5,99 €
Herbert Polle geht mit seinem Labrador Hasso durch die Holtensener Feldmark. Es ist eigentlich ein schöner Morgen, bis Hasso eine Leiche auf dem Zuckerrübenfeld ausbuddelt. Nun kommen Hauptkommissar Schaft und seinen Kollegen zum Tatort. Als der Bauer des Feldes den Toten erkennt und viele Beweise gefunden werden, ist schnell klar, wer der Täter sein muss. Doch die Beamten haben nicht mit der Kaltblütigkeit des wahren Mörders gerechnet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 234
Veröffentlichungsjahr: 2020
Ein Kriminalroman aus der Region am Deister
Kap.1: Dienstag, 16.10.20118, 08:44 Uhr
Kap.2: Dienstag, 16.10.2018, 06:04 Uhr
Kap.3: Dienstag, 16.10.2018, 09:36 Uhr
Kap.4: Deinstag, 16.10.2018, 11:21 Uhr
Kap.5: Dienstag, 16.10.2018, 14:58 Uhr
Kap.6: Dienstag, 16.10.2018, 17:17 Uhr
Kap.7: Sonntag, 13.10.1968, 21:04 Uhr
Kap.8: Donnerstag, 27.02.1969, 21:27 Uhr
Kap.9: Dienstag, 16.10.2018, 18:29 Uhr
Kap.10: Freitag, 31.08.2018, 22:06 Uhr
Kap.11: Dienstag, 16.10.2018, 17:38 Uhr
Kap.12: Dienstag, 16.10.2018, 18:51 Uhr
Kap.13: Dienstag, 16.10.2018, 20.01 Uhr
Kap.14: Dienstag, 16.10.2018, 21:00 Uhr
Kap.15: Mittwoch, 17.10.2018, 0:50 Uhr
Kap.16: Mittwoch, 17.10.2018, 06:02 Uhr
Kap.17: Mittwoch, 17.10.2018, 06:30 Uhr
Kap.18: Mittwoch, 17.10.2018, 12:30 Uhr
Kap.19: Mittwoch, 17.10.2018, 14:55 Uhr
Kap.20: Mittwoch, 17.10.2018, 15:34 Uhr
Kap.21: Mittwoch, 17.10.2018, 17:12 Uhr
Kap.22: Mittwoch, 17.10.2018, 18:52 Uhr
Kap.23: Mittwoch, 17.10.2018, 19:01 Uhr
Kap.24: Mittwoch, 17.10.2018, 09:10 Uhr
Gemütlich schlenderte Herbert Polle durch die Feldmark und schaute zufrieden seinem Hund Hasso zu, wie dieser schnüffelnder Weise die verschiedenen Düfte am Rande des Feldweges aufnahm. Die beiden waren auf ihrer morgendlichen Runde. Heute gingen sie von Holtensen kommend auf dem Feldweg in Richtung Vörie, an der Kläranlage Evestorf vorbei und folgten dem Weg bis zum Bahnübergang. Als sie etwa dreißig Meter vor dem Bahnübergang waren, blinkte die Signalanlage plötzlich rot auf und es ertönte in regelmäßigen Abständen ein Warnsignal. Sie warteten ab, um zwei Personenzüge durchfahren zu lassen. Hasso hörte aufs Wort und setzte sich brav neben sein Herrchen, als dieser stehen blieb. Sie schauten den Zügen gelassen zu, als diese an dem unbeschrankten Bahnübergang in voller Fahrt vorbeirauschten. Der eine Zug fuhr in Richtung Paderborn, der andere zum Hannover Flughafen, soviel wusste Herbert. Nachdem die Züge den Bahnübergang passiert hatten, setzten die beiden ihren Spaziergang in aller Ruhe fort.
Sie überquerten den Bahnübergang jedoch nicht, sondern gingen auf dem Feldweg neben der Bahnstrecke in Richtung Bahnhof weiter. Hasso wechselte dabei häufiger mit hängendem Kopf die Seiten des Weges, um mit seiner Nase zu schnuppern und setzte gelegentlich seine Duftmarke ab. Herbert trottete gemütlich seinem Hund hinterher und beobachtete die zum Teil abgeernteten Felder. Da heute Morgen herrlich klare Luft war und die Sonnenstrahlen seinen kahlgeschorenen Kopf erwärmten, hatte es Herbert nicht eilig nach Hause zu kommen. Jedoch wusste er, dass es laut dem Wetterbericht aus den Spätnachrichten heute noch Regen und Gewitter geben sollte. Als er so dahinschlenderte, dachte er über sein bisheriges Leben nach. Als letztes Jahr seine Ehefrau im Alter von 66 Jahren verstarb, waren Hasso und er auf sich allein gestellt.
