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MEIN TRAUM VOM GLÜCK BIST DU von PENNY ROBERTS
Nikolaos Papadakis hat kein Interesse an der griechischen Insel, die er mit seinen Brüdern geerbt hat. Gern will er sie an ein Bergbauunternehmen verkaufen. Doch er macht die Rechnung ohne die temperamentvolle Bethany, die ihre kleine Pension auf Patroklos um jeden Preis retten will!
DER ZAUBER DEINER SINNLICHEN KÜSSE von ELLIE DARKINS
Nie hat Guy Williams die sinnlichen Küsse der zauberhaften Meena vergessen. Das Wiedersehen weckt neues Begehren in ihm. Soll er sie zurückerobern? Aber nach einem Schicksalsschlag ist er von Schuldgefühlen geplagt. Keine gute Voraussetzung für eine Beziehung …
VERFÜHRT IM PALAZZO DES ITALIENERS von LYNNE GRAHAM
Der Conte di Martino spürt instinktiv: Topaz, die bezaubernde Gesellschafterin seiner Mutter in seinem Palazzo in der Toskana, verbirgt etwas. Er muss herausfinden, was es ist! Dazu will Dante die Schönheit erst zur Wahrheit verführen - und dann zur Liebe …
HEIMLICHE LIEBESNÄCHTE MIT DEM PRINZEN von MAISEY YATES
Prinz Gunnar von Bjornland braucht dringend eine Ehefrau - wenn auch nur, um die Thronfolge zu sichern. Sein Herz verschenken will er auf keinen Fall! Dafür schätzt er seine Freiheit zu sehr. Ob die reizende Latika ihn vom Gegenteil überzeugen kann?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 685
Veröffentlichungsjahr: 2020
Penny Roberts, Ellie Darkins, Lynne Graham, Maisey Yates
ROMANA EXTRA BAND 96
IMPRESSUM
ROMANA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg für Penny Roberts: „Mein Traum vom Glück bist du“
© 2019 by Ellie Darkins Originaltitel: „Falling Again for Her Island Fling“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi
© 2019 by Maisey Yates Originaltitel: „Crowning His Convenient Princess“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA EXTRABand 96 - 2020 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2013 by Lynne Graham Originaltitel: „Challenging Dante“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Trixi de Vries Deutsche Erstausgabe 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA EXTRA, Band 379 Erste Neuauflage by HarperCollins Germany, Hamburg; in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 96 2020
Abbildungen: postludium / Shutterstock, miniloc / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 07/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733747985
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
Verzweifelt kämpft Bethany um ihre kleine Pension auf Patroklos. Nikolaos Papadakis plant, die Insel an einen Bergbaukonzern zu verkaufen. Wie kann sie den teuflisch attraktiven Business-Tycoon umstimmen?
Wer ist dieser Mann? Bei einem Unfall hat Meena ihr Gedächtnis verloren, doch der sexy Unternehmer Guy Williams kommt ihr seltsam vertraut vor. Obwohl er hartnäckig leugnet, sie zu kennen …
Wie lange kann Topaz ihm noch widerstehen? Mit Dantes Misstrauen konnte sie leben. Aber jetzt setzt der italienische Adlige seinen feurigen Charme ein, um ihr gut gehütetes Geheimnis zu lüften …
Er ist ein Bad Boy! Trotzdem kann Latika sich der sexy Ausstrahlung von Prinz Gunnar von Bjornland nicht entziehen. Dabei ist es ihre Aufgabe, eine passende Ehefrau für ihn zu finden …
Das Notarbüro befand sich in einem modernen Gebäude, doch als Nikolaos Papadakis die Kanzlei betrat, hatte er das Gefühl, geradewegs in die Vergangenheit katapultiert worden zu sein. Gedämpftes Licht drang durch Vorhänge aus schwerem, dunklem Brokatstoff, und die massiven Möbel schienen auch diese letzten Sonnenstrahlen zu verschlucken. In der Luft hing der Geruch von altem Papier, Staub und Möbelpolitur.
Die Sekretärin – eine elegante Frau Ende fünfzig, die ihr weißgraues Haar streng zurückgekämmt trug – führte ihn durch das Vorzimmer in einen größeren Raum, der von einem gewaltigen Schreibtisch aus dunklem Holz dominiert wurde. Dahinter saß ein Mann, der aussah, als hätte er sein achtzigstes Lebensjahr schon vor einiger Zeit hinter sich gelassen.
Er war klein und sein Gesicht überzogen von Falten und Runzeln. Doch die Augen unter den buschigen weißen Brauen, mit denen er Nikos aufmerksam musterte, waren stechend und klar.
Das musste der Notar sein.
Abgesehen von ihm befand sich noch ein weiterer Mann im Raum. Er stand am einzigen Fenster, dessen Vorhänge geöffnet waren, und hatte Nikos den Rücken zugewandt. Trotzdem erkannte er ihn sofort – auch wenn es Jahre her war, dass er ihn zuletzt gesehen hatte.
„Stefanos“, sagte er, und der Mann drehte sich um.
Er hatte sich kaum verändert, und selbst wenn er es gewollt hätte, so wäre er kaum in der Lage gewesen, seine Papadakis-Gene zu verleugnen. Die gleichen kantigen Züge, das gleiche dunkle, leicht gewellte Haar und die grünblauen Augen.
Vor ihm stand sein Bruder.
„Nikos.“ Stefanos trat vom Fenster weg und in den Raum hinein. „Wir haben uns lange nicht gesehen.“
„Wollen die Herren sich nicht setzen?“ Der Notar deutete einladend in Richtung der Besucherstühle.
„Wie lange wird das hier dauern?“, fragte Stefano ungeduldig. „Ich habe später noch eine Verabredung, die ich nur äußerst ungern verpassen möchte.“
„Wir sollten nicht viel länger als eine Stunde brauchen“, entgegnete der Notar in geschäftsmäßigem Tonfall. „Das Testament Ihres Vaters lässt keine Fragen offen. Aber ehe wir weiter darüber sprechen …“ Er blickte auf das Dokument auf dem Tisch. „Wir sind noch nicht vollzählig, daher sollten wir vielleicht noch ein wenig warten.“
„Reden Sie von Ioannis?“ Nikos ließ sich auf einen der Besucherstühle sinken. „Nun, auf den können Sie lange warten. Unser kleiner Bruder wurde seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. Ich bin sicher, dass der Tod unseres alten Herrn ihn auch nicht plötzlich wieder aus der Versenkung holen wird.“
Stefano blieb hinter dem anderen Stuhl stehen und stützte sich mit den Händen darauf ab. „Nikolaos hat recht“, sagte er. „Auf Ioannis zu warten ist reine Zeitverschwendung. Er wird nicht kommen. Wir können ebenso gut auch gleich anfangen.“
„Also schön.“ Der Notar rückte seine Brille zurecht. „Dann nehmen Sie bitte Platz, damit wir beginnen können.“
Die Stuhlbeine schabten über das gebohnerte Parkett, als Stefano sich ebenfalls setzte. Dann lehnte er sich zurück, zückte sein Handy und blätterte desinteressiert zwischen ein paar Apps hin und her. Nikos konnte es ihm nicht verübeln. Ihr alter Herr war keinem von ihnen ein guter Vater gewesen. Nun Trauer wegen seines Todes zu heucheln, konnte wirklich niemand von ihnen verlangen.
Er verschränkte die Arme vor der Brust, während der Notar in seinen Unterlagen blätterte. Schließlich begann der alte Mann, das Testament zu verlesen.
Der Besitz, den Grigorios Papadakis im Laufe seines Lebens angehäuft hatte, sollte zu gleichen Teilen an seine drei Söhne verteilt werden. So weit keine große Überraschung. Doch Nikos hätte wissen müssen, dass ihr Vater nicht ohne ein hinterlistiges Vermächtnis aus dem Leben scheiden würde.
„Unter der Auflage, dass Nikolaos, Stefanos und Ioannis den kommenden Sommer gemeinsam auf Patroklos verbringen und …“
„Moment mal – was?“ Nikos riss die Augen auf.
Gleichzeitig rief Stefanos: „Wie bitte?“
Der Notar blinzelte irritiert. „Soll ich den Absatz noch einmal verlesen?“
„Ja, bitte“, knurrte Nikos. Ärger kochte in ihm hoch. „Noch einmal ganz langsam, ich fürchte, ich habe da etwas nicht richtig verstanden.“
Mit einem Räuspern setzte der Mann erneut an: „Den Besitz der Insel Patroklos, samt aller dazugehöriger Erträge und Bodenschätze, vermache ich zu gleichen Teilen meinen drei Söhnen, unter der Auflage, dass Nikolaos, Stefanos und Ioannis den kommenden Sommer gemeinsam auf Patroklos verbringen.“ Fragend blickte er auf. „Meinten Sie diesen Teil?“
Nikos konnte es nicht fassen. Dabei hätte es ihn nicht wundern sollen. Im Grunde war es sogar typisch für ihren Vater, dass er sich so etwas ausdachte. Selbst im Tod konnte er es nicht lassen, seine Söhne zu kontrollieren und zu gängeln.
