Rita Schober - Vita. Eine Nachlese -  - E-Book

Rita Schober - Vita. Eine Nachlese E-Book

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Beschreibung

Sie stehen noch in vielen Bücherschränken: die deutschen Ausgaben der Rougon-Macquart von Émile Zola mit den Nachworten von Rita Schober. Aus Anlass des 100. Geburtstages der international bekannten Romanistin und Zolaforscherin erscheint erstmals ihre Vita. Wer war diese Frau, die fünf Staatsbürgerschaften hatte, die großen politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts erleben musste und in der DDR als eine der ersten Frauen Professorin wurde? Wie erinnert sie selbst nach 1989 ihr Leben? Dieses Selbstzeugnis wird mit bislang unveröffentlichten Dokumenten aus ihrem Nachlass und aus Archiven konfrontiert und kommentiert. Dabei geht es um die Frage: Wie schreibt man sein Leben nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Brüchen?

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Dorothee Röseberg

Rita Schober – Vita. Eine Nachlese

Ediert, kommentiert und mit Texten aus Archiven und dem Nachlass erweitert von Dorothee Röseberg

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.narr.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

ePub-ISBN 978-3-8233-0113-4

Inhalt

VorwortTEIL I VITA – EINE NACHLESEEditorischer Kommentar1. Les origines oder der schwierige Anfang2. Die Grundlagen meines wissenschaftlichen Werdegangs und meine Arbeit als Hochschullehrerin2.1 Vom Aufbau der Romanistik an der Humboldt-Universität in schwieriger Zeit2.2 Einzelne Textfragmente2.3 Internationale Beziehungen: Gastvorlesungen (GV), Kolloquien (Koll) und Internationales3. Begegnungen und Erlebnisse einer allein reisenden Professorin3.1 Einführung3.2 Moskau – Leningrad3.3 Gastvortrag in Moskau 19593.4 Studienaufenthalt in Moskau3.5 Gastsemester Moskau4. Le tournant4.1 Versatzstücke4.2 Jahresbilanzen / Privates5. InterviewsTEIL II NACHLESE AUS BIOGRAPHIEWISSENSCHAFTLICHER SICHT1. Die Textsorte Autobiographie und Rita Schobers Vita2. Erfahrungen mit Systemumbrüchen des 20. Jh. und das Schreiben der Vita2.1 Der erste und zweite Umbruch (1938 und 1945/46) und das Kapitel Les origines2.2 Der dritte Umbruch: 1989/903. Religiöser Glaube und politisch-weltanschauliche Bildung4. Wissenschaftliche Selbstreflexionen4.1 Editionsgeschichte als Rezeptionsgeschichte4.2 Literaturgeschichte4.3 Zum Geleit der CD-ROM Ausgabe der Rougon-Macquart5. Rita Schober und Victor Klemperer6. Rita Schobers politische Netzwerke in der DDR6.1 Der Briefwechsel mit dem Politbüromitglied Kurt Hager6.2 Weitere Korrespondenz mit politischen Führungskräften6.3 Rita Schober und die Staatssicherheit7. Frau-Sein8. Mühe und Glück, Glück und Mühe – Selbstgespräche9. Anstelle eines NachwortesTEIL III DOKUMENTE

Vorwort

Die Bilder, die von Rita Schober in der Romanistik, in der Öffentlichkeit der DDR und darüber hinaus in wissenschaftlichen Kreisen auch im Ausland verbreitet waren bzw. sind, werden mit diesem Buch auf die Probe gestellt. Wer war die Frau, von der man als die „schöne Rita“, als „rote Rita“, als „die am besten angezogene Professorin“ oder als die „Grande Dame der Romanistik“ sprach? Sie war geschätzt, bewundert und gefürchtet zugleich. Manchen, die Rita Schober in der Universität kennenlernten, galt sie als gestrenge und unnahbare Kollegin, Professorin, Genossin, Direktorin, Dekanin, von der man wusste, dass sie persönliche Beziehungen zur SED-Führungsspitze unterhielt. Bekannt ist sie über nationale Grenzen hinaus als eine der wichtigsten Romanistinnen der DDR, als marxistische Literaturwissenschaftlerin, als Zola-Forscherin und als hoch dekorierte Wissenschaftlerin der DDR.

Ihre Lebensgeschichte ist ein Zeugnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Man kann sie auch als Geschichte einer der bekanntesten Romanistinnen des vergangenen Jahrhunderts lesen und als Geschichte einer bemerkenswerten Frau.

Mit diesem Buch steht in Teil I ihr Selbstblick auf diese Geschichte im Mittelpunkt. Da ihre Vita unvollendet geblieben ist, wird in Teil II dieser Selbstblick durch ausgewählte Dokumente gestützt, ergänzt, konfrontativ überformt und aus einer biographiewissenschaftlichen Perspektive kommentiert. In Teil III sind Schriftstücke zu finden, die Rita Schobers Leben in den von ihr erfahrenen unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen dokumentieren. Sie hatte sechs Staatsbürgerschaften und war eine Zeitlang staatenlos.

Rita Tomaschek wurde am 13. Juni 1918 in der Österreich-Ungarischen Monarchie in Rumburg geboren. Sie absolvierte ihre Schulzeit, ihr Studium und ihr Doktorat in ihrer Heimat, im Sudentenland, das nach dem Ersten Weltkrieg erst zur Tschechoslowakei, dann zum Deutschen Reich gehörte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges siedelte die Kriegswitwe Rita Hetzer nach Deutschland in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) aus. Sie kam, zusammen mit ihrem späteren Mann, dem in Dachau inhaftierten und 1945 entlassenen Robert Schober, mit einem Antifa-Aussiedlungstransport 1946 nach Halle (Saale). Sie wurde an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) als wissenschaftliche Assistentin angestellt. Von 1940 bis 1945 hatte sie der NSDAP angehört, 1946 trat sie der SED bei. Mit der Berufung Victor Klemperers 1948 erhielt das romanische Seminar in Halle einen Lehrstuhlinhaber und Rita Schober, die in der französischen Sprachwissenschaft in Prag bei Erhard Preißig promoviert und in einem Luftschutzkeller bei Fliegeralarm ihre letzte Prüfung absolviert hatte, einen Literaturprofessor als Betreuer ihrer Habilitationsschrift zu Zola, die sie 1954 verteidigte. 1951 wurde sie nach Berlin berufen, arbeitete im Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen, um schließlich die Nachfolge Victor Klemperers am Berliner Romanischen Seminar zu übernehmen. Sie war eine der ersten Frauen mit Ordinariat an der Humboldt-Universität zu Berlin. Als solche prägte sie das wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Leben der Humboldt-Universität (HU), die Lehre sowie die Nachwuchsausbildung der Romanistik, auch über das Jahr 1978 hinaus, als sie emeritiert wurde. International und national wirkte sie in zahlreichen Gremien, darunter in der UNESCO und erhielt hohe staatliche Auszeichnungen, so den Vaterländischen Verdienstorden in Gold und die Palmes académiques des Französischen Staates in der Klasse des Chevalier. Ein Vertrag regelte außerdem bis 1989 ihren steten Einfluss auf die Entwicklungen am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität. Dann erlebte Rita Schober den dritten gesellschaftlichen Umbruch in ihrem Werdegang, das Ende der DDR und den Übergang in das Leben einer berenteten Wissenschaftlerin der DDR in der Bundesrepublik Deutschland. Sie war weiterhin aktiv, reflektierte die wissenschaftlichen und politischen Grundlagen ihres bisherigen Tuns, sie publizierte, erhielt Einladungen zu Vorträgen und Gastsemestern. Rita Schober starb im Dezember 2012 in Berlin, fast ein Jahr nach dem Tod ihres einzigen Sohnes.

Wolfgang Asholt ist es zu verdanken, dass Rita Schober kurz nach der Jahrtausendwende das Niederschreiben ihrer Vita in Angriff genommen hat. Man mag vermuten, dass es ihr am Herzen gelegen hat, von sich ein letztes Mal ein Bild für die Öffentlichkeit zu entwerfen. Diese Vermutung ist ebenso zutreffend wie die Spuren ihrer Widerstände gegen ein solches Vorhaben erkennbar sind. Im Resultat liegt ein Fragment vor, das viele Fragen aufwirft. Neben der Unvollständigkeit der vorliegenden Texte fällt dem eingeweihten Leser deren Heterogenität auf. Hat man stellenweise den Eindruck ein Geschichtsbuch, z.T. in belehrendem Ton geschrieben, oder einen Reiseführer mit vielen sachbezogenen Daten und Fakten zu lesen, so wird man zugleich Zeuge von Privatem und persönlichen Befindlichkeiten. Dieses Pendeln zwischen Sachbuch, autobiographischer Selbstdarstellung und Selbstbefragung macht den ambivalenten Charakter dieser Vita aus und der Adressat des Geschriebenen scheint zu wechseln. Dieser ambivalente Charakter verweist einerseits auf den Willen zur „Aufklärung“ und Selbstaufklärung am Ende des Lebens und macht die Grenzen derselben deutlich. Und wie so oft, ist das Gesagte auch in diesem Fall ein Zeugnis des Verdrängten und des Schweigens, des Nicht-Gesagten, des Nicht-Sagen Könnens. Hat dieses Schweigen mit dem Zusammenfallen einer „moralischen Schmerzgrenze (…) mit einer persönlichen Schamgrenze“ zu tun, wie 1999 Hans-Ulrich Gumbrecht die Situation so mancher Intellektueller in der DDR im letzten Viertel ihres Lebens zutreffend beschreibt?1

Rita Schober war eine dem Rationalen, dem Logos verpflichtete Wissenschaftlerin, deren Vorlieben in der Schulzeit auf Latein und Mathematik gerichtet waren. Studieren wollte sie Mathematik und Chemie, obgleich sie von Kind an Freude am Auswendiglernen literarischer Texte hatte. Ihre Liebe galt schon früh der Sprache und sie war, bis ins hohe Alter hinein empfänglich für ästhetische Genüsse.

