Rock my World - Ein Typ zum Anbeißen - Christine Thomas - E-Book

Rock my World - Ein Typ zum Anbeißen E-Book

Christine Thomas

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Beschreibung

Widerwillig stellt Jasmin fest, dass James’ Sohn Drake nicht nur ein echter Großkotz ist, sondern auch ziemlich hot. Allerdings bleibt kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn inzwischen hat ihr bester Freund Leon herausgefunden, wer hinter Jasmins Unfällen steckt. Prompt entgeht sie nur knapp einer Entführung! Aber so leicht lässt sich Jasmin nicht unterkriegen. Zusammen mit ihren Freunden plant sie beim Battle of the Bands den großen Coup – und gewinnt einen Preis ganz anderer Art …

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DIE AUTORIN

Foto: © A. Zeldler

Christine Thomas ist verrückt nach Latte Macchiato und American Football. Sie liebt Lakritz, lange Spaziergänge und das Meer.

Eine Sache gibt es allerdings,

die sie noch mehr mag, und das sind Happy Endings. Da es im wahren Leben oft zu wenig davon gibt, schreibt sie ihre eigenen. Ihre Romane handeln von Freundschaft, Leidenschaft, Familie und der großen Liebe. Zusammen mit ihrem Schatz und einem albernen Goldfisch lebt sie abwechselnd in Köln und Frankreich.

Von der Autorin ist außerdem bei cbt erschienen:

ROCK MY WORLD – Ein heißer Sommer

Christine Thomas

ROCK MY

WORLD

Ein Typ zum Anbeißen

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Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform © 2016 by cbt Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung: Carolin Liepins Umschlagfoto: © Shutterstock (Viorel Sima) MI · Herstellung: AnG Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

Prolog

Der Traum beginnt immer gleich. Ich bin wieder vierzehn und feuere meinen Bruder an, der in seinem Kart Kurve um Kurve nimmt, während er sich unaufhaltsam der Zielgeraden nähert. Niemand kann ihn aufhalten, das ist heute sein großer Tag.

Mein Herz pocht wie verrückt, ich bin so aufgeregt und gleichzeitig wahnsinnig stolz auf ihn. Das hat er sich so sehr gewünscht. Hat jahrelang trainiert, seine Freizeit geopfert und jede freie Minute auf der Rennbahn verbracht.

Als Lukas an mir vorbeiprescht und hinter der nächsten Biegung verschwindet, verändert sich der Traum. Die Sonne wird von dicken Gewitterwolken verdeckt, die sich wie ein Gebirge über uns auftürmen. Bei ihrem Anblick bleibt mir mein Freudenschrei im Hals stecken. Regen ist bei diesen Rennen gefährlich. Auch wenn das nicht die Formel 1 ist, fahren die Wagen mit hoher Geschwindigkeit und geraten bei Nässe schnell ins Schleudern.

Im nächsten Moment stehe ich nicht mehr auf dem Gras, sondern sitze mit Lukas im Auto. Er trägt auch nicht mehr seine Rennfahrerkluft, sondern Jeans und T-Shirt – die gleichen Sachen, die er beim Unfall getragen hat. Denn darum geht es in dem Traum. Um den Tag, der sein Leben und das von zwei weiteren Menschen beendet hat.

Ich weiß nicht viel übers Sterben, nur über das Zurückbleiben. Ich vermute, dass es so etwas wie einen Himmel gibt, einen Ort, an dem wir uns eines Tages wiedersehen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass mein Bruder in guten Händen ist. Das ist allerdings ein kleiner Trost, denn ich vermisse ihn so sehr, dass mir alles wehtut. Manchmal ist es so schlimm, dass mir der Schmerz die Luft zum Atmen raubt. Das ist dann die Stelle, an der die Panikattacken einsetzen.

In den letzten Jahren bin ich eine Expertin in Sachen Überleben geworden. Das Kämpfen um jeden Tag ist mein Spezialgebiet. Atemübungen, Lektionen, wie ich mich erde und all meine Ängste in den Boden fließen lasse, haben lange Zeit mein Leben bestimmt. Das hat sich erst gebessert, als mein bester Freund Leon mir geholfen hat, meine Wut in Songs fließen zu lassen, sie auszudrücken, statt in mich reinzufressen. Und obwohl ich nicht von Berlin wegwollte, hat mir der Umzug nach L.A. gutgetan. Von wegen Tapetenwechsel und so.

Meinem Traum ist das egal. Er folgt eigenen Gesetzen, denn kaum sitze ich auf dem Beifahrersitz, stürzt eine Wasserwand auf uns herab. Meine Freude wird buchstäblich fortgeschwemmt, Angst quetscht meinen Brustkorb zusammen. Ich habe das Gefühl, keine Luft zu bekommen, und fange an zu hyperventilieren. Die Seiten des Wagens kriechen wie eine Ziehharmonika auf mich zu, mir kommt es vor, als würde ich in einer Sardinenbüchse sitzen.

Das ist der Moment, als uns ein Wagen rammt. Ein Schrei löst sich aus meiner Kehle und mein Blick fliegt zum Seitenfenster. Wir werden gegen eine schwarze Limousine geschleudert, die an uns vorbeiziehen will. Ein Mädchen sitzt auf der Rückbank, die kleine Hand gegen die Scheibe gepresst. Ihr Blick ist unergründlich, als würde sie versuchen, mir etwas zu sagen.

Nach dem Aufprall verhaken sich die Fahrzeuge, und wir geraten ins Schleudern, drehen uns um die eigene Achse, während wir auf den Straßengraben zudriften.

Mein Herz bleibt einen Moment lang stehen, um kurz darauf wie verrückt in meiner Brust zu trommeln, als wollte es herausspringen. Dann wende ich den Kopf und sehe zu meinem Bruder, der meinen Blick ruhig erwidert. Was ein bisschen merkwürdig ist. Sollte er sich nicht fürchten oder zumindest Zeichen von Stress zeigen? Stattdessen wirkt er vollkommen entspannt – er sieht nicht mal auf die Straße! Sein Blick liegt auf mir und ist … voller Liebe. Mein Hals wird eng, und ich schlucke die aufkommenden Tränen runter, die sein Anblick bei mir auslöst.

Er war mein Bruder, mein Zwilling. Wir haben das gleiche kastanienfarbene Haar, das je nach Licht mal kupfern, mal golden wirkt, die gleichen moosgrünen Augen und das gleiche Lächeln. Stärker als die äußere Ähnlichkeit ist die Tatsache, dass wir immer wussten, was der andere denkt.

Im Traum habe ich jedoch keinen Schimmer, was in Lukas’ Kopf vorgeht. Während sich der Wagen dreht und dreht, ziehen sich die Brauen meines Bruders zusammen.

»Du musst dich erinnern!«

In meinen Ohren rauscht es. Ich höre meinen stoßartigen Atem, selbst meinen galoppierenden Herzschlag, darum bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe. Die Frage scheint mir ins Gesicht geschrieben zu stehen, denn er überwindet die Fliehkraft, beugt sich zu mir und wiederholt mit drängender Stimme: »Du musst dich erinnern!«

Dann folgt der Aufprall gegen die Leitplanke, die unter der Wucht nachgibt, und ich fahre mit einem heiseren Schrei aus dem Bett.

Doch das ist noch lange nicht der Tiefpunkt. Es sind die wenigen Herzschläge zwischen Traum und Wirklichkeit, in denen ich glaube, Lukas wäre noch bei mir. Dass er jeden Augenblick durch die Tür stürmt, um mich zum Essen zu holen. Der Moment, in dem ich realisiere, dass das nicht geschehen wird, macht all meine Hoffnungen zunichte und katapultiert mich zurück in die Dunkelheit. In eine Welt ohne Lukas. Danach fühle ich mich wie ein Zombie, hohl und leer. Und ich frage mich, warum ich nicht mit ihm gestorben bin.

Wieso habe ich überlebt?

01

Das aufgekratzte Kichern meiner Freunde verliert sich in den palastartigen Gängen der Luxushütte, in der ich seit einem halben Jahr lebe. Der Palazzo gehört James Marshall, dem neuen Mann an der Seite meiner Mutter. Doch weder er noch meine Mom sind zu Hause, darum habe ich ein paar Freunde zu einer Pyjama-Party eingeladen. Eigentlich hatte meine Mutter versprochen, mit mir wegzufahren, nur sie und ich. Das sollte so ein Mutter-Tochter-Ding werden, damit wir mal wieder Zeit zusammen verbringen. Am Tag des Abflugs hieß es plötzlich, dass James ebenfalls mitkommt.

Was soll ich bitte schön mit zwei Turteltauben anfangen? Diese Reise war für Mama und mich gedacht und nicht als vorzeitige Flitterwochen. Also habe ich das Einzige getan, das mir übrig blieb, und mich von diesem Urlaub verabschiedet.