„Ach ja, schade“, dachte er bei sich, „Wer hätte das jemals gedacht, dass Du vor mir diese Erde verlässt, meine liebe Emma.“ Kaum hatte er den Satz zu Ende gedacht, hatte er das Gefühl, jemand würde ihm sanft über den Kopf streicheln. „Schöner Gedanke, aber es war wohl nur die Sonne“, holte er sich zurück in die Gegenwart. Er musste an seine Kinder denken; diese waren schon lange von hier verzogen.
Sein Sohn Peter ist seit mehreren Jahren mit seiner Frau Nele in Bad Nenndorf ansässig. Er arbeitet in einem großen Möbelgeschäft als Akquisiteur. Seine Frau fand in einer der vielen Reha-Kliniken eine Anstellung als Therapeutin und seine beiden Enkel sind mehr oder weniger fleißig am Studieren.
Herberts Tochter Sophie trat in die Fußstapfen seiner Ehefrau und wurde Rektorin an einer weiterführenden Schule in Mecklenburg-Vorpommern. Leider hat sie es bis jetzt nicht geschafft, eine eigene Familie zu gründen und wird es wohl auch mit ihren 43 Jahren nicht mehr tun, Kinder in die Welt zu setzen. Na gut, ein Mann gehört ja auch noch dazu, aber Sophie schien in dieser Beziehung ein Problem zu haben. Es ist halt schwer, sich als Rektorin von einem Mann um die Finger wickeln zu lassen. Insofern werden wohl keine Enkel von ihr geboren, an denen er sich erfreuen könnte.
Je dichter sie zur Linderter Straße kamen, desto lauter wurde der Lärm vom Verladen der Zuckerrüben. Ein Rübenroder, auch Bunkerroder genannt, hatte das Feld vor zwei Tagen nachts gerodet. Die Runkeln, wie diese auch genannt werden, lagen in einer Linie auf dem Feld. Heute standen bereits mehrere LKWs und Traktoren mit großen Anhängern hintereinander, um die kostbare Fracht in einem Arbeitsgang durch eine „Rüben-Verlade-Maus“ vorgereinigt und aufgeladen zu bekommen. Herbert hatte die Szene schon wahrgenommen, kurz nachdem er mit Hasso an der Kläranlage vorbeigegangen war. Der Schall vom Verladen der Zuckerrüben in einem Kilometer Entfernung drang quer über den Acker an seine Ohren. Sofort dachte er an sein Frühstück mit dem leckeren Sirup auf einem warmen Toastbrot.
Eine knappe halbe Stunde beobachteten sie den Verladevorgang. Anschließend verließen die Gerätschaften den Ort, um nahe bei Linderte die nächste Verladung vorzunehmen. Herbert konnte die wartenden Traktoren mit ihren Anhängern in einiger Entfernung stehen sehen. Er nahm sich einen kleinen Stock vom Wegesrand und warf diesen aufs Feld, um seinen Hund noch ein paar extra Sporteinlagen zu geben. Dieser rannte kreuz und quer und brachte das Stöckchen artig zu seinem Herrchen zurück.
Herbert wiederholte den Vorgang etliche Male und ging dabei auf dem Acker in Richtung Holtensen zurück. Nun war es ja von Zuckerrüben befreit. Lediglich am Ende der Verladestrecke lagen noch einige wenige herum, die es wohl nicht wert waren, mitgenommen zu werden. Dabei wusste er von seinem Freund und Landwirt Fritz, dass für eine Tonne etwa 30,00 Euro bezahlt werden. Er erinnerte sich an seine eigene Kindheit, als er mit seinem Freund Andreas die Rüben an den Speichen seines Fahrrades sauber rubbelte, um anschließend an der sauberen Stelle beherzt ein Stück abzubeißen. Seine Enkel kennen diese Art vom ursprünglichen Genuss des Zuckers gar nicht mehr, aber dafür können sie perfekt mit ihrem Smartphone durch die Welt chatten. Gedankenversunken in die eigene Kindheit, mit starrem Blick auf den Deister, der heute zum Greifen nahe schien, zuckte er kurz zusammen und schaute wieder auf seinen Hund. Hasso schnüffelte eifrig auf und ab.
„Alles in Ordnung“, dachte er zufrieden bei sich, ging weiter und rief seinen treuen Begleiter kurz beim Namen, um ihn dichter zu sich heranzuholen.
Hasso jedoch folgte beim Schnüffeln genau der Spur der „Rübenmaus“, bis er plötzlich anhielt, um zu buddeln. Herbert ging langsam weiter, dachte sich nichts dabei. Doch als er sich nach weiteren zwanzig Schritten wieder herumdrehte, war Hasso immer noch dabei, irgendetwas mit seinen Pfoten auszugraben. Jetzt nahm dieser sogar seine Schnauze zu Hilfe und das Loch wurde immer tiefer. Der halbe Kopf verschwand schon hinter einem kleinen Erdhügel.
