Ronin - David Kirk - E-Book

Ronin E-Book

David Kirk

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kämpfer Sein Name ist Bennosuke. Seine Bestimmung: ein großer Samurai zu werden, bewundert und gefürchtet im japanischen Reich. Legende Furchtlos kämpft er im Duell – und siegt. Doch den schändlichen Mord an seinem Vater kann er nicht verhindern. Bennosuke muss fliehen. Samurai Fortan hat er nur noch ein Ziel: unter dem Kämpfernamen Musashi Miyamoto den Tod seines Vaters zu rächen … «Ein faszinierendes, aufwühlendes Buch, Kirk schafft Charaktere von großer Tiefe. Ein echtes Juwel.» (Conn Iggulden, Bestsellerautor) «Fliegt dahin wie ein flink geführtes, glitzerndes Katana-Schwert … Informativ und fesselnd – schlicht: ein richtiger Lesespaß.» (Library Journal) «Kirk brodelt in seinen Beschreibungen – von den großen Schlachtfeldern bis hin zum rituellen Selbstmord – geradezu vor Energie. Er zeigt das feudale Japan als eine komplexe Kultur, in der Hinterlist und Poesie unentbehrlich, Tod und Vergeltung unausweichlich sind.» (Publishers Weekly)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 581

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


David Kirk

Rōnin. Das Buch der Vergeltung

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Ein Roman über ...WidmungMottoTEIL EINS – GeisterKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6TEIL ZWEI – BlutblumeKapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10TEIL DREI – Der Kreuzzug des KindesKapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14TEIL VIER – SekigaharaKapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19EpilogNachwort
[zur Inhaltsübersicht]
[zur Inhaltsübersicht]

Ein Roman über Väter – für meinen Vater, Frank.

Im nächsten bringe ich irgendwie auch eine Uzi unter, versprochen.

[zur Inhaltsübersicht]

Oft wird behauptet, der Weg des Samurai sei die heroische Gefasstheit im Angesicht des Todes. Doch das stimmt nicht, denn über diese Tugend verfügen nicht allein die Krieger. Auch Mönche, Frauen und Bauern können sich dem Tod tapfer stellen.

 

Nein, der Weg des Samurai besteht darin, andere zu überwinden und Ruhm und Ehre zu erringen.

Musashi Miyamoto: Gorin no Sho

(Das Buch der fünf Ringe), 1645

[zur Inhaltsübersicht]

TEIL EINS

Geister

Die Rüstung ruht, wie seit acht Jahren schon, ungenutzt auf ihrem Ständer. Der Junge steht am Eingang des Raums, betrachtet sie, ballt die Fäuste. Er hasst und liebt, was er da vor sich sieht.

Das Haus ist dunkel und still. Es ist groß genug für ein Dutzend Bewohner, doch der Junge lebt hier allein. Er ist der Sohn eines Samurai, daher kümmern sich die Bauern des Dorfs um ihn. Es fehlt ihm an nichts – das Haus wird geputzt, die Bäume im Garten werden beschnitten, die Böden geharkt, und in Truhen und Fässern steht jederzeit Essen und Trinken bereit. Doch er bekommt seine Hüter nie zu Gesicht. Sie haben Angst vor ihm und dem Haus. Es ist, als würde er von Geistern versorgt.

Der Junge heißt Bennosuke. Die Rüstung ist die seines Vaters. Sein Vater ist nicht tot, aber fort. In seiner Abwesenheit muss sie gepflegt werden, doch die Bauern dürfen nicht wagen, so etwas anzurühren. Daher obliegt diese Arbeit dem Jungen, und fast solange er denken kann, hat er sie getan. Er verneigt sich vor der Rüstung, wie er es vor ihrem Träger tun würde, und nähert sich ihr dann auf Knien, den Blick gesenkt.

Die Rüstung ist prachtvoll. Das Hauptstück besteht aus einem gewölbten, lackierten Brustpanzer in makellos glattem Schwarz. An Schultern und Taille sind zum Schutz der Arme und Beine große quadratische Platten angebracht. Schmale Lamellen aus Holz und Metall überlappen einander wie Fischkiemen, und ihre Schnüre sind in eine dicke hellblaue Stoffschicht eingenäht, die mit Gold- und Silberfäden bestickt ist.

Am eindrucksvollsten aber erscheint der Helm. Seine große kupferne Zierde, die Blättern und Schnurrhaaren von Fabeltieren nachgebildet ist, ragt in brüniertem Glanz von der Stirn empor. Die Helmschale ist mit verschlungenen Mustern versehen, in die winzige Glücks- und Siegesgebete eingraviert sind. Dieser Helm verlangt nach dem Haupt eines strahlenden Helden, doch stattdessen klaffen darunter nur Leere und Dunkelheit.

Als Bennosuke mit der Reinigung beginnt, spürt er, wie diese Dunkelheit in ihn hineinblickt. Seine Hände bewegen sich mit jahrelanger Übung, holen Schmutz und Staub aus den Ritzen der Rüstung hervor. Freiliegendes Metall reibt er mit edlen Ölen ein, und die Verbindungsglieder zwischen den einzelnen Teilen, seien es Stahlbänder oder zähe Schnüre, prüft er auf ihre Festigkeit. Dann nimmt er ein Tuch und eine Dose Wachs und beginnt, den Brustpanzer zu polieren.

Das hasst er am meisten. Während seine Hände in kleinen Kreisen reiben, verwandelt sich der Lack zusehends in einen schwarzen Spiegel. Als sich der Junge darin zu sehen beginnt, wird er rot. Ein Schlaks von dreizehn Jahren, ist er schon jetzt so groß wie die Männer in seinem Dorf, doch bar jeder Anmut. Er wirkt unbeholfen, aber das ist es nicht, was ihn beschämt.

Sein Gesicht, sein Hals und auch der unter dem Kimono verborgene Leib sind mit roten Quaddeln und Schorf überzogen. Es wird nur deshalb nicht Aussatz genannt, weil er noch nicht daran gestorben ist und auch nicht daran sterben wird. Aber er weiß, dass dies der Grund für sein Alleinsein ist und die Bauern ihn deshalb fürchten. Manchmal stellt er sich vor, wie sie einem Leichenzug gleich sein Haus betreten, Tücher vor dem Gesicht und Weihrauch verbrennend, während sie eilig ihre Aufgaben versehen.

Das Spiegelbild des Jungen wird durch den runden Bauch der Rüstung zudem verzerrt, es ist, als würde es ihn verhöhnen. Er träumt davon, diese Rüstung zu tragen, doch was er darin gespiegelt sieht, zeigt ihm, dass es niemals dazu kommen kann. Dennoch träumt er weiter, denn sein größter Wunsch ist es, ein Samurai zu werden. Voller Furcht sehnt er den unbekannten Tag herbei, an dem sein Vater endlich heimkehrt. Er stellt sich den Mann, der ihn unterrichten wird, als starken, stolzen Krieger vor, als einen Liebling des Lichts, und weiß doch, dass der Samurai, der einst diese Rüstung trug, angewidert wäre von der jämmerlichen Gestalt, in die sein Erbe sich verwandelt hat.

Der Junge spürt sein Gesicht vor Scham glühen, spürt die ganze Zerrissenheit in seinem Herzen, poliert aber weiter. Er hasst diese Arbeit, weiß jedoch, dass sie zu seinen Pflichten zählt und gewissenhafte Pflichterfüllung der erste Grundsatz eines Samurai ist. Beharrlich reibt er in Spiralen über den Lack, bis er fertig ist. Anschließend faltet er das Tuch zusammen, rutscht auf Knien wieder zurück und verneigt sich noch einmal, wobei seine Stirn die Binsenmatte auf dem Fußboden berührt.

Einen Moment lang behält der Junge diese respektvolle Stellung bei, dann erhebt er sich. Er achtet darauf, dass sein Blick nicht den Namen streift, der in leuchtendem Weiß auf die vordere Panzerschürze gestickt ist, als könnte das Lesen dieses Namens irgendwie seinen Vater herbeibeschwören und den mit Furcht getrübten Wunsch nach seiner Heimkehr allzu schnell wahr werden lassen.

Munisai Hirata.

Er gibt sich große Mühe, diesen Namen nicht zu lesen.

Kapitel 1

Die Schlacht war geschlagen, Kazuteru aber lief immer noch. Er hatte eine Pflicht zu erfüllen. Der junge Samurai achtete nicht auf das Pfeifen in seiner Lunge und die Schmerzen in seinen Muskeln, sondern nur auf seine heilige Fracht: einen handlangen Dolch. Sein Herr erwartete ihn auf der Anhöhe vor ihm.

Es hatte den ganzen gestrigen Tag und auch einen Gutteil des Morgens geregnet – ungewöhnlich für den Hochsommer. Jetzt schien die Sonne, doch zu spät: Hunderte Füße und Hufe hatten den aufgeweichten Hang in einen Morast verwandelt. Kazuterus Rüstung und Untergewand, einst leuchtend blau, waren grau gesprenkelt, und seine Beine waren schwer von Lehm und Gras.

Einzig seine Hände, die in Fehde- und Panzerhandschuhen gesteckt hatten, waren noch sauber. Daraus befreit, waren sie rein genug, um den Dolch zu halten. Doch in der Schwüle schwitzte er unter all den Lagen aus Metall, Tuch und Holz, die er am Leibe trug. Der Schweiß brannte ihm in den Augen, er schmeckte ihn auf den Lippen, und als im Laufen plötzlich der Boden unter ihm nachgab, spürte er, wie feucht auch seine Hände waren. Seine schweißnassen Finger versuchten den Dolch noch festzuhalten, doch er entglitt ihm.

