Romantische Bibliothek - Folge 52 - Frida Sommer - E-Book

Romantische Bibliothek - Folge 52 E-Book

Frida Sommer

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Beschreibung

"Liebe Mutter, lieber Vater, wenn Ihr diesen Brief findet, bin ich fort. Bitte, sucht mich nicht. Ich lebe in irgendeiner Stadt unter falschem Namen, Ihr werdet mich nicht finden. Verzeiht mir, aber ich konnte einfach nicht anders. Eure Hilde"

Blind vor Tränen schiebt Hilde den Brief in einen Umschlag. Sie hat ihren Eltern Schande gemacht, und sie dürfen es niemals erfahren. Daher gibt es keinen anderen Ausweg - sie muss ihr geliebtes Zuhause verlassen! Eine große Dame wollte sie sein, doch, ach, ein dummes, naives Gänschen ist sie gewesen! Und nun ist er aus, der Traum vom süßen Leben. Denn sie trägt ein Kind unterm Herzen, und der Vater, Georg Baron von Gundloff, will nichts mehr von ihr wissen. Eine nette Abwechslung, ein Zeitvertreib ist sie für ihn gewesen.

Langsam steht Hilde auf, nimmt den Koffer mit ihren wenigen Habseligkeiten und klettert leise aus dem Fenster. Die junge Frau wirft noch einen letzten Blick zurück, dann verschwindet sie in die Nacht ...

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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Zerstörter Traum vom süßen Leben

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/eldar nurkovic

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4458-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Zerstörter Traum vom süßen Leben

Ein erschütternder Liebesroman

Von Frida Sommer

„Liebe Mutter, lieber Vater, wenn Ihr diesen Brief findet, bin ich fort. Bitte, sucht mich nicht. Ich lebe in irgendeiner Stadt unter falschem Namen, Ihr werdet mich nicht finden. Verzeiht mir, aber ich konnte einfach nicht anders. Eure Hilde“

Blind vor Tränen schiebt Hilde den Brief in einen Umschlag. Sie hat ihren Eltern Schande gemacht, und sie dürfen es niemals erfahren. Daher gibt es keinen anderen Ausweg – sie muss ihr geliebtes Zuhause verlassen! Eine große Dame wollte sie sein, doch, ach, ein dummes, naives Gänschen ist sie gewesen! Und nun ist er aus, der Traum vom süßen Leben. Denn sie trägt ein Kind unterm Herzen, und der Vater, Georg Baron von Gundloff, will nichts mehr von ihr wissen. Eine nette Abwechslung, ein Zeitvertreib ist sie für ihn gewesen.

Langsam steht Hilde auf, nimmt den Koffer mit ihren wenigen Habseligkeiten und klettert leise aus dem Fenster. Die junge Frau wirft noch einen letzten Blick zurück, dann verschwindet sie in die Nacht …

„Wohin willst du?“, fragte Hilde Bertram ihren Vater.

Sie saß im geräumigen Wohnzimmer des Forsthauses am Webstuhl. Ihre Hände bewegten sich flink, aber ihr verdrossenes Gesicht zeigte, wie wenig Freude sie an ihrer Arbeit fand.

„Ich muss ins Schloss. Der Graf möchte gern einen Bock schießen. Ich will mit ihm besprechen, wann es ihm am besten passt.“

Hilde ließ die Hände in den Schoß sinken und schaute ihren Vater an. Er war ein Hüne von Mann, aber trotz seiner Breite wirkte er nicht massig. Die Haut seines Gesichtes war von Wind und Wetter gegerbt, und durch sein ergrautes Haar wirkte er älter, als er war. Wenn man allerdings in seine leuchtend blauen Augen schaute, sah man, dass er ein Mann auf der Höhe seines Lebens sein musste.

„Lass mich mitkommen“, bat Hilde und stand schon auf, ohne die Erlaubnis ihres Vaters abzuwarten. „Ich zieh mir nur rasch ein anderes Kleid an.“

Konrad Bertram schüttelte den Kopf.

