Safe House - Chris Ewan - E-Book

Safe House E-Book

Chris Ewan

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Beschreibung

Du hast es nur geträumt. Rob Hale erwacht im Krankenhaus. Motorradunfall. Als er sich besorgt nach seiner Mitfahrerin erkundigt, erntet er verwirrte Blicke: Er war lange bewusstlos. Vielleicht belastet ihn ja der Selbstmord seiner Schwester noch. Ein zweites Unfallopfer hat es jedenfalls nicht gegeben. Rob zweifelt an sich selbst. Er kann sich doch genau erinnern, wie er das Mädchen kurz vor dem Unfall in dem einsamen Haus auf der Isle of Man kennengelernt hat; es war eine seltsame Begegnung. Lena hieß sie. Dann taucht Rebecca auf. Früher, sagt sie, war sie beim MI5. Sie will ihm helfen. Doch wer hat sie beauftragt? Und zwar schon vor dem Unfall? Rob weiß nicht, wem er noch trauen kann. Wer garantiert nicht sein Freund ist, wird er indes bald schmerzhaft erfahren … «Dieser phantastische Thriller des neuen Krimistars präsentiert eine der besten Krimiheldinnen seit langem.» (Spectator) «Ein fabelhaft konzipierter Thriller.» (Publishers Weekly, Starred Review) «Dieser intelligente und nervenaufreibend spannende Thriller entlarvt die Isle of Man als Herz der Dunkelheit.» (Telegraph) «Ein aufregender, souverän geschriebener Thriller.» (S.J. Bolton) «Ein toller Cocktail aus Plot-Twists, Spannung und Intelligenz, gemixt von einem begnadeten Erzähler.» (Michael Ridpath) «Ein extrem temporeicher Thriller, der mit Lichtgeschwindigkeit abgeht und mit zahlreichen Wendungen und seinem faszinierenden Setting eine phantastische Urlaubslektüre abgibt.» (Guardian)

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Seitenzahl: 535

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Chris Ewan

Safe House

Thriller

Aus dem Englischen von Joachim Bartholomae

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Dieses Buch wäre ...WidmungWissenswertes über die Isle of ManAn den Sturz kann ich mich …Teil eins1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. KapitelTeil zwei9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. KapitelTeil drei35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. Kapitel54. Kapitel55. Kapitel56. Kapitel57. Kapitel58. KapitelFünf Wochen späterAmsterdamDanksagung
[zur Inhaltsübersicht]

Dieses Buch wäre nicht zustande gekommen ohne die Unterstützung und den Rat meiner großartigen Agentin Vivien Green, meine wunderbaren Lektorinnen Katherine Armstrong und Hope Dellon und meine schöne Frau Jo, die mich mit dem Versprechen immerwährenden Sonnenscheins auf die Isle of Man lockte und die ich in Wind, Regen, Nebel und Schnee nur umso mehr liebe.

Wissenswertes über die Isle of Man

Die Isle of Man liegt inmitten der Irischen See, in etwa auf halbem Weg zwischen dem Lake District und Nordirland. Die Insel ist selbstverwaltet, hat ihr eigenes Parlament und eigene Gesetze und auch eine eigenständige Polizei.

 

Jedes Jahr findet auf der Isle of Man von Ende Mai bis Anfang Juni für vierzehn Tage das TT, das Tourist-Trophy-Motorradrennen statt. Die Rennstrecke von 60,7 Kilometern auf öffentlichen Straßen gilt als eine der spektakulärsten und gefährlichsten der Welt. Die erfolgreichsten Teilnehmer erreichen Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 320 Stundenkilometern und Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 210 Stundenkilometern.

 

Die Insel ist 52 Kilometer lang und 22 Kilometer breit und hat 80000 Einwohner; niemand von ihnen dient einer der Figuren dieses Buchs als Vorbild.

An den Sturz kann ich mich kaum erinnern. Alles ging so schnell. Wie das bei Motorradunfällen nun einmal ist. Am besten im Gedächtnis geblieben sind mir die Geräusche. Erst ein lauter Knall, dann ein Rumpeln. Ein dumpfer Schlag, als die vordere Radaufhängung brach. Das Kreischen des Motors, als sich das Hinterrad aufbäumte und mich über den Lenker warf.

Und ich erinnere mich an Lenas Schrei. Wie sich ihre Hände in meine Seiten krallten, bevor sie wegrutschten. Das Krachen, als unsere Helme zusammenschlugen.

Zumindest glaube ich, dass es so war.

[zur Inhaltsübersicht]

Teil eins

1

Die Ärztin war jung. Zu jung. Sie sah blass und erschöpft aus, als könnte auch ihr ein Krankenhausaufenthalt nicht schaden. Sie hatte tiefe Ringe unter den Augen, und die Hände, in denen sie meine Patientenakte hielt, zitterten, während sie so konzentriert darin las, als wäre es ein Theaterstück, das sie auswendig lernen musste. Sie bewegte stumm die Lippen.

«Sie hatten einen Motorradunfall.» Sie blickte mich an, und die Brillengläser vergrößerten ihre geröteten Augen.

Ich zog mir die Sauerstoffmaske vom Mund. «Echt? Was Sie nicht sagen.»

«Sie waren bewusstlos.»

Ich schluckte. Mein Hals fühlte sich rau und geschwollen an. Ein Schlauch führte durch die Nase dort hinunter. «Wie lange?»

Sie sah zu einer Uhr in der Ecke des Zimmers. Schrieb etwas in meine Akte. «Sie waren fast sieben Stunden weg. Bevor Sie das erste Mal aufwachten.»

Sieben Stunden. Meine Maschine war wohl ins Schleudern geraten. Das war Gott weiß nicht mein erster Unfall, aber wahrscheinlich mein schwerster.

«Wie meinen Sie das – das erste Mal?», fragte ich.

«Wissen Sie das nicht mehr?»

Ich legte meinen Kopf auf dem Kissen zurecht. Der Schlauch zerrte am Nasenflügel.

«Macht nichts. Das ist ganz normal. Ich bin Doktor Gaskell. Wir hatten vor neunzig Minuten schon einmal das Vergnügen. Da waren Sie aber nur einen ganz kurzen Augenblick wach.»

Ich zermarterte mir das Hirn, aber da war nichts. Meine Sicht war verschwommen, als hätte mir jemand Vaseline auf die Augäpfel geschmiert. Ich blinzelte, und das Zimmer kippte nach rechts.

«Keine Angst, ich bin nicht beleidigt. Kurzzeitiger Gedächtnisverlust kommt bei traumatischen Kopfverletzungen häufig vor.»

«Traumatisch?»

«Versuchen Sie, sich zu entspannen, Mr. Hale. Schlafen Sie, wenn Sie können. Am besten besprechen Sie das alles morgen früh in Ruhe mit dem Spezialisten.»

«Erklären Sie es mir jetzt. Bitte.»

Sie runzelte die Stirn. Rückte die Brille zurecht.

«Wo ist das Problem?», fragte ich. «Meinen Sie, ich vergesse es wieder?»

Sie nagte an ihrer Lippe, als dächte sie nach, dann kam sie um das Bett herum, nahm mir die Sauerstoffmaske aus den Händen und setzte sie mir wieder auf Mund und Nase. Sie zog eine kleine Taschenlampe aus der Kitteltasche und leuchtete mir in die Augen.

«Ist das unangenehm?», fragte sie.

«Tut weh.» Meine Stimme klang dumpf. Mein Atem kondensierte auf der Innenseite der Maske.

«Sie sprechen etwas undeutlich. Ist Ihnen schwindlig? Verschwommene Sicht? Übelkeit?»

«Alles drei.»

Sie nickte. «Wenigstens für ein paar Tage müssen Sie im Krankenhaus bleiben. Sie hatten schon eine Computertomographie, und vielleicht machen wir auch noch Kernspin. Wir müssen beobachten, ob sekundäre Schwellungen auftreten. Das ist ganz gut so, dadurch haben wir Zeit, um uns um ihre anderen Verletzungen zu kümmern.»

Der schwach beleuchtete Raum hinter ihr wurde dunkler und dunkler, und von den Seiten meines Gesichtsfelds breiteten sich Schatten aus. Ich versuchte, mich aus eigener Kraft aufzusetzen, aber jemand stach mir in den Rücken. Ich stöhnte auf und sackte zurück.

«Vorsicht. Ihr linkes Schulterblatt ist gebrochen.» Sie legte die Hand auf meinen Arm, damit ich liegen blieb. «Kein vollständiger Bruch. Mehr ein Riss. Es wird etwas dauern, bis er heilt. Morgen wird eine Krankenschwester Ihnen den Arm in eine Schlinge legen.»

Ich drehte den Kopf zur Seite und sah, dass mein Brustkorb verbunden war, unter der Achsel hindurch und über das Schlüsselbein. Eine gebrochene Schulter. Es konnte Wochen dauern, bis ich wieder etwas tragen konnte. Monate bis zur vollen Beweglichkeit. Ich hatte Angst vor den Auswirkungen auf mein Geschäft. Einarmige Heizungsmechaniker sind eher eine Seltenheit. Die Aussichten für die kommende Rennsaison waren vermutlich noch schlechter. Gut möglich, dass sie für mich schon vorbei war, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

«Sie haben sich auch ein paar Rippen geprellt», sagte sie. «Aber davon abgesehen hatten Sie Glück. Ein paar hässliche Schürfwunden an der linken Seite, aber Becken, Knie und Knöchel sind unverletzt. Wie durch ein Wunder auch keine gebrochenen Finger. Ich habe schon Schlimmeres gesehen.»

Ich wusste nicht, ob ich ihr glauben sollte. Mein Gesichtsausdruck muss mich wohl verraten haben.