Im Fallen fing die Klinge das Licht ein und blitzte noch einmal kurz zu ihm hinauf. Dann versank sie mit einem leisen, traurigen Laut im Schlamm. Kazuteru entfuhr ein Laut, der noch leiser und trauriger war. Sein wartender Herr hatte zwar tausend Schwerter und Speere um sich versammelt, doch die genügten nicht. Es waren keine zeremoniellen Waffen, sie waren nicht rein. Der Dolch, der es gewesen war, war nun besudelt.

Kazuteru fiel auf die Knie und stieß die linke Hand tief in den Morast. Blind grub er darin herum, in verzweifelter Eile, gebremst aber von seiner Furcht vor der scharfen Schneide.

Zu seiner Rechten ertönte ein Stöhnen, eine schmerzerfüllte Stimme, so jämmerlich, dass Kazuteru innehielt. Er sah einen Samurai verrenkt daliegen, ein Bein derart zerschmettert und verdreht, dass die Fußspitze fast die Kniekehle berührte. Der Mann fand keine Worte mehr. Mit Blicken bat er Kazuteru, ihn zu töten, und einen Moment lang war er kurz davor, ihm den Gefallen zu tun.

Doch dann bemerkte Kazuteru, dass er das Rot des Feindes trug, und beachtete ihn nicht weiter. Dutzende litten hier die gleichen Todesqualen wie dieser Mann.

Hunderte.

Kazuterus Finger berührten stumpfes Metall. Er zog den Dolch hervor, Schlamm klebte daran. So gut es ging, wischte er die Klinge ab. Einmal, als er noch ein kleiner Junge gewesen war – zu jung, um zu wissen, was ein Sakrileg ist –, hatten seine Freunde und er eine kleine gusseiserne Buddhafigur im Futter eines Ochsen versteckt, nur um zu sehen, ob das Tier so dumm war, es nicht zu bemerken. Der Ochse bemerkte tatsächlich nichts, und drei Tage später fanden sie den Buddha wieder. Als Kazuteru nun den Dolch betrachtete, erinnerte ihn das an den Anblick jenes heiteren, mit Scheiße beschmierten Gesichts.

Wasser. Er brauchte Wasser.

Doch hier gab es keins, nur das Regenwasser im Schlamm des aufgeweichten Schlachtfelds. Er hatte keine Zeit, ins ferne Lager zurückzukehren, wohin er gerade erst gelaufen war, um den Dolch zu holen. Sein Weg führte nur den Hang hinauf, zu der Anhöhe, die sie vor kaum einer Stunde im Sturm genommen hatten.

Er lief weiter hügelan, kämpfte sich durch den Schlamm, hielt den Dolch in der beschmutzten Linken und die Rechte hoch erhoben, um sie vor jeder Verunreinigung zu bewahren. Vor ihm brannte Fürst Kannos Burg, die das gesamte Tal überblickte. Eines der kleineren geschwungenen Dächer fiel gerade lautstark ächzend in sich zusammen. Der Wind trug raue Jubelrufe herüber, und eine tiefschwarze Rauchwolke stieg in den Himmel.

Da sah Kazuteru im Augenwinkel einen übel zugerichteten Mann, der halb liegend an einer Bambusbarrikade lehnte. Er wirkte betrunken, wie er um sich tastete. Mit tauben Händen versuchte er, eine Feldflasche an die Lippen zu führen. Klares Wasser tropfte aus dem Hals der Rochenlederblase, und das Licht fing sich darin.

Kazuteru zögerte, sein Gewissen meldete sich, doch es war offensichtlich, dass dem Mann nicht mehr zu helfen war. Er kniete sich neben den Samurai in den Schlamm und versuchte, ihm die Feldflasche wegzunehmen. Der Mann hielt sie störrisch fest.

«Ich brauche das Wasser, Freund», sagte Kazuteru in sanftem Ton.

«Wasser?», murmelte der Mann mit abwesendem Blick. Er versuchte immer noch, sich zu erinnern, wie man trank, und umklammerte weiter die Feldflasche, mit Händen, so starr wie die einer Leiche.

«Unser Herr, Fürst Shinmen, braucht es», erklärte Kazuteru.

«Fürst Shinmen», sagte der Mann. Bei diesem Namen gehorchte er instinktiv und löste den Griff. Die Augen fielen ihm zu. Etwas, das weder Blut noch Wasser war, quoll ihm aus dem Mund, und dann war er tot.

Kazuteru murmelte der entschwindenden Seele des Mannes einen Dank hinterher und goss das Wasser langsam über den Dolch. Es reichte nicht ganz. Ein kleiner schwarzer Schlammklumpen blieb haften, sodass Kazuteru nichts anderes übrig blieb, als die Klinge abzulecken. So also schmeckte das Schlachtfeld. Er spie aus. Der Dolch war nun so sauber wie möglich. Kazuteru nahm ihn in die unbefleckte Rechte und setzte seinen Weg fort.

Auf der Anhöhe war der Boden nicht ganz so aufgeweicht und zertrampelt, und einige kleine Grasflächen waren noch unzerstört. Kazuteru lief zwischen den Gruppen der überlebenden Samurai hindurch zu der Stelle, wo die Fürsten und Generäle warteten. Mehrere erschöpfte Fußsoldaten, alle ebenso verdreckt wie er selbst, knieten rings um ihre Führer, den Blick in die Mitte gerichtet, um Zeuge dieses letzten Akts zu werden. Manche Männer keuchten noch, andere ließen sich ihre frischen Wunden behandeln.

Als er sich dem Ort des bevorstehenden Schauprozesses näherte, verfiel Kazuteru in einen geduckten Gang und hielt den Dolch respektvoll hoch erhoben. Die Männer machten ihm den Weg frei, und schließlich stand er vor seinem Herrn, Fürst Sokan Shinmen, der auf einem kleinen Hocker saß. Kazuteru sank auf ein Knie und wartete.

Der Fürst trug nur seinen Waffenrock aus zähem Stoff. In der Schlacht war ein Pfeil in seinen Brustpanzer eingeschlagen, direkt über dem Herzen, und er hatte den schweren Kürass abgelegt, um die entstandene Prellung verarzten zu lassen. Dass er so knapp dem Tod entronnen war, hatte dem Fürsten ein freudvolles Funkeln in die Augen getrieben, das er nicht verbergen konnte.

Shinmen nahm den dargebotenen Dolch und betrachtete ihn. Kazuteru hielt den Atem an. Als der Fürst die Wassertropfen auf der Klinge sah, hob er kurz eine Augenbraue, sagte aber nichts. Er schüttelte den Dolch trocken und nickte Kazuteru anerkennend zu. Der verneigte sich tief und wich auf Knien zurück in die Menge. Immer noch den Schlammgeschmack im Mund, durchströmten ihn Erleichterung und Stolz. Er hatte seine Pflicht erfüllt.

«Fürst Kanno», sagte Shinmen und wandte sich wieder den dreien zu, die in der Mitte der Versammlung warteten. «Wisst Ihr, was nun folgt?»

Fürst Kanno war der besiegte Feind. Er kniete auf dem Boden, Angsttränen in den Augen. In seiner Miniaturrüstung wirkte er wie aus einer Komödiantentruppe entlaufen. Er war neun Jahre alt.

«Ich glaube schon», sagte der junge Adlige. «Man erwartet Seppuku von mir. Aber …» Er zögerte.

«Aber?», erwiderte Shinmen.

«Aber ich weiß nicht, wie das geht, Hoheit», flüsterte Kanno mit trauriger Stimme und ließ die schmalen Schultern hängen. «Ich durfte nie dabei zusehen. Ich wollte es, aber Vater hat gesagt, ich sei zu jung.»

Herzliches Gelächter erscholl in der Runde der Samurai. Nur zwei Männer blieben still. Der eine war Fürst Kannos General Ueno, der neben seinem Herrn kniete, ein alter Mann mit schütterem grauem Haar, das ihm wirr um den Kopf hing. Als wahrer Befehlshaber des Feindes war er der eigentliche Verlierer der Schlacht. Er hatte eine Prellung am Auge, blutete aus der Nase und kochte vor Wut.

Der andere stand hinter den beiden Knienden, mit ausdrucksloser Miene, denn es wäre verwerflich gewesen, im Angesicht besiegter Feinde seine Freude zu zeigen. Vor all den anderen anwesenden Männern war er es, der den Kanno-Clan besiegt hatte. Seine Rüstung war schlicht und praktisch, und die einzige Zierde daran waren die Dellen und Schrammen, die zeigten, wie viele Kämpfe er darin schon bestanden hatte. Er war Munisai Shinmen, Befehlshaber der Fußsoldaten seines Herrn, und Fürst Shinmen vertraute ihm und schätzte ihn so sehr, dass er ihm die Ehre erwiesen hatte, seinen Namen auf ihn zu übertragen. Nun erwartete Munisai geduldig weitere Befehle, eine Hand auf den Schwertern an seiner Hüfte.

Die Heiterkeit legte sich wieder, und Fürst Shinmen sagte: «Seppuku ist nicht schwer. Männern unseres Standes liegt das im Blut.»

Kanno blickte immer noch ängstlich. «Meine Brüder haben mir gesagt, dass man sich dabei mit einem Messer in den Bauch sticht. Stimmt das?»

«Ja, so ist es, Hoheit.»

«Aber tut das denn nicht weh?», fragte der Junge.