Herbert pfiff auf zwei Fingern, in der Hoffnung, sein Hund käme dann schneller zu ihm, aber er horchte nicht mal auf. Herbert wurde sauer und ging wieder zurück. Nun bellte der Hund auch noch lautstark.
„Was hast du denn? Komm sofort hierher!“, rief er ihm laut entgegen, aber Hasso machte unbeirrt weiter. Nun wurde er noch wütender, griff zur Hundepfeife in seiner rechten Jackentasche. Nach einem Pfiff schaute Hasso nur kurz hoch und machte mit seinen Vorderpfoten das Loch unbeeindruckt größer und tiefer.
„So kenne ich ihn ja gar nicht. Was hat er bloß?“
Herbert beschleunigte seine Schritte, denn er spürte, dass hier irgendetwas nicht normal schien.
Inzwischen hatte der mit Dreckklumpen übersäte Hund einen Gegenstand in seiner Schnauze, stemmte heftig seine Pfoten ins Erdreich und zog daran. Herbert war jetzt dicht bei ihm und schrie: „Aus Hasso, aus!“
Gleichzeitig näherte er sich dem Hund von hinten, fasste ihn am Halsband und zog ihn mit Gewalt zu sich. Erst jetzt ließ er den Gegenstand fallen. Herbert schaute mit großen Augen auf eine zerbissene, blutige Hand, die auf dem Acker lag, genau dort, wo eben noch zwei Meter hoch tonnenweise Zuckerrüben gelegen hatten.
Langsam öffnete er seine müden Augen und schaute auf den sportlichen, nackten Körper seiner Freundin. Ihre Bettdecke bedeckte ihren Körper vom Bauchnabel an abwärts, der obere Teil lag frei und bescherte ihm einen imposanten Ausblick. Seit gut einem Jahr kannte er diesen herrlichen Anblick von ihr und in Gedanken sprach er zu sich: „Ich liebe dich und möchte dich nie wieder verlieren!“.
Als wenn sie es gehört hätte, schlug sie die Augen auf, blinzelte zweimal und drehte den Kopf in seine Richtung und ihre blaugrünen Augen blickten ihn strahlend an.
„Guten Morgen. Ich danke Dir.“
Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch und fragte: „Wofür denn…?“
Weiter kam er nicht, denn sie rollte sich blitzschnell näher an ihn heran und küsste ihn leidenschaftlich. Berauscht von dem herrlichen Gefühl sowie ihrer spürbaren warmen Haut auf seiner glattrasierten Brust, schlang er nun ebenfalls seine Arme um sie.
„Danke für die schöne Nacht mit Dir“, entwich es ihren Lippen und sie erkundigte sich, „Wie wäre es jetzt mit einer Fortsetzung?“
Er schaute ihr in die Augen und antwortete: „Ich liebe Dich und möchte Dich nie wieder verlieren! Das habe ich gedacht, kurz bevor Du die Augen aufgeschlagen hast.“
„Heißt das nun, ja?“, fragte sie nach.
Ohne ein weiteres Wort von ihm drückte er sich schmunzelnd noch dichter an sie heran und rutschte unter ihre Decke. Knapp zwanzig Minuten dauerte das erotische Spiel an. Die beiden waren so mit sich beschäftigt, dass sie den Wecker um 06:15 Uhr ignorierten, als er leise mit Musik aus dem Radio ans Aufstehen erinnerte.
Erschöpft und entspannt lösten sie sich voneinander und Jens meinte nun seinerseits: „Danke fürs sanfte Wecken. Ich könnte noch stundenlang mit Dir hier so herumlümmeln, aber leider müssen wir uns beeilen. Ich soll, nein, ich muss um acht Uhr in der MHH sein.“
„Das ist wirklich schade, aber ich muss ja auch gleich los“, antwortete Andrea.
Jens sprang förmlich aus dem Bett und ging in die Küche, wusch sich schnell die Hände und stellte die Kaffeemaschine an. Ohne Frühstück verließen die beiden selten die Wohnung. Es war ihnen wichtig, wenigstens eine Kleinigkeit im Magen zu haben, denn sie wussten nie, wann sie heute wieder etwas zu essen bekommen werden. In ihren Jobs konnte es immer überraschende Ereignisse geben, die sie zwangen, ihre Mittagspausen zu verschieben. Anschließend ging er ins Schlafzimmer zurück und suchte sich seine Sachen hervor. Andrea duschte in der Zwischenzeit die Spuren der letzten Nacht herunter. Während Jens seine Sachen aus dem Kleiderschrank herauszog, kam ihm der Gedanke an seine anderen Beziehungen vor Andrea. Diese waren nie so intensiv, und er hatte nie das Gefühl, er müsse eine von ihnen heiraten. Aber bei ihr war es anders. Gern erinnerte er sich an das Treffen in der Gehrdener Fußgängerzone mit dem leckeren Eis und dem anschließenden Kuschelwochenende bei ihr. Da hat es richtig zwischen ihnen gefunkt.