Meine Mutter hält sich für wahnsinnig schlau, mich kurz vor dem Abflug vor vollendete Tatsachen zu stellen, in der Annahme, ich würde diese Kröte schlucken. Und warum nicht, schließlich hat diese Nummer schon mal funktioniert. Nur war es damals umgekehrt. Max sollte mit uns nach L.A. ziehen, damit wir hier noch einmal von vorn anfangen können. Stattdessen hat sie ihn abserviert und gegen einen Multimilliardär eingetauscht. James Marshall gehört halb Kalifornien, die halben Staaten oder die westliche Hemisphäre. So genau lässt sich das nicht feststellen, da er überall in der Medienindustrie die Finger im Spiel hat. Angefangen von Zeitungen über lokale Radiosender, TV-Studios bis zu den großen Fernseh- und Nachrichtensendern. In jedem Fall ist er stinkreich und kann sich alles kaufen, was man für Geld bekommen kann. Dazu gehöre ich nicht.

Doch zurück zu meiner Mutter und diesem elenden Urlaub. Ich meine, sie hat es versprochen! Aber heutzutage scheint ein Versprechen meiner Mom nichts mehr wert zu sein. Hollywood, mit seinen affektierten Tussis, die ihren Töchtern zum Geburtstag Silikonmöpse schenken, hat sie verändert. Manchmal weiß ich nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, und das macht mir Angst.

Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten mich, während ich die gewundene Scarlett-O’Hara-Treppe runterhüpfe. Mittlerweile verlaufe ich mich nicht mehr auf dem Weg zum Kühlschrank – hat ja nur ein paar Wochen gedauert. Es gibt mehrere Küchen, wobei ich die im Souterrain vorziehe. Das ist die für die Angestellten und gleichzeitig die größte. Ein Traum aus Edelstahl und Granit. Dort angekommen öffne ich den Subzero, eine Monstrosität, die die Amis Kühlschrank nennen, dabei ist das Teil größer als mein Kleiderschrank in Berlin.

Während ich Ben & Jerry’s-Becher im Arm staple, wandern meine Gedanken zurück zu den letzten Tagen. Dem Weihnachtsfest und Max’ Abreise. Es hat höllisch wehgetan, ihn loszulassen. Max ist mein wahrer Vater, der Mann, der mich großgezogen hat. Nicht James und auch nicht der Typ, der meine Mutter geschwängert hat, wer immer das war. Max hat meine Tränen getrocknet und mir Pflaster aufs Knie geheftet. Er hat mir Geschichten vorgelesen und mich fürs Schreiben begeistert. Leider musste er schon am ersten Feiertag zurück. Einen Tag später sind Mom und James in den Flieger zu den Virgin Islands gestiegen und schlürfen wahrscheinlich in diesem Augenblick Schirmchendrinks durch Strohhalme.

Mit Leon habe ich das letzte Mal kurz vor Weihnachten telefoniert. Er ist mein allerbester Freund auf dieser Welt, ein Nerd, wie er im Buche steht, und eine Seele von einem Menschen. Nach Lukas’ Tod war er mein Fels in der Brandung, das einzig Beständige in einer Welt, die vor meinen Augen zerbröselt ist.

Leon war stocksauer, dass seine Eltern ihn gezwungen haben, mit ihnen in den Alpen Ski zu fahren. Er wollte nach L.A. – zu mir. Das war sein einziger Weihnachtswunsch. Doch Anfang Januar stehen bei ihm wichtige Prüfungen an, auf die er sich vorbereiten soll. Als ob er für so etwas lernen müsste, Leon ist ein Genie. Mathegleichungen fliegen ihm zu, wie anderen Leuten Krankheitserreger.

Ich hätte sonst was darum gegeben, ihn zu sehen. Und jetzt, da er im Engadin die Pisten unsicher macht, wäre es witzlos, nach Berlin zu jetten. Stattdessen habe ich den Teil meiner Freunde eingeladen, der nicht im Urlaub ist, und eine Übernachtungs-Party veranstaltet.

Was mich zu dem Grund zurückbringt, warum ich in der Küche bin. Nachdem wir uns den Bauch mit Sushi vollgeschlagen haben, sind wir bereit für Runde zwei. Als ich die gigantische Tür des Kühlschranks zukicke, stehe ich plötzlich Drake Marshall gegenüber. Hinter ihm entdecke ich seinen jüngeren Bruder Nash, der von einem Ohr zum anderen grinst.

»Da ist ja unsere Möchtegernschwester.« Nash zwinkert mir zu und schnappt sich eine Flasche Bourbon aus dem Vorratsregal. »Ich hab gewettet, dass du dich den Rest der Ferien in deinem Zimmer verkriechst und dir ausmalst, wie wir unter der Dusche aussehen.«

Sehr witzig, der Typ ist ein Brüller.

Er und Drake sind kurz vor Weihnachten hier aufgekreuzt. Nicht bloß über die Feiertage, das wäre ja zu einfach. Sie sind von ihrer Bostoner Eliteschule geflogen, angeblich weil sie irgendwelche Autos angezündet haben. Den Gerüchten zufolge waren das superteure Luxusschlitten von zwei Top-Spielern der gegnerischen Mannschaft. Dazu müsst ihr wissen, dass Drake und Nash so etwas wie Footballgötter sind, die an ihrer Schule wie Stars verehrt werden. Offensichtlich bestehen starke Rivalitäten zwischen den Mannschaften, deswegen drücken normalerweise alle Beteiligten sämtliche Augen zu, wenn sich die Spieler vor einem wichtigen Turnier austoben. Doch diese Nummer ging dem Direktorium ihrer Highschool dann doch zu weit. Zumal es nicht das erste Mal war, dass sich Drake und sein Bruder in Schwierigkeiten gebracht haben.

Wobei ich mich frage, warum die betroffenen Spieler nicht wie alle anderen im Mannschaftsbus zum Turnier gefahren sind. Möglicherweise war genau das der Anlass für den Coup der Marshall-Brüder, was weiß ich.

Jedenfalls sind sie jetzt hier und halten sich für das Zentrum des Universums. Wenn es nach ihnen ginge, müsste James jemanden einstellen, der vor ihnen herläuft und Rosenblätter streut. Na schön, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber um ehrlich zu sein, nervt mich ihre Überheblichkeit. Ich meine, kein gewöhnlicher Mensch kann deren Selbstbewusstsein haben, das ist nicht normal. Sie benehmen sich, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben, als stünden sie buchstäblich über dem Gesetz. Dass sie von ihrer Schule geflogen sind, scheint sie überhaupt nicht zu belasten. Dabei hat ihr Trainer alles versucht, den Rauswurf zu verhindern. Doch das Fass war voll, da war nichts zu machen.

Und da komme ich ins Spiel, schließlich habe ich die beiden jetzt an der Backe. Obwohl es nicht unbedingt wehtut, sie anzusehen. Na schön, die zwei sehen unfassbar gut aus, aber das ist auch die einzig gute Nachricht. Nash ist so alt wie ich, hat hellblondes Haar, mitternachtsblaue Augen und ein Lächeln, das Mädchenherzen zum Schmelzen bringt. Also, nicht meins, aber das von so ziemlich jedem anderen weiblichen Wesen. Selbst meine Mutter ist ihm verfallen. Er ist einen halben Kopf größer als ich, durchtrainiert mit dem festen Kern eines Sportlers. Da er James überhaupt nicht ähnlich sieht, gehe ich davon aus, dass er nach seiner Mutter kommt.

Drake dagegen ist das Abbild seines Vaters. Obwohl er nur ein Jahr älter als Nash ist, hat er überhaupt nichts Jungenhaftes an sich. Er ist groß, durchtrainiert und gebaut wie ein Boxer. Oder ein Linebacker, was er auch ist. Beim Football besteht sein Job darin, das Spiel der Defense zu koordinieren und optimalerweise den gegnerischen Quarterback auszuschalten.

Alles an Drake ist finster. Die Augen, das Haar, sein ganzer Ausdruck, inklusive der Blick, mit dem er mich in diesem Moment aufspießt. Er lacht nicht über den Witz seines Bruders, sondern betrachtet mich mit unbewegter Miene. Um ehrlich zu sein, hätte ich nichts dagegen, mich zu verkriechen, denn so wie er mich ansieht, habe ich das Gefühl, als wäre ich seine Nachspeise.

Nash liegt gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt, denn de facto habe ich die beiden gemieden. Einerseits weil sie so tun, als wäre das ihr Haus, was genaugenommen auch zutrifft. Auch wenn es mir nicht schmeckt, aber letztlich bin ich der Eindringling, denn dies ist ihr Zuhause. Was es nicht besser macht.