„Da mache ich nicht mit“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich werde meine Anwälte auf dieses Testament ansetzen, damit sie es in der Luft zerfetzen.“
„Endlich sind wir uns mal bei etwas einig“, meldete sich Stefanos zu Wort, der ebenso empört und aufgebracht aussah, wie Nikos sich fühlte. „Ich werde diese lächerliche Bedingung nicht akzeptieren. Eher friert die Hölle zu!“
„Es steht Ihnen natürlich frei, sich rechtlich beraten zu lassen, aber ich versichere Ihnen, dass der letzte Wille Ihres Vaters mit großer Sorgfalt abgefasst worden ist.“
Nikos erhob sich so hastig, dass sein Stuhl beinahe umkippte. „Ich habe genug gehört“, sagte er. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden …“ Er sah zu seinem Bruder. „Wenn du wegen dieser Sache reden willst, weißt du ja, wo du mich findest.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und stürmte wütend aus der Kanzlei. Der helle Sonnenschein traf ihn nach dem Halbdunkel des Büros wie ein kleiner Schock, und er blinzelte. Doch nach wenigen Sekunden hatten sich seine Augen wieder an das gleißende Tageslicht gewöhnt, und er eilte weiter.
Nein, damit würde er seinen Vater nicht durchkommen lassen. Er hatte lange genug nach Grigorios’ Pfeife getanzt.
Nun war Schluss – ein für alle Mal!
Mit dem Telefon am Ohr stand Nikos am verspiegelten Panoramafenster seines Penthousebüros und schaute hinaus auf die Skyline von Heraklion. Sein Blick wanderte über das weiße Häusermeer, das sich bis zum venezianischen Hafen erstreckte.
Glücklicherweise beherrschte er die Kunst des Zuhörens, ohne wirklich zuzuhören, wie kaum ein anderer. Bisher schien sein Gesprächspartner jedenfalls nicht bemerkt zu haben, wie wenig er wirklich bei der Sache war. Ein zustimmendes Murmeln hier, ein leises Brummen da – auf diese Weise hatte er schon so manche langatmige Monologe überstanden, nicht zuletzt auch jene, die sein Vater ihm stets gehalten hatte.
Sein Vater.
Grigorios Papadakis.
Der alte Bastard.
Ehe er es zurückhalten konnte, entfuhr Nikos ein unwilliges Knurren. Ein Fehler, wie er sofort bemerkte, als am anderen Ende der Leitung augenblicklich Stille herrschte.
Verdammt!
„Entschuldigen Sie bitte, Gordon“, sagte er rasch. „Meine Sekretärin kam gerade herein, um mir einen unangekündigten Besucher zu melden. Kann ich Sie vielleicht …?“
Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gebracht, da wurde tatsächlich die Tür zu seinem Büro aufgestoßen – und sehr viel energischer, als seine persönliche Assistentin Elara es jemals getan hätte.
Verblüfft starrte er die fremde Frau an, die mit wehendem rotem, Haar in den Raum stürmte. Es passierte ihm wahrlich nicht oft, aber in diesem Moment war er für ein paar Sekunden sprachlos.
Was man von der Unbekannten nicht gerade behaupten konnte.
„Nikolaos Papadakis“, sagte sie, und ihre Stimme klang so scharf wie das Knallen einer Peitsche. „Sind Sie das?“
„Ich …“ Wach auf, Nikos! Da steht eine wildfremde Person in deinem Büro und verhält sich, als würde sie hierhergehören! Willst du sie nicht wenigstens fragen, wer sie ist?
Seine innere Stimme klang mehr nach der seines Vaters, als ihm lieb war. Doch immerhin hatte sie ihn aus seiner Erstarrung gerissen.
„Nein“, sagte er und hob eine Braue. „Ich bin der Hausmeister, der gerade eine Glühbirne wechseln wollte, was denken Sie denn?“
„Genauso arrogant und selbstherrlich, wie ich Sie mir vorgestellt habe.“ Sie schnaubte aufgebracht und schüttelte den Kopf.
Nikos nutzte die Gunst des Augenblicks, um seine ungebetene Besucherin eingehend zu betrachten. Erneut war es ihr lockiges rotes Haar, das seinen Blick zuerst gefangen nahm. Es schien im leicht herabgedimmten Schein der Deckenbeleuchtung regelrecht zu glühen und umrahmte ihr Gesicht wie eine flammende Aura.
Als Nächstes fielen ihm ihre Augen auf. Sie waren tiefgrün und funkelten herausfordernd, was ihn amüsierte. Weshalb ihm das eine solche Freude bereitete, konnte er sich beim besten Willen nicht erklären. Die Frauen, mit denen er sich normalerweise umgab, gehörten einem ganz anderen Typ an: blond, graziös und sanft.
Von sanft konnte bei dieser Dame allerdings kaum die Rede sein. Und graziös war die Art und Weise, wie sie wütend die Arme in die Seiten stemmte, mit Sicherheit nicht. Dennoch gefiel sie ihm. Sie wirkte wie eine Amazone, bereit, es mit jedem aufzunehmen, der sich ihr in den Weg stellte.
Ob sie auch die Figur einer Amazone besaß, konnte er nur vage erahnen. Der lange Rock und der etwas unförmige Pullover, den sie darüber trug und der für die warmen Temperaturen gänzlich ungeeignet schien, ließen kein genaues Urteil zu.
„Sie haben sich mich also vorgestellt?“ Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Interessant. Vielleicht verraten Sie mir auch, mit wem ich das Vergnügen habe?“
„Bethany Gregson“, entgegnete sie scharf. „Aber das wird Ihnen natürlich nichts sagen. Wieso auch? Es ist ja schließlich nicht so, als würde sich jemand wie Sie für die Angelegenheiten anderer Menschen interessieren.“
Nikos war irritiert. Warum glaubte diese Frau, ihn so gut zu kennen, während er sich beinahe sicher war, sie noch nie zuvor im Leben gesehen zu haben? An jemanden wie sie würde er sich schließlich erinnern.
Ehe er eine entsprechende Frage formulieren konnte, platzte Elara in den Raum. Sie bedachte Bethany Gregson mit einem düsteren Blick, ehe sie sich ihm zuwandte.
„Ich bitte um Verzeihung, Chef. Diese Person hat mich in der Kaffeeküche eingesperrt. Es ist mir erst gerade eben gelungen, mich zu befreien.“
Nur mit Mühe gelang es Nikos, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Seine Assistentin war es nicht gewohnt, auf eine solche Weise behandelt zu werden. Sie hatte schon für ihn gearbeitet, als sein Unternehmen noch in den Kinderschuhen steckte. Täglich hielt sie ihm all die Leute vom Hals, mit denen er sich nicht beschäftigen wollte.
Dass es ihr dieses eine Mal nicht gelungen war, schien sie als persönlichen Affront zu betrachten. Und er konnte sich nicht helfen – er fand es einfach amüsant.
„Ist schon gut, Elara“, beschwichtigte er sie. „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf.“
„Ich rufe natürlich sofort den Sicherheitsdienst und …“
„Das wird nicht nötig sein“, fiel er ihr ins Wort. Seine Assistentin blinzelte überrascht, als er ihr eine Hand auf den Rücken legte und sie sanft, aber bestimmt aus seinem Büro beförderte. „Und ein guter Kaffee für meinen Gast und mich wäre jetzt wirklich fantastisch, vielen Dank.“
Nie zuvor hatte er Elara sprachlos erlebt. Sie schien gar nicht zu wissen, wie ihr geschah, als er die Tür hinter ihr schloss und sich wieder Bethany Gregson zuwandte.
„Nun, Ms. Gregson.“ Er neigte den Kopf ein Stück zur Seite. „Mir scheint, Sie sind mir gegenüber im Vorteil – zumindest insofern, dass Sie, im Gegensatz zu mir, genau wissen, mit wem Sie es zu tun haben.“
„Das kann man wohl sagen. Am Namen Papadakis kommt man schließlich schwer vorbei, wenn man auf einer kleinen Insel wie Patroklos lebt.“
Patroklos.
Der Name der Insel hatte stets dieselbe Wirkung auf Nikos Stimmung wie ein Stein, der um das Fußgelenk eines Schwimmers gebunden wurde: Sie sank unwillkürlich dem Nullpunkt entgegen.
Erst recht nach dieser Farce, die der Notar seines Vaters als Testament bezeichnete.
„Sie haben eine weite Reise auf sich genommen, um mich zu treffen. Ich nehme an, dass es sich nicht um einen reinen Höflichkeitsbesuch handelt?“
Sie schnaubte, und ihre grünen Augen funkelten gefährlich. „Gewiss nicht. Ich bin hier, um an Ihr Gewissen zu appellieren.“
Einen Moment lang schaute Nikos sie einfach nur an, dann lachte er laut auf. „Mein Gewissen? Wie kommen Sie auf den Gedanken, dass ich so etwas besitze?“
„In der Tat“, murmelte sie, gerade noch so laut, dass er sie hören konnte. „Wie bin ich bloß auf diese vollkommen absurde Idee gekommen?“ Er rechnete schon damit, dass sie sich umdrehen und aus seinem Büro hinausstürmen würde. Und fast bedauerte er das. Doch dann schüttelte sie den Kopf und seufzte. „Hören Sie, vielleicht sollte ich noch einmal von vorn beginnen. Eigentlich bin ich hier, um Sie um Hilfe zu bitten.“
„Um Hilfe?“ Er deutete zu der kleinen Sitzecke vor dem Panoramafenster. „Aber ich vergesse meine Manieren – wollen Sie sich nicht erst einmal setzen?“ Wie aufs Stichwort klopfte es, und Elara trat mit dem Kaffee herein. Sie bedachte Bethany Gregson mit einem kühlen Blick, als sie das Tablett auf dem Tisch abstellte. „Ich mache das schon“, sagte Nikos und forderte seine Assistenten mit einer Handbewegung zum Gehen auf, ehe er sich auf einen der Loungesessel setzte. „Nun?“
Bethany zögerte noch kurz, dann ließ sie sich auf dem Sessel ihm gegenüber nieder. Er reichte ihr eine Kaffeetasse und griff dann nach der zweiten. Heiß und belebend rann das schwarze Getränk seine Kehle hinunter, als er einen Schluck nahm.