„Aber heiraten?“, horchte er in sich hinein, „Sie bei der Polizei. Ich als Gerichtsmediziner. Kann das gutgehen?“
Je länger er jedoch darüber nachdachte, umso weniger Argumente fielen ihm ein, es nicht zu wagen.
„An was denkst Du?“, kam sie splitternackt und fragend aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer zurück. Ihre blonden Haare hatte sie nur kurz trockengerubbelt und schlüpfte nun schnell in ihre bereitgelegte Uniform. Sie hatte es sich angewöhnt ihre Sachen für den nächsten Tag bereitzulegen, denn meistens waren sie beide spät dran oder es gab einen überraschenden Anruf in der Nacht von Edmund. Auch der heutige Morgen machte da keine Ausnahme, sie mussten sich jetzt beeilen. Während des Duschens dachte sie daran, endlich mit Jens zusammenzuziehen. Sie spielte schon eine ganze Weile mit dem Gedanken, denn schließlich ist bei ihm genug Platz für zwei.
Erschrocken zuckte er zusammen, denn er hatte sie nicht ins Schlafzimmer kommen hören und antwortete verlegen: „Ach, nichts Besonderes!“. Er schwindelte.
Andrea erkannte sofort, dass das nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber nun drängte die Zeit. Sie werde ihn heute Abend darauf ansprechen und antwortete nur mit einem einfachen: „Okay, mein Süßer, das Bad ist jetzt frei!“
Jens gab ihr beim Vorbeihuschen einen schnellen Kuss und verschwand mit leicht geröteten Wangen ins Badezimmer. Nachdem Andrea angezogen war, bereitete sie den kleinen Küchentisch fürs Frühstück vor. Marmelade, Honig, Sirup und für Jens zusätzlich ein bisschen Käse. Sie selbst hatte heute Appetit auf eine kleine Schale mit Müsli und Quark.
„Möchtest Du heute Morgen auch Müsli essen?“, rief sie etwas lauter in Richtung Badezimmer, doch Jens beantwortete ihre Frage mit: „Nein, danke. Bitte nur zwei Toast!“
Zehn Minuten später saßen beide am Frühstückstisch und besprachen ihre Pläne für den heutigen Abend. Die Zeichen standen gut für einen Kinobesuch, allerdings wussten sie noch nicht, welchen Film sie sich anschauen wollten. Wenn es nach Jens ging, würde er gern mit ihr einen Horrorfilm ansehen. Andrea liebäugelte dagegen eher mit etwas mehr Action.
Um kurz vor halb 8 verließen die beiden Verliebten die Wohnung von Jens und fuhren jeder zur Arbeit. Sie ahnten noch nicht, dass dieser Tag ihr Leben total auf den Kopf stellen würde.
Knapp sechs Minuten, nachdem Herbert mit seinem Handy die Polizei angerufen hatte, stand der erste Polizeiwagen am Straßenrand und die beiden Beamten, Kommissar Michael Reiking und Oberkommissar Heinrich Hoelst ließen sich von Herbert den Fundort zeigen. Herbert brauchte nur zum Loch im Acker zu deuten, denn es war nicht zu übersehen, was Hasso dort freigebuddelt hatte. Immer mehr Polizeifahrzeuge und ein Krankenwagen fuhren mit Blaulicht vor.
Ruckzuck wurde ein Absperrband um den Tatort gespannt. Da hier keine Befestigungsmöglichkeit vorhanden war, stachen Michael und Heinrich großräumig dünne Metallstäbe in den Acker, um das rotweiße Band mit der Aufschrift „Polizeibereich“ daran zu befestigen.
Herbert und Hasso stellten sich auf den Fahrradweg und beobachteten die Szenerie. Innerhalb kürzester Zeit waren mehr als zehn Beamte damit beschäftigt, den Verkehr zu regeln, Gaffer streng zu maßregeln und animierten diese, zügig weiterzufahren. Irgendwann tauchten die ersten Presseleute an der Absperrung auf und wollten Aufnahmen machen und Informationen von den Beamten erhalten.
