Robinson der Jüngere - Joachim Heinrich Campe - E-Book

Robinson der Jüngere E-Book

Joachim Heinrich Campe

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Beschreibung

Der 1779/1780 erschienene Jugendroman Robinson der Jüngere, eine freie Übersetzung und Bearbeitung des Robinson Crusoe von Daniel Defoe, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, gilt als erste spezifische deutsche Jugendschrift und wurde zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Jugendromane überhaupt.

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Robinson der Jüngere

Joachim Heinrich Campe

Inhalt:

Joachim Heinrich von Campe – Biographie und Bibliographie

Vorbericht.

Robinson der Jüngere

Erster Abend.

Zweiter Abend.

Dritter Abend.

Vierter Abend.

Fünfter Abend.

Sechster Abend.

Siebender Abend.

Achter Abend.

Neunter Abend.

Zehnter Abend.

Eilfter Abend.

Zwölfter Abend.

Dreizehnter Abend.

Vierzehnter Abend.

Funfzehnter Abend.

Sechzehnter Abend.

Siebzehnter Abend.

Achtzehnter Abend.

Neunzehnter Abend.

Zwanzigster Abend.

Ein und zwanzigster Abend.

Zwei und zwanzigster Abend.

Drei und zwanzigster Abend.

Vier und zwanzigster Abend.

Fünf und zwanzigster Abend.

Sechs und zwanzigster Abend.

Sieben und zwanzigster Abend.

Acht und zwanzigster Abend.

Neun und zwanzigster Abend.

Dreißigster Abend.

Robinson der Jüngere, J. H. Campe

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849623265

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Joachim Heinrich von Campe – Biographie und Bibliographie

Philanthropischer Pädagoge und Schriftsteller, geb. 29. Juni 1746 in Deensen bei Holzminden, gest. 22. Okt. 1818 in Braunschweig, studierte seit 1765 in Helmstedt und Halle Theologie, lebte seit 1769 als Erzieher im Humboldtschen Hause zu Berlin und Tegel, erhielt 1773 eine Feldpredigerstelle in Potsdam, war 1774–75 Lehrer der Brüder Wilhelm und Alexander v. Humboldt, dann Prediger in Potsdam. Ergriffen von Basedows Idee einer philanthropischen Reform des Schulwesens, folgte er 1776 dem Ruf nach Dessau als Edukationsrat und Lehrer am dortigen Philanthropin, dessen Leitung er 1777 übernahm. Die Anstalt hob sich unter C.; doch bewogen ihn Streitigkeiten mit Basedow schon im Herbst 1777, Dessau zu verlassen und in Billwerder bei Hamburg selbst ein kleineres Erziehungsinstitut zu gründen. Hier entstanden seine ersten berühmten Jugendschriften. 1783 trat er seine Anstalt an Trapp ab und siedelte mit vier Zöglingen nach Trittau in Holstein über. Von da zog C. 1786 nach Braunschweig, wo er nach dem Wunsch des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand eine zeitgemäße Reorganisation des Schulwesens durchführen sollte. Der Herzog ernannte ihn 1787 zum Kanonikus, später (1805) zum Dechanten des Stiftes St. Cyriaci. Aber die Reform scheiterte am Widerspruch der kirchlichen und ständischen Körperschaften; C. gründete nun (1787) die braunschweigische Schulbuchhandlung und-Druckerei und lebte seitdem ganz der Schriftstellerei, später besonders der Ausarbeitung seines »Wörterbuchs der deutschen Sprache« und des »Wörterbuchs der Erklärung und Verdeutschung der unsrer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke« (Braunschw. 1801, 2. Aufl. 1813). Über eine Reise nach Paris in Begleitung W. v. Humboldts 1789 veröffentlichte er, hingerissen von den Ideen der Revolution, begeisterte Briefe, was ihm viele Angriffe zuzog. Warme Liebe zur Jugend, verbunden mit streng sittlicher, rationalistisch frommer Gesinnung, mit der Gabe beredter Darstellung und mit gleichmäßig würdevoller Haltung, machte ihn zum erfolgreichen Erzieher, zum gern gelesenen Schriftsteller und in weiten Kreisen zum Gegenstand hoher persönlicher Verehrung. Sein nüchterner, nur dem Nützlichen zugewandter Sinn schadete ihm bei der Mitwelt weniger als bei der Nachwelt. Seine »Sämtlichen Kinder- und Jugendschriften« (37 Bdchn.; 4. Aufl., Braunschw. 1832) haben ihrer Zeit weite Verbreitung und viel Nachahmung gefunden. Die bekanntesten, noch bis heute immer wieder neu ausgelegten sind: »Robinson Crusoe der jüngere« (115. Aufl., Braunschw. 1890) und die »Geschichte der Entdeckung von Amerika« (26. Aufl., das. 1881). Von bedeutendem Einfluss auf ihre Zeit waren auch Campes theoretische, pädagogische und populär-paränetische Schriften, besonders: »Theophron oder der erfahrene Ratgeber für die unerfahrene Jugend« (1783, 2 Tle.; 11. Aufl. 1843; neu bearbeitet von Krause, Berl. 1873) und »Väterlicher Rat an meine Tochter« (1789, 10. Aufl. 1832) sowie die unvollendete »Schulenzyklopädie« und das von 1785–91 als »Revision des gesamten Erziehungswesens« in 15 Bänden erschienene Sammelwerk, das außer Beiträgen namhafter deutscher Schulmänner auch Übersetzungen ausländischer Schriften enthält. Campes philosophische Schriften, wie: »Philosophische Gespräche über die unmittelbare Bekanntmachung der Religion und über einige unzulängliche Beweisarten derselben« (Berl. 1773), »Die Empfindungs- und Erkenntniskraft der menschlichen Seele« (Leipz. 1776), »Über Empfindsamkeit und Empfindelei« (Hamb. 1779), »Kleine Seelenlehre für Kinder« (das. 1780; 9. Aufl., Braunschw. 1830), »Moritz, ein Beitrag zur Erfahrungsseelenkunde« (das. 1789) u. a., vertreten den Standpunkt der sogen. Aufklärung. Um Reinigung der deutschen Sprache in redlichem Patriotismus bemüht, ermangelte C. der tieferen sprachgeschichtlichen Einsicht. Doch bleibt sein großes »Wörterbuch der deutschen Sprache« (Braunschweig 1807–12, 5 Bde.) eine beachtenswerte Leistung. Vgl. Hallier, J. H. Campes Leben und Wirken (2. Aufl., Soest 1862); Leyser, Joach. Heinr. C. (2. Aufl., Braunschw. 1896, 2 Bde.); Cassan, I. H. C. (Langensalza 1889, 2 Bde.); Lötze, I. H. C. als Pädagoge (Leipz. 1890). Die Campesche Buchhandlung ging an den Gatten seiner einzigen Tochter, Fr. Vieweg, über.

Vorbericht.

Wenn ich die mannigfaltigen Zwekke, die ich bei der Ausarbeitung dieses Werkchens vor Augen hatte, nicht alle verfehlt habe, so liefere ich hier ein Buch, welches in mehr, als einer, Hinsicht Nuzen verspricht. Ich wil diese Zwekke kürzlich darlegen, um einen jeden in den Stand zu sezen, sie mit der Ausführung zusammen zu halten. Das wird dan auch den Vortheil haben, daß angehende Erzieher daraus den Gebrauch ersehen können, den ich von diesem Buche gemacht wünsche.

Erstlichwolte ich meine jungen Leser auf eine so angenehme Weise unterhalten, als es mir möglich wäre; weil ich wußte, daß die Herzen der Kinder sich jedem nüzlichen Unterrichte nicht lieber öfnen, als wenn sie vergnügt sind. Auch darf ich hoffen, diese meine erste Absicht in einem ziemlichen Grade erreicht zu haben.

Dan nahm ich mir zweitens vor, an den Faden der Erzählung, die in diesem Buche zum Grunde liegt, so viel elementarische Kentnisse zu schürzen, als es, ohne meinem ersten Zwekke Eintrag zu thun, nur immer geschehen könte. Ich verstehe aber unter den elementarischen Kentnissen nicht etwa blos litterarische, sondern auch vornehmlich solche, welche den eigentlichen litterarischen oder wissenschaftlichen Elementen vorgehen müssen; nemlich alle die Vorbegriffe von Dingen aus dem häuslichen Leben, aus der Natur und aus dem weitläuftigen Kreise der gemeinen menschlichen Wirksamkeit, ohne welche jeder andere Unterricht einem Gebäude gleicht, das keine Grundlage hat.

Nebenbei wolte ich freilig auch drittens manche nicht unerhebliche litterarische Vorerkentniß, besonders aus der Naturgeschichte, mitnehmen, weil es sich auf einem Wege thun ließ. Denn warum hätt' ich nicht, stat der erdichteten Dinge, womit die Geschichte des alten Robinsons aufgestuzt ist, lieber wahre Gegenstände, wahre Produkte und Erscheinungen der Natur – und zwar in Beziehung auf diejenigen Weltgegend, wovon die Rede ist, – in meine Erzählung aufnehmen sollen, da ich beide zu einem Preise haben, und mit beiden einerlei Absicht erreichen konte? Schon eine Ursache, warum ich von der Geschichte des alten Robinsons bei der Meinigen wenig Gebrauch machen konte. Es werden sich mehrere finden.