„Ich weiß nicht, was dich immer ins Schloss zieht“, äußerte er nachdenklich. „Du versäumst keine Gelegenheit, dich dort herumzutreiben. Was zieht dich dorthin?“

„Nichts Besonderes.“ Hilde war rot geworden unter seinem forschenden Blick. „Es ist doch langweilig, den ganzen Tag immer nur dasselbe zu sehen. Verstehst du das nicht?“

„Nein.“ Förster Bertram schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Gibt es denn etwas Schöneres als unseren Wald? Ich habe mich hier noch keine Minute gelangweilt. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, zu dem sprechen die Bäume und Tiere.“

„Bäume …!“ Hilde schob verächtlich die Unterlippe vor. „Mir hängen sie zum Halse heraus. Wo ich hinschaue, sehe ich Bäume und Bäume und nochmals Bäume!“

„Es ist besser, als wenn du überall nur Menschen sehen würdest wie in einer Stadt. Von wem hast du nur deine Unzufriedenheit, Hildchen? Ich stehe bei dir manchmal vor einem Rätsel. Deine Mutter fühlt sich hier wohl, ich wünsche mir nichts anderes, nur du …“

„Ich bin eben jung. Du lebst hier wie lebendig begraben, Vater. Jeden Tag machst du das Gleiche, absolvierst deine Inspektionsgänge und beaufsichtigst die Waldarbeiter, beobachtest die Tiere. Das kann einem Menschen doch auf die Dauer nicht genügen.“

„Wie sehr du dich irrst.“ Der Förster senkte bekümmert den Kopf. „Der Wald ist jeden Tag anders. Man muss ihn nur richtig sehen. Was wird das, woran du webst?“

Er trat hinter sie und schaute über ihren Kopf hinweg auf die angefangene Arbeit.

„Wieder eine Tischdecke.“ Sie seufzte auf. „Ich komme mir manchmal vor wie im Gefängnis. Im Schloss ist die große Welt, dort gibt es Autos, und vor allem Menschen, mit denen man einmal sprechen kann. Wen habe ich denn hier außer euch und Dieter?“

„Und das genügt dir nicht?“

„Nein, das genügt mir nicht!“ Temperamentvoll sprang Hilde Bertram auf. Ihr Stuhl fiel dabei rückwärts auf den Boden, ihr Vater bückte sich und stellte ihn wieder auf die Beine.

„Ich möchte auch einmal tanzen gehen! Und Menschen sehen, Autos, Flugzeuge. Aber alles, was die Welt schön macht, kenne ich nur aus den Zeitschriften. Warum erlaubt ihr mir nicht, in die Stadt zu gehen? Ich könnte mir dort eine Stellung suchen …“

„Du willst allein in der Stadt leben, allein unter fremden Menschen?“ Förster Bertram schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht zulassen. Ich war in der Stadt, ich habe dort studiert, ich weiß, was es heißt, mutterseelenallein zu sein. Im Wald ist man nie allein. In der Stadt kannst du in deinem Zimmer sterben, ohne, dass sich jemand um dich kümmert.“

„Du warst in der Stadt, du kannst leicht sagen, es sei nicht das Richtige. Vielleicht trifft das für dich zu, aber die Menschen sind verschieden. Bitte, lass mich zum Schloss mitkommen.“

Konrad Bertram seufzte. „Wenn dir so viel daran liegt – meinetwegen. Ich will dich ja nicht einsperren, das liegt mir fern. Wenn du Lust hast, können wir am Sonntag auch in die Stadt fahren. Dann könnt ihr euch Schaufenster anschauen, wir trinken irgendwo Kaffee …“

„Jetzt am Sonntag?“ Hildes Gesicht strahlte. „Wie schön! Aber du hältst ja doch nicht Wort“, setzte sie hinzu, und ein Schatten glitt über ihr Gesicht. „Du versprichst es mir, aber wenn es dann so weit ist, hast du wieder keine Lust, und wir bleiben dann zu Hause.“

„Nein, diesmal halte ich Wort.“

Der Förster legte seiner schönen Tochter die Hand auf die Schulter. Das blonde Haar hatte sie von seiner Frau geerbt und wohl auch ihre zierliche Gestalt. In ihr sah er die junge Lene wieder, in die er sich verliebt hatte – und die er jetzt noch immer liebte.

