sagtest du … Ähm. Also ich sag jetzt einfach mal 9000 Dollar im Monat.“ Zufrieden, dass ich mit der Zahl sicher nicht allzu weit von der Wahrheit entfernt bin, schiebe ich Marc von mir und gehe an die Bar. Der Champagner taugt nur noch für das Abflussrohr. Als ich beim Kühlfach ankomme, drehe ich mich zu meinem Freund um. Hoffe, Erstaunen auf seinem Gesicht zu sehen. Doch was ich dort erblicke, fällt eher unter die Kategorie Fassungslosigkeit.

„Was? Mehr?“, blaffe ich. Dieses ‚Tameran hat keine Ahnung vom Leben‘-Spiel, geht mir langsam aber sicher auf den Sender. Es reicht. Marc trinkt den Rest seines Bacardi’s aus und marschiert mit dem leeren Glas auf mich zu.

„Das ist dein Ernst, oder? Du glaubst wirklich, der Durchschnittsverdienst eines Normalos wäre um die 9000 Dollar.“ Er bleibt vor mir stehen und reicht mir kopfschüttelnd das Glas.

„Willst du noch einen?“, frage ich vorsichtig. Irgendwie kann ich seine Stimmung im Moment nicht deuten.

„Von wollen kann keine Rede sein, ich brauche dringend noch einen Drink. Nimm dir auch einen. Du wirst ihn nötig haben, wenn ich dir die ungeschminkten Fakten über diese ‚böse‘ Welt, um die Ohren haue.“ Ups, das hört sich nicht so an, als läge ich mit meiner Schätzung auch nur annähernd richtig. Aber bitte, so viel braucht man doch, um halbwegs überleben zu können, oder? Heaven, meine Wohnung alleine kostet bereits knappe 12.000 Dollar. Gut, 300 qm für eine Person sind sicher nicht die Norm, aber ein Haus kann doch auch nicht so viel billiger sein. Während ich unsere Drinks mische, beschließe ich, mich mal irgendwann im Internet darüber schlauzumachen. Man will doch nicht als völlige Blitzbirne dastehen. Ich gehe wieder zum Sofa, reiche Marc das nun volle Glas und lasse mich neben ihm nieder. Jetzt bin ich doch neugierig.

„Also eines vorweg: Dieser Urlaub ist ja sowas von Nöten. Wie du mir soeben bewiesen hast, lebst du bereits auf dem Planeten ‚Abgehoben‘, der von einem Mond namens ‚Elfenbeinturm‘ umkreist wird.“ Marc trinkt seinen Bacardi mit einem Zug halbleer. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus, so kenne ich meinen Freund nicht. Er wirkt ja komplett resigniert. Belehrend hebt er den Zeigefinger. Okay, Dramaqueen im Anmarsch.

„Also – ungefähr 37.000 Dollar beträgt das Durchschnittseinkommen eines Amerikaners. Im Jahr! Das sind knapp 3.100 Dollar pro Monat, von denen die Lebenshaltungskosten zu tragen sind. Damit meine ich Miete, Strom, Heizung, Telefon, Essen und Trinken. Du kennst die ungefähren Mietpreise hier in Seattle sicher nicht, aber ich kann dir eines sagen, billig ist etwas anderes. Jessy zahlt für ihr Knusperhäuschen, mehr ist es ja nicht, ungefähr 2000 Dollar Miete und das auch nur, weil sie außerhalb der Stadt lebt. Verstehst du jetzt, was ich meine?“ Erwartungsvoll sieht Marc mich an. Meine Synapsen kreisen derweilen immer noch um die Zahl 3.100, der Rest meines Denkvermögens scheint sich verabschiedet zu haben.

„Erde an ‚Abgehoben‘! Können wir unseren Kommunikationskanal bitte wieder in Betrieb nehmen?“ Marc fuchtelt mit seiner Hand vor meinen Augen herum.

