RIVERDALE - Der Drohbrief - Caleb Roehrig - E-Book

RIVERDALE - Der Drohbrief E-Book

Caleb Roehrig

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Beschreibung

Ein Erpresser, der alle deine Geheimnisse kennt ...

Archie, Betty, Jughead, Veronica und ihre Freunde bereiten sich vor auf ein Leben nach der Higschool. Doch dann erhalten sie einen Erpresserbrief von einem Absender namens Poison Pen. Der Verfasser scheint ihre tiefsten und dunkelsten Geheimnisse zu kennen und droht, diese zu lüften, es sei denn, Archie und seine Freunde tun genau das, was er sagt. Zum Beispiel, peinliche Videos von sich zu posten oder eine Ehe zu torpedieren. Die Briefe hören nicht auf und die Forderungen werden immer gefährlicher. Wenn sie Poison Pen nicht aufhalten, wird Bettys, Jugheads, Veronicas und Archies Zukunft für immer zerstört sein ...

Eine brandneue Hintergrundgeschichte zu dem erfolgreichen Serienhit RIVERDALE. Die Romane erzählen exklusive Geschichten, die nicht in der Serie vorkommen – ein must-have für alle Fans!

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Seitenzahl: 358

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Caleb Roehrig

DER DROHBRIEF

Aus dem amerikanischen Englisch

von Doris Attwood

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Erstmals als cbt Taschenbuch September 2021

©2020 Archie Comics Publications, Inc. All Rights Reserved. Riverdale and Archie Comics are trademarks and/or registered trademarks of Archie Comics in the US and/or other countries. German-language edition published by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH/cbj Verlag, by arrangement with Scholastic Inc., 557 Broadway, New York, NY 10012, USA.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Riverdale. The Poison Pen« bei Scholastic Inc., New York.

© 2021 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem amerikanischen Englisch von Doris Attwood

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesgin, Bad Oeynhausen

Umschlagmotive: © Archie Comics Publications, Inc. All Rights Reserved.

Cover art by David Curtis

Lektorat: Catherine Beck

he · Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-28225-7V001

www.cbj-verlag.de

Geheimnisse sind wie Kakerlaken: Wenn du eine entdeckst, weißt du genau, dass unter der Oberfläche noch Hunderte weitere lauern. Riverdale ist regelrecht befallen von ihnen – ich muss es schließlich wissen.

Ich habe so einiges erfahren, nur weil ich die Leute hier ein bisschen genauer beobachtet habe. Als Archie und Betty zum Beispiel so getan haben, als hätten sie was miteinander, weil es zu ihrem Plan gehörte, Jugheads Möchtegernmörder zu entlarven? Damals war mir ziemlich klar, dass ihr kleiner »Frühlingsflirt« nicht komplett gespielt war. Ich meine, diese verstohlenen Blicke, die die beiden sich immer zugeworfen haben, wenn sie dachten, niemand beobachtet sie … Man musste nur den Ausdruck in ihren Gesichtern sehen, um ihre wahren Gefühle ablesen zu können wie die Speisekarte im Pop’s.

Und ich will ja nicht angeben, aber ich habe ziemlich schnell durchschaut, dass Veronica was mit Reggie am Laufen hatte, während ihr Exfreund damit beschäftigt war, wegen Mordes im Jugendknast zu verrotten. Und Kevin Kellers Geschichte mit Moose Mason war so offensichtlich, selbst als das Ganze noch total geheim sein sollte, dass er ebenso gut eine komplette Seitenanzeige im Register hätte schalten können, um dem Rest der Welt zu verkünden, dass sie sich heimlich miteinander trafen.

Manche Leute bezeichnen mich womöglich als neugierig (und ich schätze, darin steckt wohl ein Körnchen Wahrheit, auch wenn ich selbst es nicht so nennen würde). Aber in einer Stadt wie Riverdale ist es ganz einfach: Man muss hier echt aufpassen, um nicht über die Privatangelegenheiten anderer Leute zu stolpern. Keiner von uns hat aktiv nach Anzeichen dafür gesucht, dass Hiram und Hermione Lodges Ehe vor dem Aus stand. Keiner von uns wollte ein Update zu Betty Coopers gruseliger Schweigen-der-Lämmer-Beziehung zu ihrem Vater. Und wir haben Cheryl Blossom auch sicher nicht um einen Liveticker zu ihrer Romanze mit Toni Topaz gebeten. Aber wir haben all das trotzdem haargenau mitbekommen.

Also, wie kann man jemanden wie mich als neugierig bezeichnen, wenn die Geheimnisse in dieser Stadt praktisch nach uns suchen und nicht andersrum? Ganz ehrlich: Sich ausschließlich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern ist in Riverdale ein Vollzeitjob. Und ich hab sowieso schon viel zu viel zu tun.

Allerdings habe ich erst neulich etwas besonders Pikantes erfahren – etwas, das ich definitiv nicht wissen sollte. Ich habe rein zufällig eine dieser lästigen kleinen Kakerlaken entdeckt – und bevor ich wirklich darüber nachdenken konnte, hatte ich den sprichwörtlichen Stein bereits umgedreht und darunter noch Dutzende weitere gefunden. Und um euch die Wahrheit zu sagen: Es hat mich richtig krank gemacht.

Und wütend.

Vielleicht war Riverdale ja nie die perfekte kleine Postkartenidylle, als die es die Leute hier gern darstellen, aber ich habe es satt, knietief durch metaphorische Kakerlaken zu waten.

Ich schätze also, man könnte sagen, dass ich mich selbst zum ortsansässigen Kammerjäger unserer kleinen Stadt ernannt habe. Zu viele schöne Menschen verstecken hier zu viele hässliche Dinge und ich werde nicht länger den stummen Zeugen spielen. Also schnappt euch eure Sonnenbrillen, Leute, denn ich werde die düsteren Ecken dieser Stadt in grellem Licht erstrahlen lassen – und es ist sehr gut möglich, dass euch das, was daraus hervorkriecht, einen üblen Schock versetzt …

– Poison Pen

TEIL I

VERONICA LODGE

SAMSTAG

KAPITEL 1

Die Sommer in Riverdale können absolut grauenhaft sein – so klebrig wie Ahornsirup, aber nicht mal annähernd so süß. Zu meinem Glück verfügt das Five Seasons Hotel über eine absolut zuverlässige Klimaanlage, und in der Suite, die den Maple Club beherbergte, war es so kühl wie an einem Oktobernachmittag. Ich konnte mich außerdem glücklich schätzen, dass die Maple Girls bereit waren, sich bis zur letzten Minute unermüdlich den Vorbereitungen für das Event an diesem Abend zu widmen. Im Raum herrschte geschäftiges Treiben, während wir alle Goodie Bags für die Partygäste füllten, Tischkärtchen von Hand kalligrafierten und personalisierte Rumflaschen verzierten.

