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Die kleine Rosalie ist eigentlich ein ganz normales, achtjähriges Mädchen, das in einem Hochhaus in der oberbayerischen Stadt Rosenheim lebt. "Eigentlich" deswegen, weil ihre Fantasie regelmäßig mit ihr durchgeht. Da erzählt sie den verblüfften Verkäuferinnen eines Modegeschäftes dann schon mal von ihrer Zeit als Topmodel in Paris, dem KfZ-Meister Wiggerl von ihrer Teilnahme an der weltberühmten"Rallye Saus und Braus" oder der Nachbarsfamilie, wie sie einen gefährlichen Bankräuber im Alleingang unschädlich gemacht hat ... (10 Kurzgeschichten, 14 Bilder)
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Seitenzahl: 102
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die Hauptstraße
Das Hochhaus
Rosalie riskiert ihr Leben
Besuch der Kfz-Werkstatt
Der Herr Pianist
Verrücktheit am Nachmittag
Rosalie wird Geschäftsfrau
Herr Schmidt liegt im Krankenhaus
Der Strumpfladen
Der Lift
Das Mischmaschtorten-Rezept
Ausmalbild
Ein Auto ums andere raste die Hauptstraße entlang. Die einen fuhren in die Stadt hinein, die anderen fuhren aus der Stadt hinaus. Wenn die Ampel auf Rot schaltete, stoppten die Autos und es bildete sich eine lange Wagenkolonne. Wenn die Ampel wieder auf Grün schaltete, gaben die Autos wieder Gas und viele kleine Benzinwolken entstiegen den Auspüffen. Sie schwebten allesamt zügig in die Höhe und vereinigten sich immer mehr zu einer großen Auspuffbenzindieselstinkwolke.
Jetzt fragt ihr euch, wieso erzähle ich von dieser Hauptstraße? Nun, an dieser Hauptstraße lag das Hochhaus, in dem Rosalie wohnte. Rosalie war ein kleines Mädchen von acht Jahren. Sie trug einen kugelrunden, frech geschnittenen Pagenkopf und sie liebte es, in diesem Hochhaus mit seinen unterschiedlichsten Bewohnern an dieser viel befahrenen Hauptstraße zu wohnen. Von euch hätte wahrscheinlich keiner gerne in so einer Lage wohnen wollen, doch Rosalie schon; sie hatte keine Geschwister, aber hier wurde ihr nie langweilig. Hier war immer etwas los, und Rosalie hätte es sich nie vorstellen können, woanders zu leben. Und wenn nichts los war, machte Rosalie was los. Dann besuchte sie nicht nur die Bewohner des Hochhauses, sondern beglückte auch die Geschäfte, die an der Hauptstraße lagen, gerne mit ihrer Anwesenheit. Da gab es eine Kfz-Werkstatt genau gegenüber dem Hochhaus und neben der Werkstatt war gleich ein herrlicher Blumenladen.
Das war nicht schlecht, so konnten die Männer, während sie auf ihre Autos warteten, in den Blumenladen gehen, um eine Rose für ihre Freundin oder ihre geliebte Frau zu kaufen. Das dachte zumindest Rosalie. Neben dem Blumenladen befand sich gleich Rosalies Schule, die sie am Vormittag besuchte. Dass die Schule so nah lag, war auch nicht schlecht; so war ihr Schulweg nicht sehr weit und sie konnte länger schlafen als ihre Mitschüler.
Auf der Straßenseite, auf der sich das Hochhaus befand, gab es eine Bäckerei, in der Rosalies Papa jeden Morgen frische Semmeln zum Frühstück holte, da er nur frische Backwaren aß. Einen Tag alte Semmeln mochte er nicht, da meinte er immer: „Das ist was für die Hühner, aber nicht für einen feinen Finanzbeamten, wie ich einer bin.“
In dem Haus der Bäckerei gab es dann noch einen Laden mit einer Konditorei, das war Rosalies Lieblingsladen.
