Rory Shy, der schüchterne Detektiv - Der verratene Ganove (Rory Shy, der schüchterne Detektiv, Bd. 7) - Oliver Schlick - E-Book

Rory Shy, der schüchterne Detektiv - Der verratene Ganove (Rory Shy, der schüchterne Detektiv, Bd. 7) E-Book

Oliver Schlick

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Beschreibung

Mysteriöses Verschwinden im Dorfgasthaus: die Spur führt in die Vergangenheit Ein neuer Fall für den berühmten schüchternen Detektiv und seine 13-jährige Assistentin Matilda: Diesmal braucht Polizeiwachtmeister Schnitzel die Hilfe des Ermittler-Duos. Ein Unbekannter hat unter falschem Namen im Gasthaus des Ortes eingecheckt und ist kurz darauf spurlos verschwunden. Die Indizien führen zu einem Juwelenraub vor fünf Jahren, bei dem ein Dieb geschnappt wurde und zwei Mittätern mitsamt der Beute die Flucht gelang! Stecken die beiden hinter der Entführung? Und unter welcher geheimen Identität haben sich die Komplizen im Auental versteckt? Rory Shy muss alles geben und dafür sogar in einem Lifecoaching-Seminar über seinen Schatten sprinen.   Ein wunderbar witziger und herrlich cleverer Kinderkrimi ab 10 Jahren mit wichtiger Botschaft: Es ist völlig in Ordnung, ruhig und introvertiert schüchtern zu sein!   - Juwelenraub, eine Entführung & geheime Identitäten: ein neuer kniffliger Fall für das originelle Detektiv-Duo - Krimi-Helden mit Kult-Status: Die besten Privatermittler seit Sherlock Holmes & Dr. Watson - Schüchtern trifft auf frech und selbstbewusst: ein ungewöhnliches Team mit Girlpower! - Krimis für Kinder: Band 7 der mit dem Glauser-Preis ausgezeichneten Kinderbuchreihe   Ungelöste Fälle? Nicht, wenn der schüchterne Detektiv und seine clevere Assistentin Matilda ermitteln!   Die 13-jährige Matilda führt ein geheimes Doppelleben - als Gehilfin eines waschechten Detektivs! Und nicht irgendeines zwielichtigen Privatermittlers, sondern von Rory Shy, der für seine Erfolge und seine Schüchternheit weltberühmt ist. Ihm ist es nämlich äußerst unangenehm, Zeugen zu befragen, mit Informanten zu sprechen oder Verdächtige mit Fragen nach einem Alibi zu belästigen. Dafür besitzt er eine hochgeheime eigene Methode, mit der er bislang auch die kniffligsten Rätsel lösen und alle Ganoven überführen konnte. Und natürlich Matilda, die das Reden nur allzu gerne übernimmt. Unterstützt wird das ungleiche Detektiv-Duo von dem hasenfüßigen Cockerspaniel Dr. Herkenrath.   In dem 7. Band der Kinderkrimi-Reihe schaffen sie es wieder mit Witz und Einfallsreichtum den kniffligen Fall zu knacken!

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ein neuer Fall für den berühmten schüchternen Detektiv und seine 13-jährige Assistentin Matilda: Während der Musical-Aufführung von „Mörderische Ehefrauen“ wird Matilda Zeugin eines Verbrechens, als eine Darstellerin von der Bühne entführt wird. Die Schauspielerin entpuppt sich als Tochter des Millionärs Gisbert König – auch genannt der „Soßen-König“ –, der mit dem Verkauf von Fertigsoßen reich wurde. Wer steckt hinter der Entführung? Unterstützt werden Rory und Matilda wie immer von dem hasenfüßigen Cockerspaniel Dr. Herkenrath.

Ein herrlich witziger und wunderbar schüchterner Krimi!

Inhalt

Die Goldene Schnüffelnase

Anruf aus Auental

Julius Schnitzel

Zugezogen

Pavarotti

Die sprechende Kugel

Pulmonia Light

Landmühle Schmückeberg

Ein wilder Ritt

Verwegen statt verlegen

Die Gummiwand

Koffein

Ein unerwartetes Geständnis

Stinkmorcheln

Von der Vergangenheit eingeholt

Rotkäppchen und der Wolfspudel

Kartoffelsalat und liebe Grüße

∼ 1 ∼Die Goldene Schnüffelnase

Es gibt Menschen, für die das närrische Treiben an Karneval den Höhepunkt des Jahres darstellt. Und es gibt Menschen, die damit rein gar nichts anfangen können. Ich gehöre zur zweiten Sorte.

Bedauerlicherweise lebe ich aber in einem Landstrich, in dem gerne und ausgiebig Karneval gefeiert wird. Während der tollen Tage hat man so gut wie keine Chance, dem offiziell verordneten Frohsinn zu entkommen: Überall finden Karnevalszüge und Kappensitzungen statt, die Straßen sind bevölkert mit Kostümierten, es regnet pausenlos Konfetti und Kamellen, und aus allen Himmelsrichtungen schallt es Alaaf! oder Helau!. Narrenkappenträger liegen sich bierselig in den Armen, die Witzigkeit hat Hochsaison, und an jeder Ecke wird gesungen und geschunkelt, als gäbe es kein Morgen mehr.

Ich kann weder Karnevalszügen noch Kappensitzungen irgendwas abgewinnen, bei dem ganzen Humbatäterä und Tschingderassabumm würde ich mir am liebsten die Decke über den Kopf ziehen, und auf die johlenden Betrunkenen und vollgekotzten Bürgersteige könnte ich auch problemlos verzichten.

Jedes Jahr, wenn die närrische Zeit beginnt, wünsche ich mir inständig, in einer Gegend zu wohnen, in der man Karneval nur vom Hörensagen kennt.

Helgoland wäre nicht schlecht. Oder die Antarktis.

Wie immer am Altweiber-Donnerstag endet der Unterricht um elf Uhr elf. Und von Freitag bis einschließlich Rosenmontag ist schulfrei. Das ist meiner Meinung nach aber auch schon das einzig Erfreuliche an Karneval.

Kaum habe ich das Schulgelände verlassen und mich auf den Weg nach Hause gemacht, kommen mir die ersten närrischen Weiber entgegen: eine Gruppe von ungefähr fünfzehn reichlich aufgekratzten Frauen. Sie tragen Ringelpullis und Matrosenhütchen, haben bunten Flitter in den Haaren, aufgemalte Herzchen auf den Wangen und sind allesamt mit Tröten ausstaffiert. In ihrem Bollerwagen befindet sich eine Lautsprecherbox, aus der allerübelste Karnevalsmucke dröhnt. Unter einem vielstimmigen »Helau!« marschieren die fidelen Damen an mir vorbei in Richtung Innenstadt.

