Royalteen (2). Kiss the Soulmate - Randi Fuglehaug - E-Book

Royalteen (2). Kiss the Soulmate E-Book

Randi Fuglehaug

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Beschreibung

Sehnsüchtig erwartet: Die Story um Prinzessin Margrethe der erfolgreichen Coming-of-Age-Reihe Royalteen, verfilmt von Netflix! Prinzessin Margrethe ist klug, schön und weiß immer, wie sie in der Öffentlichkeit auftreten muss. Doch hinter der perfekten Fassade bröckelt es: Ihre Familie bricht auseinander, jeder kämpft mit seinen eigenen Problemen. Ihre beste Freundin kündigt ihr die Freundschaft und die vergangene Halloweennacht hängt wie ein Damoklesschwert über Margrethe. Alles wäre so viel leichter, wenn es jemanden gäbe, mit dem sie all diese verdammten Geheimnisse über ihre Familie und Ängste teilen könnte. Dann wäre sie auch nicht mehr so einsam. Kein Wunder also, dass ihr Herz schneller schlägt, wenn sie eine Nachricht von Henrik bekommt, dem attraktiven Prince-Charming Dänemarks. Bestes Falling-in-love-Material! Als sie ihn endlich in echt trifft, kann sie ihr Glück nicht fassen. Er ist sogar noch perfekter als in ihrer Fantasie! Doch dann verläuft ihr Treffen ganz anders als das romantische Date, das sie sich vorgestellt hatte. Ihre Familie ist da auch keine große Hilfe, königliches Blut hin oder her. Margrethe ist klar: So will sie nicht werden. Doch auf wen kann sie sich verlassen? Die royale Fortsetzung für alle ab 14 Jahren, die nicht genug von der königlichen Clique aus Norwegen bekommen können und für alle Leser*innen von Jana Hoch.   Weitere Bücher des norwegischen Autorinnenduos bei Arena: Royalteen (1). Kiss the Prince Im Frühjahr 2024 geht es weiter mit "Royalteen (3). Kiss the Enemy"

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Seitenzahl: 298

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Karoline Hippe,aufgewachsen an der Ostseeküste, studierte u. a. Skandinavistik und Anglistik in Leipzig und Berlin. Sie übersetzt aus dem Norwegischen, Dänischen und Englischen. Für die Übersetzung des Kinderbuches Sommer ist trotzdem wurde sie gemeinsam mit dem Autor Espen Dekko mit der Silbernen Feder ausgezeichnet.Sie lebt in Oslo und Berlin.

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Halve kongeriket.

Drømmeprinsen« bei H. Aschehoug & Co. (W. nygaard) AS, Norwegen.

Text © 2021 by Randi Fuglehaug and Anne Gunn Halvorsen.

Published in agreement with Oslo Literary Agency.

Diese Übersetzung wurde gefördert von:

1. Auflage 2023

© 2023 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Aus dem Norwegischen von Karoline Hippe

Umschlaggestaltung: Juliane Lindemann,

unter Verwendung von Illustrationen von Petra Braun

Cover und Innenillustrationen: © Petra Braun

E-Book-ISBN 978-3-401-81067-6

Besuche den Arena Verlag im Netz:

www.arena-verlag.de

@arena_verlag

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Willkommen zurück

»Da wären wir wieder.«

Rolf, der Fahrer der königlichen Zwillinge, schaltete den Blinker ein und warf ihnen einen Blick durch den Rückspiegel zu.

»Yes!«, rief Kalle, doch Margrethe rührte sich nicht, schaute einfach nur durch die dunklen Scheiben hinaus.

Das Elisenberg-Gymnasium lag da, als wäre nichts passiert, eingezwängt zwischen Cafés und Straßenbahngleisen, mitten im Osloer Stadtteil Frogner. Seit November war dieser Ort mehr oder weniger verlassen gewesen. Sechzehn Wochen waren vergangen, seit Elisenberg und alle anderen Schulen geschlossen wurden und den Schülern aus Infektionsschutzgründen nichts anderes übrig blieb, als zu Hause zu bleiben. Partys, Weihnachtsbälle und alle anderen lustigen Dinge, auf die sich die Menschen gefreut hatten, waren abgesagt worden.

Margrethe war so erleichtert gewesen.

Wenn es nach ihr ginge, hätte der Lockdown zu keinem günstigeren Zeitpunkt kommen können.

Das ganze Land hatte mitbekommen, dass die Prinzessin nach dem Halloweenball ihrer Schule ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Alle wussten von ihrer darauf folgenden zweiwöchigen Krankmeldung.

Ehe sie wieder zurückkam, hatte die Pandemie Einzug gehalten.

Aber jetzt war die große Pause vorbei.

Margrethe seufzte. Sie hatte Bauchschmerzen.

»Warum bleibst du hier auf der Straße stehen?«, fragte sie Rolf, als sie merkte, wie das Auto vor dem Tor zum Schulhof abbremste.

»Neue Regel. Keine Autos auf dem Schulgelände. Infektionsschutz. Die Sicherheitsbeamten sind schon da«, erwiderte Rolf und deutete mit einem Kopfnicken zu den beiden Männern in Anzügen, die nie aus ihrem Blickfeld verschwanden.

Die Schatten, wie ihre Mutter sie nannte. Sie standen auf Position, um sie und Kalle ins Schulgebäude zu geleiten.

»Ernsthaft?«, fragte Margrethe. »Müssen wir über den gesamten Schulhof laufen?«

Rolf nickte kurz, ohne sich umzudrehen.

»Wie soll denn ein Auto jemanden anstecken können?«, fragte Margrethe entgeistert.

Kalle lehnte sich zu ihr und nahm ihre Hand.

»Entspann dich, alles ist gut«, sagte er.

