Ruhrspione - Uwe Wittenfeld - E-Book

Ruhrspione E-Book

Uwe Wittenfeld

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Beschreibung

Die Stasi im Ruhrgebiet über ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall? Das kann doch nicht sein! Olga, Privatdetektiv aus Bochum, und ihre Mitarbeiter werden schnell eines Besseren belehrt. Sie erhalten einen Auftrag, indem es zunächst nur um einen mysteriösen Autounfall geht. Ein Bochumer Ehepaar, das eine Kunstgalerie in Düsseldorf betreibt, kommt dabei ums Leben. Als sie jedoch auf verschwundene Kunstwerke aus DDR-Zeiten stoßen, stecken sie mittendrin in den Machenschaften ehemaliger Mitarbeiter der Staatssicherheit. Ich dachte, Olga wollte uns auf den Arm nehmen oder einen schlechten Scherz machen. »Olga? Du hast gerade Stasi gesagt.« »Ja, habe ich. Du weißt, dass ich damit keine Witze mache.« »Du willst uns erzählen, die Staatssicherheit der DDR hat eine Kunstgalerie an der Kö in Düsseldorf gegründet?« »Genau so ist es, Hugo. Die Kunstwerke haben sie gleich mitgeliefert.«

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Hauptpersonen

Olga Paschke

Detektivin in Bochum, wird ihrem Leitspruch «Alles außer Mord!» ein weiteres Mal untreu.

Erwin Bosetzky

Bochumer Anwalt, der sich Skrupel bewahrt hat.

Hugo Koslowsky

fühlt sich wohl in Bochum.

Dr. Hajo Pulesko und Peggy Pulesko

ziehen vom Bodensee an die Ruhr und sterben dort.

Rosa und Florian Pulesko

wollen wissen, warum ihre Eltern sterben mussten.

KHK Wischewsky

sorgt für Recht und Ordnung in Bochum.

Maggie Morgensonne

blond und schön, aber alles andere als doof.

Claudia Greif

ist keine besonders freundliche Zeitgenossin.

Neuklober

ist Claudia Greifs Mann für das Grobe.

Professor Meierdirks

hat hässliche Flecken auf seiner scheinbar blütenreinen Weste.

Astrid

ist nicht die, für die sie alle halten.

Inhaltsverzeichnis

Bochum 2015 – Prolog unter Sternen

Teil 1: 1981-1989

Bregenz

Bochum - noha

Leipzig

Mühlenbeck 1989

Bochum 1989

Teil 2: 2015

Bochum – Ein Auftrag für Olga

Bochum - Café Fridolin

Bochum – Irish Pub

Düsseldorf – Königsallee

Bochum – Stasi reloaded

Potsdam - Ein Freund

Mühlenbeck

Berlin – Maggies Abschied

Köpenick

Halle an der Saale – Wiedersehen

Bochum - Der verlorene Bruder

Bochum - Lebensmüde

Bochum - Bodenhaftung

Halle an der Saale – Hotel Morgensonne

Düsseldorf – Anschlag

Köpenick – Schiffchentour

Bochum – Dicke Luft

Leipzig – Geständnis

Bochum – Kellergeheimnis

Bochum – Überraschungsbesuch

Bochum - Ein Besuch im Zoo

Bochum– Warteschleife

Teil 3

Essen - Weltkulturerbe Zollverein

Bochum – Rätselraten

Duisburg – frei

Świnoujście (Swinemünde)

Überraschungsauftrag

Astrid

Bochum - Olgas Büro

Bochum – Ich stelle mich

Bochum – Verhör

Mülheim an der Ruhr - Lagebesprechung

Düsseldorf

Die Chefin

Heringsdorf

Ahlbeck - Seebrücke

Ein letztes Telefonat

Knalleffekt

Krokodil am Strand

Nachwort

Bochum 2015 – Prolog unter Sternen

Er lag auf dem Rücken und schaute in den funkelnden Sternenhimmel. Den Großen Wagen mit dem Nordstern am Ende der Deichsel sowie das charakteristische ‹W› der Kassiopeia fand er mühelos. In knapp zwei Stunden würde die Sonne das faszinierende Schauspiel beenden und ein neuer Sommertag mit Hitze und Lärm beginnen.

Die Bewohner der Stadt lagen noch in ihren Betten. Es war kaum Verkehrslärm zu hören. Nur ein in der Ferne dahinfahrenden Güterzug verursachte ein quietschendes Geräusch in einem Gleisbogen. Er genoss die Ruhe, die kühle Frische und fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt. Damals war er oft nachts aus dem Fenster geklettert, um im Garten mit dem Rücken auf dem Rasen zu liegen und die Sterne zu beobachten.

Oft wünschte er sich, er könne noch einmal so unbeschwert in den Tag hineinleben. Aber hier war nicht Nimmerland, da half kein Peter-Pan-Syndrom, die Zeit war unentwegt vorangeschritten. Er kam sich oft vor, wie das kleinste und schwächste Zahnrad in einem sehr komplexen Mechanismus, dessen Sinnhaftigkeit ihm völlig unbegreiflich war. Diese Maschine steigerte von Tag zu Tag ihr Tempo. Nicht schwer vorauszusagen, welches Teil als erstes brechen und die Funktion einstellen würde.

Kurz vor Anbruch der Morgendämmerung war es so weit abgekühlt, dass ihn fröstelte. Der Rücken schmerzte, denn es war kein Gras, auf dem er lag, sondern harte Betonplatten. Der Kopf fühlte sich an, als sei er komplett mit Watte ausgestopft, in der die Gedanken nur langsam vorankamen und sich dabei immer wieder verhedderten.

Die Müdigkeit gewann schließlich die Oberhand. Er fiel in einen unruhigen Schlaf.