Er beobachtete, wie Bethany Milch und Zucker in ihren Kaffee gab und lange und ausgiebig rührte. Sie wirkte nervös und schien nicht recht zu wissen, wie sie beginnen sollte.
Ihm fiel auf, dass Sommersprossen ihre Nasenflügel sprenkelten. Es war … niedlich. Großer Gott, seit wann gingen ihm denn solche Worte durch den Kopf? Zudem war das nicht unbedingt ein Attribut, das ihn bei Frauen besonders anzog.
Er mochte hochgewachsene, elegante Frauen. Blond oder brünett, mit langen Beinen, einer schlanken Taille und festen kleinen Brüsten. In der Vergangenheit war er mit einigen Models und Schauspielerinnen ausgegangen, die alle mehr oder weniger diesem Typ entsprachen.
Bethany Gregson war keine Frau, nach der er sich unter normalen Umständen umgedreht hätte.
Aber was waren schon normale Umstände? Die letzten Wochen konnte man kaum als solche bezeichnen. Seit ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht hatte, schien überhaupt nichts mehr normal zu sein. Nicht etwa, weil er um ihn trauerte. Davon konnte nun wirklich keine Rede sein.
Ihr letztes Gespräch lag lange zurück. Und in den vergangenen Jahren hatte Nikos die Tatsache, dass er einen Vater hatte, erfolgreich verdrängt.
Er hatte weder ihn noch den Rest seiner sogenannten Familie gebraucht. Ohne diesen ganzen Ballast war er deutlich besser dran. Auch wenn er zugeben musste, dass er seine Brüder hin und wieder vermisste.
Doch er war nie ein Mensch gewesen, der sich den Kopf über Dinge zerbrach, die er nicht ändern konnte. Und das Verhältnis zwischen ihm und seinen Brüdern war unwiderruflich zerrüttet. Was vielleicht sogar ganz gut war.
Stefanos war seit jeher eifersüchtig auf ihn gewesen und hatte ihm die ganze Aufmerksamkeit missgönnt, die ihm von ihrem Vater zuteilgeworden war. Aber hatte er auch nur ein einziges Mal versucht, die Dinge von Nikos’ Standpunkt zu sehen? Sicher traf es zu, dass Grigorios Papadakis ihn als seinen ältesten Sohn und – zumindest, wenn es nach Nikos gegangen wäre – Erben unter seine Fittiche genommen hatte. Das bedeutete allerdings nicht, dass er Nikos jemals bevorzugt behandelt hätte. Oh, nein.
„Wenn du es in der Geschäftswelt zu etwas bringen willst, musst du dich beweisen. Niemand wird dich mit Samthandschuhen anfassen, nur weil du mein Sohn bist“, hatte er immer zu sagen gepflegt. „Ganz im Gegenteil sogar.“
Natürlich hatte er damit nicht unrecht gehabt. Aber das rechtfertigte trotzdem nicht, wie er mit ihm umgegangen war. Seine Erziehungsmethoden …
Nikos schob den Gedanken an seinen Vater beiseite. Grigorios hatte sein Leben lange genug beherrscht. Er würde nicht zulassen, dass nun auch sein Geist Macht über ihn ausübte.
Und genau deswegen würde er sich auch nicht mit Bethany Gregson über Patroklos unterhalten, denn die Insel war in seinem Kopf untrennbar mit seinem Vater verbunden. Aber wenn er diese unleidige Angelegenheit hinter sich gebracht hatte, konnte er Bethany ja vielleicht zum Essen ausführen.
Natürlich nicht, weil er sich für sie interessierte. Er fand sie lediglich amüsant und hatte heute Abend noch nichts Besseres vor …
Bethany atmete tief durch und umklammerte die Tasse mit dem heißen Kaffee. Eigentlich konnte sie das Zeug gar nicht ausstehen. Es war natürlich ein Klischee, dass Engländer Tee bevorzugten, aber in ihrem Fall traf es tatsächlich zu. Für sie ging nichts über eine Tasse Earl Grey am Morgen, um die Lebensgeister zu wecken.
Doch das tat jetzt nichts zur Sache, ermahnte sie sich selbst. Sie musste sich auf das Gespräch mit Nikolaos Papadakis konzentrieren.
Eigentlich wusste sie ganz genau, was sie sagen wollte. Sie hatte sich die Worte schließlich schon längst zurechtgelegt. Zeit genug hatte sie dazu definitiv gehabt, in den Stunden, die er sie in seinem Wartezimmer sitzen und schmoren gelassen hatte.
Natürlich verstand sie, dass er ein vielbeschäftigter Mann war. Und ihr war durchaus bewusst, dass sie unangemeldet in seiner Firmenzentrale erschienen war. Aber was war ihr anderes übriggeblieben? Seit fast einem Monat versuchte sie nun schon, einen Termin bei ihm zu bekommen. Doch seine Sekretärin hatte sie jedes Mal eiskalt abgeschmettert. Es war leichter, eine Audienz beim Papst zu ergattern als bei Nikolaos Papadakis!
Doch die Zeit drängte, und so hatte sie sich kurzentschlossen auf den Weg nach Kreta gemacht.
Geschlagene vier Stunden hatte sie dann in dem elegant eingerichteten Wartezimmer ausgeharrt, ehe ihr der Geduldsfaden gerissen und sie einfach an seiner Sekretärin vorbei in sein Büro gestürmt war.
Als sie ihm nun aber gegenübersaß, fühlte sie sich überhaupt nicht mehr vorbereitet. All die Dinge, die sie ihm hatte sagen wollen, all ihre Argumente – waren fort. Ihr Kopf war wie leer gefegt, und sie war froh, dass sie sich noch an ihren eigenen Namen erinnerte. Dabei konnte sie es sich nicht erlauben, unvorsichtig zu sein. Wenn Nikolaos seinem Vater nur ein klein wenig ähnelte, dann musste sie immer und jederzeit auf der Hut sein. Sie war Grigorios Papadakis nur zweimal begegnet, doch der Mann hatte den Eindruck gemacht, dass er jeden, der ihm im Weg stand, rücksichtslos zur Seite gestoßen hätte.
Und das durfte sie nicht zulassen. Ihre Existenz hing davon ab.
Sie räusperte sich. „Ich betreibe eine Pension auf Patroklos“, begann sie und geriet ins Stocken, als ihre Blicke sich begegneten. Du lieber Himmel, wann hatte ein Mann sie zum letzten Mal so angesehen? So durchdringend und intensiv, dass es sich anfühlte, als würde er geradewegs in ihre Seele blicken. Bethany blinzelte, dann räusperte sie sich erneut. „Sie ist nur sehr klein, vier Gästezimmer und meine eigenen privaten Räume. Das ist natürlich nichts im Vergleich zu den Dimensionen, in denen Sie Ihre Geschäfte tätigen, aber ich bin zufrieden. Die Pension ist beliebt, und ich bin das ganze Jahr über ausgebucht.“
Er hob eine Braue. „Na, dann herzlichen Glückwunsch“, sagte er. „Es freut mich, dass Sie beruflich erfolgreich sind, aber deshalb hätten Sie mich wirklich nicht persönlich aufsuchen müssen.“
Großer Gott, diese Arroganz! „Das ist auch nicht der Grund meines Besuchs“, entgegnete sie scharf, ermahnte sich dann aber, ruhig zu bleiben. Sie sollte ihm besser keinen Anlass liefern, sie vor die Tür zu setzen. Nicht, bevor sie ihm nicht die Augen geöffnet hatte.
Wenn ihr das überhaupt gelingen konnte.
„Wie Sie sicher wissen, wurde vor Kurzem bei Bauarbeiten ein großes Mineralvorkommen auf der Insel entdeckt, an dem bereits mehrere Bergbauunternehmen Interesse angemeldet haben.“
Mit einem Nicken lehnte er sich in seinem Loungesessel zurück. Er wirkte beinahe gelangweilt. Das hätte sie nicht sonderlich überraschen sollen. Immerhin ging es hier um ihre Existenz, nicht seine. Außerdem machte er nicht den Eindruck, als würde ihm Patroklos am Herzen liegen.
Typisch mein Glück!
Sie atmete tief durch, ehe sie weitersprach: „Die Sache ist die: Wenn die Schürfrechte tatsächlich erteilt werden, wäre das nicht nur für die Flora und Fauna der Insel eine Katastrophe, sondern auch für mich persönlich. Meine Pension steht genau dort, wo die ersten Abbauarbeiten stattfinden sollen. Und ich bin hier, um Sie zu bitten, das zu verhindern.“
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Das war ganz und gar nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie klang wie eine Bittstellerin und nicht wie die dynamische junge Unternehmerin, die sie war.