Die Ehe hatte sein Gefühl vertieft, der Leidenschaft der Jugend war eine stille Kameradschaft gefolgt, die viel wertvoller und tiefer war.

„Also gut, zieh dich jetzt um, ich warte. Aber beeil dich ein bisschen, hörst du?“

„Ich fliege“, versprach Hilde und rannte aus dem Zimmer.

Ihr Vater hörte, wie sie in ihrer Eile alle Türen zuknallte. Er schüttelte nur den Kopf über ihr Ungestüm. Sie hält die Großstadt für ein Paradies, dachte er, dabei hat sie keine Ahnung, dass es ein Dschungel ist, in dem jeder gegen den anderen kämpft.

Sie hat keine Ahnung, wie schwer es ist zu überleben. Für sie war das Leben bisher ein Spiel, wir haben ihr alle Schwierigkeiten ferngehalten und sie behütet aufwachsen lassen. Sie hat noch nichts Schlechtes kennengelernt, unsere kleine Hilde.

Nur auf ihre Schönheit bildete sie sich viel ein, und manchmal schalt der Vater mit ihr, wenn sie gar zu lange vor dem Spiegel stand. Sie besaß schöne Kleider, selbst angefertigt, und zum Teil hatte sie die Stoffe sogar selbst gewebt. Wer unsere Hilde einmal heiratet, hat Glück, dachte der Förster, und es war natürlich, dass seine Gedanken automatisch zu Dieter Lingen weiterwanderten.

Lingen war seit Kurzem als Gehilfe bei ihm. Er hatte seine Ausbildung gerade beendet und noch keine verantwortungsvolle Stellung gefunden. Ein paar Jahre würde er wohl unter Konrad Bertram arbeiten, bevor man ihm einen größeren Bezirk anvertraute.

Dieter war so recht ein Mann nach Konrad Bertrams Herzen. Schon allein deshalb, weil auch er ein Waidmann von altem Schrot und Korn war, dem das Hegen des Wildes mehr am Herzen lag als das Schießen.

„Da bin ich. Ist es nicht schnell gegangen?“

Hilde wirbelte ins Zimmer, und die Freude hatte die frische Farbe ihrer Wangen noch vertieft. Sie war ein bildhübsches Geschöpf, kein Wunder, dass die Augen des Vaters voller Stolz aufleuchteten, als sein Blick sie umfing.

„Du hast ja dein bestes Kleid angezogen“, stellte er fest. „Was soll das?“

„Kannst du mir eine Gelegenheit sagen, bei der ich es sonst tragen könnte?“, fragte Hilde und warf den Kopf in den Nacken. „Deinen heißgeliebten Bäumen und Tieren ist es völlig gleichgültig, was die Menschen tragen, die im Walde gehen. Aber auf dem Schloss wird man mich beachten. Gefalle ich dir so, Vati?“

„Eitler Fratz.“ Förster Bertram gab ihr einen Klaps auf den Rücken. „Ich möchte nur einmal wissen, was in deinem Kopf so vor sich geht. Ich glaube, viel ist es nicht.“

Es klopfte, und auf des Försters Herein trat Dieter Lingen ein. Er trug die grüne Uniform des Forstbeamten. Sie stand ihm ungemein gut – das fand jedenfalls Konrad Bertram.