Die Textsorte Vita stellte sie offenkundig vor bislang ungekannte Herausforderungen. Sie hat kein Tagebuch geschrieben, aber ihre Korrespondenz, auch die von ihr selbst geschriebenen Briefe, Arbeitspapiere und Notizen sorgfältig archiviert. Die Vita-Texte oszillieren zwischen dem Bemühen um eine positivistisch anmutende Faktentreue, die auch ihren wissenschaftlichen Arbeiten eigen war und den Versuchen, das eigene Leben in verschiedenen Facetten zu überschauen und zu durchdenken. Dabei stehen Systematisierungsversuche, die ihr Leben in gesellschaftliche Gegebenheiten und Prozesse einordnen und ihm Sinnhaftigkeit geben sollen, neben textuellen Versatzstücken, die sich einer solchen Systematisierung entziehen bzw. verweigern. Die Texte, die fast alle im letzten Lebensjahrzehnt verfasst sind, lassen sich als Selbstdokumentation einer erfolgreichen wissenschaftlichen Karriere lesen, die unter den Bedingungen des Nationalsozialismus und der DDR eng mit politischen Stellungnahmen verbunden war. Wie diese enge Verbindung von Wissenschaft, Lehre und Politik thematisiert bzw. ausgespart wird, entscheidet wesentlich mit über die persönliche Sinngebung des eigenen Lebens nach dem Ende der beiden Diktaturen. Die Suche nach überdauernden Wert- und Sinngrundlagen durchzieht explizit und implizit die Vita-Texte. Sie tragen zum einen jenen Bekenntnischarakter, der vom Wissen um die gesellschaftlich opportun gewordene Infragestellung von politischen Standpunkten und Werten zeugt, die nach 1989 vielen erzählten DDR-Biographien eigen und deshalb oft mit Rechtfertigungsdiskursen versehen ist. Spricht aus diesem Bekenntnischarakter zugleich Nachdenklichkeit und mitunter Trotz, so vermitteln manche Texte auch eine tiefe Trauer, Einsamkeit und die Suche nach Trost. Letzteren hat Rita Schober in den späten Lebensjahren auch im Katholizismus gesucht, der Religion, mit der sie in der Kindheit und im Jungendalter aufgewachsen war. Die Texte vermitteln diese Hinwendung zur Religion nur fragmentarisch und lassen Spielraum für Interpretationen. Dass sich ihr Wunsch nach einem traditionellen römisch-katholischen Begräbnis nicht erfüllt hat, gehört zu den tragischen Momenten ihres Lebens und verweist zugleich darauf, dass Rita Schober eine vielschichtige Persönlichkeit war. Der Gesang des Cavadossi aus der Oper Tosca von Puccini in der Trauerhalle während der weltlichen Begräbnisfeier spiegelt etwas von solcher Tragik, so wie sich das Volkslied S is Feieromd zum Ausgang und auf dem Weg zur Grabstelle mit der tiefen Verbundenheit zu ihrer sudetendeutschen Heimat und einem Rückblick auf ein arbeitsintensives Leben verbindet.

Der fragmentarische und so manche Widersprüche erhellende Charakter der Vita-Texte veranlasste mich als Herausgeberin, den Texten, die von Rita Schober als Vita gekennzeichnet sind, weitere Texte und einige Dokumente hinzuzufügen, die gesondert in einem zweiten bzw. dritten Teil des vorliegenden Bandes versammelt sind. Die meisten der Texte in Teil II haben mit den Texten der Vita des Teil I gemeinsam, dass sie Reflexionen enthalten, die Rita Schober nach 1989 in Briefen, Interviews und privaten Notizen hinterlassen hat. Diese Texte sind thematisch geordnet. Die thematische Struktur ist das Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit dem Nachlass Rita Schobers, der für den vorliegenden Band erstmalig erschlossen wurde. Er war noch nicht archivalisch bearbeitet. Die Themen schienen vor allem aus den von Rita Schober selbst sorgfältig archivierten Dokumenten aufzuscheinen. Intensive Recherchen in verschiedenen Archiven und Interviews mit Wegbegleitern Rita Schobers komplettierten die editorische Arbeit und den Kommentar.

Die Sicht der Herausgeberin auf die insgesamt 58 als Vita gekennzeichneten Texte und auf die weiteren aufgefundenen Dokumente sind in eine übergeordnete Fragestellung integriert: Wie schreibt man seine Lebensgeschichte nach tiefgreifenden gesellschaftlichen Systemumbrüchen? Diese Frage leitet den biographiewissenschaftlichen Kommentar in Teil II.

Insgesamt entstand ein Textensemble, das aufgrund des fragmentarischen Charakters manche Redundanzen enthält und durch die Textwahl und den Kommentar in Teil II auch den subjektiven Blick der Herausgeberin sichtbar macht. Dieser Blick ist nicht frei von persönlichen Erfahrungen mit Rita Schober im Kontext der DDR-Romanistik und in der Nachwendezeit, doch ist er unabhängig von einer Schüler- und direkten Kollegenschaft. Zudem unterhielt Rita Schober zur Kulturwissenschaft ein distanziertes Verhältnis, so dass die wissenschaftlichen Berührungspunkte gering blieben. (Siehe Teil II, Kapitel 9)

Mein Dank gilt allen voran Maria Schober, die mir die Rechte übertrug, bereits ab 2014 in den Nachlass Rita Schobers einzusehen und die hinterlassenen Texte ihrer Großmutter zu veröffentlichen. Im Zusammenhang mit der Erarbeitung des Teil II waren mir eine Reihe von Kollegen anderer Disziplinen mit ihrem fachlichen Rat wertvolle Gesprächspartner: die Historikerin Ulrike van Hoorn, die Wissenschaftshistorikerin Annette Vogt, sowie die Pschychologen Uwe Wolfradt und Franziska Röseberg. Die französische Literaturwissenschaftlerin und Komparatistin Aurélie Barjonet hat den gesamten Prozess meiner Annäherung an das Leben Rita Schobers und an ihre Persönlichkeit begleitet. Mit ihr habe ich wichtige Fragen, Zweifel und Hypothesen besprochen. Für diese intensiven Gespräche, ihre klugen Beobachtungen und ihren Rat bin ich zu tiefem Dank verpflichtet. Ebenso haben Wolfgang Asholt und Wolfgang Klein jeweils besonderen Anteil am Zustandekommen dieser kommentierten Vita. Von Wolfgang Klein erhielt ich das Material mit wertvollen Hinweisen und Wolfgang Asholt begleitete vertrauensvoll die verschiedenen Phasen der Arbeit, stets mit Hilfe seiner reichen Erfahrungen. In Ottmar Ette fand ich einen klugen Ratgeber für Entscheidungen, die sich einer Autorin beim Schreiben der romanistischen Fachgeschichte des 20. Jh. stellen. Zu den Wegbegleitern Rita Schobers, die mit mir Gespräche führten, gehören: Hans Klare, Edith und Horst Heintze, Hans-Otto Dill, Gerhard Schewe, Irene Selle, Ursula Bociort, Ilse Ennig, Angelika Klapper, Rösemarie Gläser, Francis Cloudon, René-Marc-Pille, Claude Duchet. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie Gerta Stecher und Horst Büttner, die mit Rita Schober die zitierten Interviews führten und mir für Gespräche zur Verfügung standen, wie auch dem Präsidenten der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Gerhard Banse, der mir den Zugang zum Material des letzten Interviews 2011 ermöglichte. Dietrich Mühlberg danke ich für Informationen zum Interview der Kulturwissenschaftler der Humboldt-Universität im Jahre 1995. Christian Löser, dem Herausgeber der Tagebücher Victor Klemperers bin ich zu Dank verpflichtet für Vorabinformationen und die Zusendung jener Ausschnitte aus den Tagebüchern von Victor Klemperer, die erstmalig 2018 mit Bezug auf Rita Schober erscheinen.

Ohne die Hilfe des an der Karls-Universität Prag tätigen Altphilologen Martin Bažil, der Übersetzungen aus dem Tschechischen übernahm, wäre die Brisanz der Dokumente, die im Teil II abgedruckt sind, im Dunkeln geblieben. Ihm danke ich für die großzügige und kompetente Unterstützung. Bei der editorischen Arbeit am Teil I, der Sichtung und detailgetreuen Zuordnung aller Textfragmente haben Ulrike Röseberg und Christine Köchy2 unverzichtbare und zuverlässige Hilfe geleistet, wie auch Françoise Bertrand durch eine gründliche Korrektur des Textes.