Nebenan war eine Reinigung, in der man seine Wäsche zum Waschen abgeben oder sie dort auch selber waschen konnte. Ganz wie man wollte. Auf alle Fälle gingen dort immer viele Menschen ein und aus, und das fand Rosalie hochinteressant. Das Schlusslicht dieser ganzen Ladenkette bildete ein Strumpfgeschäft. In diesem Laden war Rosalie bisher nur ein einziges Mal gewesen und zwar, als bei ihrer Mama Strumpfhosennotfall geherrscht hatte. Wie das herging, werde ich euch später erzählen. Das waren also die Geschäfte, die an der Hauptstraße lagen.
Dann gab es an dieser Straße auch noch eine Brücke zwischen der Konditorei und dem Strumpfladen und darunter floss die Mangfall. Das war der Fluss, der sich direkt hinter dem Hochhaus, in dem sie wohnte, vorbeischlängelte.
Rosalie liebte diese Straße mit dem Hochhaus und die Stadt, in der sie lebte, und die hieß Rosenheim.
Das Hochhaus bestand aus sechs Stockwerken und besaß vierzehn Wohnparteien. In manchen Etagen gab es drei Wohnungen und in anderen zwei. Das kam immer auf die jeweilige Größe der Wohnung an. Ganz oben unterm Dach gab es nur eine Wohnung, das war das Penthaus, das war sozusagen eine Luxuswohnung. Dann gab es noch einen Lift, der aber meistens kaputt war und die Bewohner stöhnen ließ, wenn sie all ihre Einkäufe wieder die Stiege hinaufschleppen durften. Da rann der Schweiß von ihrer Stirn und Muskelkater meldete sich bereits im ersten Stock in ihren Beinen an. Von außen war das Hochhaus schneeweiß; damit wäre es ein Hochhaus unter vielen gewesen, aber was es besonders machte, waren die royalblauen Fensterrahmen des Hauses. Blau war Rosalies Lieblingsfarbe und sie war sehr stolz darauf, in diesem Haus zu wohnen. Einmal erzählte Rosalie dem Hausmeister, der erst seit kurzem hier arbeitete, da sein Vorgänger in Frührente gegangen war, eine tolle Neuigkeit. Er versuchte gerade mal wieder, den Lift in Gang zu bringen, als Rosalie ihn freundlich bei der Arbeit störte.
„Grüß Gott, Herr Rangl!“, sagte sie höflich und blickte neugierig auf seine arbeitenden Hände.
„Servus, Rosalie“, entgegnete der Hausmeister und tüftelte nachdenklich an den Liftknöpfen herum. Er mochte das kleine Mädchen mit dem frechen Pagenkopf. Er kannte sie zwar nicht gut, aber gegen ein kleines Schwätzchen hatte er nichts einzuwenden.
„Na, was gibt’s Neues bei dir?“, fragte er so dahin.
„Stellen Sie sich vor, jetzt ist es tatsächlich so weit“, sagte Rosalie aufgeregt.
„Was denn?“, meinte der Hausmeister ruhig.
„Ja, dass nächste Woche endlich die Hausfassade neu gestrichen wird, in Himmelblau, passend zu den royalblauen Fensterrahmen.“ Rosalie lachte übers ganze Gesicht und Hausmeister Rangl fuhr erschrocken von seinen Liftknöpfen hoch.
„Was? Die Maler kommen? Das hat mir keiner gesagt“, entsetzte er sich.
„Doch, ich!“, gab Rosalie zurück. „Ich dachte, es wäre wichtig für Sie, damit der Lift endlich funktioniert, wenn die Handwerker am Montag kommen. Heute ist nämlich schon Freitag.“
„Das ist mir völlig klar“, meinte Herr Rangl fassungslos und raufte sich die Haare. „Bist du dir da ganz sicher, dass die Maler kommen? Und woher weißt du das?“, fragte er nervös. „Natürlich bin ich mir sicher“, sagte Rosalie. „Ich weiß das von meinem Papa. Der ist doch Finanzbeamter und der hat dem Hausbesitzer schon so oft gut zugeredet, dass er doch endlich die Fassade neu streichen lassen soll.“
„Und der Hausbesitzer hört auf deinen Papa?“, fragte Herr Rangl, weil er das jetzt nicht ganz verstand.