Sie blickte zu ihm hinüber, ihrem fünf Minuten älteren Zwillingsbruder, dem Kronprinzen von Norwegen. Er war vielleicht ein Kindskopf und überdreht, aber trotzdem: Sie war froh, dass sie das hier nicht allein durchstehen musste.

Kalle ließ ihre Hand los und schnallte sich ab. Offensichtlich konnte er es kaum erwarten auszusteigen. Margrethe holte tief Luft und atmete langsam wieder aus.

Es gab keinen Weg zurück. Jetzt musste sie sich der Welt stellen.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte Kalle. »Aber glaub mir, niemand kann sich noch an Halloween erinnern.«

Margrethe biss sich auf die Lippe. Sie wusste, wie sehr er sich irrte. Aber wie sollte er das verstehen? Seit vergangenem Herbst hatte sie Kalle unbedingt erzählen wollen, was in dieser Nacht wirklich passiert war, aber sie hatte jedes Mal einen feigen Rückzieher gemacht. Jetzt war es zu spät. Sie hoffte nur, dass er es nicht von einer gewissen anderen Person erfuhr.

Kalle schaute aus dem Fenster und beugte sich nach vorn zum Beifahrersitz, um einen besseren Blick auf den Schulhof zu erhaschen. Er wippte unruhig mit einem Fuß auf und ab und sah aus wie ein kleiner Junge, der gerade beim Spielplatz angekommen war.

Margrethe wusste, nach wem er Ausschau hielt.

Sie griff in ihre Tasche, fischte einen Taschenspiegel heraus und betrachtete sich selbst. Die schwarze Mascara lag perfekt auf ihren Wimpern. Sie nahm den Lipgloss heraus und trug eine weitere Schicht auf ihren Mund auf, rieb ihre Lippen aneinander und setzte ihr schönstes Lächeln auf.

»Sitzt alles? Bereit fürs Comeback?«, fragte Kalle und legte die Hand auf den Griff der Autotür.

Margrethe hatte keine Zeit zu antworten, da riss er schon seine Tasche an sich und hechtete aus dem Wagen. Sie musste sich beeilen, um Schritt zu halten.

Es war wirklich so, als würde ihrem Bruder etwas fehlen. Oder dass er irgendein gewisses Extra hatte, von dem nichts an sie verteilt worden war. Eine Art Schutzschild, ein Filter. Es war nicht so, dass ihm alles egal war. Sie glaubte wirklich, dass er ihn einfach nicht bemerkte: diesen kleinen Ruck, der immer durch die Menge ging, wenn sie ankamen. Wie alle augenblicklich ihre Anwesenheit bemerkten. Prinzessin Margrethe und Kronprinz Karl Johan. Auch hier, in der Schule, nahmen sie die Hauptrollen ein, sobald sie aus dem Auto stiegen. Als Kinder des Königspaares waren sie immer bei der Arbeit. Und genau das war der Punkt, den Kalle nicht verstand.

Ein blondes Mädchen in einer etwas zu kurzen Lederjacke kam auf sie zugerannt. Lena Karlsvik, die Teenie-Mutter aus Horten, warf sich Kalle an den Hals. Sie taten so, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen, dabei hatte Lena die letzten Monate praktisch bei ihnen gelebt.

Margrethe blieb hinter ihnen stehen, rückte den Gurt ihrer Tasche ungeduldig an ihrer Schulter zurecht und wartete, bis die beiden mit ihrem Begrüßungsritual fertig waren. Kalle packte Lena an der Hüfte, hob sie an und wirbelte sie um sich herum, dann setzte er sie wieder ab und küsste sie.

Lena hatte einen Prinzen gefunden. Kalle einen Frosch.

Margrethe verdrehte die Augen und ging in einem großen Bogen um sie herum. Sie verfluchte die idiotischen Infektionsschutzregeln. Warum konnten sie nicht bis zur Tür gefahren werden? War das wirklich zu viel verlangt? Sie marschierte Richtung Eingangstür, den Blick auf den Boden gerichtet, um ihn ja nicht zu dem Grüppchen Dreizehntklässler schweifen zu lassen. Sie wollte Gustav Heger nicht anschauen, nicht noch mehr Aufsehen erregen.

Sie wahrte das höfliche Lächeln während des gesamten Weges quer über den Schulhof und versuchte, das lästige Starren abzuschütteln. Sie konnte es am ganzen Körper spüren. Kalle hatte sich geirrt. Es war März, aber die Leute sahen sie an und dachten immer noch an Halloween. Es hatte nicht nachgelassen. Sie wollten immer noch wissen, was passiert war.

Nach der kurzen Pressemitteilung über den Krankenhausaufenthalt der Prinzessin war das Internet vor lauter Spekulationen explodiert. Eine der beliebtesten Theorien war, dass sie versucht hatte, sich im betrunkenen Zustand das Leben zu nehmen. Auf diese Theorien konnte man unmöglich reagieren, ohne zugleich zuzugeben, was sich wirklich zugetragen hatte.

Der Aufenthalt im Krankenhaus war nicht einmal der Tiefpunkt dieses Abends.

Aber niemand wusste davon.

Noch nicht.

Endlich entdeckte Margrethe die Leute aus ihrer Klasse. Ingrid mit einer großen braunen Wollmütze, die sie über ihre wilden Locken gestülpt hatte, und Arnie, dessen Kopf kahl und schutzlos in der Kälte glänzte. Er hatte versucht, sich während des Lockdowns selbst die Haare zu schneiden. Als das Ergebnis nicht annähernd erfolgreich gewesen war, hatte er sich kurzerhand einfach alle Haare abrasiert. Dann war da noch Tess, die kleine Influencer-Schlange, mit ihrem albernen Lidstrich und ihren langen Braids, die sie auf der rechten Schulter zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Margrethe spürte den blanken Hass in sich brodeln. Seit Jahren wurden Infos und Bilder von ihr und Kalle der Presse zugespielt. Margrethe war überzeugt davon, dass Tess dahintersteckte. Ein Wunder, dass die Influencerin vier Monate ohne die Möglichkeit überlebt hatte, königlichen Klatsch zu verbreiten. Noch unverständlicher war, dass Tess’ bescheuerter Beauty-Account auf TikTok in dieser Zeit noch mehr Follower gewonnen hatte. Die waren doch ganz bestimmt gekauft.