„Aber … aber, wie kann man von so wenig Geld leben? 3.100 Dollar – Gott, jeder meiner Anzüge kostet mehr. Ich meine, viele davon haben doch Kinder. Die müssen doch mehr bekommen, oder? Und Autos? Womit finanzieren die ihre Fahrzeuge? Das … das geht doch gar nicht“, stottere ich hilflos, als mein Gehirn sich wieder zum Denken überreden lässt. „Ach ja, dann haben doch einige auch Hunde? Können sie die überhaupt versorgen? Oder Pferde, ich weiß, dass manche auch ein Reitpferd besitzen. Was ist mit denen? Und nicht zu vergessen, einige fahren ja auch noch jedes Jahr in den Urlaub. Sogar mit Kindern. Was machen sie dann den Rest des Monats? Hungern da die Kleinen? Wie kann man sich mit dem Geld überhaupt ein Haus oder eine Wohnung leisten? Da muss man doch was machen? Was, wenn einer krank wird? Können die sich überhaupt Ärzte leisten? Und die Schulen? Sind die gratis? Was, wenn die Eltern sich keine Schule leisten können. Heaven, die Kinder brauchen auch was zum Anziehen …“

Marc legt mir die Hand auf den Mund und unterbricht meinen Gedankenschwall damit. Jesus, ich stehe kurz vor einer Panikattacke.

„Hör auf zu faseln, Tam. Klar geht das. Nicht bei allen und viele leben an und unter der Armutsgrenze, aber der Mittelstand kommt schon irgendwie zurecht. Die Zauberwörter heißen Einschränkungen, sparen und zufrieden sein, mit dem, was man hat. Da fährt man einmal im Leben ein neues Auto, wenn überhaupt und das so lange, bis es nicht mehr zu reparieren ist. Man kauft sich nur alle paar Jahre ein neues Handy oder einen Computer. Viele haben auch einen Nebenjob, meistens dann, wenn sie auf irgendetwas Besonderes hinsparen.“

Marc und ich quatschen noch bis in die frühen Morgenstunden. Es kommt mir wirklich vor, als würde ich in einer anderen Realität leben. Klar spende ich viel Geld. Aber das merkt mein Bankkonto nicht einmal. Die knapp vier Millionen Dollar, die im Jahr an verschiedene Organisationen weggehen, vermisse ich nicht. Und wenn doch, greife ich auf das Bankkonto meiner Eltern zurück. Außerdem, warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben? Um dieses Problem sollen sich die Politiker kümmern, wozu wählen wir die? Mit dem Vorsatz, trotzdem ein bisschen mehr auf mein Umfeld zu achten, gehe ich schlafen. Marc hat es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Vom Bacardi ist nichts mehr übrig geblieben. Um Tinkabell nicht zu stören, mache ich kein Licht im Schlafzimmer und lege mich auf meine Seite des Bettes. Als ich meine Augen schließe, fällt mir ein, dass ich noch nicht mal in den Genuss eines Geburtstagsficks gekommen bin. Das wurmt mich gerade gewaltig. Um jetzt noch jemanden anzurufen, bin ich aber zu müde. Das kann man ja nachholen.