Er hatte irgendetwas an sich, das sie völlig konfus machte. Sie war in seiner Gegenwart nicht sie selbst, und das irritierte sie. Weil sie einfach nicht daran gewöhnt war, dass ein Mann eine solche Wirkung auf sie hatte.
Nun, zumindest nicht seit Harry …
Sie schob den Gedanken an ihn beiseite. Das gehörte hier nicht her. Und Nikolaos Papadakis hatte nun wirklich nichts mit Harry Coulson gemeinsam. Absolut nicht das Geringste.
Allerdings war Bethany sich nicht sicher, ob das gut für sie war – oder schlecht.
„Lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen: Sie erwarten von mir, dass ich auf ein Riesenvermögen verzichte, das mir eine Erteilung der Schürfrechte einbringen würde?“
Entsetzt starrte Bethany ihn an. Ihr war, als würde der Boden unter ihren Füßen wegbrechen, wie bei einem Erdrutsch. „Sie wollen mir nicht helfen?“ Es war im Grunde eine rhetorische Frage, denn er hatte seinen Standpunkt bereits mehr als deutlich gemacht. Doch sie konnte sich nicht helfen. Es ging hier immerhin um ihre Existenz. Ihren Lebenstraum.
Sie hatte sich das alles vollkommen anders vorgestellt, und eine kindische innere Stimme wollte schreien: Nein, so war das nicht gedacht! Noch mal von vorne!
Dummerweise funktionierte die Welt so nicht. Sie war keine zwölf, und es würde ihr nicht helfen, fest mit dem Fuß aufzustampfen.
„Hören Sie, ich …“, setzte sie an, doch er fiel ihr sogleich ins Wort.
„Tut mir leid, aber ich kann Ihnen leider nicht helfen.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er sie geradewegs anblickte und sagte: „Und um ehrlich zu sein, ich will es auch gar nicht.“ Dann hob er eine Braue. „Aber da wir das nun geklärt haben, hätte ich nun noch ein Anliegen.“
Verwirrt schaute sie ihn an. „Was? Ich verstehe nicht …“
„Nun, liegt das denn nicht auf der Hand? Ich bin ein attraktiver Mann, Sie sind eine schöne Frau und zudem fremd hier auf der Insel. Ich zeige Ihnen die Sehenswürdigkeiten, wir gehen zusammen in ein schickes Restaurant, und danach sehen wir weiter, wie sich der Abend noch entwickelt. Was meinen Sie?“
Bethany konnte ihn nur ungläubig anstarren. War das wirklich sein Ernst? Wie unverschämt konnte man eigentlich sein?
Ohne seine Frage einer Antwort zu würdigen, sprang sie auf, wirbelte auf dem Absatz herum und stürmte hinaus. Er rief ihr noch etwas nach, doch sie blieb nicht stehen. Sie wusste, wenn sie auch nur eine Sekunde länger im Büro von Nikolaos Papadakis verbrachte, würde sie etwas tun, was sie später bereute.
Die Mittagssonne brannte vom Himmel herab, doch der Fahrtwind, der durch das offene Verdeck des Jaguars wehte, kühlte Nikos’ Haut. Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest umklammert, und die Bewegungen, mit denen er den Wagen in die Kurven der Küstenstraße lenkte, waren ungewöhnlich steif. Er war ein exzellenter Autofahrer, doch heute war er irgendwie nicht ganz bei der Sache.
Schuld daran mussten die Gedanken an seinen Vater sein. Wie war es möglich, dass selbst sein Geist noch so viel Macht über ihn besaß? Nikos hasste es.
Und verantwortlich dafür, dass all diese Gefühle wieder in ihm hochkochten, war diese Frau.
Bethany Gregson.
Er konnte ihr nicht wirklich einen Vorwurf daraus machen, dass sie bei ihm vorgesprochen hatte. Vermutlich hätte er an ihrer Stelle dasselbe getan.
Das änderte jedoch nichts daran, dass er ihr weder helfen konnte noch wollte.
Dennoch – sie besaß Courage, das musste er ihr zugestehen. Nicht jeder würde es wagen, einfach so in seine Firmenzentrale zu spazieren und seine Hilfe zu verlangen.
Fast bedauerte er es, dass sie seine Einladung, mit ihm zu Abend zu essen, ausgeschlagen hatte. Nein, das war nicht ganz richtig. Sie hatte sein Angebot nicht nur ausgeschlagen, sie hatte ihm den Korb seines Lebens gegeben.
Und es war besser, dass es so gekommen war. Statt mit Ms. Gregson im feinsten Restaurant von Heraklion zu speisen und den Abend dann in seinem Bett ausklingen zu lassen, würde er sich mit Gordon Nolan treffen. Von dem Geschäft, das er mit ihm abschließen wollte, hing für ihn eine ganze Menge ab. Nikos war ein reicher Mann. Er hatte nach dem Bruch mit seinem Vater eine kurz vor dem Konkurs stehende Firma gekauft, das Unternehmen dann vollkommen umgekrempelt und neue Leute mit frischen Ideen eingestellt. Heute produzierte die Firma moderne Unterhaltungselektronik anstelle von Artikeln, die langsam aber sicher vom Markt verschwanden. Vor Kurzem erst hatten sie eine neue Serie Smartphones herausgebracht, die schon jetzt erfolgreicher war, als sie es sich ausgemalt hatten. Doch es gab einige Produktionsschritte, die sie auslagern mussten – und dafür entsprechend teuer bezahlten.
Gordon Nolan wiederum gehörte eine der Firmen, die diese Arbeiten für sie erledigten. Und als Nikos zu Ohren kam, dass der ältere Mann vorhatte, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, hatte er sofort reagiert.
Wenn Nolan sein Unternehmen an ihn verkaufte, konnte er fortan die gesamte Produktion von A bis Z selbst übernehmen. Die Kosten, die sie auf diese Weise einsparen würden, wären enorm. Auf diese Weise wären sie in der Lage, ihre Produkte günstiger in den Handel zu bringen – und es endlich unter die Top Ten auf dem europäischen Markt zu schaffen.
Wenn ihm das gelang, dann konnte ihm niemand mehr etwas anhaben, niemand würde ihm mehr hereinreden oder ihn nur als den Sohn seines Vaters betrachten.
Mit der flachen Hand schlug er aufs Lenkrad. Verdammt, er war viel mehr als nur das, auch wenn es vielen Leuten noch immer schwerfiel, das zu akzeptieren.
Das galt vor allem für die früheren Geschäftsfreunde seines Vaters. Die alte Garde, wie Grigorios sie genannt hatte. Für Nikos waren das alles nur verstaubte alte Männer, die sich mit aller Gewalt an der Vergangenheit festklammerten. Dummerweise besaßen diese Relikte noch immer Macht und Einfluss, und Nikos hatte es satt, sich mit ihnen herumschlagen zu müssen.
Das Geschäft mit Gordon Nolan würde ihm sowohl das Geld als auch die Freiheit bringen, sich nie wieder mit irgendwelchen Menschen arrangieren zu müssen, die er weder achtete noch respektierte.
Und genau deshalb musste er sich darauf konzentrieren. Ablenkung in jedweder Form konnte er im Augenblick nicht gebrauchen. Auch wenn diese Ablenkung weiblich war und … zugegebenermaßen interessant.
Weshalb hatte sie ausgerechnet das Thema Patroklos vorbringen müssen? Das hatte seiner Stimmung einen gehörigen Dämpfer versetzt. Wobei es ihn eigentlich nicht wundern sollte, dass so etwas passierte. Es war typisch für seinen Vater, dass er auch unbeteiligte Dritte mit in seine kleinen Spielchen hineinzog. Denn um nichts anderes handelte es sich hier. Sein Vater zog noch aus dem Grab heraus seinen Fäden, und Nikos ärgerte sich darüber über alle Maßen.
Doch Bethany hatte Pech, denn er beabsichtigte nicht, sich weiterhin von Grigorios manipulieren zu lassen. Die Bedingungen, die er ihnen testamentarisch auferlegt hatte, damit sie ihr Erbe antreten durften, waren einfach ungeheuerlich.
Der alte Mann verlangte doch tatsächlich, dass sie einen ganzen Sommer zusammen auf Patroklos verbrachten – so wie sie es früher immer getan hatten. Als sie noch eine richtige Familie gewesen waren.
Wenn Nikos zurückblickte, konnte er nicht einmal mit Gewissheit sagen, wann das gewesen sein sollte. Es schien immer Zwist und Hader zwischen ihnen gegeben zu haben. Schon seit er ein kleiner Junge gewesen war, hatte sein Vater ihn darauf gedrillt, eines Tages das Familienunternehmen zu leiten. Während seine jüngeren Brüder einfach nur Kinder hatten sein dürfen, war ihm dieser Luxus nie vergönnt gewesen.
Aber das gehörte alles der Vergangenheit an, und die würde er endgültig ruhen lassen.
Das Restaurant, in dem er mit Gordon Nolan verabredet war, befand sich auf halber Strecke zwischen Heraklion und Rethymno. Die Ägäis glitzerte wie ein Meer aus Diamanten im Sonnenlicht, und die weiß getünchten Häuser, die den Straßenrand säumten, hoben sich strahlend von der Umgebung ab.