Meine vierte und wichtigste Absicht war, die Umstände und Begebenheiten so zu stellen, daß recht viele Gelegenheiten zu moralischen, dem Verstande und dem Herzen der Kinder angemessenen Anmerkungen und recht viele natürliche Anlässe zu frommen, gottesfürchtigen Empfindungen dadurch hervorwüchsen. Auch um dieser Ursache willen mußte ich mir einen eigenen Stof nach meinem jedesmahligen Bedürfnisse schaffen und von der alten Geschichte abgehen. Derjenige also, der dies Buch blos zur Leseübung für seine Kinder brauchen wolte, (welches gewöhnlicher Weise nicht das angenehmste Geschäft für sie ist) werde meinen angelegentlichsten Wunsch, – den Samen der Tugend, der Frömmigkeit und der Zufriedenheit mit den Wegen der göttlichen Vorsehung, in junge Herzen auszustreuen, gar sehr vereiteln. Es sol erwachsenen Kinderfreunden zum Vorlesen dienen und nur solchen Kindern selbst in die Hände gegeben werden, die im Lesen schon eine zureichende Fertigkeit erlangt haben.

Meine fünfte Absicht hatte Beziehung auf eine dermalige epidemische Selenseuche, welche unter allen Kräften unserer gesamten körperlichen und geistigen Natur, zu recht sichtbarer Verminderung der Summe unserer Lebensfreuden, seit einigen Jahren eine so fürchterliche Verwüstung angerichtet hat. Ich meine das leidige Empfindsamkeitsfieber. Zwar hat – dem Himmel sei Dank! – die Wuth dieser moralischen Seuche in so fern wieder nachgelassen, daß sie nicht mehr eine Pestilenz ist, die am hellen Mittage verderbet, weil wohl keiner mehr das Schild der Empfindsamkeit öffentlich auszuhängen wagt: aber nichts destoweniger ist sie noch bis auf diesen Tag eine Seuche geblieben, die im Finstern schleicht, und gleich andern Krankheiten, deren man sich schämt, an der Gesundheit der menschlichen Sele im Verborgenen nagt. Nichts hat mich mehr dabei gejammert, als zu sehen, daß man das säße einschmeichelnde Gift dieser Krankheit auch unserer jungen Nachkommenschaft anzuhauchen und also auch das kommende Geschlecht eben so an Leib und Sele kränkelnd, eben so nervenlos, eben so unzufrieden mit sich selbst, mit der Welt, und mit dem Himmel zu machen suche, als es das gegenwärtige ist. Indem ich nun darüber nachdachte, welches wohl das wirksamste Gegengift wider diese Anstekkung sein mögte, stelte sich meiner Sele das Ideal eines Buchs dar, welches grade der Gegenfüßler der empfindsamen und empfindelnden Bücher unserer Zeit wäre; ein Buch, welches die Kinderselen aus der fantastischen Schäferwelt, welche nirgends ist, und in welche Andere sie hinzukörnen suchen, in diejenige wirkliche Welt, in der wir uns dermalen selbst befinden, und aus dieser in den ursprünglichen Zustand der Menschheit zurükführte, aus dem wir herausgegangen sind; ein Buch, welches jede in uns schlummernde phisische und moralische Menschenkraft wekte, anfeuerte, stärkte; ein Buch, welches zwar eben so unterhaltend und anziehend, als irgend ein Anderes wäre, aber nicht so, wie Andere, blos zu unthätigen Beschauungen, zu müssigen Rührungen, sondern unmittelbar zur Selbstthätigkeit führte; ein Buch, welches den jungen Nachahmungstrieb der Kindersele (den ersten unter allen Trieben, die bei uns zu erwachen pflegen) unmittelbar auf solche Gegenstände richtete, welche recht eigentlich zu unserer Bestimmung gehören, ich meine – auf Erfindungen und Beschäftigungen zur Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse; ein Buch, worin diese natürlichen Bedürfnisse des Menschen mit den erkünstelten und eingebildeten, so wie die wahren Beziehungen der Dinge in der Welt auf unsere Glükseeligkeit, mit den fantastischen, anschaulich kontrastirten; ein Buch also endlich, welches Junge und Alte das Glük des geselligen Lebens, bei allen seinen Mängeln und unvermeidlichen Einschränkungen, recht mit Händen greifen liesse, und dadurch Alle zur Zufriedenheit mit ihrem Zustande, zur Ausübung jeder geselligen Tugend und zur innigsten Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung ermunterte.

Indem ich mir das herliche Ideal eines solchen Buches dachte und schüchtern nach dem Manne, der's uns geben könte, umherblikte; fiel mir ein, daß schon Rousseau (Friede sei mit seinem abgeschiedenen großen Geiste!) einmahl ein ähnliches Buch gewünscht und – wie fing mein Puls an zu pochen! – schon zum Theil gefunden habe. Geschwind ergrif ich den zweiten Theil des Aemils, um die angenehme Nachricht davon noch einmahl zu lesen; und hier ist die Stelle, worin ich sie fand:

»Solte es wohl kein Mittel geben, so viele in so vielen Büchern zerstreuete Lehren näher zusammen zu bringen? sie unter einen gemeinschaftlichen Gegenstand zu vereinigen, der leicht zu übersehen, nüzlich zu befolgen wäre, und auch selbst diesem Alter zum Antriebe dienen könte? Wenn man eine Verfassung finden kan, worinnen sich alle natürliche Bedürfnisse des Menschen auf eine dem Geiste des Kindes sinliche Art zeigen, und wo sich die Mittel, für diese Bedürfnisse zu sorgen, nach und nach mit eben der Lebhaftigkeit entwikkeln: so muß man durch die lebhafte und natürliche Abschilderung dieses Zustandes seiner Einbildungskraft die erste Uebung geben.

Hiziger Philosoph, ich sehe schon Ihre Einbildungskraft sich entzünden. Sezen Sie sich in keine Unkosten; diese Verfassung ist gefunden, sie ist beschrieben und, ohne Ihnen Unrecht zu thun, viel besser, als Sie solche beschreiben würden, wenigstens mit mehr Wahrheit und Einfalt. Weil wir durchaus Bücher haben müssen, so ist eins vorhanden, welches nach meinem Sinne die glüklichste Abhandlung von einer natürlichen Erziehung an die Hand giebt. Dies Buch wird das Erste sein, welches mein Aemil lesen wird; es wird lange Zeit allein seine ganze Bibliothek ausmachen und es wird stets einen ansehnlichen Plaz darin behalten. Es wird der Text sein, welchem alle unsere Unterredungen von den natürlichen Wissenschaften nur zur Auslegung und Erläuterung dienen werden. Es wird bei unserm Fortgange zu dem Stande unserer Urtheilskraft zum Beweise dienen, und so lange unser Geschmak nicht wird verderbt sein, wird uns das Lesen desselben allezeit gefallen. Welches ist denn dieses wundersame Buch? Ist es Aristoteles, ist es Plinius, ist es Büffon? – Nein; es ist Robinson Krusoe.

Robinson Krusoeist auf seiner Insel allein, von allem Beistande seines Gleichen und von den Werkzeugen aller Künste entblößt; er sorget indessen doch für seinen Unterhalt, für seine Erhaltung und verschaft sich sogar eine Art von Wohlsein. Dies ist ein wichtiger Gegenstand für jedes Alter und man hat tausenderlei Mittel ihn den Kindern angenehm zu machen. Man sehe, wie wir die wüste Insel wirklich machen, die mir anfangs nur zur Vergleichung diente. Dieser Zustand ist, ich gestehe es, nicht des geselligen Menschen seiner. Wahrscheinlicher Weise wird er auch nicht Aemils seiner sein. Allein nach eben diesem Stande sol er alle die andern schäzen. Das sicherste Mittel, sich aber die Vorurtheile zu erheben, und seine Urtheile nach den wahren Verhältnissen der Dinge einzurichten, ist, daß man sich an die Stelle eines einzelnen Menschen seze und von allem so urtheile, wie dieser Mensch in Absicht auf seinen eigenen Nuzen davon urtheilen muß.

Dieser Roman, welcher von allen seinem Gewäsche entladen, mit Robinsons Schifbruche bei seiner Insel anfängt und sich mit der Ankunft des Schiffes endiget, welches ihn von da abholet, wird während der Zeit, wovon hier die Rede ist, Aemils Zeitvertreib und Unterricht zugleich sein. Ich wil, daß ihm der Kopf davon schwindle, daß er sich unaufhörlich mit seinem Schlosse, mit seinen Ziegen, mit seinen Pflanzungen beschäftige; daß er umständlich, nicht aus Büchern, sondern an den Sachen selbst lerne, was er in dergleichen Falle wissen muß. Er denke, er sei selbst Robinson; er sehe sich in Felle gekleidet, wie er eine große Müze, einen großen Säbel trägt und den ganzen seltsamen Aufzug des Bildes machet, bis auf den Sonnenschirm beinahe, den er nicht nöthig haben wird. Ich will daß er sich wegen der Maaßregeln beunruhige, die er nehmen sol, wenn ihm dies oder das abgehen würde; daß er die Aufführung seines Helden untersuche; daß er nachforsche, ob derselbe nichts unterlassen habe; ob nichts besser zu machen gewesen wäre; daß er seine Fehler aufmerksam anmerke und daß er sich derselben zu Nuze mache, damit er in dergleichen Falle nicht selbst darein gerathe. Denn man zweifle nicht, daß er nicht den Anschlag fasse, einen dergleichen Siz anzulegen. Dies ist das wahre Luftschloß dieses glüklichen Alters, worin man keine andere Glükseeligkeit kennet, als das Nothwendige und die Freiheit.