Justin

Es ist noch stockdunkel, als ich aufwache. Schlaftrunken drehe ich mich auf die Seite, damit ich einen Blick auf meinen Wecker werfen kann. Ach ja, ich bin nicht zu Hause. Müde tasten meine Finger nach dem Nachtlicht. Ein leiser Seufzer entkommt mir, als ich einen Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk werfe. Sieben Uhr morgens. Die zwei kleinen Füße, die sich in meine Seite bohren, verraten mir den Grund meines Erwachens. JJ liegt fast quer im Bett. Ich grinse. Mein kleiner Held schläft noch tief und fest und so wie sich seine Augen bewegen, träumt er gerade heftig. Ich überlege, ob es sich noch einmal lohnen würde, die Augen zu schließen, entscheide mich aber dann doch für eine Dusche. Außerdem drückt die Blase bereits unangenehm. Ich stehe vorsichtig auf und hole meinen Kulturbeutel sowie ein Badetuch aus dem Koffer. Nach einem Blick auf JJ steuere ich das kleine Badezimmer an. Viel Platz ist darin nicht, aber ich werde es wohl überleben. Nachdem ich mich erleichtert habe, drehe ich die Dusche auf und warte, bis das Wasser eine halbwegs angenehme Temperatur hat. Ich genieße das warme Nass, das nach und nach meine verspannte Nackenmuskulatur lockert. Nach meiner anfänglichen Trödelei, beginne ich mich genüsslich einzuseifen. Nicht immer bekommt man die Gelegenheit in aller Ruhe zu duschen. Ich liebe das leicht kühlende Minzduschgel auf meiner Haut. Einer meiner One-Night-Stands hat mich auf den Geschmack gebracht. Der Gedanke an die damalige Nacht lässt mein Blut Richtung Süden sacken. Heaven, wie lange ist das schon her? Monate? Ja, bestimmt. Kein Wunder, dass mein Schwanz bereits bei der Erinnerung an dieses Erlebnis hart wird. Ich seife meinen Steifen großzügig ein und lasse dann meine Hand aufreizend langsam über den geäderten Schaft gleiten. Wie ein Blitz durchzuckt mich das wundervolle Gefühl und die Vorfreude auf einen Orgasmus. Ich habe es wirklich dringend nötig. Leises Stöhnen entkommt mir bei der Vorstellung, in einem engen Knackarsch zu stecken. Einen, der rhythmisch meinen Schwanz massiert, in den ich mich hart versenken kann. Meine Hand wird immer schneller. Die Oberschenkel beginnen zu zittern, als ich das Finale herannahen fühle. Mit der linken Hand fasse ich zwischen meinen Beinen hindurch und knete meine Eier, ziehe sie leicht nach unten. Vielmehr bedarf es nicht. Mit einem leisen Aufschrei komme ich. Immer wieder schießt der weiße Saft aus mir heraus und klatscht an die Fliesen. Erschöpft stütze ich mich mit dem Rücken an der Plexiglaswand hinter mir ab. Nur langsam beruhigt sich meine Atmung. Ich steige aus der Dusche, trockne mich ab und schnappe mir meinen Rasierer. Ich hasse die Stoppeln in meinem Gesicht, ich gehöre zu jenen Typen, denen ein Dreitagebart einfach nicht steht, finde zumindest ich selbst.

Als ich aus dem Bad stolpere, ist JJ gerade dabei, aufzuwachen.

„Guten Morgen, du Langschläfer“, begrüße ich ihn und nehme ihn in den Arm. Ich weiß, dass mein Kleiner morgens ein Kuscheltiger ist. Auch etwas, das wir sehr selten gemeinsam genießen können. Meist sitze ich bereits in einem meiner Flieger, um Lebensmittel oder anderweitig dringend benötige Dinge in irgendeine entlegene Gegend Alaskas zu bringen, wenn JJ daheim aufwacht. Das Gesicht an meiner Schulter vergraben, schlingt er mir die Arme um den Hals.

„Bist du noch müde, oder willst du frühstücken gehen?“ Ich streiche JJ sanft über den Kopf, der brummt nur verschlafen. Eine Antwort kann man daraus nicht erschließen. Leise lachend löse ich die Ärmchen von meinem Hals, stehe auf und hole ein frisches Handtuch aus dem Koffer.

„Los komm, ab ins Bad. Danach gehen wir frühstücken, und wenn es nicht zu kalt ist, kannst du noch in den Pool hüpfen, bevor wir losfahren.“ Wasser zieht immer.

„Au ja, schwimmen! Ich will schwimmen.“ JJ hüpft vom Bett und klaut mir das Handtuch.

„Soll ich dir helfen?“

„Nein! Ich bin schon ein großer Junge, Dad.“ JJ scheint leicht genervt von der übertriebenen Fürsorge seines Vaters.

„Okay, aber die Zähne werden ordentlich geputzt.“ Ich schmunzle und beginne die Badesachen von JJ herauszusuchen.

„JJ, hast du deine Schwimmhilfen eingepackt?“, rufe ich ins Bad.

„Ja Dad, aber es kann sein, dass sie in meinem Scooby Doo Koffer sind. Oma hat gesagt, da darf ich alles außer Klamotten reinpacken.“

„Dann geh ich jetzt kurz zum Auto und hole ihn. Sieh zu, dass du fertig wirst, wir wollen am frühen Nachmittag wieder losfahren.“ Ich schnappe mir den Autoschlüssel und gehe nach draußen. Obwohl es noch recht früh ist, brennt die Sonne bereits erbarmungslos herunter. Es wird uns sicher guttun, vor der langen Fahrt noch eine Runde im Pool zu entspannen.

Als ich unser Zimmer wieder betrete, zieht sich JJ gerade seine freche Badehose hoch.