Mein Mann, der Künstler JoDD von Schaffstein, hat sich mit der Digitalisierung einzelner Dokumente und Fotographien in bestmöglicher Qualität befasst. Nicht zuletzt geht mein Dank an meine Freundinnen und meine Familie, die alle Phasen an dieser besonderen, nicht immer leichten Editionsarbeit, bei der auch schwierige Entscheidungen zu treffen waren, mit ihrem Interesse und durch Zuhören begleitet haben.

TEIL I VITA – EINE NACHLESE

1. Les origines oder der schwierige Anfang

Hierbei handelt es sich um die letzte Fassung vom 18.5.2009, die identisch ist mit einem Text vom 9.2.2008, bis auf einen Satz, der als Fußnote eingeschoben wird. Der Text vom 15.7.2006 wird durch die vorliegende Fassung vom 18.5.2009 lediglich ergänzt, bleibt jedoch weitgehend die Grundlage.

 

Die allgemeinen Voraussetzungen, die für einen Mensch bei seiner Geburt gegeben sind, kann sich niemand aussuchen. Zeit, Ort, Sprache, Land, die konkrete historische Situation, in die ein Kind hineingeboren wird, können sein späteres Leben entscheidend beeinflussen.

Ich wurde am 13. Juni 1918, in den letzten Wochen des Ersten Weltkrieges, in Rumburg, einer nordböhmischen, direkt an der Grenze zum Deutschen Reich gelegenen Kleinstadt geboren. Zu diesem Zeitpunkt gehörten die von Deutschen besiedelten Randgebiete Böhmens, die später unter dem Namen Sudetenland mehr unrühmlich als rühmlich in die Geschichte eingegangen sind, noch zu Österreich-Ungarn, schon wenige Monate später jedoch zu dem neu gegründeten tschechoslovakischen Staat.1 Dessen Führung lag mit Thomas G. Masaryk als Präsidenten und Edvard Benes als Außenminister in den Händen der tschechischen Nationalität. Und angesichts des prozentualen Verhältnisses zwischen den verschiedenen Volksgruppen und der Einbeziehung der deutschen Gebiete in diesen Staat gegen den Willen der dortigen Bevölkerung2 bestand von Anfang an die Gefahr neuer nationaler Auseinandersetzungen zwischen dem deutschen und dem tschechischen Bevölkerungsteil, wie sie schon im alten Österreich-Ungarn, vor allem seit 1848 von Seiten des tschechischen Teils gegen die österreichisch-deutsche Dominierung stattgefunden hatten. Damit war auch der Einmischung von außen, die Hitler nach 1933 mit Hilfe der sudetendeutschen Partei3 gezielt betrieb, ein Boden bereitet. Diese Vorgänge bestimmten in gewisser Beziehung die politischen und historischen Verhältnisse, unter denen meine Kinder- und Jugendjahre verliefen.

Für die konkrete Berufswahl eines Menschen kommt außer den äußeren Rahmenbedingungen als wesentlicher Steuerungsfaktor ein Zweites hinzu: das Elternhaus. Oft ist die Berufswahl selbst dadurch mehr oder weniger vorgegeben.

Später einmal Lehrer zu werden, war schon mein früher Kinderwunsch.

Lehrer hatten – ganz gleich, ob sie in der Volksschule oder im Gymnasium tätig waren – im Sommer zwei Monate Urlaub. Solch lange Zeit, über deren Verwendung man zunächst selbst verfügen konnte, aber war für meine Eltern, deren meist zwölfstündiger Arbeitstag Montag früh um acht Uhr begann und Samstag Abend um acht endete, ein kaum vorstellbarer Traum. Hinzu kam das soziale Prestige dieses Berufs. Lehrer und gar Gymnasiallehrer, die in Österreich-Ungarn und der daraus 1918 hervorgegangenen Tschechoslovakei Professoren hießen, genossen in einer Kleinstadt, wie in meinem Geburtsort, ein hohes Ansehen. Und da ich, soziologisch gesehen, aus einer kleinbürgerlichen Familie stammte, hatten meine Eltern den für diese Schicht begreiflichen Wunsch, dass es ihre Tochter im Leben einmal besser haben sollte als sie selbst. Der Lehrerberuf schien ihnen die dafür geeignete Laufbahn, zumal ich offensichtlich von klein an lernbegierig war.

Für ein gut erzogenes Kind gehörte es sich bei uns zu Haus zu irgendwelchen Geburts- oder Familientagen, Gedichte aufzusagen. Für mich konnten sie nicht lang genug sein. Je länger sie waren, umso lieber lernte ich sie. Doch das war nicht der einzige Anstoß für mein späteres literarisches Interesse. Mein Großvater, der als junger Mann mit einer Wandertruppe von zu Hause durchgebrannt und zeitweilig zur Bühne gegangen war, rezitierte noch im hohen Alter lange Passagen aus seinen ehemaligen Rollen, vor allem den Nathan aus Lessings Nathan der Weise und den Marquis Posa aus Schillers Don Carlos. Schiller war sein Lieblingsautor. Nachlesen jedoch konnte ich die von ihm rezitierten Texte nur in seinen Rollenbüchern, denn Bücher besaßen meine Eltern keine. So kam es, dass ich mir in einem Alter, wo es sich für ein junges Mädchen von vierzehn Jahren gehörte, an seine spätere Aussteuer zu denken, zu Weihnachten statt der obligatorischen Bettwäsche für den späteren Hausstand die Ausgaben der deutschen Klassiker, Schiller, Goethe, Lessing wünschte. Mein Vater kommentierte diesen Wunsch mit der kritischen Bemerkung, dass es mir später einmal am Nötigsten fehlen werde und ich als Taschentücher würde Buchseiten benutzen müssen.

Von meinem Großvater habe ich die Begeisterung für die Schönheit der Sprache gelernt. Wenn er den Prolog im Himmel aus dem Faust sprach, dann verwandelten Goethes wortgewaltigen Verse der Erzengel auf die unvergängliche Schönheit der Schöpfung „Die Sonne tönt nach alter Weise in Brudersphären Wettgesang…“ unsere sehr bescheidene Stube in die Unendlichkeit des Alls? Weltalls? für dessen kleinen Planeten Erde – wie ich aus heutiger Sicht hinzufügen würde – der Wortwechsel zwischen dem Herrn und dem Teufel eine neue Runde des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse ankündigte, der in der Tragödie erstem Teil mit der Schwerkraft eines unentrinnbaren Schicksals erneut seinen Lauf nimmt.

Zu diesen literarischen Anregungen kamen ästhetische für Farben und Formen durch meine Eltern. Mein Vater war Verkäufer und ein einfallsreicher Dekorateur in einem Modewarengeschäft und meine Mutter Schneiderin.

Sie war zwar eine sehr schlechte Geschäftsfrau, aber eine sehr gute Schneiderin, die die seltene Kunst des Schnitte-Entwerfens sich selbst beigebracht hatte und ihre Anregungen aus Wiener Modejournalen bezog. Diese bunten Bilderbücher, in denen es um die hohe Kunst des Nähens nach sorgsam ausgearbeiteten Modellen ging, und Vaters Auslagendekorationen waren meine Art von Initiation in die darstellenden Künste.

Meine Schulzeit verlief im Grunde problemlos. Nach vier Jahren Volksschule kam ich unter Überspringung der fünften Klasse, deren Lehrplan ich durch den gemeinsamen Unterricht der Vierten und Fünften in einem Jahrgang nebenbei mit absolviert hatte, in das deutsche Realgymnasium meiner Heimatstadt.

Beim Eintritt in das achtklassige Gymnasium gab mir meine Mutter gewissermaßen ein Ziel vor: ich müsste so gut abschneiden wie die beiden Brüder der jüdischen Familie Janowitz – ihnen gehörte das größte Modewarengeschäft im Ort – die alle Klassen in allen Fächern durchweg mit der Note Eins absolviert hatten.

Ich habe dieses Ziel erreicht und in der siebenten Klasse, dem vorletzten Gymnasialjahr, die anlässlich des fünfundachtzigsten Geburtstages von Masaryk herausgegebene Medaille als beste Schülerin des ganzen Gymnasiums erhalten und das Abitur – in der CSR hieß es die Matura – 1936 mit Auszeichnung bestanden.

Meine Lieblingsfächer waren von der ersten bis zur letzten Klasse Latein und Mathematik, wozu in der Oberstufe noch Chemie kam. In Latein und Mathematik hatte ich zudem fachlich hervorragende Lehrer, Prof. Öhlert und Prof. Langhans, die zugleich ausgezeichnete Pädagogen waren. Ihnen verdankte ich in erster Linie die Schulung meines logischen Denkvermögens und meines Interesses für komplizierte Fragestellungen. Die in der lateinischen Grammatik erworbenen Schulkenntnisse waren der feste Grundstock für mein späteres Lateinstudium. An eine Mathematikstunde aber erinnere ich mich heute noch, weil sie gewissermaßen ein Probefall für spätere Berufserfahrungen war. Es gab in meiner Klasse drei gleich gute Mathematiker, zwei Jungen und mich. Beim Übergang zur darstellenden Geometrie rief Prof. Langhans uns drei in einer der ersten Stunden gemeinsam an die Tafel, stellte uns eine Aufgabe und sagte zu mir: “Nun werden wir doch einmal sehen, ob Du jetzt auch noch so gut bist wie deine beiden Mitschüler.“ Räumliches Vorstellungsvermögen war nach seiner Ansicht bei Jungen besser ausgebildet. Es blieb bei diesem einen Test, denn er brachte nicht das erwartete Ergebnis.