Papa und Mama sind genauso große Karnevalsmuffel wie ich, aber während ich dazu verdammt bin, in der Frohsinns-Hölle auszuharren, ziehen sie sich jedes Jahr geschickt aus der Affäre. Meine Eltern arbeiten als Tierfilmer und sorgen in weiser Voraussicht dafür, während der Karnevalstage mit Dreharbeiten im Ausland beschäftigt zu sein. So auch in diesem Jahr. Gestern sind die beiden für eine Woche nach Dänemark gefahren, wo sie im Auftrag eines Fernsehsenders einen Film über das Paarungsverhalten von Wildgänsen drehen.

»Das ist nicht fair«, habe ich gemault, als ich Mama beim Kofferpacken geholfen habe. »Ihr setzt euch einfach ab und ich muss hier das ganze Täterä über mich ergehen lassen.«

»Wir fahren ja nicht zum Spaß nach Dänemark. Sondern, um zu arbeiten«, hat sie kaltlächelnd entgegnet. »Damit du, liebe Matilda, auch in Zukunft ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Teller hast.«

»Ja, ja. Schon klar. Und ist es wirklich nötig, dass Frau Zeigler wieder auf mich aufpasst? Ich bin dreizehn und kein Kind mehr!«, habe ich gequengelt, bin damit bei Mama aber auf Granit gestoßen.

»Du sagst es. Du bist dreizehn, Matilda. Darüber, ob du hier alleine bleiben darfst, diskutieren wir noch mal, wenn du sechzehn bist. Du solltest dich freuen, dass Frau Zeigler so nett ist, dir Gesellschaft zu leisten.«

»Mama, du weißt, dass ich Frau Zeigler heiß und innig liebe«, habe ich ihr versichert und anschließend gestöhnt: »Aber du weißt auch, wie sie an Karneval immer abgeht …«

Frau Zeigler ist unsere Haushaltshilfe. Eigentlich kommt sie nur zweimal die Woche, doch wenn Papa und Mama beruflich unterwegs sind, zieht sie bei uns ein, um mich zu bekochen und auf mich aufzupassen. Und im Gegensatz zu meinen Eltern und mir kann sie nicht genug von Karneval kriegen. Von Altweiber-Donnerstag bis Rosenmontag herrscht bei Frau Zeigler Ausnahmezustand. Sie läuft schon am frühen Morgen närrisch kostümiert und geschminkt durch die Gegend, singt lauthals die Karnevalsschlager aus dem Radio mit und lacht sich über jede noch so lahme Büttenrede schlapp. Außerdem veranstaltet sie jedes Jahr an Altweiber eine große Sause, zu der sie alle ihre Freundinnen einlädt.

Und wo findet die statt?

Bei uns zu Hause!

Im Gegenzug dafür, dass Frau Zeigler während der Karnevalstage bei uns einzieht und sich um mich kümmert, haben meine Eltern ihr gestattet, ihre Party bei uns auszurichten. Weshalb ich in den letzten Jahren schon mehrfach Gelegenheit hatte, dieser närrischen Festivität beizuwohnen: Es gibt Schnittchen, Berliner, selbstgemachten Eierlikör und jede Menge Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die ersten Gäste treffen zumeist schon gegen Mittag ein, nehmen unser Wohnzimmer in Beschlag und machen sich über die Berliner und den Eierlikör her. Die Damen giggeln und gackern, erzählen sich Witze, bei denen man rote Ohren kriegt, und singen und schunkeln, was das Zeug hält. Die Stimmung wird von Stunde zu Stunde ausgelassener, und wenn es auf sechzehn Uhr zugeht, versteht man vor lauter Gekreische und Gejohle sein eigenes Wort nicht mehr.

Höhepunkt der närrischen Feierlichkeiten ist jedes Mal die traditionelle Karnevals-Polonaise: Frau Zeigler und ihre Freundinnen watscheln hintereinander, die Hände auf den Schultern der Vorderfrau, durchs Haus und jauchzen von Eierlikör befeuert: Jetzt ziehen wir los, mit ganz großen Schritten …

Abends, wenn sich die letzten angeheiterten Damen verabschiedet haben und Frau Zeigler den verschütteten Eierlikör aufwischt, seufzt sie üblicherweise: »Hach, war das mal wieder schön, Kind. Schade, dass du dich nicht für Karneval begeistern kannst. Du weißt gar nicht, was dir entgeht.«

Mein Nachhauseweg führt mich am Boringer Platz vorbei, wo sich eine große Menschenmenge zum Feiern versammelt hat. Laute Musik schallt über den Platz, auf einer Bühne tanzen Funkenmariechen und an den Imbisswagen und Bierbrunnen herrscht Hochbetrieb. Nichts wie weg hier!

Am Rand des Platzes befindet sich das Café Puderzucker. Vor der Tür steht eine als Catwoman kostümierte Frau. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtet die feiernden Narren argwöhnisch. Erst auf den zweiten Blick wird mir klar, um wen es sich bei der Erscheinung in dem engen Lack-Overall und mit der schwarz glänzenden Gesichtsmaske handelt.

»Doro?«, frage ich erstaunt.

Doro Puderzucker ist die Besitzerin des Cafés, Mamas beste Freundin, und hat mit Karneval eigentlich auch nichts am Hut. »Hallo, Matilda!«, begrüßt sie mich mit einem katzenhaften Lächeln.

»Schickes Kostüm«, befinde ich anerkennend. »Aber seit wann bist du unter die Narren gegangen?«

»Bin ich nicht«, sagt sie. »Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich das Café über Karneval schließen und ein paar Tage in den Urlaub fahren. Aber ich kann es mir nicht leisten, auf den Umsatz zu verzichten. Ich verkaufe nie so viele Berliner wie an den Karnevalstagen. Und da habe ich mir gedacht: Wenn ich dem ganzen Rummel und dem allgemeinen Zwang zur Kostümierung schon nicht entgehen kann, dann darf es auch mal ein etwas ausgefalleneres Kostüm sein.« Doro reißt die Arme hoch, spreizt die Finger, als würde sie Krallen ausfahren, und stößt ein wildes Fauchen aus.

»Gut, dass Doktor Herkenrath dich so nicht sieht«, sage ich kichernd. Doktor Herkenrath ist mein Cockerspaniel und der wahrscheinlich größte Angstschisser der Welt. Er fürchtet sich vor allem Möglichen. Ganz besonders vor Eichhörnchen, Wäschetrocknern, Salamandern, Insekten, Postboten und natürlich auch vor Katzen. Beim Anblick einer fauchenden Katzenfrau würde er eine mittelschwere Panikattacke bekommen und ohnmächtig zu Boden sinken.