„Guck Dad! Da ist SpongeBob drauf, hat mir Grandma gekauft, als wir neulich einkaufen waren.“ Wie ein Model dreht JJ sich um die eigene Achse und streckt seinen kleinen Hintern, auf dem der gelbe Schwamm hervorsticht, dabei weit raus.

„Wow, das sieht richtig cool aus, mein Großer. Du bist schon ein richtiger Schwimmprofi und damit das auch so bleibt, ziehen wir dir jetzt noch deine Schwimmhilfen an.“ Mit diesen neonorangen Dingern wird JJ aus dem blauen Wasser herausleuchten wie eine Signalboje. Ich habe beschlossen, das Plantschvergnügen vors Frühstück zu setzen.

„Dad, Dad, schau, was ich kann!“ JJ steht auf dem federnden Einmeterbrett und hüpft vorsichtig auf und ab. Der Rest der Motelgäste scheint noch zu schlafen, denn wir sind die Einzigen, die im Moment die Liegewiese und das Schwimmbad benutzen. Ein Umstand, den ich sehr begrüße, so habe ich meinen Zwerg immer in Sichtweite.

„Nur nicht zu wild, JJ. Pass auf, dass du weit genug vom Brett wegspringst.“ So ganz wohl ist mir bei den, für einen Fünfjährigen teils noch zu riskanten, Aktionen nicht. Aber wie sagt meine Mutter immer so schön: „Justin, du warst in dem Alter kein bisschen besser.“ Damit hat sie Recht. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wundert es mich wirklich, dass meine Eltern diese Zeit ohne bleibende Schäden überstanden haben. Seit JJ bei mir lebt, bin ich sicher bereits zehn Mal an einem Herzinfarkt und ebenso oft an einem Schlaganfall vorbeigeschrammt. Auf die idiotischsten Ideen kommt JJ, wenn er mit seinem besten Freund Billy zusammensteckt. Vor den beiden ist nichts und niemand sicher. Den Vogel haben die beiden vor zwei Wochen abgeschossen. Wie sie auf so eine bescheuerte Idee gekommen sind, weiß ich bis heute nicht. Aber wer kann schon sagen, was in den Gehirnen von zwei Fünfjährigen vorgeht. Der Spaß kostete mich 5000 Dollar Schmerzensgeld und hat mir eine exorbitante Rechnung von einem der besten Hundesalons Fairbanks beschert. Unsere Nachbarn, die Millers, ein schon etwas betagtes Ehepaar, das mittlerweile seit knapp fünfundzwanzig Jahren neben uns lebt, waren die Leidtragenden. Die sonst sehr sanftmütigen Leutchen strichen ihr Haus in einem wirklich markanten Mitternachtsblau. Eine tolle Farbe, wenn man es denn so mag. Dass die restlichen Immobilien in dieser Straße eher dezente Farben tragen, stört Vicky und Dave nicht sonderlich. Das Schöne an dieser Wohngegend ist, dass sich alle Nachbarn wirklich tolerant zeigen. Man hilft sich gegenseitig, wenn jemand krank ist oder anderweitig Hilfe benötigt. Nun haben die Millers eine große Liebe. Als ihre Kinder das Haus verlassen hatten, holten sie sich vom Züchter einen Königspudel. Ein sehr teures Tier mit einem ellenlangen Stammbaum. Der Züchter dieses Champions führte das Paar in die Kunst der Hundeausstellungen ein und Crystal brachte bald sehr begehrte Preise nach Hause. Die beiden Besitzer platzen jedes Mal vor Stolz, wenn sie wieder von solch einer Veranstaltung kommen. Sämtliche Nachbarn werden zu einem gigantischen Barbecue eingeladen und müssen natürlich Crystal ausgiebig bewundern. Jedes Mal, wenn der Pudel einen weiteren Pokal absahnt, wird richtig groß gefeiert. Das gleicht jedes Mal fast einem Volksfest. Tja, und bis das Ehepaar plötzlich beschloss, ihr Haus blau zu streichen, war alles Friede, Freude, Eierkuchen in unserer Siedlung. Billy und JJ durften ihnen beim ‚verschönern‘ der Fassade sogar helfen. Während Billys Mutter für zwei Tage auf Fortbildung war, schlief der Junge bei uns. Rückblickend gesehen ein großer Fehler. Als die zwei Schlingel sahen, wie sich die Millers über die neue Farbe an ihrem Haus freuten, beschlossen sie, dass es Vicky und Dave ganz sicher gefallen würde, wenn Crystal die gleiche Farbe hätte. Gedacht, getan. Da die beiden wussten, wo die übriggebliebene Farbe stand, schnappten sie sich kurzer Hand den schneeweißen Königspudel und färbten ihn blau. Bis auf die Pfoten. Sie fanden es süß, dass Crystal aussah, als hätte sie Stiefelchen an. Was danach geschah, schrammte knapp an einem Kleinkrieg vorbei. Wie gesagt, ich musste tief in die Tasche greifen, um meine Nachbarn wieder versöhnlich zu stimmen. JJ und Billy bekamen Haus- und Gartenverbot bei den Millers und durften sich Crystal nicht mehr nähern.