Auf der anderen Seite schüchtern mich die Brüder ein. Sie haben eine Selbstsicherheit, von der ich nur träumen kann. Und hier bin ich, mit meinen Ängsten und Sorgen und dieser Wut im Bauch, die sich manchmal wie flüssige Säure anfühlt. Auf meine Mutter, die mich mit ihrer berechnenden Art langsam, aber sicher in den Wahnsinn treibt. Wut über die himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Max ganz allein in Berlin ist, obwohl er nichts getan hat, um das zu verdienen. Und Wut über Lukas’ Tod, den ich nie überwunden habe. Nicht zu vergessen den Schmerz, aber das ist ein anderes Thema.

Was immer ich fühle, dies ist nicht der Zeitpunkt, mich zu verstecken. Drake und Nash sind wie Raubtiere, die Furcht wittern können. Zeige ich jetzt Schwäche, werden sie mit mir wie mit einer Maus spielen und mich jagen so lange ich hier wohne.

Was mich zurück in die Gegenwart bringt, denn Nash sieht mich immer noch herausfordernd an. Er hat also gewettet, dass ich mit ausgerollter Zunge in meinem Zimmer hocke und sie mir nackt vorstelle? Wo sind die Kotz-Smileys, wenn man sie braucht?

»Den Gefallen kann ich dir leider nicht tun«, kontere ich, blicke kurz auf seinen Reißverschluss, bevor ich ihm wieder in die Augen sehe. »Ich hab ’ne Erdnuss-Allergie, und mehr als Peanuts hast du ja wohl nicht zu bieten.« Mit diesen Worten dränge ich mich an den beiden vorbei und verlasse die Küche. Das mit der Allergie ist gelogen, aber ich schätze, Nash versteht die Andeutung auf die männliche Anatomie, denn sein Hyänen-Lachen verfolgt mich bis zur Treppe.

In meinem Zimmer werde ich ungeduldig von Pam, Sally und Dexter erwartet. Meine Freunde hocken vor dem Balkonfenster auf dem Hartholzboden, umgeben von den leeren Pappschachteln des Take-Out-Sushis.

»Hey Baby!«, ruft Pam und wirft die rote Mähne zurück. »Wo zum Henker hast du gesteckt?«

»Pam wollte schon einen Suchtrupp losschicken«, bemerkt Dexter, der mir entgegenkommt und mich von zwei Eispackungen befreit, die gefährlich ins Wanken geraten sind. Unsere Dramaqueen hat sich in den Ferien von seinem Dreitagebart getrennt – den Gerüchten zufolge hat seine Mutter ihm ein Ultimatum gestellt. Trotz des braunen Strubbelhaars und der Ray Bans sieht er jetzt nicht mehr wie sein Idol George Michael aus, was ihn reizbar macht.

»Aber dann hätten wir vermutlich Pam suchen müssen, wer weiß, wo sie gelandet wäre«, ergänzt er und wirft Sally eine Packung zu.

»Wahrscheinlich in Drakes Bett!« Typisch Pam. Sie nimmt mir die restliche Eiscreme ab und ergänzt: »Ich meine, habt ihr seinen Arsch gesehen, der ist spektakulär!«

»Nicht nur der«, murmelt Dexter und versenkt seinen Löffel in einem Becher Karamel Sutra.

»Ich weiß! Jedes Mal wenn ich seinen Bizeps sehe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.« Pam seufzt und öffnet ihre Packung.

»Ich finde, er hat schöne Hände«, überrascht uns Sally mit ihrer Bemerkung. Normalerweise hält sie sich bei Gesprächen, die sich um männliche Körperteile drehen, zurück.

»Oh Baby, du hast ja so was von recht!« Pam schleckt den Deckel ab und wirft ihn in den Müll. »Von Drake würde ich mir jederzeit den Po versohlen lassen.«

Sally kichert, Dexter schnaubt, während ich nachdenklich in meinen Eisbecher starre. Ich komme nicht darüber hinweg, wie oberflächlich die Leute hier sind. Das ist keine Kritik an Pam, sie ist großartig und eine wunderbare Freundin. Es ist nur so, dass sie jedes Wort ernst meint, auch wenn es als Scherz rüberkommen soll. Versteht mich nicht falsch, ich will nicht behaupten, besonders tiefsinnig zu sein, aber wie Pam denkt hier so gut wie jeder. Ich war noch nie in einem Land, in dem Aussehen so eine wichtige Rolle gespielt hat wie in den Staaten. Und hier in Hollywood ist es besonders extrem. Bei Frauen zählen Möpse, Hintern und Beine, bei Männern sind es Muckies, allen voran Bizeps und Waschbrettbauch, sowie ein Hintern, mit dem man Nüsse knacken kann. Innere Werte werden wie ein Virus behandelt, noch dazu einer, der ansteckend ist.

Während ich meinen Gedanken nachhänge, wechseln meine Freunde das Thema, denn als ich mich wieder ins Gespräch einklinke, sind sie bei meiner Erzfeindin Nummer eins gelandet, Shelly Overman, auch bekannt als Shelly-Belly. Sie und ihre Klone, Charlize und Scarlett, haben mir das Leben an der Brentwood High in den ersten Wochen zur Hölle gemacht. Dabei war mein mit Schlampen-Bemerkungen vollgeschmierter Spind nur die Spitze des Eisbergs. Ihr Hass gegen mich ging so weit, dass ich nach der Schule meinen wunderschönen Mini Cooper mit eingeschlagenen Scheiben und roter Farbe verschmiert vorgefunden habe. Zumindest dachte ich damals, das wäre ihr Werk. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Erstens ist das nicht ihr Stil, schließlich musste man sich dabei die Hände schmutzig machen. Außerdem hatte jemand Das ist erst der Anfang auf die Seite des Wagens gesprüht. Auf Deutsch. Darüber hinaus sind noch andere Dinge passiert, beunruhigende Dinge, die sie unmöglich getan haben kann. Wie zum Beispiel eine angeritzte Bremsleitung.

»… könnte man meinen, dass dir unsere Shelly-Belly leidtut«, unterbricht Pam meine Überlegungen.

»Sie hat es nicht leicht.« Sally kratzt ihren Eisbecher aus und seufzt. »Ihre Mutter ist ein Alptraum und ihr Vater ist nie da.«

Sally ist das stille Wasser in unserer Runde. Fremden gegenüber ist sie zurückhaltend, aber wenn sie sich für jemanden erwärmt, hat man eine Freundin fürs Leben. Sie ist eine spindeldürre Elfe mit aquamarinfarbenen Augen und hellblondem Haar, das sie raspelkurz trägt.

»Na und? Wenn wir alle wegen Vernachlässigung zu Hooligans werden, wäre die Welt ein Trümmerhaufen.«

»Die Welt ist ein Trümmerhaufen«, brummt Dexter und greift sich einen ungeöffneten Becher.

Sally zuckt mit den Schultern und nimmt auf der Kingsize Couch Platz. »Ein bisschen komplizierter ist es schon.«

»Was weißt du über Shelly?« Es ist immer gut, seine Feinde zu kennen.

»Früher war sie echt nett«, beginnt sie, lehnt sich in die Kissen und schließt für einen Moment die Augen. »Wir standen uns einmal nah, wisst ihr.«

»Echt jetzt?« Das kommt von Dexter. Sally nickt und schenkt ihm ein schwaches Lächeln.

»Vom Kindergarten bis zum ersten Jahr an der Highschool war sie meine beste Freundin.«

»Auch du, Brutus«, murmelt Pam und öffnet einen weiteren Eisbecher. Wann hat die den ersten verspachtelt?

»Dir ist schon klar, dass das dein dritter ist«, bemerkt Dexter und heftet seinen Blick auf Pam.

»Bist du von der Kalorien-Polizei, oder was?«

»Wir hatten alle erst ein Eis, du futterst wie ein Schwein!«

Statt beleidigt zu sein, zwinkert Pam ihm zu. »Neidisch?«

»Auf was?«

»Na, auf meine Kurven, Baby, worauf sonst?«

»Könnten wir noch mal auf Shelly zurückkommen?«, frage ich mit Blick auf Sally. Wenn Pam und Dexter erst mal loslegen, kann das dauern.

»Warum seid ihr nicht mehr befreundet?«

»In unserem Freshman-Jahr sind Charlize und Scarlett auf die Brentwood gewechselt.« Sally blickt auf ihre Hände, sie wirkt traurig.

»Sie waren genau das, was Shelly immer sein wollte: Sexbomben, denen die Schule zu Füßen liegt. Obendrein kamen sie aus den richtigen Familien und hatten einflussreiche Freunde. Shellys Mutter hat sie dauernd eingeladen und mich …« Sie räuspert sich. Das nicht bleibt unausgesprochen.