„Freilich! Da geht’s um die Finanzen, wissen Sie. Der Papa hat ihm gesagt, dass er das alles steuerlich absetzen kann. Dass er sich einen Haufen Geld damit spart, und dem Haus tut’s auch gut, wenn es neu gestrichen wird. Das hat den Eigentümer dann doch überzeugt, und als Belohnung durfte ich mir die Farbe der Hauswand aussuchen. Und jetzt wird sie himmelblau“, rief Rosalie vor Freude und breitete die Arme weit aus.
Dem Hausmeister war die Freude jedoch vergangen. Es hörte sich für ihn alles sehr logisch an und es gab für ihn keinen Grund, warum er dem kleinen Mädl nicht glauben sollte. „Ich bin so froh, dass du mir das gesagt hast“, bedankte sich Herr Rangl bei Rosalie. „Ich werde zwar an meinem heiligen Samstag arbeiten müssen, aber dafür schaffe ich es, alles für die Maler vorzubereiten. Dank dir.“ Hausmeister Rangl schossen die Gedanken jetzt nur so durch den Kopf. Was brauchte er noch alles? Welche Besorgungen musste er noch machen? Der Lift musste schleunigst wieder laufen. Und, und, und … „Wo fang ich bloß an“, stöhnte er und fasste sich genervt an die schwitzende Stirn. „Ich kann Ihnen gerne helfen“, bot Rosalie sich an.
„Ich kann jetzt wirklich jede Hilfe gebrauchen“, bedankte sich der Hausmeister und dann legten sich die beiden ins Zeug. Treppauf, treppab schleppten sie Werkzeugkisten, Elektrokoffer, Folien, irgendwelche Papierbündel und alles, was der Hausmeister meinte zu brauchen. Zum Schluss fuhren sie noch zum Baumarkt, kauften dieses und jenes, und dann ging’s auf dem schnellsten Weg wieder zurück. Hausmeister Rangl flog an diesem Nachmittag mehr durch die Gegend, als er lief.
Die beiden waren bis spät in den Nachmittag schwer beschäftigt, doch irgendwann meinte Rosalie: „Herr Rangl, ich glaube, bei mir zu Hause gibt’s langsam Abendbrot. Ich muss hoch zur Mama.“ „Aber natürlich! Geh nur heim und nochmal danke für deine Hilfe“, sagte der Hausmeister jetzt schon sichtlich entspannter. „Danke auch für deine Information, dass die Maler am Montag kommen; da wär ich saublöd dagestanden.“
Während Rosalie vergnügt in den dritten Stock zur Wohnung hoch hüpfte, brummte Hausmeister Rangl in sich hinein: „Von einem kleinen Mädl muss ich das alles erfahren. Dem Hausbesitzer werde ich aber meine Meinung geigen. So lass ich nicht mit mir umspringen!“
Zornig moserte Herr Rangl bei seinen letzten Handgriffen an diesem Freitag herum. Er schimpfte über die Maler, den Hausbesitzer und schließlich über die ganze ungerechte Welt, bis er dann bald beschloss, die Arbeit für heute gut sein zu lassen. Tags darauf, an Herrn Rangls heiligem Samstag, kontrollierte er mit größter Sorgfalt das Hochhaus. Innen und außen, vom Keller bis zum Dach, damit für die Maler am Montag alles tipptopp war. Ein Hausbewohner fragte den Hausmeister, warum er am Samstag arbeitete? Und Herr Rangl legte los: „Am Montag kommen die Maler“, schnaufte er. „Über fünf Ecken hab ich’s erfahren und deswegen bin ich am Samstag da.“
„Da haben Sie aber Glück gehabt, dass es die fünf Ecken gab“, meinte der Hausbewohner.