„Hey Dad, ich hab Hunger und kalt ist mir auch.“ JJ reißt mich aus meinen Gedanken. Zitternd und mit blauen Lippen steht der Kleine vor mir.

„Warum gehst du nicht früher aus dem Wasser“, frage ich leicht verärgert.

„War so lustig“, nuschelt JJ und schmiegt sich in das Badetuch, das ich ihm hinhalte.

„Schon okay, ich will nur nicht, dass du krank wirst, sonst wird das nichts mit unserem Trip.“ Ich nehme JJ auf die Arme und gehe mit ihm ins Zimmer zurück. Ich rubbele ihn mit dem Badetuch kräftig ab, nachdem ich ihn auf dem Bett abgestellt habe. JJ zieht die Nase kraus. Dieses heftige Abreiben mag er gar nicht.

„Billy wäre sicher auch gerne hier. Schade, dass er nicht mitkommen durfte“, beschwert er sich und versucht, mir zu entwischen.

„Ist dir wieder warm?“, frage ich, lasse das Badetuch fallen und suche JJs Kleidung zusammen. Dieser nickt und nimmt mir die Sachen aus der Hand.

„Du weißt genau, dass Billys Mutter auch frei hat und selbst gerne mit ihm wegfährt.“ Ich schaudere bei dem Gedanken, zwei dieser Flöhe einen Monat lang beaufsichtigen zu müssen.

„Ja, aber vielleicht wären sie gerne mit uns gefahren? Dann hätten wir eben alle in dem Autohaus wohnen müssen.“ JJ lässt der Gedanke einfach keine Ruhe und er fühlt sich einsam ohne seinen besten Freund.

„ JJ, Billys Mom hatte schon andere Pläne. Ich glaube, es ist sogar ein Junge in deinem Alter auf unserer Tour dabei. Das wird sicher lustig.“ Ich habe mich bei dem Tourbegleiter erkundigt und weiß deshalb, dass der Junge etwas älter als JJ ist. Ich hoffe, dass sich die beiden anfreunden werden. JJ nickt und greift nach seinen Turnschuhen. Meine Mom kauft immer welche mit Klettverschluss, die kann er ganz alleine anziehen. Die Knoten schafft er zwar auch, aber die halten nicht besonders gut. Und wenn er einen Schuh deswegen verliert, ist schmollen angesagt. Ihn danach wieder zu beruhigen, fällt unter höhere Kunst.

„Kommen wir heute bei dem Autohaus an?“, fragt er mich, als ich unsere Sachen wieder in den Koffer packe und mich im Zimmer umsehe, ob ich auch nichts vergessen habe.

„Es heißt Wohnmobil und ja, wir werden es heute noch schaffen. Wenn wir uns beeilen, sogar bevor es dunkel wird.“

„Aber es ist ein Haus, mit dem man fahren kann. Hat Oma mir erklärt. Sie hat auch gesagt, dass ich dort ein Bett für mich alleine habe. In dem Auto gibt es sogar ein Bad und eine Küche“, belehrt JJ mich altklug. Mir sind die tausend Fragen, mit denen mein Sohn meine Mutter die letzten Wochen gelöchert hat, nicht entgangen. Während der Fahrt sind uns ein paar Camper begegnet, aber ich bezweifle, dass JJ sich vorstellen kann, wo genau dort Küche, Bad und Bett Platz haben.