»Ich habe immer angenommen, dass sich die Clique um Shelly dreht und nicht um die anderen beiden.«

»Das siehst du ganz richtig. Shelly hat um ihre Position in der Gruppe gekämpft und war dabei nicht gerade zimperlich. Ich glaube, dass Charlize und Scarlett ihre Popularität nicht besonders wichtig ist.« Sie zuckt mit den Schultern, als wäre das keine große Sache. Als wäre es egal, dass Shelly, mit der sie ihr ganzes Leben befreundet war, sie wegen zwei Barbies fallen gelassen hat, denen nicht mal was an ihrer Freundschaft liegt. »Das ist oft so bei Leuten, denen all das zufliegt, wofür andere hart kämpfen müssen«, ergänzt sie leise.

»Und warum ist es Shelly so wichtig?«

»Das liegt an ihrer älteren Schwester.« Das kommt von Dexter. Sally nickt.

»Gladdys Overman war die Königin der Brentwood«, fährt sie fort, »und hat Fußstapfen hinterlassen, die Shelly nicht ausfüllen kann.«

»Zum Beispiel?«, frage ich und hocke mich im Schneidersitz zu ihr aufs Sofa.

»Na ja, sie ist nicht gerade der sportliche Typ, aber Gladdys hat die Cheerleader angeführt und sie war gut. Außerdem ist Shelly eher eine durchschnittliche Schülerin, während ihre Schwester ein Stipendium für Stanford bekommen hat.«

Dexter nickt nachdenklich. »Gladdys war Miss Perfekt, während Shelly gerade so durchkommt.«

»Und woher weißt du das?«

Ein Lächeln breitet sich auf Dexters Gesicht aus. »Mein Bruder hat sie nach den Footballspielen ein paarmal flachgelegt.«

Ich wusste nicht mal, dass er einen älteren Bruder hat, aber das behalte ich für mich.

»Voll spannend«, brummt Pam und gibt vor zu gähnen. »Erzähl mir lieber, was aus deinem Loverboy geworden ist«, sagt sie an mich gerichtet.

Das ist das einzige Thema, über das ich auf keinen Fall reden möchte.

»Loverboy?«, fragt Sally. »Meinst du Conall?«

»Raoul!«, rufen Pam und Dexter wie aus einem Mund, sehen sich an und grinsen.

Raoul ist meine Achillesferse. Wir sind letzten Sommer zusammengekommen, und ich habe mir eingebildet, dass es etwas Ernstes zwischen uns ist. Nachdem Conall, mein verlogener Ex, mich mit meiner besten Freundin hintergangen hat, fällt es mir schwer, mich auf jemanden einzulassen. Aber Raoul war … anders. Zu ernst für sein Alter, schweigsam und irgendwie auch mysteriös. Er war Mitglied einer Gang, und wenn man sich seine Freunde ansieht, fällt es nicht schwer, sich das vorzustellen. Wie bei Drake ist alles an ihm dunkel, vom Bandera bis zu den Boots, was zugegebenermaßen ziemlich sexy ist. Aber er strahlt auch Gefahr aus, was ich sogar noch anziehender finde. In L.A. sind mir die Leute zu schön, geradezu ekelhaft perfekt. Raoul dagegen hat Ecken und Kanten und passt sich nicht an. Er hat die olivfarbene Haut der Latinos und ein scharf geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen. Das pechschwarze Haar trägt er gerade lang genug, dass er es sich hinters Ohr streichen kann. Arme und Brust sind mit Tattoos übersät, die auf Außenseiter wie eine Warnung wirken. Während sein Körper Härte ausstrahlt, sind seine Haselnussaugen weich und warm. Zumindest wenn ich in seinen Armen liege, was Lichtjahre her zu sein scheint.

Das Letzte, das er im November zu mir gesagt hat, war, dass ich ihn anrufen soll, wenn ich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen. Und das von ihm!

Jedenfalls haben wir uns seitdem weder gesprochen noch gesehen. Die Pause geht auf meine Rechnung, keine Frage. Aber um ehrlich zu sein, fand ich die Szene, die er mir damals gemacht hat, komplett daneben. Noch dazu in einer Situation, in der ich angefangen habe, mir mein Leben zurückzuerobern. Verantwortung zu übernehmen, wenn man so will. Natürlich hätte ich ihm all das auch sagen können, aber ich fand, dass er nach seinem Auftritt zu mir kommen musste, nicht umgekehrt. Ich weiß, das klingt albern, aber das ist mir schnurz. Meine Freundinnen in Berlin haben mich verletzt und gedemütigt, Mädels, von denen ich dachte, dass sie mir nahestehen. Conall hat das Gleiche getan, und er hat behauptet mich zu lieben. Shelly-Belly hat mich vom ersten Tag an der Schule gedisst, obwohl sie mich nicht mal kennt. Und meine Mutter möchte keine Zeit mit mir verbringen, nicht mal eine Woche in den Ferien! Ich habe reichlich Mist eingesteckt. Wenn Raoul mich wirklich will, weiß er, wo ich wohne. Ich hab genug gekämpft, jetzt sind mal die anderen dran.

Etwas von meinem inneren Konflikt muss sich in meiner Miene widerspiegeln, denn sowohl Pam als auch Dexter rudern zurück.

»Na ja, Raoul kann Drake ohnehin nicht das Wasser reichen, oder, Baby?«, fragt sie in Dexters Richtung.

»Keine Chance«, erwidert er und schüttelt den Kopf.

»Drake ist kein bisschen wie Raoul!«

»Sag ich doch.«

»Er ist so …«, fahre ich fort, ohne auf ihren Einwurf einzugehen, »so …« Wie kann ich ihn und seinen blöden Bruder bloß beschreiben? »… so …«

»Na, was?«

»So ein Arsch!«

Nach einem kurzen Moment der Stille brechen meine Freunde in Gelächter aus.

»Das ist nicht witzig!«

»Nee, ist klar«, giggelt Pam.

»Die beiden lassen ihr Zeug überall rumfliegen!«

»Na und?« Dexter quetscht sich zwischen Sally und mir auf die Couch. »Ist ja nicht so, also müsstest du es wegräumen.«

»Außerdem stellen sie nichts zurück in den Kühlschrank. Nash trinkt ständig aus den Flaschen, selbst aus den O-Saft-Packungen. Das ist so was von ekelig.«

»Das macht Lissa auch andauernd«, wirft Sally ein und schenkt mir ein mitfühlendes Lächeln. Lissa alias Clarissa ist Sallys kleine Schwester.

»Seit er und sein Bruder hier aufgekreuzt sind, steht das Telefon nicht still, und nie ist es für mich!«

»Neidisch?«, fragt Dexter und zwinkert mir zu, worauf ich die Augen verdrehe.

»Dann ziehen sie Abend für Abend mit ihren Freunden los, kommen mitten in der Nacht mit einem Fang Frischfleisch zurück und hängen bis Sonnenaufgang im Mediaraum ab.«

»Also, jetzt bin ich neidisch!« Pam wirft den leeren Becher in den Papierkorb.

»Nash schleppt gleich mehrere Kichererbsen auf sein Zimmer«, fahre ich fort, »während Drake zumindest den Anstand hat, immer nur ein Mädel pro Abend zu vögeln.«

Nicht, dass ich ihnen hinterherspioniere. Zumindest nicht sehr viel. Na ja, was bleibt mir übrig? Mama lässt mich mit zwei männlichen Schlampen allein, die ich noch dazu kaum kenne.

»Wenn du so weitermachst, krieg ich ’nen Ständer von deinem Gequatsche«, bemerkt Dexter, woraufhin wir losprusten.

An diesem Abend löst sich etwas in mir. Es tut mir gut, unter Freunden zu sein, abzuhängen und über Belangloses zu reden. Nachdem mir Alex, meine beste Freundin in Berlin, ein Messer in den Rücken gerammt hat, fällt es mir schwer, mich anderen gegenüber zu öffnen. Was vermutlich auch der Grund dafür ist, dass aus Raoul und mir nichts wurde. Vertrauen ist nicht meine starke Seite. Obwohl ich zugeben muss, dass Alex nur die Kirsche auf der Sahne war. Dichtgemacht hab ich nach Lukas’ Tod. Die darauf folgenden Hassmails der Netz-Trolle waren der Anlass, dass ich mein Twitter- und Facebook Profil gelöscht habe. Seit Sorry Ass letzten Herbst ein Hit wurde, liegen mir meine Freunde in den Ohren, mich endlich wieder im sozialen Netzwerk anzumelden. Dabei besitze ich noch ein YouTube und SoundCloud-Konto, die von Leon gepflegt werden. Was gut ist, denn irgendein Schlaumeier hat letzten Herbst versucht, sich in mein YouTube-Konto zu hacken. Wäre Leon nicht zufällig online gewesen, hätte der Typ es sogar geschafft. Stattdessen hat mein Freund dem Eindringling einen Wurm verpasst, der Daten von seinem Rechner auf Leons übertragen hat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Im Verlauf des Abends überreden mich meine Freunde, mir zumindest ein Konto zuzulegen. Um ehrlich zu sein, hatte ich keine Ahnung, was es da draußen mittlerweile alles gibt. Im Musik-Bereich kenne ich mich ein bisschen aus, aber das ist bloß ein Mini-Ausschnitt des globalen Netzwerks. Pinterest, Instagram, YouNow und Spotify sind nur die Spitze des Eisbergs. Mich überfordern die Pros und Contras, darum greife ich auf Altbekanntes zurück und melde mich bei Facebook an. Das kenne ich und muss mich nicht komplett neu in die ganzen Funktionen einlesen. Nach nicht mal drei Stunden habe ich bereits 459 neue Freunde.