«Ich bin vielleicht Assistenzärztin, Mr. Hale, aber wir sind hier auf der Isle of Man. Ich habe schon mehr als genug Motorradunfälle behandelt, das können Sie mir glauben.»

Das klang missbilligend, aber sie war zu jung, um mich einzuschüchtern. Vor allem jetzt, wo ich noch nicht ganz klar im Kopf war.

«Und Lena?», fragte ich. «Wie geht es ihr?»

Doktor Gaskell kniff die Augen zusammen, als habe sie nicht richtig gehört.

Und ich dachte, ich sei derjenige mit der Hirnverletzung.

«Lena», sagte ich. «Meine Freundin. Sie war im ersten Krankenwagen.»

Daran erinnerte ich mich nämlich noch ganz genau. War auch kein Wunder. Ich hatte am Straßenrand gelegen, den Kopf gegen die Grasböschung gelehnt, die an der kalten, feuchten Fahrbahn entlangführte; mein linker Arm war merkwürdig verbogen. Ich wusste nicht, wie lange ich weg gewesen war, aber als ich aufwachte, erblickte ich löchrigen Asphalt und schwere, dunkle Wolken, die bedrohlich am Himmel hingen.

Ein Sanitäter im grünen Overall tauchte auf. Er kniete sich hin und öffnete, was vom Sichtschutz meines Motorradhelms übrig geblieben war.

Ich wollte mich bewegen, doch Arme und Beine waren taub. Ich sagte mir: Jetzt nur keine Panik. Das war bestimmt nur der Schock.

«Das wird schon wieder», sagte der Sanitäter. Er hatte kurzgeschorenes Haar und ein fusseliges Bärtchen unter der Unterlippe. Das Bärtchen stand ihm nicht, aber das würde ich ihm jetzt nicht sagen. «Gleich kommt noch ein Krankenwagen. Das Mädchen hat es schlimmer erwischt. Wir kümmern uns zuerst um sie. Verstehen Sie mich?»

Ich gab ein Röcheln von mir. Wollte ihm sagen, dass alles bestens sei. Dass sie es so machen sollten. Doch ich bekam kein Wort heraus.

Der Sanitäter drückte mir die behandschuhte Hand, und irgendetwas stach mir ins Handgelenk. Er ging fort. Ich hörte, wie eine Tür geschlossen wurde. Dann sah ich einen weißen Fleck, als der Krankenwagen davonfuhr und mich in einer scheußlichen Stille zurückließ, die erst grau wurde, dann schwarz.

Das Nächste, was ich mitbekam, war mein Gespräch mit Doktor Gaskell. Sie machte plötzlich ein besorgtes Gesicht. Nagte an ihrer Unterlippe. Sah über die Schulter zur Tür.

«Ich werde mich erkundigen», sagte sie.

Ich sah ihr nach, und meine Brust krampfte sich zusammen. Tot, dachte ich. Bitte, bitte, lass sie nicht tot sein.

 

Es war typisch. Wenn man es brauchte, kam das Dunkel nicht. Ich war benommen, aber wach. Und halb verrückt vor Angst.

Lena.

Ich hatte sie als Freundin bezeichnet. Aber war sie das überhaupt? Mehr als eine Kundin war sie auf jeden Fall. Mochte ich sie? Ganz bestimmt. Wie lange hatte ich sie gekannt? Eine Stunde? Zwei? Immerhin lang genug um zu merken, dass sie mir etwas bedeutete.

Und was war dann der Ausflug auf meinem Motorrad gewesen? Unser erstes Date?

Mein Gott. Auf dem Feldweg, der vom Cottage zur Straße führte, war sie so fröhlich gewesen. So lebendig. Sie hatte mich in den Rücken geboxt und gekichert, als ich unter den regennassen Bäumen beschleunigte. So, als wäre es für sie mehr als eine Spritztour. Vielleicht eine Flucht?

Die Tür meines Krankenzimmers wurde geöffnet, und ein schlaksiger Arzt kam mit flatterndem Kittel herein. Doktor Gaskell hatte Mühe zu folgen, sie sah blasser und noch verlorener aus als vorher.

«Mr. Hale, ich bin Doktor Stanley.»

Er nahm seine Taschenlampe und leuchtete mir in die Augen. Das machten sie hier wohl gern. Ich versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, aber er hielt ihn fest und drückte das Augenlid mit dem Daumen nach oben. Erst nachdem er mir seinen abgestandenen Kaffeeatem ins Gesicht geblasen hatte, ließ er los.

«Sie haben eine traumatische Hirnverletzung erlitten.» Er richtete sich auf und kratzte sich an den Bartstoppeln. «Stumpfes Trauma am vorderen Hirnlappen.»

Ich zog die Maske vom Mund. «Das hat man mir schon gesagt.»

«Es können verschiedene Begleiterscheinungen auftreten. Schwindel. Übelkeit. Ohrgeräusche …»

«Weiß ich auch bereits.»

«Und geistige Verwirrung, Mr. Hale. Kognitive Störungen.» Er sah mich an, als müssten diese Worte eine besondere Reaktion auslösen. Als lauerte hinter ihnen eine geheime Botschaft.

«Ich hab’s verstanden», sagte ich. «Es gibt Symptome. Aber was ist mit Lena? Sie ist doch nicht etwa tot, oder?»

Irgendwie schaffte ich es, die Frage zu stellen. Mein Hals war jetzt nicht mehr nur rau und geschwollen, sondern fühlte sich an wie zugeschnürt.

«Diese Lena. Wollen Sie sagen, sie sei mit Ihnen auf dem Motorrad gewesen? Sie war an dem Unfall beteiligt?»

«Sie war im ersten Krankenwagen. Das war schon okay so – ich weiß, sie war schlimmer verletzt als ich. Das hat mir der Sanitäter gesagt.»

Stanley stieß einen tiefen Seufzer aus. Seine Schultern sackten hinab. «Genau darauf will ich hinaus, Mr. Hale. Es gab keinen anderen Krankenwagen. Außer Ihnen wurde niemand am Unfallort gefunden.»

2

Meine Eltern waren gerade zu Besuch, als am nächsten Tag die Polizei kam.

Den größten Teil des Vormittags hatte Dad meinen Unterschenkel umklammert und Mum meine Hand gehalten. Es war gut, dass sie da waren, aber ich fand es furchtbar, sie auch noch damit zu belasten. Die letzten Wochen waren für uns alle hart gewesen, und mir war klar, dass sie nicht gerade scharf darauf waren, sich jetzt auch noch um mich Sorgen zu machen. Es wäre zwar übertrieben zu sagen, dass sie ihr Leben wieder im Griff hatten – ich hatte ernste Zweifel, dass ihnen das jemals gelingen würde –, aber mir schien, als stellte sich ganz allmählich ein neues Gleichgewicht ein. Vielleicht ein wichtiger Schritt für uns alle. Die neuen Fundamente, an denen wir arbeiteten, waren noch ziemlich wacklig, und ausgerechnet ich musste sie nun wieder erschüttern.

Freunde der Familie hatten mir erzählt, wie gut es meinen Eltern den Umständen entsprechend ging. Die Zeit würde die Wunden heilen. Es ginge aufwärts. Doch ich sah das anders. Man merkte, dass in ihnen ein Licht erloschen war. Der Verlust war vor allem in ihren Augen zu lesen, und wenn sie meinen Blick erwiderten, was nur noch selten vorkam, dann waren ihre Pupillen stumpf und flach. Beinahe wie Edelsteine, die so abgenutzt waren, dass sie nicht mehr funkelten. Sie ließen nichts mehr hinein.

Vielleicht wäre die Veränderung leichter zu ertragen gewesen, wenn sie zuvor nicht so hell geleuchtet hätten. Auch wenn es sich kitschig anhört, meine Eltern waren ein fleischgewordener Liebesroman. Mum, das lebhafte, rothaarige Mädchen aus Liverpool, das mit neunzehn Jahren gegen den Willen ihres Vaters mit einem Unbekannten anbandelte, der auf der Isle of Man, einem windgepeitschten Felsen in der Irischen See, lebte. Und dieser «Manxman» war nicht irgendein Fremder, sondern ein todesmutiger Draufgänger. Ein waghalsiger Motorradfahrer, der zwei Jahre in Folge das Profi-TT gewonnen hatte. Ein Typ, der gerne trank. Der die Mädchen mochte. Der sein Leben bei Höchstgeschwindigkeit lebte. Zumindest so lange, bis er sich Hals über Kopf in die Frau verliebte, mit der er inzwischen fast vierzig wunderbare Jahre verheiratet war.

Grandpa hatte meine Eltern kurz nach ihrer Heirat enterbt. Jetzt lebte er bei ihnen in Snaefell View, dem Seniorenheim, das meinen Eltern gehört, und redet von meinem Vater nur in den höchsten Tönen, in keinem Wörterbuch der Welt würde man freundlichere Worte finden. Ich wohne auch dort, in einer umgebauten Scheune hinter dem Haus mit einer Werkstatt daneben, in der mein Vater und ich meine Motorräder auseinandernehmen und neu zusammenschrauben können. Es ist schon unglaublich, dass wir uns zu einem so einträchtigen, verschworenen Haufen zusammengerauft haben. Vielleicht mussten wir deshalb jetzt so viel Leid ertragen. Kosmische Vergeltung.

Die Polizisten kamen um kurz vor zwölf Uhr in mein Zimmer. Sie waren zu zweit, ein Mann und eine Frau, und beide trugen billige dunkle Anzüge.

Der Kopf des Mannes war so groß wie ein Kürbis, er hatte ein aufgedunsenes, gerötetes Gesicht und einen ordentlichen Bauch. Sein graues Haar hing lang über die Ohren und den stämmigen Nacken hinunter. Er hatte eine marineblaue Krawatte nachlässig um den Kragen gebunden, als ob es ihn störte, so etwas tragen zu müssen.