Ich plaudere ein paar Minuten mit Doro, bis sie sich wieder an die Arbeit machen muss.

»Komisch«, sagt sie, als sie durch die Eingangstür ins Café entschwindet. »Irgendwie habe ich plötzlichen ganz irren Durst auf ein Schälchen Milch.«

Frau Zeigler war den gestrigen Tag über vollauf damit beschäftigt, ihre Altweiber-Party vorzubereiten. Sie hat einen Riesenpott Gulaschsuppe gekocht, Unmengen von Schnittchen belegt, den selbst gemachten Eierlikör in Flaschen abgefüllt und bergeweise Berliner fabriziert. Nur gelegentlich hat sie die Arbeit unterbrochen, um ihren Gatten Raimund herumzukommandieren, der für die Dekoration zuständig war. Er musste unter ihrem strengen Oberbefehl Möbel umstellen, zusätzliche Sitzgelegenheiten heranschaffen, Luftschlangen und Papiergirlanden aufhängen und eine Discokugel unter der Decke anbringen. Was, wie meistens bei dem etwas ungeschickten Raimund, nicht unfallfrei verlief. Beim ersten Versuch, die Kugel aufzuhängen, hat er das Gleichgewicht verloren, ist rückwärts von der Leiter gekippt und unsanft aufs Parkett gekracht.

»Herrgott, Raimund«, hat Frau Zeigler gebrummt und die Augen verdreht, bevor sie ihrem benommenen Gatten auf die Beine geholfen und die Beule an seinem Hinterkopf gekühlt hat.

Auch wenn Raimund bei den Vorbereitungen tatkräftig eingespannt wurde – vom Feiern ist er ausgeschlossen. Das ist bei Frau Zeiglers Altweiber-Sause ausnahmslos ihr und ihren Freundinnen vorbehalten: »An Altweiber feiern wir Mädels mal so richtig schön unter uns. Da können wir keine Mannskerle brauchen!«

Als ich zu Hause eintreffe, ist die Party bereits in vollem Gange. Schon im Vorgarten tönt mir Karnevalsmusik entgegen. Und kaum habe ich die Haustür geöffnet, kommt Doktor Herkenrath jaulend auf mich zugeschossen. Mein Cockerspaniel bietet einen mitleiderregenden Anblick: In seinem Fell hängen bunte Konfettischnipsel, und irgendeine von Frau Zeiglers Freundinnen hat ihm, in närrischem Übermut, ein Partyhütchen auf den Kopf gezogen. Doktor Herkenrath winselt herzerweichend und schielt mich Hilfe suchend an.

»Komm her, du Ärmster«, sage ich seufzend, klopfe ihm das Konfetti aus dem Fell und befreie ihn von dem albernen Hütchen. Er fiept dankbar und verzieht sich vorsichtshalber unter die Treppe.

Ich riskiere einen kurzen Blick ins Wohnzimmer. Die anwesenden Damen haben sich auf die Sitzmöbel verteilt, sind allerbester Laune, mampfen Berliner und reden wild durcheinander. Ich erkenne Frau Zeiglers Tochter Gaby, die sich als Pippi Langstrumpf verkleidet hat, und Hilde Mommsen, die als schleierumhüllte Bauchtänzerin kostümiert ist. Weiterhin sind vertreten: eine Hexe mit roter Langhaarperücke, eine Vampirin mit künstlichen Fangzähnen, zwei Clowns, eine Dame in einem Dinosaurier-Kostüm, eine Cleopatra und eine Frau, die so was wie einen Obstteller auf dem Kopf trägt und von der mir nicht ganz klar ist, wen oder was sie darstellt.

Zu meinem Erstaunen erblicke ich auch Frau von Hakkefress, unsere Nachbarin, die sich gerade großzügig am Eierlikör bedient. Sie hat ganz tief in den Schminktopf gegriffen, trägt ein blaues Paillettenkleid und eine blonde Karnevalsperücke. Um ihren Hals hängt eine Federboa. Ich frage mich, warum Frau Zeigler sie eingeladen hat, denn eigentlich sind sich die beiden nicht grün. Unsere Haushaltshilfe bezeichnet Frau von Hakkefress gerne mal als versnobte Schnepfe oder neureiche Schnapsdrossel.

Ich versuche, klammheimlich den Rückzug anzutreten, stoße im Flur aber mit Frau Zeigler zusammen, die just in diesem Augenblick mit einem Tablett voller Berliner aus der Küche gestürmt kommt. Dieses Jahr hat sie sich für ein schwarz-gelb geringeltes Biene Maja-Vollkörper-Kostüm entschieden. Auf dem Kopf trägt sie zudem einen Reif, an dem zwei wippende Fühler angebracht sind, und auf dem Rücken ein Paar selbstgebastelter Bienenflügel aus Klarsichtfolie. Ganz allerliebst!

»Helau!«, begrüßt sie mich überschwänglich.

»Gleichfalls«, entgegne ich und frage mit skeptischer Miene: »Was macht Frau von Hakkefress denn hier?«

Frau Zeigler schlägt aufgebracht mit den Flügeln und knurrt: »Die hat sich selbst eingeladen. Stand plötzlich vor der Tür und hat geflötet: ›Ach, hier herrscht ja richtig Stimmung, Frau Zeigler. Habe nebenan die Musik gehört. Und da dachte ich, ich schaue mal rein. Helau!‹ Damit ist sie einfach an mir vorbei ins Wohnzimmer gestiefelt. Und jetzt kippt sie einen Eierlikör nach dem anderen. Was soll ich tun? Ich kann sie ja schlecht rausschmeißen. Am Ende macht sie noch eine Szene. Du weißt doch, wie krakeelig sie wird, wenn sie einen gezwitschert hat.«

Kaum hat sie es gesagt, ertönt ein durchdringendes Poltern aus dem Wohnzimmer: Frau von Hakkefress ist ins Torkeln geraten, hat vergeblich versucht, an unserem Gummibaum Halt zu finden, und ist mitsamt der Zimmerpflanze ins Bücherregal gerauscht.

»Nichts passiert«, erklärt sie mit verwaschener Stimme, richtet ihre Federboa und versucht, auf die Beine zu kommen.