Wenn nur alles so einfach wäre.

02

Da Pam am nächsten Morgen die Frühschicht im Starbucks übernommen hat, muss sie zeitig los. Damit löst sie eine regelrechte Aufbruchswelle aus. Innerhalb von zwanzig Minuten sind meine Freunde verschwunden und lassen mich mit der Marshall-Brut allein. Das waren zwei richtig tolle Abende, so was sollten wir öfter machen.

Am nächsten Morgen schleppe ich mich unter die Dusche, in der Hoffnung wachzuwerden. Es hilft nicht wirklich, ich brauche Koffein. Also schlüpfe ich in Yoga-Klamotten und Flip Flops, wickle das feuchte Haar in ein Handtuch und suche die Küche auf. Die ist jedoch von James’ Söhnen okkupiert. Schon wieder.

»Dieses Haus hat drei Küchen«, murre ich, als ich Nash mit dem Kopf im Kühlschrank erwische. »Warum müsst ihr euch ausgerechnet diese aussuchen?« Und warum laufe ich auf der Suche nach Essen jedes Mal den Brüdern vor die Füße?

Nash grinst, zieht eine Packung O-Saft aus dem Seitenfach und trinkt direkt aus dem Karton, ohne mich aus den Augen zu lassen. Echt jetzt?

Als er fertig ist, wischt er sich mit dem Handrücken über den Mund und macht Anstalten, den Saft zurück ins Seitenfach zu stellen.

»Weißt du eigentlich, wie ekelhaft das ist?« Ich schnappe mir die Packung und werfe sie in den Müll, um meinen Standpunkt klarzumachen.

»Willst du wissen, wie sehr mich das interessiert?«

Als ich zum Kühlschrank gehe, um mir Milch zu holen, stellt er sich dicht hinter mich, ich nehme an, um mich zu provozieren. Mittlerweile kenne ich die beiden ein bisschen und weiß, dass Nash der haptische Typ ist. Er ist laut, rotzfrech und muss alles anfassen, während Drake eher im Hintergrund bleibt und beobachtet. Der ältere Marshall-Sohn ist geduldiger als sein Bruder, es sei denn, er ist auf dem Football-Feld, da hält er sich nicht zurück. Ich habe mir sagen lassen, dass Drake wie eine Wand ist, an der niemand vorbeikommt. Und obwohl Nash durchaus auf sich aufpassen kann, ist Drake zur Stelle, wenn jemand seinem kleinen Bruder auf die Pelle rückt. Und das passiert öfter, als ihren Eltern lieb ist. Ich würde nicht behaupten, dass Nash ein Hitzkopf ist, aber bei seiner unverschämten Art kann ich mir gut vorstellen, dass er sich nicht nur Freunde macht.

»Und um deine Frage zu beantworten«, raunt er mir ins Ohr, »diese Küche ist am besten bestückt.« Er beugt sich vor, greift um mich und zieht eine Packung Milch aus dem Fach. Dabei drückt er sein Becken gegen meinen Schenkel, wie um mir zu zeigen, wie gut er bestückt ist. Anscheinend ist meine Peanuts-Bemerkung doch nicht so gut rübergekommen.

»Aber ich war zuerst hier«, brumme ich, drehe mich und bohre meinen Ellbogen in seine Rippen. Oops. Während er röchelt, nehme ich ihm den Karton ab. Woher er weiß, wonach ich gesucht habe, ist mir ein Rätsel.

»Wieder falsch«, raspelt er und legt mir einen Arm um die Schulter. Anscheinend hat er sich schnell erholt, denn er fährt mit seiner Nase über meinen Haaransatz und nimmt einen tiefen Atemzug. »Wir haben hier schon gelebt, als du noch in einer Garage auf deiner Gitarre geklimpert und YouTube-Clips ins Netz gestellt hast.«

Hat mich da jemand gegoogelt oder was?

»Pfoten weg, du Vollpfosten!«

Er hat mir eine Haarsträhne hinters Ohr gestrichen, die aus dem Handtuch hervorlugt, und steht insgesamt viel zu nah bei mir.

»Nash!« Das kommt von Drake, der auf der Kücheninsel sitzt und einen Apfel samt Gehäuse verspeist. Er wirft seinem Bruder einen finsteren Blick zu, der daraufhin seufzt und einen Schritt zurücktritt.

»Wie ich sehe, ist sie kein Morgenmensch.« Nash zwinkert mir zu und gesellt sich zu seinem Bruder. Allerdings blockiert er damit nicht nur den Kaffeebereiter, sondern auch das Fach mit den Müslis. Im Stillen frage ich mich, ob er das mit Absicht macht.

»Und, haben dich deine Freunde die ganze Nacht über uns ausgequetscht?«

»Es mag ein harter Schlag für euer Ego sein«, erwidere ich, schubse ihn mit der Hüfte zur Seite und bereite mir einen Latte. Während die Milch aufgeschäumt wird, öffne ich das Fach mit den Kellogg’s-Kartons. »Aber mein Leben dreht sich nicht nur um euch.«

»Jetzt vielleicht noch nicht. Spätestens wenn die Schule losgeht, hörst du auf, so zu tun, als wären wir dein schmutziges Geheimnis.«

Schnaubend fülle ich meine Schüssel mit Cinnamon Jacks, gieße Milch darüber und wende mich ihm zu.

»Apropos Geheimnis«, sage ich leise und beuge mich zu ihm. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie sich Drakes Schultern bei dieser Geste anspannen.

»Hm?«, macht Nash und leckt sich die Lippen, den Blick auf meinen Mund geheftet.

»Du stinkst nach Wodka und Zigaretten.« Was eine faustdicke Lüge ist. Nash riecht nach Rasierwasser und ein bisschen nach Weichspüler – lecker. Aber ich würde eher Spülmittel trinken, als ihm das zu sagen. »Wann hast du das letzte Mal geduscht?«

Mit diesen Worten schnappe ich mir meinen Becher und trolle mich aus der Küche, gefolgt von Drakes leisem Lachen. Im Flur bleibe ich kurz stehen und atme tief durch. Warum lasse ich mich von den beiden bei unserem täglichen Schlagabtausch regelmäßig aus der Fassung bringen? Dabei ist es nicht mal Nash, der mich nervös macht, obwohl er derjenige ist, der sich seit Neustem bei jeder Gelegenheit an mich ranschmeißt, sondern Drake.

Bis eben war mir nicht klar, wie die Dynamik zwischen den Brüdern funktioniert. Es ist der Ältere, der im Stillen die Fäden zieht. Er hat Nash an der Leine, und wenn er aus der Reihe tanzt, pfeift Drake ihn zurück. Interessant.

Nach dem Frühstück gehe ich an den Strand und jogge, um meine Gedanken zu klären. Normalerweise feiert Brady hier regelmäßig ab. Der blonde Strahlemann ist Quarterback an meiner Schule und zudem mein Nachbar. Da seine Familie derzeit seinen Bruder in San Francisco besucht, habe ich den Strand für mich. Das Laufen erdet mich und hilft mir, das Durcheinander in meinem Leben zu sortieren. Die leichte Brise wirbelt durch mein Oberstübchen, und bei jedem Ausatmen stelle ich mir vor, den Müll rauszulassen, der mich belastet.

In Berlin hatte ich ein Morgenritual, das mir bei meinen Panikattacken geholfen hat. Die Übung besteht darin, mich im Geiste mit der Erde zu verwurzeln und meine Ängste und Sorgen mit tiefen Atemzügen auszuatmen. In L.A. habe ich mich aufs Joggen verlegt. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich, wenn ich nur schnell genug bin, meinen Problemen davonlaufe und sie einfach hinter mir lasse. Irgendwie funktioniert das auch, aber es reicht nicht, denn der zweite Schritt ist das Schreiben. Sobald ich den Kopf frei habe, durchfluten mich Ideen, und mir fliegen die besten Songs zu, ich muss sie nur noch zu Papier bringen.