Shinmen lächelte über seine Unschuld. «Das will ich wohl meinen. Aber nicht lange. Nur ein kurzer Schmerz – dann ist Eure Ehre wiederhergestellt und Eure Seele frei, durch den Himmel zu wandern und wiedergeboren zu werden. Es ist ein guter Tod.»

«Aber ich habe meine Ehre doch überhaupt nicht verloren! Das war mein Vater, Hoheit! Er war’s, der Euch den Krieg erklärt hat!»

«Der Clan ist eins mit dem Herrn», erwiderte Shinmen. «Das ist der Weg des Adels. Der Leib ändert sich im Laufe der Jahre, aber in Euch sind Euer Vater und Großvater gegenwärtig, so wie mein Vater und Großvater es in mir sind, zurück bis zum Anbeginn der Zeit. Ihrer aller Ehre ist in Euch verkörpert. Wollt Ihr sie etwa enttäuschen?»

«Nein! Ich habe keine Angst …», beteuerte Kanno und geriet in Panik, weil er sich nicht zu erklären vermochte und wie alle Kinder fürchtete, vor Erwachsenen klein dazustehen. «Es ist nur … Ich weiß nicht, wie das geht!»

«Nun, dann könnte Euer General es Euch vielleicht zeigen?», schlug Shinmen vor.

Der kniende Ueno hob den zornigen Blick. «Falls ihr Feiglinge glaubt, dass ich euch diese Ehre erweise, könnt ihr Hunde …», fauchte er speichelsprühend.

«Wo bleibt Eure Würde?», fuhr Munisai den General an und ergriff damit erstmals das Wort. «Euer Herr bedarf Eurer Hilfe, und so führt Ihr Euch auf? Seid Ihr ein Samurai, oder hat man heute früh etwa einen dreckigen Bauern in diese Generalsrüstung gesteckt?»

«Vielleicht eine geschickte Finte», sagte Shinmen.

«Ihr habt es gerade nötig, von Finten zu reden, Shinmen! Unser Gold annehmen und Frieden vortäuschen – wie ein dämonischer Fuchs! Und Ihr …», knurrte der General und sah sich ruckartig zu Munisai um, «… Ihr habt es gerade nötig, von Samurai zu reden! Statt auf dem Felde gegen uns anzutreten wie ein wahrer Krieger, schleicht Ihr herum und greift uns von hinten an wie ein gemeiner Dieb!»

«Genau dort hinten hieltet Ihr Euch versteckt», erwiderte Munisai.

«Ich habe meinen Herrn beschützt!», brüllte Ueno.

«Das ist Euch gut gelungen», konterte Shinmen, und die ringsum versammelten Männer lachten kurz auf. Diesmal aber hatte das Gelächter nichts Herzliches mehr. Ueno blieb nichts weiter übrig, als seinen finsteren Blick zu Boden zu richten und zu versuchen, die Erniedrigung zu ertragen, aber es war einfach zu viel für ihn.

«Zur Hölle mit euch allen!», spie er. «Also gut, ich zeige es ihm. Gebt mir das Messer!»

«Was ist mit Eurem Todesgedicht?», fragte Shinmen.

«Ich habe euch nichts zu sagen. Das wären ohnehin Perlen vor die Säue», sagte Ueno, der sich nun mit energischen Griffen die Rüstung abschnallte. Er legte den Brustpanzer vor sich zu Boden und kniete sich würdevoll hin.

«Das Messer!», befahl er. Shinmen schlug den Dolch in ein weißes Seidentuch. Dann wurde dieser dem General ehrerbietig überbracht, der ihn wortlos entgegennahm.

«Mir widerfährt also die Ehre, von dem großen Munisai Shinmen enthauptet zu werden?», höhnte Ueno, während er sich die Dolchspitze seitlich an den Bauch setzte.

Munisai blickte zu Fürst Shinmen hinüber, der knapp nickte. Er trat neben den General und zog sein Langschwert. Die elegante Klinge war vom Gebrauch getrübt und glänzte daher nicht, als Munisai sie hob, bereit, den tödlichen Hieb zu führen.

«Ich bin so weit, General.» Mehr sagte er nicht.

«Seht Ihr zu, Hoheit?», fragte Ueno. Der Junge murmelte etwas Bejahendes. Ueno atmete ein paar Mal tief durch, leckte sich die Lippen, wappnete sich.

«So stirbt ein Samurai», sagte der alte Mann und stürzte sich urplötzlich rückwärts auf Munisai.

Für einen alten, erschöpften Mann war er beeindruckend schnell. Ehe der Samurai die Chance hatte, zu reagieren, war der General aufgesprungen und hatte Munisai mit voller Wucht gerammt. Der verlor das Gleichgewicht und schaffte es kaum, den Dolch abzuwehren, als Ueno herumwirbelte und damit nach der Halslücke in seiner Rüstung stach.

Munisai strauchelte, behindert von seinem Schwert, und eine Sekunde lang erschien es den Zuschauern sicher, dass ihm der Dolch die Gurgel aufschlitzen würde. Doch er fand wieder Halt, und dann war es nur noch eine Frage des Alters. Flugs warf er sich herum, schleuderte den General mit einem Hüftwurf zu Boden, und ehe sich Ueno wieder erheben konnte, rammte ihm Munisai das Schwert durch die Brust.

Es war ein bewusst roher, beleidigend gemeinter Stoß. Während der General starb, starrten die beiden Männer einander in die Augen, und Munisai las im Blick des Generals deutlich, dass dieser die Botschaft verstanden hatte. Dennoch gab der alte Mann keinen Laut von sich. Aus seinem Mund schossen stumme Verwünschungen zu Munisai hinauf, während seine Kräfte schwanden. Schließlich erstarrten seine Lippen, die Augen wurden glasig, und dann regte sich Ueno nicht mehr.

«Schändlich», sagte Munisai in das Schweigen hinein.

Er zog das Schwert heraus, wischte das Blut von der Klinge und steckte es zurück in die Scheide. Erst jetzt lösten sich die Leibwächter von Fürst Shinmen, die sich als menschliche Schilde vor ihn geworfen hatten, als Ueno aufgesprungen war. Munisai hatte sie gut ausgebildet.

«Er hat Euch gehasst», sagte Fürst Kanno leise. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. «Ihr habt vergangenen Sommer seinen Sohn getötet, Munisai.»

«Dann hat das sein Urteilsvermögen getrübt», entgegnete Munisai. «Was ist mit seiner Ehre? Sein Sohn ist auf gute Weise gestorben, in einem fairen Kampf. Er nicht. Wir gaben ihm die Gelegenheit zu einem ehrenvollen Tod, und … So sollte es nicht ablaufen, Fürst Kanno.»

«Aber wie dann?», fragte der Junge. Munisai zögerte, doch dann sah er den besorgten Blick auf dem Gesicht des Kindes. Die Ernsthaftigkeit darin löste etwas in ihm aus, das er viele Jahre nicht mehr verspürt hatte, und er hob in sanftem Ton zu sprechen an.

«Wir sind Samurai, Hoheit. Der Tod ist unser Handwerk. Wir müssen Meister darin werden, ihn unseren Gegnern zu bringen, vor allem aber müssen wir selbst jede Furcht davor verlieren. Seppuku ist hierfür die größtmögliche Probe. Ihr müsst Euch die Klinge einmal quer durch den Bauch ziehen. In seltenen Fällen vollbringt ein Mann dieses Ritual zur Gänze, wendet die Klinge und zieht sie noch einmal zurück. Doch solche Männer sind rar, denn das alles muss in vollkommener Stille geschehen. Wenn man stöhnt oder gar aufschreit, zeigt man damit, dass man Angst hat, also kein Samurai ist und auch nie einer war. Wenn man zu feige ist, überhaupt zuzustechen, oder sich wie Ueno blindlings seinen Gefühlen hingibt – umso schlimmer.»

Er warf noch einen verächtlichen Blick auf den toten General und lenkte mit einer Kopfbewegung auch das Augenmerk des Jungen auf den abscheulichen Anblick: wie der Leichnam da verdreht im Schlamm lag, das Gesicht immer noch von Hass verzerrt, bestialisch, zerbrechlich und leer. Dann wandte sich Munisai um, und auf einen Wink von ihm brachte man Fürst Kanno einen Pinsel, Tinte und ein Stück Seide, das auf eine kleine Staffelei gespannt war.

«Ueno hat mich gehasst?», sprach Munisai weiter. «Dann hätte er mich in seinem Todesgedicht verdammen sollen. Dieses Ritual muss würdevoll und in Ruhe vollzogen werden. Wenn man sein Todesgedicht schreibt, reinigt man sich damit von all seinen Gefühlen. Legt Eure ganze Angst, Wut oder Traurigkeit hinein, dann habt Ihr Euch ihrer entledigt und seid frei, den Akt so zu vollziehen, wie er vollzogen werden sollte.»

«Ein Gedicht?», fragte Kanno. «Aber ich habe noch nie ein Gedicht geschrieben.»

«Das ist nicht schwer, Hoheit», erwiderte Munisai. «Es muss kein richtiges Gedicht sein, ohne Versmaß oder Reime … Schreibt einfach auf, was Euch in den Sinn kommt.»

Kanno dachte eine Weile darüber nach. Dann sahen alle schweigend zu, wie der Junge den Pinsel in die schwarze Tinte tunkte und langsam und sehr konzentriert zu schreiben begann.

Kazuteru beobachtete Munisai, während der Junge schrieb. Der Heerführer hatte in seiner Gegenwart nie mehr als knappe Befehle von sich gegeben, von einer Ansprache ganz zu schweigen. Nun sah der Mann dieses Kind seltsam eindringlich an, beinahe sehnsüchtig.