Margrethe hielt nach Fanny Ausschau. Wo war sie denn nur? Ihre beste Freundin hatte ihr doch versprochen, heute pünktlich da zu sein.

Die anderen der Gruppe beugten sich über Ingrids Smartphone. Sie waren so auf das, was sich auf dem Display abspielte, fokussiert, dass Margrethe das Schlimmste befürchtete.

Ob Gustav Heger ihnen etwa … Ob sie etwa gerade sahen, wie …

»Margrethe!«

Arnies warmes Lächeln löste den Kloß in ihrem Hals in ein Nichts auf.

Sie wussten nichts.

Kalles bester Kumpel war ebenfalls fast die ganze Zeit während des Lockdowns bei ihnen zu Hause gewesen. Als er auf sie zukam, um sie zur Begrüßung zu umarmen, wich sie trotzdem automatisch ein paar Schritte zurück. Seine Arme blieben in der Luft hängen und er wurde ganz rot.

Alle starrten sie an, Margrethe blinzelte ein paar Mal.

»Wir sollen doch niemanden umarmen, oder?«, sagte sie.

Arnie hob den Fuß für einen Wuhan-Shake, gerade als sie ihn mit dem Ellbogen anstoßen wollte. Das Ergebnis sah so aus, als würden sie ein ziemlich peinliches Dance Battle aufführen. Sie hoffte aufrichtig, dass niemand das gefilmt hatte.

»Was guckt ihr denn da?«, fragte sie.

Hektisch ließ Ingrid das Handy sinken.

»Nichts.«

Sofort wurde Margrethe wieder nervös. Im selben Augenblick kamen ihr Bruder und Lena Hand in Hand auf die Gruppe zugeschlendert. Kalle grinste breit und zeigte auf Ingrids Handy.

»Was geht?«, fragte er. »Zeig mal her!«

Ingrid hielt das Handy ein bisschen zu lange ratlos in der Hand, dann seufzte sie und reichte es Kalle.

Wir gegen das Virus

Margrethe blickte über seine Schulter und atmete erleichtert aus. Es war ein YouTube-Clip. Sie sah genug, um zu erkennen, dass es ein Video der dänischen Kronprinzessin Louise war. Eine Freundin ihrer Mutter.

»Es geht hier nicht um krank gegen gesund. Es geht nicht um Reich gegen Arm oder Land gegen Land. Es geht um das große WIR gegen das Virus.«

Eine weitere von Louises inzwischen unzähligen berühmten Reden an das dänische Volk, die nun also wieder viral ging. Das Virus hatte im Nachbarland ebenso hart zugeschlangen wie hier, aber es gab einen großen Unterschied: Der dänischen Königsfamilie war es gelungen, die Krise zu meistern. Zusätzlich zu den Unmengen an Reden über Gemeinschaft und Stärke in den sozialen Medien hatte die dänische Königsfamilie als Freiwillige in Krankenhäusern und Pflegeheimen gearbeitet. Die Fotos von ihnen in weißen Kitteln, mit Masken und Schweißperlen auf der Stirn, gingen um die Welt.

Kalle gab Ingrid das Handy zurück.

»Ja, ja, da muss man nur einen Beat drunterlegen, dann wird ein Sommerhit draus«, sagte er grinsend, hob die Hand in die Luft und begann zu johlen: »Wir, wir, wir – gegen das Virus. Das große WIR! Gegen das Virus!«

Ingrid ließ das Handy langsam zurück in ihre Tasche gleiten.

»Aber sie war ziemlich gut. Die Rede, meine ich«, sagte Ingrid und Tess nickte. »Das stimmt ja schließlich auch, wir gegen das Virus.«

Kalle zuckte mit den Schultern, steckte seine Nase in Lenas Haare und tat dann irgendwas, was sie laut quieken ließ.

»Vielleicht solltest du auch mal eine Schicht im Krankenhaus übernehmen«, sagte Lena und zog an seiner Steppjacke.

Kalle warf den Kopf in den Nacken und lachte laut auf. »Ja, das würde der Presse gefallen, wenn ich plötzlich anfange, den Leuten Spritzen zu verpassen.«

»Henrik hat das auch gemacht«, meinte Ingrid.

Die anderen nickten nachdrücklich.

Louises Sohn, Prinz Henrik, war einer der Ersten, die sich zum Freiwilligendienst im Krankenhaus gemeldet hatten, als das Virus am heftigsten grassierte.

»Natürlich hat er das«, erwiderte Kalle. »Henrik macht ja immer alles richtig.«

»Kennt ihr ihn gut?«, fragte Tess neugierig.

Margrethe öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas zu sagen. In ihrer Tasche krallte sie ihre Finger um das kalte iPhone. Sie hatte niemandem davon erzählt, dass sie und Prinz Henrik in den letzten Monaten einen sehr engen Kontakt gepflegt hatten. Niemand wusste von der Nachricht, die sie direkt am ersten Tag des Lockdowns bekommen hatte. Es hatte sie überrascht, von ihm zu hören, auch wenn die Nachricht so klang, als hätte er sie an mehrere Leute geschickt. Er schickte ihr einige mitfühlende Worte: Sie solle einen kühlen Kopf und ein warmes Herz bewahren und er hoffe, dass sie und die ganze Familie gesund blieben. Grüße an alle! Wahrscheinlich hatte er die gleiche Nachricht auch an die königlichen Kinder in Schweden gesendet.