Über lange Strecken war die Küste steil und rau, die Hänge waren bewachsen mit wildem Majoran und Ginster. Doch immer wieder taten sich Buchten auf, mit weißen Sandstränden und schaumgekrönten Wellen, die zum Baden einluden.
Das Restaurant gehörte zu einem Luxushotel, das sich unaufdringlich an einen Hügel schmiegte. Auf der großen Sonnenterrasse einen Tisch zu reservieren, war in den Sommermonaten beinahe unmöglich. Nikos hingegen hatte lediglich Elara Bescheid geben müssen. Ein Anruf seiner Assistentin hatte genügt, um kurzfristig noch einen Platz zu bekommen. Notfalls würde der Oberkellner eben noch einen weiteren Tisch aufstellen lassen.
Nikos lenkte den Jaguar die Zufahrt des Hotels hinauf und stellte ihn direkt vor dem Eingang ab, wo der Mitarbeiter des Parkservice mit einem professionellen Lächeln die Schlüssel von ihm entgegennahm. Seinen Jaguar aus der Hand zu geben bereitete Nikos in diesem Fall keine Probleme. Der Service hier war exzellent.
Am Eingang des Restaurants wurde er persönlich vom Manager begrüßt und direkt zu seinem Tisch geführt. Man brachte ihm gerade einen Aperitif – einen eisgekühlten Raki –, als auch Gordon Nolan eintraf.
Der Engländer war Mitte sechzig und galt als äußerst launisch. Eine Einschätzung, die Nikos bedauerlicherweise nur bestätigen konnte. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte er Nolan schon einmal kontaktiert, doch damals hatte dieser unter fadenscheinigen Gründen die Verhandlungen abgebrochen.
Nikos war fest entschlossen, dass ihm das kein zweites Mal passieren würde. Dieses Mal würde er nicht lockerlassen, bis der Deal in trockenen Tüchern war.
„Nikolaos“, rief Nolan, und ihr folgender Händedruck war herzlich, wenn auch ein wenig steif.
„Mr. Nolan.“ Nikos lächelte gewinnend. „Wollen wir uns setzen?“
Gemeinsam nahmen sie am Tisch Platz, und mit einer Handbewegung bedeutete Nikos dem Kellner, seinem Geschäftspartner ebenfalls einen Drink zu bringen. Sie stießen miteinander an und stürzten den Raki in einem Schluck herunter. Nolan stellte das Glas wieder auf dem Tisch ab, doch Nikos behielt seines in der Hand. Er brauchte etwas, um seine Finger zu beschäftigen.
Ehe sich unangenehmes Schweigen zwischen ihnen ausbreiten konnte, beschloss Nikos, direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. „Sie haben um ein Treffen gebeten, Mr. Nolan. Was liegt Ihnen auf der Seele?“ Er bedachte ihn mit einem festen Blick. „Sie haben es sich doch hoffentlich nicht anders überlegt?“
Nolans Zögern sagte alles. Nikos schluckte den Fluch hinunter, der ihm auf der Zunge lag. Damit würde er den Mann nur vertreiben, und das durfte er nicht riskieren.
„Meine Frau hat mir schon im letzten Jahr die Pistole auf die Brust gesetzt. Wenn ich nicht endlich kürzertrete, will sie mich verlassen und auf eigene Faust die Welt bereisen.“ Seufzend fuhr er sich durchs Haar. „Verstehen Sie mich nicht falsch, ich glaube nicht wirklich, dass sie damit ernst machen würde. Wir lieben uns, daran hat sich auch nach fünfunddreißig Jahren Ehe nichts geändert. Aber ich muss zugeben, dass für mich viele Jahre die Arbeit an erster Stelle gestanden hat.“
Nikos drehte das Rakiglas zwischen seinen Händen hin und her. Er musste seine Worte sorgfältig abwägen. Natürlich kam ihm Mrs. Nolans Wunsch nur zupass, denn immerhin wollte er das Unternehmen ihres Mannes aufkaufen, aber er durfte auch nicht zu begierig klingen. „Sie können es sich bestimmt erlauben, in den wohlverdienten Ruhestand zu treten“, sagte er schließlich. „Aber ich kann auch nachvollziehen, dass es nicht leicht ist, die Zügel aus der Hand zu geben.“
Nolan nickte. „Ich weiß, dass ich für Sie ein alter Mann sein muss. Allerdings habe ich selbst nicht das Gefühl, bereits zum alten Eisen zu gehören. Ich bin noch voller Tatendrang und Energie, und könnte noch gut und gerne zehn Jahre an der Spitze meines Unternehmens stehen.“
„Ich schätze, Sie müssen sich darüber klar werden, was Sie wollen.“ Nikos lachte leise. „Allerdings kann ich die Beweggründe Ihrer Frau nachvollziehen. Sie möchte verständlicherweise noch etwas von Ihnen haben, solange Sie fit und bei bester Gesundheit sind.“
Der Kellner trat zu ihnen an den Tisch und servierte die Vorspeise, die Nikos’ Assistentin bereits vorab telefonisch bestellt hatte. Sie wusste genau, was er mochte, und was Mr. Nolan betraf, gab es nichts, was eine intensive Recherche nicht zu Tage fördern konnte.
Kurz darauf stand vor Nikos eine köstlich duftende Portion Kolokithokeftedes – Zucchinipuffer, denen Minze und Petersilie einen einzigartig frischen Geschmack verliehen –, während auf Nolans Teller gebackener Schafskäse und gefüllte Weinblätter angerichtet waren.
Sofort nutzte Nolan die kurze Unterbrechung ihres Gesprächs, um das Thema zu wechseln. „Wenn Sie mich fragen, wird dieses ganze Reisen überbewertet. Ich bin als Geschäftsmann schon überall in der Welt herumgekommen, und die meisten Orte sind gar nicht so großartig, wie man sie sich vorstellt. Ich war zum Beispiel einmal in Venedig und …“
Nikos hörte gar nicht mehr richtig hin. Wie schon so oft kam ihm die Fähigkeit zugute, an den richtigen Stellen in einer Konversation die richtigen Laute von sich zu geben. Währenddessen überlegte er, wie er das Gespräch so unverfänglich wie möglich wieder zu dem geplanten Deal lenken konnte.
Verdammt, Nolan durfte jetzt keine kalten Füße bekommen. Nikos musste ihn irgendwie davon überzeugen, dass es die einzig richtige Entscheidung für ihn war, sein Geschäft zu verkaufen.
Und zwar an mich.
„Mr. Nolan“, fiel er ihm schließlich ins Wort, „ich weiß, dass …“ Er verstummte, als vom Eingang des Restaurants her laute Stimmen erklangen. Als die Diskussion nicht aufhörte, sondern sogar noch an Lautstärke zunahm, drehte er sich halb auf seinem Stuhl um. „Was ist denn da los?“ Er blinzelte, dann atmete er scharf ein. Moment mal, war das etwa …?
„Ms. Gregson?“
Sie funkelte den Oberkellner an. „Sehen Sie“, sagte sie, „ich habe doch gesagt, dass ich ihn kenne. Mr. Papadakis! Könnten Sie dem Herrn hier erklären, dass er mich zu Ihnen durchlassen soll?“
„Einen Moment, bitte“, wandte er sich an Nolan. „Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“ Dann schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und ging zu Bethany Gregson hinüber. Mit einem knappen Nicken bedeutete er dem Oberkellner, sie zu ihm vorzulassen, und zog sich mit ihr an die Bar zurück.
„Was, zum Teufel, wollen Sie hier?“, zischte er. „Woher wussten Sie überhaupt, wo Sie mich finden?“
„Ich bin Ihnen gefolgt“, erklärte sie ungerührt. „Mir ist klar geworden, dass ich nicht einfach so aus Ihrem Büro hätte stürmen sollen, nachdem Sie mir eröffnet hatten, dass Sie mir nicht helfen würden.“
„Das hätte an meinem Standpunkt auch nichts geändert“, entgegnete er barsch. „Meine Entscheidung steht, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht. Sie haben sich vollkommen umsonst herbemüht. Einen schönen Tag noch.“
Er wollte sich abwenden und davongehen, doch sie gab sich nicht so leicht geschlagen und hielt ihn am Arm zurück. „Sie lassen mich nicht einfach so hier stehen!“
„Ach, nein?“ Er lächelte spöttisch. „Und was wollen Sie dagegen tun?“
Ja, was wollte sie dagegen tun – das war eine verflixt gute Frage. Und Bethany hatte keine Antwort darauf.
Nur eines wusste sie ganz genau: Dass sie sich nicht einfach so von Nikolaos Papadakis abschütteln lassen würde. Nicht, solange auch nur die geringste Chance bestand, dass sie vielleicht doch noch zu ihm durchdringen konnte.
Sie hatte bereits bereut, dass sie einfach so aus seinem Büro gestürmt war, als sie vor der Firmenzentrale in ihrem – glücklicherweise klimatisierten – Mietwagen gesessen hatte. Abgesehen von Papadakis gab es niemanden, an den sie sich wenden konnte – und sie konnte, sie durfte, nicht einfach so aufgeben. Es hing mehr vom Erfolg ihrer Mission ab, als nur ihre eigene Zukunft. Und so hatte sie auf ihn gewartet und war ihm, als er später in seinem protzigen Cabriolet an ihr vorbeifuhr, einfach auf gut Glück gefolgt.
