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Mangelnde Hygiene in Pflegeeinrichtungen, unsachgemäße Handhabung von Geräten, gesundheitsschädliche Substanzen, Keime oder Verunreinigungen im Klinikessen – Vorfälle dieser Natur erhitzen die Öffentlichkeit und führen zu großen Verunsicherungen und einem erheblichen Vertrauensverlust seitens der Patienten und ihren Angehörigen. Doch was tun? Wie können diese Risiken im Alltag einer Einrichtung minimiert oder aus dem Weg geräumt werden? – Die Autoren und Autorinnen dieses Buches gehen aus interdisziplinären Perspektiven Ansätzen,Techniken und Verfahren des Risikomanagements auf die Spur. Sie fragen: • Was ist effizient? • Was hat sich in der Praxis bewährt? • Wie aufwendig ist die Umsetzung Das Ergebnis: Methoden, Wege und Konzepte, die die Sicherheit von Patienten und Bewohnern nachhaltig sichern und praxisnah umgesetzt werden können.
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Harald Blonski (Hrsg.)
Risikomanagementin der stationären Altenhilfe
Anforderungen, Methoden, Erfahrungen
schlütersche
Harald Blonski
»Die Ablehnung eines Risikos ist für ein Unternehmen das größte Risiko.«
REINHARD MOHN
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-89993-334-5 (Print)ISBN 978-3-8426-8543-7 (PDF)ISBN 978-3-8426-8544-4 (EPUB)
© 2014 Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Hans-Böckler-Allee 7, 30173 Hannover
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Reihengestaltung: Groothuis, Lohfert, Consorten | glcons.deTitelbild: Romolo Tavani – 123rf.comSatz: PER Medien+Marketing GmbH, BraunschweigDruck und Bindung: Stürtz GmbH, Würzburg
Vorwort
Harald Blonski
Einleitung
Aktualität und Bedeutung des Risikomanagements für Einrichtungen der Altenpflege
Literatur
Stephanie Welters
1Neue gesetzliche Anforderungen an ein funktionierendes Risikomanagement
1.1Einführung
1.2Patientenrechtegesetz
1.2.1Patient in neuer Rolle
1.2.2Regelungsinhalt
1.3Patientenrechtegesetz und Rechtsprechung
1.3.1Beispiele aus der bisherigen Rechtsprechung
1.3.2Auswirkungen auf die Praxis
1.4Neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung
1.4.1Überblick
1.4.2Neuregelung
1.4.3Auswirkungen auf die Praxis
1.5Fazit
Literatur
Karla Kämmer
2Pflegerisches Risikomanagement
2.1Risikopotenziale (er)kennen
2.1.1Risiken der Bewohner
2.1.2Risiken in den Bereichen Personal und Organisation
2.2Den Umgang mit den wichtigsten praktischen Pflegerisiken systematisieren
2.2.1Personbezogene Risiken erheben, analysieren, steuern
2.3Mit lebensweltlicher Organisation Risiken vorbeugen
2.4Ein spezielles Risikomanagement für alle fachlichen, organisatorischen und monetären Risiken aufbauen
2.5Pflegecontrolling als Rahmen des pflegerischen Risikomanagements
2.5.1Struktur des Pflegecontrollings (Basis: Marker-Umbrella-Modell)
2.5.2Die Vorteile des Pflegecontrollings
2.6Was hat Risikomanagement mit Ressourcenmanagement zu tun?