»Ach du liebes bisschen«, brummt Frau Zeigler. »Es wird Zeit, den Eierlikör vor ihr zu verstecken. Und du willst wirklich nicht mit uns feiern, Kind? Ich habe noch ein altes Funkenmariechen-Kostüm, das Gaby getragen hat, als sie in deinem Alter war. Das passt dir hundertprozentig. Hach, du wärst bestimmt ein ganz süßes Funkenmariechen.«

»Vielleicht im nächsten Jahr«, vertröste ich sie und mopse mir einen Berliner vom Tablett. »Aber Ihnen viel Spaß beim Feiern, Frau Zeigler! Ich wünsche Ihnen ganz viel Helau und Alaaf und alles, was sonst noch so dazugehört.«

Hastig verdrücke ich mich auf mein Zimmer. Doktor Herkenrath dackelt mir schnurstracks hinterher und springt mit hängender Zunge die Treppe hoch.

Als erfahrene Karnevalsverweigerin habe ich natürlich vorgesorgt und mich für die kommenden Tage mit ausreichend Lesestoff, Waldmeister-Limonade, Erdnuss-Flips und Schokolade eingedeckt. Bis zum Aschermittwoch werde ich das Haus so selten wie möglich verlassen und nichts tun außer Lesen und Rumgammeln. Nur für morgen früh ist ein kleiner Ausflug zur Sailenzer Straße geplant. Ich habe Rory versprochen, in der Detektivagentur vorbeizuschauen und ihn bei der Büroarbeit zu unterstützen.

Für alle Uneingeweihten: Ich stehe auf Kriminalromane, bin eine begeisterte Amateurdetektivin und arbeite nun schon seit mehr als einem Jahr mit Rory Shy, dem schüchternen Detektiv, zusammen.

Rory ist der berühmteste Privatermittler weit und breit. Weil er jeden noch so verzwickten Fall löst. Und das, obwohl er mit einem Riesen-Handicap zu kämpfen hat: Rory ist super darin, zu kombinieren und kriminalistische Schlussfolgerungen zu ziehen, doch er ist so extrem schüchtern, dass es ihm aufs Höchste unangenehm ist, Zeugen zu vernehmen oder Verdächtige mit Fragen nach einem Alibi zu behelligen.

Das muss er aber auch nicht, denn dafür hat er mich. Ich bin alles andere als schüchtern und habe kein Problem damit, Leute vollzuquatschen, bis ihnen die Ohren abfallen.

Momentan ist der schüchterne Detektiv mal wieder in den Schlagzeilen. Diesmal aber nicht, weil er einen Fall gelöst hat, sondern weil er am vergangenen Wochenende mit der Goldenen Schnüffelnase als Detektiv des Jahres ausgezeichnet wurde. Jedes Jahr im Februar veranstaltet die Detektiv-Vereinigung eine große Gala und verleiht den begehrten Preis.

Ich bin ziemlich stolz auf Rory – und ein ganz kleines bisschen auch auf mich. Schließlich habe ich einen nicht geringen Anteil daran, dass er im vergangenen Jahr so viele Fälle knacken konnte. Darauf, selbst mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, brauche ich allerdings nicht zu hoffen: Außer Charlotte Sprudel, Rorys schüchterner Freundin, weiß so gut wie niemand davon, dass ich mit dem Detektiv ermittle. Und das ist auch gut so. Würden meine Eltern erfahren, dass ich in meiner Freizeit Verbrecher jage, wäre es mit meiner Detektivinnen-Karriere ratzfatz vorbei. Vorsichtshalber arbeite ich nur dann mit Rory zusammen, wenn sie verreist sind.

Auf YouTube kann man eine Aufzeichnung der Gala streamen. Ich habe mir Rorys großen Moment bereits mehrfach angeschaut. Und da lesen bei dem Krach, der aus dem Erdgeschoss dringt, so gut wie unmöglich ist, fahre ich meinen Laptop hoch, setze die Kopfhörer auf und führe mir das Video noch einmal zu Gemüte. Die Preisverleihung entbehrt nicht einer gewissen Komik, denn Rorys triumphaler Auftritt endet mit einem wenig triumphalen Abgang. Aber immer schön der Reihe nach …

Zunächst schwenkt die Kamera durch den Festsaal, wo um die fünfhundert Detektivinnen und Detektive sitzen und erwartungsvoll zur Bühne blicken.

Dem Vorstand der Detektiv-Vereinigung ist es gelungen, die bekannte Fernsehjournalistin Kati Keuken als Moderatorin für die Veranstaltung zu gewinnen. Sie steht in einem roten Abendkleid auf der Bühne, lächelt professionell in die Kamera und hält die Goldene Schnüffelnase im Arm.

Die Trophäe sieht genauso aus, wie sie heißt: ein etwa zwanzig Zentimeter großer vergoldeter Riechkolben aus Metall. Gäbe es einen Preis für den hässlichsten Preis, hätte das Ding beste Chancen.

»Kommen wir nun zum Höhepunkt des Abends«, erklärt Kati Keuken mit einschmeichelnder Stimme. »Der Verleihung der Goldenen Schnüffelnase an den Detektiv des Jahres. Und hier sind die drei Nominierten: Nero Fuchs, für seinen hingebungsvollen Einsatz im Fall der Mörderischen Metallpresse.«

Die Kamera fängt einen bärtigen Hünen mit dick bandagierten Händen ein, der breit grinst und siegesgewiss dreinblickt.

»Nominierung Nummer zwei«, fährt die Moderatorin fort. »Patrizia Hochschmied, die allen Widerständen getrotzt und nicht aufgegeben hat, bis sie das verworrene Rätsel um die Rippel-Tippel-Verschwörung gelöst hatte.«

Patrizia Hochschmied, eine junge, ganz in Schwarz gekleidete Detektivin, reckt optimistisch den Daumen in die Höhe, als sich die Kamera auf sie richtet.

»Und last but not least, Rory Shy, der schüchterne Detektiv«, säuselt Kati Keuken. »Er hat sein außergewöhnliches kriminalistisches Talent zum wiederholten Mal unter Beweis gestellt, als er im vergangenen Jahr die verschwundene Autorin Amanda Kent innerhalb von nur zwei Tagen aufgespürt hat.«

Rory sieht mal wieder wie aus dem Ei gepellt aus. Sein lockiges Haar ist akkurat gescheitelt, er trägt Anzug, Hemd und Krawatte, vermeidet es, in die Kamera zu schauen und betrachtet stattdessen konzentriert seine Schuhspitzen.

Kati Keuken öffnet einen Briefumschlag, während es im Saal mucksmäuschenstill wird. Die blonde Moderatorin zieht mit großer Geste eine Karte aus dem Kuvert und verkündet: »Die Goldene Schnüffelnase geht in diesem Jahr an« – sie macht eine Kunstpause, um die Spannung zu steigern – »Rory Shy, den schüchternen Detektiv!«

Augenblicklich brandet ohrenbetäubender Applaus auf, die Detektivinnen und Detektive erheben sich allesamt von ihren Plätzen, Nero Fuchs und Patrizia Hochschmied versuchen (mehr oder weniger erfolgreich), ihre Enttäuschung über den entgangenen Preis zu überspielen, und zollen dem schüchternen Detektiv ebenfalls Anerkennung.