»Eins muss ich dir lassen, Veronica«, sagte Cheryl Blossom großmütig und warf ihr rotes Haar über ihre Schulter, während sie den Stapel mit den geprägten creme- und silberfarbenen Einladungskarten bewunderte, die ich entworfen hatte. »Obwohl du nur drei Wochen Zeit für die Planungen hattest, ist es dir gelungen, ein Event auf die Beine zu stellen, das aussieht, als hättest du … na, sagen wir, mindestens vier Wochen Zeit gehabt.«

»Vielen herzlichen Dank.« Mein Ton klang unbeeindruckt, aber in Wahrheit war dieses versteckte Lob das ungetrübteste Kompliment, das man von Cheryl Blossom erwarten konnte. »Aber mit Schmeicheleien kommst du bei mir nicht weiter.«

»Hör nicht auf sie«, warf Toni Topaz, Cheryls Freundin, ein. Ihr rosa Haar wurde von einem gemusterten Stirnband zurückgehalten und sie malte mit einem Kalligrafie-Stift sorgfältig Namen auf einen Bogen mit leeren Etiketten. »Du hast in nur drei Wochen Eisskulpturen organisiert, dir Partyzusagen von echten Celebritys gesichert, einen berühmten Starkoch aus Frankreich engagiert, der die Hors-d’œuvres zubereitet, den Chefbarkeeper aus dem 21 Club damit beauftragt, einen Originalcocktail zu kreieren und ihn nach der zukünftigen Braut zu benennen – und dann benutzt du die ganze Veranstaltung auch noch dazu, Red Raven Rum zu promoten? Es gibt nicht viele Leute, die das geschafft hätten.«

»Danke«, wiederholte ich, etwas aufrichtiger. Das war genau die Art von Wertschätzung, die ich nach all den Kopfschmerzen, unter denen ich im letzten Monat gelitten hatte, redlich verdiente. Und gelitten hatte ich zur Genüge.

»Auch wenn diese Ehe dem Untergang geweiht ist – und wir wissen alle, dass dem so ist – und ich mir wie ein Aasgeier dabei vorkomme, diese Etiketten zu beschriften«, fügte Toni etwas leiser hinzu.

Nicht das schon wieder. Ich stieß ein niedergeschlagenes Seufzen aus, versank noch tiefer in meinem Sessel und hämmerte ein wenig aggressiver auf die Tasten meines Laptops ein, während ich mich erneut durch die Diashow klickte, die zu den großen Momenten an diesem Abend gehören sollte. Ich wünschte mir, ich hätte einfach selbst für immer in meinem Computer verschwinden können.

»Kommt schon, Mädels, das haben wir doch alles längst durchgekaut« – wieder und wieder und wieder –, »also lasst es einfach gut sein, okay?«

Cheryl streckte sich und drückte liebevoll die Hand ihrer Freundin. »Veronica, alles, was TeeTee damit sagen will, ist, dass es uns angesichts der Tatsache, dass dieses junge Pärchen ungebremst auf sein ganz persönliches Michael-Bay-Katastrophenfilm-Inferno zurauscht, ein wenig … krass vorkommt, Kapital aus ihrer Verlobung zu schlagen. Sonst nichts.«

»Vielen Dank fürs Dolmetschen, Cheryl, aber das habe ich durchaus verstanden.« Mit einem noch lauteren und frustrierteren Seufzen ließ ich die Diashow Diashow sein und massierte mir die Schläfen. »Als Pernilla mich gebeten hat, ihre Verlobungsparty zu organisieren, habe ich nicht lange überlegt, bevor ich zugesagt habe. Die Pendergasts sind eine politische Dynastie, und ich wusste, dass die Gästeliste – diese Gästeliste«, ich griff nach dem Blatt Papier mit all den Namen, das auf einem Stapel neben mir lag, »einem Who’s who der Influencer und Trendsetter aus aller Welt gleichkommen würde. Weitere Details habe ich erst erfahren, nachdem ich bereits zugesagt hatte – und zu dem Zeitpunkt konnte ich schließlich schlecht ohne eine glaubwürdige Begründung einfach wieder absagen, richtig?«

Ich durchbohrte die beiden mit bedeutungsschwangerem Blick. Sie verstanden mich sehr gut. Wir wussten alle, dass die Pendergast-Huxley-Ehe dem Untergang geweiht war – und warum. Auch wenn wir es natürlich niemals laut aussprechen konnten. Nicht zuletzt, weil wir gar nicht über dieses Wissen hätten verfügen sollen. Darüber hinaus hatten die Eingeweihten unter uns einen heiligen Eid geschworen, nie wieder ein Wort darüber zu verlieren, und ich hatte aus mehreren Gründen nicht die geringste Absicht, unseren Pakt zu brechen – schon gar nicht, solange spitze Ohren in der Nähe waren. Ich hob den Blick und ertappte Penelope Blossom dabei, wie sie mich aus einer Ecke des Zimmers beobachtete, so als könnte sie meine Gedanken lesen. Ich erschauderte. Wir hatten zwar absichtlich dafür gesorgt, dass sie in unserer Nähe war, damit wir sie im Auge behalten konnten, aber ihre ständige Anwesenheit im Club zerrte trotzdem an meinen Nerven.

Ich konnte das ganze Event natürlich immer noch absagen, ohne irgendeine Erklärung – aber das hätte unseren Ruf komplett zerstört, und dafür hatten wir einfach zu hart gearbeitet. Ich hatte freiwillig angeboten, einhundertfünfzig personalisierte Flaschen Red Raven Rum, von Hand etikettiert und nummeriert, als kleine Aufmerksamkeit an die Gäste unserer großen Soiree zu verschenken. Ganz gleich, welche Katastrophen in der Zukunft auf das Paar des Abends warteten, Cheryl und ich würden dieses Debakel als Erfolg verbuchen können, sowohl als Eventplanerinnen als auch als Society-Expertinnen. Einen anderen Ausgang würde ich schlichtweg nicht akzeptieren.

Senator Pendergast hatte, natürlich, einen vollkommen anderen Ausgang im Sinne. Hayes Huxley stammte hier aus der Gegend – er war im selben Alter wie Polly Cooper – und arbeitete obendrein als Deputy beim örtlichen Rockland County Sheriff’s Office. Wenn die Tochter des Senators einem Kleinstadtpolizisten nur wenige Monate vor der bevorstehenden Gouverneurswahl das Jawort gab, dann war das genau die Art von Publicity, die man mit Geld nicht kaufen konnte.

Und Patrick Pendergast hatte Geld imÜberfluss.