Daß ich nach dem Abitur in Prag an der Deutschen Universität4 studieren und „Gymnasialprofessor“ werden wollte, stand für mich und meine Eltern fest. Die Frage war aber wie. Denn meine Eltern konnten das Studium nicht finanzieren. Vater war schon seit zwei Jahren arbeitslos. Und Mutters Verdienst aus der Schneiderei reichte gerade fürs tägliche Leben. Nun hatte ich aber seit meinem vierzehnten Lebensjahr Nachhilfestunden gegeben. Im Abiturjahr waren es sieben Schüler pro Woche. Das davon zusammengesparte Geld war ein kleiner Stock, der für die je vier Monate pro Semester vier Jahre lang eine kleine Summe sicherte. Zusammen mit der durch Spendensammeln selbst zu beschaffenden Unterstützung durch den örtlichen Akademikerverband und das durch Prüfungsleistung auch für Deutsche zu erreichende staatliche Stipendium pro Semester und weitere Nachhilfestunden während des Studiums und in den Ferien schien dieser Wunsch realisierbar. Das bedeutete allerdings, die Studienzeit von vier Jahren unbedingt einzuhalten und 1940, als Voraussetzung für eine Einstellung mit einem möglichst guten Staatsexamenszeugnis, abzuschließen.

Die schwierige Wahl der künftigen Studienfächer erleichterte für Lehramtsanwärter, im Hinblick auf die Aussicht, mit dem fertigen Studium auch tatsächlich eine Anstellung zu finden, in der CSR ein Amtsblatt, worin die in den nächsten Jahren freien Stellen aufgelistet waren. Dadurch ergab sich für mich die Notwendigkeit, Latein und Französisch zu wählen, obwohl ich, trotz meiner Liebe für Sprachen und Literatur, eigentlich lieber Mathematik und Chemie studiert hätte.

Doch all diese vorsorglichen Überlegungen und Planungen gerieten wie Treibholz in den Mahlstrom der Geschichte.

Am 14. Dezember 1935 war Masaryk, der Philosoph auf dem Präsidentenstuhl, im Alter von 85 Jahren zurückgetreten. Vier Tage danach wurde Benes zu seinem Nachfolger gewählt. Er galt als der Vertreter einer unnachgiebigen Linie in der Nationalitätenpolitik gegenüber den Sudetendeutschen.5

Die Lage in deren Gebieten hatte sich aber bereits seit Anfang der dreißiger Jahre durch die allgemeine Wirtschaftskrise mit dem Sinken der Industrieproduktion und wachsenden Arbeitslosenzahlen drastisch verschärft.6 Und ähnlich wie vor 1933 in Deutschland brachte auch in den Sudeten die schwierige ökonomische Lage und die Verlockung des anscheinenden „Wirtschaftswunders“ der durch Hitler in Deutschland – wie die spätere Geschichte zeigt, der Vorbereitung eines Krieges dienenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wie Autobahnbau und Rüstungsproduktion – beseitigten Arbeitslosigkeit der Partei Henleins immer mehr Anhänger.

In steigendem Maße fanden seine Anschlußforderungen, die „Heim ins Reich Parolen“ offene Ohren.7 Die sich aggravierenden politischen Gegensätze vergifteten oft selbst das Privatleben der Familien. Auch meine Eltern blieben davon nicht verschont. Da mein Vater ein überzeugter Gegner Hitlers war, zerbrach die Freundschaft mit seinem besten und ältesten Freund an dessen durch Geschäftsinteressen plötzlich aufgekommenen Enthusiasmus für Hitler. Eine Hurra-Begeisterung für Hitler und Henlein gab es in unserer Familie jedenfalls nicht.

Als ich 1936 das Studium in Prag aufnahm, erlebte ich in meinem Freundeskreis die nationalistische Auseinandersetzung unter den Studenten vor allem im Zusammenhang mit dem längst entschiedenen Streit um den Namen Karlsuniversität, den nur die tschechische Universität führen durfte8. Natürlich blieben mir auch die häufigen Randale um das Deutsche Haus am Graben oder um das deutsche Studentenheim nicht verborgen. Aber in dem katholischen Mädcheninstitut Svaté Notburgy in der Sporkgasse, in dem ich untergekommen war, hatten wir zu Viert – zwei tschechische und zwei deutsche Mädchen – ein gemeinsames Studierzimmer und ein freundschaftliches Zusammenleben. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass es bei den Altphilologen Aufforderungen gegeben hätte, die Vorlesungen unseres jüdischen Professors Adler9 zu sabotieren. Die Prager deutsche Universität, war ja wie die Tschechoslovakei überhaupt, für viele deutsche und auch jüdische Emigranten zumindest bis 1938/39 ein Zufluchtsort gewesen.

Dennoch prägten die politischen Auseinandersetzungen dieser Jahre das allgemeine Klima mit einem Gefühl der inneren Unsicherheit und Zukunftsangst.10 Doch mit kaum zwanzig überwiegt das natürliche Lebensgefühl der Jugend, und ich war jung, noch nicht einmal zwanzig, und zum ersten Mal unsterblich verliebt.

Die Studienorganisation an der Deutschen Universität in Prag sah für Schulfächer nach vier Semestern die Erste Staatsprüfung vor, deren Bestehen die Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums war. Eine in doppelter Hinsicht kluge Anordnung. Sie zielte einmal auf ein geordnetes Studium und die Aussonderung von Kandidaten, die für das Fach oder generell für das Studium ungeeignet waren. Sie eröffnete mit ihrer Ablegung aber auch vorzeitigen Abgängern die Möglichkeit eines reduzierten Einsatzes als Lehrer und damit trotz Abbruch – ganz gleich aus welchen Gründen – eine, wenn auch begrenzte, berufliche Chance.11

Während der Sommermonate 1938 habe ich mich – trotz aller Beunruhigung durch die bereits extrem kritische politische Situation und die steigende Angst vor dem Ausbruch eines Krieges – mit allem Fleiß und aller Konsequenz vorbereitet, um diese erste Staatsprüfung zu Beginn des Wintersemesters Anfang November gut zu bestehen.

Am 29./30. September fand die Münchner Konferenz statt und am 1. Oktober begann der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sudetengebiete. Es war im Grunde der Auftakt für den Zweiten Weltkrieg.

Was nun? Die Situation war völlig unübersichtlich. Würde es noch eine offizielle Regelung für die nun vom tschechischen Gebiet abgeschnittenen deutschen Studenten geben, um wenigstens die fälligen Prüfungen an der Prager Universität als Ausweis für die studierten Semester ablegen zu können?

An ein unmittelbares Weiterstudium war unter den gegebenen Umständen nicht mehr zu denken. Das Studiensystem der Deutschen Universität in Prag war dem alten österreichischen nachgebildet und unterschied sich von der reichsdeutschen Studienorganisation, z.B. schon in der Zahl der Fächerkombinationen.12 Ein dementsprechend notwendiges Umsatteln hätte auf jeden Fall eine Verlängerung bedeutet. Aber die Frage stellte sich überhaupt nicht, denn alle meine finanziellen Voraussetzungen, staatliches Stipendium und mein Spargeld, waren nicht mehr vorhanden. An ein Stipendium war – unter den neuen Bedingungen aus politischen Gründen – nicht zu denken und mein Spargeld war bei dem durch die „Befreier“ festgesetzten amtlichen Umtauschsatz der tschechoslovakischen Krone in Reichsmark von 10 zu 1 – der zwischenstaatliche offizielle Satz betrug schon vorher entgegen der realen Kaufkraft 8 zu 1 – schlicht und einfach zu Nichts zusammengeschmolzen.

Dreihundert Kronen pro Monat waren alles in allem meine Geldgrundlage gewesen. Damit konnte man mit einigen Nachhilfestunden und hie und da ein paar Kronen Taschengeld von den Eltern oder Verwandten im Monat bescheiden hinkommen. Mit 30 Reichsmark pro Monat, hätte ich sie überhaupt gehabt, jedoch nicht.

Geldumtauschaktionen haben für die davon Betroffenen so ihre speziellen Seiten. Ich ahnte damals noch nicht, dass ich deren noch weitere erleben würde. Diese allerdings war die radikalste.

Um meinen Eltern nicht zur Last zu fallen, mußte ich mir eine Arbeit suchen. Ich nahm ab 1. Januar 1939 eine Stellung als Hauslehrerin für ein behindertes Kind bei einer Familie im „Altreich“ an. Anfang März 1939, noch vor dem Einmarsch der reichsdeutschen Truppen am 15. März in das verbliebene tschechische Gebiet und der Errichtung des Reichsprotektorats Böhmen und Mähren, eröffnete sich die Möglichkeit, die noch offene Erste Staatsprüfung in Prag abzulegen. Dank des Entgegenkommens meiner Arbeitgeber – die mir die dafür notwendigen Tage frei gaben und auch das notwendige Fahrgeld schenkten – konnte ich sie wahrnehmen und mit dem Ergebnis „sehr gut bestanden“ und der damit verbundenen begrenzten Lehrberechtigung zurückkehren.