Der Einzige, dem die Sache nicht geheuer zu sein scheint, ist Rory selbst. Er lächelt verlegen, nestelt nervös an seinem Krawattenknoten herum und sieht aus, als würde er schlecht Luft bekommen. Nichts ist Schüchternen unangenehmer, als wenn alle Augen auf sie gerichtet sind.

»Kommen Sie doch bitte auf die Bühne, Rory«, fordert Kati Keuken ihn auf.

Der Detektiv erhebt sich widerstrebend von seinem Platz und schleicht mit gesenktem Kopf aufs Podium. So, als ginge es nicht zu einer Preisverleihung, sondern zu einer Wurzelbehandlung beim Zahnarzt.

»Herzlichen Glückwunsch, Rory. Auch von mir ganz persönlich«, flötet die Moderatorin.

Im Zuge unserer Ermittlungen sind wir Kati Keuken schon mehrfach begegnet. Dabei war nicht zu übersehen, dass die Journalistin eine kleine Schwäche für den Detektiv hat. Sie drückt ihm die Goldene Schnüffelnase in die Hand, umarmt ihn (sehr viel inniger und länger als es im Rahmen einer Preisverleihung angebracht wäre) und haucht ihm einen Kuss auf die Wange.

Daraufhin läuft Rory knallrot an und stammelt verschämt: »Also, öhm … Ganz herbstlichen, ähm, räusper, herzlichen Dank für diesen, äh, schönen Preis. Obwohl das doch wirklich nicht, öhm, nötig gewesen wäre. Ich, hüstel, hüstel, fühle mich äußerst geehrt und freue mich wirklich sehr.«

Der Detektiv deutet eine schüchterne Verbeugung in Richtung seiner Kolleginnen und Kollegen an und versucht, sich so schnell wie möglich von der Bühne zu stehlen. Doch Kati Keuken ist nicht gewillt, ihn gehen zu lassen.

»Aber, aber. Nicht so hastig, Rory«, sagt sie und hält ihn am Ärmel fest. »Ich bin sicher, alle Anwesenden möchten noch ein bisschen mehr über den diesjährigen Preisträger und seine Fälle erfahren. Daher habe ich ein paar kleine Fragen vorbereitet.«

»Ach, ja?«, wispert Rory erschrocken und macht den Eindruck, als wünschte er sich ganz weit weg.

»Zunächst einmal: Wie fühlt es sich denn an, mit der Goldenen Schnüffelnase ausgezeichnet worden zu sein?«, fragt Kati Keuken und klimpert kokett mit ihren künstlichen Wimpern.

Rory wirft einen kurzen Blick auf die Preis-Statuette und murmelt etwas unsicher: »Öhm, äh … gut?«

Die Moderatorin erwartet offenbar, dass er das noch ein wenig ausführt und blickt ihn erwartungsvoll an. Aber Schüchterne neigen nicht zu ausschweifenden Erklärungen. Rory verstummt und zwinkert nervös. Weswegen Kati Keuken nichts anderes übrig bleibt, als mit der nächsten Frage weiterzumachen: »Rory, über Sie und Ihre Ermittlungen kursieren die wildesten Gerüchte. Daher möchten wir natürlich von Ihnen persönlich erfahren, was es wirklich damit auf sich hat. Wie war das zum Beispiel beim Fall der entführten Bienenkönigin? Man erzählt sich, dass Sie während Ihrer Ermittlung mit Atemnot im Krankenhaus gelandet sind, weil Sie zu schüchtern waren, den Imker darauf hinzuweisen, dass Sie auf Bienenstiche allergisch reagieren.«

»Äh, das ist, ähm, nur teilweise richtig. Das mit der Allergie hätte ich rückblickend gesehen vielleicht erwähnen sollen. Aber die Atemnot war keine allergische Reaktion auf den Bienenstich. Sondern auf … das Krankenhaus. Ich bin leider auch allergisch gegen, öhm, Krankenhäuser.«

»Und dass Ihnen der Verdächtige im Fall des Bernstein-Amuletts beinah entkommen wäre, weil Sie an einer roten Fußgängerampel gewartet haben, bis es grün wurde, ist auch nur ein Gerücht?«, will Kati Keuken wissen.

»Äh, nein. Das entspricht der Wahrheit«, wispert Rory und lächelt scheu. »Es gehört sich schließlich, bei Rot zu warten. Aber letzten Endes konnte ich den Verdächtigen ja doch noch stellen. Weil er in der, äh, Rotphase über die Kreuzung gelaufen und dabei mit einem Radfahrer zusammengestoßen war.«

»Bei einem anderen Fall sollen Sie kurzzeitig die Spur eines flüchtigen Bankräubers verloren haben, weil Sie die Verfolgungsjagd unterbrochen haben, um einer alten Dame mit Rollator über die Straße zu helfen.«

»Auch das ist, öhm, wahr«, gesteht der Detektiv verschämt. »Aber ich hätte es äußerst unhöflich gefunden, der Dame nicht behilflich zu sein. Doch am Ende konnte ich auch hier den Räuber dingfest machen. Mithilfe eines Bumerangs, einer Knopfbatterie und eines, öhm, entkernten Pfirsichs. Aber es würde zu weit führen, das in allen Einzelheiten … Und außerdem müsste ich so langsam auch mal, äh … los.«

»Keine Sorge. Gleich sind Sie erlöst«, entgegnet Kati Keuken, bevor sie Rory ganz nah auf die Pelle rückt und gurrt: »Aber vorher möchten wir natürlich nicht nur etwas über den Detektiv, sondern auch über den Mensch Rory Shy erfahren. Einiges wissen wir ja aus der Presse: dass Rosinenmürbchen Ihr Lieblingsgebäck sind, dass Sie Ihren Kaffee ganz dünn trinken und dass Sie gerne Musik von First Aid Kit hören. Doch um eine Sache machen Sie ein großes Geheimnis. Dabei interessiert uns natürlich alle brennend: Gibt es … einen ganz speziellen Menschen in Ihrem Leben? Jemanden, mit dem Sie zusammen sind?«

Es ist nicht das erste Mal, dass Kati Keuken den Detektiv nach seinen Herzensangelegenheiten fragt, weshalb ich den starken Verdacht hege, dass dieses Thema vor allem sie persönlich brennend interessiert.