Die Frau war jünger, irgendwo in der zweiten Hälfte der Vierziger, mit schönem schwarzem Haar, das auf jungenhafte Weise kurz geschnitten war; sie trug kein Make-up und hatte einen Kugelschreiberfleck auf ihrer ausgeblichenen blauen Bluse. Sie war schlank und bewegte sich irgendwie unbeholfen, eckig und ruckartig. In der einen Hand hielt sie eine Dose Cola light und über dem Arm einen zusammengelegten schwarzen Regenmantel.

Dad kannte die beiden natürlich. Er kennt jeden auf der Insel. Oder jeder kennt ihn. Ich bin mir nicht sicher, wie herum man es sagen sollte. Man merkte ihnen an, dass ihre letzte Begegnung kein gemütlicher Abend in einem Pub und auch kein Abendessen der Rotarier gewesen war. Mein Vater stand nur zögernd auf, als befürchtete er, eine Verpflichtung einzugehen, wenn er die Hand ergriff, die der Mann ihm entgegenstreckte.

«Jimmy.» Der Mann sprach mit gedämpfter Stimme; das taten die meisten Leute in letzter Zeit, wenn sie mit meinem Vater redeten. «Es tut mir leid, dich unter diesen Umständen wiederzusehen.» Er sprach ruhig und gemessen wie viele Manxmen seiner Generation. Diese Marotte wurde oft missverstanden. Wer langsam spricht, denkt auch langsam, könnte man meinen. Damit läge man hier in der Mehrzahl der Fälle falsch.

Er schielte zu mir hinüber. Seine Augen waren nur schmale Schlitze in seinen aufgedunsenen roten Wangen. In solch einem Gesicht zu lesen war nicht leicht. Irgendwo tief drinnen schien ein Vorwurf zu lauern.

«Mick.» Dad ergriff seine Hand wie ein Politiker, indem er sie mit beiden Händen umfasste. «Und Jackie.» Er beugte sich über mein Bett, um die Frau auf die gleiche Art zu begrüßen.

«Mr. Hale.» Sie ließ Dads Hand fallen, als hätte er eine ansteckende Krankheit. «Und Mrs. Hale. Wie geht es Ihnen?»

Man sah förmlich, wie vor Mutters Augen die Jalousien heruntergingen.

«Mir geht es gut», erwiderte sie schmallippig. «Danke der Nachfrage, Detective Sergeant Teare.» Schwerfällig stand nun auch sie auf. Selbst im Stehen schien sie kraftlos und leer. «Detective Inspector Shimmin. Wie geht es Jude?»

«Bestens, bestens», erwiderte Kürbiskopf, sah dabei jedoch die ganze Zeit zu mir herüber. «Hast ganz schön einen auf die Rübe gekriegt, was, Robbie?»

Er redete mit mir, als wären wir uns vorher schon einmal begegnet. Als wären wir alte Kumpel.

«Muss mit dir über den Unfall reden, den du gebaut hast. Passt es jetzt?»

Als hätte ich eine Wahl.

«Wir bleiben so lange», sagte Dad und umklammerte durch die Bettdecke hindurch meinen Fuß.

Kürbiskopf sog Luft durch die Zähne ein und wippte nach vorn auf die Fußballen, ungefähr wie ein Mechaniker, der die unangenehme Nachricht überbringen muss, dass die Heizung nicht mehr zu retten ist. «Sieht leider so aus, als müssten wir mit dem Jungen allein reden, Jimmy.»

Dem Jungen. Als wäre ich ein missratener Teenager, der eine Standpauke verdiente.

«Aber wenn ihr nur reden wollt, Mick», Vater legte den Kopf auf die Seite, «dann macht es doch nichts, wenn wir bleiben, oder?»

Shimmin war gut dreißig Zentimeter größer als mein Vater, und als er zum zweiten Mal die Luft durch die Zähne einsog, wippte er zurück auf die Fersen, als hätte er Angst, ihn aus Versehen einzuatmen. Ich bin selbst groß, eins fünfundachtzig ohne Schuhe, und ich kenne das Gefühl, anderen durch meine Größe überlegen zu sein. Dad wiederum war im Laufe der Zeit geschrumpft, wegen all der Metallplatten und Nägel, mit denen man seine gebrochenen Unterschenkel zusammengeflickt hatte. Seine Rennfahrerlaufbahn hatte auf der Bergstrecke der TT-Route in einem furchtbaren Unfall geendet, als sich seine Kette bei mehr als 160 Stundenkilometern verhakte. Es war pures Glück gewesen, dass er den Unfall überlebt hatte.

«Nee, kommt leider nicht in Frage, Jimmy. Vorschriften, klar?» Shimmin schüttelte seinen großen Kopf, als läge es außerhalb seiner Macht, in dieser Sache nachzugeben, selbst gegenüber einem so bemerkenswerten Mann wie meinem Vater. «Wie wär’s, wenn du mit Tess solange nach unten gehst und ihr euch einen von diesen neumodischen Kaffees genehmigt, Cappuccino, Latte soundso, was auch immer? Wir sagen dann Bescheid, wenn wir fertig sind. Dauert nicht lange.»

Dad war drauf und dran, es noch einmal zu versuchen. Ich spürte, wie sich seine Finger um meine Zehen schlossen. Er war es gewohnt, hier auf der Insel überall eine Sonderbehandlung zu bekommen. Den besten Tisch im Restaurant. Einen Sonderpreis im Laden. Ein nachsichtiges Lächeln, wenn er im Halteverbot parkte. Mehrere Faktoren waren dafür verantwortlich: sein Ruf als einheimische Sportskanone. Die Arroganz, dem sicheren Tod von der Schippe gesprungen zu sein. Und außerdem sah er auch noch verdammt gut aus. Markantes Kinn, hohe Stirn, widerspenstiges, wuscheliges Haar. Ein kräftiger, muskulöser Körper, der mit dem Alter etwas weicher geworden war.

«Schon in Ordnung, Dad», sagte ich. «Ich habe ja nichts zu verbergen.»

Mein Vater sah mich an, mit gebrochenem Blick in seinem erschlafften Gesicht. Mum nahm ihn am Arm. Der Geist eines Lächelns, das ich seit Langem nicht mehr gesehen hatte, huschte ihr über die Lippen.

«Komm schon, Jim. Lass sie ihre Fragen stellen. Rob ist ja noch da, wenn wir wiederkommen. Stimmt’s, Schatz?»

«Ja, Mum. Ich bin noch da.»

Aber es jagte mir einen Schrecken ein, dass sie das fragen musste.

 

«Also dann, Robbie, erzähl uns mal von deiner geheimnisvollen Blondine.»

Kürbiskopf hatte sich links von mir auf den Stuhl meines Vaters gesetzt. Er saß zurückgelehnt, die Hände hinter dem fetten Nacken verschlungen und die gekreuzten Füße auf dem Fußende des Bettes.

«Ich heiße Robert», sagte ich.

«Hä?»

«Oder Rob. Nicht Robbie. Ich bin vielleicht Jimmy Hales Sohn, aber ich bin ein eigenständiger Mensch. Es gibt Leute, die das respektieren.»

Shimmin stieß einen leisen Pfiff aus und drehte sich nach seiner Kollegin um. Teare lehnte mit dem Rücken an der Wand, ein Knie angewinkelt, die schmutzige Schuhsohle gegen die beigefarbene Wand gedrückt. Sie nahm einen großen Schluck Cola und trommelte mit einem unlackierten Fingernagel auf die Aluminiumdose.

«Irgendwelche Komplexe, kleiner Robbie?», fragte Shimmin.

Ich drehte den Kopf wütend nach rechts und spürte den Widerstand der Armschlinge um meinen Nacken und das linke Handgelenk. In der Tür des Krankenzimmers war ein kleines Bullauge, aber dahinter war nichts anderes zu sehen als noch mehr beige Wände.

«Komm schon, Kumpel. Ich bin ein Freund deines Vaters, klar?»

Alle waren Freunde meines Vaters. Das behaupteten sie jedenfalls.

«Und ich weiß, dass ihr zwei verschiedene Menschen seid.» Shimmin schnippte mit den Fingern, und ich drehte mich wieder zu ihm um. In seinen Augen, die aus den schmalen Schlitzen hervorlugten, lag ein dunkler Schimmer. «Jeder, der deine Rennen in den letzten drei Jahren gesehen hat, sieht das sofort. Ich finde, dieser Apfel ist ziemlich weit vom Stamm gefallen, weiter vielleicht, als du meinst, kleiner Robbie. Oder siehst du das vielleicht auch irgendwie anders? Könnte ja noch so eine Nachwirkung von dem Knacks in deiner Birne sein.»

Der Neurologe hatte schon mit mir über die Gehirnerschütterung gesprochen. Offenbar hatte ich Glück gehabt. Die Untersuchungen zeigten, dass es zu keinen sekundären Schwellungen gekommen war, und die Gefahr, dass sie sich noch entwickeln würden, war angeblich gering. In circa einer Woche mussten ein paar Nachuntersuchungen gemacht werden, und ich sollte auf ungewöhnliche Entwicklungen achten – Gefühlsschwankungen, gestörten Gleichgewichtssinn, veränderte Schlafmuster. Außerdem sollte ich weitere Erschütterungen vermeiden, bis die Wunden geheilt waren. Alles in allem hätte es schlimmer kommen können.

«Jetzt komm schon, Bursche.» Shimmin zerrte den Krawattenknoten weiter nach unten. «Erzähl uns noch einmal, was du auch dem Onkel Doktor erzählt hast.»