Was für ein Hülfsmittel ist doch diese Thorheit für einen geschikten Man, der sie nur hervorzubringen gewußt, damit er sie zum Vortheile anwende! Das Kind, welches gedrungen ist, sich ein Vorrathshaus für seine Insel anzulegen, wird weit hiziger sein zu lernen, als der Lehrmeister zu lehren. Es wird alles wissen wollen, was nüzlich ist, und wird nur das wissen wollen. Man wird nicht mehr nöthig haben, es zu führen; man wird es nur zurük zu halten brauchen. – Die Ausübung der natürlichen Künste, wozu ein einziger Mensch genug sein kan, führet zur Nachforschung derjenigen Künste des Fleisses und der Geschiklichkeit, welche nöthig haben, daß viele Hände zusammen kommen.«

So weit Rousseau!

Und so wäre es dan wirklich schon längst da gewesen, das wunderseltsame Buch, welches uns noch zu fehlen schien? – Ja! und nein! je nachdem man entweder die bloße Hauptidee von einem solchen Buche, oder die ganze Ausführung derselben meint. In jener Hinsicht (aus welcher Rousseau davon redet) ist es da, ist es längst da gewesen und Robinson Krusoe ist sein Nahme; in dieser fehlt' es bisher noch gänzlich. Denn ich brauche doch wohl nicht erst anzumerken, daß so viel weitschweifiges, überflüssiges Gewäsche, womit dieser veraltete Roman überladen ist, die bis zum Ekkel gezerte, schwerfällige Schreibart desselben und die veraltete, oft fehlerhafte Sprache unserer alten deutschen Uebersezung eben so wenig, als so manche, in Rüksicht auf Kinder, fehlerhafte moralische Seite desselben, keine wünschenswerthe Eigenschaften eines guten Kinderbuchs sind.

Hierzu kömt in der Geschichte des alten Robinsons noch etwas, welches einen der größten Vortheile zernichtet, den diese Geschichte stiften könte; ich meine den Umstand, daß Robinson mit allen europäischen Werkzeugen versehen wird, deren er nöthig hatte, um sich viele von denjenigen Bequemlichkeiten zu verschaffen, welche das geselschaftliche Leben gesitteter Menschen gewährt. Dadurch geht der große Vortheil verlohren, dem jungen Leser die Bedürfnisse des einzelnen Menschen, der ausser der Geselschaft lebt, und das vielseitige Glük des gesellschaftlichen Lebens, recht anschaulich zu machen. Abermahls ein wichtiger Grund, warum ich von der Geschichte dieses alten Robinsons abgehen zu müssen glaubte.

Ich zerlegte daher die ganze Geschichte des Aufenthalts meines jüngern Robinsons auf seiner Insel in drei Perioden. In der ersten solt' er ganz allein und ohne alle europäische Werkzeuge sich blos mit seinem Verstande und mit seinen Händen helfen, um auf der einen Seite zu zeigen, wie hülflos der einsame Mensch sei, und auf der andern, wie viel Nachdenken und anhaltende Strebsamkeit zur Verbesserung unsers Zustandes auszurichten vermögen. In der andern geselte ich ihm einen Gehülfen zu, um zu zeigen, wie sehr schon die bloße Geselligkeit den Zustand des Menschen verbessern könne. In der dritten Periode endlich ließ ich ein europäisches Schif an seiner Küste scheitern, und ihn dadurch mit Werkzeugen und den meisten Nothwendigkeiten des Lebens versorgen, damit der große Werth so vieler Dinge, die wir gering zu schäzen pflegen, weil wir ihrer nie entbehrt haben, recht einleuchtend werde.

Nach dieser Anzeige meines ganzen Plans werden meine Leser sich wundern, in diesem Bande nur die angezeigte erste Periode beschrieben zu finden. Hierüber und über den doppelten Titel, womit ich diesen Band versehen habe, muß ich mich jezt, und zwar besonders gegen die Herrn Subskribenten, erklären.

Von Allem, was ich bisher für die Presse schrieb, giengen wenigstens drei halbbeschriebene Bogen auf einen gedrukten. Dieser Erfahrung zu folge, hatte ich darauf gerechnet, daß ich zum jüngern Robinson nicht weniger Handschrift brauchte, als ich zu jedem andern Buche von zwanzig Bogen in klein Oktav bisher gebraucht hatte. Darnach schnit ich also bei der Ausarbeitung meinen Stof zu.

Jezt solte das Papier zum Druk eingekauft werden, und nun erfuhr ich die erste Buchhändler Verlegenheit. Man sagte mir, daß ich nur unter zweierlei Schreibpapierarten zu wählen hätte, wovon die Eine ganz grosses, die Andere kleines Format habe. Da das erstere für ein Kinderbuch von der Art, wie dieses, ein sehr unschikliches Format sein werde, so mußte ich mich zu dem Leztern entschliessen. Und nun ließ ich den Sezer Ueberschlag machen, wie viel der geschriebenen Bogen zu einem so gedrukten erfodert werden durften.

Da erfuhr ich dan zu meiner grossen Befremdung, daß derjenige Vorrath von Manuskript, den ich zu ohngefähr zwanzig Bogen bestimt hatte, wohl an vierzig ausmachen werde. Ich ließ den Ueberschlag zwei, dreimahl wiederholen, aber immer ergab sich dasselbe Resultat.

Nun befand ich mich in einer ausnehmenden Verlegenheit. Die Schrift durfte nicht kleiner, der Zwischenraum zwischen Zeilen und Lettern nicht enger sein, weil es ein Buch für Kinder werden solte. Wurden hingegen beide so gewählt, und solte dennoch das Ganze abgedrukt werden: so mußt' ich mich entschliessen, stat achtzehn bis zwanzig Bogen, die ich versprochen hatte, vierzig zu liefern. Wolt' ich dies: so mußt ich entweder von den Pränumeranten und Subskribenten einen ansehnlichen Nachschuß fodern, oder mich entschliessen, einen ansehnlichen Schaden zu leiden. Aber jenes untersagten mir meine Begriffe von Recht und Unrecht, dieses meine ökonomischen Umstände. Ich suchte also einen Mittelweg, dessen Einschlagung sich mit beiden vertragen könte, und fand ihn in folgender Einrichtung.

Ich beschloß nemlich, nur so viel Bogen drukken zu lassen, als ich versprochen hatte, und diesen die Form eines ganzen vollendeten Buchs zu geben; damit derjenige, der kein Verlangen träge, noch mehr davon zu besizen, nicht gezwungen werde, einen zweiten Theil zu kaufen. Für solche Subskribenten und Käufer ist der erste Titel beigelegt, auf welchem der Zusaz: erster Theil, weggelassen worden ist. Für Andere hingegen, welche Lust haben, sich auch die zweite Hälfte dieses Kinderbuchs anzuschaffen, ist der andere Titel bestimt, welcher diesen Zusaz hat.

Durch diesen Ausweg glaubte ich meinen Subskribenten und mir selbst Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Solte aber dem ohngeachtet Einer oder der Andere von jenen mit dieser Einrichtung nicht völlig zufrieden sein: so erkläre ich ihn hiermit von der Verbindlichkeit seiner Unterschrift völlig frei und bitte ihn, sein Exemplar irgend einem armen Kinde seines Orts zu schenken, und, stat der Bezahlung, mir blos zu melden, daß dieses geschehen sei.

Der zweite Theil also, der die Fortsezung und das Ende der Geschichte in sich faßt, wird, wenn sein Abdruk verlangt wird, ohngefähr eben so viel Bogen stark werden, als der gegenwärtige erste Theil enthält. Wenn ich frühzeitig genug benachrichtiget werde, daß eine zureichende Anzahl Subskribenten diesen zweiten Theil begehrt, so kan er, nebst der französischen Uebersezung, schon zur nächsten Ostermesse erscheinen. Ich ersuche daher die Resp. Besizer dieses ersten Theils mir ihren Willen baldigst anzuzeigen.