Es war bereits Mittagszeit, als das Martinshorn eines Rettungswagens ihn aus einem grauenvollen Albtraum herausriss. Er war auf der Flucht, rannte durch die Straßen der Innenstadt und hörte Schritte hinter sich. Wer jagte ihn und warum? Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Sein völlig durchgeschwitztes Hemd klebte auf der Haut. Schwer zu sagen, ob der Traum oder die Hitze der realen, schon hoch am makellos blauen Himmel stehenden Sonne die Ursache war. Mühsam sortierte er die schmerzenden Gliedmaßen. Unter Anstrengung gelang es ihm, langsam aufzustehen. Das war wiederum für den Kopf besonders unvorteilhaft. Aus dem wattigen Gefühl waren veritable Kopfschmerzen geworden. Es war anzunehmen, dass daran sein achtzehnjähriger schottischer Freund Glenmorangie nicht ganz unschuldig war. Der Feigling hatte sich verdrückt. Nur eine leere Flasche erinnerte noch an ihn. Er widerstand dem Verlangen, diese in hohem Bogen über das Geländer zu schleudern. Langsam schlurfte er zur Brüstung, lehnte sich auf das Edelstahlrohr und schaute in die Tiefe.

Verkehrslärm drang von der knapp 90 Meter unter ihm liegenden Universitätsstraße empor. Die Autos und Busse sahen von hier oben aus, als wenn sie nur auf einer Modelleisenbahnanlage existierten. Die Straßenbahnen fuhren schon seit Jahren als U-Bahn im Untergrund, nur noch ein paar Gleisreste vor dem ehemaligen Depot auf der anderen Straßenseite erinnerten daran.

Am Rand des Abgrundes, gesichert durch Glasscheiben und ein Edelstahlgeländer, blickte er auf diese Stadt, die auch zu seiner geworden war, mit ihrem kratzbürstigen Charme und der trostlosen Architektur. Immerhin war das Gebäude, auf dessen Dach er sich befand, eine Ausnahme. Gebaut auf einem alten Hochbunker aus dem 2. Weltkrieg ragten 15 Stockwerke in den zur Zeit blauen Himmel über der Ruhr. Der Grundriss der Etagen hatte die Form eines Excenters, wobei immer fünf die gleiche Lage hatten und die nächsten fünf etwas verdreht waren. Von Weitem erinnerte die Konstruktion an einen Abschnitt einer riesigen Kurbelwelle.

Und jetzt? Noch vor einigen Wochen lief alles in ruhigen geregelten Bahnen, dann klappte das, was bisher seine Existenz ausgemacht hatte, zusammen wie ein Kartenhaus. Das kleine Zahnrad, das sein Leben symbolisierte, hatte aufgegeben. Er betrachtete nachdenklich die Reste des schottischen Freundes - und ließ ihn in die Tiefe stürzen.

Er war knapp über dreißig und stand an einem Punkt, wo ihm völlig unklar war, wie er weiterleben sollte. Er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er weiterleben wollte.

Immer wenn die Worte steckenbleiben,

immer wenn im Auge Wasser steht,

immer wenn wir durch die Dunkelheit uns treiben,

und verwirren lassen, bis es nicht mehr geht,

über Dir - über mir - dieselben Sterne.

(Element of Crime: Dieselben Sterne)

Teil 1: 1981-1989

1. Bregenz

Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, nach dem Abendessen mit dem Hund einen Spaziergang am See entlang zu machen. Der Golden Retriever wurde bereits ungeduldig, als das Geschirr abgeräumt wurde. Durch die Stadt schlenderten Herr und Hund zunächst zum Jachthafen, dann vorbei an den Ausflugsschiffen und der Fähre ins deutsche Lindau. In den Seeanlagen durfte der Vierbeiner ohne Leine umhertollen, wenn wenig Touristen unterwegs waren. Das Tier hatte einen sehr gutmütigen Charakter und stellte keine Gefahr für Menschen und andere Hunde dar.

Sie erreichten die Seebühne, auf der in diesem Sommer ‹Kiss me Cate› von Cole Porter aufgeführt wurde. Seine Frau versuchte bereits seit Jahren, ihn zu überzeugen eine Aufführung zu besuchen. Bisher war es ihm noch gelungen, sich erfolgreich davor zu drücken. Heute, wie immer bei gutem Wetter, kehrte Dr. Pulesko im Biergarten des ‹Wirtshauses am See› ein. Jetzt wollte er einfach in Ruhe ein frisch gezapftes Bier genießen und dazu eine Zigarre rauchen. Obwohl fast alle Tische frei waren, setzte er sich an einen am Rand der Restauration. Schon einige Male hatte er sich dumme Sprüche von anderen Gästen anhören müssen, die das Aroma einer echten Havanna nicht würdigen konnten und sich vom Rauch belästigt fühlten.

Er nahm die kubanische Spezialität aus der verschraubten Aluminiumverpackung und bohrte das Mundstück mit dem Zigarrenbohrer an. Nur Banausen schneiden das Ende ab. Mit dieser Bolivar Nr. 3, eine Placeras mit 13,5 mm Durchmesser und 125 mm Länge, würde er sich jetzt etwa eine halbe Stunde genießerisch beschäftigen. Manche Genüsse unterliegen keiner Mode und nicht mal einer Gesellschaftsordnung, denn diese Zigarre wurde schon vor der kubanischen Revolution hergestellt. Sein vierbeiniger Begleiter schlabberte unterdessen einen Edelstahlnapf mit Wasser leer, legte dann den Kopf auf den Boden, gähnte herzhaft und machte ein Nickerchen.

Die Havanna war noch nicht zur Hälfte in Rauch aufgegangen, als es unter dem Tisch leise knurrte. Ein Mann, der keine Kellnermontur trug, stand neben ihm. «Herr Dr. Pulesko, schön Sie zu sehen. Darf ich mich zu Ihnen setzen?»