3

Als ich die Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hörte, dachte ich zuerst, jemand hätte sich einen Scherz erlaubt. Es kam nicht jeden Tag vor, dass ich zu einem Haus mitten in einem Forstbetrieb bestellt wurde und der Kunde nicht einmal eine Nummer hinterließ, unter der ich ihn zurückrufen konnte. Dann redete ich mit Dad, und er sagte mir, die Forstverwaltung habe ein Cottage im Wald. Gerüchten zufolge war es vor ungefähr zehn Jahren an einen Privatmann verkauft worden. Ich nahm an, dass das der Mann mit dem ausländisch klingenden Akzent war, der mich angerufen hatte, und da ich etwas Abwechslung gebrauchen konnte, entschloss ich mich, dort mal vorbeizufahren.

Ein verschlossenes Holztor versperrte die Einfahrt in den Wald, daneben stand ein Schild mit der Aufschrift Arrasey Forstbetriebe. Das Tor war mit einer rostigen Eisenkette und einem funkelnden Zahlenschloss gesichert. Es kam mir nicht komisch vor, dass das Tor verschlossen war. Zu vielen Grundstücken der Insel ist der Zugang verboten, damit die Leute nicht auf ihren Geländemaschinen hindurchpreschen. Natürlich konnte man am Tor vorbeifahren, aber nicht mit einem Ford Transit.

Mein Hund Rocky beobachtete mich von seinem warmen Plätzchen auf dem Beifahrersitz aus, als ich aus dem Lieferwagen stieg und durch den strömenden Regen ging. Ich gab die Zahlenkombination ein, die der Kunde auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, und das Schloss sprang auf. Ich wickelte die Kette um den Torpfosten und nahm mir die Zeit, den eingeschweißten Zettel abzuwischen, der am Pfosten befestigt war.

Wer hat unseren Chester gesehen? Er ist seit dem 5. April hier im Wald verschwunden.

Darunter eine Telefonnummer und das Foto eines schlanken Terriers mit blauem Halsband. Die rosa Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul, und seine Augen blinzelten in eine strahlende Sonne. Solche Suchmeldungen mochte ich gar nicht. Am 5. April. Das war vor einem Monat gewesen, aber dennoch schaute ich durch die beschlagenen Autofenster und hoffte, irgendwo ein Fitzelchen des armen Chester zu entdecken, während wir langsam den holprigen Weg entlangfuhren.

Falls er irgendwo hier draußen steckte, hatte er Pech mit dem Wetter. Kühler, grauer Nebel hing niedrig über Fichten, Lärchen und Kiefern, und der Regen fiel schwach, aber anhaltend. Der schmale Weg führte scharf nach rechts, und die Räder des Lieferwagens gerieten auf den glitschigen Steinen und dem Lehm ins Rutschen. Ein feuchter, modriger Geruch drang durch das geöffnete Fenster hinein, und als die Bäume immer näher heranrückten und feuchte Äste am Wagen entlangkratzten, blickte mich Rocky aus seinen nussbraunen Augen traurig an und schien zu fragen, was für ein verrücktes Abenteuer das nun wieder werden sollte.

Rocky ist ein reinrassiger Golden Retriever. Er wiegt zwischen dreißig und fünfunddreißig Kilogramm, je nachdem, über welche Art von Ernährung wir uns gerade nicht einig werden, und außer bei Spargel habe ich es noch nie erlebt, dass er etwas nicht essen wollte. Das schließt Möbel, Polster und die Innenausstattung von Lieferwagen ein. Der Beifahrersitz, auf dem er hockte, zeugte davon. Der Überzug aus Vinyl hatte vor einigen Monaten Rockys Verdauungssystem durchlaufen, und ich hatte keine Zweifel, dass in ihm bereits Pläne heranreiften, sich in nicht allzu ferner Zukunft über die gelbe Schaumfüllung herzumachen. Der Hund fraß mir nicht nur das Dach über dem Kopf auf, sondern auch alles darunter. Trotzdem liebte ich ihn über alles, und er erwiderte diese Liebe mit einer Stärke und Loyalität, die ich mir beim besten Willen nicht erklären konnte.

«Was denn?», fragte ich ihn. «Hältst du das etwa nicht für eine gute Idee?»

Rocky warf den Kopf zurück und sah mich mit wehmütigen Augen an, in denen eine unbestimmte Erwartung lag. Ich kraulte ihm den Nacken.

«Vielleicht haben sie ja Kuchen. Dafür würde sich die ganze Sache doch lohnen, oder?»

Er zwinkerte mir zu und öffnete die Kiefer für sein unglaublich breites Grinsen. Es handelt sich dabei um einen Höhepunkt seines mimischen Repertoires. Glauben Sie mir, die Damen finden es umwerfend.

Wir hatten inzwischen eine Anhöhe erreicht und blickten hinab auf durchnässten Ginster und ein Schachbrett kleiner Felder, die sich zu dem Fluss absenkten, der das Tal durchzog. Außer einigen baufälligen Bauernhäusern war die Ruine einer alten Zinngrube zu sehen. In der Ferne verschwanden die Hänge des South Barrule Hill im feuchten Nebel, und die Rücklichter eines vorbeifahrenden Autos strahlten wie Leuchtfeuer auf See.

Der schmale Weg gabelte sich in drei Richtungen, und ich fuhr weiter geradeaus, tauchte tiefer und tiefer in den Wald ein. Wassertropfen fielen von den Kiefernnadeln und explodierten auf der Windschutzscheibe, der Wagen rutschte und schlingerte hin und her. Ein Streifen Gras wuchs in der Mitte des Weges.

Die Bäume standen dicht, und der Wald war so finster, dass ich nur ein paar Meter weit hineinschauen konnte. Der Boden war mit abgebrochenen Ästen, Gestrüpp und einem dicken Teppich aus braunen, getrockneten Kiefernnadeln und vermodertem Holz bedeckt. Wenn es der kleine Chester ganz allein hierhergeschafft hatte, dann war er bestimmt vor Angst schon fast gestorben.

Ich kam an ein weiteres Tor, es stand offen. Am Pfosten war ein Schild aus glänzendem Schiefer befestigt, auf dem zwei Wörter in grellem Weiß zu lesen waren. Yn Dorraghys. Meine Kenntnisse des Manx-Gälisch halten sich in Grenzen, aber das war einer der wenigen Ausdrücke, die ich verstand. Das Dunkel.

Wie passend.

Fünf Meter weiter war die Piste zu Ende, und ich wendete den Lieferwagen auf einem matschigen Vorplatz. Neben einem Brombeerdickicht und einem roten Nissan Micra kam ich zum Stehen. Die Kotflügel und Seiten des Micra waren schlammbespritzt, und im Rückfenster klebte ein Avis-Aufkleber. Ich plumpste aus dem Wagen auf den matschigen Boden, schloss die Wagentür und stapfte mit meinem Notizblock durch den Regen.

Das Anwesen bestand aus einem baufälligen Cottage mit windschiefem, moosbewachsenem Schieferdach. Die einstmals weißen Wände hatten einen grünlichen Schimmer, als saugten sie die Feuchtigkeit aus dem Laubwerk, das den Platz umgab. Grasbüschel verstopften die Regenrinnen, und die wackeligen Fensterläden vor den alten Schiebefenstern standen offen. Daneben war eine kleine Rasenfläche. Das Gras wuchs mir bis zum Knie und war von Dornengestrüpp durchsetzt.

Die schwarz gestrichene Haustür wurde geöffnet, bevor ich klopfen konnte, und ein braungebrannter Mann füllte den Rahmen. Er trug helle Jeans und einen grünen Rollkragenpullover; in der Hand hielt er ein Handy. Sein Haar war braun und strähnig und fiel ihm bis auf die Schulter. Er trug eine Rundum-Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern. Im trüben Zwielicht unter den Bäumen wirkte diese Brille merkwürdig.

Der Mann neigte den Kopf, um die Aufschrift auf meinem Lieferwagen zu lesen. Sie war kurz und knapp. Isle of Man Heizungsanlagen und Reparatur, darunter die Nummern von Festnetz und Handy.

«Sie Heizungsmann?» Sein Akzent war hart und abgehackt, als käme er aus Mitteleuropa, vielleicht aus Deutschland. Er klang wie der Typ, der auf meinen Anrufbeantworter gesprochen hatte, jetzt allerdings ziemlich misstrauisch. Ich erlebe das öfters, die Leute hören zu viele Horrorgeschichten über betrügerische Handwerker.

«Ich heiße Rob.» Im strömenden Regen streckte ich ihm die Hand entgegen.

Er schien das nicht zu bemerken und sah noch immer an mir vorbei, als wollte er in meinen Wagen hineinschauen.

«Da drin ist nur mein Hund», sagte ich. «Mein Boss sozusagen.»

Der Mann nickte kurz. «Heißes Wasser ist kaputt.»

«Ich verstehe.» Ich blieb noch einen Moment mit ausgestreckter Hand stehen, dann gab ich auf und rieb sie an meiner Arbeitshose trocken. «Wo ist der Heizofen?»

Er zeigte mit dem Telefon auf eine angebaute Garage an der Seite des Gebäudes. Sie hatte ein Schwingtor aus gerilltem Blech mit einem Drehgriff in der Mitte. Die weiße Farbe blätterte ab.

«Ist sie offen?», fragte ich.

Der Mann grub mit der Hand in der Hosentasche und warf mir einen Schlüssel in einem roten Plastiketui zu. «Ich schalte Licht.»

Er trat einen Schritt zurück und wollte die Tür wieder schließen.

«Warten Sie. Haben Sie den Ölstand geprüft?»