Durch Zufall traf ich 1940 im Sommerurlaub bei meinen Eltern meinen früheren Gymnasialprofessor für Deutsch. Durch seine Hilfe bekam ich ab Oktober 1940 eine Stelle als Aushilfslehrerin an der Oberschule für Jungen in Warnsdorf, einem Nachbarort meiner Heimatstadt. Lehrer waren infolge des seit dem 1. September 1939, dem Angriff auf Polen13, tobenden Krieg, inzwischen rar geworden.

In denselben Monat Oktober 1940 fiel auch meine Verheiratung mit meiner Jugendliebe aus der Studentenzeit – während eines kurzen Fronturlaubs. In der mörderischen wochenlangen Kesselschlacht um Stalingrad endete meine erste Ehe.

Als ich die Vermisstenmeldung mit Datum vom 13. Januar 1943 bekam, gab es aus diesem Zusammenbruch meines Lebens eigentlich nur noch einen Ausweg, auf den mich mein Vater mit liebevoller Eindringlichkeit verwies: weiterstudieren, das Studium an der Prager Universität nach der begonnenen Studienordnung zum Abschluß bringen, wenigstens versuchen, die Grundlage für ein mögliches, späteres Berufsleben zu legen.

Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, meinen Mann im wissenschaftlichen Bereich ersetzen zu müssen. Er hätte in der Anglistik eine Hochschullaufbahn vor sich gehabt, wäre der Krieg nicht dazwischen gekommen. Wenigstens das Doktorat zu erwerben, hielt ich fast für eine Pflicht meinem vermißten Mann gegenüber. Als Fach kam nur mein Hauptfach Romanistik in Frage, da mir für ein Doktorat in Altphilologie das notwendige Gräzistikstudium fehlte. Ich hatte nur das kleine Gräcum, als Bedingung für mein Lateinstudium, abgelegt.

Doch das Prag, auf das ich im Frühjahr 1943 stieß, war nicht mehr das Prag meiner ersten Semester. Durch die Errichtung des Protektorates und die Schließung der Karlsuniversität für tschechische Studenten hatte sich die Situation völlig verändert. Die deutschen Uniformen passten nicht in das altgewohnte Stadtbild und auch an der verbliebenen deutschen (Karls-)Universität waren – wie schon vorher in den sudetendeutschen Gebieten – für die führenden Ämter neue Köpfe aus dem Altreich aufgetaucht.14 In der Romanistik war Prof. Preißig zwar Institutsleiter geblieben, doch in der Altphilologie hatte sich die Situation sehr verändert. Auf die Stelle von Prof. Adler15, bei dem ich noch 38 über ein fünfstündiges Kolleg kolloquiert hatte, war ein reichsdeutscher Dozent, der Altphilologe aus Würzburg, Herr Stegemann16 gesetzt worden und Prof. Theodor Hopfner,17 der bis 38 vor allem die Gräzistik vertreten hatte und sich mit Ägyptologe als Hobbyfach beschäftigte, hatte nun die Hauptvorlesung auch für Latein übernommen.

Am Ende des Sommersemesters 1944 legte ich die Zweite Staatsprüfung ab. Diesmal nur mit gut. Mein Antrag auf ein weiteres Studiensemester zur Fertigstellung der mit der Staatsexamensarbeit begonnenen Dissertation wurde jedoch abgelehnt. Ein neuer Schlag.

Zum Glück konnte ich wenigstens der staatlichen Referendarausbildung entgehen und wieder an der Warnsdorfer Oberschule auf Anforderung durch deren Direktor als Aushilfslehrerin anfangen. Hilfe kam auch von meinem Doktorvater Prof. Preißig. Er wandte sich an meine Schulleitung und bat für mich um stundenmäßige Entlastung. Doch die anfänglich gewährte Reduzierung meines Unterrichts auf vier Wochentage musste schon nach ganz kurzer Zeit auf Anweisung der übergeordneten Schulbehörde in Aussig aufgehoben werden zugunsten voller „Auslastung“ – wie es wörtlich hieß – und das bedeutete sechs volle Wochentage mit je fünf Stunden. Es war der zweite Stolperstein auf meinem Weg zum Doktorat.

Mein Arbeitstag begann früh um sechs Uhr, Busfahrt nach Warnsdorf zur Schule, fünf Stunden Unterricht (Acht bis Eins), Busfahrt zurück, Vorbereitung für den nächsten Schultag, Weiterschreiben an der Diss., Ende um Mitternacht. Zum Glück war ich ein Nachtarbeiter. In meiner späteren Hochschullaufbahn wurde Nachtarbeit sowieso die ständige Regel.

Prof. Preißig hatte mir in Erweiterung meiner Staatsexamensarbeit als Doktorthema die Entwicklung des Suffixes -age aus der lateinischen Wurzel -aticus bis zur Gegenwart gegeben. Parallel dazu ließ er eine Kommilitonin, Frau Bauer, über das Suffix -ment arbeiten. Preißig hatte angesichts des allgemeinen ideologischen Zwanges – ob bewusst oder unbewusst vermochte nur er selbst zu sagen – davon freie sprachwissenschaftliche Themen als Zentrum seiner Projekte gewählt. Da Frau Bauer und ich dieselben Lexika und Bücher brauchten und das Institut bereit war, uns diese bis zur Fertigstellung der Dissertationen nach Hause auszuleihen, zog Frau Bauer vom Sommer 1944 an zu mir nach Rumburg. Es begann ein gemeinsamer Wettlauf mit der Zeit, wenn auch unter sehr verschiedenen Bedingungen. Weihnachten war der Kampf mit den übervollen Zettelkästen beendet und wir konnten die fertigen Arbeiten einreichen.

Nach deren Annahme wurden die mündlichen Prüfungen für das Doktorat auf Anfang Februar 1945 festgesetzt. Dabei drohte jeden Tag der völlige Zusammenbruch des „tausendjährigen Reiches“. Die sowjetische Front war zu diesem Zeitpunkt Rumburg bereits so nahegerückt, dass mich auf dem Bahnhof bei meiner Abfahrt nach Prag Kanonendonner begleitete. Ob ich überhaupt würde zurückkommen können, wusste ich nicht. Und so verabredete ich mit meinen Eltern einen Treffpunkt bei meinen Schwiegereltern. In meinem Koffer hatte ich das Nötigste an Wäsche und Kleidung, je eine Garnitur für Sommer und Winter und – ja, es ist aus heutiger Sicht kaum zu fassen, dass man daran überhaupt noch denken konnte – mein Promotionskleid, das meine Mutter aus altem Stoff gezaubert hatte.

Die Promotionsordnung sah für das Doppelfach Romanistik – in meinem Fall Französisch und Italienisch – ein zweistündiges Rigorosum vor. Das bedeutete für mich französische und italienische Literatur- und Sprachgeschichte, letztere unter Einschluß von Altprovenzalisch und Altkatalanisch und für Latein ein einstündiges Rigorosum nach thematisch freier Wahl des Prüfenden. Zur vollen Altphilologie hätte analog zur Romanistik als zweites Fach noch Griechisch gehört. Ich hatte aber nur Latein studiert.

Die Prüfungen fanden im Luftschutzkeller statt, denn es war Fliegeralarm und es war auch mein erster unmittelbar selbst erlebter Bombenangriff. Doch an der Prüfungsdauer änderte das nichts und Prof. Hopfner jagte mich die volle Zeit durch die lateinische und griechische Metrik. Als wir nach Entwarnung wieder aus dem Keller auftauchten, brannte Prag an einer Reihe von Stellen. Bisher war es von Bomben immer verschont geblieben.

Am nächsten Morgen ging ich wegen des feierlichen Promotionstermins ins Dekanat. Da eröffnete mir der Dekan, Hans Joachim Beyer, SS-Obersturmführer und Ordinarius für Volkslehre und Nationalitätenkunde Osteuropas seit 194318, dass ich noch eine Griechisch-Prüfung absolvieren müsste. Ansonsten wären die Rigorosen ungültig. Für diese Auflage gab es keine juristische Grundlage, es war ein reiner Willkürakt. Noch ein Stolperstein! Dank meines energischen Hinweises darauf, dass ich nur Latein und nicht Altphilologie als volles Fach studiert habe, war er nach längerer Verhandlung bereit, diese Prüfung, bei deren Forderung er blieb, wenigstens in eine Zusatzprüfung in Mittellatein umzuwandeln, der ich mich ohne die Möglichkeit weiterer Vorbereitung unterziehen musste. Zum Glück hatte ich an einem Editionsseminar der Reparatio calendarii von Cusanus teilgenommen und auch durch die Dissertation aus sprachwissenschaftlicher Sicht von Mittellatein eine gewisse Ahnung. Mein Prüfer, Prof. Blaschka, ließ, durch meinen Doktorvater über den Hergang informiert, Milde walten. Doch das bis dahin feststehende „summa cum“ war dahin. In der gegebenen Lage jedoch – ein völlig unwichtiges Detail.