Schließlich legte der Junge den Pinsel beiseite und kniete sich wieder aufrecht hin. Munisai blickte ihm über die Schulter.

«Ist es gut so?», erkundigte sich der Junge besorgt.

Munisai nickte. Kanno lächelte, stolz auf sein Werk. Er zog das jahrhundertealte Siegel seines Clans hervor und drückte es unter die Schriftzeichen. Dann wurde das Seidentuch zusammengefaltet, versiegelt, in eine Schmuckschatulle gelegt und fortgetragen. Nach dem Ritual würde man noch eine Haarlocke des Fürsten hinzufügen und die Schatulle seiner Mutter übersenden, zum Beweis, dass er würdig gestorben war. Sie würde unter Tränen lächeln.

Nun breitete man ein Tuch aus weißem Hanf auf dem morastigen Boden aus, während Fürst Kanno seine Rüstung ablegte. Den zeremoniellen Dolch löste man aus Uenos Griff, reinigte ihn in einem Wassereimer und überreichte ihn Kanno. In seinen Händen wirkte er so groß wie ein Schwert. Der Junge richtete die Klinge auf sich.

«Quer durch den Bauch?», fragte er.

«Ja», antwortete Munisai. «Es wird nicht lange weh tun. Das verspreche ich Euch, Hoheit.»

Munisai zog erneut sein Schwert, und da der Hieb diesmal dem Jungen galt, tröpfelte er Wasser darüber. Eine reine Klinge für eine reine Kinderseele. Als er diesmal die Waffe hob, glänzte sie in der Nachmittagssonne, fast wie ein Lichtstreif. Er nickte Kanno zu. «Eure Ahnen zählen auf Euch, Hoheit. Seid tapfer.»

«Danke, Munisai.» Damit wandte sich der Junge um und verneigte sich ein letztes Mal vor Fürst Shinmen und den versammelten Samurai. Dann kniete er sich aufrecht hin und stieß sich den Dolch in den Bauch. Er riss die Augen auf und krümmte sich.

Von einem Kind erwartete man natürlich nicht, dass es sich die Klinge quer durch den Bauch zog. Als Munisai den Jungen scharf einatmen hörte, ließ er sein Schwert treffsicher auf dessen Nacken niederschnellen, ehe Kanno aufschreien und sich damit beschämen konnte. Der Kopf fiel mit einem dumpfen Laut herab, und der kleine Leib sank beiseite. Das weiße Hanftuch färbte sich rot.

Tief verneigten sich die versammelten Samurai, Fürsten wie einfache Krieger, vor dem Toten, und ein Seufzer der Bewunderung ging durch ihre Reihen. Solch tadellose Tapferkeit trotz so zarter Jugend.

«Was stand denn in seinem Todesgedicht, Munisai?», fragte Fürst Shinmen.

«Es steht mir nicht an, das zu offenbaren, Hoheit», erwiderte der.

Shinmen hätte es ihm befehlen können, doch als er den Ausdruck in Munisais Augen sah, nahm er Abstand davon.

Nachdem Kannos Kopf und Leib nicht mehr bluteten, säuberte und salbte man sie und schlang sie in ein weißes Leichentuch. Dann verbrannte man den Toten. Die Asche streute man in den Wind, auf dass sie bis an die fernsten Ufer Japans fliegen möge. Anschließend fügte man den Namen des Jungen ehrenvoll der langen Ahnenreihe auf dem jahrhundertealten Grabstein seines Clans hinzu. Es sollte der letzte Name sein, der je darauf eingemeißelt wurde. Jahre später spross nahe der Stätte des Seppuku ein Baum empor und überzeugte die dortigen Bauern, dass ihr tapferer Fürst zu ihnen zurückgekehrt sein musste. Sie flochten ein geweihtes Seil und banden es um den Baum, damit Kannos Geist sie nie mehr verlassen möge, und noch Jahrhunderte später kamen adlige Damen, wenn sie schwanger waren an diesen Ort und beteten, dass ihre Kinder ebenso tapfer würden wie einst der junge Fürst.

General Ueno hingegen überließ man den Krähen.

* * *

Schuld an dem Krieg war der alte Fürst Kanno gewesen. Im Sommer zuvor hatte er plötzlich an seine Jugend anknüpfen und noch einmal Soldat spielen wollen. Shinmen war gerade in einen Krieg mit einem Nachbarn im Norden verwickelt, woraus Kanno schloss, dass er nicht in der Lage sein würde, die wertvollen Reisfelder an seiner Ostgrenze zu schützen. Und eine Zeitlang behielt Kanno damit recht.

Doch dann beging er den Fehler, im Winter auszureiten. Nach der erfolgreichen Annexion der Reisfelder fühlte sich der alte Fürst im Herzen wieder wie ein Zwanzigjähriger. Seine Knie jedoch blieben auch weiterhin siebzig, und die Bergpfade waren selbst bei bestem Wetter tückisch. Aus der Schlucht geborgen, in der man ihn fand, wirkte sein Leichnam alles andere als fürstlich.

Kanno war ein alter geiler Bock gewesen und hatte mit vielen, später verbitterten Frauen viele Söhne gezeugt. Ihn trieb die große Furcht um, diese Jungen könnten ihrer Mutter mehr zugetan sein als ihm. Von seinen vier vorherigen Erben war, sei’s durch Unfall oder Absicht, keiner älter geworden als neunzehn Jahre, und nun hatte sein fünfter Erbe nicht einmal das zehnte Lebensjahr erreicht.

Die frisch berufenen Berater des jungen Fürsten hatten im Frühjahr einen Waffenstillstand angeboten. Shinmen hatte sich zum Schein auf die lächerlichen Bedingungen eingelassen – von einer Rückgabe des geraubten Landes war keine Rede gewesen –, nur um dann vor zwei Tagen, als der Sommer begann, einen Blitzangriff zu befehlen. Seine kleine Streitmacht hatte Kannos Wachtürme und Vorposten so schnell überrannt, dass dessen Heer kaum Zeit geblieben war, sich hier, im eigenen Herzland, zu sammeln.

Wäre Shinmen am Vortag nicht durch den Regen gebremst worden, so hätten Kannos Männer es nicht mehr geschafft. Doch die wenigen Stunden hatten Ueno genügt, sein Heer rings um die Burg in Schanzen in Stellung zu bringen, was Shinmens Männern einen erbitterten Kampf bergauf abverlangte. So hatte eine Laune des Wetters Hunderte das Leben gekostet.

Doch was waren Siege ohne Verluste? Blütenpracht ohne Duft, weiter nichts.

Munisai ließ sich inmitten dieser Blumen nieder. Er hielt die Hand eines Samurai, der seinen letzten Atemzug tat. Eine Lanze hatte ihn aufgespießt, war am Schlüsselbein ein- und an der Hüfte wieder hinausgedrungen. Dennoch hatte der Mann irgendwie bis jetzt überlebt, den hölzernen Lanzenschaft im Leib. Er wimmerte und wand sich. Kurz sah er Munisai mit verzweifeltem, flehendem Blick in die Augen.

«Es ist bald vorbei», sagte Munisai. «Du hast dich tapfer geschlagen. Wir haben gesiegt.»

Hier, wo die Heiler ihrem Handwerk nachgingen, lagen viele übel zugerichtete Krieger, umgeben von einem weißen Palisadenring fünfzig Schritte im Durchmesser. Die Luft war erfüllt von ihrem Stöhnen und dem Geruch der reinigenden Kräuter, die man verbrannte, während die Heiler von Mann zu Mann eilten und taten, was sie konnten. Unversehrte Männer knieten oder standen dabei, während ihre Kameraden starben, der Schmutz auf ihren Gesichtern von Tränenspuren durchzogen.

Munisai hatte so etwas schon sehr oft erlebt. Es erschien ihm merkwürdig, dass es auf dem Stück Land, das man den Heilern zuwies, nach einem Sieg immer schlimmer aussah und hektischer zuging als nach einer Niederlage. Wenn man geschlagen von einem Schlachtfeld abzog, ließ man die Gefallenen darauf zurück. Eine Niederlage zog Schweigen und Kontemplation nach sich, ein Sieg nur Qualen und Verzweiflung und Hände voll Gedärm.

Diese Blütenpracht hier duftet, sagte er sich. Der Mann, dessen Hand er hielt, trug das Seinige dazu bei.

Munisai war in einer seltsamen Stimmung. Irgendetwas war anders als sonst. Er empfand nach einem Sieg zwar kaum länger als wenige Sekunden berauschende Freude, doch nie hatten ihn dabei solche Zweifel geplagt wie jetzt.

Er hob den Blick und sah den Rauch aus Kannos Burg über den Abendhimmel ziehen. Erinnerungen wurden wach. Er sah sein Heimatdorf in Flammen, die Nacht orangerot erhellt, und am nächsten Morgen die fetten, dunklen Rauchschwaden, die in den Tälern hingen, er roch noch den Leichenhausgestank.

Doch das war es nicht allein. Er hatte auch früher schon Brände auf dem Schlachtfeld gesehen und erinnerte sich an jenen schrecklichen Tag öfter, als er sich eingestehen mochte.

Der Blick des jungen Fürst Kanno. Entschlossen und unschuldig. Das war es, was ihn nicht losließ, denn im Blick dieser Augen sah er einen anderen Jungen – den er zurückgelassen hatte und zu vergessen versuchte. Einen Jungen, der ihm, ohne dass er etwas dafürkonnte, das Leben vergällte.