Literatur
Manfred Borutta
3Hohe Zuverlässigkeit – Risikomanagement in der Pflege nach dem Achtsamkeitsansatz der HRO-Prinzipien
3.1Pflegemängel als Nicht-Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen
3.2Die totale Mobilmachung im QM: »Stochern im Nebel« statt Vertragskonformität
3.3Wissenschaftliche Fundierung von Risikomanagementansätzen
3.4Evidenzbasiertes Management
3.5Hohe Zuverlässigkeit als Grundlage des Risikomanagements
3.6Das Management von Risiken als paradoxe Aufforderung
3.7Risikomanagement als Sonderperspektive kritischer Beobachtungen
3.8Konzentration auf wesentliche pflegerische Kernbereiche
3.9Nicht-strafende Fehlerkultur statt Sündenbockmentalität
3.10Implementierung des HRO-Ansatzes in Pflegeorganisationen
3.10.1Ebenen der Organisationsstrukturen
3.10.2Verantwortung des Managements
Literatur
Claus Offermann
4Risikomanagement in der stationären Altenhilfe – DIN 15224 und ISO 31000 als Orientierung
4.1Einleitung
4.2Qualitätsgrundsätze
4.3Patientenbezogene Qualitätsmerkmale
4.4Dienstleistungsbezogene Qualitätsmerkmale
4.5Klinische Prozesse
4.6Interessierte Parteien
4.7Das Risikomanagement
4.7.1Grundsätze
4.7.2Strategischer Rahmen für Risiken
4.8Risiken für Pflegeeinrichtungen
4.8.1Risiken: Ziele und Ergebnisse
4.8.2Risiken: Maßnahmen und Effizienz
4.8.3Risiken: Soziale Beziehungen, Rechte und Interessen
4.9Die Konsequenzen für das QM-System der stationären Altenhilfe
4.10Abschließende Bewertung
Literatur
Frank Hanke
5Risikomanagement in der Arzneimittelversorgung chronisch kranker Senioren – Aspekte einer Geriatrischen Pharmazie
5.1Geriatrische Pharmazie: Herausforderungen und Zielsetzungen im demografischen Wandel
5.1.1Warum können wir diese hohen Risiken bei Altenheimbewohnern nicht erkennen?
5.1.2Der geriatrische Blickwinkel in der Pharmazie
5.2Das Arzneimittel im Versorgungsprozess – der Medikationsprozess als interdisziplinäres Geschehen
5.3UAE – Risiken und arzneimittelbezogene Probleme im Medikationsprozess
5.3.1Risikokonstellationen
5.3.2Die einrichtungsbezogenen Arzneimittelrisiken
5.4Arzneimittelassoziierte Erkrankungen in der Geriatrischen Pharmazie
5.4.1Arzneimittelassoziierte Kognitionsstörungen
5.4.2Arzneimittelassoziierte Instabilität
5.4.3Das Phänomen der Polypharmazie (Synonyme: Polypharmakotherapie, Multimedikation)
5.5Risikomanagement – Was kann getan werden?
5.5.1Versorgungsforschung und Pilotmodell
5.5.2Das VERIKO® Medikations- und Risikomanagementsystem
Literatur
Carola Reiner
6Risikomanagement in Hauswirtschaft und Küche
6.1Das HACCP-Konzept bei der Lebensmittelverarbeitung
6.1.1Die Systematik des HACCP-Konzepts
6.1.2Ein Beispiel: Muster-Gefahrenanalyse nach HACCP für eine Wohngruppenküche mit Selbstversorgung
6.2Das RABC-Konzept bei der Textilpflege
6.2.1Die Systematik des RABC-Konzepts
6.2.2Ein Beispiel: Der Wäschekreislauf in der RABC-Risikoanalyse
6.3Hauswirtschaftliche Betreuung: Mit der Gefahrenanalyse Unmögliches möglich machen
6.3.1Systematisches Vorgehen
6.3.2Beispiele für Gefahrenanalysen hauswirtschaftliche Mitarbeit
Literatur
Stefan Baars
7Risikomanagement und Anforderungen an Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
7.1Risiken für Beschäftigte in der stationären Altenpflege
7.2Einführen eines Risikomanagements zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
7.2.1Organisation
7.2.2Personen
7.2.3Qualifikation
7.2.4Gefährdungsbeurteilung
7.2.5Kommunikation
7.2.6Informationsbeschaffung
7.2.7Arbeitsmedizinische Vorsorge
7.2.8Regelungen zur Planung und Beschaffung
7.2.9Information und Einbindung von Fremdfirmen bzw. Leiharbeitnehmern
7.2.10Organisation von Notfallmaßnahmen / Erste Hilfe
Literatur
Andreas Elser
8Risikomanagement – Brandschutz in Pflegeeinrichtungen
8.1Einleitung
8.2Rechtsgrundlagen
8.3Schutzziele
8.4Grundsätze
8.5Brandschutztechnische Mindestanforderungen
8.6Brandfrüherkennungsanlagen
8.7Kennzeichnung der Rettungswege
8.8Prüfungen
Literatur
Thomas Althammer
9Datenschutz & Datensicherheit: Risiken erkennen, einschätzen, vermeiden
9.1Risikomanagement und Datenschutz
9.1.1Kontrollen durch Aufsichtsbehörden
9.1.2Konsequenzen bei Datenschutzverstößen
9.1.3Umgang mit Datenpannen
9.2Risikomanagement und Datensicherheit
9.2.1Notfallmanagement-Prozessmodell
9.2.2Prioritätensetzung und Fokussierung in der Risikoanalyse
9.3Datenschutz und Datensicherheit wirksam kombinieren
Literatur
Anhang
Die Autorinnen und Autoren
Register
Mit dem vielbeachteten Buch von Ulrich Beck »Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne« (Frankfurt a. M. 1986), das fast zeitgleich mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 veröffentlicht wurde, hat sich der Begriff »Risiko« in unserer Gesellschaft in besonderer Weise eingeprägt. Auch in den Unternehmungen und vor allem in den Gesundheitseinrichtungen hat sich dieser Begriff als wirkungsvoll gezeigt.