Tameran

Heute ist der große Tag. Meine Abreise steht bevor. Ich stelle meine Reisetaschen in den Flur. Marc hat sie gestern mit mir gemeinsam gepackt. Ich wollte mein Kofferset von Louis Vuitton nehmen, woraufhin mein bester Freund beinahe einen Ausraster bekommen hat. Dafür wäre im Wohnmobil kein Platz, meinte er und ich sollte lieber Reisetaschen nehmen, weil die nämlich leichter zu verstauen seien. Reisetaschen? Hallo? Geht’s noch? So etwas besitze ich nicht. Wozu auch? Nachdem ich die darauffolgende Diskussion haushoch verloren habe, hat Marc mich mitgeschleppt, um welche zu besorgen. Jetzt kann ich stolz behaupten, Besitzer zweier hässlicher Reisetaschen zu sein, die nach der Reise unverzüglich in den Müll wandern werden. Und die Sachen, die sich darin befinden, gleich mit. Mich schaudert jetzt bereits, wenn ich daran denke, dass meine Markenklamotten in engen kleinen Schränken hängen werden, in denen schon Sachen von vielen fremden Menschen aufbewahrt wurden. Wer weiß schon, wie genau die es dort mit der Hygiene nehmen. Und nein, ich bin kein Phobiker, ich habe es nur gerne sauber. Davon können meine zwei Reinigungsdamen ein Lied singen. Für das mehr als fürstliche Gehalt verlange ich auch Leistung. Nur bei Tinkabell’s Tasche bin ich keinen Kompromiss eingegangen. Meine Süße reist exklusiv wie immer. Ich werfe einen Blick auf meine Breitling. Marc ist der Meinung, dass die goldene Rolex ungeeignet für die Reise wäre. Langsam frage ich mich echt, auf was ich noch alles verzichten muss? Wenigstens konnte ich durchsetzen, mit dem Firmenjet nach Vancouver zu fliegen. Meinen lieben Freunden wäre es zuzutrauen, mich in die dritte Klasse zu verfrachten. Ein gewisser Herr Forster wird am Flughafen in Vancouver auf mich warten. Na, da kann ich nur hoffen, dass der pünktlich ist. Ich habe wirklich keine Lust, stundenlang in einer muffigen und überfüllten Ankunftshalle herumzustehen. Das Geräusch der sich öffnenden Lifttüre holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Marc kommt mit einem strahlenden Lächeln auf mich zu. Er ist der Einzige, der ohne Ankündigung in meine Penthousewohnung kommen darf. Bei jedem anderen würde ich den Portier feuern lassen.

„Guten Morgen, mein Sonnenschein“, begrüßt er mich und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. Ich verziehe genervt das Gesicht.

„Keine Ahnung, was ich an dem Morgen gut finden soll“, brumme ich zurück und stehe auf.

„Komm, schnapp dir deine Sachen, die anderen warten bereits in der Limousine. Wir wollen dich standesgemäß verabschieden.“ Wenn Marc keine Ohren hätte, würde er rundherum grinsen. Ich hätte gut Lust, ihm diese schadenfrohe Grimasse aus dem Gesicht zu schlagen. Vielleicht mache ich das auch noch – irgendwann.

Ich kann es kaum glauben, aber auf der Straße steht wirklich eine Stretchlimo und so ziemlich alle meine engeren Freunde sitzen darin. Ein paar folgen uns in ihren eigenen Autos und hupen was das Zeug hält. Wäre es ein freudiger Anlass, hätte ich mich geehrt gefühlt, so aber bin ich nur genervt, frustriert und angepisst. Meine Laune bessert sich auch nicht, als mich alle am Flughafen umarmen und mir einen schönen Urlaub wünschen. Ich könnte kotzen. Noch nie im Leben musste ich so eine Demütigung ertragen. Für mich sind das alles falsche Schlangen und Verräter. Freunde … Pah! Wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr. Es dauert eine Weile, bis ich mitbekomme, dass mein Name ausgerufen wird und ich mich am Schalter melden soll, wo mich unser Pilot abholt. Das Gepäck wurde von Marc bereits dort abgegeben. Zum Glück muss ich mich darum nicht auch noch kümmern.