Er fragte sich, wie das zu den Augen gehörige Gesicht inzwischen wohl aussah. Es war viele Jahre her, dass er es zuletzt gesehen hatte. Kinder, ob Junge oder Mädchen, waren feminin; das Erbe des Vaters zeigte sich erst, wenn sie zum Jugendlichen reiften. Hass kochte in ihm hoch bei dem Gedanken, Hass sowohl auf das Gesicht, das er sich vorstellte, wie auf sich selbst.

«Bennosuke», murmelte Munisai.

«Er heißt Aoki», sagte der Heiler und wies auf den aufgespießten Mann. «Hieß Aoki.»

Munisai hörte ihn kaum.

Er ließ Aokis Hand los, sank auf beide Knie und verneigte sich respektvoll vor dem Toten. Ringsumher bebten die zusehenden Männer vor Stolz, als sie ihren Heerführer bei einer so demütigen Geste sahen.

Als er sich wieder erhob, merkte er, dass oben auf dem Hang bei der brennenden Burg mit viel Pomp und wehenden Bannern eine große Sänfte angekommen war. Ihre burgunderrote Farbe schimmerte wie Pfauengefieder. Empört musterte Munisai sie. Dutzende Männer hatten diese Sänfte geschleppt – Männer, die stattdessen hätten Speere tragen und in der Schlacht mitkämpfen können.

Der Nakata-Clan war eingetroffen.

Unter Munisais linker Schulter pochte ein dumpfer Schmerz, den er fast verdrängt hatte; der Anblick der Sänfte aber ließ ihn wieder auflodern. Er würde das bunte Ding aufsuchen müssen, würde sich dort vor Männern, die er hasste, verneigen und demütigen müssen, und dieser Gedanke erfüllte ihn mit Abscheu.

Doch die Nakata waren nun einmal Verbündete seines Herrn, Fürst Shinmen, und daher musste er es erdulden. Das war seine Pflicht, das wusste er, und Pflicht bedeutete Ablenkung. Pflicht bedeutete, dass er die Wunden in seinem Fleisch und seinem Herzen vorübergehend vergessen konnte.

Noch einmal schaute er sich um. Krieger, die es noch vermochten, verneigten sich vor ihm, als sein Blick sie streifte. Die Heiler mit ihren schwitzenden Kahlköpfen waren zu beschäftigt, um ihn zu beachten. Schweigend nahm er sich aus einer hölzernen Truhe einige Verbände und ein kleines Kuvert mit etwas, das nach Heilsalbe roch, und ließ die anderen dann bei der Pflege ihres makabren wie ruhmreichen Gartens allein.

 

Auf dem Weg zur Sänfte ertappte sich Munisai dabei, dass er Dinge befahl, die keines Befehls bedurften, und Sachen beaufsichtigte, die bestens ohne seine Aufsicht ausgekommen wären. Er konnte es nicht ewig aufschieben. Dennoch blieb er, dort angelangt, noch eine Weile vor der Sänfte stehen. Die Nacht senkte sich bereits herab, und die burgunderrote Seide leuchtete von den dahinter brennenden Laternen. Ein tragbarer Palast, herbeigebracht, um über einen Ort zu herrschen, für dessen Eroberung andere Männer gekämpft und ihr Leben gelassen hatten. Munisai zwang sich, den finsteren Blick abzulegen, und schritt geduckt durch den Vorhang.

Drinnen schlug ihm Weihrauchduft entgegen, der offenbar den Gestank des Schlachtfelds überdecken sollte. Munisai blieb im Halbdunkel des Eingangs stehen und blickte sich um.

Alles dort bestand aus Seide oder lackiertem, mit Blattgold beschlagenem Holz. Solange sie getragen wurde, bot die Sänfte einem halben Dutzend Passagieren Platz, die bequem darin sitzen konnten. Nach der Ankunft hatte man die verborgenen Wände ausgeklappt und Vorhänge ausgerollt, und nun war der Raum so groß, dass Fürst Shinmen und die Nakata darin auf einem niedrigen Podium sitzen konnten, während Leibwächter und Höflinge beider Clans in mehreren Reihen rings um sie knieten. Im Hintergrund zupfte eine Frau auf einer Koto-Zither eine sanfte, aber muntere Weise.

Fürst Shinmens Verletzung war auf eine Art behandelt worden, von der Munisai nicht wusste, wie er sie hätte schildern sollen, ohne schlecht von seinem Herrn zu sprechen. Der Bluterguss des Pfeiltreffers rechtfertigte nicht einmal eine Armschlinge, doch nun war der linke Arm sogar fest vor den komplett einbandagierten Oberkörper gebunden, und der Fürst gab sich den Anschein, als könne er nur mit Mühe das Sake-Schälchen zum Mund führen.

Zwei der Nakata saßen bei ihm. Beide trugen prächtige burgunderrote Kimonos mit Silberstickereien. Shinmen am nächsten saß der alte Fürst Nakata, ein untersetzter Greis mit einem runden, wächsernen Gesicht und Augen, die ständig nach irgendetwas zu schielen schienen. Scherzhaft erzählte man sich, er behalte stets auch noch die letzte Münze im Raum im Blick, so sehr bange er um sein Geld.

In dem anderen Mann erkannte Munisai Nakatas ältesten Sohn und Erben Hayato. Er war es, der den Weihrauch verbrannte: Träge steckte er ein Stäbchen nach dem anderen in eine mit Sand gefüllte Schale. Er ähnelte seinem Vater kaum, sondern war ein schlanker Mann mit langem Gesicht. Seine großen Augen blickten trüb, als hätte der Weihrauch ihn gänzlich in seiner Gewalt.

Und wirklich schien Hayato außer dem Rauch nichts wahrzunehmen. Er hörte nicht zu, was sein Vater und Shinmen sprachen. Wie es die Etikette verlangte, hatten die beiden Fürsten ein unverfängliches Thema gewählt.

«Man sagt, die Schlacht sei groß gewesen und der Feind habe sich wie eine Woge aus Dreck und Geschmeiß am Fels Eurer tapferen Männer gebrochen, Fürst Shinmen», sagte der alte Nakata und schielte dabei hin und her.

«In der Tat, Hoheit. Man darf annehmen, dass dieser Tag noch ihre fernsten Nachfahren in Albträumen heimsuchen wird», erwiderte Shinmen.

«Wohl wahr, wohl wahr. Wenn dabei selbst ein Fürst wie Ihr so schwer verwundet wurde. Wäre es unhöflich, sich nach dem Kampf zu erkundigen, mein treuer Verbündeter? Der Unhold, der Euch diese Wunde beigebracht hat, hat doch sicherlich mit seinem Leben dafür bezahlt?»

«Leider nicht, Hoheit. Es war nur ein feiger Bogenschütze, und daher ist sein Schicksal ungewiss. Doch allein mit diesem Schwert hier habe ich drei Gegner ins Jenseits befördert. Der letzte von ihnen verdiente kaum, als Mann bezeichnet zu werden. Habt Ihr je ein Schwein schreien hören, wenn es geschlachtet wird, Hoheit? So ein Geschrei hat dieser Mann gemacht.»

«Ich hatte bedauerlicherweise noch nicht das Vergnügen, Hoheit. Ach, würde doch nur allen unseren Feinden ein solches Schicksal zuteil – erwürgt mit ihren eigenen Gedärmen, ersäuft in ihrem eigenen Blut.»

«Man könnte froh sein, wenn es so käme, Hoheit. Aber was sollten wir dann anfangen? Wir sind Samurai. Es ist unsere Bestimmung, unsere Gegner zu töten. Der Frieden ist nur ein Atemholen, bevor wir uns wieder in den wogenden Ozean stürzen, der da heißt: Krieg.»

«Wohl wahr, Hoheit. Wohl wahr!», pflichtete Nakata bei und hob höflich sein Sake-Schälchen. Shinmen erwiderte die Geste.

Munisai sah, was er befürchtet hatte: Sein Herr zeigte wieder einmal sein neues Gesicht. Verschwunden war der selbstbewusste, vertrauenswürdige Mann vom heutigen Schlachtfeld, der Mann, dem er die vergangenen fünf Jahre gefolgt war. Stattdessen saß dort der neue Fürst Shinmen, der in den letzten Monaten mehr und mehr zum Vorschein gekommen war, je näher er Nakata und dessen Versprechen, ihn reich zu belohnen, gekommen war.

Ehrgeiz, sagte man, sei eine Tugend. Einst hatte das auf Shinmen durchaus zugetroffen, als sein Ehrgeiz noch darauf zielte, sich und seine Männer im ehrlichen Kampf auf dem Schlachtfeld zu beweisen, wie es sich für Samurai geziemte. Inzwischen jedoch hatte der Ehrgeiz ihn innerlich zerfressen und zog ihn stattdessen zu Schreinen des Wohlstands hin, wie jenem, in dem er nun saß. Munisai konnte es kaum ertragen, wie sein Herr sich aufführte.

Doch keiner der Anwesenden würde dem Einhalt gebieten, denn es waren fürstliche Münder, die da sprachen, und daher galten die Äußerungen als tiefsinnig und nicht als das, was sie tatsächlich waren: lächerlich. Munisai setzte eine undurchdringliche Miene auf und schob, als wäre er gerade erst eingetroffen, den Vorhang beiseite, wobei er seine Rüstung rasseln ließ. Er trat vor das Podium, sank vor Shinmen auf die Knie, berührte mit der Stirn den Boden, verharrte einen Moment lang in dieser Stellung und richtete sich wieder auf.