Es wurde nicht mehr alleine das Vorantreiben positiver Eigenschaften gefördert, wie zum Beispiel Qualität oder Kundenzufriedenheit. Vielmehr thematisierte man auch das Nicht-gelingen-Können und das Bedrohliche. So erweiterte und differenzierte sich der Risiko-Begriff: Risiko empfand man nicht länger ausschließlich als Bedrohung, sondern auch als Chance oder als Wagnis, das eingegangen werden muss, um positive Wirkungen erzielen zu können. Es wurde nicht nur als eine bedrohliche Masse ohne Einwirkungsmöglichkeit erlebt, sondern mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet, um erkennen zu können, ob das Risiko uns überhaupt und wann mit welcher Wirkung trifft. Zudem wurde durch die Auseinandersetzung mit dem Risikobegriff vielen Menschen bewusst, dass wir dem Risiko nicht entgehen können: Jede Operation, jeder Weg zu Fuß und jede Fahrt mit dem Auto oder mit der Bahn birgt ein »Rest-Risiko«, mit dem wir leben müssen, ob wir das akzeptieren oder nicht. Jetzt war es nicht mehr weit, sich zu überlegen, wie dem Risiko zu begegnen wäre: entweder durch Versicherungen zur Abdeckung von Risiken, durch Vermeidungsstrategien oder letztendlich durch das Managen von Risiken über seine Identifikation, Bewertung, Lenkung und Kontrolle.
Auch die Gesundheitseinrichtungen erkannten die Bedeutung von Risiken und wenden sich seitdem diesem Thema verstärkt zu, sodass das Risiko auf vielfältige Weise erlebt und quasi aufgespalten wurde.
Hier setzt die vorliegende Buchveröffentlichung an, indem die verschiedenen Risiken auf den stationären Altenpflegebereich bezogen werden. In einer weiteren funktionalen Differenzierung werden die Risiken in den einzelnen Beiträgen systematisiert und im Hinblick auf verschiedene Bereiche dargestellt: Arzneimittelversorgung und Arbeitssicherheit, Gesundheits- und Brandschutz, Hauswirtschaft und Datensicherheit. Daneben werden rechtliche Regelungen und Normen als Reglementarien von Risiko behandelt. Wesentlich sind das Lernen aus anderen Risikobereichen und die Überführung solcher Lernprozesse in die Organisation und Struktur einer Institution (High Reliability Organizing). Das Risiko als Kernthema der Altenpflege an sich wird in weiteren Beiträgen thematisiert.
Sämtliche Artikel werden unter dem Aspekt des Managements erarbeitet. Nur durch eine Gestaltung der Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Thema »Risiko«, die in eine Lenkung der Abläufe und der Strukturen der Risikovermeidung oder -bewältigung überführt wird und dabei die Entwicklung von Risikoverläufen integriert, wird sowohl langfristig als auch im operativen Bereich ein qualifiziertes Risikomanagement implementiert.
Dem Buch ist deshalb eine breite Leserschaft zu wünschen, damit dem Risiko und seinem Handling in der stationären Altenpflege eine angemessene Bedeutung zuteil wird.