Als überall die negativen Artikel aufploppten, wie das norwegische Königspaar gegen die Infektionsschutzregeln verstieß, die Quarantänepflicht missachtete und Landesgrenzen überschritt, war Margrethe plötzlich auf die Idee gekommen, ihm Screenshots von den kritischen Überschriften zu schicken.

Wie war das noch gleich, wir sollen einen kühlen Kopf und ein warmes Herz bewahren? Läuft ja super, wie du siehst …

Er hatte im selben warmen, verständnisvollen Ton geantwortet und seit diesem Zeitpunkt hatten sie ziemlich viel hin und her geschrieben. Es war so unglaublich schön, sich ganz ungezwungen mit jemandem unterhalten zu können, ohne darüber nachzudenken, wo die Informationen am Ende vielleicht landen könnten.

»Na ja, wir haben manchmal Zeit miteinander verbracht, als wir kleiner waren«, sagte Kalle. »Aber das ist ganz schön lange her. Er ist ja schon fast erwachsen.«

»Henrik ist neunzehn«, warf Margrethe ein.

Eine schwarze Ralph-Lauren-Cap drängte sich plötzlich zwischen Arnies kahlen Schädel und Ingrids braunen Lockenkopf. Da war sie ja endlich, mit ihrem lieben Lächeln im Gesicht, das aus dem viel zu weiten College-Pulli und dem Parka hervorlugte.

»Wie sind die eigentlich so drauf, die Dänen?«, fragte Fanny und schaute verschmitzt unter dem Schirm ihrer Cap hervor. »Er wirkt ja ziemlich … nett, dieser Henrik.«

Fannys schwarzer Pferdeschwanz tanzte um ihren Kopf, als sie Margrethe zur Begrüßung umarmte und ihr ein »Sorry fürs Zuspätkommen« zuflüsterte. Margrethe stieß Fanny nicht weg und als sie Arnies Blick auf sich spürte, kapierte sie, dass das völlig falsch rüberkam.

»Ein schmucker Jung, meinst du wohl«, sagte Kalle affektiert und rümpfte die Nase. »Aber er und seine Eltern sind Scheißlangweiler. Weißt du noch, als wir mit denen zu Ostern verreisen mussten und das Einzige, was sie gemacht haben, war rumsitzen und lesen?«

Margrethe erinnerte sich. Diese ruhigen, gemütlichen Osterferien, in denen die ganze Familie beisammen gewesen und ihr klar geworden war, dass Familie auch Harmonie bedeuten konnte.

»Das sind sehr tolle Menschen«, entgegnete sie und spielte mit den Fingern an dem Handy in ihrer Tasche herum.

Henriks Nachrichten waren witzig, clever und selbstironisch. Er war überhaupt kein Scheißlangweiler, dachte Margrethe. Und er war definitiv ein schmucker Jung.

»Vielleicht ist das der Grund, warum es die letzten Monate in Dänemark so viel besser lief als bei uns«, sagte Ingrid. »Die Leute haben die Regeln befolgt, weil die Bosse sich auch drangehalten haben.«

Die anderen verstummten und sahen Margrethe an. Sie hatte das Gefühl, an ihrem ganzen Körper würde ein Juckreiz ausbrechen. Wie sollte sie auf Ingrids Kommentar reagieren?

Tut mir leid, dass meine Eltern während der Pandemie überhaupt nicht geistesgegenwärtig waren?

Tut mir leid, dass sie gegen die Regeln verstoßen und sich so krass blamiert haben, als sie endlich mal die Chance hatten, etwas Gutes zu tun?

Sie starrte hinauf in den blassblauen Winterhimmel.

Nie konnte sie sagen, was ihr auf dem Herzen lag. Nie konnte sie erklären, was wirklich der Grund für gewisse Dinge war.

»Ich kapier einfach nur nicht, warum eure Eltern nicht mehr gemacht haben, so wie die dänische Königsfamilie«, sagte Ingrid.

Sie hatte anscheinend nicht vor, es dabei zu belassen.

»Ja«, erwiderte Margrethe und hob das Kinn, während die anderen sie erwartungsvoll ansahen. »Das ist ziemlich schwer zu kapieren.«

Sie starrte ihre Leute an. Sie starrten zurück, wandten ihre Blicke dann aber wieder ab.

»Ja, ja, vielen Dank für dieses politische Quartett, lasst uns wieder über wichtigere Sachen sprechen«, sagte Arnie. »Wie viel Abstand müssen wir am Wochenende halten?«

»Du solltest auf jeden Fall vier Meter Abstand von zerbrechlichen Gegenständen halten«, erwiderte Fanny und grinste breit.

»Oh, es ist so schön, dass wir alle wieder zusammen sind. Ey, und ich freu mich so auf deine Party, Fanny! Wir werden deinen Siebzehnten so richtig feiern!«, jubelte Ingrid.

Fanny grinste.

»Was wünschst du dir?«, fragte Arnie.

»Hab ich doch schon gesagt. Dass du nix zerkloppst. Mein Vater hat ja keine Ahnung, was er angerichtet hat, als er uns grünes Licht für diese Party gegeben hat.«

Das Klingeln der Schulglocke ertönte und sie setzten sich in Bewegung.

Da tauchte er in Margrethes Augenwinkel auf.

Seine blonde Mähne, der Mittelscheitel. Mit schnellen Schritten überquerte er den Schulhof. Sie wollte sich beeilen, aber die anderen gingen einfach im gleichen gemächlichen Tempo weiter. Plötzlich kam es Margrethe so vor, als würde sie durch Sirup waten. Kurz darauf hatte er sie eingeholt und grinste sie breit mit seinen strahlend weißen Zähnen an.

Noch vor einem halben Jahr war sie schrecklich in Gustav Heger verknallt gewesen. Jetzt wurde ihr schlecht bei seinem Anblick.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

»Margrethe! Schön, dich wiederzusehen«, sagte er und zwinkerte frech.