«Hoheit, verzeiht meine Verspätung. Es ist noch sehr viel zu erledigen», sagte er.

«Brände zu löschen beispielsweise?», giftete Hayato, der plötzlich aus seiner Trance erwachte und Munisai ansah.

«Hoheit?», erwiderte Munisai, erstaunt, dass der junge Fürst ihn ansprach. Er sah zu Shinmen hinüber, doch dann ergriff Fürst Nakata das Wort.

«Verzeiht meinem Sohn, Munisai Shinmen. Er ist noch jung und weiß manchmal nicht, wie Männer sich betragen sollten», sagte er und wandte sich dem jungen Fürsten zu, der wieder mit mürrischer Miene Räucherstäbchen entflammte. «Sieh dir diesen Mann an, Hayato. Er hat den Titel des Landesbesten errungen. Verstehst du denn nicht, was das bedeutet?»

«Ihr schmeichelt mir, ehrwürdiger Fürst Nakata», bedankte sich Munisai und verneigte sich. «Dieser Titel bezieht sich lediglich auf die Fechtkunst und sonst auf nichts. Es gibt in unserem Land weit bessere Männer als mich. Doch wenn etwas geschehen sein sollte, dass Euch oder Eurem Erben unbefriedigend erscheint, wäre es schändlich, es nicht anzusprechen, auf dass man Abhilfe schaffe.»

«Ihr habt wahrlich ein höchst ansehnliches Tagewerk vollbracht, Munisai», lobte Shinmen. «Wir leben nun in einer Welt, in der es einen Feind weniger gibt. Dennoch … bleibt da die Frage der Burg.»

«Hoheit?»

«Die Burg des verstorbenen Fürsten Kanno», erklärte Nakata. «Fürst Shinmen hat hochherzig versprochen, sie unserem Clan als Zeichen unserer fortwährenden Allianz zum Geschenk zu machen.»

«Die Ruine meiner Burg, die dort draußen immer noch in Flammen steht», knurrte Hayato und starrte Munisai wie ein wütendes Kind an.

Munisai hörte zum ersten Mal von irgendwelchen Plänen, die Burg zum Geschenk zu machen, verneigte sich aber erneut vor den Fürsten und antwortete: «Was mit der Burg geschehen ist, dauert mich über alle Maßen, Hoheiten. Doch angesichts der Umstände war es ein durchaus notwendiges Übel.»

«Seid Ihr Euch dessen sicher, Munisai?», fragte Shinmen.

«Ja, Hoheit», antwortete der. «Dürfte ich kurz erläutern?»

«Ich bitte darum», sagte Nakata und nickte.

«Sehr wohl», erwiderte Munisai. «Mein Herr Fürst Shinmen führte die Hauptmacht durch das Tal hinauf, während ich mich mit meinen Männern von hinten anschlich, um Fürst Kanno und die Burg direkt anzugreifen. Diese List wurde leider früher entdeckt, als ich gehofft hatte, und Ueno war zudem überaus vorsichtig. Es gelang uns, durch das Tor in die Festung einzudringen, dort aber bekamen es meine gut sechzig Mann mit nicht weniger als hundert Gegnern zu tun. Ueno verbarrikadierte sich unterdessen mit Fürst Kanno in der Waffenkammer. Meine Männer vermochten dieser Übermacht nicht beliebig lange standzuhalten, zudem wollte ich die Schlacht bergauf für meinen Herrn Fürst Shinmen nicht in die Länge ziehen, also drängte die Zeit. Wir mussten Kanno schnellstmöglich aus der Waffenkammer herausbekommen.

Und schneller kann man wohl niemanden zum Verlassen eines Gebäudes bewegen als mit der Aussicht, dass er darin sonst verbrennt. Daher legten wir ein Feuer, das in unserem Eifer bedauerlicherweise außer Kontrolle geriet. Aber es wirkte, und als sich der junge Fürst erst einmal in meiner Gewalt befand und ich ihm ein Schwert an die Kehle hielt, legten die Samurai des Kanno-Clans die Waffen nieder und ergaben sich, zumindest die in der Burg. So wurde der heutige Sieg errungen, Hoheiten», schloss Munisai und verneigte sich.

«Ein spannender Bericht, mein ehrenwerter Munisai, und ich beglückwünsche Euch zu Eurem Wagemut», sagte Nakata und nickte knapp. «Aber ich muss Euch eine Frage stellen: Es gab doch sicherlich noch einen anderen Weg in die Waffenkammer, den Ihr hättet nehmen können, statt zum Mittel der Brandstiftung zu greifen?»

«Wir haben keinen gefunden, Hoheit», erwiderte Munisai.

«Was nicht bedeutet, dass es keinen gab. In all unseren Burgen führen mehrere Zugänge in jedes Zimmer. Daraus schließe ich, dass es sich auch in Kannos Burg so verhalten haben muss, nicht wahr?», hakte Nakata nach.

«Das mag sein, Hoheit», erwiderte Munisai.

Er hätte gerne eingewandt, dass Ueno und Kanno, wenn es denn einen geheimen Zugang gegeben hätte, diesen ja wohl zur Flucht genutzt hätten, hielt aber den Mund. Es wäre nutzlos gewesen, dieses Argument vorzubringen, denn er erkannte jetzt, was hier die Absicht war: Fürst Shinmen hatte einen Fehler begangen, und von Munisai erwartete man nun, dass er die Schuld dafür auf sich nahm. Das war seine Pflicht.

«Es gilt daher», ergriff Shinmen wieder das Wort, «dass unseren hochverehrten Gästen eine förmliche Entschuldigung zusteht. Meint Ihr nicht auch, Munisai?»

«In der Tat, Hoheit», stimmte Munisai nickend zu. «Wenn Ihr es wünscht, biete ich ergebenst an, mich durch Seppuku zu opfern, auf dass meine Schande mit meinem Blut getilgt werde.»

«Nein, nein, Heerführer. Das ist nun wirklich nicht nötig. Einige Worte von Euch würden genügen», sagte Nakata.

«Sehr wohl, Hoheit …»

«Verbunden natürlich», fuhr Nakata fort, «mit einem Zehntel Eures Jahressalärs, um für gewisse Unkosten aufzukommen.»

Munisai ließ sich nichts anmerken, innerlich aber kochte er vor Wut. Geld bedeutete ihm nicht viel, aber derart öffentlich in jemandes Schuld zu stehen, dazu noch in der des Nakata-Clans, ärgerte ihn maßlos. Doch er schluckte die Schmach und verneigte sich ein weiteres Mal.

«Das ist doch das Mindeste. Ich werde meinen Gutsverwalter unverzüglich darüber in Kenntnis setzen. Sodann bitte ich Euch, Euren Clan, Eure Ahnen und all Eure Nachfahren, die schon lebenden wie die, die Ihr noch zeugen werdet, von Herzen und ergebenst um Verzeihung für meine unüberlegten und zerstörerischen Taten.» Bei diesen Worten verneigte sich Munisai noch tiefer, sodass seine Stirn den Boden berührte, während er auf Nakatas Antwort wartete.

«Ausgezeichnet, Heerführer Munisai. Wir nehmen Eure Entschuldigung selbstverständlich an», sagte der alte Fürst.

«Erhebt Euch, Munisai», befahl Shinmen, und Munisai tat wie geheißen.

«Verzeiht, Hoheiten, aber ich werde andernorts gebraucht.»

«Ich frage mich», bemerkte Hayato, ohne jemanden anzusehen, «warum mich das überhaupt wundert. Es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass Munisai Shinmen verheerende Brandschäden anrichtet, nicht wahr?»

In Munisais Brust erstarrte etwas. Hayato stierte nur in die Glut des Räucherstäbchens, das er in der Hand hielt. Weder sah er seinen Vater, der sich zu ihm wandte und ihn stumm zu warnen versuchte, bei Hof nicht solche Verleumdungen zu äußern, noch Fürst Shinmen, der die Wahrheit hinter dem Gerede kannte und die Schwerter an Munisais Seite nicht aus den Augen ließ.

«Und dann kommt er hier herein und bittet um Verzeihung, wobei er noch von oben bis unten besudelt ist mit dem Schmutz des Schlachtfelds», fuhr Hayato fort, die plötzliche Spannung im Raum entweder nicht bemerkend oder nicht beachtend. Rauch kringelte sich um sein Gesicht. «Weiß der ehrenwerte Munisai denn wirklich nicht, wie man bei Hof zu erscheinen hat, oder findet er etwa Gefallen daran, nach Scheiße zu stinken?»

Munisais Zorn verrauchte sofort; ihm wurde klar, dass Hayato nichts weiter als ein Flegel war, der ihn auf unbeholfene Weise zu beleidigen versuchte. Stattdessen fühlte er sich plötzlich erschöpft und verzweifelt, so tief, dass er den schwerwiegenden Fehler beging, etwas von seinem wahren Wesen durchblicken zu lassen. Wider besseres Wissen starrte er den jungen Fürsten so lange an, bis dem nichts anderes mehr übrig blieb, als den Blick zögernd zu erwidern.

«Wenn der bloße Gedanke an Krieg Euch solches Unbehagen bereitet, Fürst Nakata, bitte ich Euch vielmals um Verzeihung. Ich vergesse manchmal, dass sich der feine Geist des Großstädters vom Geist des Kriegers unterscheidet.»