Hilde dagegen hatte etwas gegen die grüne Tracht. Sie liebte elegante Männer, wie sie sie von den Anzeigen der Illustrierten her kannte, die ihr Vater ab und zu mitbrachte.

„Ich habe die Bäume angezeichnet, die geschlagen werden sollen“, teilte er seinem Chef mit, aber sein Blick ging zu Hilde. „Ich hoffe, dass Sie zufrieden sein werden, Herr Bertram.“

„Davon bin ich überzeugt. Wir wollten gerade ins Schloss. Der Graf will einen Bock schießen, ich habe gedacht, ich empfehle ihm den Alten, der auf der Birkenlichtung seinen Standplatz hat.“

„Ja, der muss weg.“ Dieters Atem ging schwerer.

Er meinte nie etwas Schöneres gesehen zu haben als Hilde in ihrem Kleid. Allerdings fand er sie auch in der Küchenschürze schön.

„Wir wollen am Sonntag in die Stadt, einen kleinen Schaufensterbummel machen. Haben Sie Lust mitzukommen?“

„Herr Lingen wird sicherlich etwas Besseres vorhaben“, warf Hilde rasch ein.

Sie schob trotzig die Unterlippe vor, als sie sah, wie der junge Mann bekümmert den Kopf senkte. Sie wusste, dass er sie verehrte, aber sie wollte nichts von ihm wissen. Wenn sie einmal heiratete, dann musste es ein feiner Herr aus der Stadt sein. Ein Auto musste er haben, ein großes Haus, und er musste sie mit Schmuck und schönen Kleidern verwöhnen.

Hilde war überzeugt, dass sie einmal ihren Märchenprinzen kennenlernen würde. Ihr fehlte es in dem abgeschiedenen Forsthaus nur an der Möglichkeit, ihm zu begegnen.

„Ich … hatte am Sonntag sowieso etwas vor“, log Dieter Lingen verkrampft.

Er verneigte sich und ging wieder hinaus.

„Ein netter Junge. Weshalb bist du so abweisend zu ihm, Hilde?“

„Abweisend?“, fragte das Mädchen erstaunt. „Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Wollen wir jetzt gehen?“

Sie sah schon das Schloss vor sich, und es war für sie wie ein Bild aus einem Märchenbuch – und seine Bewohner dazu. Es war ein uralter Bau mit Türmchen, Zinnen und Erkern, ja, sogar der alte Wassergraben, der es in alten Zeiten gegen den Angriff der Feinde schützte, war noch vorhanden.

Und Autos gab es dort! Der Graf sollte ungeheuer reich sein. Einen Teil des Jahres war er immer auf Reisen. Hilde hatte ihn nicht allzu oft zu Gesicht bekommen, denn wenn er etwas wollte, ließ er seinen Förster kommen.

Aber die wenigen Male, die Hilde ihn gesehen hatte, genügten ihr völlig, um eine Art Übermensch aus ihm zu machen. Er war groß und hager, hatte eine kräftige Nase und einen festen Mund. Er hielt sich sehr gerade, und Hilde war überzeugt, dass er auch ungeheuer klug war. Wie gern hätte sie einmal länger mit ihm gesprochen oder im Schloss gelebt, zugeschaut, wie sich die feinen Herrschaften bewegten.

Aber wenn sie dort war, hatte sie in den Herrschaftsräumen nichts zu suchen. Sie ging in die Küche, plauderte dort mit dem Personal, während ihr Vater im Arbeitszimmer des Grafen Befehle entgegennahm.

Die Hunde kläfften in ihrem Zwinger, als der Förster jetzt vor das Haus trat.

„Ihr könnt heute nicht mit.“ Er sprach zu ihnen, als sei er sicher, dass sie ihn verstünden. „Es geht nicht in den Wald. Gebt schon Ruhe, ihr kommt heute Nachmittag mit.“

Die beiden Jagdhunde legten die Ohren zurück und kniffen die Schwänze ein.