Er verlangsamte seinen Schritt nicht, sondern rauschte an ihr vorbei. Als sie schon aufatmen wollte, drehte er sich noch einmal um und ging rückwärts weiter.

»Wie ich sehe, hast du Spaß mit deinen Freunden?«

Er sprach jetzt lauter und zeigte mit dem Handy in der Hand auf die anderen, ehe er es sich an den Kopf hielt, als würde er salutieren.

Sein Ärmel rutschte ein Stück runter und eine Schiene um sein rechtes Handgelenk kam zum Vorschein. Margrethe lief es eiskalt den Rücken herunter.

War das etwa …?

»Wir hören uns, Mags.«

Sie bekam kaum Luft. Die anderen sahen sie verwundert an.

»Was wollte er denn?«, fragte Tess viel zu neugierig.

»Gustav Heger himself«, staunte Ingrid, die wie immer nichts checkte. »Was geht eigentlich bei euch beiden? Lief da noch was nach Halloween? Haben wir dich deswegen so selten zu Gesicht bekommen?«

Margrethe schüttelte den Kopf und richtete den Riemen der Tasche an ihrer Schulter. Dann marschierte sie davon und eilte die Treppe hinauf, nahm zwei Stufen auf einmal und verschwand in dem Gewimmel anderer Schüler. Sie stellte sich an den Ein-Meter-Markierungen an, um das Klassenzimmer zu betreten. Da tauchte Fanny direkt hinter ihr auf und sah sie abwartend an. So wie sie es seit dem Halloweenball immer wieder getan hatte. Sie hatte keine Fragen gestellt, war einfach immer nur … an ihrer Seite gewesen. Fanny hatte bei ihr vor der Tür gestanden, sie zum Spazierengehen abgeholt, mit ihr über die Nachrichten gesprochen, über die Pandemie und wie schrecklich langweilig es war, dass die Tennishalle geschlossen hatte. Jedes Mal, wenn Fanny bei ihr war, fühlte Margrethe sich etwas leichter, etwas energischer. Sie war wie ein Licht im Dunkel. Margrethe wollte sich nicht im Traum ausmalen, wie diese letzten Monate ohne ihre beste Freundin gewesen wären. Aber auch Fanny durfte nie erfahren, was an Halloween vorgefallen war. Nein, gerade Fanny durfte es auf keinen Fall wissen.

Margrethe spürte das Vibrieren des Handys in ihrer Tasche. Sie zog es hervor und wollte nur einen flüchtigen Blick darauf werfen – da setzte ihr Herz einen Schlag aus.

Margrethe. Ich hab nachgedacht, schrieb Henrik.

Mehr konnte sie nicht lesen, ehe sie ihr Handy beim Klassenlehrer abgeben musste.

»Sitzen wir wieder auf unseren alten Plätzen?«, fragte Fanny sie.

Sie nickte und schenkte ihrer besten Freundin ein Lächeln. Und plötzlich spürte sie es.

Das Lächeln blieb auf einmal ohne weitere Anstrengungen auf ihrem Gesicht.

Gustav Heger war anscheinend noch nicht fertig mit ihr, aber das war Henrik auch nicht.

Und er hatte nachgedacht!

Warm ums Herz

Margrethe aß langsam ihren Nudelsalat, steckte sich eine Kirschtomate nach der anderen in den Mund, stocherte in dem Grün herum. Nachdem sie sich die Ausrede ausgedacht hatte, jetzt ganz unbedingt ihren Vater anrufen zu müssen, blieb sie allein am Tisch in der Kantine sitzen, während die anderen nach draußen strömten. Hier war ein sicherer Ort. Gustav Heger und seine Freunde waren nie in der Kantine, sie kauften ihr Essen immer woanders.

Margrethe legte ihre Gabel hin und las zum gefühlt hundertsten Mal die Nachricht:

Margrethe. Ich hab nachgedacht. Es ist so ungerecht, dass ihr so viel Gegenwind bekommt. Könnten wir einander vielleicht helfen? Und wie geht es der schönen Prinzessin in all dem Durcheinander? Ist dir warm ums Herz? <3

Seine Worte hatten sich wie eine warme Decke um sie geschmiegt, vom Herz bis zum Bauch. Nicht etwa, weil Prinz Henrik sie schön nannte. Nicht nur. Es war seine Fürsorge. Dass er sie sah. Seine Nachrichten waren außerdem eine Erinnerung daran, dass es noch eine Welt jenseits des Elisenberg-Gymnasiums gab, andere Menschen, die nicht zu ihrer Clique gehörten. Ein Ort, an dem sie sich nicht wie eine Außenseiterin fühlte, ein Ort, wo sie einfach verstanden wurde.

Sie brauchte lange, um zu antworten, wollte darauf achten, sich gewählt auszudrücken und ebenfalls charmant zu sein. Henrik war nur drei Jahre älter als sie, aber er wirkte immer so erwachsen, so besonnen. Ihr gefielen an dem dänischen Prinzen nicht nur die dunklen Haare und die schönen grünen Augen, sondern auch, dass er immer das Richtige zu tun und zu sagen schien.

Das letzte Mal hatten sie sich an seinem 18. Geburtstag gesehen, bei der offiziellen Feier auf Schloss Amalienborg. Er hatte während des Abendessens eine ebenso schöne wie berührende Rede darüber gehalten, wie es war, als Einzelkind aufzuwachsen, aber auch, dass er Geschwister nie vermisst oder sich einsam gefühlt hatte, weil seine Eltern und Großeltern immer für ihn da gewesen waren. Er brachte alle zum Lachen, als er sagte, dass er, obwohl er der Thronfolger war, noch viel Zeit hatte, ehe er den Thron besteigen müsste, weil ja sein Großvater, der fast neunzigjährige König von Dänemark, noch mindestens die nächsten hundert Jahre das Zepter in der Hand halten würde. So megalustig war die Aussage an sich nicht, aber Henrik war einfach so selbstbewusst und herzlich bei seiner Rede, dass es ihm, genau wie der restlichen Königsfamilie, leichtfiel, ein Lachen auf die Gesichter der Menschen zu zaubern.