Damit hätte es sein Bewenden haben können, hätte die Koto-Spielerin nicht gekichert. Der Rhythmus der Musik stockte für einen Moment, die Frau hielt sich die zierliche Hand vors Gesicht, dann fasste sie sich wieder und setzte ihr Spiel fort. Hayato errötete und sah zu Boden. Mit strenger Miene richtete sein Vater die zusammengekniffenen Schweinsäuglein auf Munisai. Shinmen blickte kühl und reglos. Munisai schaute ihn an.

«Wenn Ihr nun gestattet, Hoheit?», sagte er.

«Ihr dürft Euch entfernen, Munisai», antwortete Shinmen in nüchternem Ton.

Munisai verneigte sich ein letztes Mal, erhob sich und ging hinaus. Im Raum herrschte Schweigen, aber in einigen der zu Boden gewandten Gesichter meinte er, Belustigung zu bemerken. Diese Geschichte würde im Feldlager zweifellos schnell die Runde machen. Die Folgen konnte er nicht absehen, aber es war ihm in diesem Moment egal.

Draußen war die Nacht nun vollends herabgesunken, doch die kühlere Luft erfrischte ihn nicht. Er war erschöpft und wütend und konnte nicht leugnen, dass er sich verraten fühlte – nicht nur durch das, was gerade vorgefallen war, sondern durch alles. Dass er so egoistisch empfand, beschämte ihn zusätzlich, und zornig schritt er hinüber zu dem, was von Hayatos Burg noch übrig war.

* * *

Sie hatten gesiegt, und nun begann das wüste Gelage.

Rings um die glühenden Trümmer der Burg hatten sich Männer zu Gruppen versammelt, die, als es später wurde und die letzten Pflichten erledigt waren, immer mehr Zulauf bekamen. Man sprach und lachte mit alten und neuen Freunden. Die Vorräte der Festung waren geplündert worden, ehe sie von den Flammen geraubt werden konnten, und nun bereitete man in großen Kesseln Reis, Suppe und Gemüse zu und schlug mit mächtigen Holzhämmern etliche Fässer auf.

Kazuteru schmetterte mit ausgebreiteten Armen eine derbe alte Siegeshymne, die ihm sein Vater beigebracht hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Er bahnte sich einen Weg zwischen den Männern hindurch und hielt dabei Ausschau nach irgendjemandem, den er kannte. Zwar schwenkte er eine Flasche Sake in der Hand, aber betrunken war er nicht. Das Getränk war ihm ehrlich gesagt zu bitter, mehr als ein paar Schlucke davon bekam er gar nicht herunter. Er trug die Flasche nur mit sich herum, um inmitten der anderen nicht fehl am Platz zu erscheinen. In seinem Körper tobte allein der Rausch, noch am Leben zu sein, es tatsächlich überstanden zu haben.

Während er sang, dachte er an seinen Vater, der gut zehn Jahre zuvor in einem anderen Krieg ums Leben gekommen war. Dieses Lied zählte zu den wenigen Dingen, die er seinem Sohn hinterlassen hatte. Das bisschen Geld, das er Kazuteru und seiner Mutter vermacht hatte, war schnell aufgebraucht gewesen. Seine Mutter war zu stolz, um jemanden um Hilfe zu bitten, und so hatten die beiden mit schrumpfenden Mägen in einem Haus ausgeharrt, das sie Stück für Stück verpfändeten.

Jetzt aber war Kazuteru ein Mann, und mehr als das: ein Krieger, der seine erste Schlacht geschlagen hatte. Bald würde er befördert werden, und man würde seinen Sold erhöhen, und dann könnte er endlich für seine Mutter sorgen und ihr einen behaglichen Lebensabend ermöglichen. Feine Seide, gutes Essen, eine Dienstmagd oder vielleicht auch zwei … Warum nicht? Es war eine Nacht zum Träumen, eine Nacht des Ruhms.

Dabei gingen ihm auch schreckliche Erinnerungen an diesen Tag durch den Sinn: die Geräusche des Manns mit dem verdrehten Bein, der Anblick, wie Kannos Kavallerie in einer furchteinflößenden Pfeilformation den Hang herabgeprescht kam, die warme Pisse, die ihm am Bein hinabgelaufen war, als er starr vor Entsetzen vor jenen Reitern gestanden hatte. Doch der junge Samurai setzte ein Lächeln auf, dachte nicht mehr daran, sang stattdessen lauter und drehte sich beim Gehen.

Sie alle hatten sich diese Nacht verdient, in der sie die Regeln und Anstandsformen, die sonst ihr Leben bestimmten, einmal beiseitelassen konnten. Männer klatschten ihm zu, während er singend vorüberzog, auch ältere, die ihn bei jeder anderen Gelegenheit angeschnauzt hätten, er solle den Blödsinn lassen. Er kam an Männern in edlen Kimonos vorbei, die sich weit vorgebeugt erbrachen, die Münder zu einem Grinsen erstarrt. Andere hatten sich fast nackt ausgezogen und übergossen sich, obwohl sie längst sauber waren, aus Eimern mit warmem Wasser – nur weil es ein schönes Gefühl war und sie es immer noch konnten.

Die Zeit verging, und das Lied hatte viele Strophen, auch wenn Kazuteru kaum mehr als die ersten drei kannte. Um sein Gedächtnis aufzufrischen, hielt er inne und trank widerwillig einen Schluck Sake, den er sich größtenteils übers Kinn laufen ließ. Als er den Mund wieder öffnete, um weiterzusingen, stieß ihn jemand mit der Hand vor die Brust, so fest, dass er einen Schritt nach hinten taumelte.

Es war Munisai, immer noch in seiner Rüstung, das Gesicht in Wut erstarrt. Er blickte Kazuteru aus freudlosen Augen an.

«Du», sagte er. «Komm mit.»

Dann wies er mit dem Kinn in die Dunkelheit abseits der brennenden Burg und ging voraus. Kazuteru zögerte einen Moment, bestürzt über das plötzliche Auftauchen des Heerführers und darüber, dass er ausgerechnet ihn aus der Menge herausgepickt hatte. Was hatte er Schlimmes getan?

«Lass mich nicht warten, Junge!», rief ihm Munisai zu, ohne stehen zu bleiben oder sich auch nur umzusehen.

Niemand rings um Kazuteru hatte es bemerkt, niemand sprang ihm bei. Schlagartig fühlte er sich inmitten der Männer, die er für seine Kameraden gehalten hatte, allein. Ihm blieb nichts anderes übrig als zu gehorchen, das war ihm klar, und so folgte er Munisai ängstlichen Schritts und in respektvollem Abstand.

Und während sie so gingen, fiel es ihm wieder ein: der Dolch! Fürst Shinmen hatte vermutlich nichts gesagt, weil er die Zeremonie nicht noch mehr verderben wollte, als Kazuteru es bereits getan hatte. Aber vergessen hatte er es nicht. Munisai musste gekommen sein, um ihn auf irgendeine Weise zu bestrafen. Er trug noch beide Schwerter. Bang beäugte Kazuteru sie. Aber einen so kleinen Fehler würde er ja nicht mit dem Leben bezahlen müssen, oder?

Doch war der Fehler so klein? Kanno war immerhin ein Fürst gewesen, Ueno ein General … Er wusste es nicht, und Munisais Gebaren war kein Hinweis zu entnehmen. Er beachtete Kazuteru gar nicht, führte ihn nur an den Rand des Feldlagers, zu einem glühenden Kohlenbecken. Zwei Wachen standen daneben, die auf Munisai zutraten, sich aber, als sie ihn erkannten, tief vor ihm verneigten.

«Nichts zu vermelden, Herr. Alles ruhig», sagte der eine, die Augen niedergeschlagen.

«Gut. Ihr dürft gehen. Ich übernehme den Posten», erwiderte Munisai. Die beiden sahen zu Kazuteru hinüber, dachten sich ihren Teil, verneigten sich erneut und verschwanden.

Als sie allein waren, wandte sich Munisai dem jungen Mann zu und musterte ihn von oben bis unten. Er spannte die Schultern an, drehte den Kopf hin und her und nickte.

«Bringen wir’s hinter uns», sagte er.

Anscheinend wappnete sich der Heerführer für irgendetwas. Kazuteru blickte zu Boden und versuchte mit einer Stimme, die schwach und zerbrechlich klang, zu retten, was noch zu retten war.

«Ich entschuldige mich von ganzem Herzen, Herr, und bitte Euch um Verzeihung.» Sein Magen revoltierte. «Ja, ich habe den Dolch fallen lassen, aber anschließend habe ich ihn gereinigt, so gut ich konnte, und ich dachte, es wäre ausreichend für … aber offensichtlich … Bitte vergebt mir. Ich erwarte Eure Bestrafung.»

Munisai erwiderte nichts.

Kazuteru schluckte trocken und mutmaßte weiter: «Vielleicht war es ja auch das Lied. Vielleicht war ich zu laut und rüpelhaft und habe Schande über Euch gebracht, indem ich mich so wild aufgeführt habe. Ich entschuldige mich hundert Mal dafür und flehe Euch an …»

«Was für ein Lied? Ein Dolch? Was redest du da?», unterbrach Munisai ihn gereizt.

Kazuteru wagte aufzublicken. Munisai hatte sich von ihm abgewandt und schnallte unter einigen Mühen seine Rüstung ab. Er nutzte dabei vor allem die rechte Hand, sein linker Arm wirkte schwerfällig und steif. Als er den Brustharnisch endlich gelöst hatte, rutschte er ihm aus der Hand und fiel scheppernd zu Boden. In den Stoffschichten von Munisais Untergewand klaffte ein schartiger Riss, dunkel vor Blut.