„Siehst du, sie haben mich verstanden“, sagte Förster Bertram zu seiner Tochter. „Tiere sind nicht dumm.“

„Nun komm doch schon“, drängte Hilde.

Sie war ein paar Schritte vorangegangen und sah sich jetzt ungeduldig um.

***

„Ich schau mich hier noch ein bisschen um, geh nur schon voraus“, meinte Hilde, als sie das Schloss erreicht hatten. Ihre Stimme klang so gleichmütig, dass ihr Vater keinerlei Bedenken hatte, ihr den Wunsch zu erfüllen.

„Aber betritt nicht den privaten Teil des Gartens“, mahnte er. „Die Herrschaften lieben es nicht, dort Personal zu sehen.“

Hilde verzog den Mund. Personal! Wie sich das anhörte. Vater ist Personal, dachte sie, ich nicht. Ich bin ein freier Mensch und von niemandem abhängig.

Trotzig ging Hilde in den Teil des Gartens, der den Herrschaften vorbehalten war. Die Rasenflächen waren sehr gepflegt und kurzgeschoren, und Hilde sah Ziersträucher und Blumen, die sie nicht einmal dem Namen nach kannte.

Ihr Vater hatte ihr Unterricht gegeben, seitdem sie denken konnte, aber solche Pflanzen wuchsen nicht im Wald und auch nicht in ihrem Garten am Forsthaus. Hilde kümmerte sich nicht um den Garten, überließ ihn ganz der Mutter, die dort hauptsächlich Gemüse und Küchenkräuter zog.

„Hallo!“

Eine Stimme hinter ihrem Rücken ließ Hilde erschrocken herumschnellen. Ein Mann war näher gekommen – ein Herr genauer gesagt, denn sein vorzüglicher Maßanzug und seine selbstbewusste Haltung wiesen ihn als einen Gast des Schlossherrn aus.

Der Mann betrachtete sie unauffällig. Dann verstärkte sich sein Lächeln noch.

„Was machen Sie hier?“, fragte er freundlich.

„Ich schaue mir die Blumen an. Und was machen Sie?“

„Ich bewundere nur eine Blume. Die schönste dieses Gartens, mein Fräulein: Sie. Wie kommt es, dass ich Sie hier noch nicht gesehen habe? Wohnen Sie unten im Dorf?“

„Nein. Wer sind Sie?“, fragte Hilde keck.

Der Mann machte ein bestürztes Gesicht, hinter dem allerdings das Lachen darauf wartete, sich wieder ausbreiten zu dürfen.

„Verzeihen Sie, dass ich versäumt habe, mich vorzustellen. Baron Gundloff. Und darf ich jetzt Ihren Namen erfahren, kleine Schönheit?“

„Bertram.“

„Und wie noch? Ich möchte wetten, Sie haben auch einen Vornamen.“

„Die Wette würden Sie gewinnen. Wissen Sie, wie diese Blumen heißen?“

„Sie wollen mir Ihren Vornamen nicht verraten? Das finde ich aber gar nicht nett von Ihnen, Fräulein Bertram. Aus dem Dorf können Sie eigentlich nicht sein.“

„Und warum nicht?“, fragte Hilde.

„Weil Sie dafür viel zu hübsch angezogen sind. Die Mädchen aus dem Dorf haben einen anderen Geschmack.“

„Ich habe das Kleid selbst gemacht.“

„Ach!“ Der Mann legte den Kopf schief und runzelte leicht die Stirn.

„Sie glauben mir wohl nicht?“, fragte Hilde aufgebracht. „Ich mache mir alle Kleider selbst. Zum Teil webe ich auch die Stoffe mit eigener Hand.“

„Dann sind Sie eine Künstlerin! Eine schöne Künstlerin“, verbesserte sich Gundloff galant. „Aber Sie haben mir immer noch nicht verraten, wie Sie hierherkommen.“

„Auf meinen Füßen.“

Hilde wusste auch nicht, wie sie dazu kam, diesem feinen Herrn solche Antworten zu geben. Aber alles in ihr sträubte sich, gehorsam seine Fragen zu beantworten. Er sollte merken, dass sie kein Trampel war und sich von ihm nicht einschüchtern ließ.