Er sah mich einfach nur an. Die Sonnenbrille machte es schwer, seine Reaktion einzuschätzen.

«Ihr Öltank», sagte ich. «Vielleicht ist er leer.»

«Ich weiß nicht. Sie prüfen.»

 

Ich holte meine Taschenlampe aus dem Lieferwagen und ließ Rocky heraus, dann liefen wir beide durch den schräg fallenden Regen und suchten den Öltank. Wir fanden ihn überwuchert vom hohen Gras hinter der Garage, und ich prüfte den Ölstand. Als ich den Verschluss wieder zugeschraubt hatte, waren wir beide ziemlich durchnässt. Ich lief zum Wagen zurück, um mein Werkzeug und ein Handtuch zu holen. Dann schloss ich das Garagentor auf und wuchtete es nach oben.

Der Sonnenbrillenmann hatte Wort gehalten. Das Licht war an. Zwei Neonröhren summten und flackerten über meinem Kopf. Ganz links war eine normale Tür, die sicherlich ins Cottage führte. Daneben hing eine Zugschnur von der Decke.

Ich ging hinein und trocknete mir Haare, Hände und Gesicht mit dem Handtuch, während Rocky sich trockenschüttelte. Normalerweise hätte ich jetzt das Handtuch auf den Boden gelegt, damit Rocky seine Pfoten darauf abtreten konnte, aber das war hier überflüssig. Der Boden bestand aus rohem Zement und die Wände aus unverputzten Betonsteinen. Hier standen keine Lagerkisten mit irgendwelchem Krimskrams, keine Kinderfahrräder oder Gartengeräte. Es gab keine alte Werkbank oder Halterungen für Werkzeuge, überhaupt gar nichts von all dem Zeug, das in den meisten Garagen herumsteht. Die einzige Einrichtung bestand aus einer Reihe von Kellerregalen aus weißem Pressholz an der linken Wand, die alle leer waren, und einem Heizofen, der in der rechten Ecke unter einem Wasserboiler stand.

Der Heizofen war ein uraltes Schätzchen. Schon bevor ich die Verkleidung entfernte, war mir in etwa klar, was auf mich zukommen würde, und was ich dann sah, bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Das Gerät war offenbar seit Jahrzehnten nicht gewartet worden.

Ich machte ein paar Standardtests, überprüfte das Thermostat und die Brennvorrichtung, aber wie erwartet gab es keine einfache Lösung. In einem solchen Fall ist es das Beste, wenn der Hausbesitzer sich entschließt, einen neuen Heizofen zu kaufen. Der ist zuverlässiger, effizienter und amortisiert sich, gemessen an den Betriebskosten des alten, innerhalb von fünf Jahren. Aber eine innere Stimme sagte mir, der Sonnenbrillenmann würde sich kaum zu dieser Lösung entschließen. Man sah am heruntergekommenen Zustand des Cottages, dass niemand Geld für Verbesserungen des Wohnkomforts ausgeben wollte. Der Mietwagen und der Akzent des Mannes waren zudem Indizien dafür, dass er höchstwahrscheinlich nur zu Besuch war. Ich würde also erst einmal das heiße Wasser wieder zum Laufen bringen und mir das Verkaufsgespräch für eine andere Gelegenheit aufheben.

Rocky ließ sich hinter mir auf den Zementboden plumpsen und legte den Kopf auf die Vorderpfoten. Dann winselte er, als habe er erkannt, dass dies hier kein Job war, der sich schnell erledigen ließ, um danach einen langen Spaziergang durch den Wald zu machen.

«Tut mir leid, Kumpel», sagte ich.

Rocky schloss die Augen und rollte sich auf die Seite. Das war es also, was mein Geschäftspartner zu diesem Auftrag beizutragen gedachte. Ein Mittagsschläfchen.

 

Eine Stunde später war der Regen in ein lautes Prasseln übergegangen, und ich hatte es geschafft, mit meinem Staubsauger den meisten Dreck aus dem Brenner zu bekommen. Ich selbst muss voller Schmierfett, Staub und Öl gewesen sein. Da plötzlich öffnete sich die Seitentür zum Cottage, und ein Engel trat ein.

Kitschig, ich weiß, aber glauben Sie mir, verglichen mit dem Sonnenbrillenmann war sie eine wahre Lichterscheinung.

Als Erstes traf mich ihr Lächeln, und es kam so unerwartet, dass ich beinahe den Schraubenschlüssel fallen ließ. Wow. Glänzend weiße Zähne, volle Lippen. Ihr Haar war blond, dieses Hellblond, das man durch langen Aufenthalt in sonnigen Ländern bekommt. Auch sie war braungebrannt, von einem weichen Karamellton, der gegen den trostlosen Regen zu protestieren schien. Sie trug ein rosa Shirt und ausgefranste, beige Cordhosen, und an den Füßen Flip-Flops.

Ich gebe zu, mein erster Gedanke war: Was für ’ne Sahneschnitte.

Rocky wachte auf und lief auf sie zu. Er lehnte sich gegen ihren Schenkel, und sie kraulte ihn hinter dem Ohr, auf diese Art, die Hunde in den glücklichen Wahnsinn treibt. Schon klar, dachte ich. Du schläfst, während ich hier den Dreck wegmache, kein Problem, aber sobald eine atemberaubende Blondine den Raum betritt, bist du wieder voll da.

«Oh, du siehst aber gut aus», sagte sie, und ich hörte Anklänge desselben europäischen Akzents wie beim Sonnenbrillenmann. «Deine Ohren sind so weich. Wie heißt du denn, mein Schöner?»

Rob, wollte ich sagen. Und dann wollte ich mich auf den Rücken legen, damit sie mir den Bauch kraulen konnte.

Rocky kam mir zuvor.

«Er heißt Rocky», sagte ich, als sie sich hinkniete und die Handfläche über seinem Bauch kreisen ließ. «Und ich glaube, er mag Sie.»

Sie lächelte und sah mich unter langen, geschwungenen Wimpern an. «Möchte Rocky vielleicht etwas Wasser?»

Ich hatte Wasser im Wagen. Ich wusste es, und Rocky wusste es auch. Aber er sah mich an, als würde er mir ins Bett kacken, wenn ich Nein sagte.

«Das wäre nett», sagte ich.

«Und Sie?» Ihr feines blondes Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie schob es hinters Ohr. «Hätten Sie gern Tee? Es ist ein Weilchen her, dass ich für einen Engländer Tee gekocht habe.»

Nun ja, ich hätte sie natürlich darauf hinweisen können, dass ich Manxman war, aber es schadete sicher nichts, wenn sie mich für einen Engländer hielt. Ich nickte, und sie gab Rocky einen Klaps, bevor sie sich aufrichtete und zur Tür ging.

«Kommen Sie», sagte sie. «Und bringen Sie Rocky mit, ja?»

Der Hund war verschwunden, bevor ich mir die Hände an einem alten Lumpen abwischen konnte. Ich klopfte den gröbsten Dreck von meiner Kleidung, zog die Arbeitsschuhe aus (wobei ich tapfer ignorierte, dass mein großer Zeh aus einer der Socken herauslugte) und ging in die Küche.

Der Raum war klein und ärmlich, mit winzigen, viel zu niedrig angebrachten Fenstern. Regenwasser lief die Scheiben hinunter. Eine nackte Glühbirne unter der Decke warf schwaches Licht auf die alten Kiefernmöbel und die schäbige, gekachelte Arbeitsfläche.

In der Ecke des Zimmers steckte Rocky mit dem Kopf in einer Schüssel und tat sein Bestes, möglichst viel von ihrem Inhalt über den Linoleumfußboden zu verspritzen und eine Show abzuziehen, als sei dies das beste Leitungswasser, das er in seinem ganzen Leben getrunken hatte. Die Blondine stand neben dem Spülbecken und goss aus einem dampfenden Kessel Wasser in einen Tonbecher. Am runden Tisch mitten im Raum saßen der Sonnenbrillenmann und noch jemand, den ich bisher nicht gesehen hatte.

Ich sah den Mann von hinten. Er war groß und muskulös, mit wasserstoffblondem Haarschopf und buntem Sleeve- Tattoo, das aus dem linken Ärmel seines Khaki-T-Shirts hervorschaute. Das T-Shirt saß so eng, dass es aussah, als wäre es aufgemalt. Man merkte, dass der Typ Gewichte stemmte und auch wollte, dass man ihm das ansah. Die Muskeln an Nacken und Schultern traten so stark hervor, als hätte jemand unter seiner Haut ein Tau verlegt.

Ein Bildband lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Er hatte die kräftigen Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und stützte den gesenkten Kopf in die Hände. Auf der Seite, die er betrachtete, war das Schwarzweißfoto eines blassen, abgemagerten Mädchens zu sehen, deren Oberlippe mit einer halbmondförmigen Anordnung von Spikes verziert war.

Der Sonnenbrillenmann tippte auf einem Laptop; sein Telefon hatte er daneben auf den Tisch gelegt. Anscheinend war er doch kein kompletter Spinner, denn er hatte die Sonnenbrille jetzt nach oben auf den Kopf geschoben.

Keiner der Männer schenkte mir irgendwelche Beachtung. Ich stand verlegen da in meinen Socken und trat von einem Fuß auf den anderen.

«Hier ist Ihr Tee.»

Die Blondine gab mir den Becher, und ich nickte zum Dank, dann nahm ich einen Schluck und zeigte etwas dämlich mit dem Daumen nach oben.

«Schmeckt Ihnen?»

«Wunderbar.»

Sie schenkte mir ihr umwerfendes Lächeln. «Ob wir in die Garage zurückgehen wollen?»

«Von mir aus gern.» Ich zeigte mit dem Becher auf die beiden Männer. «Ich möchte niemanden stören.»