Dann zog sich der Heerführer langsam die Kimonos von der linken Schulter und entblößte sie vor der Nacht. Eine schlimme Wunde zog sich von unterhalb der Achselhöhle bis zur Rippenbasis nahe der Wirbelsäule.

«Ein verzweifelter Narr hat mich in der Schlacht um die Burg von hinten angesprungen», erläuterte Munisai, und während er sprach, sah Kazuteru, wie sich die Kerbe in seinem Fleisch bewegte. «Er kam mit seiner Klinge unter meine Rüstung, als ich das Schwert gehoben hatte, um zu parieren. Wenn er die Ruhe bewahrt hätte, hätte er sie mir direkt ins Herz gestoßen, aber er war ein Idiot und hat für sein Versagen mit dem Leben bezahlt. Wie dem auch sei … Die Wunde hat sich nicht richtig geschlossen. Etwas stimmt nicht damit. Du wirst sie noch einmal öffnen und säubern müssen.»

«Wie bitte?», entfuhr es dem jungen Mann.

Munisai zog einen kleinen Beutel hervor und warf ihn Kazuteru zu. Der Samurai öffnete ihn und fand darin ein kleines Kuvert mit Salbe und einen frischen Verband.

«Herr, ich habe keinerlei Erfahrung mit so etwas. Damit solltet Ihr zu einem Heiler gehen.»

«Was meinst du, wo ich das herhabe?»

«Aber … warum habt Ihr Euch nicht behandeln lassen?»

«Die müssen sich um andere kümmern, die viel schlimmer dran sind als ich. Ich kann die Wunde ertragen, das gehört zu meiner Pflicht. Also: Du musst die Wunde noch einmal öffnen, sie säubern, salben und verbinden. Hast du das verstanden?»

Kazuteru erwiderte nichts, und Munisai kniete nieder, den Rücken zum Feuer. Zögernd setzte sich der junge Mann hinter ihn und sah sich die Verletzung genauer an. Das Fleisch war schief zusammengedrückt, was wahrscheinlich von der engen Rüstung kam, die dagegengepresst hatte. An mehreren Stellen klafften rote, nässende Lücken.

«Fang an, Junge», befahl Munisai.

Kazuteru zögerte, noch ängstlicher denn zuvor, als er eine Bestrafung erwartet hatte. Krampfhaft suchte er nach einer Ausrede, wusste aber, dass er einem Befehl seines Heerführers, wie bizarr er auch war, Folge leisten musste. Der junge Samurai fuhr mit den Fingerspitzen über die Wunde. Prompt spannte sich das umliegende Fleisch vor Schmerzen an, Munisai aber gab keinen Laut von sich. Er saß vollkommen reglos da und starrte in die Nacht.

Da ihm nichts Besseres einfiel, zog Kazuteru sein Kurzschwert und setzte es an der schlimmsten Stelle der Wunde an.

«Verzeiht bitte, das wird jetzt weh tun, Herr», sagte er und drückte mit der Schneide zu.

Wieder spannte sich Munisai an, ohne einen Laut von sich zu geben. Er begann, in langsamen Zügen zu atmen, und Kazuteru ertappte sich bald dabei, dass sein Atem im Gleichklang mit ihm ging. Das beruhigte ihn. Er arbeitete flink, sein Schwert, noch scharf von der Schlacht, durchtrennte mit Leichtigkeit das Gewebe. Erleichtert sah er, dass die Verletzung nun viel sauberer und gerader verlief, auch wenn daraus weiß die Rippen hervorschimmerten.

Als er aufgetrennt hatte, was er aufzutrennen wagte, wischte er das Blut von der Klinge und schob das Schwert in die Scheide zurück. Munisai regte sich nicht und sagte kein Wort. Die Wachen hatten eine Kanne voll Wasser dagelassen, und Kazuteru goss etwas davon in einen Krug, um die Wunde zu spülen, ehe er die Salbe auftrug. Es war ein pulvriges Präparat, grünlich und stinkend, das aber, als er es in die Wunde schmierte, die Blutung schnell stillte. Schließlich wickelte er Munisai den Verband um den Oberkörper.

Als er den Stoff auf der Haut spürte, atmete Munisai auf und schien wie aus tiefem Schlaf zu erwachen.

«Ist es vorbei?», fragte er leise.

«Beinahe, Herr», erwiderte Kazuteru.

Nachdem er ihn fertig verbunden hatte, lehnte sich Kazuteru zurück. Munisai spannte probehalber die Schulter an, verzog ein wenig die Mundwinkel, grunzte aber anerkennend. Dann ließ er sich den Wasserkrug geben, trank ihn langsam aus und blickte dabei in die Kohlenglut. Kazuteru wartete schweigend. Schließlich wagte er, etwas zu sagen.

«Warum ausgerechnet ich, Herr?»

«Du warst der Erste, den ich allein fand», erwiderte Munisai, «und ich bin dir dankbar.» Dann sah er Kazuteru zum ersten Mal direkt an. «Wie alt bist du?»

«Siebzehn, Herr. Im Herbst werde ich achtzehn.»

«Das ist alt genug.» Munisai blickte wieder in die Glut. «Was glaubst du: Wie alt war der junge Fürst Kanno heute?»

«Neun, Herr.»

«Neun Jahre alt. Auch das ist alt genug. Weißt du, was er in seinem Todesgedicht geschrieben hat?»

«Nein, Herr.»

«Sayonara. Einfach nur Sayonara, lebt wohl in der Handschrift eines Kindes. Makellos ausgeführt», sagte Munisai. In seinem Tonfall lag keinerlei Härte mehr. Es war der gleiche wehmütige Ton, in dem er vor dessen Seppuku auch zu Kanno gesprochen hatte. «Wir sollten solche Vollkommenheit in Ehren halten, denn sie ist ein flüchtiges Phänomen. Die Welt, in der wir leben, ist verderbt. Bald werden deine Fehler und Schwächen und die Schmach, die du auf dich geladen hast, bestimmen, wer du bist. Bilde dir bloß nicht ein, dass dich die Götter oder das Schicksal für etwas anderes ausersehen haben. Das dachte ich auch einmal, aber …»

Mehr sagte er nicht. Kazuteru sah mit unbehaglichem Gefühl vor sich hin. So verletzlich wirkte Munisai, dass Kazuteru nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Vielleicht wurde es nun auch dem Heerführer bewusst, denn er beugte sich langsam vor und legte sich die unversehrte Hand in den Nacken. Seine Fingerknöchel färbten sich weiß, während er leicht vor- und zurückschaukelte. Er atmete tief durch und hob dann wieder das Haupt. Alles Weiche war von ihm gewichen: Sein Gesicht blickte entschlossen, die Lippen gespannt, die Augen steinern.

«Ich glaube, es wird Zeit, dass ich meinen Sohn besuche», sagte er. Dann erhob er sich, zog die Kimonos wieder zurecht und hob seinen Brustharnisch auf. Ohne Kazuteru noch einmal anzusehen, ging er fort in die Nacht.

«Soll ich Fürst Shinmen Bescheid sagen, Herr?», rief ihm der junge Samurai hinterher, der sich ebenfalls erhoben hatte, aber nicht wagte, ihm zu folgen. «Was soll ich ihm sagen? Soll ich …»

Der Ruf erstarb auf seinen Lippen. Er war allein. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ließ sich Kazuteru neben dem Kohlenbecken nieder und übernahm unaufgefordert die Wache. Hinter sich hörte er die Siegesfeier. Von vorn, aus dem umkämpften Tal, drang nur das Wimmern der Zurückgelassenen, die immer noch im Sterben lagen. Sie waren eine grausige Gesellschaft, aber Dienst war nun einmal Dienst.

Kapitel 2

Amaterasu», sagte der Mönch Dorinbo und wies auf die Morgensonne hinter sich. «Sie, die den Himmel erleuchtet. Quell alles Guten auf der Welt. Empfangt ihren Segen.»

Die Pilger sahen zur Sonne, so gut sie konnten, ließen ihren Schein durch die Fingerritzen vorgehaltener Hände in zusammengekniffene Augen dringen. Eine ganze Schar von ihnen wartete schon seit lange vor Morgengrauen auf dieser Felsenklippe, von der man ostwärts auf den Ozean sah. Die Männer und Frauen standen, die Kinder hockten im Schneidersitz zwischen ihren Füßen.

Kurz vor Sonnenaufgang war der Mönch aufgetaucht und hatte sie zunächst nicht beachtet. Er stand da, die Hände lobpreisend erhoben, und sah zu, wie die Sonne emporstieg, bis sie sich vollends vom Horizont löste. Die weiten Ärmel seines Gewands verliehen ihm die Silhouette eines Mantarochens, der aus den Wogen sprang, um der Sonne nachzujagen.

Dann wandte er sich plötzlich um und sprach zu ihnen, erzählte die lange Geschichte der Entstehung der Welt, von den unendlichen Weiten des uranfänglichen Chaos, das nur aus Wasser bestand, und davon, wie die erste japanische Insel als Tropfen von der Spitze einer himmlischen Juwelenlanze herabgefallen war. Ein ungeübter Sprecher wäre heiser geworden, Dorinbos Stimme aber ließ ihn nicht im Stich, während er den Anwesenden von den ersten Göttern und ihren Qualen berichtete, von dem Aufruhr, der unter ihnen herrschte und alles Leben bedrohte, bis schließlich die goldene Amaterasu erstand. Als Träne rann sie aus dem Auge ihres Vaters, eine Tochter, so rein, dass in den Herzen aller Wesen Liebe und Frieden einkehrte.