Der Flug verläuft problemlos. Da wir für diese kurze Strecke kein zusätzliches Personal benötigen, ist neben mir und Cliff nur der Co-Pilot an Bord. Während dieser das Flugzeug sicher dem Ziel entgegensteuert, ficke ich Cliff auf der Ledercouch, die in der Kabine integriert ist. Das entschädigt mich wenigstens ein bisschen. Meine Laune ist minimal gestiegen. In Vancouver angekommen, erledigt Cliff alle Formalitäten für mich. Zum Glück, ich wüsste nämlich nicht, was man da alles machen muss. Am liebsten würde ich wieder mit zurückfliegen. Soll ich auf meine ‚Golden Star‘ verzichten? Nein, sicher nicht! Das lässt schon alleine mein Stolz nicht zu. Gott sei Dank begleitet Tinkabell mich auf dieser Reise. Ohne meine Maus gehe ich sowieso nirgendwo hin und schon gar nicht einen Monat lang. In einer meiner Taschen habe ich ihre wichtigsten Accessoires eingepackt. Nur ihre Kuschelbettchen fanden keinen Platz mehr. Egal, schlafen wird sie wie immer in meinem Bett und sonst muss sie es sich auf meinem Schoss bequem machen. Bei mir zu Hause ist in jedem Raum ein Bettchen für sie. Im Moment schläft sie zufrieden in ihrer Reisetasche, die auch in eine Decke umgewandelt werden kann. Diese Kleinigkeit habe ich mir extra designen lassen. Klar gibt es die auch im Handel, aber – ne danke. Es muss einfach alles perfekt zu meinem Baby passen. Vor zwei Tagen habe ich noch mit unserer ‚verhassten‘ Camilla telefoniert. Wenn auch nur die geringste Gefahr für Tinkabell durch diese Reise entsteht, verzichte ich auf mein Pferd. Schweren Herzens zwar, aber ich werde weder die körperliche noch geistige Gesundheit meiner Maus aufs Spiel setzen. Camilla hat mich beruhigt und sogar gemeint, dass so eine Abwechslung der Kleinen guttun würde und sie sofort zur Stelle wäre, wenn es Probleme gäbe. Dieses Gespräch beruhigte mich etwas. Was mir allerdings noch zu denken gibt, sind meine Finanzen. Marc hat mir eine Kreditkarte überreicht, auf der ein gewisser Betrag aufgebucht ist. Dieses Limit darf ich nicht überschreiten. Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld sich auf der Karte befindet oder besser gesagt, wie wenig. So was interessiert mich normalerweise nicht. Meine ‚unlimited Platincard‘, habe ich zwar mit, darf sie aber nur im äußersten Notfall benutzen. Gerade als sich mein Unmut über die Warterei Luft machen will, sehe ich einen älteren Mann auf mich zukommen. „Mr. Brady? Mein Name ist Robert Forster und ich bin Ihr Ansprechpartner, Guide, Kummerkasten oder was auch immer Sie während der Reise benötigen.“ Mit einem festen Händedruck stellt er sich mir vor. Seine braunen Augen mustern mich aufmerksam.

„Guten Tag, Mr. Forster. Ich bin Tameran Brady. Bitte nennen sie mich Tam“, erwidere ich höflich. Meine Eltern haben immerhin einen äußerst manierlichen Mann erzogen. Außerdem finde ich diesen Mr. Forster gleich sympathisch.

„Perfekt! Nennen Sie mich Robert oder Rob. Soll ich Ihnen die Tasche abnehmen? Die anderen hat bereits der Pilot bei mir abgegeben.“ Robert sieht mich fragend an. Überrascht hat es ihn wohl nicht, dass ihm der Pilot höchstpersönlich die Reisetaschen überbracht hat. Er lässt es sich zumindest nicht anmerken Ich schüttele leicht den Kopf. Meine Tinkabell gebe ich nie aus der Hand. 

„Nein danke, aber sie schläft gerade und ich möchte sie nicht wecken“, sage ich bestimmt. Robert zieht eine Braue in die Höhe.

„Sie? Stimmt. Bei der Anmeldung wurde vermerkt, dass Sie Ihren Hund mitbringen. Ich hatte nur nicht mit so einem kleinen Exemplar gerechnet. Die Rasse wurde nicht näher beschrieben.“

„Tinkabell ist eine Chihuahuahündin“, erkläre ich ihm.