Davon abgesehen hilft mir das Schreiben, einen Teil meines Zorns zu kanalisieren, den Schmerz, der seit Lukas’ Tod mein ständiger Begleiter ist. Manchmal kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie sich das Leben ohne den Krampf in meinen Eingeweiden anfühlt.

Diesmal finde ich keine Inspiration am Strand, dazu ist bei mir zu viel los. Max ist abgereist, Mama hat mich einmal mehr veralbert und on top habe ich die Marshall-Brüder am Bein, die gerne Spielchen spielen. Und ausgerechnet jetzt erreiche ich Leon nicht, dabei kann er Schnee nicht mal ab. Ihn zieht es wie mich ans Meer. Er liebt die Weite, nicht die Berge.

Als ich zwei Stunden später in mein Zimmer trabe, ist es Mittag, und ich fühle mich neu belebt. Zwar hat mich nicht die Muse geküsst, aber die Bedrücktheit ist fort. Nach einer heißen Dusche durchforste ich meinen gigantischen Schrank nach Klamotten zum Wechseln, bis ich das unverwechselbare Facetime-Signal höre das von meinem iPad ausgeht. Im ersten Moment denke ich, es ist Leon, und strahle wie ein Honigkuchenpferd. Doch als ich den Anruf annehme, erscheint nicht das runde Gesicht meines besten Freundes, sondern die kristallblauen Augen von Conall Davis. Bevor ich James’ Söhne getroffen habe, dachte ich, dass Conall der bestaussehende Typ ist, der mir je untergekommen ist.

Mit seinen einsfünfundachtzig ist er einen halben Kopf größer als ich. Er hat einen durchtrainierten Körper, den er gerne zeigt. Darum ist es kein Geheimnis, dass Brust und Arme mit Tribal-Tattoos übersät sind. Das struppige aschblonde Haar trägt er zur Freude seiner weiblichen Fans für gewöhnlich im Just-Fucked-Look.

Conall ist nicht nur mein Ex, sondern auch Leadsänger der Indie Band Broken Dreams. Wobei er nicht meine Träume zerbrochen hat, sondern mein Herz. Als wir in Berlin zusammengekommen sind, dachte ich, er wäre die große Liebe meines Lebens. Ihr wisst schon, die Ich-schwebe-über-den-Regenbogen-in-die-Arme-meines-Prinzen-Liebe, die man nur einmal im Leben trifft.

Was soll ich sagen – er war es nicht. Der Prinz, um genau zu sein, wobei ich mich frage, ob ich überhaupt zur Prinzessin tauge. Gerettet zu werden, ist eher nicht so mein Ding und meine Türen öffne ich lieber selbst. Vielleicht bin ich ja ein hoffnungsloser Fall, aber nach Raoul bin ich mir nicht mehr sicher, was ich will. Oder wen, wo wir schon dabei sind.

Was mich zurück zu Conall bringt. Nachdem ich in Sorry Ass mit ihm und unserer Beziehung abgerechnet habe, ging es mir besser, und wir sind so was wie Freunde geworden. Keine Ahnung, wie das passiert ist. Seit letztem November haben wir angefangen, regelmäßig über Facetime zu quatschen, und festgestellt, dass es uns guttut. Davon abgesehen schreibe ich Songs für ihn, die er und seine Band covern. Von seinem neuen Album RockShock, das vor zehn Tagen erschienen ist, stammen vier Lieder von mir.

Aber das ist nicht der Grund, warum er den Kontakt zu mir hält. Ich vermute, er verbringt deswegen gern Zeit mit mir, weil ich ihn mochte, bevor er ein Promi wurde. Als er nur Conall war, der Typ, in den ich mich verliebt habe, und nicht der sexy Leadsänger von Broken Dreams.

»Wie läuft’s in Japan?«, frage ich und setze mich im Schneidersitz aufs Bett.

»Du hast jemand anderen erwartet.«

Das ist keine Frage.

»Ähm, das stimmt. Ich dachte, Leon würde sich melden, warum?«

»Dein Strahlen hat um 200 Watt abgenommen, als du mich erkannt hast.«

Wow. Für Conall ist das ziemlich aufmerksam. Normalerweise redet er gleich drauflos und erzählt mir einen Schwank seiner Tour-Geschichten, die zugegebenermaßen meistens echt witzig sind. Wenn ich so darüber nachdenke, mache ich bei Leon das Gleiche. Also, ohne den Teil mit der Tour und so. Innerlich seufze ich und lenke meine Aufmerksamkeit zurück auf Conall, der mich aufmerksam beobachtet.

»Alles klar bei dir?«

Schon wieder eine Frage, die er normalerweise nicht stellt.

»Alles im grünen Bereich. Es ist nur so, dass ich Max vermisse. Und Leon ist in Sankt Moritz Ski fahren …«

»Ich dachte, er hasst Schnee und alles, was damit zu tun hat.«

»Ich weiß!«, rufe ich, und diesmal ist mein Lächeln echt.

Wir quatschen fast eine Stunde, und ich bin überrascht, wie gut es ist, mit Conall zu reden. Wie Leon bildet er eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, eine, die ich nicht mit meinen Freunden an der Highschool teilen kann. Er hat mich an meinem Tiefpunkt gesehen, als mein Bruder ums Leben gekommen ist und ich ein emotionales Wrack war. Was er in mir gesehen hat, weiß ich bis heute nicht. Aber ich bin froh, dass wir aus den Trümmern unserer Beziehung etwas Neues aufbauen konnten. Etwas mit Bestand, das den Hype um unsere Person überlebt hat.

Gegen zwei werden wir von Drake unterbrochen, der den Türrahmen ausfüllt. Buchstäblich. Keine Ahnung, wie lange er da schon steht, geklopft hat er jedenfalls nicht.

Apropos.

»Schon mal was von Anklopfen gehört oder habt ihr in Boston Perlenschnüre statt Türen?«

Obwohl er keine Miene verzieht, gefällt ihm Conalls dunkles Lachen nicht, das entnehme ich seiner Körperhaltung. Seine Schultern spannen sich an und sein Kiefer mahlt. Doch die Anspannung verpufft so schnell wie sie gekommen ist, sodass ich mir nicht sicher bin, ob ich mir das Ganze bloß eingebildet habe.

»Nash und ich bestellen Pizza, was willst du für eine?«

Typisch für ihn, dass er nicht mal fragt, ob ich überhaupt eine möchte. Vielleicht hasse ich Pizza oder bin gegen Tomatensauce allergisch. Davon abgesehen irritiert mich die Art, wie er mich ansieht, bis mir auffällt, dass ich außer einem Handtuch nichts trage.

»Äh … nein danke«, gebe ich zurück, obwohl mein Magen anderer Meinung ist. Nennt mich feige, aber ich möchte nicht mit den beiden abhängen. Sie sind mir zu, nun ja, intensiv. Wenn sie nachher für ihre nächste Party abdackeln, werde ich mir etwas Essbares aus der Küche besorgen.

Doch statt sich vom Acker zu machen, liegt Drakes dunkler Blick abwartend auf mir.

»Du hast seit dem Frühstück nichts gegessen, auch nicht nach dem Joggen.«

»Wer bist du, mein Kindermädchen?«

»Brauchst du eins?«

Abermals lacht Conall, doch diesmal bin ich diejenige, deren Kiefer mahlt.

»Woher willst du wissen, dass ich nicht in meinem Zimmer gegessen habe?« In James’ Haus verfügt jedes Schlafzimmer über einen Mini-Kühlschrank, wie in einem Hotel. Die Gästezimmer haben sogar eine Kitchenette, kein Scherz.

»Da deine Freunde in den letzten beiden Tagen wie eine Heuschreckenplage über alles Essbare in diesem Haus hergefallen sind, bezweifle ich, dass sich in deinem Zimmer auch nur ein Krümel befindet.«

»Das sagt der Richtige. Du und deine Kumpel sauft so ziemlich alles mit einer Promilleangabe drauf, selbst das Desinfektionsmittel aus dem Erste-Hilfe-Schrank!« Warum rechtfertige ich mich überhaupt und dann noch vor Drake?

Zu meiner Überraschung blitzt eines seiner seltenen Lächeln auf, was mich aus dem Konzept bringt. Conalls Räuspern holt mich zurück zu meinem Freund.

»Äh, ich ruf dich später zurück. Wann ist dein Interview im Frühstücksfernsehen?« Conall wirft einen Blick auf sein Handy, flucht und fährt sich mit einer Hand durchs Haar.

»Shit, in einer Stunde, ich muss los.«

»Okay. Dann Hals- und Beinbruch«, sage ich und grinse in die Kamera.