„Wem sagen Sie das“, gab Herr Rangl zurück und blickte dankbar in den dritten Stock. Einen halben Tag investierte der Hausmeister, bis er in sein wohlverdientes Wochenende gehen konnte.
Und dann kam der Montag. Hausmeister Rangl stand um sieben Uhr morgens parat vorm Hochhaus und wartete auf die Maler. Erst wartete er eine Viertelstunde. Die wiederum zu einer halben Stunde wurde, und die verdoppelte sich dann zu einer ganzen Stunde. Aber von den Malern weit und breit keine Spur. Nervös blickte der Hausmeister auf seine Armbanduhr und schimpfte: „Da hätte ich mich gar nicht so schicken müssen, wenn die Maler zu spät kommen. Heutzutage ist auf keinen mehr Verlass. Krautsuppn, blöde.“ Krautsuppn sagte er immer, wenn er wütend wurde, weil seine Frau ihm das Fluchen verboten hatte. Und dann verging noch eine Stunde und keine Maler in Sicht. Herr Rangls Blutdruck stieg auf einhundertachtzig zu zweihundertneunzig, dann riss er das Handy aus seiner Hosentasche und rief den Hausbesitzer an. Der Kopf des Hausmeisters hatte vor Wut mittlerweile die Farbe der Tomatensuppe seiner Frau angenommen. Der Hausbesitzer ging nicht an sein Handy, die Maler machten, was sie wollten, und Herr Rangl selbst rang nach Luft und Worten. „Ich bin doch hier nicht der Depp!“, machte er einen Plärrer. „Bis Mittag warte ich noch, aber dann ist Schluss.“ Und so war’s dann auch. Die Maler waren nicht gekommen, nur die Hausbewohner, die trudelten langsam zum Mittagessen ein. Darunter war auch Rosalies Papa, und den schnappte sich Herr Rangl in seiner Rage. „Herr Obermoser“, begann er, „sind Sie sich wirklich sicher, dass heute die Maler kommen? Ich warte schon den ganzen Vormittag auf die.“
Herr Obermoser wusste erst gar nicht, ob er wirklich gemeint war, aber er sagte höflich: „Wieso fragen Sie mich das? Ich weiß nichts von Malern.“
„Aber Sie waren’s doch, der den Hausbesitzer drängte, dass die Hausfassade neu gestrichen wird. Die Rosalie hat es mir selbst gesagt.“
„Die Rosalie?“, gab Herr Obermoser fragend zurück und langsam ging ihm ein Licht auf. „Ich hab gar nichts gesagt oder getan, Herr Rangl, aber Sie kennen anscheinend unsere Rosalie noch nicht gut.“ Schonend versuchte Rosalies Papa dem Hausmeister das Ganze zu erklären. „Wissen Sie, unsere Rosalie, die lebt manchmal in ihrer eigenen Welt und wie’s sein mag, ab und an lässt sie ihre Mitmenschen halt an ihrer Welt teilhaben.“ Herr Obermoser klopfte dem Hausmeister tröstend auf die Schulter und machte sich dann schnellstens aus dem Staub. Herr Rangl war fassungslos. Er war so fassungslos, dass er nicht mal mehr fluchen konnte. Ein kleines Mädl hatte ihn an der Nase herumgeführt. Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf über seine eigene Dummheit und setzte sich im Treppenhaus nieder. Doch auf einmal begann Herr Rangl lauthals loszulachen und schlug sich dabei immer wieder mit der Hand fest auf den Oberschenkel. „Diese kleine Rosalie“, sagte Herr Rangl ungläubig. „Die mit ihrem runden Pagenkopf. Die mit ihren unschuldig dreinblickenden Engelsaugen. Der bin ich ja so was von auf den Leim gegangen. Aber ich bin selbst schuld an dieser ganzen Misere; beim nächsten Mal passiert mir das nicht mehr. Doch ein Gutes hat das Ganze ja auch“, meinte er, „so schnell habe ich noch nie einen Lift zum Laufen gebracht.“