Der Eindringling wurde von Herr und Hund genau inspiziert. «Wenn Sie mir freundlicherweise sagen, wer Sie sind und in welcher Angelegenheit Sie mich bei meinem abendlichen Rauchopfer zu stören gedenken.»

Zunächst schien der Fremde verwirrt angesichts dieser Begrüßung. Nach wenigen Sekunden hatte er sich aber wieder im Griff. «Ich bringe eine Nachricht vom großen Alexander», sagte er und versuchte ein zaghaftes Lächeln. Man hatte ihn darauf vorbereitet, dass Dr. Pulesko, um es vorsichtig auszudrücken, etwas verschroben war.

«Aha. Na wie schön, da sollte ich mich jetzt wohl gebauchpinselt fühlen», erwiderte Dr. Pulesko und blies einen Strom aromatischen Rauchs in Richtung des ungebetenen Gastes. Seine Miene zeigte deutlich, was er von dieser Störung hielt. «Ist die so dringend, dass sie nicht bis morgen warten kann? Ab zehn Uhr bin ich im Büro. Lassen Sie sich von meiner Sekretärin einen Termin geben.»

Der Mann war jetzt völlig verunsichert, nahm aber gegenüber von Pulesko Platz. «Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich noch nicht vorgestellt. Müller ist mein Name, Stefan Müller.»

«Wie Sie meinen, Herr Müller. Jetzt haben Sie mich sowieso schon gestört, dann sagen Sie, worum es geht und verschwinden dann wieder. Bin ich in der Hauptstadt in Ungnade gefallen?»

«Aber Herr Dr. Pulesko. Ganz im Gegenteil! Man ist sehr zufrieden mit dem, was Sie hier geleistet haben. Ich soll Ihnen von höchster Stelle zu Ihrer hervorragenden Arbeit bei der ‹Refinco Establishment Vaduz› gratulieren. Vor allem die Übernahme der Bochumer ‹noha GmbH› ist mit vollster Befriedigung von unserem gemeinsamen Chef zur Kenntnis genommen worden.»

«So. Ist sie das? Na, wenn Sie das sagen. Dann lassen Sie uns mal zum eigentlichen Anlass Ihrer Störung kommen. Ich weiß zwar, dass in unserem Land in Sachen Effektivierung von Arbeitsvorgängen noch einiges im Argen liegt. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Sie extra von Berlin nach Bregenz gereist sind, um mir diese Grüße zu überbringen. Gehe ich Recht in der Annahme, dass Sie eine weitere, eventuell unangenehme Überraschung im Gepäck haben?»

«Aber Herr Dr. Pulesko, warum denn gleich so misstrauisch? Sie haben hier eine Aufgabe hervorragend abgeschlossen.»

«Das sagten Sie schon. Nun lassen Sie mal die Katze aus dem Sack.»

«Es geht darum, dass Sie an anderer Stelle dringend benötigt werden.»

«Oh je. Jetzt geht das wieder los. Wissen Sie, ich fühle mich hier sehr wohl und bin der Meinung, dass ich in meinem jetzigen Job durchaus noch viel für unseren gemeinsamen obersten Chef in Berlin ausrichten kann. Aber, was ich selbst davon halte, ist wahrscheinlich unerheblich. Oder habe ich etwa ein Mitspracherecht?»

Statt eine Antwort zu geben, grinste ihn sein Gegenüber nur an und sprach weiter. «Die Herren in der Hauptstadt haben beschlossen, dass Sie der richtige Mann sind, um die zukünftige Entwicklung der von Ihnen komplett übernommenen Firma ‹noha GmbH› in Bochum voranzubringen.»

«Muss ich mich jetzt gebauchpinselt fühlen? Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Sie schicken uns ins Ruhrgebiet? Denken Sie vielleicht auch mal an meine Familie?»

«Dr. Pulesko, ich bin nur der Bote. Mir ist schon klar, dass man am Bodensee gut leben kann. Mir würde es hier auch gefallen. Aber», er machte eine kurze Pause und schaute sein Gegenüber eindringlich an, «Sie können sich bestimmt noch erinnern, was Sie seinerzeit unterschrieben haben. Und - unter uns Pastorentöchtern - Sie wollen doch wohl nicht in die DDR zurück.» Er reichte einen DIN-A4-Briefumschlag über den Tisch. «Darin steht alles, was Sie brauchen. Besprechen Sie das bitte mit Ihrer Frau. Ich werde Sie in einigen Tagen kontaktieren.» Er stand auf und reichte seine Hand über den Tisch. «Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.»

Der Mann drehte sich um und verschwand in Richtung Seebühne. Der Hund entspannte sich, schlabberte den Napf leer und nahm wieder seine bevorzugte Schlafposition ein.

Zurück in die DDR wollte er auf keinen Fall. Das dekadente Leben im Kapitalismus hatte durchaus seine angenehmen Seiten. Seine Kinder waren im Westen aufgewachsen und sie sollten nicht ihr Leben in einem kleinen eingemauerten Land verbringen, in dem es an Allem fehlte. Falls er absagte, wäre ein trostloser Verwaltungsjob in Bitterfeld oder Leuna noch die beste Aussicht und an ein Studium seiner Kinder war nicht mehr zu denken.

Er konnte sich recht gut daran erinnern, wie er seinerzeit in die Mühle der Einheitspartei geraten war und schließlich beim Oberst der Staatssicherheit Alexander Schalck-Golodkowski und der beim Ministerium für Außenhandel angesiedelten ‹Kommerziellen Koordinierung› gelandet war. Als er sein Studium begann, war er bereits inoffizieller Mitarbeiter, sowohl aus Überzeugung, als auch aus Karrierestreben. Jetzt gab es keine realistischen Möglichkeiten mehr, die Mitarbeit aufzukündigen. Er wusste zuviel, um sich einfach absetzen zu können und im Westen ein neues Leben anzufangen. Sich dem Verfassungsschutz oder BND als Überläufer anzudienen, war keine Alternative. Vor dem langen Arm der Staatssicherheit waren er und seine Familie nirgendwo auf der Welt sicher.