Offenbar gefiel ihm aber ihre Art. Sein Lachen verstärkte sich.

„Ich beneide die Füße, die Sie tragen dürfen, mein Fräulein. So hübsche kleine Füße. Ich möchte wetten, dass diese Füße auch gut tanzen können.“

„Die Wette würden Sie nicht verlieren.“

„Aber bevor ich es glaube, muss ich mich davon überzeugen. Haben Sie heute Abend etwas vor? Wir können nämlich in die Stadt fahren und dort tanzen gehen. Was halten Sie davon?“

Hilde verkrampfte nervös die Rechte. Das ist die Chance, dachte sie, denn dieser junge, sympathische Mann trug keinen Ring. Er sah gut aus, und er schien Gefallen an ihr zu finden. Vielleicht war das der Mann, auf den sie gewartet hatte?

„Meine Eltern würden es nie erlauben“, antwortete sie bitter.

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher.“

„Dann fragen Sie doch erst gar nicht um Erlaubnis“, schlug Gundloff vor. „Was nicht verboten ist, ist erlaubt, das wissen Sie doch. Und wenn Ihre Eltern Ihnen nicht ausdrücklich verbieten, heute Abend mit mir tanzen zu gehen …“

Die Schlussfolgerung überließ er Hilde.

„Wir gehen meistens früh ins Bett. Ich könnte aus dem Fenster klettern.“

„Na, sehen Sie, so leicht lassen sich Probleme lösen, wenn man es nur will. Wo soll ich Sie mit meinem Wagen erwarten?“

Hilde dachte einen Moment nach, dann schlug sie eine Stelle vor, die etwa auf halbem Wege zwischen Forsthaus und Schloss lag.

„Werden Sie auch bestimmt kommen?“, fragte sie.

„Ich werde schon eine Stunde vorher auf Sie warten. Aber nun müssen Sie mir unbedingt noch sagen, wie Sie heißen. Wenn ich an Sie denke, dann möchte ich nicht nur an ein Fräulein Bertram denken. Ich heiße übrigens Georg. Wie der Ritter mit dem Drachen.“

„Ich heiße Hilde.“

„Hübsch! Also, dann bis heute Abend. Wie die Blumen heißen, weiß ich nicht. Ich mache mir nicht zu viel aus der Natur. Hier auf dem Lande langweile ich mich. Wenn ich eine Woche bei Türkheim bin, dann möchte ich am liebsten wieder in mein Stadthaus zurückfahren.“

„Sie leben in der Stadt?“

„Kann man denn woanders leben?“, fragte Baron Gundloff schmunzelnd. „Woanders kann man existieren, das gebe ich zu, aber leben, jedenfalls das, was ich unter Leben verstehe, kann man nur in einer Großstadt. Was macht man denn abends auf dem Lande? Man geht ins Bett. Man schläft. In der Stadt besucht man abends Bars, Theater, Gesellschaften … Die Nacht ist viel zu schade, um sie zu verschlafen.“

„Ja“, bestätigte Hilde, und ihre Augen leuchteten.

Sie fand es wunderbar, dass dieser Mann genau das sagte, was sie dachte und fühlte. Ihr Vater war im Unrecht, wenn er meinte, die Stadt wäre grau und eintönig.