»Wann dürfen wir wieder mit einem Auftritt unserer famosen JazzMin rechnen?«

»Dazu muss ich erst mal neue Songs schreiben.«

Darauf kräuselt er die Stirn. »Hat dir dein Stiefvater nicht einen Plattenvertrag angeboten?«

»Er ist nicht mein Stiefvater!« Meine Antwort kommt schärfer raus, als ich vorhatte. James ist und bleibt ein Reizthema für mich. Das mit dem Plattenvertrag stimmt allerdings, aber ich hab ihn nicht unterschrieben. Laut der Papiere hätte ich mindestens zehnmal im Jahr in den Staaten auftreten müssen. Da ich nach Sorry Ass in Good Ol’ Germany eine ziemliche Bekanntheit genieße, war zudem eine Europatour geplant. Gegen das Reisen habe ich nichts, doch im Moment ist mein Leben unruhig genug. Außerdem habe ich keine Lust, das Schuljahr zu wiederholen. Davon abgesehen sehe ich mich eher als Texterin, nicht als Rampensau.

»Whatever. Honey, ich muss los, pass auf dich auf!«

Als ich die Verbindung beende, stelle ich fest, dass Drake näher gekommen ist.

»Was denn noch?«, frage ich und versuche, so aufzustehen, dass sich mein Handtuch vorn nicht öffnet.

»Der Typ ist scharf auf dich.«

Schnaubend gehe ich ins Bad und ziehe mir einen Bademantel über.

»Conall und ich werden ganz sicher nicht mehr zusammenkommen, darauf hast du mein Wort«, rufe ich durch die angelehnte Tür und kämme mein zerzaustes Haar.

Als wir im Sommer hierhergezogen sind, war es kastanienbraun mit natürlichen Highlights und ging mir bis zu den Schultern. Die kalifornische Sonne hat es ausgebleicht, sodass es jetzt eher golden ist. Da ich seit unserer Ankunft nicht beim Friseur war, ist meine Mähne ziemlich lang geworden, ein Umstand, den ich in diesem Augenblick verfluche, während sich der Kamm durch die Knoten kämpft.

»Hast du ihm das auch gesagt?«

»Ungefähr hunderttausend Mal!«

Sein dunkles Lachen verursacht mir eine Gänsehaut.

»Kann ich sonst noch was für dich tun?« Falls er den Wink mit dem Zaunpfahl registriert, lässt er sich nichts anmerken. Ich möchte mich anziehen, wann schwirrt er endlich ab? Ich meine, erst ignorieren er und sein Bruder mich und plötzlich macht Nash auf touchy-feely und Drake sorgt sich um meine Ernährung. Das kann eigentlich nur eins bedeuten.

Mit gespitzten Lippen stoße ich die Tür auf.

»Wann hat meine Mutter angerufen?«

Drake, der sich über meinen Schreibtisch gebeugt hat, richtet sich auf und hebt einen Mundwinkel.

»Wie kommst du darauf, dass ich mit Liz gesprochen habe?« Er kreuzt die Arme vor der Brust und sieht mich herausfordernd an. Nash wählt diesen Moment, um in mein Zimmer zu platzen.

»Verdammt, Drake, was ist jetzt mit der Pizza, ich bin am Verhungern.«

»Na toll, warum kommst du nicht einfach rein und machst es dir gemütlich!?«

»Ich dachte schon, du fragst nie, Prinzessin.«

Bevor ich Piep sagen kann, springt er auf mein Bett und versenkt das Gesicht in meinem Kopfkissen.

Ich hab das Gefühl, meine Augen springen aus dem Kopf. Es gibt ungefähr tausend Dinge, die ich ihm in diesem Moment an den Kopf werfen möchte. Davon abgesehen hat er mich Prinzessin genannt, so nennt mich sonst nur Leon. Doch ich spüre Drakes Blick auf mir, und das sagt mir, dass er meine Reaktion testet. Die beiden versuchen mich einzuschätzen, wie sonst soll ich mir ihr Verhalten erklären? Als sie hier eingezogen sind, haben sie mich wie Luft behandelt. Jetzt ändern sie offensichtlich ihre Taktik und versuchen mich aus der Reserve zu locken. Netter Versuch.

Schnaubend marschiere ich zu meinem begehbaren Schrank, schließe die Tür und ziehe mich hastig um. Heute ist es frisch draußen, darum entscheide ich mich für ausgeblichene Skinny Jeans, die meine langen Beine betonen, ein tailliertes weißes Shirt mit V-Ausschnitt und Flip Flops. Das Outfit wirkt lässig und sexy zugleich, ohne zu signalisieren, dass ich mir besonders viel Mühe mit meinem Aussehen gegeben habe. Genau das ist die Botschaft. Als ich mein Ankleidezimmer verlasse, sind die Marshall-Brüder verschwunden und versemmeln mir meinen Auftritt, war ja klar.

Also schnappe ich mir Autoschlüssel und Handtasche und mache mich zur Garage auf. Wobei das vermutlich das falsche Wort ist, da James’ umfangreicher Fuhrpark in einem extra Anbau untergebracht ist. Dank des Familienzuwachses haben sich Drakes schwarzer Hummer und Nashs steingraue Corvette dazugesellt.

So etwas wie Nashs Wagen habe ich vorher noch nie gesehen. Das Teil sieht wie eine Mischung aus Kampfjet und Stachelrochen aus. Dagegen wirkt mein BMW Offroader wie ein Bus. James hat mich gebeten, meinen Mini so lange stehen zu lassen bis wir herausgefunden haben, wer sich letzten Herbst an meinem Wagen zu schaffen gemacht hat. Zwar hatte er einen Verdacht, doch die Spur ist anscheinend ins Leere verlaufen. Nach der manipulierten Bremsleitung ging er so weit, mir einen Fahrer zu verpassen. Nicht, dass ich Calvin nicht mag. Aber wozu habe ich wochenlang für die Führerscheinprüfung gebüffelt, wenn ich am Ende wie Queen Elisabeth durch die Gegend kutschiert werde? Davon abgesehen fahre ich gern. Da ich meinem Aufpasser regelmäßig entwischt bin, lässt James mich mittlerweile wieder selbst fahren, vermutlich auch, weil mir länger nichts passiert ist.

Da ich im Grunde vor den Marshall-Brüdern geflohen bin, weiß ich nicht, wohin ich fahre, bis ich auf dem Parkplatz des Starbucks in Lomita stehe, wo ich zweimal die Woche arbeite. Heute allerdings nicht, darum besuche ich Pam, die diesen Samstag eine Doppelschicht übernommen hat.

Pam ist der Typ, der keine Probleme hat, weil sie keine haben möchte. Sie trinkt gern, lacht zu laut und redet zu viel, jedoch selten über sich. Meistens trägt sie ausgeschnittene Blusen, die Teile ihrer Spitzen-BHs freilegen, ein Fakt, der die männliche Kundschaft nachhaltig an unseren Coffeeshop bindet. Ihre Freizügigkeit, gepaart mit ihrer kumpelhaften Unkompliziertheit, sind vermutlich auch der Grund, warum sie regelmäßig auf Dates unterwegs ist.

»Baby, bitte sag mir, dass du gekommen bist, um mich von meinem Elend zu befreien. Ich sterbe vor Langeweile!«

Tatsächlich ist um diese Zeit nicht viel los. Es ist der letzte Samstag, bevor die Schule beginnt, den nutzen unsere Gäste und hängen für gewöhnlich am Strand ab.

Während ich einen Cranberry-Bagel mit drei Bissen verspeise, redet sie ohne Punkt und Komma über die bevorstehenden Oscarnominierungen.

»Glaubst du, deine Mutter ist dabei? Im Hollywood Reporter steht, dass sie ein Geheimtipp ist.«

Da ich den Mund voll habe, lässt sie sich weiter über die vielversprechendsten Kandidaten aus, doch ich höre nur mit einem Ohr zu. Dass die Jury meine Mutter überhaupt in Erwägung zieht, ist neu für mich. In den letzten beiden Jahren habe ich eine regelrechte Allergie gegen Mamas Job entwickelt. Er war der Grund dafür, dass wir monatelang in den Schlagzeilen standen, von Reportern belagert und verleumdet wurden. Die Schauspielerei ist mir so zuwider, dass ich letztes Jahr meinen Stundenplan geändert und den Drama-Kurs gegen Ceramics eingetauscht habe. Wenn man mit Ton arbeitet, hat man am Ende zumindest etwas, das man ansehen und ins Regal stellen kann. Bei der Schauspielerei bleibt einem nichts als die Kritik von Leuten, die selbst nie auf der Bühne standen. Und falls doch, sind sie gescheitert, sonst wären sie nicht bei den Rezensenten gelandet.