«Bochum? Im Ruhrgebiet? Ist das dein Ernst? Ich war mit dir in Athen, in Stockholm und Wien, ohne mich zu beschweren. Irgendwann sollte das Normadenleben doch mal vorbei sein. Was ist das Problem daran, hier in Bregenz zu bleiben? Gibt es keine Arbeit mehr für dich in Lichtenstein? Meine Galerie läuft gut, Rosa geht es gut in ihrem Schweizer Internat. Immer, wenn wir uns irgendwo gerade eingewöhnt und ein paar Leute kennengelernt haben, die nicht zu deinem Verein gehören, müssen wir umziehen. Gut, dass die Freunde nicht wissen, dass sie erst von den Genossen in Berlin überprüft werden, bevor sie bei uns zum Kaffeetrinken kommen dürfen. Und jetzt sollen wir in den Kohlenpott? Warum nicht gleich Bitterfeld oder Leuna? Hast du eigentlich mal daran gedacht, dass Florian dieses Jahr in die Schule kommt?» Peggy Pulesko hatte sich in Rage geredet und stand mit rotem Kopf vor ihrem Mann.

«So schlimm ist es dort gar nicht. Besser als in Leuna oder Bitterfeld allemal.»

«Sehr beruhigend Hajo. Ich finde es aber schön hier und möchte gerne bleiben. Falls ich noch mal umziehe, dann höchstens wieder nach Berlin. Dein ‹großer Alexander› kann mich mal kreuzweise. Er wird doch noch andere Mitarbeiter haben, die gerne in den Westen wollen, auch wenn es nur der Kohlenpott ist.»

«Peggy, wir haben keine Wahl. Du weißt, was passieren kann, wenn wir uns weigern.»

«Die Genossen sind gnadenlos, das ist mir schon klar. Die schrecken vor nichts zurück. Du könntest höchstens überlaufen und wir lassen uns dann in einem Zeugenschutzprogramm vom BND bewachen.»

«Tolle Idee.»

Ihre Wut war mittlerweile in Resignation umgeschlagen. Tränen standen in ihren Augen.

«Ich weiß. Wir haben keine Chance», flüsterte sie. «Wir sind schließlich die Vorhut des Sozialismus im kapitalistischen Ausland.»

«Die Genossen haben auch an dich gedacht. Du bekommst eine neue Galerie.»

«Na super. Ich wollte immer schon mal eine Galerie in Bochum haben. Vielleicht mit Zweigstellen in Wanne-Eickel und Castrop-Rauxel. Da kann ich dann den Malochern die Kunst nahebringen.»

Jetzt mussten beide lachen.

«Nein, nicht in Bochum», sagte Hajo. «In Düsseldorf an der Kö, und zwar in bester Lage.»

Nun war sie doch überrascht. «Wie soll ich denn da gegen die Konkurrenz ankommen? Die Claims sind bestimmt längst abgesteckt.»

«Die ‹Kunst- und Antiquitäten GmbH› wird dafür sorgen, dass dein Geschäft gut läuft.»

Einen Moment schaute sie ihn fragend an.

«Wer soll das sein? Gehört die etwa auch zu dem Laden vom großen Alexander?»

«Ja. Sie ist eine Tochterfirma der ‹Kommerziellen Koordinierung›. Genau wie die ‹Refinco Establishment Vaduz›, für die ich hier arbeite und auch mein neuer Arbeitgeber, die Bochumer ‹noha GmbH›.»

«Na, da muss ich jetzt wohl begeistert sein», sagte Peggy mit einem Gesicht, als habe sie gerade in eine saure Zitrone gebissen. «Bin ich dann also bald ebenfalls Agentin? Bekomme ich eine Sonderausbildung in Kuba? Ich könnte dir ein paar Kisten Havannas mitbringen und vielleicht ein Autogramm von Fidel.» Ihr Lächeln missglückte gründlich, Tränen liefen über ihre Wangen.

2. Bochum - noha

Offiziell beschäftigte sich die ‹noha-Handelsgesellschaft mbH› mit dem Großhandel von Maschinen und Industrieartikeln sowie der Vertretung von Firmen aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsraum in der DDR. Westfirmen, die in die DDR liefern wollten, hatten saftige Provisionen zu zahlen. Inoffiziell wurden aber auch die Unterstützung der DKP und die Kommunikation mit Agenten der DDR über die Firma abgewickelt.

Für diese Geschäfte brauchte man weder Produktionsgebäude noch Lagerhallen. Folgerichtig residierte die Gesellschaft in einer nicht besonders großen, aber eindrucksvollen Villa an der Kurfürstenstraße in Bochum. Auf der anderen Seite der Straße breitete sich der Stadtpark aus.

Für den neuen Prokuristen aus Lichtenstein hatte die Firma ein repräsentatives Haus im besten Teil des Stadtteils Weitmar gekauft. Der Umzug der Familie Pulesko verlief völlig problemlos, die Spedition ‹VEB DEUTRANS› hatte alles perfekt geplant und ausgeführt.

Hajo stand zunächst vor dem Problem, seine maulende Frau und die Tochter, die bald ihr Schweizer Internat verlassen würde, zu besänftigen. Wenn sie schon aus Bregenz weggehen mussten, konnte auch er sich eindeutig reizvollere Ziele als ausgerechnet die ‹Blume im Revier› vorstellen. So nannte Herbert Grönemeyer Bochum in einem Lied, das zur Zeit dauernd im Radio zu hören war.