Ehe ich aber von meinen Lesern Abschied nehme, sei es mir vergönt, junge Erzieher auf eine Nebenabsicht aufmerksam zu machen, die mir bei der Ausarbeitung dieses Buchs gleichfalls, als ungemein wichtig, vor Augen schwebte. Ich hofte nemlich, durch eine treue Darstellung wirklicher Familienscenen ein für angehende Pädagogen nicht überflüssiges Beispiel des väterlichen und kindlichen Verhältnisses zu geben, welches zwischen dem Erzieher und seinen Zöglingen nothwendig obwalten muß. Wo dieses glükliche Verhältniß in seiner ganzen Natürlichkeit einmahl eingeführt worden ist: da sinken viele der sitlichen Erziehung entgegenstehende Klippen von selbst nieder: wo dieses aber nicht ist, – nun da nimt man seine Zuflucht zu dem Kompaß pädagogischer Künsteleien, dessen Abweichungen so mannigfaltig, und durch hinlängliche Beobachtungen bei weitem noch nicht bestimt sind. –

Uebrigens enthält diese Absicht den Grund, warum ich lieber wirkliche, als errichtete Personen, habe redend einführen, und meistentheils wirklich vorgefallene Gespräche lieber habe nachschreiben, als ungehaltene und künstlichere Dialogen habe machen wollen.

Ueber die Ursachen, die mich bewegen, in Büchern, die für Kinder bestimt sind, die gewöhnliche so genante Rechtschreibung mit ihren meisten Anomalien beizubehalten, habe ich mich in der Vorrede zum zweiten Bändchen meiner kleinen Kinderbibliothek erklärt.

Man hat von diesem Buche zugleich eine französische Uebersezung, zum Nuzen der Lehrlinge dieser Sprache veranstaltet, die sich hoffentlich von selbst empfehlen wird. Solte sich ein, der lateinischen Sprache hinlänglich, mächtiger, Man finden, der Lust und Muße hätte, eine gute lateinische Uebersezung davon zu machen: so würde dadurch eine sehr erhebliche Lükke in unserer dermaligen, noch so überaus mangelhaften Schulbibliothek ausgefült werden. Denn wo ist das Buch, welches man Langens erbärmlichen Kolloquien unterschieben, und den ersten Lehrlingen der lateinischen Sprache, ohne alle Bedenklichkeit in die Hände geben könte? Das Buch, meine ich, welches lauter, für solche Kinder verständliche, für solche gehörige, für solche auch zugleich angenehme Sachen in einem leichten lateinischen Gewande enthielte? Ich hab' es sorgfältig gesucht; aber fand es nirgends.

  Hamburg im Junius 1779.  

Robinson der Jüngere

Es war einmahl eine zahlreiche Familie, die aus kleinen und großen Leuten bestand. Diese waren theils durch die Bande der Natur, theils durch wechselseitige Liebe vereiniget. Der Hausvater und die Hausmutter liebten Alle, als ihre eigene Kinder, ohngeachtet nur Lotte, die Kleinste von Allen, ihre leibliche Tochter war; und zwei Freunde des Hauses, R** und B**, thaten ein Gleiches. Ihr Aufenthalt war auf dem Lande, nahe vor den Thoren von Hamburg.

Das Wort dieser Familie war: bete und arbeite! und Klein und Groß kanten kein ander Glük des Lebens, als welches die Erfüllung dieser Vorschrift gewährt. Aber während der Arbeit und nach vollendetem Tagewerke, wünschte jeder von ihnen auch etwas zu hören, welches ihn verständiger, weiser und besser machen könte. Da erzählte ihnen dan der Vater, bald von diesem, bald von jenem, und die kleinen Leute alle hörten ihm gern und aufmerksam zu.

Eine von solchen Abenderzählungen ist die folgende Geschichte des jüngern Robinsons. Da man glaubte, daß wohl noch mehr gute Kinder wären, die diese merkwürdige Geschichte zu hören oder zu lesen wünschten: so schrieb sie der Vater auf und der Buchdrukker mußte zwei tausend Abdrükke davon machen.

Das Buch, liebes Kind, das du iezt in Händen hast, ist einer davon. Du kanst also, wenn du wilst, gleich auf der folgenden Seite anfangen.

Aber bald hätte ich vergessen, dir zu sagen, was vorher ging, ehe diese Erzählung ihren Anfang nahm! – »Wilst du uns nicht wieder was erzählen, Vater?« fragte Gotlieb an einem schönen Sommerabend. »Gern!« war die Antwort; »aber es wäre Schade, einem so herlichen Abend nur durch die Fenster zu zusehen. Komt, wir wollen uns im Grünen lagern!«

O das ist schön, das ist schön! riefen Alle; und so ging's in vollen Sprüngen zum Hause hinaus.

Erster Abend.

Gotlieb. Hier, Vater?

Vater. Ja, hier unter diesem Apfelbaume.

Nikolas. O prächtig!

Alle. Prächtig! Prächtig! (hüpfen und klatschen mit den Händen.)

Vater. Aber, was denkt ihr denn zu machen unter der Zeit, daß ich euch erzäle? So ganz müssig werdet ihr doch wohl nicht gern da sizzen wollen?

Johannes. Ja, wenn wir nur was zu machen hätten!

Mutter. Hier sind Erbsen auszukrüllen! Hier türksche Bonen abzustreifen; wer hat Lust?

Alle. Ich! ich! ich! ich!

Gotlieb. Ich, und meine Lotte und du, Frizchen, wollen Erbsen auskrüllen: nicht?

Lotte. Nein, mit Erlaubniß, ich muß erst den Kettenstich machen, den Mutter mir gezeigt hat.

Gotlieb. Na, wir beide denn! Kom, Friz, sezze dich.

Freund R. Ich arbeite mit euch. (Sezt sich neben sie ins Gras.)

Freund B. Und ich mit euch andern; ihr wolt mich doch?

Diederich. O gern, gern! Hier ist noch Plaz genung. Das ist exzellent! Nun wollen wir sehen, wer am meisten abstreifen kan!

Vater. Sezt euch so herum, daß ihr die Sonne könt untergehen sehen; es wird heute ein schön Spektakel am Himmel geben. (Alle lagern sich und beginnen ihr Werk.)

Vater. Nun, Kinder, ich wil euch heute eine recht wunderbare Geschichte erzälen. Die Hare werden euch dabei zu Berge stehen, und dan wird euch das Herz wieder im Leibe lachen.

Gotlieb. O, aber mach's ja nicht zu traurig!

Lotte. Nein, nicht zu traurig; hörst du, Väterchen? Sonst müssen wir gewiß weinen, und können nicht davor.

Johannes. Nun, so laßt doch! Vater wird's schon wissen.

Vater. Seid unbesorgt, Kinder; ich wil's schon so machen, daß es nicht gar zu traurig werde.

Es war einmahl ein Man in der Stadt Hamburg, der hieß Robinson. Dieser hatte drei Söhne. Der Aelteste davon hatte Lust zum Soldatenstande, ließ sich anwerben und wurde erschossen in einer Schlacht mit den Franzosen.

Der zweite, der ein Gelehrter werden wolte, hatte einmahl einen Trunk gethan, da er eben erhizt war; kriegte die Schwindsucht und starb.

Nun war also nur noch der Kleinste übrig, den man Krusoe nante, ich weiß nicht, warum? Auf den sezten nun der Herr Robinson und die Frau Robinson ihre ganze Hofnung, weil er jezt ihr Einziger war. Sie hatten ihn so lieb, als ihren Augapfel; aber sie liebten ihn mit Unverstand.

Gotlieb. Was heist das, Vater?

Vater. Wirst es gleich hören. Wir lieben euch auch, wie ihr wißt; aber eben deswegen halten wir euch zur Arbeit an, und lehren euch viel angenehme und nüzliche Dinge, weil wir wissen, daß euch das gut und glüklich machen wird. Aber Krusoe's Eltern machten es nicht so. Sie liessen ihrem lieben Söhnchen in allem seinen eigenen Willen, und weil nun das liebe Söhnchen lieber spielen, als arbeiten und etwas lernen mogte: so liessen sie es meist den ganzen Tag spielen, und so lernte es denn wenig oder gar nichts. Das nennen wir andern Leute eine unvernünftige Liebe.

Gotlieb. Ha! ha! nu versteh ich's.

Vater. Der junge Robinson wuchs also heran, ohne daß man wuste, was aus ihm werden würde. Sein Vater wünschte, daß er die Handlung lernen mögte; aber dazu hatte er keine Lust. Er sagte, er wolte lieber in die weite Welt reisen, um alle Tage recht viel neues zu sehen und zu hören.

Das war nun aber recht unverständig gesprochen von dem jungen Menschen. Ja, wenn er schon was rechts hätte gelernt gehabt! Aber was wolte ein so unwissender Bursche, als dieser Krusoe war, in der weiten Welt machen? Wenn man in Ländern sein Glük machen wil: so muß man sich erst viel Geschiklichkeit erworben haben. Und daran hatte er bisher noch nicht gedacht.

Er war nun schon siebenzehn Jahr alt, und hatte seine meiste Zeit mit Herumlaufen zugebracht. Täglich quälte er seinen Vater, daß er ihn doch mögte reisen lassen; sein Vater antwortete: er wäre wohl nicht recht gescheit, und wolte nichts davon hören. Söhnchen, Söhnchen! rief ihm dan die Mutter zu, bleibe im Lande und nähre dich redlich!

Eines Tages –

Lotte. Haha! nun wirds kommen!