Der Krankenwagen fuhr nach ein paar Minuten ohne Blaulicht wieder zum Krankenhaus nach Gehrden zurück, hier gab es halt niemanden mehr zu retten. Zeitgleich erreichte der Wagen der Gerichtsmedizin den Tatort. Juliane Moder und Jens Zündel stiegen aus, öffneten den Kofferraum und zogen beide ihre Gummistiefel an. Mit den üblichen Koffern für die Analyse der Leiche, passierten sie das Absperrband, nachdem sie sich bei dem Beamten ausgewiesen hatten. Jens schaute sich um, suchte Andrea in der aufgewühlten Menge, konnte sie aber nirgends entdecken. Beim Fundort angekommen, schaute er sich in alle Richtungen um. Er konnte einen Mann mit Hund auf dem Radweg stehen sehen und sprach daraufhin Michael Reiking an.
„Guten Morgen Michael, können wir den Tatort mit Decken oder Stellwänden so zustellen, dass die Zuschauer und die Zeitungsschreiber nicht alles mitbekommen?“, er wies mit dem Finger in Richtung Fahrbahn und Radweg.
„Moin Jens, na klar, veranlasse ich sofort bei den anderen Kollegen. Achim Bär und seine Leute von der Spurensicherung sind auch schon auf dem Weg, haben aber heute eine längere Anfahrt als gewöhnlich. Sie müssen einmal durch die ganze Stadt, weil es einen Unfall auf der Hochbrücke über der Hildesheimer Straße gab“, erklärte ihm Michael, obwohl er sich denken konnte, dass es Jens nicht unbedingt interessierte.
„Jens, ich brauche Dich nun hier. Bitte hol uns mal den kleinen Spaten aus dem Kofferraum!“, rief Juliane ihm entgegen.
„Okay“, antwortete er und trottete zurück zum Wagen, um den Klappspaten zu holen.
„Zum Glück hat es bis jetzt nicht geregnet, sonst wären vermutlich alle Spuren weggewaschen worden“, dachte Jens.
Auf dem Rückweg zu Juliane schaute er in Richtung Deister und stellte fest, dass dort die ersten dunklen Wolken weit am Horizont zu sehen waren, sie mussten sich also beeilen.
Nachdem Heinrich die anderen Beamten eingewiesen hatte, ging er mit Michael zum Radweg, um Herbert Polle zu befragen.
„So Herr Polle, nun sind die ersten Maßnahmen am Tatort erledigt. Entschuldigung, dass Sie warten mussten. Können Sie uns nun kurz erklären, wie die Leiche gefunden wurde?“
„Natürlich, ich bin allerdings immer noch ein bisschen aufgeregt.“ Er erzählte den beiden alles, was sie hören wollten.
Michael notierte alles, wie gewohnt in seinem Notizbuch. Es war bereits das dritte Buch seit seiner Aufnahme in der Ronnenberger Dienststelle. Kurze Zeit später erreichten die Vans der Spurensicherung sowie auch die Kommissare Andre Nörthen, Andrea Hellwisch mit Hauptkommissar Edmund Schaft den Tatort. Beim Anblick von Andrea lächelte Heinrich minimal mit den Mundwinkeln. Michael bemerkte es und schaute ebenfalls zu Andrea und Andre und dachte: „Hm, Heinrich hat es immer noch nicht verkraftet, dass er bei Andrea abgeblitzt ist.“
Edmund steuerte gleich auf seinen Freund Heinrich zu. Andre und Andrea gingen in Richtung Fundort. Allerdings kam Edmund nicht weit, denn er wurde sofort von Mitarbeitern der Presse aus der Region mit Fragen überschüttet. Abwehrend hob er die Hand und erklärte im ruhigen Ton: „Tut mir leid, ich kann im Moment noch nichts sagen. Ich bin doch eben erst eingetroffen. Bitte halten Sie meine Leute nicht von der Arbeit ab, die Zeit ist knapp“, und wies mit dem Daumen hinter sich auf die Gewitterfront. Er ließ die Presse mit unbeantworteten Fragen stehen und ging weiter.
„Guten Morgen, ich bin Hauptkommissar Schaft und leite die Ermittlungen in diesem Fall“, und er schüttelte Herbert Polle und seinen Kollegen die Hände. Edmund war heute früh schon um 08:00 Uhr in Hannover, um dort seinen Führerschein erneuern zu lassen und hatte deshalb seine Kollegen noch nicht gesehen.
Heinrich und Michael gaben einen kurzen Bericht von dem, was ihnen Herr Polle zuvor erzählt hatte.
„Vielen Dank Herr Polle. Sollen wir sie und ihren Vierbeiner nach Hause fahren?“
Edmund schaute auf den Hund und hoffte, dass seine Frage verneint wurde. Es war ein Labrador und das sonst hellbraune Fell war vom Buddeln auf dem Feld total verdreckt.