Dafür aber überraschte mich Prof. Preißig nach der feierlichen Promotion, an der er selbst für seine beiden Kandidaten (Frau Bauer und mich) als Promotor mitgewirkt hatte, mit dem Vorschlag, bei ihm weiterzuarbeiten mit dem Ziel, die Hochschullaufbahn anzustreben. Der wissenschaftliche Weg, für den mein Mann als Anglist vorgesehen war, sollte für mich möglich sein? Ich war völlig durcheinander. Preißig sah das wohl und beruhigte mich. Für eine Hochschullaufbahn bedürfe es zweier Voraussetzungen: es müsste einem hie und da etwas einfallen. Und er sei sicher, mir würde etwas einfallen. Und man müsste jemanden haben, der einen schiebe. Und er werde mich schieben. (Sic!) Und um dem Ganzen gewissermaßen eine sichernde Basis zu geben, schlug er mir die Aufnahme einer Arbeit zur Namengebung im Altprovenzalischen vor. Ich sollte zunächst an Hand des Wörterbuchs von (…) schon einmal anfangen, wobei man bei einer Arbeit möglichst zugleich das Material für eine zweite sammeln müsse. Über welche, darüber könnten wir uns ja noch verständigen. Und er werde sich wieder an meine Schule wenden und um Verständnis für meine neue wissenschaftliche Aufgabe bitten.

Auch dieser Traum ging, wie schon vorher meine nur aus Briefen, Warten und Angst bestehende Kriegsehe, blutig zu Ende. Prof. Preißig kam in den schweren politischen Wirren in Prag am Ende des Krieges ums Leben.

Die Repressionen der deutschen Besatzer gegenüber der tschechischen Bevölkerung im Reichsprotektorat – in der Umgangssprache der Tschechen hieß es „Pro tentokrat!“ „Für diesmal“ – erzeugten, wie immer in der Geschichte, als Reaktion die gleichen Gewalttaten von der anderen Seite. Ich höre noch den Aufschrei des Entsetzens meines Vaters, als die Nachricht des grauenvollen Massakers von Lidice (10. 06. 1942), der „Vergeltungsaktion“ wegen des Anschlags auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich am 26. Mai 1942, über die Sender ging. Lidice war das tschechische Oradour (10.06.1944). „Es ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muß gebären.“

Doch wenn ich an mein Gespräch mit Preißig denke – welche Illusionen auf deutscher Seite noch im März 1945, zwei Monate vor dem Kriegsende – dem endgültigen Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes und der völligen Unsicherheit aller künftigen politischen Regelungen und staatlichen Verhältnisse. Welch eine politische Blindheit !

Frage ich mich aus meiner jetzigen Sicht im Rückblick auf meine Prager Studienzeit, welches wissenschaftliche “Startkapital“ sie mir gegeben hat, so würde ich sagen, zunächst einmal eine positivistische, auf Faktenerhebung ausgerichtete Wissenschaftsorientierung. In diese Richtung ging meine Doktorarbeit, deren Verdienst auf Fleiß und Ausdauer beruhte, nicht auf theoretischer Durchdringung. Aber so waren auch Preißigs sprachwissenschaftliche Seminare angelegt. Sie beruhten auf dem sprachhistorischen Stand der Junggrammatiker. Von einem Einfluß der geradezu revolutionären tschechischen Linguistikschule, die weit über das eigene Land hinausstrahlte, war in Preißigs Vorlesungen leider nichts zu spüren. Dabei wurde der 1926 gegründete Cercle linguistique de Prague (Prazský linguistický krouzek), dem der schon 1915 gegründete Moskauer Linguistenkreis als Vorbild gedient hatte, die Wiege des ganzen europäischen Strukturalismus. Daß ich Jakobson, die Zentralfigur beider Kreise, Anfang der sechziger Jahre durch einen glücklichen Zufall bei einem Gastvortrag in Rumänien kennenlernte, wodurch meine bisherige theoretische Ausrichtung grundlegend beeinflusst wurde, war gewissermaßen ein spätes Korrektiv dieses Ausbildungsdefizits. Dieser Begegnung dankte ich meine Bekehrung zum Strukturalismus.

In die positivistische Richtung rational-logischer Erkundung wiesen auch die großen Vorlesungen in Latein von Prof. Adler. Den größten Raum bei der Darstellung der Werke eines Dichters nahmen bei ihm immer die ein, von denen nur Bruchteile überliefert waren, oder die man nur aus anderen Zeugnissen in mühseliger Kleinarbeit erschließen konnte.

Was in der Sprachwissenschaft angesichts der in Prag vorhandenen neuen Theorien als Mangel erscheint, war in der von Preißig geübten Literaturgeschichte eher ein Vorteil. Ich habe bei ihm den viersemestrigen Kurs zum neunzehnten Jahrhundert mit Übergang zum zwanzigsten vor 1938 und 1943/44 gehört. Er unterschied sich in Nichts. Theoretisch beruhte er beide Male auf Montesquieus Klimatheorie zur Erklärung der poetischen Eigenart eines Dichters. Welch ein Vorteil nach 1938 angesichts der offiziell geforderten Literaturgeschichtsschreibung, die sich im Dritten Reich auf die Rassentheorie zu stützen hatte. Davon war bei Preißig aber keine Rede. Und noch etwas dankte ich seinem Faktenfetischismus: einen festen Grundstock der wichtigsten Jahreszahlen, Autorennamen und Werktitel der französischen Literaturgeschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Deren Kenntnis musste in einer Aufnahmeprüfung für das Proseminar nachgewiesen werden, sonst konnte man diese Veranstaltung nicht besuchen. Für die Aufnahme ins Oberseminar war ebenfalls eine Prüfung, diesmal in Altfranzösisch gefordert.

Emotional den größten Eindruck von allen Vorlesungen, die ich in Prag gehört habe, hinterließen bei mir die unseres Italienischprofessors Bischof über Dante aus den Jahren 1936-1938. Sie fanden in den Abendstunden in einem alten Kloster auf der Kleinseite statt. Schon der Weg dahin und die Atmosphäre in dem Raum waren ein besonderes Erlebnis. Und eine solche Bezauberung durch die Sprache habe ich nie wieder erfahren, denn Bischof zelebrierte förmlich Dantes Verse wie ein Evangelium. Diesem Hochschullehrer, dem seine Schüler alles bedeuteten – er war Junggeselle – verdankte ich auch mein erstes Italienerlebnis und damit verbunden das Kennenlernen meiner Jugendliebe, meines späteren, in Stalingrad verschollenen ersten Mannes.

Jedes Jahr zu Ostern organisierte Prof. Bischof für seine Studenten eine Exkursion nach Italien, für die er die notwendigen Gelder durch Spenden von Firmen und sonstigen Stellen zusammenbrachte. Die besten und ärmsten Studenten der Italienischkurse wurden umsonst mitgenommen. Und so reiste ein buntes Völkchen von etwa 25 Teilnehmern, Romanisten, Kunsthistorikern, Altphilologen und Archäologen durch die wichtigsten Städte der Toskana mit Florenz als Zentrum und Venedig als Abschluß und lernte bei der Führung durch die verschiedenen Museen, stets unter Leitung eines sachkundigen Kunsthistorikers, mehr als manchmal in einem ganzen einschlägigen Fachsemester.

Eine wissenschaftliche Leerstelle blieb für mich in Prag jedoch die philosophische und pädagogische Grundausbildung. Dabei galt schon in der Oberstufe des Gymnasiums dem philosophischen Propädeutik mein größtes Interesse. Eigentlich wollte ich immer wissen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. In den ersten Studiensemestern hatte man obligatorisch in Philosophie die Hauptvorlesung für alle Fächer und in Pädagogik die entsprechenden Seminare zu belegen. Für die obligatorische Vorlesung des Philosophen Oskar Kraus,19 der sich redlich mühte, uns den philosophischen Gehalt des Taoismus deutlich zu machen, aber fehlte es mir im Alter von mit kaum zwanzig Jahren an der nötigen geistigen Reife und gegen die vor 1938 agnostizistischen Spielereien und danach ideologisch angepaßten pädagogischen Seminare von Prof. Ernst Otto empfand ich geradezu einen inneren Widerstand.

Vielleicht erklären dieser Ausbildungsgang und die historischen Ereignisse jener Jahre meine spätere Aufnahmebereitschaft für eine umfassende Welterklärung in soziologischer und philosophischer Hinsicht, wie der Marxismus sie anbot.

Das Kriegsende erlebte ich in Rumburg, zunächst mit dem Durchzug polnischer, dann sowjetischer Truppen, denen schließlich die tschechisch-slovakischen Svobodatruppen in schwarzen Uniformen folgten und mit ihnen die gewaltsamen Aussiedlungsaktionen.

Nach der Aussiedlung in die sowjetische Besatzungszone im März 1946 kam ich schließlich nach Halle und hatte die Chance, in der dortigen Universität eine Assistentenstelle zu bekommen. Doch das Romanische Institut, an dem ich angestellt wurde, war von Hochschullehrern völlig verwaist20 und seine Bibliothek zudem noch ausgelagert. Als Erstes galt es also, die Bücher aus den Salinen herauszuholen und wieder aufzustellen, um überhaupt die Grundlage für die mögliche Aufnahme eines Lehrbetriebs zu schaffen.21 Das Wichtigste dafür aber war die Berufung einer ausgewiesenen und erfahrenen Lehrkraft. Nur dann bestand auch für mich vielleicht die Möglichkeit einer weiteren wissenschaftlichen Qualifizierung, vor allem aber die Möglichkeit noch etwas zu lernen. Am 15. 07.1948 wurde Victor Klemperer22 berufen und das Seminar hatte nach dreijähriger Vakanz wieder einen Direktor und das Fach einen Ordinarius.