»Na, wenigstens wird es nicht unsere Schuld sein, wenn ihre Ehe in die Brüche geht«, fügte Cheryl fröhlich hinzu und griff nach einer Schachtel mit Champagner-Kristallflöten, in die die Initialen der Verlobten eingraviert waren. Um jeden der filigranen Füße würde sich später eine silberne Schleife schlingen.

Niemand, und ich meine niemand, würde jemals behaupten, dass ich bei meinen Partys zu dünn auftrage.

Es klopfte an der Tür der Suite und ich schickte Laura – eins der Maple Girls –, um sie zu öffnen, während ich mich wieder der Diashow auf meinem Laptop widmete. Nach den Reden, bevor die Tanzfläche eröffnet wurde, würde ich eine Diashow zeigen, um die wundervolle Beziehung der Eheleute in spe zu feiern. Ich hatte eng mit der Familie zusammengearbeitet, um die perfekten Fotos auszuwählen, und einen professionellen Cutter engagiert, damit die Übergänge nicht nur nahtlos, sondern auch künstlerisch wertvoll verliefen, und es war mir sogar gelungen, Josie McCoy dazu zu überreden, einen begleitenden Song aufzunehmen. Die Show würde vollkommen makellos über die Bühne gehen, da war ich mir sicher … aber es konnte nie schaden, alles doppelt zu überprüfen. Oder in diesem Fall: dreifach.

Als Laura ins Zimmer zurückkehrte, hielt sie einen leeren weißen Umschlag in der Hand. »Es war nur irgendein Typ, der die Post vorbeigebracht hat. Ich schätze, das hier hat jemand an der Rezeption für dich abgegeben, Veronica.«

Es ist schon komisch, dass sich dein Leben auf einmal unwiderruflich verändern kann, obwohl der Moment, in dem es passiert, so banal ist, dass du es gar nicht kommen siehst. Alle haben Angst vor den großen Katastrophen – zum Beispiel, dass der Vater deines Freunds bei einem tragischen Unfall stirbt oder dein eigener Vater unter einer unvorhersehbaren Krankheit leidet. Wenn man all das bereits durchgemacht hat, wieso sollte man sich dann vor einem kleinen Umschlag fürchten?

Aber im Nachhinein ist es mir richtig peinlich zuzugeben, dass ich es nicht tat.

Der Umschlag war ein perfektes Quadrat, auf das in ordentlicher Blockschrift mein Name gedruckt war. Es war keine Absenderadresse darauf verzeichnet – aber das war wohl auch nicht nötig, wenn er an der Rezeption abgegeben worden war –, und die Klappe war mit einer Scheibe aus scharlachrotem Wachs versiegelt. Es war ein wirklich charmanter Touch, altmodisch und elegant, und ich musste darüber lächeln. Das in das glänzend rote Wachs gedruckte Emblem zeigte ein verschnörkeltes PP.

In der Annahme, dass der Brief von einem der Pendergasts stammte – ein paar letzte Anweisungen oder vielleicht sogar – zum Totlachen – ein Dankeschön für all unsere harte Arbeit – öffnete ich den Umschlag, ohne zu zögern.

Liebste Ronniekins,

ich weiß, dass Du mit den Vorbereitungen für Pernilla Pendergasts fantastische Verlobungsparty alle Hände voll zu tun hast, deshalb werde ich mich kurz fassen. (Oh, warte! Als Veronica Lodge bevorzugst Du zweifellos ein viel prätentiöseres und bombastischeres Wort als Party, um eine Schar wohlhabender Säufer zu beschreiben, die zusammenkommen, um sich gegenseitig dazu zu gratulieren, dass sie miteinander bekannt sind. Lass mich raten: Happening? Soiree? Sag mir, wenn ich richtig liege!)

Du liebst es, in die Rolle des armen reichen Mädchens zu schlüpfen, nicht wahr? All Deine falsche Bescheidenheit, die konsequente Ablehnung Deines Vaters … es sei denn, seine Verfehlungen wirken sich zu Deinen Gunsten aus. Veronica Lodge: Mafia-Prinzessin mit einem Herz aus Gold.

Was für ein Schwachsinn.

In wie viele von Daddys Verbrechen warst Du verstrickt, zu wie vielen hast Du geschwiegen? Wie vielen Menschen hat er wehgetan, wie viele Leben hat er zerstört, während Du mit deiner Cartier-Sonnenbrille absichtlich in die andere Richtung geschaut hast?

Wie viele Verbrechen hast Du selbst begangen? Ich weiß zumindest von einem. In der Nacht des 4. Juli, während sich der große Rest von Riverdale mit Knabberkram und Limo das Feuerwerk im Pickens Park angesehen hat, hast Du eine Falschaussage bei der Polizei geleistet und Deine Versicherung betrogen. Daddykins wäre so stolz auf Dich. Der Apfel fällt eben nicht weit von der Zellentür.

Gut, ich weiß, was Du denkst: Diese Vergehen sind doch Lappalien im Vergleich zu dem, was sonst noch so in dieser Stadt vor sich geht. Dein guter Name hat Dir schon aus Schwierigkeiten geholfen, die viel schlimmer waren als das, was Dir blühen könnte, wenn Dich tatsächlich jemand beim Sheriff anschwärzen würde. Aber eins solltest Du nicht vergessen: Ich weiß, was in jener Nacht passiert ist – alles. Was Du getan hast. Warum Du es getan hast. Wer sonst noch etwas damit zu tun hatte.

Und, Ronnie? Ich habe Beweise.

Deshalb solltest Du anfangen, darüber nachzudenken, was es Dir wert ist, dieses kleine Geheimnis zu bewahren, weil ich Dich schon bald um einen Gefallen bitten werde. In der Zwischenzeit sei doch so lieb und halt auch diese Nachricht geheim, ja? Erzähl niemandem davon – nicht Daddy und auch keinem einzigen Deiner Freunde –, weil ich es sowieso erfahren werde, wenn Du es tust, und das würde Konsequenzen nach sich ziehen. Ich behalte Dich im Auge …

– Poison Pen

KAPITEL 2

Ich erstarrte und mein Herz rauschte förmlich durch den Boden. Dem Brief war ein Foto beigelegt. Von mir. Ich hatte darauf einen Kaffee in der einen Hand, einen Stapel mit leeren Etiketten in der anderen und ein Lächeln im Gesicht. Das Foto war in der Lobby des Five Seasons aufgenommen worden, als ich vor nicht einmal drei Stunden hier angekommen war.

Ich krallte mich an der Kante der Tischplatte fest, um nicht mehr hin und her zu schwanken. Vielleicht gab ich auch irgendeinen Laut von mir – ein erschrockenes Japsen oder ein Quieken –, denn als ich aufblickte, waren sämtliche Augen im Raum auf mich gerichtet.