„Danke fürs Angebot, aber ich brauche nur knapp zwanzig Minuten zu Fuß nach Hause. Die kann ich gebrauchen, um auf andere Gedanken zu kommen.“ Sichtlich erleichtert atmete Michael aus, denn er hätte sonst die beiden fahren müssen.
Edmund, Michael und Heinrich verließen den Fahrradweg, überquerten die Landstraße, um zum Fundort zu gelangen. Herbert Polle ließ seinen Hund von nun an nicht mehr von der Leine und ging auf dem Radweg gemütlich nach Hause. Hasso war es egal, endlich konnte er wieder weiterschnuppern.
Inzwischen war der Tatort durch die Sichtschutzwände gut verdeckt. Die „Spusi“ war jetzt damit beschäftigt, vorsichtig um den Fundort Proben zu nehmen. Jens versuchte gemeinsam mit weiteren Beamten die Leiche langsam frei zu buddeln. Achim Bär feuerte seine Mitarbeiter an, schneller zu arbeiten: „Los beeilt Euch! Es dauert nicht mehr lange und hier steht alles unter Wasser. Die Regenfront kommt immer dichter.“
Er schaute verärgert zum Himmel und fluchte leise vor sich hin.
„Guten Morgen Juliane, kannst Du schon etwas zur Todesursache sagen?“, erkundigte sich Edmund, konnte jedoch den Fundort nicht ganz einsehen.
„Eins weiß ich bis jetzt, die Leiche ist tot.“
Erst als Edmund dichter herangetreten war, sah er, dass die Leiche noch nicht mal ganz ausgebuddelt war.
„Oh, entschuldige die dämliche Frage von mir, habe es nicht richtig gesehen.“
„Angenommen!“ Sie zwinkerte ihm freundlich zu.
„Gib mir wenigstens noch zehn Minuten, dann liegt er frei.“
„Er?“
„Ja, so wie ich es sehe, ist das die Hand eines Mannes, auch wenn sie zerfleddert ist. Mit einem Labrador, der Blut geleckt hat, möchte ich jedenfalls nicht kuscheln.“
„Okay, danke.“
Erstaunt stellte er fest, dass Juliane deutlich sportlicher und adretter aussah als vor einem Jahr. Nur gut, dass Andrea sich mit ihr regelmäßig, in der manchmal knappen Freizeit, zum Joggen verabredete. Edmund ging Achim ein bisschen entgegen. Die Spusi hatte den gesamten Verladeweg der Rübenmaus mit Absperrband umzäunt und angefangen nach ungewöhnlichen Dingen zu suchen.
„Hallo Achim, was habt Ihr bis jetzt herausgefunden?“
„Moin Edmund, bisher nicht viel. Das einzige Fundstück ist ein kleines Stückchen des Hemdsärmels, etwa fünfzehn Meter hinter dem Fundort. Ist vermutlich durch die Verlademaus mitgerissen worden. Zum Glück nur der Hemdsärmel, möchte mir nicht vorstellen, wenn eine abgerissene Hand auf den Anhänger verladen worden wäre. Sonst ist bis jetzt nicht viel zu finden, aber der nahende Regen wird wohl einiges vernichten.“
Edmund schaute sich um und rief Andrea und Andre zu sich.
„Ihr beide fahrt sofort dort hinten nach Linderte. Wie ihr seht, findet dort noch eine Verladung statt. Ich will den Namen des Fahrzeugführers der Rübenmaus haben. Kurze Aufnahme der Personalien, ob er etwas bemerkt hat usw., bevor er ganz weg ist!“
„Okay, Edmund“, bestätigte Andre und verließ mit seiner Kollegin den Fundort. Edmund winkte Heinrich zu sich.
„Heinrich, ich möchte wissen, wem dieses Feld gehört. Ich denke, der Besitzer weiß noch nicht, was hier los ist.“
„Da haben wir ein bisschen Glück gehabt und brauchten keine Anfrage an das Katasteramt machen. Herr Polle wusste, dass dieses Feld dem Landwirt Tobias Feile gehört. Ansässig in Holtensen. Telefonnummer und Adresse habe ich über die Zentrale erfragt und wollte ihn gerade anrufen.“
„Gut. Ruf ihn an! Ich will unbedingt mit ihm sprechen und am besten, er kommt gleich hierher.“
Heinrich wählte die Nummer, aber es meldete sich niemand, sodass der Anrufbeantworter nach einer Nachricht bettelte. Er hinterließ eine kurze Nachricht und seine Handynummer.