Sein Sohn Florian sollte dieses Jahr zur Schule kommen. Für ihn war der ganze Umzug ein großes Abenteuer. Den weiblichen Familienmitgliedern das Ruhrgebiet schmackhaft zu machen, war schon weitaus schwieriger. Er versuchte, mit dem kulturellen Angebot zu überzeugen. Das war in der Tat nicht zu verachten. Am Bochumer Schauspielhaus regierte Claus Peymann. Die Stadt hatte ein eigenes Symphonieorchester und zusammen mit den Nachbarstädten ergab sich eine kulturelle Vielfalt, die auf der ganzen Welt keine Entsprechung hatte. Die Reaktionen der Damen waren jedoch alles andere als enthusiastisch.

«Toll!», maulte seine Tochter. «Theater ist schön und gut, aber auch nicht tagefüllend. Kannst du mir vielleicht sagen, wo ich hier mal schicke Klamotten kaufen soll? Hier ist doch die totale Provinz. Habt ihr mal die Innenstadt besichtigt? So eine trostlose Einkaufsstraße habe ich lange nicht mehr gesehen. Da denkt man, der Krieg wäre erst seit Kurzem vorbei.»

‹Ich schon›, dachte Hajo. Die Kortumstraße ist kein städtebauliches Highlight, sieht aber immer noch weitaus besser aus, als die Zentren der DDR, die er ab und zu auf einer Dienstreise zu sehen bekam. Er behielt seine Gedanken für sich und sagte laut: «Zum Beispiel auf der Königsallee in Düsseldorf, wo deine Mutter demnächst eine eigene Galerie eröffnen wird. Da sind dann Tiffany, Gucci und Lagerfeld direkt nebenan.»

«Das glaube ich erst, wenn ich es sehe und das wird noch einige Zeit dauern, weil mich die Hüter der höheren Töchter spätestens in der nächsten Woche zurückerwarten.»

«Mal im Ernst Hajo», sagte seine Frau, «wann soll das mit der Galerie losgehen? Ich möchte hier nicht das Heimchen am Herd geben.»

«Der Mietvertrag ist unterschrieben, die Räume sind zum Ende des Monats frei und müssen anschließend nur noch renoviert werden. Dafür sollst du übrigens Vorschläge machen. Zum Anfang des übernächsten Monats kann dann die Einweihungsparty starten.»

«Was ist mit den Bildern?»

«Deine Bregenzer Kunstwerke sind bei einer Spedition eingelagert und in Berlin wartet eine Kiste mit weiteren Werken darauf, nach Düsseldorf transportiert zu werden.»

Am neuen Haus war wenig Kritik aufgekommen. Die freistehende Villa mit großem Garten bot bedeutend mehr Platz als ihre Wohnung in Bregenz. Es lag in einem sehr grünen Teil von Bochum-Weitmar mit einem schönen Blick auf das Ruhrtal. Die Idylle mit einem friedlich dahinfließenden Fluss und der Burgruine in Blankenstein hatte jedoch einen entscheidenden Mangel. Schaute man zu weit nach rechts, sah man die rauchenden Hochöfen der Hattinger Henrichshütte auf der anderen Ruhrseite. Aus großen Rohren lief Flüssigkeit in die Ruhr, die spätestens ab hier keine Trinkwasserqualität mehr hatte.

3. Leipzig

Herbert Richter hatte keine Erklärung dafür, dass er für 8.30 Uhr in das Polizeipräsidium bestellt worden war. Auf der Vorladung zur Kriminalpolizei hatte nur ‹Klärung eines Sachverhalts› gestanden. Aber als guter Staatsbürger und weil er wusste, dass die Staatsmacht sehr ungehalten reagieren konnte, wenn man ihr einen Wunsch abschlug, machte er sich um kurz nach sieben auf den Weg zur Straßenbahn.

Als er den Tatra-Wagen in der Nähe des Polizeipräsidiums verließ, wurde bei ihm zu Hause Sturm geklingelt. Seine Frau öffnete und sah sich zwei uniformierten Volkspolizisten und einigen Herren in Zivil gegenüber.

«Mein Mann ist nicht da.»

«Wissen wir», sagte der Polizist barsch und drückte ihr einen Durchsuchungsbeschluss in die Hand. Noch bevor sie eine Chance zum Lesen des Beschlusses gehabt hatte, schob er sie zur Seite und ließ die Zivilisten in das Haus. Auf der Straße war mittlerweile ein Barkas1 vorgefahren. Fahrer und Beifahrer begannen damit, Kisten aus dem Wagen auszuladen. Sie folgten Frau Richters ungebetenem Besuch in die obere Etage. Hier ging Herbert Richter seinem Hobby nach. Er war leidenschaftlicher Kunstsammler und hatte über fünf Jahrzehnte seine Schätze zusammengetragen. Die Herren nahmen alle Gemälde und Zeichnungen ab, fotografierten und begutachteten sie und stellten sie in mehreren Stapeln an die Wand. Die Kisten wurden heraufgetragen, und die Kunstwerke darin verstaut, nachdem sie in Seidenpapier eingeschlagen worden waren. Zum Schluss kamen noch die Plastiken in eigene stabilere Transportkisten.

Frau Richter wusste, dass es keinen Sinn hätte, sich dem Treiben zu widersetzen. Aber es fiel ihr schwer, zu sehen, wie hier die Früchte der Sammelleidenschaft ihres Mannes lieblos verpackt und abtransportiert wurden.

«Sie können doch nicht einfach ...»

«Gute Frau, wie Sie sehen, wir können!», unterbrach einer der Zivilisten. «Sie haben den Beschluss doch noch in der Hand.»

Die ganze Aktion hatte nicht einmal drei Stunden gedauert. Frau Richter stand mit Tränen in den Augen am Küchenfenster und sah, wie der Barkas mit den Bildern laut heulend in einer Qualmwolke aus Zweitaktabgasen verschwand. Gut, dass Herbert das nicht hatte mitansehen müssen.

Als er nach Hause kam, fiel sie ihm weinend in die Arme. «Was wollte die Volkspolizei von dir?»