Margrethe war schon lange der Meinung, ihr Bruder könnte noch viel von Henrik lernen. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Kalle und Henrik war, dass sie einmal ein Land regieren würden. Das und dass sie beide ziemlich charmante Typen waren. Die Chemie zwischen den beiden hatte allerdings noch nie gestimmt. Kalle sagte immer, Henrik wäre ihm zu korrekt, aber genau das sollten sie als Mitglieder der Königsfamilie ja auch sein.

Sie las die Nachricht noch ein weiteres Mal. Könnten wir einander vielleicht helfen? Was meinte er damit eigentlich?

Hey Henrik! Alles gut hier oben in den Bergen, schrieb sie, löschte es jedoch sogleich wieder. Sie wusste, dass sie Henrik gegenüber immer ehrlich sein konnte.

Henrik. Wie schön, vom Krankenpfleger zu hören. Im Moment läuft es nicht so gut. Wir freuen uns über Unterstützung. Es ist schön zu sehen, wie bei euch alles seinen Gang geht.

Sie schickte die Nachricht ab, dann überlegte sie noch mal und schickte sofort eine zweite Nachricht hinterher:

Das darfst du nie irgendjemandem verraten, aber manchmal wünschte ich, ich wäre Prinzessin von Dänemark und nicht von Norwegen. Dann fügte sie noch ein Emoji mit aufeinandergepressten Zähnen an.

Schnell drückte sie auf Senden. Sie sah auf die Uhr. Die nächste Stunde würde in fünf Minuten beginnen, sie hatte also keine Zeit, darüber nachzudenken, ob diese letzte Nachricht eine so gute Idee gewesen war. Die noch beinahe halb volle Plastikschale mit Salat wanderte in den Müll und sie spürte den Blick der Mädchen hinter sich. Zwar hatte keine von ihnen ein Smartphone in der Hand, aber es würde nicht lange dauern, bis Gerüchte die Runde machten. Die Prinzessin isst nicht auf, hat sie etwa eine Essstörung?

In alles, was sie tat oder sagte, wurde etwas reininterpretiert. Die meisten Interpretationen waren weit weg von der Realität. Margrethe schüttelte leicht den Kopf, nahm ihre Wasserflasche und ging in Richtung Klassenzimmer davon, ohne die Blicke der anderen zu erwidern.

»Margrethe!«

Arnie kam auf dem Flur auf sie zugejoggt, die Steppjacke über dem Arm. Es würde sie nicht wundern, wenn er die Pause draußen in der Kälte verbracht hatte, ohne sich richtig anzuziehen. Manchmal war er so verpeilt wie ein Kindergartenkind.

Er blieb mit einigen Metern Abstand vor ihr stehen.

»Ich wollte mich nur entschuldigen, weil ich heute morgen nicht an die Abstandsregeln gedacht habe«, sagte er. »Das war voll daneben von mir.«

»Ach so, nein, alles gut«, erwiderte Margrethe. »Das hab ich nur so aus Gewohnheit gemacht. Damit niemand auf die Idee kommt zu sagen, dass wir uns nicht an die Regeln halten. Mach dir keinen Kopf. Wir sind doch Pandemie-Buddys gewesen.«

Margrethe hatte fast die meiste Zeit allein oder in Fannys Gesellschaft in ihrem Zimmer verbracht, wenn Arnie bei Kalle zu Besuch war. Sie hatte keine Lust auf seinen fragenden Dackelblick gehabt, darauf, dass er die ganze Zeit eine Gelegenheit abpassen wollte, mit ihr zu sprechen. Er konnte das Thema Halloween offensichtlich nicht sein lassen. Auch jetzt nicht, obwohl sie mitten auf dem Schulflur standen.

»Aber wir sind immer noch Freunde, oder?«

»Natürlich sind wir das. Warum fragst du?« Margrethe setzte sich wieder in Bewegung Richtung Klassenzimmer. Sie tat so, als wüsste sie nicht, was er meinte.

Arnie starrte auf den Boden, während er neben ihr herlief.

»Na ja, du weißt, ich hab so ein schlechtes Gewissen wegen … seit es passiert ist. Und ich hab jetzt so oft versucht, mit dir drüber zu sprechen, und es kommt mir so vor, als hättest du gar keinen Bock, mit mir zu reden, also bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass du immer noch ziemlich sauer auf mich bist.«

Margrethe blieb abrupt stehen und seufzte. »Sag mal, wie oft hast du dich jetzt bei mir entschuldigt?«

»Ein paar Mal …«

»Und wie oft habe ich gesagt, dass es nicht deine Schuld war, sondern meine eigene?«

»Jedes Mal.«

»Genau«, meinte sie. »Dann gibt’s da ja nicht mehr besonders viel drüber zu reden.«

»Aber Kalle sagt, dass du so deprimiert warst …«

Margrethe hatte große Lust, ihren Bruder in Stücke zu zerreißen.

»Kalle erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Jetzt hör mal: Wir sind Freunde. Ich bin nicht sauer auf dich. Alles ist gut. Gleich fängt die nächste Stunde an. Können wir es dabei belassen?«

Arnie nickte. »Dann belassen wir’s dabei. Du kommst Freitag auch, oder?«

Shit, sie musste noch ein Geschenk für Fanny besorgen. Es war zu spät, irgendetwas online zu bestellen. Vielleicht könnte sie jemanden für sie einkaufen schicken? Selbst im Bogstadveien aufzutauchen, kam nicht infrage. Überhaupt: Nach Partys war ihr zurzeit überhaupt nicht zumute, aber sie konnte auch schlecht nicht gehen.