Ich ging voraus und nahm mir die Zeit, um wieder die Schuhe anzuziehen, denn der Zementboden in der Garage war nass. Ich stellte den Becher auf den Heizofen, nahm den Schraubenschlüssel und kniete mich auf das Stück Styropor, das ich auf den Boden gelegt hatte.

«Können Sie ihn reparieren?», fragte sie und schloss die Tür, nachdem auch Rocky hereingekommen war.

«Ich glaube, schon», sagte ich und drehte mich zu ihr um. «Ich muss allerdings vielleicht ein paar Ersatzteile holen. Die Sachen, die ich im Wagen habe, werden wohl nicht passen.»

«Wie lange wird das dauern?»

«Ich müsste die Sachen morgen früh besorgen können. Dann dauert es nur noch ein paar Stunden.»

Ihr Gesicht fiel zusammen, und ihre Lippen zogen eine Schnute. «Dann muss ich also noch einmal kalt duschen, denke ich mir.»

«Warum, wäre es denn ein Verbrechen, den Boiler zu benutzen?»

Sie starrte mich an, durch die glänzend blonden Haare hindurch, die ihr vor den Augen hingen.

«Der Boiler», erklärte ich. «Hier.» Ich reckte mich vor und streckte die Hand zwischen ein paar Schläuchen hindurch, dann legte ich den Schalter um, der ein wenig versteckt hinter dem Heizofen angebracht war. Eine bernsteinfarbene Diode leuchtete auf. Der Boiler fing an zu summen.

«Nein.»

«Wussten Sie das nicht?»

«Seit drei Tagen haben wir kein heißes Wasser.» Sie warf die Hände in die Luft. «Ich sage ihnen immer wieder, sie sollen jemand kommen lassen. Und da, Sie haben es repariert.»

«Na ja, die Heizung ist noch immer kaputt. Und dies hier zu benutzen ist ziemlich teuer. Es wäre also besser, die Heizung wieder in Gang zu setzen.»

«Ich bin jetzt richtig glücklich.»

Zum Beweis machte sie eine Pirouette. Rocky kam dadurch ganz aus dem Häuschen. Er sprang auf und legte seine Vorderpfoten auf ihre Schenkel, als wollte er sie zu einem Walzer durch die Garage auffordern.

«Rocky ist so goldig.» Sie gab ihm einen Kuss auf den Kopf. «Nehmen Sie ihn immer mit zur Arbeit?»

«Nur, wenn der Kunde nichts dagegen hat.»

«Wer könnte denn etwas gegen ihn haben?» Sie fasste ihn unterm Kinn und warf ihm Küsschen in sein dümmliches Gesicht.

«Sie würden sich wundern. Er benimmt sich nicht immer so brav.»

«Das glaube ich nicht.» Sie setzte Rockys Pfoten wieder auf den Boden und streckte mir die Hand entgegen. «Ich heiße Lena.»

Wir schüttelten uns auf merkwürdig förmliche Art die Hände.

«Rob. Machst du hier Ferien?»

Sie zuckte die Achseln und vergrub die Hände in ihren Hosentaschen.

«Mit Freunden?», fragte ich und zeigte mit dem Schraubenschlüssel in Richtung Küche.

«So kann man wohl sagen, nehme ich an.»

«Du scheinst nicht allzu überzeugt.»

Sie lächelte schwach.

«Die beiden haben auf mich nicht gerade wie Spaßgranaten gewirkt», schlug ich vor.

«Nicht? Was sind sie denn dann?»

Ich wog den Schraubenschlüssel in der Hand, als würde ich nachdenken. «Ganz ehrlich? Auf mich wirkten sie wie zwei von diesen Bösewichtern, die in Bruce-Willis-Filmen gleich zu Anfang sterben.»

Sie lachte laut und warf den Kopf und das Haar nach hinten. Mir gefiel ihre Reaktion. Sehr sogar.

«Und du?», fragte sie. «Bist du eine Spaßgranate?»

«Ich glaube, schon.»

Sie zeigte mit dem Kopf nach draußen, auf die verregnete Lichtung. «Was kann man auf der Isle of Man denn unternehmen, um Spaß zu haben?»

Offensichtlich erwartete sie, die Antwort würde lauten: Gar nichts. Wahrscheinlich hielt sie die Insel für das kleinste, lächerlichste Stückchen Erde, das man sich vorstellen konnte. Vielleicht kannte sie einige der einheimischen Sagen. Dass man zum Beispiel die Feen begrüßen musste, wenn man auf dem Weg nach Ballasalla über die Bogenbrücke ging, um nicht verwünscht zu werden. Dass kein Manxman es wagen würde, «Ratte» zu sagen, und man stattdessen den Ausdruck «Langschwänze» benutzte. Dass die einheimischen Katzen, wie zum Ausgleich dafür, nur ganz kurze Schwänze hatten.

«Kommt drauf an», sagte ich. «Schon mal Motorrad gefahren?»

Ihr Unterkiefer fiel hinunter, offenbar hatte ich auf einen Schlag ihre volle Aufmerksamkeit.

«Oder vom TT-Rennen gehört?

«Was ist das denn?»

«Es ist ein Straßenrennen, jedes Jahr im Juni. Die Runden werden gestoppt. Eine Runde ist gut 60 Kilometer lang. Soll ich dir die Strecke mal zeigen?»

«Hast du denn ein Motorrad?»

«Mehrere. Ich bin Rennfahrer.»

Sie sah auf Rocky hinunter, als wollte sie seine Meinung wissen. «Wie wäre es mit morgen?»

«Wenn du willst, fahren wir, nachdem ich die Heizung repariert habe.»

Sie blickte sich um, in Richtung Tür. Nagte an ihrer Unterlippe. Dann kam sie einen Schritt auf mich zu. Sie war mir so nah, dass ich die Hitze ihres Körpers spüren konnte.

«Ich glaube, die wären damit nicht einverstanden», flüsterte sie.

«Die sollen ja auch nicht mitkommen.»

«Nein.» Sie wurde ganz ernst und sah mir fest in die Augen. «Wahrscheinlich wären sie nicht damit einverstanden, dass ich fahre.»

«Oh. Na ja.» Ich zuckte die Schultern. «Wenn du nicht willst …»

Sie drehte sich um und sah aus dem Garagentor, hinaus in den prasselnden Regen, fast so, als hätte sie gar nicht zugehört. «Dein Wagen», sagte sie. «Ginge es – kannst du das Motorrad im Lieferwagen mitbringen?»

«Ich glaube, schon. Aber –»

«Dann kriegen wir es hin.» Sie wirbelte herum und legte mir die Hände auf die Schultern. Wieder blendete sie mich mit ihrem Lächeln. «Ich sage dir, was du tun musst.»

4

«Sie meinen, sie hat gesagt, Sie sollten mit dem Lieferwagen rückwärts in die Garage fahren?», fragte Detective Sergeant Teare. «Wozu das denn?»

«Damit die beiden Typen, mit denen sie unterwegs war, das Motorrad nicht sehen konnten. Ihr Vorschlag war, das Motorrad in der Garage aus dem Wagen zu holen und dort alles vorzubereiten. Wenn wir dann Lederkombi und Helme angelegt hatten, konnten wir losfahren, bevor sie merkten, was wir vorhatten.»

«Klingt ziemlich aufwändig.» Teare stand nicht mehr an der Wand, sondern hatte sich Shimmin gegenüber auf einen Stuhl an meinem Bett gesetzt. Von Nahem wirkte sie älter. Trockene Haut voller Aknenarben und Falten. Durch ihr dünnes Haar konnte ich die weiße Kopfhaut sehen. «Und Ihr Hund?»

«Rocky habe ich zu Hause gelassen.»

Sie nickte, als würde ihr das einleuchten. «Hat es Sie denn gar nicht misstrauisch gemacht, wie Lena über diese beiden Männer geredet hat, die angeblich in der Küche saßen?»

«Ich habe sie schließlich gesehen.»

Sie machte eine abwinkende Handbewegung. Mir fiel auf, dass sie keine Ringe trug. «Ich meine nur, es war schon ziemlich ungewöhnlich, was Sie tun sollten, oder?»

«Ich glaube, sie wollte ganz einfach ohne große Scherereien losfahren. Wahrscheinlich hätte es Streit gegeben, wenn sie vorher gefragt hätte.»

Teare betrachtete mich gründlich. Natürlich hatte ich mich gewundert, warum Lena eine solche Heimlichtuerei betrieb. Aber nicht genug, um nein zu sagen.

«Was ist passiert, als Sie losgefahren sind?», fragte Teare. «Kamen die Männer heraus?»

«Ich habe sie nicht gesehen.»

«Dann sind Sie beide also wie Bonnie und Clyde aus diesem Wald verduftet. Und danach hatten Sie diesen Unfall.»

Diesen Unfall. Als wäre mein Aufenthalt hier im Krankenhaus nur ein ausgeklügeltes Täuschungsmanöver.

«Wollen Sie uns vom Unfall erzählen?», fragte sie.

«Ich habe doch schon gesagt, dass ich mich nicht daran erinnern kann.»

Sie summte vor sich hin, wirkte nicht überzeugt. «Wissen Sie, wo man Sie gefunden hat?»

«Ich habe gehört, es war auf der Piste, die zum Sloc führt.» Der Sloc ist eine Schnellstraße, die am South Barrule Hill vorbei von der Mitte der Insel zur Südküste führt. Ich hatte vorgehabt, in Richtung Foxdale zu fahren. Die TT-Route hätte ich dann an der Kreuzung von Ballacraine erreicht, wo während der Rennen die meisten Zuschauer stehen.

«Ruhige Straße», sagte Teare. «Einspurig. Nicht viel Verkehr.»