«Sie haben gefragt, ob ich Kunstschätze von größerem Wert hätte und ob ich damit handele. So ein Quatsch. Ich bin Sammler. Es geht mir doch nicht darum, mit der Kunst Geld zu verdienen. Du weißt, dass ich nie ein Werk verkauft habe.»

Seiner Frau liefen jetzt die Tränen.

«Was ist los? Ist etwas passiert, als ich weg war?»

Ihr fehlten die Worte. Sie zog ihn hinter sich her, die Treppe hinauf.

In der Tür blieb er mit offenem Mund stehen. Die ‹Galerie›, wie er den Raum immer nannte, war fast kahl. Nur dunkle Rechtecke an der Wand und Reste von Seidenpapier, das es eigentlich in der DDR nicht gab, konnte man noch erkennen.

«Diese Schweine! Die wollten mich nur aus dem Haus locken.» Seine Frau drückte ihm den Durchsuchungsund den Beschlagnahmebeschluss in die Hand. Sie hatte Angst, dass er jetzt völlig ausrasten würde. Sie kannte ihn gut.

«Das lass ich mir nicht gefallen. Und wenn ich bis Honecker gehen muss. Das ist Unrecht.»

Es war Unrecht, sogar nach DDR-Gesetzgebung. Aber ganz gleich, wen er auch anrief und wo er sich beschwerte, niemand wollte ihm zuhören. Eines Tages brachte der Postbote ein Einschreiben. Richter wurde vorgeworfen, gegen die Zoll- und Devisengesetzgebung der DDR verstoßen zu haben, weil er illegal mit Kunst- und Antiquitäten gehandelt habe. Er wurde aufgefordert, Steuerschulden in Höhe von über drei Millionen Mark der DDR innerhalb von zwei Wochen zu begleichen.

Natürlich konnten die alten Herrschaften diesen astronomischen Betrag nicht aufbringen und mussten die Kunstwerke zur Verwertung durch den Staat freigeben. Herbert Richter wollte sich mit dem Unrecht nicht abfinden und protestierte bei allen Stellen, von denen er Unterstützung erhoffte.

Schließlich wurde er zu einer solchen Nervensäge, dass er auf Anweisung des ‹Ministeriums für Staatssicherheit› in die Psychiatrie eingeliefert wurde, ohne dass jemals eine Diagnose erstellt wurde. Nach drei Jahren in einer geschlossenen Anstalt verstarb er, seine Kunstwerke hatte er niemals wiedergesehen.

4. Mühlenbeck 1989

Alle paar Monate fuhr Peggy Pulesko zur ‹Kunst- und Antiquitäten GmbH› in Mühlenbeck, um sich einen Überblick über die momentan dort eingelagerten Kunstwerke zu machen und für ihre Galerie einzukaufen. Mittlerweile hatte sie weitere Quellen akquiriert, aber keine war so preiswert wie diese hier.

Wie immer wurde sie von Claudia Greif herumgeführt, die ihr die neusten Werke zeigte und den angestrebten Preis nannte. Auf einer Liste kreuzte sie die für sie interessanten Werke an und schrieb einen Preis dazu, den sie bereit war zu zahlen. Der wich teilweise erheblich vom veranschlagten ab. Ein Kunstsachverständiger schien nicht der Urheber dieser Preisliste zu sein. Es machte vielmehr den Eindruck, als wenn die Bilder hier zu einem festen Quadratmeterpreis verscherbelt werden sollten. Es wunderte sie, dass auch Kunst- und Antiquitätenhändler aus dem sogenannte nichtsozialistischen Wirtschaftsraum hier auf Einkaufstour waren. Schon auf dem Hof fielen ihr die Transporter aus Westdeutschland, den Niederlanden und Belgien auf.

Die Stimmung in Mühlenbeck machte im Sommer einen gespannten Eindruck. Die politische Situation warf auch hier ihre Schatten voraus. Ihre Verhandlungen hinsichtlich des Preises waren in kaum fünf Minuten beendet, da Frau Greif anders als sonst sämtliche Angebote anstandslos akzeptierte. ‹Ihr habt hier alle die Panik, dass es euch bald an den Kragen geht›, dachte Peggy. ‹Verdient habt ihr es.› Auf der anderen Seite war sie dann natürlich einer wichtigen Quelle für Kunstwerke beraubt.

Der Abtransport der Werke erfolgte in einem Kleintransporter der staatseigenen Spedition und sie kontrollierte persönlich die Verpackung und Verladung der von ihr erstandenen Werke. In der Lagerhalle ging es völlig chaotisch zu und sie benötigte eine geraume Zeit, jemanden zu finden, der ihre Werke transportsicher verpackte und in den Transporter schob. Überall standen weitere Kisten und verpackte Bilder herum. Auf der Verpackung befand sich jeweils ein handgeschriebener Zettel der Aufschluss über die Werke und deren Preis gab.

«Sind das ihre Bilder?»

Sie musste sich erst umdrehen, um zu merken, dass sie gemeint war. «Entschuldigen Sie bitte.» Sie zeigte auf den Stapel ihrer erstandenen Werke.

«Haben wir alles oder kommt noch etwas dazu?»

Sie dachte nicht lange nach, sondern sagte spontan: «Nein, noch nicht.» Sie zeigte auf drei weitere Kisten. Sie hatte eben gesehen, dass es sehr wertvolle Werke waren, die zudem gut in ihr Programm passten. «Die drei gehen auch noch mit.»

«Alles klar, Gnädigste. Die Papiere haben sie ja schon bei Frau Greif fertiggemacht.»

«Ist alles bereits erledigt.»

«Dann sag ich mal Tschüss.»

«Tschüss.»

Sie machte, dass sie die Halle verließ. Wenige Tage später wurden vier Kisten mit Kunstwerken in Düsseldorf angeliefert.