»Würde mir nicht im Traum einfallen, das zu verpassen«, sagte sie.

Arnie trat vor sie und ließ sein iPhone in die Box des Lehrers fallen. Margrethe wollte gerade fragen, ob es tatsächlich im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sei, die Handys von zwanzig Schülern mit schwitzigen Händen zusammen in eine Box zu legen, ließ es dann aber doch sein, als sie ihr Smartphone aus der Tasche zog und sich wieder eine warme Decke um sie legte.

Henrik hatte geantwortet. So schnell!

Nichts leichter als das! Wenn du Prinzessin von Dänemark werden willst, kannst du mich ja einfach heiraten.

Gruppenarbeit

Die Lehrer waren voll in ihrem Element. Es war der erste Tag mit normalem Präsenzunterricht seit Monaten und ihr Lehrer Ove sprach mit Feuereifer von der Projektarbeit, die er für sie vorbereitet hatte. Er bat sie, sich in Zweiergruppen zusammenzutun. Margrethe nahm Fannys Hand. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, mit jemand anderem Smalltalk zu führen. Als sie aufgefordert wurden, die Gedichtanalyse bereits morgen vorzulegen, ärgerte sie sich allerdings.

Es war die letzte Schulstunde, das bedeutete, sie mussten die Aufgaben zu Hause erledigen.

Sie hätte sich doch mit Kalle zusammentun sollen, dann hätten sie die Partnerarbeit ganz in Ruhe zu Hause am Esstisch erledigen können. Aber wie sie ihren Bruder kannte, würde er eh den ganzen Abend lang mit Lena »Partnerarbeit machen«. Sie machten sowieso ziemlich viel »Partnerarbeit« in letzter Zeit.

Dass er mit Lena zusammengekommen war, einer geschmacklosen Teenie-Mutter aus Horten, war der seltsamste und bisher am längsten anhaltende Einfall, den ihr Bruder je gehabt hatte. Margrethe hatte geglaubt, ihn vor dieser Peinlichkeit bewahren zu können, aber zu ihrem großen Schock hatte er den Halloweenball genutzt, um dem billigen Mädel seine große Liebe zu gestehen. Auf der Bühne! Während der Show war Margrethe aufgestanden und hatte höflich zu seinem grässlichen Lied geklatscht. Doch am liebsten hätte sie ihn geschlagen. Sie schämte sich für ihren Bruder und hatte richtig Panik davor, wie diese idiotische Laune wohl von der Presse ausgeschlachtet werden würde. Aber das Schlimmste war, dass Kalle nicht vorher mit ihr darüber gesprochen hatte. Alle anderen aus ihrem Freundeskreis hatten davon gewusst. Wie sie alle dasaßen und ihm aufmunternd zunickten. Kalle hatte einen Entschluss gefasst, einen Plan geschmiedet, das Lied einstudiert und neben Tess auch Ingrid eingeweiht. Und sogar Fanny. Keine der beiden Freundinnen hatte Margrethe ein Wort davon verraten.

Sie war froh, dass sie der ganzen Gruppe einen Laufpass gegeben und stattdessen Gustav Heger zum Ball begleitet hatte.

Wenn sie doch später nur nicht mit ihm mitgegangen wäre.

»Wollen wir uns ins Café gegenüber setzen?«, fragte Fanny. »Oder ist das zu stressig für dich? Wir können auch zu mir gehen, wenn dir das lieber ist.«

Margrethe schaute aus dem Fenster und entdeckte Rolf, der sich vor dem Schultor an den Wagen lehnte und auf sie wartete. Gustav Heger war nirgends zu sehen. Wo war er? Was machte er gerade? Woran dachte er? Hatte er … einen Plan?

Würde er im Café gegenüber sein?

Sie wollte nichts dem Zufall überlassen.

»Können wir zu mir? Rolf fährt dich dann später nach Hause.«

Fanny nickte und stellte wie immer keine unangenehmen Fragen.

»Klar, was immer sich für dich gut anfühlt.«

Margrethe zog ihren Mantel an und Fanny warf sich in ihren Parka. Sie wickelten sich ihre Schals um und traten gemeinsam hinaus in die Kälte.

Rolf winkte ihnen zu.

»Fräulein Fanny. Wie schön, dich zu sehen«, sagte er und zwinkerte ihr zu. »Steigt ein, steigt ein, es ist schön warm im Wagen.«

Fanny und Rolf quatschten die ganze Fahrt lang. Das passte Margrethe ganz gut in den Kram, dann konnte sie solange ungestört durch Henriks Nachrichten scrollen. Die Heiratssache war ganz klar ein Scherz, aber es bestand wohl kein Zweifel, dass er mit ihr flirtete, oder?

Obwohl er unglaublich lieb und zuvorkommend war, hatte sie immer den Eindruck, für den dänischen Prinzen nur ein süßes kleines Mädchen zu sein. Abgesehen von seinem großen achtzehnten Geburtstag hatten sie keine Zeit mehr miteinander verbracht, seit sie … elf gewesen war?

Vielleicht hatte der Halloweenskandal nicht nur negative Auswirkungen auf ihr Image gehabt?

Sie googelte ihn. Ein Foto von ihm ploppte auf, das ihr noch nie zuvor angezeigt worden war. Henrik an einem Strand. Sein Haar war nass, den oberen Teil seines Neoprenanzugs hatte er sich vom Oberkörper gepellt und er hielt ein Surfbrett unter dem Arm. Es handelte sich wohl kaum um ein offizielles Bild. Aber meine Güte, so hatte sie ihn noch nie gesehen. Wie attraktiv er war! Der ewige Single, stand unter dem Foto. Es war Teil einer idiotischen Bilderserie zu dem Thema Dänemarks Sexiest Men. Sie klickte auf den Artikel. Für den Verfasser des Artikels war es offenbar ein großes Rätsel, dass der Prinz noch nicht vergeben war. Margrethe fand das gar nicht so rätselhaft. Sie kannte das Problem nur zu gut. Ein Date, ein Foto zusammen mit einer unbekannten Person und schwupps!, schon würden alle Klatschblätter und Onlineblogs die Nachrichten verbreiten, dass es ein neues königliches Liebespaar gab. So war es einfach unmöglich, jemanden kennenzulernen.