Nikolas. O stille doch!

Vater. Eines Tages, da er, seiner Gewohnheit nach, bei dem Hafen herum lief, sahe er einen Kammeraden, der eines Schiffers Sohn war und der eben mit seinem Vater nach London abfahren wolte.

Frizchen. In der Kutsche?

Diederich. Nein, Frizchen, nach London muß man zu Schiffe fahren über ein großes Wasser, das die Nordsee heißt. – Nun?

Vater. Der Kammerad fragte ihn: ob er nicht mit reisen wolte? Gern, antwortete Krusoe, aber meine Eltern werden es nicht haben wollen! I, sagte der Andre wieder, mache einmahl den Spaß und reise so mit! In drei Wochen sind wir wieder hier, und deinen Eltern kanst du ja sagen lassen, wo du geblieben seist.

»Aber ich habe kein Geld bei mir!« sagte Krusoe. – »Schad't nichts, antwortete der Andere; ich wil dich schon frei halten unterwegens.«

Der junge Robinson bedachte sich noch ein Paar Augenblikke; dan schlug er dem Andern auf einmahl in die Hand und rief aus: »Top! ich fahre mit, Bruder! Nur gleich zu Schiffe!« – Darauf bestellte er jemand, der nach einigen Stunden zu seinem Vater gehen und ihm sagen solte: er wäre nur ein bischen nach England gefahren und werde bald wieder kommen. Dan giengen die beiden Freunde an Bord.

Johannes. Fi! den Robinson mag ich nicht leiden.

Nikolas. Ich auch nicht.

Freund B. Warum denn nicht?

Johannes. Ja, weil er das thun kan, daß er so von seinen Eltern weg geht, ohne daß sie's ihm erlaubt haben!

Freund B. Hast Recht, Johannes, es war wirklich ein dummer Streich von ihm; wir müssen Mitleid mit seiner Dumheit haben. Gut, daß es solcher einfältigen jungen Leute, die nicht wissen, was sie ihren Eltern schuldig sind, nicht viel giebt!

Nikolas. Giebt es mehr solche?

Freund B. Mir ist keiner dergleichen vorgekommen; aber das weiß ich ganz gewiß, daß es solchen jungen Leuten nicht gut gehen kan in der Welt.

Johannes. No, wir wollen hören, wie's dem Robinson gegangen ist.

Vater. Die Matrosen – das sind die Schifferknechte – zogen die Anker auf, und spanten die Segel; der Wind fieng an das Schif zu treiben und der Schiffer sagte der Stadt mit sechs Kanonenschüssen Adieu! Der junge Robinson war mit seinem Freunde auf dem Verdekke und war ganz närrisch, vor Freude, daß er nun endlich einmahl reisen solte.

Es war ein angenehmer Tag und der Wind blies so günstig, daß sie in kurzer Zeit die Stadt Hamburg aus den Augen verloren. Am folgenden Tage kamen sie schon bey Ritzebüttel an, wo die Elbe sich ins Meer ergiesset. Und nun ging's in die offenbare See.

Was der Robinson für Augen machte, da er vor sich nichts als Luft und Wasser sahe! Das Land, wo er hergekommen war, verschwand schon nach und nach aus seinen Augen. Jezt konte er nur noch den großen Leuchtethurm sehen, den die Hamburger auf der Insul Heiligeland unterhalten. Nun verschwand auch dieser, und nun sahe er über sich nichts, als Himmel, und um sich nichts, als Wasser.

Gotlieb. Das mag aussehen!

Freund R. Kanst es vielleicht bald einmahl zu sehen kriegen!

Gotlieb. O wollen wir hingehen?

Freund R. Wenn ihr recht aufmerksam seid, indem wir euch die Erdbeschreibung lehren, daß ihr lernt, wo man hingehen muß, um von einem Orte zum andern zu kommen –

Vater. Ja, und wenn ihr durch Arbeitsamkeit und Mäßigkeit im Essen und Trinken euch täglich abhärtet, daß ihr so eine Reise aushalten könt: so machen wir schon einmahl einen kleinen Spazziergang nach Travemünde, wo die Ostsee angeht –

Alle. Oh! oh!

Vater. – sezzen uns da auf ein Schif, und lassen uns ein Paar Meilen weit ins Meer hinein fahren.

Alle sprangen auf, hingen sich dem Vater an Hals, Arme und Knie und drükten ihre Freude durch Liebkosungen, durch Händeklatschen und durch Hüpfen und Springen aus.

Mutter. Nehmt ihr mich auch mit?

Lotte. Ja, wenn du so weit gehen kanst! – Das ist aber weit hin – nicht wahr Vater? – wohl noch weiter, als nach Wandsbek, wo Herr Claudius wohnt und noch einer, der ein großes Haus und einen großen Garten hat – ach! der ist so groß, so groß! Viel größer, als unser Garten; ich bin schon da gewesen, nicht wahr Vater! Da wir auf dem Felde die bunten Steine suchten und –

Vater. Und das Pflügen ansahen –

Lotte. Ja, und in die Schmiede giengen, die da am Wege lag –

Vater. Und auf die Windmühle hinauf stiegen –

Lotte. Ach! ja, wo mir der Wind den Hut abwehete –

Vater. Den der Müllerjunge dir wiederholte.

Lotte. Das war doch ein guter Junge, nicht wahr, Vater!

Vater. Ein recht guter, der uns gleich etwas zu gefallen that, ohngeachtet er uns vorher niemahls gesehen hatte!

Lotte. Du gabst ihm auch was –

Vater. Freilich gab ich ihm was! Guten Menschen, die uns gern etwas zu gefallen thun, sucht jederman wieder Freude zu machen. – Aber wir vergessen unsern Robinson; wir müssen machen, daß wir ihn wieder einholen, sonst verlieren wir ihn aus dem Gesichte. Denn seine Farth geht verzweifelt schnel!

Zwei Tage hinter einander hatten sie immer schönes Wetter und immer guten Wind. Am dritten überzog sich der Himmel mit Wolken. Es wurde dunkel und immer dunkler, und der Wind fieng an aus vollen Bakken zu blasen.

Bald blizte es, als wenn der ganze Himmel in Feuer stände; bald war es wieder so finster, wie um Mitternacht und der Donner hörte gar nicht auf zu krachen. Der Regen rauschte, wie ein Strom, herab und ein mächtiger Sturmwind wühlte so gewaltig in dem Meere, daß die Wellen, wie Häuser hoch, aufschwollen.

Da hättet ihr sehen sollen, wie das Schif eins ums andere auf und niederschwankte! Bald trug eine hohe Welle es bis zu den Wolken hinauf, bald stürzte es wieder in den tiefen Abgrund hinab; bald lag es auf der einen, bald auf der andern Seite.

Das war ein Lermen zwischen dem Tauwerke! Das war ein Gepolter im Schiffe! Die Leute musten sich anhalten, wenn sie nicht alle Augenblikke umfallen wolten. Robinson, der des Dings noch nicht gewohnt war, wurde schwindlicht, kriegte Uebelkeiten, und wurde so krank, daß er glaubte er müste den Geist aufgeben. Das nennen sie die Seekrankheit.

Johannes. Das hat er nun davon!

Vater. »Ach! meine Eltern! meine armen Eltern!« rief er nun einmahl über das andere aus. »Sie werden mich nie wieder sehen! O ich unverständiger Mensch, daß ich sie so betrüben konte!«

Krak! Krak! ging's plözlich auf dem Verdekke. »Himmel, sei uns gnädig!« schrie das Schifsvolk und ward blaß, wie der Tod und rang verzweiflungsvol die Hände. »Was ist?« rief Robinson, der vor Schrekken beinahe des Todes war.

»Ach, hieß es, wir sind verloren! Ein Wetterschlag hat den Fokmast (das heißt, den ersten von den drei aufrechtstehenden Mastbäumen des Schifs) zersplittert und der große mitlere Mast steht nun so lose, daß er auch gekapt und über Bord geworfen werden muß!«

»Wir sind verloren! schrie eine andere Stimme aus dem Schifsraume herauf. Das Schif hat einen Lek bekommen; das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Schif!«

Robinson, der in der Kajüte auf den Boden saß, sank bey diesen Worten rüklings nieder, und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Alle andere liefen nach den Pumpen, um das Schif, wo möglich, flot, das heißt, über dem Wasser, zu erhalten. Endlich kam ein Matrose; schüttelte ihn und rief ihm zu: ob er denn allein müssig da liegen wolte, indeß alle andere Leute im Schiffe sich zu Tode arbeiten müsten?

Er rafte sich also auf, so schwach er auch war, und stelte sich mit an eine der Pumpen. Indeß ließ der Schiffer einige Kanonen abbrennen, um andern Schiffen, die sich etwa in der Nähe befinden mögten, ein Zeichen zu geben, daß er sich in Noth befinde. Robinson, der nicht wuste, was der Knal zu bedeuten habe, glaubte das Schif wäre geborsten, und sank von neuem in Ohnmacht. Ein Matrose, der an seine Stelle trat, stieß ihn aus dem Wege und ließ ihn für todt liegen.