Innerlich seufze ich und spüle meine Bitterkeit mit einem Schluck Latte runter. Morgen kommen Mom und James zurück aus dem Urlaub, und ich habe keine Ahnung, wie ich mich meiner Mutter gegenüber verhalten soll. Manchmal kommt es mir vor, als müsste ich für jede glückliche Minute mit einer Stunde Hölle bezahlen. Ich meine, Weihnachten war wunderschön. James war supernett zu Max und hat sich nicht anmerken lassen, dass seine Anwesenheit ein bisschen peinlich ist. Ich habe Max alles gezeigt, meine Schule, Starbucks, den Strand. Und obwohl ich in einem riesigen Anwesen lebe, hat er es vorgezogen, im Hotel zu übernachten. Er kann es sich leisten, denn im Gegensatz zu Schauspielerinnen werden Drehbuchautoren im Alter gefragter, da Produktionsfirmen ihre Routine und Erfahrung zu schätzen wissen. Er hat mir von seinem neusten Projekt erzählt, eine Mini-Serie für Arte, die auf Réunion gedreht wird.

Jedenfalls war das eine tolle Zeit. Einen Tag später haut mich meine Mutter in die Pfanne. Schon wieder. Dabei dachte ich, dass sich unser Verhältnis in den vergangenen Wochen gebessert hätte. Ihr Film war im Kasten und sie wirkte zum ersten Mal seit Drehbeginn entspannt.

Nach der Urlaubs-Nummer würde ich am liebsten verschwinden und ihr die Ankunft vermiesen. Doch irgendwann muss ich ihr schließlich gegenübertreten, da bringe ich es lieber schnell hinter mich.

03

In dieser Nacht kann ich nicht schlafen. Ich träume von Lukas, einem Pick-up, der mit unserem Wagen kollidiert. Und einem kleinen Mädchen auf dem Rücksitz einer Limousine, das mir etwas sagen möchte. Bevor sie den Mund öffnet, werden wir ein weiteres Mal gerammt. Es kracht und wir schleudern gegen die Leitplanke. Stahl verbiegt sich und das Fahrzeug fängt Feuer. Als ich hochschrecke, hängt der Gestank von verbranntem Haar in meiner Nase und ich habe Lukas’ letzte Atemzüge im Ohr.

Gott, wird das jemals aufhören?

Gegen vier gebe ich auf und schleiche zur Küche, um mir einen Tee zu bereiten. Ich brauche was Warmes im Magen, etwas, woran ich mich ein paar Minuten festhalten kann.

Als hätte er auf mich gewartet, hockt Drake auf der Frühstücksinsel, den Blick auf die Tür geheftet, auf mich. Ich verkneife mir jeden Kommentar zu der Tatsache, dass eine halb leere Flasche Rum neben ihm steht. Da Nash nicht bei ihm ist, gehe ich davon aus, dass er irgendeine Schnalle auf seinem Zimmer vögelt.

Bei der Vorstellung, dass Drake vermutlich auf ihn wartet, um mit dem Saufgelage fortzufahren, sobald Nash seinen Reißverschluss hochgezogen hat, verziehe ich das Gesicht zu einer Grimasse, während ich den Wasserkocher fülle.

Normalerweise weiche ich Drakes bohrendem Blick nicht aus. Tatsächlich liefern wir uns seit einigen Tagen bei jeder Gelegenheit ein Blickduell, doch zu meinem Ärger sehe ich immer zuerst weg.

»Wir haben Tuck gestern auf einer Party getroffen«, beginnt er und füllt sein Glas. Damit kann er nur Tuck Morris meinen, den Basketball-Star unserer Schule. Wir sind zwar nicht direkt befreundet, da er nur mit den Sportlern abhängt, aber ich mag ihn. Außerdem hat er mir letztes Jahr ein paarmal beigestanden, als ich Hilfe brauchte.

»Er hat deine Startschwierigkeiten an der Brentwood erwähnt.«

Was die Untertreibung des Jahres ist. Als ich hier angekommen bin, habe ich mehr Ärger angezogen als andere während ihrer gesamten Schulzeit. Die Elite meiner neuen Streberanstalt hat mich auf Anhieb gehasst. Etwas später folgte der Presserummel nach meinem musikalischen Durchbruch, anschließend die Aufregung, weil ich mit Conall zusammen war, der zu der Zeit zum Rockstar avanciert ist. Danach ging das mit den Anschlägen los.

Von meinen persönlichen Dramen fange ich gar nicht erst an.

»Er hat Unfälle erwähnt«, ergänzt er leise und beobachtet, wie ich einen Teebeutel aus der Packung pfriemle und anschließend meinen Becher mit heißem Wasser fülle.

»Und das erzählst du mir, weil …?«, frage ich mit dem Rücken zu ihm. Für einen Moment schließe ich die Augen und wärme meine eiskalten Hände am Becher.

»Ist es wahr?« Sein Rumatem verrät mir, dass er hinter mir steht. »Hat jemand deinen Wagen verwüstet?«

Ach das. Dann weiß er also nichts von der sabotierten Bremsleitung.

Langsam drehe ich mich zu ihm, lehne mit dem Po gegen die Anrichte und nippe vorsichtig am Becher.

»Warum fragst du nicht deinen Dad?« Diesmal weiche ich seinem Blick nicht aus.

»Ich frage dich.«

Bisher hat er sich bloß für die nächste Party interessiert, also was soll das.

»Das geht dich nichts an.«

Er beugt sich vor, stützt die Hände auf die Granitplatte hinter mir und schließt mich mit den Armen ein. Ich schätze, um mich zu bedrängen.

Doch da ist er an die Falsche geraten, ich werde nicht zurückweichen. Weder vor ihm noch seinem Bruder. Dafür stellt mein Herz seltsame Sachen an, es pocht wild in meiner Brust und mir wird ganz warm.

»Es geht mich etwas an, wenn du Probleme anschleppst, die meine Familie belasten. Denn dann wird dein Problem plötzlich zu meinem.«

Ich schlucke meine Überraschung runter, denn er ist der Wahrheit verdammt nahe gekommen. Nur, dass nicht ich diejenige mit den Problemen bin, sondern meine Mutter.

Etwas muss ich in meinem Blick gezeigt haben, denn er verengt die Augen zu Schlitzen und beugt sich weiter vor, bis sich unsere Nasenspitzen beinah berühren. Er riecht gut, stelle ich fest, was mich nach seiner durchzechten Nacht wundert. Nach Pinien, Gewürzen und Feuer. Nach Winter.

»Und?«, hakt er nach.

Eine Gänsehaut überzieht meine Arme und ich unterdrücke einen Schauder. Seine Nähe ist so … so …

Nashs Hyänenlachen zerreißt die Stille. Einen Moment später fliegt die Küchentür auf und Drakes Bruder spaziert herein. Als er mich sieht, setzt er ein breites Grinsen auf und breitet die Arme aus, wie um einen alten Kumpel zu begrüßen.

»Da ist ja meine Möchtegernschwester! Mit dir habe ich um diese Zeit nicht gerechnet.«

Mittlerweile sitzt Drake wieder auf der Theke und hat sich aufs Beobachten verlagert. Nash schnappt sich den Rum und nimmt einen Schluck direkt aus der Flasche, war ja klar.

»Wo ist Kelly?«, fragt Drake und nimmt ihm den Alk ab.

»Wer?«

»Dein Fick. Wo steckt sie?«

»Oh, die hieß Kelly?« Er kratzt sich die Stirn, als hätte er bis eben nicht gewusst, dass Mädchen Namen haben. Blödmann.

»Ich hab ihr ein Taxi bestellt, einen Schein in die Hand gedrückt und sie vor die Tür gesetzt.«

»Du gibst deinen Freundinnen Geld?« Das kommt raus, bevor ich mich davon abhalten kann.

»Prinzessin, ich bezahle sie nicht fürs Kommen, sondern damit sie wieder gehen.«

Ich versuche gar nicht erst, die Abscheu, die sich in meinem Gesicht ausbreitet, zu verstecken.

»Du bist so eine Schlampe!«

Nash bricht in hysterisches Gelächter aus und beugt sich kopfschüttelnd vornüber, als hätte ich einen Witz gerissen. Mit einem Schnauben stelle ich die Tasse in die Spüle und verlasse die Küche.

An was für eine Familie bin ich da geraten? Auf der anderen Seite – an wen sind die Marshalls mit Mama und mir geraten? Denn in einem Punkt hatte Drake recht, wir haben Ballast mitgebracht, jede Menge davon. Ich hoffe, dass sich die Dinge in diesem Jahr beruhigen, denn mein Bedarf an Drama ist erst mal gedeckt. Ein bisschen Ruhe wäre eine willkommene Abwechslung.