Osnabrück, Mai 2014
Prof. Dr. Winfried Zapp
Harald Blonski
So vielfältig die strukturellen Formen und Systemgebilde, die Dienstleistungen und prozessualen Abläufe sowie die Anforderungen unterschiedlicher Anspruchsgruppen an die Altenhilfe sind, so komplex und facettenreich ist die daraus resultierende Risikostruktur. Was konkret seitens der Anbieter und Organisationen im stationären Bereich dieser Branche zu tun ist, welchen risikospezifischen Themen, Aufgaben und Herausforderungen sie sich gegenübersehen, zeigen die fach- und sachspezifischen Beiträge in diesem Buch auf.
Zuvor möchte der Herausgeber grundlegende Aspekte und allgemeine Zusammenhänge im Hinblick auf das Thema Risikomanagement beleuchten und einige Instrumente vorstellen, die seiner Meinung nach bei der praktischen Umsetzung hilfreich und nützlich sein können.
Der Risiko-Begriff und alle aus ihm abgeleiteten bzw. ihn beinhaltenden Derivate und Komposita wie riskant, Risikomanagement oder Risikopotenzial werden gegenwärtig auffällig häufig verwendet.
Dies mag zum einen an der Flut und Dramatik der weltweiten Berichterstattung liegen, die uns tagtäglich mit verheerenden, folgenschweren Katastrophen und Tragödien konfrontiert und die stets mit der Frage verbunden ist, ob und warum die Eintrittswahrscheinlichkeit derartiger Ereignisse nicht im Vorfeld hätte bekannt sein müssen bzw. nicht erkannt oder unterschätzt worden ist.
Es mag zum anderen darin begründet sein, dass eigens für das Risikomanagement entwickelte Rahmenkonzepte, Standards, Normen und Gesetze zu einer in Fachkreisen intensiv und engagiert geführten Debatte über und zur Beschäftigung mit dem Risikomanagement geführt haben. Als Beispiele für Regelwerke, Konzepte und Gesetze seien hier die E DIN ISO 31000 : 2011, die österreichische ON-Regel 49000, das COSO Enterprise Risk Management Framework (COSO-ERM), die DIN EN 15224, eine QM-Norm für die Gesundheitsversorgung sowie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) angeführt.
Aber kommt es denn nicht – so mag man einwenden – einer Dramatisierung und Begriffsverzerrung, zumindest aber einer Bedeutungsverengung gleich, wenn man den Risiko-Begriff ausschließlich negativ deutet und ihn einseitig mit Aspekten der Bedrohlichkeit in Verbindung bringt?
Vielleicht ist es eine Frage der eigenen Erfahrungen, die jemand in seinem bisherigen Leben gemacht oder die es ihm »beschert« hat, vielleicht auch eine Frage der Epoche oder Kultur, in die man hineingeboren wurde, die Frage nämlich, ob ein Mensch Risiken eher scheut und meidet oder ob sie ihn eher anziehen und er sie regelrecht sucht, weil sie irgendetwas Attraktives für ihn besitzen, sie ihm den »Kick« geben, den er »einfach braucht« und die ihn in gewisser Weise vitalisieren. Entdecker wie Roald Amundsen, Extremsportler wie Reinhold Messner und Hasardeure wie Felix Baumgartner mit seinem waghalsigen Sprung aus 39 km Höhe scheinen Menschen von diesem Schlag zu sein.
Der Slogan »No risk no fun« ist heutzutage in aller Munde, und schließlich: Erfährt und erlebt nicht gerade derjenige, der alles abzusichern bestrebt ist, dem nichts wichtiger ist als Gewissheit und der sich auf keine Unternehmung »ohne Netz und doppelten Boden« einzulassen wagt, immer wieder Enttäuschungen und »böse Überraschungen«? Wird ihm nicht immer wieder durch die Realität das Faktum vor Augen geführt, dass bei aller Akribie, Genauigkeit und Verliebtheit ins Detail die absolute Beherrschung von Situationen, Prozessen und Vorhaben unter Ausschluss jeglichen Risikos eine fixe Idee, ein absurder Anspruch und ein Ding der Unmöglichkeit ist?