5. Bochum 1989

Man musste kein Prophet sein, um sich große Sorgen um die Zukunft des kleinen, eingemauerten Staates DDR zu machen. Mal davon abgesehen, dass dessen Volk in der Mehrzahl froh sein würde, wenn dieses Land endgültig von der Landkarte verschwinden würde. In Moskau wehte bereits der ‹Wind of Change›, seitdem Gorbatschow Generalsekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Partei der Sowjetunion war. Nur in der Hauptstadt der DDR schien sich nichts geändert zu haben. Das Land wurde weiterhin von alten verknöcherten Männern mit ihrem Staatsapparat der Bevormundung und Bespitzelung regiert, die vor nichts mehr Angst hatten, als vor der Änderung des Status quo. Die bevormundeten Arbeiter und Bauern, die dem realen Sozialismus am liebsten sofort den Rücken kehren wollten, wurden zunehmend unzufriedener und trauten sich schließlich, sogar auf der Straße lautstark zu protestieren. Die wirtschaftlichen Probleme hatten groteske Ausmaße angenommen, die nicht einmal ein Alexander Schalck-Golodkowski mit seinen Devisenschiebereien noch vertuschen konnte. Es grenzte fast an ein Wunder, dass die DDR sich quasi auflöste, ohne dass auch nur ein einziger Schuss abgefeuert wurde.

Hajo und Peggy Pulesko waren sich schon lange vor der Wende sicher, dass der Staat, für den sie arbeiteten, bald zu einer Randnotiz der Weltgeschichte werden würde. Die Frage war nur, ob es zu einem friedlichen oder einem gewaltsamen Ende käme. Und vor allem: Was würde aus ihnen werden? Sie hatten sich so an das Leben im Westen gewöhnt, dass der ausfallende Sieg des Sozialismus ihnen völlig egal war. Aber sie wollten auch die Zeit nach der DDR ihr Auskommen haben und in Freiheit leben. Als Mitarbeiter der Staatssicherheit war jedoch zu befürchten, dass sie eines Tages zur Rechenschaft gezogen würden. Die Kinder hatten nie erfahren, dass sie für den anderen deutschen Staat arbeiten und das sollte auch so bleiben.

Hajo fragte sich, warum er nie vom Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst kontaktiert worden war. Es lag doch auf der Hand, dass seine Firma von der westlichen Konkurrenz des ‹VEB Horch-und-Guck› beobachtet wurde. Schließlich sorgte die ‹noha GmbH› dafür, dass bundesdeutsche Hochtechnologie in den Osten verkauft wurde. Er mutmaßte, dass es in der ‹noha GmbH› einen Doppelagenten gab, der nicht nur für die Stasi, und für die arbeiteten sie alle, sondern der auch auf der Lohnliste der Westdeutschen oder der westlichen Alliierten stand. Er hatte jedoch niemals erwartet, dass ausgerechnet sein Chef Beziehungen zum Verfassungsschutz hatte. Erst nach der Wende sollte er erfahren, dass ihm der Prozess gemacht wurde und er wegen Steuerhinterziehung zugunsten der SED in das Gefängnis musste. Der Richter sagte in der Verhandlung: ‹Er wollte wohl Freunde auf beiden Seiten haben›. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat sich in dieser Sache nie geäußert.

Die Puleskos beschlossen noch rechtzeitig vor der Wende, alles Material, was sie in Verbindung zum MfS bringen konnte zu vernichten. Sie hofften, dass die Unterlagen in Berlin, die sie betrafen, nicht vor dem Reißwolf gerettet worden waren. Peggy war als offizielle Besitzerin der Galerie nicht besonders gefährdet. Veröffentlichungen über eine Zusammenarbeit mit DDR-Organen hätten ihrem Renommee aber durchaus schaden können. Im Chaos der Wendezeit im Spätsommer 1989 ergriff Hajo die Chance, einfach zu kündigen. Es war nicht mehr zu befürchten, zumindest hoffte er es, dass das MfS noch die Energie hätte, sich um ihn zu kümmern. Da die Galerie mittlerweile auch ohne die Verkäufe der ‹Kunst- und Antiquitäten GmbH› ordentliche Gewinne abwarf, ließ er sich von seiner Frau als Buchhalter einstellen.

«Wo du jetzt mein Buchhalter bist, muss ich dir noch etwas beichten.»

«Oje, was kommt jetzt?»

«Ich habe unseren Staat beklaut.»

«Steuerhinterziehung? Was hast du nicht angegeben?»

«Nein. Ich habe den Staat richtig beklaut. Aber nicht die Bundesrepublik, sondern die DDR.»

Hajo schaute seine Frau halb fragend und halb belustigt an.

«Da bin ich ja mal gespannt, was du dem Pleitestaat geklaut hast,» sagte er.

«Ich war doch im Sommer noch mal in Mühlenbeck um ein paar Bilder zu kaufen.»

«Ja, und?»

«Beim Einladen habe ich dann einfach ein paar zusätzliche Kisten in den Transporter laden lassen. Ich hatte genug Zeit, um mir einige Kisten mit wertvollem Inhalt auszusuchen. Der Typ im Lager wusste von nichts und ich glaube, sonst hat keiner was gemerkt. Man merkte schon das aufkommende Chaos.»

«Ich bin also mit einer Kriminellen verheiratet, die sich am Eigentum des Volkes bereichert hat.» Hajo lachte. «Sind die Bilder wertvoll? Wo sind sie überhaupt?»

«Sie sind sehr wertvoll. Wenn ich die verkaufe, können wir mindestens ein Jahr auf Weltreise gehen. Sie lagern in der Galerie.»

«Da müssen sie weg.»

«Lass mich überlegen. Mir wird schon etwas einfallen. Seh es einfach als Notreserve für schlechte Zeiten.»

«Das du das so locker siehst.»

«Muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?»

«Du bist ein Volksschädling.»

Beide lachten.