Man pumpte mit Macht; allein das Wasser im Schifsraum stieg immer höher und man erwartete schon den Augenblik, da das Schif untersinken werde. Um es zu erleichtern wurde alles, was nur einigermaßen entbehrt werden konte, Kanonen, Ballen, Fässer u. s. w. über Bord ins Meer geworfen. Aber das wolte alles nicht helfen.

Indeß hatte ein anderes Schif die Nothschüsse gehört, und schikte ein Boot ab, um die Leute, wo möglich, zu retten. Aber dieses Boot konte nicht heran kommen, weil die Wellen gar zu hoch giengen. Endlich kam es dem Hintertheile des Schiffes so nahe, daß man den Leuten, die darein waren, ein Tau zu werfen konte. Durch Hülfe desselben zogen sie das Boot heran; und nun sprang alles, was Füße hatte, hinein, um sich zu retten. Robinson, der nicht auf den Füßen stehen konte, wurde von einigen mitleidigen Matrosen gleichfalls hinein geworfen.

Kaum waren sie eine kleine Strekke von dem Schiffe weggerudert: so sahen sie es vor ihren Augen sinken. Glüklicher Weise fieng um diese Zeit der Sturm an, sich ein wenig zu legen: sonst würde das Boot, worin nun so viele Menschen sassen, gewiß von den Wellen sein verschlungen worden. Unter vielen Gefahren kam es endlich bey dem Schiffe, wozu es gehörte an, und alle wurden in dasselbe aufgenommen.

Gotlieb. Ach! das ist gut, daß die armen Menschen doch nicht ertrunken sind!

Nikolas. Ich bin recht angst gewesen.

Lotte. Das wird den Monsieur Robinson lehren, daß er künftig nicht wieder so dum Zeug anfängt!

Mutter. Das denk' ich auch; nun wird er wohl kluger geworden sein?

Diederich. Wo blieb er denn nun?

Vater. Das Schif, welches ihn und die Andern aufgenommen hatte, segelte nach London. Vier Tage darauf war es schon bei der Mündung der Themse und nicht lange darnach lag es bei der Stadt London vor Anker.

Frizchen. Was ist das, die Mündung der Themse?

Freund R. Die Themse ist ein Strom, wie unsere Elbe, der nicht weit von London ins Meer fließt. Der Ort, wo ein Strom ins Meer fält, wird die Mündung desselben genant.

Vater. Alle giengen nunmehr ans Land, und jeder freute sich, daß er so davon gekommen war.

Robinson hatte nun genug zu thun, die große Stadt London zu besehen, und vergaß darüber das Vergangene und das Zukünftige. Endlich erinnerte ihn sein Magen, daß er auch was zu Essen haben müste, wenn er in der großen Stadt London leben wolte. Er gieng also hin zu dem Schiffer, mit welchem er gekommen war, und bat ihn, daß er ihn mögte mit sich speisen lassen.

Dieser war bereit, ihn gastfreundlich aufzunehmen. Während dem Essen fragte er unsern Robinson, warum er denn eigentlich hieher gekommen sei? und was er nun hier vorzunehmen gedächte?

Da erzählte ihm Robinson offenherzig, daß er bloß zur Lust und zwar ohne Wissen seiner Eltern diese Reise gethan habe, und daß er nun nicht wisse, was er anfangen solle.

»Ohne Wissen ihrer Eltern?« rief der Schiffer ganz erschrokken aus, indem ihm das Messer aus der Hand fiel. »Guter Gott! warum muste ich das doch nicht eher erfahren!« »Glauben Sie mir, unbesonnener junger Mensch, fuhr er fort, hätte ich das zu Hamburg gewust, ich würde sie nicht mitgenommen haben, und wenn sie mir eine Tonne Goldes zur Belonung angeboten hätten!«

Robinsonsaß beschämt und schlug die Augen nieder.

Der ehrliche Schiffer fuhr fort, ihm sein großes Unrecht vorzustellen, und sagte: er sei versichert, daß es ihm unmöglich wohl gehen könne, bis er sich gebessert und von seinen Eltern Vergebung erlangt hätte. Robinson weinte seine bittern Tränen.

Aber, was sol ich denn nun machen? fragte er endlich, mit vielem Schluchzen.

»Was sie machen sollen? antwortete der Schiffer; – zurük zu ihren Eltern sollen sie; ihre Knie umfassen und mit kindlicher Reue sie um Verzeihung ihrer Unbesonnenheit bitten.«

Lotte. Das war doch ein recht guter Man, der Schiffer; nicht wahr, Vater?

Vater. Er that, was jeder thun muß, wenn er seinen Nebenmenschen fehlen sieht; er erinnerte den jungen Menschen an seine Pflicht.

»Wollen Sie mich wieder mit zurük nach Hamburg nehmen?« fragte Robinson.

»Ich? antwortete der Schiffer; haben sie denn vergessen, daß mein Schif untergegangen ist? Ich werde nicht eher wieder zurük gehen, bis ich Gelegenheit gehabt habe, ein anderes Schif zu kaufen, und das mögte länger währen, als sie hier bleiben dürfen. Auf das erste das beste Schif, das von hier nach Hamburg segelt, sollen sie sich sezzen, und das lieber heute, als morgen!«

»Aber ich habe kein Geld!« sagte Robinson.

»Hier, antwortete der Schiffer, sind einige Guineen –

Gotlieb. Was sind das, Guineen.

Vater. Englisches Geld, mein Lieber; Goldstükken, so wie unsere Louisd'or. Sie gelten ohngefähr sechs Thaler; zu Hause wil ich dir eine zeigen.

Johannes. O nu, nur weiter!

Vater. »Hier, antwortete also der brave Schiffer, sind einige Guineen, die ich ihnen leihen wil, ohngeachtet ich selbst mein bischen Geld jezt sehr nöthig habe. Gehen sie damit nach dem Hafen und mithen sie sich auf ein Schif ein. Wenn ihre Reue aufrichtig ist, so wird Gott ihnen eine Rükreise verleihen, die glüklicher sein wird, als unsere Herreise war.« Und damit schüttelte er ihm treuherzig die Hand und wünschte ihm Glük auf den Weg.

Robinsonging.

Nikolas. O nu geht er schon wieder nach Hause? Ich dachte, es würde erst recht angehen!

Mutter. Bist du es nicht zufrieden, lieber Nikolas, daß er zu seinen Eltern zurükkehrt, die vermuthlich so bekümmert um ihn sind?

Freund R. Und freuest du dich nicht, daß er sein Unrecht bereut und sich nun bessere wil?

Nikolas. Ja, das wohl; aber ich dachte, es solte erst recht was lustiges kommen.

Vater. Er ist ja noch nicht zu Hause; laßt uns hören, wie's weiter mit ihm geht!

Auf dem Wege nach dem Hafen gieng ihm dies und jenes durch den Kopf. »Was werden meine Eltern sagen?« dacht' er, wenn ich nun wieder zu Haus komme. Gewiß werden sie mich strafen, daß ich das gethan habe! Und meine Kammeraden und die andern Leute, wie werden die mich auslachen, daß ich so geschwind zurük komme und fast nichts gesehen habe, als ein Paar Straßen von London!«

Er blieb vol Gedanken stehen.

Bald fiel's ihm ein, er wolte noch nicht abreisen; bald dachte er wieder daran, was der Schiffer ihm gesagt hatte, daß es ihm nicht wohl gehen könne, wenn er nicht zu seinen Eltern zurükkehrte. Er wuste lange nicht, was er thun solte? Endlich aber gieng er doch hin nach dem Hafen.

Aber zu seinem Vergnügen muste er hören, daß jezt kein Schif da sei, welches die Farth nach Hamburg machen wolte. Der Man, der ihm diese Nachricht gab, war ein Guineafahrer.

Frizchen. Was ist ein Guineafahrer?

Vater. Das laß dir von Diederich erzälen, der's wohl schon wissen wird.

Diederich. Weißt du noch wohl, daß es ein Land giebt, das Afrika heißt? Nu die eine Küste davon –

Frizchen. Küste? –

Diederich. Ja, oder das Land, was dichte am Meer liegt, sieh ich habe meinen kleinen Atlas eben bei mir! – dieser Strich Landes hier, der da so krum hinunter geht, der wird die Küste von Guinea genant.

Vater. Und die Schiffer, die da hinfahren, um da was zu handeln, heißt man Guineafahrer. Der Man also, mit dem unser Robinson redete, war ein solcher Guineafahrer, oder Kapitain eines Schifs, welches nach Guinea segeln wolte.

Dieser Schifskapitain fand Vergnügen, sich weiter mit ihm zu unterreden, und nöthigte ihn also, mit an Bord zu gehen, um in seiner Kajüte eine Tasse Thee mit ihm zu trinken; und Robinson willigte darein.

Johannes. Konte der Kapitain denn deutsch sprechen?

Vater. Ich habe vergessen zu sagen, daß Robinson schon im Hamburg Gelegenheit gehabt hatte, Englisch zu lernen, welches ihm jezt, da er in dem Lande der Engländer war, sehr wohl zu statten kam.