Zwei Minuten später klingelte sein Handy. Heinrich erklärte dem Landwirt in knappen Worten die Lage. Dieser gab als Antwort: „Alles klar. Ich bin gerade in Evestorf auf dem Feld. Ich komme sofort. Bis gleich.“
In den nächsten Minuten saß Edmund in seinem Wagen und versuchte sich zu beruhigen, um die wenigen Fakten, die sie bis jetzt hatten, in Einklang zu bringen. Plötzlich rief Juliane: „Edmund, die Leiche ist nun freigelegt. Ich habe etwas Gruseliges für dich!“
Als Edmund dichter an die freigelegte Leiche herantrat, wurde ihm schlecht. Juliane hatte ihn bis dahin noch nie so erschrocken gesehen. Jens wollte von jeder Position rund um die Leiche Bilder mit der Kamera machen, aber Juliane brauchte ihn nun an der Leiche. Somit übernahm es einer der Beamten der Spusi, die Aufnahmen zu machen.
„Du meine Güte, was ist denn das?“, erkundigte sich Edmund erstaunt. Heinrich und Michael blickten ebenfalls mit aufgerissenen Augen auf den Kopf der Leiche.
Juliane und Jens hoben vorsichtig den Kopf an. Dieser war mit einer durchsichtigen Gefriertüte komplett umschlossen und mit einem Kabelbinder am Hals verschlossen worden. Der Kopf war total schwarz. Das schwarze Zeug sah aus wie Teer. Es waren kaum Haare oder Augen innerhalb der Tüte zu erkennen. Es sah aus, als hätte der Körper einen schwarzen Luftballon als Kopf. Auch auf dem Hemd des Toten waren schwarze Flecken zu sehen.
Jens tippte mit dem behandschuhten Finger darauf. Um die Konsistenz zu testen, rieb er die schwarze, klebrige Masse zwischen Daumen und Zeigefinger. Danach roch er daran und stellte fest: „Zucker, in Form von Sirup, würde ich sagen“, und leckte an seinem Finger, „Echt lecker!“
Heinrich schüttelte sich, kniff die Augen kurz zusammen und drehte sich von der Leiche weg.
„Tatsächlich! Es ist Stipps“, bestätigte Jens. Doch Heinrich entfernte sich und gab dem schnell heranfahrenden Fahrer des Traktors ein Zeichen. Dieser parkte auf dem Feld und stieg aus. Heinrich begrüßte den Landwirt und beide gingen zum Fundort zurück. Sie kamen gerade an, als die Leiche aus dem Loch im Feld gehoben wurde.
Juliane untersuchte den Kopf weiter und verbesserte die Aussage von Jens mit den Worten: „Stipps mit Schuss, würde ich sagen. Denn der Tote hat leider, so wie ich es erfühlen kann, mindestens ein Loch in seinem Kopf.“
Als Tobias den Leichnam entdeckte, stotterte er: „Ach du Sch…Schei…, das ist ja Rainer!“
Tobias hatte ein flaues Gefühl im Magen. Der Tot seines Freundes Rainer lag dort wie ein zentnerschwerer Klotz herum. Er wollte eigentlich sofort seine Frau Katja anrufen, besann sich aber und brach den Anruf ab. Mit gesenktem Kopf saß er im Polizeiwagen und dachte an Rainer.
Nach dem Abtransport der Leiche erschien Edmund an der Tür und stellte sich kurz vor.
„So, nun habe ich endlich Zeit für Sie. Ich bin Hauptkommissar Schaft und ich leite die Ermittlungen in diesem Fall. Tut mir leid um Ihren Freund oder Bekannten.“
Tobias setzte sich aufrecht hin und schaute den Beamten erwartungsvoll an. Eigentlich war er in Zeitdruck, es ist schließlich Erntezeit.
„Schon okay, aber wie lange dauert es denn? Ich wollte heute Nachmittag anfangen den Acker, wo Rainer gelegen hat, umzupflügen, damit wieder neu eingesät werden kann. In meinem Beruf ist alles zeitlich genau getaktet.“
„Und ich habe einen Mord gründlich aufzuklären. Ich habe vorerst nur zwei Fragen, für die weiteren Fragen kommen meine Kollegen zu ihnen nach Hause“, entgegnete Edmund freundlich. Innerlich war er schon ein bisschen aufgewühlt über die kühle Antwort von Herrn Feile.