Vor dem Restaurant hatte sie dann erneut gezögert. War es wirklich eine gute Idee, hineinzugehen? Vielleicht hatte er ja ein Date? Würde sie sich nicht vollkommen lächerlich machen, wenn sie da hineinplatzte? Und was hatte es mit diesem merkwürdig flauen Gefühl in ihrem Bauch auf sich, wenn sie an Papadakis mit einer anderen Frau dachte?
So attraktiv war er nun auch wieder nicht. Und außerdem überhaupt nicht ihr Typ. Sie mochte verlässliche, höfliche und freundliche Männer. Papadakis war – wie nicht anders zu erwarten gewesen war – arrogant und selbstherrlich. Und davon abgesehen war er der Feind. Sie musste sich auf das konzentrieren, was wirklich wichtig war.
Und absolut unangemessene Gefühle für einen Mann zu entwickeln, gehörte ganz gewiss nicht dazu.
Schließlich hatte sie sich ein Herz gefasst, war aus dem Wagen gestiegen und ins Restaurant gegangen. Gleich am Eingang war sie jedoch schon aufgehalten worden. Kein Wunder – mit ihrer schlichten Kleidung stach sie in einem Etablissement wie diesem heraus wie ein fauler Apfel in einer ansonsten perfekten Obstauslage. Der Blick, mit dem der Kellner sie bedachte, war geringschätzend, aber das war Bethany gewohnt. Und es kümmerte sie nicht. Sie war nicht hier, um irgendjemanden zu beeindrucken.
„Kann ich Ihnen helfen?“, hatte der Mann sie gefragt, dabei aber einen alles andere als hilfsbereiten Eindruck erweckt. Vermutlich dachte er, dass sie hergekommen war, um seine Gäste zu belästigen, was in gewisser Weise sogar zutraf.
Zumindest in Bezug auf einen ganz speziellen Gast.
„Ich möchte zu Mr. Papadakis. Und geben Sie sich keine Mühe es zu leugnen, ich weiß genau, dass er gerade in diesem Augenblick hier bei Ihnen zu Gast ist.“
Natürlich war der Kellner nicht sofort diensteifrig losgeeilt, um Papadakis für sie zu holen. Das hätte sie auch sehr überrascht. Deshalb war sie ohne lange zu zögern einfach an dem Mann vorbei auf die Sonnenterrasse des Restaurants getreten.
Tja, und jetzt stand sie vor Nikolaos Papadakis, und ihre ganze Mühe schien umsonst gewesen zu sein. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass er sie einfach so stehenlassen würde. Fassungslos starrte sie ihn an, als er sich von ihr abwandte und ungerührt zu seinem Tisch zurückkehrte.
Doch so leicht würde Bethany sich nicht geschlagen geben. Dafür stand zu viel auf dem Spiel. Sie schüttelte die Hand des Kellners ab, der sie am Arm zum Ausgang ziehen wollte, und lief Papadakis hinterher. Dieser hatte gerade seinen Tisch erreicht, und sein Begleiter – ein älterer Herr im beigefarbenen Leinenanzug und mit graumeliertem, etwas schütterem Haar – erhob sich, als er sie bemerkte.
„Wollen Sie mir Ihre reizende Bekannte nicht vorstellen, Papadakis?“
Reizend? Wohl kaum. Bethany wusste, dass sie nicht viel hermachte. Wozu sollte sie sich auch herausputzen? Es gab niemanden, dem sie gefallen wollte. Schon seit Langem hatte es so jemanden nicht mehr gegeben.
Nikolaos Papadakis schnaubte und machte keine Anstalten, der Bitte seines Begleiters nachzukommen. Also wurde Bethany selbst aktiv. Sie trat an ihm vorbei auf den älteren Mann zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Bethany Gregson“, sagte sie. „Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“
„Gordon Nolan, ebenfalls sehr erfreut.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das aufrichtig zu sein schien. Zumindest soweit sie es beurteilen konnte, angesichts der Tatsache, dass sie den Mann nicht kannte. „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“
Sie schaute gerade rechtzeitig zu Papadakis, um zu sehen, wie seine Augen sich weiteten. Sie hörte, wie er scharf einatmete und den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Vermutlich etwas wie: „Nein, auf gar keinen Fall!“
Nun, sie würde ihn gar nicht erst zu Wort kommen lassen. „Aber gern“, entgegnete sie mit ihrem – wie sie hoffte – einnehmendsten Lächeln. Es schien seine Wirkung nicht zu verfehlen – zumindest nicht auf Nolan.
Papadakis hingegen sah einen Moment lang aus, als wolle er protestieren, doch dann schien er es sich anders zu überlegen. Er schaute missmutig geradeaus, als er sich hinsetzte – natürlich ohne ihr einen Stuhl zurechtzurücken.
Bethany würde sich davon nicht beirren lassen. Ihr Puls raste, und in ihrem Bauch flatterte ein ganzer Schwarm Schmetterlinge umher. Das hier war ihre Chance.
Sie nahm Platz und ignorierte die bösen Blicke, die er ihr zuwarf. Der Kellner, der sie vorhin aufgehalten hatte, stand neben ihr und reichte ihr mit einem professionellen Lächeln die Karte. Er ließ sich nichts anmerken, und Bethany hielt es genauso. Der Mann machte schließlich nur seinen Job. Sie konnte ihm sein Verhalten vorhin nicht verübeln.
Nervös überflog sie das Menü und stellte fest, dass neben den Gerichten keine Preisangaben standen. Das konnte doch nur ein schlechtes Zeichen sein, oder? Vermutlich kostete selbst eine Vorsuppe hier mehr, als sie an einem guten Tag in der Hochsaison mit ihrer Pension verdiente. Sie schluckte hart. Papadakis würde sie gewiss nicht einladen – und wenn sie ehrlich war, wollte sie das auch gar nicht. In der Schuld dieses Mannes zu stehen, hatte ihr gerade noch gefehlt.
Natürlich zuckten weder er noch sein Begleiter auch nur mit der Wimper, als sie ihre Bestellung aufgaben. Bethany brauchte etwas länger, um ihre Wahl zu treffen. Was mochte günstiger sein? Ein kleiner gemischter Salat oder gefüllte Weinblätter?
Sie entschied sich für Letzteres – in der Hoffnung, dass diese Wahl ihre Überlegungen nicht sofort verriet.
„Und was wünschen Sie zum Hauptgang?“, fragte der Kellner und zerstörte damit auch ihre letzten Illusionen.
„Ich … vielen Dank, die Vorspeise reicht mir. Ich habe vorhin bereits gegessen.“
„Sehr wohl.“
Bethany rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her. Sie wusste nicht recht, wie sie das Thema in Anwesenheit einer dritten Person zur Sprache bringen sollte. War es eine gute Idee, sich in seine geschäftlichen Angelegenheiten zu mischen?
Aber letztlich, so entschied sie, konnte sie darauf keine Rücksicht nehmen. „Mr. Papadakis“, begann sie zögerlich. „Um noch einmal auf Patroklos zu sprechen zu kommen …“
„Ich denke, zu dem Thema ist bereits alles gesagt“, fuhr er ihr brüsk über den Mund. „Sobald meine Brüder und ich alle Formalitäten geklärt haben, werden die Abbauarbeiten beginnen. Und nichts, was Sie oder sonst irgendjemand sagen könnte, wird daran etwas ändern.“
Störrisch reckte sie das Kinn empor. „Ich werde aber nicht aufgeben.“
„Das steht Ihnen frei“, entgegnete er kühl. „Bringen wird es Ihnen jedoch nichts.“
Frustriert ballte Bethany die Fäuste. Wie konnte sie Papadakis nur davon überzeugen, ihr zu helfen? Er hatte ihr nun mehrfach zu verstehen gegeben, dass er daran nicht das geringste Interesse hegte.
Ob es wohl etwas brachte, an sein Gewissen zu appellieren?
Sie unterdrückte ein bitteres Lachen. Als ob ein Mann wie Papadakis so etwas überhaupt besaß! Und selbst wenn – für ihn schien es eine sehr persönliche Angelegenheit zu sein. Und Bethany hatte nicht den Eindruck, dass er freiwillig auch nur einen Millimeter von seinem Standpunkt abrücken würde.
Sie musste sich also irgendetwas einfallen lassen, um ihm einen Anreiz zu geben, ihr zu helfen. Nur was?
Der Kellner brachte die Vorspeisen, und nach und nach kam das Gespräch zwischen Papadakis und Mr. Nolan wieder in Gang. Gedankenverloren hörte Bethany nur am Rande zu – das änderte sich, als sie merkte, wie angespannt Papadakis plötzlich wirkte.