Rory wird vor Schreck kalkweiß und macht ein Gesicht, als hätte man seine Daumen in einen Schraubstock gespannt.

Charlotte Sprudel, die Freundin des Detektivs, ist ähnlich schüchtern wie er – und genauso berühmt. Man findet zahlreiche Fotos von ihr im Internet und in der Klatschpresse, weil sie eine Milliardenerbin ist, die sich sehr für wohltätige Zwecke engagiert. Rory und Charlotte treten allerdings nie gemeinsam in der Öffentlichkeit auf und tun alles, um ihre schüchterne Liebe geheim zu halten. Weil das nun mal ihre Privatsache ist und niemanden etwas angeht. Fragen nach seinem Beziehungsstatus stürzen den Detektiv jedes Mal in höchste Verlegenheit.

Man kann regelrecht sehen, wie ihn Verzweiflung übermannt, während er fieberhaft überlegt, was er antworten könnte. Aber spontane Ausreden und Ausflüchte sind nicht gerade eine Stärke von Schüchternen. Schweißperlen treten auf seine Stirn, er trippelt nervös von einem Fuß auf den anderen, ringt nach Luft – und wird vor lauter Aufregung von einer Kreislaufschwäche ereilt. Rorys Knie knicken ein, er gerät ins Taumeln, hält sich an Kati Keuken fest und keucht: »Mir wird gerade etwas, öhm, schwummerig.«

»Um Gottes willen, Rory!«, kreischt die Moderatorin erschrocken und versucht, den Detektiv zu stützen. »Sollen wir einen Arzt rufen? Oder Sie ins Krankenhaus bringen?«

»Krankenhaus? Auf keinen Fall«, entfährt es Rory panisch. »Es, öhm, es, äh, geht schon wieder.« Mit letzter Kraft entwindet er sich Kati Keukens Griff, wankt halb ohnmächtig von der Bühne und entschwindet mitsamt der Goldenen Schnüffelnase ins Dunkel des Saals.

»Das nenne ich doch mal einen spektakulär schüchternen Abgang«, sage ich kichernd zu Doktor Herkenrath – als aus dem Erdgeschoss lautes Scheppern und Klirren zu vernehmen ist. Klingt verdächtig danach, als wäre irgendjemand ins Büffet gestolpert. Ich tippe stark auf Frau von Hakkefress.

Na dann: Ein dreifach donnerndes Helau!

∼ 2 ∼Anruf aus Auental

Als ich am nächsten Morgen nach unten komme, summt Frau Zeigler im Biene Maja-Kostüm durchs Wohnzimmer und ist damit beschäftigt, letzte Überreste der gestrigen Feierlichkeiten zu beseitigen. Der Gummibaum sieht nach dem Zusammenstoß mit Frau von Hakkefress reichlich ramponiert aus, steht aber wieder an Ort und Stelle. Die Luftschlangen und Girlanden hat unsere Haushaltshilfe bereits entsorgt, nur die Discokugel schwebt noch unter der Decke.

»Raimund kommt nachher, um sie abzuhängen. Hoffentlich, ohne sich dabei den Hals zu brechen«, sagt Frau Zeigler, während sie ein paar Likörgläser vom Wohnzimmertisch räumt. Sie hält inne und seufzt versonnen: »Hach, war das mal wieder schön gestern. Nur Frau von Hakkefress ging mir gehörig auf die Nerven. Sie ist noch geblieben, als alle anderen längst weg waren, wurde schwer redselig und hat über die gesamte Nachbarschaft gelästert. Irgendwann hat es mir gereicht und ich habe sie zur Tür rausgeschoben. Ich hoffe, sie ist heil zu Hause angekommen. Hatte ganz schön Schlagseite, die Frau.«

»Doktor Herkenrath und ich sind dann mal unterwegs«, lasse ich unsere Haushaltshilfe wissen und nehme meinen Mantel von der Garderobe. »Bis heute Abend. Ich bin pünktlich um acht Uhr zurück.«

Frau Zeigler verfügt über ein gesundes Misstrauen. Normalerweise will sie genau wissen, wohin ich gehe und mit wem ich mich treffe. Natürlich darf auch sie nicht davon erfahren, dass ich mit Rory zusammenarbeite. Weswegen ich mir normalerweise immer eine halbwegs glaubhafte Ausrede einfallen lassen muss, wenn ich zu ihm fahre. Doch wie gesagt, an den tollen Tagen ist Frau Zeigler im Karnevalsmodus und läuft mit närrischem Tunnelblick durch die Welt.

Sie murmelt nur abwesend: »Viel Spaß, Kind!«, stellt das Radio lauter, schlägt mit ihren künstlichen Flügeln im Takt der Karnevalsmusik und singt voller Begeisterung mit: »Ja, da geht’s Humba Humba Humba Täterä Täterä Täterä …«

Doktor Herkenrath und ich fahren mit der Straßenbahn bis zur Haltestelle Sailenzer Straße. Dort angekommen springe ich schnell in eine Bäckerei, um ein paar Rosinenmürbchen fürs Frühstück zu besorgen.

»Rosinenmürbchen gibt’s heute nicht. Nur Berliner«, informiert mich die als Fee kostümierte Verkäuferin.

»Im Ernst? Na schön. Dann geben Sie mir drei Berliner!«

Auf den wenigen Metern von der Bäckerei zur Detektiv-Agentur begegnen mir jede Menge Narren: Piraten mit Augenklappen und Hakenhänden, Meerjungfrauen, ein falscher Schornsteinfeger, eine Gruppe Superhelden und ein Kerl in einem Gorillakostüm, bei dessen Anblick Doktor Herkenrath laut aufjault und sich ängstlich an mein Bein drückt.

»Ähm, hallo, Matilda. Schön, dass du da bist«, begrüßt mich Rory, als er die Tür öffnet.

Im nächsten Moment fahren er und Doktor Herkenrath erschrocken zusammen, weil auf der Straße mit lautem Kawumm eine Konfetti-Kanone abgefeuert wird.

»Das, öhm, geht schon seit gestern so«, stöhnt der Detektiv.

Er sieht ganz elend aus, massiert sich die Schläfen und erklärt mir mit leidendem Gesichtsausdruck: »Ich glaube, ich kriege gerade wieder meine, öhm, Karnevals-Kopfschmerzen.«

Mit hängenden Schultern führt er mich in die Küche, wo er einen dünnen Kaffee zubereitet hat.

Ich bin genervt von Karneval, weil ich Fröhlichkeit auf Knopfdruck nicht leiden kann, aber Rory ängstigt sich regelrecht vor dem närrischen Treiben. Für schüchterne Menschen sind die Karnevalstage die schlimmste Zeit des Jahres. Der laute, ausgelassene Trubel führt bei dem Detektiv regelmäßig zu Kopfschmerzen. Auch wenn die meiner Meinung nach nicht echt sind. Rory bildet sich ganz gerne mal irgendwelche Wehwehchen ein.