»Veronica?« Cheryl richtete sich auf, eindeutig besorgt. »Ist alles in Ordnung? Du siehst aus wie Nana Rose, wenn Mumsie ihr ihre Blutdrucktabletten mal wieder vorenthalten hat.«

Ich starrte sie einen Herzschlag zu lange an, bemüht, meine außer Kontrolle geratenen Gedanken wieder einzufangen. Schließlich verzerrte ich den Mund zu etwas, von dem ich hoffte, dass es wie ein Lächeln aussah, und presste hervor: »Mir geht’s gut. Ich hab nur … Hunger. Das ist alles.«

»Bist du sicher?« Cheryl kniff die Augen zusammen, und ich kam mir vor, als würde ich auf einem Röntgentisch liegen. Ihr Blick war so durchdringend, als könnte sie in mir lesen wie in einem offenen Buch. »Weil ich nämlich genau weiß, wie ›Hunger‹ aussieht. Mumsie war früher außerdem eine große Verfechterin der Taktik, uns das Essen vorzuenthalten, um gutes Benehmen zu erzwingen.«

Aus ihrer Ecke gab Penelope zur Antwort ein lautes Schnauben von sich – es hätte ebenso Hohn wie ein selbstgefälliges Lachen sein können – und wir funkelten sie alle drei an.

»Mir geht’s gut«, beharrte ich ein wenig bestimmter und ballte fest die Fäuste, um zu verhindern, dass meine Hände für alle sichtbar zitterten.

Doch auch Toni weigerte sich – natürlich –, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Was steht denn in dem Brief?«

Für einen Sekundenbruchteil, vielleicht sogar noch kürzer, spielte ich beinahe mit dem Gedanken, ihnen die Wahrheit zu sagen. Der ebenso abstoßende wie bedrohliche Inhalt der Nachricht von »Poison Pen« ging schließlich auch die beiden etwas an. Aber glücklicherweise kam ich gerade noch rechtzeitig zur Besinnung.

»Gar nichts!« Ich steckte das beleidigende Blatt Papier zusammen mit dem Foto wieder in den Umschlag und stopfte dann alles in meine Handtasche, bevor ich die Schnalle schloss, als sei sie die Büchse der Pandora. »Er war … von den Musikern! Das Programm für heute Abend. Es sieht fantastisch aus – jede Menge Haydn und Brahms.«

Meine Stimme schlug wahre Kapriolen. Ich klang vollkommen neben mir und eindeutig schuldbewusst, und Cheryl kniff die Augen noch enger zusammen. »Ich dachte, du wolltest, dass sie Vivaldi spielen.«

»Pläne ändern sich!« Ich war bereits halb zur Tür hinaus, bevor mir überhaupt klar war, dass ich mich bewegte, und das falsche Lächeln auf meinem Gesicht begann langsam wehzutun. Penelope Blossom nippte an ihrer Porzellanteetasse und beobachtete mich bei jedem meiner Schritte, während ein eiskaltes Grinsen um ihren Mundwinkel zuckte. »Wie dem auch sei, ich bin wirklich am Verhungern. Ich hol mir nur schnell was zum Mittagessen. Wir waren die ganze Zeit so beschäftigt, dass ich heute völlig vergessen habe, einen Happen zu essen! Haltet ihr so lange die Stellung, Ladys?«

Die Tür der Suite knallte hinter mir zu und ich stand allein in dem schicken, üppigen Luxus des Korridors – dicker Teppichboden, Stuck unter der Decke, Tapeten aus Rohseide –, der sich wie wild um mich zu drehen begann und vor meinen Augen verschwamm. Mein Brustkorb bebte förmlich und mein Pulsschlag hämmerte wie wild in meinen Schläfen, während ich gegen den Türrahmen sank und langsam zu Boden rutschte.

Der 4. Juli. Unabhängigkeitstag. In unserem Geschichtskurs im vergangenen Jahr hatten wir gelernt, dass dieses Datum im Jahr 1950 außerdem den ersten Sendetag von Radio Free Europe markierte. In jüngerer Vergangenheit war es der Tag gewesen, an dem Fred Andrews’ Beerdigung stattgefunden hatte – und darüber hinaus der schlimmste Tag meines Lebens.

Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt.

Denn es war auch der Jahrestag von Daddys Verhaftung. Na ja, von der ersten, besser gesagt. Der Tag damals war unerträglich schrecklich gewesen, und ich musste zugeben, dass sich jedes Mal, wenn der Juli wieder vor der Tür stand, eisige Kälte in meinen Magen bohrte. Ich habe mich selbst nie als übermäßig abergläubisch betrachtet – ich habe zumindest keine Angst vor schwarzen Katzen –, aber seit diesem grauenvollen Sommer in Manhattan verband ich dieses Datum mit nichts als Pech.

In diesem Sommer verbrachte ich den 4. Juli als einziges Nervenbündel. Es war erdrückend heiß, mein Kalender vollgepackt mit irgendwelchen Sinnlosigkeiten, die meine Eltern von mir forderten, und ich hatte jede Menge Erledigungen im Zusammenhang mit meinen diversen geschäftlichen Interessen in Riverdale zu tätigen.

Mein Chauffeur war wie ich seit Sonnenaufgang auf den Beinen, und als wir an diesem Abend im Five Seasons ankamen, war es bereits dunkel und er vollkommen erledigt. »Ich fürchte, es wird noch ein paar Stunden dauern – ich habe noch einiges im Maple Club zu erledigen«, verkündete ich bedauernd. »Aber ich werde ein Zimmer für Sie buchen – auf meine Kosten –, damit Sie sich zumindest ein wenig erholen können.«

Er protestierte natürlich, wie es das Protokoll verlangte, aber ich ließ kein Nein als Antwort gelten. Wir betraten das Hotel und zogen uns in unsere jeweiligen Suiten zurück, nachdem ich ihm mitgeteilt hatte, dass ich ihn wieder wecken würde, sobald ich abfahrbereit war.

Doch schon eine Stunde später stand ich wieder in der Parkgarage, allein … und rief vollkommen hysterisch bei der Polizei an. Ich schluchzte heftig und brachte kaum ein verständliches Wort hervor, aber es gelang mir trotzdem, ihnen mitzuteilen, dass ich glaubte, mein Leben sei in Gefahr – und dass mein Nachname Lodge war, woraufhin sofort zwei Polizisten zu mir geschickt wurden.

Als sie eintrafen, kauerte ich in einem Treppenhaus in der Parkgarage, zitterte am ganzen Körper und mein Gesicht war tränenüberströmt. Keine zwanzig Meter entfernt stand mein Auto. Oder das, was davon noch übrig war.