„Mr. Nolan … Gordon … Warum hören Sie nicht auf Ihre Frau und machen sich mit dem Geld, das Sie durch den Verkauf Ihrer Unternehmensanteile erhalten werden, einen schönen Lebensabend?“
„Lebensabend, wie das schon klingt!“, entgegnete sein Geschäftspartner. „Ich sagte Ihnen ja bereits, dass ich mich noch nicht fühle, als würde ich zum alten Eisen gehören. Und wenn ich meine Anteile an Sie verkaufe und dann feststelle, dass ich ohne Arbeit nichts mit mir anzufangen weiß? Sie sind jung, Nikolaos. Ihnen stehen noch sämtliche Türen offen. Bei mir sieht die Sache anders aus. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, meine Firma an die Spitze zu bringen. Meine Frau und meine Kinder haben mich praktisch nie zu Gesicht bekommen. Und nun soll ich einfach alles, wofür ich jahrzehntelang gearbeitet habe, weggeben und so tun, als würde mir das nichts ausmachen? Tut mir leid, aber das kann ich nicht.“
„Und das kann auch niemand von Ihnen verlangen“, meldete Bethany sich zu Wort, ehe Papadakis auch nur Luft holen konnte – und ehe sie selbst begriff, was sie da tat. Sie hatte keine Ahnung, was sie eigentlich erreichen wollte. Fest stand nur, dass sie nicht einfach nur tatenlos herumsitzen und die Hände in den Schoß legen konnte. Wenn sie irgendetwas erreichen wollte, dann musste sie handeln.
Und zwar jetzt.
Sie ignorierte Papadakis’ ungläubigen Blick und konzentrierte sich stattdessen auf Mr. Nolan, als sie weitersprach: „Ich kann gut verstehen, dass Sie zögern, Ihr Unternehmen aufzugeben. Das ist ja auch ein ziemlich einschneidender Schritt, der wohlüberlegt sein will.“
Nolan nickte. „Nicht wahr?“
„Sie sollten vielleicht mit Ihrer Familie sprechen, ehe Sie eine Entscheidung treffen. Speziell mit Ihrer Frau. Denn mit ihr werden Sie, wenn Sie sich zu einem Verkauf entschließen, zukünftig mehr Zeit verbringen als je zuvor.“
Der Mann verzog das Gesicht. „Den Standpunkt meiner Frau kenne ich“, erwiderte er bitter. „Sie droht mich zu verlassen, wenn ich nicht endlich in den Ruhestand trete. Sie hat lange genug auf mich gewartet, sagt sie, und keine Lust, auch noch den Rest ihres Lebens auf der Ersatzbank zu verbringen.“
„Womit Sie auch nicht ganz unrecht hat“, mischte sich nun auch Papadakis ein. „Immerhin sagten Sie ja gerade selbst, dass Sie kaum Zeit mit Ihrer Familie verbracht haben.“ Er bedachte Bethany mit einem vernichtenden Blick. „Ich für meinen Teil kann gut nachvollziehen, dass sie jetzt einschneidende Veränderungen fordert.“
Oh. Offenbar hatte sie mitten in ein Wespennest gestochen. Sie jubilierte innerlich, ließ sich aber nach außen hin nichts anmerken. Wenn sie Nikolaos Papadakis nicht auf normalem Wege davon überzeugen konnte, ihr zu helfen, dann musste sie eben andere Register ziehen.
„Nachvollziehen kann ich es durchaus“, entgegnete sie mit einem süßlichen Lächeln und glaubte fast zu hören, wie es unter Papadakis’ kühler Fassade zu brodeln begann. „Gleich die Trennung anzudrohen finde ich allerdings übertrieben. Ich würde mich nicht erpressen lassen. Zudem werden Sie sich, wenn Sie die Entscheidung nicht aus freien Stücken treffen, stets fragen, ob Sie nicht einen Fehler gemacht haben. Und am Ende werden Sie Ihrer Frau die Schuld dafür geben. Ich glaube kaum, dass das für einen besonders harmonischen Lebensabend spricht.“ Sie wandte sich an Papadakis. „Sie etwa?“
Er runzelte die Stirn, konnte aber anscheinend auf die Schnelle kein Argument finden, das ihren Punkt entkräftete. Und als er schließlich doch den Mund öffnete, erhob sich sein Geschäftspartner.
„Sie entschuldigen mich kurz? Ich muss einen dringenden Anruf tätigen.“
Nikolaos kochte. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein, sich in seine geschäftlichen Angelegenheiten einzumischen?
Zuerst platzte sie einfach so in seinen Termin mit Nolan, und dann besaß sie auch noch die Unverfrorenheit, sich einfach so in die Unterhaltung einzubringen. Sie ahnte ja nicht im Entferntesten, was sie anrichtete. Trotzdem würde er sie nicht damit durchkommen lassen.
„Was denken Sie eigentlich, was Sie hier tun?“, fragte er, sobald Nolan sich außer Sicht- und Hörweite befand. „Ich dachte, ich hätte mich bereits unmissverständlich ausgedrückt. Also, was an ‚Ich kann und will Ihnen nicht helfen‘ haben Sie nicht verstanden, Ms. Gregson?“
Da war es wieder, dieses kleine Lächeln, das seinen Blutdruck in die Höhe schnellen ließ. Er wollte ihr gleichzeitig den Hals umdrehen und sie küssen. Was war bloß mit ihm los?
„Ich habe Sie sehr wohl verstanden“, entgegnete sie. „Aber das bedeutet nicht, dass ich mich mit Ihrer Antwort auch zufriedengeben werde.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich wüsste nicht, was Sie da unternehmen wollen. Sie können mich schließlich nicht zwingen, meine Meinung zu ändern. Und jetzt möchte ich Sie bitten, sich zu verabschieden. Sie haben meine Zeit nun wirklich lange genug beansprucht.“
Sie hob eine Braue. „Wie schrecklich unhöflich“, entgegnete sie und deutete mit einem Kopfnicken auf ihren Teller. „Ich habe noch nicht einmal aufgegessen. Außerdem bin ich sicher, dass ich Mr. Nolan noch ein paar interessante Anregungen und Denkanstöße geben kann …“
Ungläubig starrte er sie an. „Drohen Sie mir etwa gerade?“
„Drohen ist so ein furchtbares Wort“, entgegnete sie mit einem unschuldigen Augenaufschlag.
Unschuldig? Nein, wohl kaum.
„Es ist nicht nur ein furchtbares Wort, es ist außerdem auch strafbar.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich führe lediglich eine Unterhaltung. Dass dies rein zufällig Ihren geschäftlichen Plänen zuwiderläuft, dafür können Sie mich wohl kaum verantwortlich machen.“ Sie studierte ihre unlackierten Fingernägel, so, als seien sie plötzlich das Interessanteste auf der Welt. Ihm lag auf der Zunge, ihr zu sagen, was er von ihr hielt. Aber sie kam ihm zuvor.
„Also schön, ich werde gehen und Ihnen keine weiteren Schwierigkeiten bereiten“, sagte sie. „Allerdings nur unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“, stieß er hervor.
„Ich will einen Termin bei Ihnen. Und zwar noch vor Ende der Woche. Mindestens eine Stunde.“ Hoffnungsvoll schaute sie ihn an. „Haben wir einen Deal?“
Nikos runzelte die Stirn. Seine Sekretärin würde begeistert sein, wenn er sie anwies, kurzfristig eine Stunde Zeit in seinem Terminkalender freizuschaufeln.
Aber wer sagte, dass er auch tatsächlich tun musste, was Bethany Gregson von ihm verlangte? Wichtig war im Moment nur, dass er sie loswurde, ehe sie Nolan ganz davon abbrachte, einen Verkauf in Erwägung zu ziehen.
Mit allem anderen konnte er sich auch später noch befassen.
„Deal“, knurrte er – gerade rechtzeitig, als er Nolan durch das Restaurant auf ihren Tisch zukommen sah. „Aber ich erwarte, dass Sie auf der Stelle verschwinden.“
Sie grinste, und wieder war er hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, sie zu erwürgen oder zu küssen.
Keins von beidem, ermahnte er sich streng.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, entschuldigte Nolan sich, als er sich wieder setzte. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass ohne mich in der Firma überhaupt nichts läuft. Meine Mitarbeiter sind Profis, aber wenn man ihnen nicht ständig auf die Finger schaut, sind sie schlimmer als Kindergartenkinder.“
Wie besprochen erhob Bethany sich. „Es hat mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Nolan“, sagte sie mit einem aufrichtigen Lächeln. „Und Ihnen, Mr. Papadakis, auch vielen Dank … für die Einladung.“
Er stutzte einen Moment, dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem widerwilligen Lächeln. Sie war ganz schön dreist, aber irgendwie … gefiel ihm das.
Mit einem Kopfschütteln verscheuchte er diesen vollkommen absurden Gedanken. Stattdessen sagte er: „Sehr gern, Ms. Gregson. Ich melde mich dann beizeiten bei Ihnen.“
Nolan schien ihren Aufbruch zu bedauern. „Und Sie können wirklich nicht noch ein wenig länger bleiben? Wissen Sie, ich begegne viel zu selten Menschen, die mir nicht immerzu nach dem Mund reden.“ Er fischte etwas aus der Innentasche seines Sakkos. „Hier. Wenn Sie irgendwann einmal etwas brauchen, melden Sie sich.“
Zu seiner Überraschung erkannte Nikos, dass er ihr seine Visitenkarte hinhielt. Sie nahm sie entgegen, nickte zuerst Nolan, dann ihm noch einmal zu, ehe sie sich abwandte und zum Ausgang des Restaurants lief.
Er wusste selbst nicht, warum es ihm so schwerfiel, den Blick abzuwenden. Voller widersprüchlicher Gefühle sah er ihr nach, während sie durch die gläserne Schwingtür nach draußen verschwand.