„Am besten ist es, wenn Sie jetzt gehen, bevor mein Vater Sie sieht. Er mag es nicht, wenn ich mit fremden Menschen spreche.“

„Scheint ein richtiger Drache zu sein“, stellte Gundloff schmunzelnd fest. „Aber ich heiße nicht umsonst Georg, wenn ich auch nicht gerade der Heilige Georg bin. Wenn Drachen solch ein reizendes Mädchen wie Sie bewachen, dann ist Georg immer zum Kampf bereit.“

Wie anders spricht er doch als Dieter Lingen!, dachte Hilde. Das Gespräch mit dem Baron prickelte in ihr wie Sekt. Das war ein Ton, der ihr gefiel – leicht, elegant, witzig …

Als Förster Bertram das Schloss verließ, saß Hilde draußen auf einer Bank, anscheinend ganz in den Anblick des alten Gemäuers versunken.

„Warst du nicht drinnen?“, fragte er erstaunt, denn sonst ließ seine Tochter es sich niemals entgehen, sich im Schloss umzuschauen.

„Ich hatte keine Lust hineinzugehen.“

„Draußen in der frischen Luft ist es auch viel schöner. Ich freue mich, dass du das erkannt hast, Hildchen. Graf Türkheim hat mir übrigens ein Reh zum Abschuss freigegeben – für unseren eigenen Bedarf. Mutter wird sich freuen, und du hoffentlich auch.“

„Wann willst du es schießen?“ Hildes Stimme klang erregt.

Hoffentlich nicht heute Nacht, dachte sie.

Der Förster zuckte die kräftigen Schultern.

„Irgendwann in den nächsten Tagen. Vielleicht überlasse ich es auch Dieter. Hättest du nicht Lust, ihn auf die Pirsch zu begleiten?“

„Nein, ich habe keine Lust. Ich versteh gar nicht, was ihr dabei findet, solch ein unschuldiges Tier abzuknallen.“

„Man muss den Wildbestand in Grenzen halten, damit die Tiere genügend Lebensraum haben. Auch das Schießen gehört zum Hegen. Wann wirst du das endlich einsehen?“

„Niemals. Ich finde es gemein, auf ein Tier zu schießen, das wehrlos auf eine Lichtung tritt. Es freut sich seines Lebens, es will äsen, und von einer Sekunde zur anderen ist alles aus.“

„Du hast ein zu weiches Herz. Genau wie deine Mutter. Als sie so alt war wie du, hat sie immer geweint, wenn ich ein Stück Wild nach Hause brachte. Aber jetzt weiß sie, dass es notwendig ist, Tiere zu schießen. Komm mit, sonst schimpft Mutter, wenn wir zum Essen nicht pünktlich zu Hause sind.“

Zu Hause lief Hilde als Erstes in ihr Zimmer und stellte sich vor den Spiegel. Bin ich schön genug für einen feinen Herrn aus der Stadt?, fragte sie sich.

Ja!, lautete die Antwort. Ja und wieder ja! Auch die Mädchen in den Illustrierten sind nicht schöner als ich. Ich kann mich überall sehen lassen. Wir werden ein schönes Paar sein. Baronin Gundloff … Wie das klingt!

Und hatte der Mann sie nicht sofort eingeladen, als er sie sah? Das war doch ein deutliches Zeichen, dass sie ihm gefiel. Hilde holte tief Luft. Das ist meine Chance, dachte sie, und ich werde sie nutzen.

***

Im Hause war alles still. Hilde kletterte vorsichtig, um ihr schönes Kleid nicht zu beschmutzen, nach draußen und ließ sich auf den weichen Boden fallen. Sie fing den Stoß mit den Knien ab, dann lief sie in der Dunkelheit davon.

Es war zehn Minuten nach zehn. Wenn er nun nicht gewartet hatte? Ein Mann wie er hatte es bestimmt nicht nötig, auf Mädchen zu warten. Vielleicht war er wieder zurückgefahren, als sie nicht kam? Aber nein, da waren die Lichter seines Autos, und sie sah auch das Glimmen einer Zigarette. Völlig außer Atem erreichte sie den Wagen.

„Ich konnte nicht früher kommen!“, stieß sie hervor. „Entschuldigen Sie bitte, Herr Baron.“

Der Mann warf die Zigarette zu Boden und trat sie sorgfältig aus.