Was aber nichts daran ändert, dass Karneval für Schüchterne eine Herausforderung ist: Sie bevorzugen in der Regel eine gewisse Distanz und schätzen es überhaupt nicht, wenn ihnen wildfremde Menschen mit Alkoholfahne den Arm um die Schulter legen und vertraulich auf sie einreden. Und die Vorstellung, schunkeln zu müssen oder bei einer Polonaise mitzumachen, ist für schüchterne Zeitgenossen der blanke Horror.

Weswegen der Detektiv ein eisernes Prinzip hat: Während der Karnevalstage nimmt er niemals einen Fall an. Er macht keinen Schritt vor die Tür, sondern verschanzt sich in der Agentur und erledigt Büroarbeiten.

»Ich dachte, Charlotte wäre auch hier«, sage ich, während ich mich an den Küchentisch setze und mir einen Berliner nehme. »Hatten Sie nicht vor, sich bis zum Aschermittwoch gemeinsam hier einzuschließen?«

»Äh, ja. So war es eigentlich geplant«, entgegnet Rory und nippt mit trauriger Miene an seinem dünnen Kaffee. »Aber dann hat ihre Großtante Asta sich über die Karnevalstage eingeladen. Die ist ganz verrückt nach Karneval und hat darauf bestanden, dass Charlotte sie zu allen möglichen, öhm, Sitzungen und Karnevalszügen begleitet.«

»Die Ärmste. Da kann man ja nur herzliches Beileid wünschen«, sage ich und erkundige mich beiläufig: »Wie geht es denn Ihrem Kreislauf? Alles okay?«

»Äh, ja. Wieso fragst du?«

»Na, wegen der Kreislaufschwäche, die Sie während der Preisverleihung hatten.«

»Oh, das …«, nuschelt Rory, kratzt sich am Hals und gesteht mir verschämt: »Die Kreislaufprobleme habe ich nur, öhm, also, die habe ich nur, ähm … vorgetäuscht. Weil ich nicht wusste, was ich auf Kati Keukens Frage antworten sollte. Mir fiel einfach so schnell keine passende Ausrede ein. Und da habe ich, äh …«

Ich blicke den Detektiv ungläubig an. »Sie haben vor einem Saal voller Menschen Kreislaufprobleme vorgetäuscht, nur um nicht erzählen zu müssen, ob sie eine Freundin haben? Sie hätten doch auch sagen können: ›Tut mir leid, aber das ist Teil meines Privatlebens und geht niemanden etwas an.‹«

»Ja, das … das wäre natürlich auch eine Möglichkeit gewesen«, entgegnet er nach kurzem Nachdenken. »Aber hätte das nicht etwas, öhm, unhöflich gewirkt?«

»Sie haben recht«, erwidere ich und muss mir auf die Lippen beißen, um nicht zu kichern. »Eine vorgetäuschte Kreislaufschwäche ist natürlich viel höflicher. Legen wir los mit der Büroarbeit.«

Der schüchterne Detektiv ist ein ausgesprochen ordentlicher Mensch. Seine Wohnung ist immer picobello aufgeräumt, mal abgesehen vom Büro, in dem seit jeher Chaos herrscht. Der Raum ist vollgestopft mit Gegenständen, die in verschiedenster Weise mit Rorys Fällen zu tun haben: darunter ein knallroter Hüpfball, ein defekter Küchenhäcksler, ein verstimmtes Akkordeon, zwei Einräder, eine Schneekugel-Sammlung und an die zwanzig Flaschen Sauerkrautsaft. Die Goldene Schnüffelnase hat der Detektiv in ein überladenes, deckenhohes Regal gequetscht. Sie steht etwas versteckt hinter einem angeschlagenen Fondue-Set.

»Warum so bescheiden? Mit dem Preis können Sie doch ruhig mal ein bisschen angeben«, sage ich, nehme die Trophäe aus dem Regalfach und platziere sie gut sichtbar auf seinem Schreibtisch.

»Meinst du wirklich?« Rory betrachtet die Schnüffelnase zweifelnd. »Sieht das nicht ein wenig, öhm, prahlerisch aus?«

»Quatsch!« Ich rolle innerlich mit den Augen.

Was Selbstvermarktung angeht, ist der schüchterne Detektiv ein hoffnungsloser Fall. Er hat keine Webseite, keinen Social-Media-Account und sich mit Händen und Füßen gewehrt, als ich ihm vorgeschlagen habe, wenigstens mal eine Info-Broschüre drucken zu lassen. Das Einzige, wozu ich ihn nach langen Diskussionen überreden konnte, war, Visitenkarten anfertigen zu lassen. Die liegen jetzt in einem kleinen Stapel auf seinem Schreibtisch. Allerdings sind sie extrem schüchtern gestaltet. In der Mitte der Karte, wo normalerweise der Name in dicken Lettern prangt, herrscht gähnende Leere. Dafür steht in der Ecke rechts unten in Minischrift und äußerst blassem Druck:

Rory Shy, Privatdetektiv

Diskrete und behutsame Ermittlungen aller Art

Während meiner Arbeit mit Rory musste ich lernen, dass das Detektiv-Leben leider nicht nur aus aufregenden Verbrecherjagden, sondern auch aus jeder Menge ödem Verwaltungskram besteht. Und der erledigt sich dummerweise nicht von selbst. Der Detektiv und ich machen uns daran, Rechnungen zu ordnen, Quittungen abzuheften, Unterlagen zu kopieren und alte Akten aufzulösen.

Doktor Herkenrath lässt sich derweil unter dem Schreibtisch nieder und versucht, ein Nickerchen zu machen, wird aber immer wieder aus dem Schlaf gerissen, wenn auf der Straße ein närrisches Tröten ertönt.

Nach zwei Stunden Büroarbeit bin ich reif für eine Pause.

»Was halten Sie davon, wenn ich uns noch einen dünnen Kaffee koche?«, sage ich zu Rory – als das Telefon klingelt.

»Detektivagentur Shy. Sie sprechen mit Matilda Bond, Herrn Shys Assistentin. Was kann ich für Sie tun?«, melde ich mich in professionellem Ton.

»Tag, Frau Bond. Polizeiwachtmeister Schnitzel hier«, tönt es mir kurzatmig entgegen. »Von der Polizeiwache Auental.«

Auental? Bei dem Ortsnamen werde ich sofort hellhörig und frage: »Das Auental mit dem Wolfspudel?«

Ein tiefer Seufzer entringt sich Polizeiwachtmeister Schnitzel. »Ja. Genau das Auental«, stöhnt er resigniert.