Wenn ich mich heute – ich bin vor kurzem Achtundachtzig geworden – im Rückblick frage, welche Begegnungen, welche Menschen, welche Erlebnisse meine Entwicklung und meinen Werdegang nach 1945 entscheidend bestimmt haben, so sind es folgende:

für die menschlich-politische Seite die Begegnung mit meinem zweiten Mann Robert Schober, für die wissenschaftliche Laufbahn die Begegnung mit Victor Klemperer, für die theoretische Ausrichtung meine Teilnahme am Sonderlehrgang für Dozenten des historischen und dialektischen Materialismus in Kleinmachnow im Sommer 1948.

Robert Schober habe ich in Rumburg Weihnachten 1945 im Sekretariat der tschechischen kommunistischen Partei kennengelernt, wo ich seit September als Sekretärin arbeitete. Er war nach langer Haft seit Oktober 1938 in Bautzen, Dresden, Dachau, einem Kriegseinsatz 1944 in Ungarn, aus anschließender sowjetischer Gefangenschaft als krank entlassen, auf Umwegen über Wien nach Hause gekommen. Wir waren mit demselben Zug ausgesiedelt. Er mit seiner Mutter – sein Vater war 1944, wie die meisten ehemaligen kommunistischen Funktionäre nach dem 20. Juli, dem Anschlag auf Hitler verhaftet worden und im Dezember umgekommen. Ich mit meiner Mutter, mein Vater war im Dezember 1945 nach einer Bruchoperation an Sepsis gestorben.23 In Halle trafen wir uns wieder. Was lag näher, als dass wir uns gegenseitig halfen?

Kartoffeln mussten gestoppelt oder irgendwo vom Lande herbeigeschafft, Kohlen im Tagebau bei Halle gebrochen und Baumstümpfe in der Hallenser Heide als Feuerholz geholt werden.

Sicher mußten solch elementare Fragen des einfachen Überlebens die meisten Deutschen in den ersten Nachkriegsjahren lösen. Aber für Aussiedler, die nichts zum Tauschen hatten, waren sie unter den herrschenden urzeitlichen Bedingungen des elementaren Warentauschs jener Jahre noch etwas schwieriger zu bewältigen. Unter solchen Verhältnissen lernt man den wirklichen Charakter eines Menschen kennen. Robert war hilfsbereit, zuverlässig, vor allem aber gut im umfassenden Sinne des Wortes, moralisch und emotional. Hinzu kam seine aufrechte politische Haltung. Von Jugend an kommunistisch erzogen, Anhänger der Naturfreunde-Bewegung, war seine politische Überzeugung klar, kompromisslos, aber nicht engstirnig. Er hatte in den Haftjahren viel Schlimmes erlebt, aber nur selten sprach er darüber. Große Worte waren nicht seine Sache.

Er verkörperte für mich mit seinem Leben und seinem Charakter das moralische Antlitz des Sozialismus.

 

In einem weiteren Text vom 28.7.2006 sind unter dem Titel „Prager Professoren“ Informationen versammelt, die Rita Schober über ihre Professoren und die von ihr belegten Veranstaltungen notiert. Sie hatte hierfür Kontakt zu Hans-Rutger Hausmann aufgenommen. Der Text enthält folgende Informationen:

 

Maximilian Adler, geb. 1884 in Budweis. 1930 Dozentur für Latinistik in Prag, 1944 in Auschwitz umgekommen, Hauptwerk: Studien zu Philon v. Alexandria

Ich: WS 36/37, 2-stündiges Latein-Proseminar

WS 37/38, 3-stündige Vorlesung zu Ovid

SS 38, 5-stündige Vorlesung zur Römischen Literatur

 

Theodor Hopfner, geb. 1886 in Trautenau, umgekommen 1946 in Prag (Selbstmord?) Prof. am Orientalischen Seminar für Religionsgeschichte

1943 Auftragsarbeit! „Die Judenfrage bei Griechen und Römern“ Akademieschrift

Ich: WS 37/38, 2-stündiges Latein-Proseminar

SS 38, 2-stündiges Latein-Proseminar

SS 43, lateinische Stilübungen, Referat Aeneis II

WS 1944 lateinische Stilübungen

WS 1944 Seminar über Petronius. Referat über Petronius, Leben und Werk.

 

Oskar Kraus, geb. 1889 in Sudeten, Dr. jur., ord. Professor für Philosophie 1916 in Prag, 1922 Dekan der Philosophischen Fakultät

1939 verhaftet, kann nach England ausreisen, stirbt 1942 in Oxford. Wichtigste Publikation 1934: Wege und Abwege der Philosophie.

Ich: WS 36/37, 4-stündige Vorlesung: Wert, Recht und Macht.

 

Friedrich Sloty: Prof. für allgemeine und vergleichende Indogermanistik

1881 geb. in Brieg b. Breslau, Todesdatum unbekannt

1924 AO. Prof. in Prag, später O. Prof.

1938 Publikation: Einführung ins Griechische

Ich: WS 36/37, 2-stündiges Indogermanisches Proseminar

 

Erhard Preißig, geb. 1889 in Prag, Tod 1945 in Prag, soll an der Tür seines Hauses erschossen worden sein. AO. Prof.24

1942 im Rahmen des Kriegseinsatzes der Romanisten schreibt er die Publikation: Die französische Kulturpropaganda in der CSR

2. Die Grundlagen meines wissenschaftlichen Werdegangs und meine Arbeit als Hochschullehrerin

Dieses Kapitel besteht aus mehreren Texten, die in unerschiedlichem Grade abgeschlossen bzw. verdichtet sind. Bei dem ersten Text handelt es sich um die im Archiv aufgefundene Schlussversion zu Rita Schobers Beitrag in dem von Klaus-Dieter Ertler 2011 herausgegebenen Band „Romanistik als Passion. Sternstunden der neueren Fachgeschichte II“.1 Der Text ist mit dem Datum 3.6.2011 versehen. An ihm hat Rita Schober insbesondere seit 2010 gearbeitet, wie einige Vorläuferversionen belegen. Bestimmte Teilaspekte, wie die Dante Konferenz, waren bereits früher in Arbeit und sind in die Schlussversion eingegangen. Andererseits enthält der frühere Text zu dieser Konferenz eine Passage über die festliche soirée, die in der gedruckten Schlussversion so nicht enthalten ist. Sie wird als Fußnote 75 eingeschoben.

2.1 Vom Aufbau der Romanistik an der Humboldt-Universität in schwieriger Zeit

La connaissance du passé, nuit dorsale,

Est le commencement de toute connaissance

Aragon

Les aventures de Télémaque

Ich schreibe im Jahr der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 200. Gründungstag der heutigen Humboldt-Universität, der ehemaligen Friedrich-Wilhelms-Universität, und im Alter von zweiundneunzig Jahren.

Der Aufbau der Romanistik an dieser Universität war der Lebensinhalt meiner aktiven Zeit.

Meine Universitätslaufbahn1 beginnt nach dem Krieg 1946 in Halle und endet 1989 in Berlin, als ich den Arbeitsvertrag, der mich ab 1980 als Emerita mit der Humboldt-Universität weiterhin verband, zur Wende gekündigt habe.

Sie gliedert sich aus meiner Sicht in zwei sehr unterschiedliche Phasen, sowohl in wissenschaftlicher, wie wissenschaftsorganisatorischer Hinsicht:

Die erste Phase umfasst die Zeit von 1946 bzw. 1948 bis 1969. Ab 1946 war ich zunächst als Assistentin allein, dann ab 1948 mit Victor Klemperer an der Martin-Luther-Universität Halle, 1951/52 folgte ich Victor Klemperer an die Humboldt-Universität Berlin, habilitierte mich 1954 bei ihm und übernahm danach wegen seiner Erkrankung die Institutsleitung und wurde ab 1957 seine Nachfolgerin und Lehrstuhlinhaberin bis 1978. Die Begegnung mit Klemperer in Halle war ein Glücksfall für mich. Mein Doktorvater an der Prager Deutschen Universität Prof. Dr. Erhard Preißig hatte mir nach der Promotion, März 1945, angeboten, bei ihm wissenschaftlich weiterzuarbeiten, mit dem Ziel, eine akademische Laufbahn zu ergreifen. Da er aber nach dem Kriegsende in Prag umkam, bestand für mich wenig Aussicht, dass sich die von ihm geweckte Hoffnung jemals erfüllen würde.

Mit der III. Hochschulreform 1969 und der damit verbundenen Gründung von Sektionen beginnt die zweite Phase meiner Universitätslaufbahn bis zu meinem endgültigen Ausscheiden 1989. Bei dem Wort Reform ist immer Vorsicht geboten!

Der Schwerpunkt meiner Universitätstätigkeit verlagerte sich von der Lehre auf wissenschaftsorganisatorische Aufgaben, zuerst als Dekan der neu gegründeten Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät mit der Zuständigkeit für Promotionen und „Facultas docendi“. Anschließend konzentrierten sich meine hochschulpoliitischen Bemühungen auf die Herauslösung der Romanistik aus der „Monster“-Sektion „Philologien-Germanistik“ und ihre Konstituierung als selbständige Sektion Romanistik, die erst 1980 nach langem Kampf gelang. Es ging dabei natürlich auch um Stellen und die dafür notwendige Finanzierung.