Immer mehr aus ihrer Clique hatten inzwischen angefangen zu daten. Kalle und Lena waren schon eine Sache für sich, aber auch Ingrid und Tess hatten hier und da kleine Projekte, wie sie es nannten, und scherzten über peinliche One-Night-Stands im Gruppenchat. Margrethe hatte keine Ahnung, ob das nur Quatsch war oder ob sie wirklich One-Night-Stands hatten, aber so unwahrscheinlich war das nicht. Allein der Gedanke daran nervte sie tierisch. Sie hasste das Gefühl, dass alle anderen ihr etwas voraushatten. So wie damals, beim Cooper-Test im Sportunterricht in der Grundschule, als ihr alle davongelaufen waren. Nur dass es dieses Mal nichts bringen würde, auf etwas hinzutrainieren, um die anderen wieder einzuholen. Was könnte sie schon tun? Mit wem konnte sie einfach so ins Bett gehen? Wem konnte sie genug vertrauen? Und wann sollte das überhaupt passieren? Wenn sie … dreißig war? Und alle anderen längst verheiratet?

Die Sache mit Gustav Heger hatte alles nur noch komplizierter gemacht. Danach hatte sie sich geschworen, sich nie wieder so verletzlich zu machen.

Sie würde ab jetzt die Finger von der Liebe lassen und von allem, was dazugehörte. Es machte keinen Sinn mehr zu hoffen.

Das war ihr Schicksal. Sie war dazu geboren, als alte Jungfer zu sterben. Sie würde für immer schweigend danebenstehen, wenn andere von ihren fantastischen Erlebnissen erzählten.

Oder …?

Plötzlich wurde ihr ganz warm.

Natürlich.

Henrik hatte sicher an das Gleiche gedacht.

Ja!

Langsam wischte sie seinen goldenen, halb nackten Körper von ihrem Display.

Sie spürte ein Kribbeln im Bauch.

Das war die Möglichkeit.

Er war die perfekte Nummer eins.

Allein bei dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut am ganzen Körper.

»Worüber lachst du?«, fragte Fanny plötzlich.

»Nichts«, sagte Margrethe und lehnte ihr Gesicht an die Scheibe. Es gelang ihr nicht, das Lächeln zu unterdrücken, das ihr im Spiegelbild entgegenstrahlte.

Home, sweet home

Sie bogen auf ihr Anwesen ein. Margrethe stellte sofort fest, dass eines der Autos fehlte. Ihr Vater war vermutlich unterwegs, so wie immer. Dafür, dass er so viel Kritik bekam, in Pandemiezeiten tatenlos herumzusitzen, war er erstaunlich selten zu Hause. Abwesend dort wie hier.

Das Netz war voll von Geschichten, wie sehr die Leute ihre Familien leid waren, nach Monaten mit geschlossenen Schulen und Homeoffice. Margrethe wünschte, sie könnte sich auch darüber beklagen. Auch sie hatte die Nase voll von ihrer Familie, aber nicht etwa, weil sie dauernd da war. Eher im Gegenteil. Margrethe öffnete die schwere Tür neben dem Haupteingang, Fanny folgte ihr dicht auf den Fersen. In der leeren Eingangshalle zogen sie ihre Schuhe aus.

Fanny und sie gingen an der Küche vorbei zu ihrem Lieblingsort, der großen Bibliothek am Ende des Korridors. Hier gab es keine Fenster, nur vollgestopfte Regale – Bücher, Fotoalben und privates Archivmaterial vom Boden bis zur Decke. Vor dem Kamin stand ein Ohrensessel und in der Mitte des Raumes ein großer Arbeitstisch aus Mahagoni. Der Anblick des dunklen Holzes beruhigte sie irgendwie immer. Sie liebte es, hier zu sitzen, umgeben von all den alten Dingen in den Regalen, während sie sich vorstellte, wie schon ihre Großeltern hier zusammen gewesen waren und Reden und Strategien ausgearbeitet hatten. Ihre Eltern hatten sich ihre Arbeitsplätze mit Aussicht im dritten Stock eingerichtet und Margrethe betrachtete die Bibliothek längst als ihr Eigen.

»Wo ist Mama?«, fragte Margrethe laut, während sie ihre Schulbücher aus der Tasche holte.

Guri, die Haushaltshilfe, kam aus der Küche zu ihnen geeilt.

»Ich wurde gerufen?«, fragte sie in ihrem gewöhnlichen, ironischen Tonfall. »Hey, Mädels. Die Königin ist in ihrem Zimmer, Margrethe.«

Guri zögerte und warf Fanny einen Blick zu, ehe sie ein breites Lächeln aufsetzte. »Wie war’s in der Schule? Habt ihr Hunger?«

Fanny lächelte. »Ich könnte gut was zu essen vertragen, ja!«

»Hast du mit meiner Mutter gesprochen, seit sie wieder da ist?«, erkundigte sich Margrethe, während sie durch das dicke Textbuch blätterte.

Sie wusste nicht, wonach sie suchte. Eigentlich wollte sie einfach nur vermeiden, Guri anzusehen. Sie wollte die Hoffnung nicht verlieren, noch nicht.

Ihre Mutter hätte heute dem Universitätskrankenhaus einen Besuch abstatten sollen. Sie sollte eine neue Station eröffnen, auf dem Patienten mit Langzeitfolgen nach der Virusinfektion behandelt werden würden. Das war ihr erster offizieller Termin seit mehreren Wochen.

Als alles dichtgemacht wurde, schlummerte in Margrethe