Da der Schifskapitain von ihm hörte, daß er so große Lust zu reisen habe, und daß es ihm so leid thue, schon jezt wieder nach Hamburg zurük kehren zu müssen: so that er ihm den Vorschlag, mit ihm nach Guinea zu reisen. Robinson erschrak anfangs vor diesem Gedanken. Aber da ihn der Kapitain versicherte, daß die Reise sehr angenehm sein wurde; daß er ihn, um einen Geselschafter zu haben, umsonst mitnehmen, und frei halten wolte, und daß er vielleicht etwas Ansehnliches auf dieser Reise erwerben könte: so stieg ihm plözlich das Blut zu Kopfe, und die Begierde zu reisen wurde so lebendig in ihm, daß er auf einmahl vergaß Alles, was ihm der ehrliche Hamburger Schiffer gerathen hatte, und was er kurz vorher thun wolte.

»Aber, sagte er, da er sich ein wenig bedacht hatte, ich habe nur drei Guineen. Was kan ich für so wenig Geld einkaufen, um einen Handel zu treiben an dem Orte, wo sie hinfahren wollen?«

»Ich wil ihnen, antwortete der Schifskapitain, noch sechs Guineen dazu leihen. Dafür können sie schon so viel Waren einkaufen, als hinreichend sein werden, um in Guinea ein reicher Man zu werden, wenn uns das Glük ein bischen günstig sein wird.«

»Und was solte ich denn dafür einkaufen?« fragte Robinson.

Der Kapitain antwortete: »lauter Kleinigkeiten, – allerlei Spielzeug, Glaskorallen, Messer, Scheeren, Beile, Bänder, Flinten u. s. w. – woran die Schwarzen in Afrika so viel Vergnügen finden, daß sie ihnen hundertmahl mehr an Gold, Elfenbein und andern Sachen dafür geben werden, als sie werth sind.«

Robinsonkonte nun sich länger nicht mehr halten. Er vergaß Eltern, Freunde und Vaterland und rief freudig aus: »ich fahre mit, Herr Kapitain!« »Top!« antwortete dieser; und so schlugen sie sich einander in die Hände, und die Reise war beschlossen.

Johannes. Na, nu wil ich auch gar kein Mitleid mehr haben mit dem dummen Robinson, und wenn's ihm auch noch so unglüklich geht!

Vater. Kein Mitleid, Johannes?

Johannes. Nein, Vater; warum ist er so dum, und vergißt schon wieder, was er seinen Eltern schuldig ist. Dafür muß ja wohl der liebe Gott es ihm wieder schlim gehen lassen –

Vater. Und scheint dir ein so unglüklicher Mensch, der seiner Eltern vergessen kan, und den der gute liebe Gott erst durch Strafen bessern muß, kein Mitleid zu verdienen? Freilich ist er selbst Schuld an allem, was ihm nun begegnen wird: aber ist er nicht um desto unglüklicher? O mein Sohn, Gott bewahre dich und uns alle, vor dem schreklichsten unter allen Leiden, welches darin besteht, daß man fühlt, man habe sich selbst elend gemacht! Aber wo wir von einem solchen Unglüklichen hören, da wollen wir bedenken, daß er unser Bruder, unser armer verirter Bruder sei, und eine Träne des Mitleids und der brüderlichen Fürbitte für ihn gen Himmel weinen.

Alle schwiegen einige Augenblikke; dan fuhr der Vater folgendermaßen fort:

Robinsoneilte nun mit seinen neun Guineen in die Stadt, kaufte dafür ein, was der Schifskapitain ihm gerathen hatte und ließ es an Bord bringen.

Nach einigen Tagen, da ein guter Wind sich erhob, ließ der Kapitain die Anker lichten und so giengen sie unter Segel.

Diederich. Wo musten sie denn eigentlich hinsegeln, um nach Guinea zu kommen?

Vater. Du hast deine kleinen Charten bei dir; kom, ich wil dir's zeigen! Siehst du, von London fahren sie hier die Themse hinunter bis in die Nordsee; dan steuern sie gegen Abend durch die Meerenge bei Calais in den Kanal. Aus diesem kommen sie in das große atlantische Weltmeer, worauf sie dan immer weiter fortsegeln, hier bei den Canarischen Inseln und da bei den Inseln des grünen Vorgebirges vorbei, bis sie endlich hier unten an dieser Küste landen, welche Guinea ist.

Diederich. Wo werden sie denn eigentlich landen?

Vater. Vielleicht da, bei Capo Corso, welches den Engländern gehört.

Mutter. Aber es wird wohl Zeit sein, daß wir auch unter Segel gehn und dem Tische zusteuern. Die Sonne ist schon lange untergegangen.

Gotlieb. Ich bin noch gar nicht hungrig.

Lotte. Ich mögte auch lieber noch zuhören.

Vater. Morgen, morgen, Kinder, wollen wir hören, wie's dem Robinson weiter gegangen ist. Jezt zu Tische!

Alle. Zu Tische! zu Tische! zu Tische!

Zweiter Abend.

Am andern Abend, da die ganze Geselschaft sich an eben demselben Orte wiederum gelagert hatte, fuhr der Vater in seiner Erzälung folgendermaßen fort.

Die neue Farth unsers Robinsons gierig anfangs wieder sehr glüklich von statten. Schon waren sie, ohne die mindeste Widerwärtigkeit, durch die Meerenge bei Calais und durch den Kanal gesegelt, und nun befanden sie sich mitten auf dem atlantischen Weltmeere. Hier hatten sie viele Tage hinter einander so widrigen Wind, daß sie immer weiter gegen Amerika zugetrieben wurden.

Seht, Kinder, ich habe eine große Charte mitgebracht, auf der ihr besser, als auf einer kleinen sehen könt, wohin das Schif eigentlich segeln solte und wohin es von dem Winde wirklich getrieben ward. Hier, immer so hinunter, wolten sie eigentlich fahren, aber weil der Wind ihnen halb entgegen, und halb von der Seite kam: so wurden sie wider ihren Willen dorthin verschlagen, wo ihr Amerika liegen seht. Ich wil die Charte hier hinstellen, daß wir im Nothfal sie im Gesichte haben.

Eines Abends zeigte der Steuermann an, daß er in einer weiten Entfernung Feuer erblikke, und daß er eben daher auch einige Kanonenschüsse gehört hätte. Alle liefen auf das Verdek, sahen das entfernte Feuer, und hörten gleichfalls noch verschiedene Kanonenschüsse. Der Schifskapitain sahe genau auf seiner Seecharte nach, und fand, daß wohl auf hundert Meilen weit kein Land sei; und alle waren daher der Meinung, daß dieses Feuer nichts anders sein könne, als ein in Brand gerathenes Schif.

Man beschloß den Augenblik, den unglüklichen Leuten zu Hülfe zu eilen, und steuerte dahin. Bald darauf konten sie deutlich sehen, daß ihre Muthmaßung gegründet gewesen sei: denn sie erblikten nun wirklich ein großes Schif, welches ganz in Flammen stand.

Der Schifskapitain ließ sogleich fünf Kanonen abbrennen, um den armen Nothleidenden ein Zeichen zu geben, daß ein Schif in der Nähe sei, welches ihnen zu Hülfe eile. Kaum war dieses geschehen: so sahe man mit Schrekken das brennende Schif plözlich unter einem großen Knal in die Luft fliegen, und bald darauf war alles versunken und das Feuer erloschen. Die Flamme hatte nemlich die Pulverkammer des Schifs ergriffen.

Was aus den unglüklichen Leuten des Schifs geworden sei, konte man noch nicht wissen. Es war möglich, daß sie vor dem Auffliegen des Schifs sich in die Böte gerettet hätten; deswegen fuhr der Kapitain die ganze Nacht hindurch fort, aus den Kanonen schiessen zu lassen, um die Gefahrleidenden zu benachrichtigen, in welcher Gegend das Schif sei, welches ihnen zu Hülfe zu kommen wünsche. Auch ließ er alle Laternen aushängen, damit das Schif von ihnen möchte gesehen werden.

Mit Anbruch des Tages entdekte man durch die Ferngläser wirklich zwei Böte, welche vol von Menschen waren und welche zwischen den hohen Wellen auf und nieder schwankten. Man bemerkte daß sie aus allen Kräften dem Schiffe zuruderten, indem der Wind ihnen entgegen war. Gleich ließ der Kapitain die Flagge wehen, zum Zeichen, daß man sie bemerkt habe, und daß man sie aufzunehmen bereit sei. Das Schif segelte zugleich stark auf sie zu, und in einer halben Stunde hatte man sie glüklich erreicht.

Es waren sechzig Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die alle an Bord genommen wurden. Da hätte man sehen sollen, was das für ein rührender Auftrit war, da diese armen Leute sich nunmehr glüklich gerettet sahn! Einige weinten laut vor Freuden; andere schrien, als wenn sie jezt erst in Gefahr gerathen wären; einige sprangen wie sinlos auf dem Schiffe herum, andere waren blas, wie der Tod, und rungen die Hände; andere lachten, wie Wahnsinnige, und tanzten und jauchzten laut; andere hingegen standen stum und leblos da und konten kein Wort sprechen.