Sehen wir einmal ab von den Minoritäten, die sich, aus Ruhmsucht, Ehrgeiz oder durch blinkende Sponsorenköder verführt ins Abenteuer stürzen und lassen wir – das andere Extrem – auch diejenigen außer acht, die sich aus krankhafter Furcht und Sorge, aufgrund von Zwängen, Traumata oder Erziehungsfehlern einigeln, nahezu handlungsoder entschlussunfähig werden, weil bei ihren Vorhaben und Handlungen irgendetwas schief gehen oder Unvorhergesehenes passieren könnte. Es scheint ein ganz natürliches Verhalten, ein geradezu anthropologischer Wesenszug zu sein, dass wir unser Umfeld und unser momentanes wie zukünftiges Handeln (mit) zu beherrschen, zu beeinflussen, abzusichern und zu steuern ebenso bestrebt sind wie das, worauf wir uns einlassen, was mit uns geschieht und was man mit uns tut oder vorhat.
Wenn wir uns im Alltag Situationen, Herausforderungen und Entscheidungen gegenübersehen, die für uns schlecht einzuschätzen, nicht ausreichend kalkulierbar oder mit Unsicherheit und Unwägbarkeiten besetzt sind, bezeichnen wir diese häufig als riskant.
Bedingt durch eine ständig zunehmende Komplexität der Bezüge und Netzwerke, in die sowohl der Einzelne als auch Gruppen, Organisationen und sogar Staaten und Nationen eingebunden und verstrickt sind, scheint das Risiko im zuvor beschriebenen Sinne nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches, um nicht zu sagen ein globales Schicksal zu sein. So betrachtet ist es durchaus berechtigt, dass Ulrich Beck aus soziologischer Perspektive von der gegenwärtigen als einer »Risikogesellschaft« spricht. Er liegt wohl richtig mit seiner Behauptung, dass in einer technisch so hochkomplexen Welt Fehler, die zu Katastrophen führen, unausweichlich seien (»Logik der Risikoproduktion«; Beck 1986).
Des Weiteren darf nicht vergessen werden, dass Risikomanagement im Wirtschaftsleben, in Organisationen und Betrieben keine auf den Einzelfall bezogene und ins persönliche Belieben einzelner gestellte Angelegenheit ist, sondern eine verbindliche, im Falle von KonTraG sogar eine per Gesetz eingeforderte Pflichtaufgabe des/der jeweils Verantwortlichen gegenüber den Kunden und anderen Anspruchsgruppen der Unternehmung. Als Basis erfordert ein gelebtes und erfolgreiches Risikomanagement, wie Kempf und Romeike betonen, »eine entsprechende Unternehmens- bzw. Risikokultur« (Kempf; Romeike 2010: 178).
Schließlich sei in diesem Zusammenhang noch auf eine Anmerkung zur Risikodefinition nach DIN EN 15224, Kapitel 3, Abschnitt 5.15 verwiesen, in der es heißt: »Der Begriff Risiko wird allgemein nur benutzt, wenn zumindest die Möglichkeit negativer Konsequenzen besteht.« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17)
Bevor wir uns nun dem eigentlichen Thema des vorliegenden Buches nähern und uns fragen, was es denn mit dem Risikomanagement auf sich hat und was genau dieser Begriff impliziert, sei hier noch ein kurzer Blick auf die Herkunft und Bedeutung des Risiko-Begriffs, auf seine Etymologie und Semantik geworfen.
Im 16. Jahrhundert wurde das Fremdwort Risiko als kaufmännischer Begriff aus dem italienischen risico, risco entlehnt, dessen weitere Herkunft unsicher ist. Aus dem Italienischen stammt auch das französische Wort risque (Gefahr, Wagnis). Aus dem davon abgeleiteten Verb risquer wurde im 17. Jahrhundert das deutsche riskieren übernommen, im 19. Jahrhundert riskant aus dem französischen risquant (Duden 2007: 677). Im Englischen ist der Begriff seit 1621 belegt (damals in der Schreibweise risque). Die Etymologie des Begriffs Risiko lässt sich möglicherweise bis zum altgriechischen rhiza (Wurzel; Klippe) zurückverfolgen. Dieses Wort findet sich zum ersten Mal in Homers Odyssee.
Diese knappe Skizzierung der Ursprünge und Entwicklungspfade des Risiko-Begriffs mögen genügen. Wer tiefer- und weitergehend an seiner Entstehung und Entwicklung interessiert ist, sei auf entsprechende Veröffentlichungen wie die von Jonen (Jonen 2007) verwiesen.