Die Fenster und Scheinwerfer waren komplett zertrümmert, die Außenspiegel baumelten wie Schlappohren herunter und alle vier Reifen waren platt – aufgeschlitzt. Die Türen und Seitenwände waren eingedellt und die Kühlerhaube … irgendjemand hatte in unauslöschlichem Knallrot einen widerlichen, grinsenden Totenkopf auf die Kühlerhaube meines wunderschönen Rolls-Royce gesprayt.

Ich war so außer mir, dass die uniformierten Polizisten gut fünf Minuten brauchten, um mich wieder so weit zu beruhigen, dass ich ihnen alles erklären konnte. »Ich h-habe gearbeitet … fast eine Stunde lang … bevor mir aufgefallen ist, dass ich meine Handtasche im Auto habe liegen lassen –«

»Sie haben eine Stunde gebraucht, um zu bemerken, dass Sie Ihre Handtasche nicht dabeihatten?«

»Frauen interessieren sich auch noch für andere Dinge als nur für ihre Handtaschen, Deputy«, fauchte ich ihn an und durchbohrte ihn förmlich mit meinem Blick, bis er eine Entschuldigung murmelte. »Ich bin den ganzen Weg hierher zurückgegangen, im Dunkeln! Ohne überhaupt darüber nachzudenken! Und als ich zum Wagen kam, habe ich gesehen … ich habe gesehen …« Ich vergrub das Gesicht in den Händen und begann wieder zu schluchzen.

»Es ist alles in Ordnung, Miss.« Der erste Deputy tätschelte mir die Schulter, als würde er überprüfen, ob Farbe an irgendeiner Wand bereits getrocknet war. »Ihnen geht es gut. Es kommt alles wieder in Ordnung –«

»Kommt es NICHT!«, kreischte ich ihn praktisch an, und meine Stimme hallte von den Betonrampen der Parkgarage wider. Ich beschwor meine innere Cheryl Blossom herauf und tobte: »Sind Sie auf Fizzle Rocks, Sie schwachköpfiger Hinterwäldler? Sehen Sie sich mein Auto doch mal an!« Wild fuchtelnd deutete ich auf die demolierte Windschutzscheibe, die Reifen und den bizarren Totenkopf. »Welcher Teil davon sieht für Sie nach in Ordnung aus?«

»Ob Sie es glauben oder nicht, aber es hätte noch viel schlimmer kommen können. Sie hätten stattdessen auch Ihnen den Schädel einschlagen können.« Seine Antwort war nicht nur barsch, sondern auch absichtlich provozierend, und sein Partner schritt sofort ein.

»Was Deputy Carlson damit sagen will, Miss, ist, dass Sie jetzt in Sicherheit sind.« Er nahm meinen Ellenbogen und drehte mich sanft zur Seite, damit ich mein Wrack von einem Auto und seinen missmutigen Kollegen nicht mehr sehen musste. »Das hier war höchstwahrscheinlich nichts weiter als ein ganz normaler Fall von Vandalismus. Ist Ihr Wagen versichert?«

»Natürlich ist er versichert«, antwortete ich und begann erneut zu schluchzen, »aber das ist nicht der Punkt! Sehen Sie denn nicht, dass es hier um etwas Persönliches geht? Dieser … dieser Totenkopf ist eine Drohung!«

Nun nahm er mich endlich ernst. »Sind Sie sicher, Miss Lodge? Haben Sie Grund zu der Annahme, dass Ihnen irgendjemand Schaden zufügen will?«

»Wissen Sie, wer mein Vater ist?«, schoss ich zurück. »Er hat sich im Laufe der Jahre zahlreiche Feinde gemacht und viele von ihnen würden mir etwas antun, um es ihm heimzuzahlen!«

Klugerweise ließ ich außen vor, dass seit seiner Verhaftung – ich meine die zweite, die, die er mir zu verdanken hatte – gelegentlich auch ich zu Daddys Feinden gehört hatte.

»Ich verstehe, was Sie meinen.« Er entspannte sich sichtlich und nickte mir höflich und mitfühlend zu. »Aber, wissen Sie, der 4. Juli ist hier in Riverdale so etwas wie eine zweite Devil’s Night. Da sich die Hälfte der Stadt im Pickens Park versammelt, sind dort so gut wie sämtliche Polizeikräfte im Einsatz. Eine Menge Kids werden heute Nacht eine Menge Streiche spielen, weil sie genau wissen, dass wir nicht überall gleichzeitig sein können.«

»Wie können Sie das hier als Streich bezeichnen?«, wollte ich wissen, und meine Stimme zitterte. »Was, wenn mein Leben in Gefahr ist? Was, wenn der Täter nur darauf wartet, dass ich das Parkhaus wieder verlasse und … und –«

Als er sich dem nächsten Tränenstrom gegenübersah, hob der gute Mann die Hände. »Bitte, Miss Lodge, machen Sie sich deswegen im Augenblick keine Sorgen, ja? Wir werden Sie nicht allein lassen, bis wir ganz sicher sind, dass Ihnen nichts mehr passieren kann. Außerdem muss es in diesem Parkhaus Überwachungskameras geben. Wahrscheinlich lässt sich diese ganze Sache bis spätestens morgen früh klären.«

Mit einem erbärmlichen Schniefen fuchtelte ich erneut herum. »Eigentlich schon, ja, aber sehen Sie selbst!«

Zwanzig Meter entfernt war die Metallstange einer Kameraaufhängung zu erkennen, und auf dem Betonboden darunter, zerschmettert und zermalmt wie eine alte Blechdose, lag die Kamera selbst.

Die Deputys suchten die nähere Umgebung gewissenhaft ab, doch als sie den Schurken nirgendwo fanden, begleiteten sie mich großzügigerweise wieder ins Five Seasons zurück. Ich ließ sie nicht von meiner Seite weichen, bis ich mich sicher wieder im Maple Club befand, wo sich eine solide Eichentür mit Bolzenschloss und Messingschutzkette zwischen mir und dem langen, leeren Korridor befand.

»Wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht hier verbringen müssen«, brabbelte ich, weil ich nicht wollte, dass die beiden Polizisten wieder gingen. »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, vor Sonnenaufgang wieder da rauszugehen. Wer weiß denn schon, wer dort draußen auf mich lauern könnte?«

»Ich bin mir sicher, dass Ihnen nichts passieren wird, Miss«, beruhigte mich der Ältere der beiden erneut. »Wahrscheinlich waren es nur ein paar Kids, die Dampf ablassen wollten. Sie haben einen schicken Schlitten gesehen und sind durchgedreht.« Er tippte sich mit einer knappen Verbeugung an den Hut und fügte hinzu: »Wir lassen Sie dann jetzt wieder all-«

»Wollen Sie vielleicht noch kurz mit reinkommen?«, unterbrach ich ihn und schenkte den beiden mein charmantestes Lächeln. »Ich könnte Ihnen einen Drink anbieten? Sie haben nicht wirklich gelebt, solange Sie meinen Ahorn-Rum noch nicht probiert haben!«

»Nein, vielen Dank.« Er scharrte förmlich mit den Hufen. »Wir dürfen im Dienst nichts trinken.«

»Wirklich? Noch nicht mal ein kleines Schlückchen?«, fragte ich. »Ich würde nur gern meinen Dank zum Ausdruck bringen – und mich dafür entschuldigen, dass ich vorhin so unhöflich war. Ich … ich stehe heute Abend ein wenig neben mir. Ich bin mir sicher, Sie verstehen das.«

Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern – doch dann quäkte sein Funkgerät mit einem Notruf und durchschnitt die schwere Stille des Five-Seasons-Korridors. Beide Männer lauschten sofort aufmerksam. »Es tut mir leid, Miss Lodge, aber wir müssen los. Bleiben Sie auf Ihrem Zimmer und schließen Sie die Tür ab, dann kann Ihnen nichts passieren.«

»Vielen Dank, Deputys!«, rief ich ihnen hinterher, als sie bereits den Flur hinunterrannten und schließlich im Treppenhaus verschwanden.

Mein ganzer Körper fiel in sich zusammen, als sie außer Sichtweite waren, und sämtliches Adrenalin verschwand aus meinen Adern wie Wasser in einem Abfluss. Ich verbarrikadierte mich im Maple Club, meine Paranoia wie eine alte Freundin an meiner Seite, und schenkte mir einen ordentlichen Schluck Rum ein, um meine Nerven zu beruhigen. Dann zog ich mein Smartphone heraus und verschickte hastig eine Nachricht:

Die Show ist vorbei, die Lichter sind an, das Publikum geht nach Hause.

Die Show war jedoch nicht ganz so vorbei gewesen, wie ich geglaubt hatte. Aber wer war mein heimlicher Zuschauer gewesen? Wer hatte gesehen, was wirklich in dieser Parkgarage passiert war?

Ein Scheppern hinter der Ecke des Korridors kündigte die Ankunft des Zimmerservices an und ich rappelte mich wieder auf und zapfte das Reservoir meiner tiefen inneren Ruhe an, von dem Daddykins immer behauptete, dass es mich zu einer wahren Lodge machte. »Lass nie zu, dass sie sehen, wie du ins Schwitzen kommst, m’hija. Wenn du einer Schwäche unbedingt nachgeben musst, dann tu es, wenn du allein bist.« Als der Hotelpage um die Ecke bog, brachte ich tatsächlich ein entspanntes Lächeln zustande und stolzierte lässig auf die Fahrstühle zu.

Ich werde nicht so tun, als sei mir nicht der Gedanke gekommen, direkt wieder auf dem Absatz kehrtzumachen und in die Maple-Club-Suite zurückzukehren. Wenn Poison Pen wirklich die Wahrheit sagte – »Ich weiß, was in jener Nacht passiert ist – alles« –, dann hatten Cheryl und Toni ein Recht darauf, es zu erfahren. Schließlich waren die Geheimnisse, die ich bewahrte, nicht allein meine. Tatsächlich hatten die schlimmsten Geheimnisse überhaupt nichts mit mir zu tun.

»Was du getan hast. Warum du es getan hast. Wer sonst noch etwas damit zu tun hatte.«

Aber wenn ich diesen Teil der Drohnachricht wirklich glauben konnte – was war dann mit dem Rest? »Erzähl niemandem davon … weil ich es sowieso erfahren werde … Ich behalte Dich im Auge.« Es war geradezu grotesk überdramatisch – wie aus einem Roman von Henry James … aber konnte ich es mir wirklich erlauben, es einfach zu ignorieren? Dieses kleine Foto von mir, wie ich mit meinem Kaffee das Five Seasons betrat, ließ mich all meine Entscheidungen anzweifeln.

Ich redete mir ein, dass es nichts zu bedeuten hatte. Dann hatte mir eben jemand in der Lobby aufgelauert, um dieses eher unvorteilhafte Foto von mir zu schießen – na und? Zumindest erwies sich meine Prada Basket Clutch definitiv als kluge Investition und passte darüber hinaus perfekt zu meinem auberginefarbenen Minirock von Chloé. Das Foto bewies noch lange nicht, dass ich tatsächlich beobachtet wurde – schon gar nicht rund um die Uhr. Und es bestand auch kein Zweifel daran, dass ich mit Cheryl, allein in der Suite, ganz offen über alles hätte sprechen können.

Nur, dass wir im Maple Club im Augenblick nicht allein waren. Bis die kleine Soiree der Pendergasts vorbei war – die Party, die Party der Pendergasts –, würden sich in unserer privaten kleinen Zuflucht auch all jene unermüdlichen Helferlein tummeln, die ich dazu überredet, beschwatzt und praktisch erpresst hatte, uns zu unterstützen.

Und wenn ich ganz ehrlich war, dann waren Cheryls Ratschläge ohnehin nicht immer das, was man als absolut zuverlässig bezeichnen konnte. Wenn ich einen klugen, besonnenen Schubs in die richtige Richtung wollte, dann würde ich ihn nicht von einem Mädchen bekommen, das Reggie Mantle einst eine Treppe hinuntergestoßen hatte, weil er nach dem Labor Day Weiß getragen hatte. Als der Fahrstuhl eintraf, tippte ich bereits eine Nachricht.

Veronica:

Ich weiß, dass Du heute zu tun hast, aber ich brauche jetzt wirklich meine BFF. Mittagessen? Auf meine Kosten natürlich.

Betty:

Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann! Ich sag nur: Shoppen fürs neue Schuljahr mit meiner Mutter – ich würde sogar freiwillig wieder bei den Schwestern der Stillen Gnade einziehen.

Veronica:

Treffen in 20 Min. in der Bibliothek?

Betty:

Gibt’s … in der Bibliothek jetzt auch was zu essen?

Veronica:

Nein, aber Privatsphäre. Und vertrau mir, B … wenn du hörst, was ich zu erzählen hab, wirst du für die Abgeschiedenheit dankbar sein. Wir können hinterher noch ins Pop’s.

Betty:

Okay, V, jetzt bin ich neugierig. Und besorgt?

Veronica:

Ich werde dir alles erklären, B, versprochen.