Bald fielen einige von ihnen auf ihre Knie, hoben ihre Hände gen Himmel und dankten laut dem Gotte, dessen Vorsehung sie so wunderbar errettet hatte. Bald sprangen sie wieder auf, hüpften wie Kinder, zerrissen sich die Kleider, weinten; fielen in Ohnmacht, und konten kaum wieder ins Leben zurükgerufen werden. Auch dem härtesten Matrosen, der das mit ansahe, lief eine Träne über die Bakken.

Unter diesen Unglüklichen befand sich auch ein junger Geistlicher, der sich unter alle am mänlichsten und würdigsten betrug. Bei seinem ersten Tritt auf das Schif legte er sich aufs Gesicht nieder, und schien ganz leblos zu sein. Der Schifskapitain trat zu ihm, um ihn zu ermuntern, weil er glaubte, daß er in Ohnmacht gefallen sei. Aber er redete ganz ruhig, dankte ihm für sein Mitleid und sagte: »erlauben sie, daß ich erst meinen Schöpfer für unsere Errettung danke; dan wil ich auch ihnen sagen, wie sehr ich ihre Wohlthat mit innigstem Dank erkenne.« Der Schifskapitain trat ehrerbietig zurük.

Einige Minuten blieb er auf seinem Gesichte liegen; dan richtete er sich freudig auf, und gieng zum Kapitain, um auch ihm seinen Dank zu sagen. Hierauf wandte er sich zu seinen Gefährten, und ermahnte sie, ihr Gemüth zu beruhigen, um ihre Gedanken desto besser zu dem Algütigen erheben zu können, dem sie die ungehofte Erhaltung ihres Lebens zu verdanken hätten. Sein Zureden that auch bei vielen gute Wirkung.

Und nun erzählte er, wer sie wären, und wie es ihnen gegangen sei.

Das verbrante Schif war ein großes französisches Kauffartheischif gewesen, welches nach Quebek – seht hier, nach diesem Orte in Amerika – segeln wolte. Das Feuer war in des Steuermans Hütte ausgebrochen und hatte so geschwind um sich gegriffen, daß an kein Löschen zu denken war. Sie hatten nur noch eben so viel Zeit gehabt, einige Kanonen zu lösen, und sich dan in die Böte zu retten.

Was aus ihnen werden würde, hatte keiner von ihnen gewust. Das wahrscheinlichste war gewesen, daß sie alle mit ihren kleinen Schiffen bei dem geringsten Sturme von den Wellen würden verschlungen werden; oder daß sie in Kurzen vor Hunger und Durst würden umkommen müssen, weil sie von dem brennenden Schiffe nur auf einige Tage Brod und Wasser mitnehmen konten.

Frizchen. I, was brauchten sie denn Wasser mitzunehmen? Sie waren ja mitten drauf?

Vater. Du hast vergessen, liebes Frizchen, daß das Wasser im Meere so salzig und bitter ist, daß kein Mensch es trinken kan!

Frizchen. Ha! ha!

Vater. In diesem schreklichen Zustande, hatten sie die Kanonenschüsse von dem englischen Schiffe gehört, und bald darauf auch die aufgestekten Laternen erblikt. Zwischen Furcht und Hofnung hatten sie die lange traurige Nacht hingebracht, indem die Wellen sie immer weiter wieder zurük trieben, als sie mit Anwendung aller ihrer Kräfte vorwärts nach dem Schiffe zugerudert hatten. Endlich hatte das längst gewünschte Tageslicht ihrem Jammer ein Ende gemacht.

Robinsonhatte die ganze Zeit über mit fürchterlichen Gedanken gekämpft. »Himmel, dachte er, haben diese Leute so großes Unglük leiden können, unter denen doch gewiß wohl recht gute Selen sind: was werd' ich zu erwarten haben, der ich so undankbar gegen meine Eltern handeln konte!« Dieser Gedanke lag ihm, wie ein Berg, auf dem Herzen. Blaß und stum, wie ein Mensch, der kein gutes Gewissen hat, saß er in einem Winkel, rang die Hände, und getraute sich kaum zu beten, weil er dachte, Gott könne unmöglich ihn noch lieb haben.

Man ließ die Geretteten, die nun sehr ermattet waren, sich durch Speise und Trank erquikken. Dan kam der Vornehmste unter ihnen mit einem großen Beutel vol Geld zum Schifskapitain und sagte: »Dies wäre das Einzige, was sie von dem Schiffe hätten mitnehmen können. Er überreiche es ihm, als einen kleinen Beweis der Dankbarkeit, die sie für die Erhaltung ihres Lebens ihm schuldig wären.«

»Gott bewahre mich, antwortete der Schifskapitain, daß ich ihr Geschenk annehmen solte! Ich habe weiter nichts gethan, als was die Menschlichkeit mir zu thun gebot und ich bin versichert, daß sie eben das an uns würden gethan haben, wenn sie in unserer Stelle, und wir in der Ihrigen gewesen wären.«

Vergebens nöthigte ihn der dankbare Mann, daß ers doch annehmen mögte: er blieb bei seiner Weigerung und bat ihn, davon zu schweigen. – Darauf entstand die Frage: wohin die Geretteten denn nun gebracht werden solten? Sie nach Guinea mitzunehmen, gieng, um einer zweifachen Ursache willen, nicht wohl an. Denn erstlich warum solten die armen Leute eine so weite Reise nach einem Lande machen, wo sie nichts zu thun hatten? Und dan, so waren auf dem Schiffe nicht so viel Lebensmittel vorhanden, daß so viel Menschen bis dahin genug daran gehabt hätten.

Endlich beschloß der brave Schifskapitain, sich die Mühe nicht verdriessen zu lassen, dieser armen Leute wegen, ein Paar hundert Meilen umzuschiffen, um sie erst nach Terreneuve zu bringen, wo sie Gelegenheit haben würden mit französischen Stokfischfängern wieder nach Frankreich zurük zu kehren.

Lotte. Was sind das für Leute die Stokfischfänger?

Johannes. Weist du nicht mehr, was uns Vater erzählt hat von den Stokfischen, wie sie da oben aus dem Eismeere herunter kommen bis nach den Sandbänken bey Terreneuve, wo sie in so großer Menge gefangen werden?

Lotte. Ach ja! Nun weiß ich schon.

Johannes. Sieh, das ist Terreneuve, was hier oben dichte bei Amerika liegt, und die Punkte da bedeuten die Sandbänke! – Na, die Leute die die Stokfische fangen, die heissen die Stokfischfänger.

Vater. Man fuhr also dahin; und weil es gerade in der Zeit war, da die meisten Stokfische gefangen werden, so fand man auch französische Schiffe da, welche diese unglüklichen Leute aufnehmen konten. Ihre Dankbarkeit gegen den guten Schifskapitain läßt sich mit Worten nicht beschreiben.

Sobald dieser sie an Ort und Stelle gebracht hatte, kehrte er mit gutem Winde wieder zurük, um seine eigentliche Reise nach Guinea fortzusezzen. Das Schif flog durch die Wellen, wie ein Vogel durch die Luft, und in kurzer Zeit hatten sie wieder einige hundert Meilen zurük gelegt. Das war etwas für unsern Robinson, dem's nie zu geschwind gehen konte, weil er ein unruhiger Geist war!

Einige Tage darauf, da sie immer südwärts gesteuert hatten, wurden sie plözlich eines großen Schiffes gewahr, welches nach ihnen zu hielt. Bald darauf hörten sie, daß es einige Nothschüsse that, und bemerkten nun, daß es den Fokmast und den Boegspriet verloren habe.

Nikolas. Den Boegspriet?

Vater. Ja; du weist doch noch, was das ist?

Nikolas. Ach ja, der kleine Mastbaum, der nicht so, wie die andern, grade in die Höhe gerichtet, sondern nur so schief hingestellt ist auf dem Vordertheil des Schiffes, als wenn's der Schnabel des Schiffes wäre!

Vater. Ganz recht. Sie steuerten also auf dieses beschädigte Schif zu, und da sie nahe genung gekommen waren, um mit den Leuten, die darauf waren, reden zu können; schrien ihnen diese mit aufgehobnen Händen und mit kläglichen Gebehrden zu:

»Rettet, guten Leute, o rettet ein Schif vol Menschen, die alle des Todes sein müssen, wenn ihr euch ihrer nicht erbarmet!«

Man fragte sie hierauf, worin ihr Unglük denn eigentlich bestehe? und da erzählte einer von ihnen folgender Gestalt:

»Wir sind Engländer, die nach der französischen Insel Martinike – (Seht hier, Kinder; dies ist sie, hier mitten in Amerika!) – schiften, um eine Ladung Kaffebohnen zu holen. Da wir alda vor Anker lagen und bald wieder abreisen wolten, giengen unser Schiffer und der Obersteuerman eines Tages ans Land, um noch etwas einzukaufen. Unterdeß erhob sich ein so gewaltiger und zugleich wirbelnder Sturmwind, daß unser Ankertau zerriß und wir aus dem Hafen in das weite Meer hinausgetrieben wurden. Der Orkan –

Gotlieb. Was ist das?