„Da sie vorhin den Vornamen gesagt hatten, kennen Sie also den Toten. Ich benötige seine Daten, Adresse und Telefon usw.“
„Kein Problem. Es ist Rainer Pflug, Junggeselle, wohnhaft in Holtensen. Wohnt zur Miete in der Bergstraße. Seine Handynummer habe ich hier, auch ein Bild, sogar mit demselben Hemd ist er darauf zu sehen. Wir sind gut befreundet, ach, befreundet gewesen, muss ich jetzt wohl sagen. Am kommenden Wochenende wollten wir zusammen meinen Geburtstag nachfeiern. Kann ich jetzt gehen?“
„Moment, die zweite Frage ist, wann haben sie Herr Pflug zum letzten Mal lebend gesehen?“
Tobias antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Ha, die Frage ist einfach, Donnerstag gegen 19:00 Uhr im Dorfgemeinschaftshaus. Dort war eine Informationsveranstaltung für Landwirte bezüglich des Themas „Preise für Zuckerrüben, neue Vertragsbedingungen und noch einiges mehr. Im Anschluss genehmigten wir uns noch ein kleines Bier“, antwortete Tobias. Heinrich öffnete die Seitentür des Bullys und schaute Edmund mit großen Augen an.
„Sollen wir jetzt hier weitermachen?“, frug Heinrich. Edmund überlegte kurz und nickte ihm zu.
„Eh, danke Herr Feile, mein Kollege Oberkommissar Hoelst kommt heute nochmal bei Ihnen vorbei. Wir sind jetzt auch ein bisschen in Zeitnot. Das nahende Gewitter spült uns sonst alle Beweise fort.“
Tobias schaute auf sein Handy und prüfte seinen Kalender.
„Reicht heute um 15:00 Uhr, da bin ich für eine halbe Stunde zuhause. Trotz Erntezeit brauche ich auch mal eine kleine Kaffeepause und muss den Volldrehpflug an den Traktor anhängen.“
Heinrich nickte Edmund zu, trug sich den Termin gleich ins Handy ein und sendete diesen auch an Michael weiter.
„Vorerst danke und bitte das Feld nur bis zu unserer Markierung umpflügen. Die Spurensicherung ist noch nicht ganz fertig!“
„Alles klar, dann pflüge ich erst das Feld nebenan um. Bis später.“
Er verließ den Bully und fuhr mit seinem Traktor auf das Evestorfer Feld zurück.
Die Spusi musste sich ranhalten, denn die Regenwolken kamen immer dichter aus Südwest heran und einige Blitze zuckten bereits in weiter Ferne. Achim feuerte seine Mannschaft an. Jens und Juliane waren schon, genauso wie die Leiche im Leichenwagen, unterwegs zur Medizinischen Hochschule Hannover. Andrea und Andre hatten ihre Befragung des Maschinenführers erfolgreich durchgeführt und meldeten sich bei Edmund zurück.
„Okay, bitte vorerst keinen Bericht an mich, helft lieber Achim und seinen Leuten bei der Spurenaufnahme in dem abgesteckten Bereich. Sonst schaffen wir es nicht, alle möglichen Beweise vor dem einsetzenden Regen zu retten. Und bei Gewitter will ich hier keinen mehr auf dem freien Feld rumlaufen sehen!“, ermahnte er die beiden Kommissare.
„Okay, machen wir“, bestätigte Andrea.
„Michael und Heinrich fangen am hinteren Ende an zu suchen“, und er wies mit dem Finger in die Richtung.
„Am besten, ihr geht auch dort mit hin und kommt mit ihnen langsam suchend zurück. Ich denke, wir haben noch ein bis maximal zwei Stunden Zeit, dann bricht hier sprichwörtlich die Hölle los.“
Die beiden nickten nur kurz und liefen auf dem Radweg auf Michael und Heinrich zu.
Achim winkte Edmund zu und rief: „Edmund, ich glaube, hier haben wir etwas Wichtiges gefunden.“ Edmund überquerte die Straße und erkundigte sich: „Was gibt es denn hier zu sehen?“, und suchte den Boden ab. Edmund konnte nichts Verdächtiges oder Auffälliges entdecken.
„Na hier“, und zeigte ihm die Stelle, indem er sich hinkniete.
„Ah ha“, kam es eher desinteressiert aus Edmunds Mund.
„Hier sind überall Abdrücke von Gummistiefelsohlen, aber dieser eine Abdruck ist mit relativ glatter Sohle, in der Vorwärtsbewegung zum Fundort. Sieht eher wie ein großer Turnschuhabdruck aus. Weitere Abdrücke gibt es nicht, da der Rübenroder und die Verlademaus mit ihren Auslegern darüber gerollt sind. Könnte ein Hinweis sein. Wir machen auf jeden Fall einen Gipsabdruck davon.“
„Prima, diesen Abdruck hätten wir nach dem Regen nicht mehr gefunden. Ich weiß schon, warum Du gern bei der Spusi arbeitest“, und lächelte ihn an. Achim machte eine Faust und streckte den Daumen hoch: „Und wie!“, bekräftigte er Edmunds Aussage.