1 Kleintransporter aus DDR-Produktion

Teil 2: 2015

1. Bochum – Ein Auftrag für Olga

Ich klingelte an Olgas Bürotür mit dem etwas kitschigen Messingschild. Allerdings hatte ich es ihr vor zwei Jahren selbst anfertigen lassen und ihr zusammen mit Jenny zur Eröffnung der Detektei geschenkt hatte.

Olga and Friends

Private Ermittlungen

Bochum – Dresden

Inhaberin: Olga Paschke

Zu den Friends gehörte ihr Büronachbar und Anwalt Erwin, Jenny, die in Dresden wohnte und ich.

«Hallo Hugo, komm rein», begrüßte Olga mich mit einer kurzen Umarmung.

Sie lebte nun schon einige Jahre im Ruhrgebiet, aber man hörte ihr ihre sächsische Herkunft weiterhin deutlich an.

«Erwin ist wohl noch eine Zeit lang beschäftigt. Da sitzen scheinbar zwei ausgesprochen anstrengende Klienten bei ihm.»

«Kein Problem», antwortete ich. «Ich habe heute nichts mehr vor, außer mit meinen Lieblingsbochumern ein Bierchen zu trinken.»

«Schade. Ich wäre gerne mitgegangen, aber ich wohne in Mülheim. Vielleicht nehmt ihr mich mit, weil ich in Bochum arbeite.»

«Wenn du mir erlaubst, deine Hightech-Kaffeemaschine in Betrieb zu setzen, damit sie mir aus den von mir bevorzugten, in Italien verfeinerten, südamerikanischen Bohnen einen köstlichen Café Creme zaubert, werde ich deinen Antrag wohlwollend unterstützen.»

«Mach mir bitte auch einen.»

Drei Minuten später standen zwei gefüllte Tassen auf dem Tisch.

«Wie läuft denn die Schnüffelei? Hast du viel zu tun?», fragte ich, nachdem wir es uns gemütlich gemacht hatten.

«Zur Zeit ist es wirklich überwiegend Rumgeschnüffel. Untreue Ehemänner, klauende Angestellte und ähnlich spannende Sachen.»

«Nach dem Auftakt mit Mord und Totschlag bei deinem ersten Fall, ist eine ruhige Phase vielleicht gar nicht mal so schlecht.»

«Na ja, irgendwann wird es aber auch langweilig, irgendwen zu beobachten. Kennst du noch diese witzige, allerdings scheinbar völlig erfolglose Fernsehserie ‹Alles außer Mord›? Ich wollte damals schon das Schild an der Tür um den Spruch erweitern. Das Problem hat sich aber dann nicht mehr gestellt. Jetzt sitze ich die meiste Zeit mit dem Tele im Anschlag und der Thermoskanne im Auto.»

«Vermisst du deinen alten Job als Buchhalterin?»

Sie schaute mich völlig entgeistert an. «Bist du wahnsinnig, Hugo. Besser im kalten Wagen mit der Thermoskanne und der Kamera im Anschlag, als zwischen Akten im gut geheizten Büro. Wenn ich mal schlechte Laune habe, klopfe ich einfach bei Erwin und trinke mit ihm einen Kaffee.»

«Hat er denn keine Aufträge für dich?»

«Doch.» Sie grinste. «Untreue Ehemänner und klauende Angestellte.»

Wie auf Kommando klopfte es an der Verbindungstür zum Nachbarbüro. Erwin öffnete die Tür und hatte noch einen Mann und eine Frau im Schlepptau.

«Hallo Hugo. Olga, die zwei hier können Hilfe von dir und wahrscheinlich auch von Hugo gebrauchen.»

Ich grinste Olga an, sie zwinkerte mir zu.

Nachdem wir uns alle um den großen runden Tisch niedergelassen hatten, stellte Erwin uns vor. «Das ist Olga Paschke, die beste private Ermittlerin des ganzen Ruhrgebiets. Wir haben bereits etliche Male gut zusammengearbeitet.» Er deutete auf mich. «Hugo Koslowsky ist ein guter Freund, sowohl von Olga als auch von mir. Wenn er nicht gerade irgendwelchen Computernerds die Feinheiten der Programmierung beibringt, hilft er uns bei besonders verzwickten Fällen und er ist ein Zauberer an der Kamera.»

Erwin zeigte jetzt auf die beiden, die er mitgebracht hatte. Sie war groß, schlank und gestylt, als wäre sie direkt einem Modemagazin entstiegen. Trotz alledem rief ihr Anblick keineswegs den Eindruck eines Modepüppchens hervor. So sah eine erfolgreiche Geschäftsfrau aus. Sie hatte einen offenen Blick und musterte uns mit ihren großen blauen Augen. Ihr Alter schätzte ich auf Anfang bis Mitte der 40. Ihr Begleiter war dagegen sportlich leger gekleidet und mochte etwa zehn Jahre jünger sein, als sie. Das Gesicht, vor allem die Nase und die Augenpartie der Zwei wiesen so viele Ähnlichkeiten auf, dass ich sie sofort für Geschwister hielt.

«Das hier sind Rosa und Florian Pulesko», stellte Erwin die Beiden vor. «Sie haben vor Kurzem ihre Eltern verloren und mir ist die Funktion des Testamentsvollstreckers zugefallen».

«Wieso bist du Testamentsvollstrecker?», fragte ich ihn erstaunt. «Ist das nicht die Aufgabe des Amtsgerichts oder eines Notars?»

«Das ist prinzipiell völlig richtig, Hugo. Die Erblasser haben als Vollstrecker Notar Maiers beauftragt, der leider im letzten Jahr nach schwerer Krankheit verstorben ist. Wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und als abzusehen war, dass er nicht mehr lange arbeiten kann, hat er einen Teil seiner Klienten an mich abgetreten. Auch die Puleskos haben auf seine Empfehlung hin bestimmt, dass ich an seiner Stelle die Aufgabe übernehmen soll, falls er vor ihnen verstirbt.»