KAPITEL 3

Eine Freundin in der Not ist eine wahre Freundin und ich hätte mir keine bessere wünschen können als meine BFF, Betty Cooper. Unser Leben in Manhattan hatte zwar in vielerlei Hinsicht keine Wünsche offen gelassen, aber die berühmt-berüchtigte Schicksalswende meiner Familie hatte auch jede Menge Giftschlangen enthüllt, die durch unser stets grüneres Gras gekrochen waren. Damals war mir der Umzug nach Riverdale wie ein noch schlimmeres Los erschienen als der Tod – in eine Stadt ins Exil verbannt zu werden, die ich noch nicht mal auf der Landkarte finden konnte und in der ich gegen einen doppelten Ruf ankämpfen musste: Ich war das verwöhnte reiche High Society Girl und die Tochter eines in Ungnade gefallenen Kriminellen.

Doch trotz all der demütigenden Pfeile und Schleudern würde ich das Ganze ohne zu zögern noch mal durchmachen, nur, um Betty kennenzulernen.

Okay, vielleicht nicht die Sache mit dem Serienmörder. Oder diese ganze Saga, in der mein Vater einen Mann hatte umbringen lassen, um den Mord dann meinem Freund anzuhängen, aber … Ihr wisst schon, das ganze andere Zeug eben.

Ich traf als Erste in der Bibliothek ein, deren mit Schindeln verkleidetes Äußeres erst vor Kurzem frisch weiß getüncht worden war, und auch der Blumengarten glich einem wahren Dschungel aus saftig-grünen Blättern. Ganz gleich, wie sehr Daddy mir auch eingetrichtert hatte, vor Gästen, der Bundespolizei und Livekameras unerschütterlich zu wirken, der kurze Weg vom Five Seasons hierher hatte mich komplett erschüttert. Es lag nicht daran, dass ich jemanden dabei erwischt hätte, wie er mir folgte – ich bildete mir ein, alle dabei erwischt zu haben, wie sie mir folgten.

Es war absurd, eine paranoide Wahnvorstellung – und was noch viel schlimmer war: Das wusste ich selbst. Aber ich konnte einfach das Gefühl nicht abschütteln, beobachtet zu werden. Die Nacht des 4. Juli blitzte wieder in meiner Erinnerung auf, wie eine funkelnde Wunderkerze, die meine Schuld für alle sichtbar in die Luft malte. Die Grabesstille in der Parkgarage, der Teppich aus Glasscherben … die beiden Deputys, die die Treppenhäuser und schattigen Ecken gewissenhaft absuchten, aber nichts fanden. Es war definitiv niemand dort gewesen, und doch wusste irgendjemand über die ganze Sache Bescheid.

Oder nicht?

»Wenn du mich hierhergelockt hast, damit ich dir ein paar Buchempfehlungen gebe, die ich dir auch genauso gut aufs Handy hätte schicken können, dann werde ich ein bisschen sauer.« Die Stimme über meiner Schulter erschreckte mich. Ich wirbelte herum und sah, dass Betty vor mir stand. »Aber nur ein bisschen. Meine Mom macht heute auf Alice Cooper extrem.«

Betty sah … nun, sie sah aus wie sieselbst: makellos, farblich perfekt abgestimmt und in Pastelltöne gekleidet, ihre blonden Locken zu ihrem typischen Pferdeschwanz zusammengefasst. Sie war das personifizierte Gegenteil von Schwierigkeiten und ich schlang voller Erleichterung die Arme um sie und drückte sie an mich.

»Wow! Nicht dass ich was gegen diese öffentliche Zuneigungsbekundung hätte, V, aber was ist denn hier los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen. Oder vielleicht sogar einen Geist, der gerade einen anderen Geist ermordet hat.«

»Ich bin nur … froh, dass du da bist«, murmelte ich und blinzelte die Tränen hinunter.

»Na, ich doch auch.« Betty lächelte und warf einen Blick in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Meine Mom hat mir gerade fünf Bettlaken gekauft, drei davon wieder zurückgebracht, noch mal zwei gekauft und eins davon auch wieder zurückgebracht. Und, ob du’s glaubst oder nicht, sie ist sauer auf mich, weil ich Bettlaken nicht ernster nehme. Du hast mir die perfekte Ausrede gegeben, ihr zu entfliehen.« Es war offensichtlich, dass sie versuchte, meine Stimmung auszuloten – und dabei erkannte, wie düster sie tatsächlich war. »V… warum wolltest du dich hier mit mir treffen?«

»Drinnen«, antwortete ich mit zitternder Stimme. Der Gehweg war überfüllt, Gesichter zu vertraut – und meine Mutter hatte mir damals doch tatsächlich versichern wollen, die Intimität einer Kleinstadt habe etwas Beruhigendes. »Jeder kennt in Riverdale jeden und alle kümmern sich umeinander.« Aber jetzt kam ich mir vor, als sei ich in einem Goldfischglas gefangen und von nichts als hungrigen Katzen umgeben. Beinahe vermisste ich mein Leben in Manhattan, wo stets freundliche Fremde diejenigen waren, die dich umbringen wollten.

Ich schob die arme Betty bis in die hinterste Ecke der Wissenschaftsabteilung, in eine Ecke voller Bücher über Wirtschaftstheorie, die garantiert seit den 1970ern nicht mehr von Menschenhand berührt worden waren, bevor ich schließlich den Mut aufbrachte, mit der Sprache herauszurücken. »Es ist etwas passiert, und ich bin mir nicht sicher, was ich deswegen unternehmen soll.«

Betty senkte den Blick zu meinen Händen, und als ich selbst darauf hinabschaute, wurde mir bewusst, dass ich so verkrampft damit rang, dass meine Knöchel ganz weiß hervortraten. »Was ist denn passiert?«, fragte sie. »Du machst mir Angst.«

Sie legte eine Hand auf meinen Arm und ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf die Halbmondnarben in ihren Handflächen. Mit ihren Rehaugen, ihrem blassen Teint und der vage melancholischen Aura hätte Betty Cooper auch direkt einem Gemälde von Vermeer entstiegen sein können.

Aber auch sie hatte eine dunklere Seite.

Wir hatten alle schon mehr als einmal gesehen, wie sie so fest die Fäuste ballte, dass sich die Nägel tief in ihre Haut bohrten und sie zu bluten begann. Und ich war auch schon einmal Zeugin geworden, wie sie auf die dunkle Seite gewechselt hatte, die niemals Sternenlicht sah – bei Chuck Clayton, als sie seinen Kopf in einem sprudelnden Whirlpool unter Wasser gedrückt hatte. In jener Nacht hatte sie mir Angst gemacht, und wir hatten alle geschworen, sie von diesem Abgrund wegzuzerren, falls sie ihm noch einmal zu nahe kommen sollte … aber in diesem Augenblick war ich trotzdem dankbar dafür, jemanden an meiner Seite zu haben, der zu derartig gefährlichen Taten fähig war.