Und auch als sie längst aus seinem Sichtfeld entschwunden war, saß er einen Moment lang einfach nur da und starrte dorthin, wo sie zuletzt gestanden hatte.
Verrückt, dachte er. Das waren ganz sicher die ersten Anzeichen von voranschreitendem Wahnsinn.
„Mr. Papadakis ist zurzeit leider weder telefonisch noch persönlich zu sprechen“, erklärte die Sekretärin vergnügt. Bethany unterdrückte ein Fluchen. Es war offensichtlich, dass der Frau die erneute Gelegenheit, sie abzuwimmeln, große Freude bereitete. Sicher hatte sie ihr noch nicht verziehen, dass sie einfach an ihr vorbei in das Büro des Chefs gestürmt war.
Was Bethany durchaus nachvollziehen konnte. Aber sie war verzweifelt gewesen, und verzweifelte Situationen erforderten nun einmal verzweifelte Maßnahmen. Das zumindest hatte ihr Dad immer gesagt.
Sie atmete tief durch. „Hören Sie, Ms. … Mr. Papadakis hat mir persönlich zugesichert, dass ich vor Ende der Woche einen Termin bei ihm bekomme. Wenn Sie also freundlicherweise noch einmal einen Blick in den Kalender werfen könnten …“
Die Antwort der Frau kam viel zu rasch, als dass sie Bethanys Bitte nachgekommen sein könnte. „Ich bedaure sehr, aber ich verwalte Mr. Papadakis’ Termine und kann Ihnen daher mit absoluter Sicherheit sagen, dass Sie nicht darinstehen, Ms. Gregson. Und nun möchte ich Sie bitten, die ständigen Anrufe zu unterlassen, ansonsten weise ich die Telefonzentrale an, Ihre Nummer zu sperren.“
Ohne ein weiteres Wort legte Bethany auf. Sie wollte nichts sagen, was ihr hinterher nur leidtun würde. Die Sekretärin konnte schließlich nichts dafür. Bethany zweifelte nicht daran, dass sie die Wahrheit sagte.
Verflixt, wie hatte sie nur so leichtgläubig sein können? Papadakis einfach so zu vertrauen! Wie hatte sie annehmen können, dass sein Wort etwas wert war?
Schließlich war er ein Papadakis, um Himmels willen!
Die Geschichten, die über seinen Vater auf der Insel kursierten, waren alles andere als rühmlich. Auf der einen Seite gab es viele Menschen, die ihn nach wie vor verehrten für alles, was er für Patroklos getan hatte. Als privater Besitzer der Insel hatte er die gesamte Infrastruktur praktisch aus eigener Tasche bezahlt – zumindest am Anfang. Inzwischen hatten sich die Bewohner zusammengeschlossen und zahlten in einen Fonds ein, aus dem zahlreiche Instandhaltungsarbeiten und Reparaturen finanziert wurden.
Und die Stimmen, die Papadakis als gewissenlosen Mann bezeichneten, der auf nichts und niemanden Rücksicht nahm, waren über die Jahre lauter geworden.
Bethany zweifelte nicht daran, dass sein ältester Sohn diesbezüglich in seine Fußstapfen trat.
Und dennoch war sie so naiv gewesen, ihn beim Wort zu nehmen.
Was sollte sie jetzt tun?
Sie legte das Handy zurück auf den schmalen Nachttisch in ihrem Pensionszimmer und ließ sich auf die Matratze des Bettes fallen, deren Sprungfedern sich schon überall durchdrückten.
Die Pension war kaum mehr als eine bessere Absteige in einer kleinen Seitenstraße, weit entfernt von allen Sehenswürdigkeiten, die Heraklion zu bieten hatte. Ihr Zimmer war winzig, und das Fenster ging zum Hinterhof hinaus, sodass kaum Licht hereinfiel. Aber zumindest war es einigermaßen billig.
Eines stand fest, Harry wäre wenig beeindruckt gewesen. Er hätte darauf bestanden, dass sie sich ein besseres Zimmer besorgten. Für ihn waren Äußerlichkeiten schon immer extrem wichtig gewesen. Er hatte es ganz selbstverständlich erwartet, dass sie sich jeden Tag sorgfältig schminkte und mindestens einmal im Monat zum Friseur ging. Ein gemütlicher Nachmittag in Yogahose auf der Couch? Das war für ihn nicht infrage gekommen. Und Bethany hatte sich bemüht. Das hatte sie wirklich. Doch letztlich hatte sie es ihm nie recht machen können.
Blinzelnd verbannte sie die Geister der Vergangenheit an den Ort zurück, an den sie gehörten. All das war nicht mehr wichtig. Sie war heute nicht mehr dieselbe Frau, die sich damals von Harry hatte ausnutzen lassen. Und was ihr Zimmer betraf – sie würde sich schon bald nach einer noch günstigeren Alternative umsehen müssen. Vielleicht irgendwo im Inland, wohin sich kaum ein Tourist verirrte.
Aber dann würde sie auch den Mietwagen behalten müssen – und der war noch teurer als das Pensionszimmer. Vielleicht sollte sie also lieber das Auto abgeben und öffentliche Verkehrsmittel benutzen?
Seufzend ließ sie sich zurücksinken und starrte an die mit Wasserflecken übersäte Decke. So etwas würde es bei ihr in der Pension niemals geben. Sie sorgte dafür, dass sich stets alles in einwandfreiem Zustand befand. Es hatte sich noch nie jemand über irgendetwas beschwert.
Und bald würde vielleicht auch niemand mehr Gelegenheit dazu haben …
Bei dem Gedanken daran, dass schon bald Planierwalzen ihre geliebte Pension in Grund und Boden stampfen würden, zog sich ihre Brust schmerzhaft zusammen.
Für sie war es mehr als nur ein Haus. Mehr als nur ein Mittel, um Geld zu verdienen. Als sie vor Jahren auf Patroklos angekommen war, war sie ein zutiefst unglücklicher Mensch gewesen. Das alte Haus in der Bucht zu kaufen und es umzubauen, war die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen.
Ihre finanziellen Mittel waren knapp gewesen, daher hatte sie vorgehabt, alle Reparaturen und Renovierungsarbeiten selbst durchzuführen. Doch es hatte sich schnell herausgestellt, dass das nicht nötig war. Es lebten nur knapp unter einhundert Menschen auf Patroklos, doch die hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Und sie nahmen Bethany so selbstverständlich in ihrer Mitte auf, als hätte sie niemals woanders gelebt.
Zum ersten Mal, seit sie ihre Eltern verloren hatte, fühlte sie sich wieder, als habe sie eine Familie. Und es war ein gutes Gefühl. Ein zu gutes Gefühl, um es kampflos wieder aufzugeben.
Sie liebte ihre Pension, die Insel und die Menschen dort. Sie liebte Katrina und Alexios, das ältere Ehepaar, das für sie arbeitete, und deren zahlreiche Kinder und Enkel, die zwar nicht mehr auf Patroklos lebten, aber regelmäßig zu Besuch kamen.
Es ging hier um mehr als um ein Gebäude. Schicksale waren mit der Pension verknüpft – nicht zuletzt auch ihr eigenes.
Und der einzige Mensch, der ihr helfen konnte, das alles zu erhalten, war ausgerechnet Nikolaos Papadakis.
Sie nahm ihr Smartphone wieder zur Hand und wählte die Nummer des Festnetzanschlusses ihrer Pension auf Patroklos. Schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich Katrina.
„Bethany? Ich habe deine Nummer gleich erkannt. Wie geht es dir? Hast du auf Kreta schon etwas erreichen können?“
Bethany holte tief Luft. „Nicht wirklich. Zwar ist es mir gelungen, Nikolaos Papadakis zu treffen, aber er weigert sich, uns zu helfen. Mir kommt es vor, als wollte er, dass Patroklos zerstört wird. Ich wünschte, ich wüsste, warum …“
„Ich könnte mir schon einen Grund vorstellen“, entgegnete Katrina.
„Ach, ja?“ Sie horchte sofort auf.
„Es ist natürlich nur eine Vermutung, aber … Seine Familie war früher jedes Jahr im Sommer auf der Insel, und ich habe damals manchmal in der Villa ausgeholfen. Einmal habe ich einen Streit zwischen Vater und Sohn mitbekommen, und ich sage dir … da ging es ganz schön zur Sache. Der alte Papadakis war ein strenger Mann, das wusste jeder auf der Insel. Aber die Art und Weise, wie er mit seinen Söhnen umgegangen ist, war mitunter regelrecht grausam. So, als würde er denken, dass er die Jungs nur auf diese Weise zu richtigen Männern erziehen könnte.“
Bethany runzelte die Stirn. Sie konnte nicht verhindern, dass ein Anflug von Mitgefühl in ihr aufstieg, doch sie verdrängte die Regung rasch wieder. „Dass er keine schöne Kindheit gehabt hat, ist sicher bedauerlich“, sagte sie schließlich, „aber noch lange kein Grund, dass deshalb die Menschen von Patroklos leiden müssen. Ich meine, wir haben ihm doch schließlich nichts getan!“
„Menschen sind aber nun einmal nicht immer rational“, entgegnete Katrina, und Bethany glaubte ein Lächeln in der Stimme der älteren Frau zu hören. „Das gilt im Besonderen, wenn sie verletzt oder gedemütigt worden sind.“