Vor vierzehn Tagen hätte mir der Name noch überhaupt nichts gesagt. So wie wohl den meisten Menschen außerhalb von Auental. Aber in der vergangenen Woche war der abgelegene Ort bundesweit in den Schlagzeilen, weil eine Dorfbewohnerin in ihrem Garten einen Wolf gesichtet hatte. Daraufhin war in dem Dörfchen Panik ausgebrochen. Eltern hatten ihre Kinder nicht mehr aus dem Haus gelassen. Zudem waren die Jagd- und Forstverwaltung, mehrere Feuerwehren und sogar Soldaten der Bundeswehr angerückt, um das Tier ausfindig zu machen. Außerdem belagerten zahllose Journalisten und TV-Teams den Ort, um jeden Einwohner zu interviewen, der ihnen vor die Kamera lief.

Nach drei Tagen hatte sich herausgestellt, dass das, was die schon recht betagte und an Grauem Star leidende Dorfbewohnerin gesehen hatte, kein Wolf, sondern ein entlaufener Pudel gewesen war. Woraufhin sich reichlich Spott und Häme über das Dorf ergossen hatte. Unter anderem hatte sich ein bekannter Comedian in einer Fernseh-Show genüsslich über den Auentaler Wolfspudel lustig gemacht.

Zugegebenermaßen ist die Geschichte eine echte Steilvorlage für spöttische Kommentare. Mir würden gleich mehrere einfallen, aber ich beschließe, nicht noch Salz in die Wunde zu streuen, und frage den Polizisten in neutralem Ton: »Worum geht es denn?«

»Ich muss mit dem schüchternen Detektiv persönlich sprechen«, brummt er. »Ist er da?«

»Polizeiwachtmeister Schnitzel aus Auental«, lasse ich Rory wissen und reiche ihm den Hörer. »Für Sie persönlich.«

»Öhm, Shy«, meldet er sich schüchtern.

»Tag, Herr Shy«, brüllt der Wachtmeister so laut ins Telefon, dass auch ich ihn mühelos verstehen kann. »Tut mir leid, dass ich Sie störe. Wahrscheinlich wollen Sie gerade Karneval feiern.«

»Ach, eigentlich, öhm, weniger. Worum, äh, geht es denn?«

»Tja … Unschöne Sache, Herr Shy. Unschöne Sache. Hier in Auental ist ein Mann verschwunden. Dass jemand verschwindet, passiert natürlich des Öfteren mal und ist für sich genommen noch kein Grund, sich größere Sorgen zu machen. Zumindest nicht, wenn es sich um einen Erwachsenen handelt. Die meisten tauchen nach wenigen Tagen wieder auf. Haben sich nur mal eine Auszeit genommen. Weil sie Stress im Beruf haben, oder weil es in der Ehe nicht so kugelrund läuft. Wenn Sie verstehen, was ich meine.« Der Polizist macht eine Pause und räuspert sich, bevor er ins Telefon raunt: »Das Beunruhigende in diesem Fall ist aber: Es gibt Spuren, die darauf hindeuten, dass der Mann Opfer eines Verbrechens wurde.«

»Aha?«, macht Rory verdutzt. »Und, äh …?«

»Der Verschwundene ist nicht von hier. Sondern ein Fremder«, führt der Polizeiwachtmeister aus. »Der Mann hat sich gestern im Dorfgasthof eingemietet, da gibt es zwei Fremdenzimmer. Der Wirtin gegenüber hat er behauptet, er sei ein Omnito…, ein Onkolo…, Orbito… Ach, Sie wissen schon, was ich meine: ein Vogelkundler!«

»Ein, ähm, Ornithologe?«, merkt Rory schüchtern an.

»Genau. Gab an, sich für die Vogelwelt in Auental zu interessieren. Gestern Abend ist er mit einem Nachtsichtglas losgezogen, um Eulen zu beobachten. Und seitdem hat ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen. Als er heute Morgen nicht zum Frühstück erschien, ist Brunhild, die Wirtin, auf sein Zimmer, um nach ihm zu sehen: Keine Spur von dem Mann, aber seine Sachen waren noch alle da: Reisetasche, Kleidungsstücke und was man so zur Körperpflege braucht. Daraufhin hat Brunhild mich angerufen, aber ich habe ihr gesagt, dass mir da leider die Hände gebunden sind: Ein Erwachsener kann frühestens nach vierundzwanzig Stunden vermisst gemeldet werden. Aber kaum hatte ich aufgelegt, kriegte ich einen weiteren Anruf: Ein Rentner aus dem Ort war mit seinem Hund an der Wiesel spazieren, das ist ein kleines Flüsschen, das sich an Auental vorbeischlängelt. Dabei hat er am Ufer ein Nachtsichtglas gefunden. Außerdem sagte er mir, dass es am Fundort aussehen würde, als hätte dort ein Kampf stattgefunden: Fußspuren mehrerer Personen, abgeknickte Zweige an einem Busch und auch ein paar Tropfen Blut im Gras. Ich also nichts wie hin zur Wiesel. Habe mir alles genau angesehen, Fotos gemacht und Beweismaterial gesichert. Anschließend bin ich zum Gasthaus und habe Brunhild das Nachtsichtglas gezeigt. Sie hat es eindeutig als das Glas identifiziert, das ihrem Gast gehört. Und jetzt wird es richtig seltsam …« Wachtmeister Schnitzel macht eine bedeutungsschwere Pause, bevor er dem Detektiv eröffnet: »Ins Gästebuch hat sich der Mann als Frodo Beutlin eingetragen, aber wie sich herausgestellt hat, ist der Name falsch. Meine Anfrage beim zentralen Einwohnermelderegister hat ergeben, dass nirgendwo ein Frodo Beutlin existiert.«

»Natürlich ist der Name falsch«, melde ich mich vorwitzig zu Wort. »Frodo Beutlin ist ein Hobbit.«

»Ein was?«, brummt der Wachtmeister verständnislos.

Offenbar ist er kein Leser von Fantasy-Literatur.

»Ein Hobbit«, wiederhole ich. »Frodo Beutlin ist eine Figur aus Der Herr der Ringe.«

»Aha?«, murmelt Herr Schnitzel verdattert, räuspert sich und fährt fort: »Jedenfalls habe ich mich daraufhin im Zimmer des Mannes umgesehen, dort aber keinen Hinweis auf seine wahre Identität gefunden. Keine Ausweispapiere, keinen Führerschein … Aber so was trägt man für gewöhnlich ja auch bei sich