Plötzlich traf mich mit einem Schlag die Erkenntnis, wie sehr ich mich in den letzten paar Jahren verändert hatte. Mein moralischer Kompass war so aus der Spur, dass ich sogar hoffte, ein wenig von Dark Bettys schwarzer Magie würde auf mich abfärben. Mein Vater wäre wirklich stolz auf mich gewesen.

Die Atmosphäre in der Bibliothek war gedämpft, die Stille nur durchbrochen vom vereinzelten Husten und Schniefen der anderen Besucher jenseits der hohen Regale, aber ich blickte trotzdem hektisch über die Schulter. Dann zog ich wortlos den Umschlag von Poison Pen aus meiner Handtasche und drückte ihn Betty in die Hand.

Während sie den Brief las, wurden ihre Augen immer größer und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. »W-woher kommt der? Wie …?«

»Jemand hat ihn an der Rezeption im Five Seasons abgegeben, vor ungefähr einer halben Stunde.« Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, während die Klimaanlage der Bibliothek kalte Luft auf unsere Nacken blies. »Aber sieh dir erst mal an, was noch dabei war.«

Ich deutete auf den Umschlag, und Betty holte das Foto heraus, das sich darin befand. Sie betrachtete das Bild, verglich es mit meinem Outfit und zählte eins und eins zusammen. »Das war … jemand hat heute ein Foto von dir gemacht?«

»Jemand hat heute Morgen ein Foto von mir gemacht, im Five Seasons, und es dann zusammen mit einer Nachricht, auf der steht, dass er mich beobachtet, an der Rezeption abgegeben«, fasste ich heiser zusammen. Ich bereute schon jetzt, dass ich die Bibliothek als Treffpunkt ausgewählt hatte. Ich hatte geglaubt, dass es in der Stille hier, in dem Labyrinth aus verstaubten Regalen und vergessenen Büchern, leichter sein würde, uns zu verstecken. Aber ich hatte mich geirrt. In der erdrückenden Stille klang sogar unser leisestes Flüstern wie Geschrei. »Jemand weiß es, B.«

Betty betrachtete das Foto genauer und murmelte: »Aber woher? Du hast doch … niemandem etwas davon erzählt, oder?«

»Nein!« Ich riss ihr das Foto aus der Hand und versuchte, nicht beleidigt zu wirken. »Ich will doch hoffen, dass offensichtlich ist, dass ich das niemals tun würde.« Leise zischend fügte ich hinzu: »Wir haben eine Abmachung getroffen und daran halte ich mich auch.«

»Das war keine Anklage, V.«

»Tut mir leid.« Ich atmete tief durch, atmete die kühle Luft und den Duft von verstaubtem Papier ein und vergrub den Umschlag – inklusive Brief und Foto – wieder ganz unten in meiner Handtasche. »Ich schätze, die Sache nimmt mich einfach ziemlich mit. Wie auch immer, du weißt, dass es höchstens eine Handvoll Leute gibt, denen ich so etwas überhaupt anvertrauen würde … und diese Leute wissen es bereits alle.«

Betty nickte und starrte nachdenklich ins Leere. »Denkst du, einer von ihnen könnte …«

»Es ausgeplaudert haben?«

»Dir den Brief geschickt haben«, korrigierte sie mich ernst, während sich ihr Blick plötzlich wieder fokussierte und ich beinahe einen Schritt rückwärts taumelte. Das war Dark Betty – ein Mädchen, das in jedem das Schlimmste sehen konnte.

»Nein. Auf keinen Fall.« Energisch schüttelte ich den Kopf. »Was sollten sie auch für einen Grund haben, mir so was zu schicken? Wer von ihnen würde das tun, und sei es nur als Scherz?« Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, überkreuzte die Finger auf dem Rücken und fragte: »Glaubst du, es könnte sich wirklich nur um einen Scherz handeln?«

»Ich weiß es nicht.« Betty starrte auf meine Handtasche, so als könnte sie den Brief darin durch das Leder erneut lesen. »›Erzähl niemandem davon‹? ›Ich behalte dich im Auge‹?« Das ist vielleicht ein bisschen überdramatisch, aber … diese ›armes reiches Mädchen‹-Sache klingt, als sei es was Persönliches. Und jemand hat in der Lobby auf dich gewartet?« Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und blickte sich um. Staubflusen schwebten durch die Luft und die hohen Regale blockierten die Sicht auf die anderen Bibliotheksbesucher. »Wir sind hier in Riverdale. Es ist immer am besten, das Schlimmste anzunehmen und sich auf das … Allerschlimmste vorzubereiten. Bist du sicher, dass dir niemand hierher gefolgt ist?«

»Ich glaube schon? Ich meine, ich glaube nicht, dass mir jemand gefolgt ist.« Eiswasser rauschte durch meine Adern und ich konnte ein nervöses Lachen nicht unterdrücken. »Versteh das nicht falsch, B, aber du bist gerade echt mies darin, mir zu versichern, dass ich mir keine Sorgen machen muss.«

»Das würde ich ja gern, ehrlich«, erwiderte sie mit trauriger Miene, die alles nur noch zehn Mal schlimmer machte, »aber du hast mich mehr oder weniger davon überzeugt, dass das Ganze nicht nur ein Scherz ist. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel, als dass es einer aus dem Kreis der Eingeweihten sein könnte. Jeder von ihnen hätte schließlich etwas zu verlieren.« Betty atmete seufzend aus. »Aber als harmloser Bluff ergibt es genauso wenig Sinn. Ich meine, wie hätte Poison Pen das alles so genau erraten können? Und falls die Nachricht echt ist und dieser Jemand wirklich Bescheid weiß …«

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich drückte die Hand meiner besten Freundin ganz fest und flehte sie an: »Ich brauche deinen scharfen Verstand, Nancy Drew – du bist meine einzige Chance. Hilf mir, herauszufinden, wer hinter dieser Sache steckt, bevor … bevor das Allerschlimmste passiert.«

»Du hast gesagt, jemand hätte die Nachricht an der Rezeption im Five Seasons abgegeben. Hast du mal gefragt –«

»Zumindest in dieser Hinsicht bin ich dir weit voraus.« Ich hob eine Hand. »Ich habe den Concierge praktisch ins Kreuzverhör genommen, bevor ich in die Bibliothek gekommen bin, aber absolut nichts herausgefunden. Das Pendergast-Event belegt das komplette Hotel und das Personal ist völlig überfordert. Der Concierge hat mir erklärt, er hätte nur für einen Moment woanders hingeschaut, und als er sich wieder umgedreht hat, lag der Brief plötzlich da.«