Gegenüber anderen Sparten wie der Luftfahrt oder der Atomindustrie entwickelten sich Interesse an und Einsicht in die Notwendigkeit der Implementierung von systematischem Risikomanagement im klinischen Bereich eher zögerlich.
Dies erscheint verwunderlich, geht es doch gerade in klinischen Kontexten in puncto Risikomanagement um existenziell wichtige Prozesse und Zusammenhänge wie Bewohner- und Patientenschutz/-sicherheit, Verantwortung gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur in ökonomisch-materieller, sondern auch in sozial-ethischer Hinsicht und last, not least auch um Loyalität und Sicherheit gegenüber (öffentlichen oder privaten) Kapitalgebern bzw. Investoren.
Insbesondere in der stationären Altenpflege entwickelt sich das Risikomanagement einstweilen noch sehr zäh und schleppend. Zwar haben die meisten Verantwortlichen die Notwendigkeit angemessener Regelungen, Vorkehrungen und Prophylaxen erkannt, von der Planung, Umsetzung, Steuerung und ständigen Verbesserung im Sinne eines Risikomanagementsystems kann jedoch nur in seltenen Fällen die Rede sein.
Nachdem die Begriffe Risiko und Risikomanagement zuvor wiederholt erwähnt wurden, sollen die beiden Termini nunmehr anhand von Definitionen und Analysen genauer bestimmt und untersucht werden. Als Risikodefinitionen seien hier drei Beispiele angeführt, die mit Blick auf den Gesundheits- bzw. Pflegebereich formuliert wurden (siehe dazu auch Zapp 2011: 9):
• Kahla-Witzsch und Hellmann definieren Risiken als ein »geplantes oder ungeplantes unerwünschtes Ereignis, welches möglicherweise eine Organisation, einen Vorgang, einen Prozess oder ein Projekt beeinträchtigen kann. Es wird gewöhnlich als negatives Ereignis bezeichnet.« (Kahla-Witzsch/Hellmann 2005: 13 f.)
• Die zweite Definition stammt von Kämmer und Wipp. Sie lautet: »Unter einem Risiko wird die Möglichkeit des Eintritts eines Schadens mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verstanden. Die Bedeutung eines Risikos bestimmt sich aus dem potenziellen Schadensumfang/der Schadenshöhe und seiner Eintrittswahrscheinlichkeit. Kumulationen von Risiken sind möglich (Treppeneffekt).« (Kämmer/Wipp 2008: 523)
• In der DIN EN 15224 findet man Risiko definiert als »Kombination aus der Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls und seiner Konsequenzen« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17). Ein »Klinisches Risiko« liegt gemäß dieser Norm vor, wenn es sich um ein Risiko handelt, das »negative Auswirkungen auf die Ergebnisse in Bezug auf eine Qualitätsanforderung in der Gesundheitsversorgung haben könnte« (ebd.).
Von einem Risiko im zuvor definierten Sinne ist einerseits der Begriff »Beinahe-Unfall«, zum anderen der Terminus »unerwünschtes Ereignis« zu unterscheiden.
• Ein Beinahe-Unfall ist ein/e »Situation oder Ereignis mit dem Potenzial, einen unerwünschten Zwischenfall zu verursachen, zu dem es jedoch [wegen/aufgrund] der fehlenden Möglichkeit nicht kommt oder weil sie/es rechtzeitig verhindert wird« (ebd.: 14).
•Ein unerwünschtes Ereignis hingegen ist gegeben, wenn es sich um ein/e »Situation oder Ereignis, das bei einem Patienten einen Schaden hervorgerufen hat« (ebd.), handelt.
Auf die Möglichkeit einer Risikosystematisierung muss an dieser Stelle leider ebenso verzichtet werden wie auf eine Darstellung unterschiedlicher Risikoarten. Zu diesen beiden Teilaspekten sei auf entsprechende Ausführungen in dem erwähnten Buch von Zapp hingewiesen (siehe dort die Kapitel 3.2 und 3.3, S. 26 ff.).
Was den Begriff Risikomanagement anbelangt, sind darunter nach DIN EN 15224 »koordinierte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation in Bezug auf das Risiko« (Deutsches Institut für Normung 2012: 17) zu verstehen.
Zu diesem Zweck müssen seitens der Organisation bzw. der in ihr und für sie Verantwortlichen entsprechende übergeordnete Ziele, Strategien sowie eine Politik zum Risikomanagement festgelegt werden.
Folgende Phasen lassen sich – flankiert durch eine Risikopolitik und eine Prozessüberwachung – innerhalb des Metaprozesses »Risikomanagement« von einander abgrenzen:
1. Risikoidentifikation
2. Risikobewertung
3. Risikosteuerung
4. Risikokontrolle (vgl. Abb. 1)
Auf ihre Definitionen wird hier verzichtet und stattdessen
• auf die bereits erwähnten Normen (ISO 31000, DIN EN 15224 sowie auf ONR 49000) verwiesen, wo entsprechende Erläuterungen zu finden sind und
• eine Grafik präsentiert, welche die oben benannten Phasen in ihrer Abfolge und strukturellen Einbettung in den Gesamtkreislauf des Risikomanagements darstellt.
Zum besseren Verständnis dieses Kreislaufs werden einige der darin benutzten Termini und Werkzeuge nachfolgend kurz erläutert:
Überwälzen: Bei der Risikoüberwälzung wird durch die Einleitung von Präventivmaßnahmen in Form einer Risikoübertragung auf Dritte das eigene Unternehmen vor Risiken abgeschirmt (Bsp.: Abschluss von entsprechenden Versicherungen oder Verlagerung des Geschäftsrisikos auf Vertragspartner). Aus rechtlicher Sicht sind die Möglichkeiten der Risikoüberwälzung begrenzt.
Abb. 1: Risikomanagement-Kreislauf.1
Restrisiko: Mit Restrisiko beschreibt man die Gefahren, denen ein System trotz vorhandener Sicherheitssysteme ausgesetzt ist. Das Restrisiko hat einen abschätzbaren sowie einen unbekannten Anteil.
Risikobewertung nach Kategorien: Ein Aspekt für die Risikobewertung nach Kategorien könnte die Eintrittswahrscheinlichkeit oder Wahrscheinlichkeit des Wirksamwerdens der Gefährdung sein. So findet man in der bekannten Risikomatrix nach Nohl die Kategorien sehr gering, gering, mittel und hoch.
Risikoportfolio: Das Risikoportfolio ist ein Werkzeug zur Analyse von Risiken. Die durch eine Einzelperson, Expertengruppe oder durch ein Team bewerteten Risiken lassen sich grafisch – z. B. mittels unterschiedlich großer Kreise wie links unten in Abb. 1 – in einem Portfolio abbilden. Letzteres spannt sich zwischen einer X-Achse und einer Y-Achse auf, wodurch z. B. einerseits die Schadenshöhe (= Abszisse) und andererseits die Eintrittswahrscheinlichkeit (= Ordinate) dargestellt werden kann.
Die vierstufige Phasenfolge in Abb. 1 findet man gelegentlich auch um einen Schritt reduziert als Drei-Stufen-Kreislauf abgebildet: Risikoidentifikation, Risikobewertung und Risikosteuerung. Wieder andere Autoren legen ein 5-Phasen-Modell vor und kombinieren das Risikomanagement mit einem Chancenmanagement.
Ohne bereits in der Einleitung ausführlich auf spezielle und detaillierte Aspekte und Fragestellungen des Risikomanagements eingehen zu wollen, seien abschließend an dieser Stelle vier Instrumente kurz erwähnt und vorgestellt, die auch im Risikomanagement stationärer Einrichtungen der Altenpflege zur Anwendung kommen könnten, allerdings seither nur geringe Beachtung fanden bzw. nur vereinzelt zur Anwendung gelangten:
1. Die Risikomatrix nach Nohl
2. Die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA)
3. Das C.I.R.S.-Verfahren
4. Die Risikoanalyse nach der Turtle-Methode
Zu 1. (Risikomatrix nach Nohl): Der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zufolge bildet die Risikomatrix nach Nohl, die der Klassifizierung von Gefährdungen dient, in einer spezifizierten Form (siehe Tabelle 1) einen Baustein in der Qualifizierung von Sicherheitsfachkräften.
Tabelle 1: Die Risikomatrix nach Nohl2
Tabelle 2: Auswertung der Risikomatrix nach nohl
Maßzahl
Risiko
Beschreibung
1 bis 2
gering
Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist nur wenig wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist nicht erforderlich.