Hinzu kamen wissenschaftliche Einsätze: 1969 zunächst als Mitglied der „Deutschen Akademie der Wissenschaften“ in Berlin (später der „Akademie der Wissenschaften der DDR“), ab 1975 insbesondere im Rahmen des Nationalkomitees für Literaturwissenschaft, aber auch als Mitglied und Leitungsmitglied internationaler wissenschaftlicher und kulturpolitischer Gesellschaften, wie der AILC (Association Internationale de Littérature Comparée) und der SEC (Société Européene de Culture), Gastsemester im Ausland (1970 an der Lomonossow-Universität in Moskau, 1984 an der Carl-Franzens-Universität in Graz) und ab 1974 als gewähltes Mitglied des Exekutivrates der UNESCO, aus dem ich auf eigenen Wunsch nach zwei Jahren ausgeschieden bin, um den Kontakt zur Wissenschaft vor meiner gesetzlichen Emeritierung 1978 (in der DDR als Frau mit 60 Jahren) nicht zu verlieren. Aus heutiger Sicht betrachtet, war die politische Erfahrung auf diesem internationalen Niveau – auch wenn ich es damals vielleicht nicht so gesehen habe – eine in mehrfacher Weise sehr lehrreiche.

 

xxx

 

Im Rückblick erscheint mir jedoch gerade die erste Phase meiner akademischen Laufbahn eine in jeglicher Hinsicht fruchtbare. Wissenschaftlich war sie auf die Aneignung der notwendigen neuen literaturtheoretischen Grundlagen, die Erarbeitung der Habilitationsschrift, die Ausarbeitung eines Grundstocks an Vorlesungen und wissenschaftlichen Publikationen und die Pflege notwendiger wissenschaftlicher Auslandsbeziehungen, vor allem mit den sozialistischen Ländern, aber natürlich auch mit Frankreich und da in erster Linie mit dem französischen Zola-Spezialisten Henri Mitterand konzentriert.

Wissenschaftsorganisatorisch galt sie zunächst gemeinsam mit Klemperer – und nach seinem Tod 1960 ohne ihn – dem Aufbau des Berliner Instituts.

Als Klemperer im WS 1952, nachdem sich Werner Krauss für die Universität Leipzig entschieden hatte, endgültig die Leitung des Berliner Instituts übernahm, waren nur zwei Fachgebiete mit Wissenschaftlern besetzt: die Linguistik mit dem Wartburgschüler Kurt Baldinger und das Fach Hispanistik-Latino-Amerikanistik mit Prof. Dr. Traugott Böhme, der allerdings kurz vor Jahresende 1963 überraschend starb.

Klemperers erstes Bemühen war es, wenigstens noch Italienisch mit einer Wahrnehmungsdozentur durch Dr. Margarete Steinhoff vertreten zu lassen und Werner Draeger, einen vielfältig linguistisch ausgebildeten Rumänisten, für den Aufbau dieses Fachs zu gewinnen, das dann auch von ihm auf hohem wissenschaftlichen Niveau etabliert und weitergeführt wurde. Mich selbst hat er zur Literaturwissenschaft zurückgeholt – promoviert hatte ich sprachwissenschaftlich – und so danke ich ihm mit Habilitation und Förderung auch weitgehend meine ganze Laufbahn.

Dass jedoch alle Gebiete der Romanistik möglichst bald durch wissenschaftlich ausgewiesene habilitierte Kräfte besetzt werden müssten, stand für ihn außer Frage.

Klemperers zweites Bemühen galt der Aufnahme von Wissenschaftsbeziehungen zum Ausland, zu Polen und vor allem zu Rumänien, dem einzigen romanisch sprachigen Land innerhalb des sozialistischen Lagers, aber auch zu westdeutschen Kollegen, vor allem über den deutschen Romanistenverband und dessen Vorsitzenden, Prof. Rheinfelder.

Und sein drittes Bemühen galt – und das tatsächlich auch von Anfang an – der Gründung einer Zeitschrift.

Aber das Wichtigste für den wissenschaftlichen Aufbau des Instituts war für uns Jüngere natürlich die prägende Kraft von Klemperers eigenen Vorlesungen.

 

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Diese ersten Jahre in Berlin haben mich viel Kraft gekostet wegen all der Aufgaben, die gleichzeitig bewältigt werden mussten. Als erste natürlich die eigene wissenschaftliche Konsolidierung, sprich die Arbeit an der Habilitation und der Aufbau von Vorlesungen und Seminaren. Ich hatte mit einem linguistischen Thema über das Aktionssuffix -age noch im März 1945 in Prag promoviert. Und meine Übungen, die ich in Halle und anfangs auch noch in Berlin gehalten habe, bezogen sich auf altfranzösische Literatur und Sprache, worin ich im Studium eine gründliche Ausbildung erfahren hatte. Die Literaturgeschichte des Mittelalters von Voretsch, der damaligen Autorität für diese Periode, war Pflichtlektüre und Prüfungsstoff und ich hatte sie gründlich studiert.

Voretsch habe ich im Hallenser Institut auch noch einmal persönlich kennen gelernt. Meine Ehrfurcht vor dem kleinen alten Mann war so groß, daß ich am liebsten auf die Knie gesunken wäre, um zu ihm aufschauen zu können und nicht auf ihn heruntersehen zu müssen.

Mit Klemperer als wissenschaftlichem Betreuer aber trat die neuere Literatur für mich in den Vordergrund und, wenn ich mich für Literatur habilitieren wollte, auch die Notwendigkeit, mich in die Literaturtheorie einzuarbeiten. Denn in dieser Hinsicht waren die Vorlesungen von Preißig in Prag auf dem Standpunkt von Montesquieus Klimatheorie stehen geblieben. Dass Klemperers begeisternde Literaturvorlesungen bei aller Bewunderung mir jedoch nicht das für die damals in der DDR aktuellen ästhetischen Auseinandersetzungen notwendige theoretische Rüstzeug vermitteln konnte, war offensichtlich. Woran sich orientieren? Werner Krauss, der Leipziger Romanist, galt als kompetenter Marxist. Doch Klemperer nahm es mir, wie die Tagebücher zeigen, sehr übel, dass ich von dem einen Seminar, das er für alle Aspiranten unseres Fachs in Leipzig gehalten hatte, begeistert zurückkam. Und leider wurden diese Seminare für alle auch nicht fortgesetzt.

Die Arbeiten des ungarischen marxistischen Literaturtheoretikers und Philosophen Georg Lukács – sie erschienen in der DDR ab 1948 (erstes Buch: Karl Max und Friedrich Engels als Literaturhistoriker) – dienten mir deshalb als Grundeinführung in die Literaturtheorie. Außerdem kam seine Vorliebe für die Klassik als Wertungsnorm, die von überzeugten Marxisten als idealistische Tendenz kritisiert wurde, meinen eigenen literarischen Neigungen sehr entgegen. Schließlich hatte ich mir als Vierzehnjährige zu Weihnachten Schillers gesammelte Werke gewünscht und sie – wenn auch sicher nicht verstanden – so doch „mit heißem Bemühen“ in kurzer Zeit durchgelesen. Den oft trivialen Machwerken der zeitgenössischen Agitationsliteratur die Schönheit klassischer Literatur als Vorbild entgegenzuhalten, war meiner Meinung nach auch berechtigt, konnte, dogmatisch ausgelegt, aber zu einem unhistorischen Herangehen an den Literaturprozess führen und zum Verwerfen innovatorischer Verfahren.

In diesen oft verwirrenden Diskussionen insistierte Klemperer zum Glück auf der Arbeit am Text. An der sprachlichen Gestalt mussten sich die Inhalte der Werke verifizieren lassen. „Inhalt“, ein obsoletes Wort in der modernen Literaturtheorie. Um seine Erfassung ging es aber Klemperer wie Krauss. Für beide war Literatur als ein „aufgeschlagenes Buch der Geschichte“ zu lesen.

Eine Position, die von dem größten Teil der zeitgenössischen französischen Literatur in eindrucksvoller Weise bestätigt wurde. Denn in ihr standen die Ereignisse und Katastrophen der jüngsten Vergangenheit, Faschismus und Krieg, die materiellen Verwüstungen, die Greueltaten in den Lagern und Kzs, sowie der in der Gegenwart neu aufflammende Kampf zwischen den politischen Systemen und auch die Ängste vor dem Ausbrechen eines Atombombenkrieges im Mittelpunkt. Es war eine Literatur, die alle existentiellen Grundfragen auf den Prüfstand moralischen Verhaltens und ethischer Werte stellte und den Lesern die Verantwortung nahm. Ich erinnere mich, dass Stücke, wie „Les mains sales“ von Sartre mich wochenlang innerlich beschäftigten mit der Frage, was hättest Du getan.

Selbstprüfung im Einzelnen wie im Ganzen, Verantwortung, Entscheidung war die Forderung des Tages. Das galt auch für die Schriftsteller. Sie wollten mit ihren Werken etwas bewegen. Einen Roman, ein Theaterstück zu schreiben war kein leeres Spiel.