«Worauf wollen Sie hinaus? Dass ich einfach runtergefallen bin?»

«Wäre möglich.»

«Okay, Detective Sergeant. Das reicht fürs Erste.» Zum ersten Mal seit einigen Minuten sagte auch Shimmin etwas. Er nahm die Füße von meinem Bett und setzte sich im Stuhl zurecht. «Für mich sind das Wahnvorstellungen, Junge.»

«Ich denke mir das nicht aus», sagte ich und sah von einem zum andern. «Warum sollte ich das tun?»

«Schwer zu sagen.»

«Sie sollen versuchen, Lena zu finden. Vielleicht ist sie in Schwierigkeiten. Was ist, wenn ihr etwas zustößt, während Sie hier herumsitzen?»

Teare erwartete Shimmins Antwort beinahe ebenso gespannt wie ich. Ich spürte, dass wenigstens sie mir glaubte.

Shimmin glaubte mir nicht. Er schob die Unterlippe vor und untersuchte einen Fleck auf seiner Krawatte. «Bei Verkehrsunfällen schickt die Straßenaufsicht immer eine Streife.» Er kratzte gedankenverloren mit dem Fingernagel an dem Fleck herum. «Haben wir gestern gemacht. Die haben sonst keinen gesehen. Gab auch keine Hinweise aus der Bevölkerung.»

«Aber der Sanitäter hat mit mir gesprochen», sagte ich. «Er hat gesagt, sie bringen sie in den Krankenwagen.»

Teare öffnete den Mund, aber Shimmin würgte sie ab, bevor sie sprechen konnte. «Die Straßenaufsicht protokolliert jeden Einsatz von Krankenwagen. Jedes Team, das zurückkommt.» Er blickte auf und sah mich mit seinen dunklen, tiefliegenden Augen an. «Nur ein Krankenwagen ist zu Ihrem Unfall losgefahren. Und der einzige Verletzte, den sie gefunden haben, waren Sie.»

«Das kann nicht sein.»

«Die Fakten sprechen ihre eigene Sprache.»

«Vielleicht war der Sanitäter ja nicht im Dienst. Vielleicht trug er seine Uniform, weil er auf dem Nachhauseweg war. Oder auf dem Weg zur Arbeit.»

Shimmin schwenkte bedächtig seinen großen Kopf hin und her. «Selbst wenn es so gewesen wäre, dann hätte er keinen Krankenwagen dabeigehabt. Und es gäbe Aufzeichnungen darüber, dass dieses Mädchen in einer Notaufnahme war. Aber gar nichts. Sie waren der einzige Verkehrsunfall, der gestern gebracht wurde, abgesehen von einem Rentner aus Port Erin, der über den Fuß seiner Frau gestolpert ist.»

«Und was ist mit anderen Krankenhäusern?»

Er sah mich an, als hätte ich einen Hirnschaden. Im Grunde gar keine unvernünftige Annahme.

«Das einzige andere Krankenhaus ist in Ramsey», sagte er langsam. Wir wussten beide, dass das Nobles Hospital, in dem ich mich jetzt befand, vom Unfallort gut zwanzig Minuten schneller zu erreichen war. Und dass das Krankenhaus in Ramsey, oben im Norden der Insel, nur für kleinere Eingriffe und ambulante Behandlungen genutzt wurde.

«Was wollen Sie mir also sagen? Dass Sie mir kein Wort glauben?»

Teare hatte die Hände in den Schoß gelegt und betrachtete sie mit höchster Konzentration.

«Hören Sie zu», sagte Shimmin, «wir sind verpflichtet, jede Möglichkeit in Betracht zu ziehen.» Und man hörte an seinem Ton, wie schwer diese Verantwortung gerade jetzt auf ihm lastete.

«Aber Sie glauben mir nicht, stimmt’s?»

Er seufzte. «Können Sie sich denn gar nicht vorstellen, dass Ihnen nach dem Schlag auf den Kopf, und nach all dem Stress durch die jüngsten Ereignisse, der Verstand einen Streich spielt?»

«Nein.»

«Sie meinen, das ist ganz und gar unmöglich?», drängte Shimmin. «Obwohl alle Fakten dem widersprechen, was Sie uns erzählen?»

«Was ist denn mit den Fakten, die meine Geschichte bestätigen? Was ist mit den beiden Männern im Cottage? Sollten Sie nicht mit denen reden? Und was ist mit meinem Wagen? Der steht nämlich da oben, wissen Sie.»

«Haben Sie eine Nummer von diesen Männern?»

«Nein», sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. «Das habe ich doch schon gesagt. Sie haben bei ihrem Anruf keine Nummer hinterlassen.»

«Ist die Nachricht noch auf dem AB?»

«Ich habe sie gelöscht. Als ich nach meinem ersten Besuch da oben nach Hause gekommen bin.»

Shimmin stemmte sich aus dem Stuhl in die Höhe und schüttelte den Kopf. Dann strich er das Hemd über dem Bauch glatt. Knöpfte das Jackett zu. «Ich sage Ihnen, was wir tun. Als persönlichen Gefallen für Ihren Vater werde ich mit Detective Sergeant Teare zu ihrem gruseligen Haus hinausfahren. Wenn die Männer dort sind, reden wir mit ihnen und sehen zu, was wir herauskriegen können. Ob es etwas gibt, das Ihrer Geschichte wenigstens ein Fünkchen Glaubwürdigkeit verleiht.» Er zog den Knoten der Krawatte wieder nach oben, als kehre er nach dieser Unterbrechung nun zur ernsthaften Polizeiarbeit zurück. «Erholen Sie sich solange. Vielleicht fallen Ihnen ja noch ein paar andere Erklärungen für das alles ein.»

 

Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn ich wachte auf, weil jemand sich räusperte. Ein Mann stand am Fußende meines Betts. Er trug einen farbenfrohen Strickpullover und grinste verlegen.

«Robert?»

Ich blinzelte.

«Verzeihung, dass ich Sie geweckt habe. Ich heiße Donald. Ich bin der Ergotherapeut hier am Krankenhaus. Doktor Stanley meinte, es sei vielleicht eine gute Idee, wenn ich vorbeischaue, um Ihnen guten Tag zu sagen.»

Ich wischte mir mit dem Handrücken über die verklebten Lippen und achtete darauf, die Kanüle, die zum Tropf führte, nicht zu berühren.

«Verzeihung, dass ich Sie geweckt habe», sagte er noch einmal.

Donald faltete die Hände, als wollte er ein Gebet sprechen. Er hatte etwas von einem Priester an sich. Den bunten Pullover könnte ein wohlmeinendes Gemeindemitglied für ihn gestrickt haben, und die Haare trug er in einem konservativen Seitenscheitel. Allerdings hatte er keine Kalkleiste.

«Haben Sie Zeit, um ein bisschen zu plaudern?»

Ich zeigte mit dem Kopf auf einen der Plastikstühle. «Nun setzen Sie sich schon.»

Er sah mich eine Weile an. Dann ließ er sich endlich auf dem Stuhl nieder und schlug ein Bein über das andere.

«Wie geht es Ihnen?»

«Ging mir schon besser.»

«Starke Schmerzen?»

«Nur, wenn ich atme.»

Er strich sich mit der Hand über den Scheitel. «Und wie sieht’s mit der Stimmung aus?»

«Wie soll’s damit aussehen?»

«Sind Sie vielleicht gerade in einem Tief?»

«Einem Tief?»

«Ja, im Tief. Oder aufgewühlt?»

«Aufgewühlt», sagte ich, als würde ich in mich hineinhorchen. «Nee, mir geht’s gut, Donald.»

«Na, das ist ja prima.»

«Finde ich auch.»

Sein Lächeln war unbehaglich. Erzwungen. Er schob die Hand in die Hosentasche und zog ein kleines Notizbuch und einen Stift heraus, als seien es Geheimwaffen.

«Also, was soll das Ganze?», fragte ich ihn. «Was wollen Sie nun eigentlich von mir?»

«Wie ich schon sagte, Doktor Stanley –»

«Ich habe mit dem Neurologen gesprochen. Es schien nicht so, als gäbe es Grund zur Besorgnis.»

«Das mag ja sein.» Donald schlug eine neue Seite in seinem Buch auf und drückte auf den Knopf des Kugelschreibers. «Auch Ihre Eltern möchten gern, dass jemand von der Ergotherapie mit Ihnen redet.»

Mir gefiel das nicht. Kein bisschen. Donald merkte das. Er hob die Hand.

«Hören Sie mir erst einmal zu», sagte er. «Ich will Ihnen helfen, klar?»

«Gar nicht klar.»

«Ich habe Erfahrung mit Menschen in Ihrer Lage. Es würde Ihnen bestimmt gut tun, mit mir zu reden, glauben Sie mir.»

«Meine Lage?» Ich sah an mir hinab, wie ich hier im Bett lag. Einen Arm in der Schlinge, der andere mit einem Tropf für Kochsalzlösung verbunden. Verbände um den Körper. Sterile Pflaster auf den Schürfwunden am Oberschenkel. «Meinen Sie Biker? Leute, die einen Unfall gehabt haben?»

«Ich meine Menschen, die trauern. Menschen, die traumatisierende Dinge erlebt haben.»

«Raus», sagte ich.

«Robert, bitte.»

«Gehen Sie. Los.»

Donald wand sich auf seinem Stuhl. Er presste sich das Notizbuch gegen die Brust. Aber er stand nicht auf.

«Man hat mir von dem Mädchen erzählt», sagte er.

Ich drehte den Kopf weg. Brummelte vor mich hin.

«Das Mädchen, das Ihrer Meinung nach am Unfall beteiligt war.»

«Sie war am Unfall beteiligt.»