3 bis 4
signifikant
Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist angezeigt.
5 bis 7
hoch
Der Eintritt einer Verletzung oder Erkrankung ist sehr wahrscheinlich. Handlungsbedarf zur Risikoreduzierung ist dringend erforderlich.
Zu 2. (FMEA): Nach DIN EN 60812 als Fehlzustandsart- und -auswirkungsanalyse bezeichnet, ist FMEA ein Verfahren, um die Folgen möglicher Fehler durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren. Dabei werden die Fehler und Fehlfunktionen sowie deren Auswirkungen auf das zu untersuchende System systematisch bestimmt. Aus den meisten Unternehmen der Luftfahrt- und Automobilindustrie ist die FMEA nicht mehr wegzudenken. Aber auch im Dienstleistungsbereich, insbesondere im Prozess- und Projektmanagement, kommt das Werkzeug immer häufiger zum Einsatz. Haupteinsatzgebiete der FMEA sind die Zuverlässigkeitsanalyse von Neuentwicklungen und Änderungen bei/in sicherheitsrelevanten Systemen – und zwar branchenunabhängig. Ihr präventiver Ansatz soll dabei helfen, Schwachstellen zu identifizieren, deren Bedeutung zu erkennen, zu bewerten und geeignete Maßnahmen zu ihrer Vermeidung bzw. Entdeckung zu ergreifen. Darüber hinaus können aber auch bereits bestehende Produkte und Prozesse den Untersuchungsgegenstand bilden.
Zu 3. (C.I.R.S.): C.I.R.S. wurde als ein Ansatz zur Erhöhung der Patientensicherheit entwickelt. Die zugrunde liegende Idee dabei war, aus Fehlern zu lernen. Das Kürzel C.I.R.S. steht für Critical Incident Reporting System. Gemeint ist damit ein Ansatz bzw. ein Meldesystem zur methodischen Erfassung und Auswertung von kritischen Zwischenfällen. Die Meldung eines solchen Zwischenfalls erfolgt freiwillig und anonym durch alle Mitarbeiter einer Organisation der klinischen Versorgung. Sinn und Zweck von C.I.R.S. ist es, patientenbezogene und andere Risiken über Meldungen von Mitarbeitern zu Beinahe-Unfällen zu reduzieren. Die Registrierung von Beinahe-Fehlern verleiht dem Critical Incident Reporting System seinen präventiven Charakter. Als Frühwarnsystem kann es zu einem sehr wichtigen Bestandteil eines Risikomanagementsystems werden.
Zu 4. (Turtle-Methode): Die sogenannte Turtle- oder Schildkröten-Methode (siehe Abb. 2) ist ein hilfreiches Instrument zur Prozessanalyse. Mittels des schildkrötenförmigen Diagramms stellt man die richtigen Fragen, die für den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) in Pflegeorganisationen entscheidend sind (siehe Tabelle 3) und die helfen, Prozessrisiken zu identifizieren (z. B. in Zusammenhang mit in den Prozess einfließenden Input-Komponenten oder an den Schnittstellen zwischen den Teilschritten/einzelnen Phasen des Prozesses).
Abb. 2: Der Turtle-Ansatz bildlich dargestellt.
Tabelle 3: Matrix zur Prozessanalyse nach dem Turtle-Modell
Turtle-Bereich
Fragestellung
Betroffene Bereiche
Kopf – Input
Was erwartet der Kunde?
Vertrieb, Marketing
Fuß 1 – Womit?
Welche Ausrüstung, Materialien, Infrastruktur braucht das Unternehmen dafür?
Alle materiellen Ressourcen
Fuß 2 – Womit?
Anhand welcher Methoden/Parameter kann man die Leistungsfähigkeit des Prozesses messen?
Leitung, Controlling
Fuß 3 – Wie?
Besitzt das Unternehmen das erforderliche Know-how?
Wissen: Methoden, Techniken, Verfahrensbeschreibungen
Fuß 4 – Mit wem?
Hat das Unternehmen hinsichtlich des Vorhabens entsprechend kompetente Mitarbeiter?
Personelle Ressourcen
Schwanz – Output
Was bekommt der Kunde?
Dienstleistungen, Produkte, Wertigkeit einer Marke