Er schwieg einen Moment. Aber ich wusste, es war noch nicht vorbei.

«Sehen Sie, der Neurologe hat Ihnen bestimmt die Symptome beschrieben, die auftreten können, und auch über Gedächtnisverlust gesprochen. Habe ich recht?»

Ich schwieg.

«Nun, vielleicht hat er nicht darauf hingewiesen, dass Ihr Verstand auch Erinnerungen erfinden kann. Falsche Erinnerungen. Ich habe Untersuchungen darüber gelesen, Robert. Patienten, die eine Hirnverletzung erlitten haben, können manchmal zwischen Dingen, die wirklich geschehen sind, und anderen, die nur in ihrer Vorstellung existieren oder von denen sie geträumt haben, nicht unterscheiden. Dafür können sie nichts.»

«Was wollen Sie damit sagen? Dass ich Lena erfunden habe?»

«Im Moment will ich gar nichts sagen. Ich spreche nur von Fällen, in denen etwas Ähnliches passiert ist. Sie müssen auch bedenken, unter welcher starken Belastung Sie die letzten Wochen gestanden haben. Der unerwartete Verlust …»

Er ließ den Satz unvollständig, als sei er nicht sicher, wohin er ihn führen würde.

Ich spürte ein Stechen in den Augen. Ich wollte auf keinen Fall, dass mir gerade jetzt die Tränen kamen. Trotzdem begannen sie zu fließen, als hätten sie niemals damit aufgehört.

«Raus», sagte ich, ohne das Zittern in meiner Stimme verbergen zu können. «Lassen Sie mich in Ruhe, ja?»

Ich hörte, wie die Stuhlbeine über den Boden schleiften. Den sanften Takt seiner Schuhe, die den Raum durchquerten. Die quietschende Türangel. Das Stimmengewirr auf dem Flur.

«Soweit ich weiß, war Ihre Schwester ebenfalls blond», sagte Donald, als sei ihm das gerade erst eingefallen. «Sie hieß Laura, nicht wahr? Laura. Lena. Ich meine ja nur – so etwas kommt vor, glauben Sie mir.»

5

Am nächsten Tag wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Erst hieß es, sie wollten mich noch ein paar Tage länger behalten, damit die Ärzte überwachen konnten, ob Komplikationen bei meiner Kopfverletzung auftraten. Als Mum ihnen dann von ihren Erfahrungen in der Krankenpflege erzählte und dass das Seniorenheim über ausgebildetes Personal verfügte, kam man zu dem Entschluss, dass man das freie Bett gut gebrauchen konnte.

Dad kam, um mich abzuholen. Mum hatte ihm eine Jogginghose und Turnschuhe mit Klettverschluss mitgegeben. Das machte das Anziehen einfacher, aber Dad musste mir beim Hemd helfen und die Schlinge wieder anlegen. Das Gehen fiel mir nicht schwer, und der Schwindel, vor dem man mich gewarnt hatte, trat nicht ein. Wir ließen es dennoch langsam angehen; Dad trug meine Sachen in einem Plastikbeutel. Viel gab es nicht zu tragen. Meine Lederkombi hatte man mir vom Leib geschnitten und weggeworfen, und mein Motorradhelm war nicht mehr zu retten gewesen – das alles wollte ich lieber gar nicht sehen. Am Ende blieben nur Brieftasche, Telefon und Schlüssel. Ach ja, und ein Ausdruck des offiziellen Polizeiberichts über meinen Unfall, unterzeichnet von Detective Inspector Shimmin.

Der Bericht war kurz und zurückhaltend. Er nannte Zeit und Ort des «Vorfalls» und erwähnte, dass keine anderen Fahrzeuge beteiligt waren. Hinweise auf Lena gab es keine. Für die Polizei der Isle of Man existierte sie nicht.

Shimmin hatte mich am Morgen angerufen. Er hatte den Bericht schon bei Dad vorbeigebracht, deshalb hatte ich eine recht klare Vorstellung, was ich zu erwarten hatte, aber das machte es nicht einfacher, ihn anzuhören.

«Passen Sie auf», sagte er, «wir sind da oben gewesen. Wir haben alles mit eigenen Augen gesehen. Es entspricht nicht Ihrer Erinnerung.»

«Das muss es aber.»

«Zum Beispiel Ihr Lieferwagen. Sie haben gesagt, Sie hätten ihn rückwärts in die Garage gefahren, stimmt’s?»

Ja, das hatte ich gesagt. Und ich hatte es auch getan.

«Nun, dort haben wir ihn aber nicht vorgefunden. Nicht einmal in der Nähe. Er war unten an der Einfahrt zum Forst geparkt. Sie hatten den Zündschlüssel stecken lassen.»

«Dann müssen sie ihn weggefahren haben.»

«Wer?»

«Die Männer im Cottage.»

Shimmin atmete hörbar aus. «Junge, hören Sie mir zu. Versuchen Sie zu verstehen, was ich sage. Das Cottage war leer. Es war niemand da.»

«Dann ist ja klar, was passiert ist, oder? Die Männer, die ich im Cottage gesehen habe, haben Lena mitgenommen. Danach haben sie dann meinen Wagen weggefahren.»

«Warum?»

«Keine Ahnung. Um euch an der Nase rumzuführen, nehme ich an.»

«Hören Sie zu. In diesem Cottage hat seit langer Zeit niemand mehr gewohnt. Wir haben nachgesehen, glauben Sie mir. Teare hat sogar einen Schlosser gerufen, damit wir drinnen nachsehen konnten. Im Haus sind keine Möbel. Keine Betten. Gar nichts.»

«In der Küche standen Tisch und Stühle.»

Er antwortete nicht sofort. «Aber nichts sonst. Sie haben uns gesagt, das Mädchen habe Ihnen einen Becher Tee gekocht. Es waren aber keine Lebensmittel da. Kein Kessel. Die Schränke waren leer.»

«Sie können alles weggeräumt haben. Und Möbel haben sie sicher nicht gebraucht. Vielleicht hatten sie Schlafsäcke. Luftmatratzen.»

«Junge, dort hat keiner gewohnt. Seit Langem hat da keiner gewohnt. Das wissen wir. Wir haben es überprüft.»

«Wie genau haben Sie es überprüft?»

«Vertrauen Sie mir einfach. Meiner Meinung nach müssen Sie darüber hinwegkommen. Sie müssen herausfinden, was die Ursache dafür ist. Daran sollten Sie arbeiten.»

Ich sagte nichts.

«Teare hat mit Ihren Ärzten gesprochen, verstehen Sie? Dem Typ von der Ergotherapie. Er hat ihr gesagt, worin seiner Meinung nach das Problem besteht.»

Ich schloss die Augen. «Haben Sie das auch meinem Vater gesagt?»

«Hä?»

«Was der Therapeut gesagt hat. Er irrt sich nämlich, glauben Sie mir. Ich habe mir das Ganze nicht ausgedacht. Ich habe ihre Heizung repariert, verdammt noch mal.»

«Keiner behauptet, dass Sie uns mit Absicht was vormachen. Wir sind doch keine Unmenschen. Sehen Sie, wenn das, was mit Ihrer Schwester passiert ist, Ihnen nicht zusetzen würde, dann wären Sie kein Mensch, oder?»

Ich ließ das so stehen. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen oder tun sollte. Shimmin nahm mir die Entscheidung ab.

«Ruhen Sie sich aus, okay? Warten Sie einfach ab, eine Woche oder zwei. Wenn Sie dann noch Fragen haben, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können. Aber wissen Sie, was? Ich glaube wirklich, Sie sollten nichts weiter unternehmen. Wenn das Mädchen existierte, hätten wir es gefunden. Wir sind hier schließlich auf der Isle of Man. Hier verschwinden die Leute nicht einfach so.»

Er legte auf und überließ mich dem elektrischen Summen der Geräte in meinem Krankenzimmer. Ich blieb eine Weile einfach liegen, presste das Handy auf die Lippen und dachte darüber nach, was er gesagt hatte. Es gefiel mir nicht. Es gefiel mir gar nicht.

Ich hatte Lena nicht erfunden. Das wusste ich mit derselben Gewissheit, wie ich wusste, dass ich in einem Krankenbett lag. Noch nie hatte ich einen Traum gehabt, der so präzise war wie die Erinnerung an sie. Und ein Blick auf die Heizung im Cottage würde beweisen, dass ich dort gearbeitet hatte. Das musste auch Shimmin wissen. Er musste wissen, dass es lose Enden gab. Aber er war entschlossen, mir nicht zu glauben. Und ich hatte wirklich keine Ahnung, warum.

 

Snaefell View, das Seniorenheim meiner Eltern, liegt direkt an der Route der Tourist Trophy, kurz vor Signpost Corner in Onchan. Von dort hat man über flache Wohnhäuser hinweg gute Sicht auf den einzigen Berg, den die Isle of Man zu bieten hat. Das Heim ist eine weitläufige Anlage aus Waschbeton, die im Lauf der Jahre immer wieder erweitert wurde und für achtzehn Bewohner Platz bietet (einschließlich Grandpa), außerdem drei feste Mitarbeiter, die Wohnung meiner Eltern sowie meine Räume nach hinten hinaus. Um die ganze Vorderseite, wo sich der Aufenthaltsraum der Bewohner befindet, zieht sich ein Wintergarten; es gibt eine terrassenförmig angelegte Rasenfläche und einen Kiesweg zur Straße. Klingt toll und ist es auch, aber ein Großteil des Ganzen gehört der Bank, und meine Eltern haben ständig zu kämpfen, um den Kopf über Wasser zu behalten. Ich helfe ihnen auf meine Art und kümmere mich für einen Mietnachlass um die anfallenden Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten.