Sagen und Volksglaube aus Hessen-Nassau - Hermann von Pfister - E-Book

Sagen und Volksglaube aus Hessen-Nassau E-Book

Hermann von Pfister

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Beschreibung

Im ersten Band der Buchreihe "Lebendiges Brauchtum - Sagen, Märchen und Legenden aus aller Welt" werden zahlreiche Sagen und Legenden aus Hessen behandelt. Denn Hexen, Nixen, Werwölfe, Wichtelmännchen, Riesen - und allen voran der Teufel - trieben natürlich auch mitten in Deutschland ihr Unwesen. Der geschichtliche Hintergrund ist dabei ebenso interessant, wie die genauen Angaben, an welchen Orten es spukte, wie die Menschen damit umgingen, und welche Spuren davon heute noch zu sehen sind.

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Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Lebendiges Brauchtum - Sagen, Märchen und Legenden aus aller Welt

Band 1

Dem Gedächtnis der Gebrüder Grimm gewidmet

Inhaltsverzeichnis.

Einleitung.

I. Wueden und Frau Holle.

II. Vom Odenberg und den alten Hessen.

1. Metze und Maden.

2. Glisborn.

3. Der Quinten-Glaube.

4. Leben im Odenberg.

5. Entrückung.

6. Der Schmied von Besse.

7. Hirte am Odenberg.

8. Scharfensteiner Zauber.

9. Stein bei Großenritte.

10. Stein bei Maden.

III. Donar und Teufel.

1. Bestrafte Untreue.

2. Weibeslist durch Hahnenschrei.

3. Teufels Antlitz.

4. Reichenbacher Teufelsbau.

5. Teufel als Rächer des Meineides.

6. Teufel gründet Sarnau.

7. Teufelskirche in der Rhön.

8. Teufel am Gehilfenberg.

9. Teufels Brückenbau am Main.

10. Der Teufel als Schatzwächter.

11. Teufels Dienste zu Hainberg.

12. Geprellter Teufel zu Herchenhain.

IV. Von Riesen.

1. Riesen im Reinhardswald.

2. Betrogene Blindheit.

3. Riesen bei Marburg.

4. Riesen-Spielzeug.

5. Wilde Leute zu Bingenheim.

6. Welten-Untergang.

7. Riesen-Übermut.

8. Riesen im Odenwald.

V. Die Wichtel.

1. Mädchenraub.

2. Bilsteiner Wichtel.

3. Wichtelkirche am Steier.

4. Wechselbalg.

5. Wichtel zu Kappel.

6. Ropperhäuser Wichtel.

7. Remsfelder Wichtel.

8. Wichtel bei Jesberg.

9. Wichtelisches Wesen an der Werra.

VI. Nöcke und Nixen.

1. Denser Nixe.

2. Marburger Nixe.

3. Nixen-Braut.

4. Nixe als Verführerin.

5. Lehrbacher Bauer und Nöcke.

6. Kirchhainer Nöcke.

7.

Nöcke in der Mümling.

8. Nöcke in der Dill.

VII. Werwölfe.

1. Weib als Werwolf.

2. Bauer und Werwolf.

3. Bauer als Werwolf.

4. Bestrafter Werwolfs-Hunger.

VIII. Hexen und Zauberer.

1. Verkehrte Hexen-Salbe

2. Unglückliche Entzauberung.

3. Gründonnerstages-Ei.

4. Sonstiger Wahn.

5. Gerichts-Morde.

6. Hexenmeister.

7. Hexenmeister entzaubert.

IX. Verwunschene Jungfrauen.

1. Drei Huttische Jungfrauen.

2. Drei Appenhainer Jungfrauen.

3. Drei Allendorfer Jungfrauen.

4. Drei Eisenberger Jungfrauen.

5. Drei Friedberger Jungfrauen.

6. Jungfrauen bei Schorbach.

7. Jungfrauen am Otzberg.

8. Jungfrauen am Hermannstein.

9. Jungfrauen am Hexenberg.

10. Jungfrau am Lahnberg.

11. Geismarer Jungfrau.

12. Friedigeroder Jungfrau.

13. Heringer Jungfrau.

14. Landecker Jungfrau.

15. Homberger Jungfrau.

16. Vacher Jungfrau.

17. Jungfrau an der Boyneburg.

18. Momberger Jungfrau.

19. Weiße Frau zu Christerode.

20. Alsfelder Jungfrau.

21. Jungfrau bei Haiger.

X. Vorbedeutung und sonstiger Geisterbann.

1. Hort im Schartenberg.

2. Densberger Unterwelt.

3. Homberger Geist.

4. Vacher Unterwelt.

5. Geisteswalten am Soisberg.

6. Gesunkene Dörfer.

7. Geisteswalten in der Rüdderburg.

8. Rotenburger Unterwelt.

9. Boyneburger Unterwelt.

10. Im Geisterbann entrückt.

11. Im Geisterbann getötet.

12. Irrlichts-Rache.

13. Zürnende Irrlichter.

14. Mädelsteiner (Metilsteiner) Bann.

15. Birsteiner Bann.

16. Stromes Geist.

17. Unholder Alb.

18. Weißer Hase.

19. Wilder Jäger in der Wetterau.

20. Wilder Jäger in Nassau.

21. Gespenstisches Wesen in der Dreieich.

22. Hirsche als Todeskünder.

23, Vorbedeutsame Vögel.

24. Todesweissagungen.

XI. Spuk und Nachleben.

1. Ropperhauser Spuk.

2. Jungstaler Spuk.

3. Anderer Spuk daselbst.

4. Sonntagsarbeit.

5. Wunderbares Wesen.

6. Bestrafter Grenzfrevel.

7. Gespenstisches Wesen im Nüll.

8. Spukender Schultheiß.

9. Reuiger Geist.

10. Spukende Hausfrau.

11. Gebüßter Meineid.

12. Totengewand.

13. Jesberger Spuk.

14. Reuiger Grenzfrevler.

15. Gespenstische Mühle.

16. Wildungens Nachleben.

17. Spuk bei Marburg.

18. Wandernder Geist zu Münden.

19. Sagender Spuk.

20. Gisselberger Spuk.

21. Das mutige Mädchen zu Ohmes

22. Spuk am Mommelstein.

23. Noch im Tode geschieden.

XII. Allerhand Schatzgräberei.

1. Verschmähter Schatz.

2. Bescherter Schatz

3. Verstörter Schatz.

4. Gefoppte Schatzgräber.

5. Unterbrochene Arbeit.

6. Bestrafte Schatzgräber.

7. Unbedacht.

8. Verratener Schatz.

9. Doch genarrt.

10. Gebrochenes Schweigen.

11. Suchen nach Hecketalern.

12. Bewehrtes Grab.

XIII. Einige geschichtliche Sagen.

1. Bato und Hessus.

2. Entstehung von Helmarshausen.

3. Liebenaus Name.

4. Schloß Schauenburg am Habichtswald.

5. Heiligenrode.

6. Bilstein.

7. Vom Blumenstein bei Wildeck.

8. Silberne Lade.

9. Böddigerner Mordbach.

10. Der Himmel streitet mit.

11. Fritzlars Schutz und Schirm.

12. Eichelsaat.

13. Chatten-Burg.

14. Strafe im Gewitter.

15. Fräulein von Boyneburg.

16. Armenspende zu Immichenhain.

17. Die Liebenbach.

18. Der weiche Stein.

19. Winfried in Hessen.

20. Krebses-Schied.

21. Hundesagen.

22. Frau Sophiens Handschuh.

23. Einnahme des Weißensteins.

24. Oberhessisch Dagobertshausen.

25. Das runde Bäumchen.

26. Der Schröcker Born.

27. Kriegs-Kündigung.

28. Dürrer Rasen.

29. Altenburg im Vogelsberg.

30. Hachborner Sage.

31. Landgraf Moritz und der Soldat.

32. Der Franzosenbaum.

XIV. Gottesurteile und -zeugnisse.

XV. Die Unken.

Unken-Freundschaft.

Unken-Grimm.

Unken-Spende.

XVI. Allerhand alter Glaube und Aberglaube.

1. Allgemeines.

2. Nach Zeiten und Tagen.

3. Nach Gewächsen.

4. Nach Tieren.

5. Nach mancherlei anderem.

Einleitung.

In eine Wiege, sorglich waltend, legt die mütterliche Schöpfung ihr junges Kind und webt ihm einen bunten Himmel darüber her. Es ist das Bett des Glaubens. Kindlich sollte es sein, und eine Fülle warf die göttliche Hüterin um das arme Leben. Da spinnt es tausend Fäden an das glänzende Kinderauge von Morgen bis zum Abend. Und ein starkes Leitseil werden all die tausend Fäden auf der Pilgerreise bis zum heiligenden Grab aller Menschen.

Willst du der Raupe eine Haut abreißen, ehe sie sich von selbst schält? Willst du den armen Menschen nackt hinauslegen auf Disteln und Dornen, oder auf den dürren Sand deiner Weisheit? Willst du ihm das Leitseil seines Glaubens zerschneiden, das ihn an den Himmel seiner Wiege, an die Hand der Mutter knüpft?

Sinniger Wahn ist kein Tummelplatz für Grübelei und Verstandesübung; nicht ein Gegenstand zum Untersuchen, sondern zum Glauben. Auch im Irrtum mag der Mensch selig sein. Wer wollte es ihm nicht vergönnen! Was sind alle von Schlaumeiern neuerer Jahrhunderte gemachte Fabeln gegen die Sagen eines Volkes! Blicke man nun auf das Schöne, Sinnige, oder Brauchtümliche darin.

Volkssagen sind Gemeingut der Vorzeit. Von den meisten könnte niemand angeben, wann, wo und wie sie entstanden seien. Andere allerdings haben ihren bestimmten geschichtlichen Hintergrund. Ein und dieselbe Sage pflanzt sich auch öfters selbst durch entfernte Gegenden fort. Auf einmal, durch einen nur entstanden ist keine Sage. Sie alle wuchsen in den Gemütern, und nahmen erst allmählich solche Gestaltung an. Volkssagen behalten eben wohl nur dann ihren Wert, wenn sie ungeschönt, ohne die leiseste Einflechtung fremden Schmuckes, bleiben was sie sind; wenn man den Fund, wie ihn das Volk gibt, mit Unkraut überdeckt, gewissermaßen noch mit Erde an den Würzelchen, sorgsam aufnimmt und niederlegt.

Es gab auch alte, heute längst vergessene Sagen, deren Stücke gleichwohl im Volk fortwähren; wie Teile eines zerschnittenen Wurmes weiterleben, und wohl gar zu mehreren neuen Würmen erwachsen. Wiederum manches Sagenstück hat vom Baum, der in verwandtem Boden stand, oder in fremdem Land und in ferner Zeit grünte, einen Zweig mit in die neue Heimat gebracht, es dort in heimischen Grund gesteckt, der ihm neue Wurzeln gab, und es zu einem frischem Baum erwachsen ließ.

Auch dadurch erhielten sich Sagen, daß man solche, da sie schon zu schwinden drohten, wandelbar an Namen anderer Örtlichkeiten und etwa jüngerer geschichtlicher Vorkommnisse hing. Denn die Sage will weiterleben; und anlehnendes Verschmelzen bietet ihr in ihrer Not wieder Nahrung.

Es überhört sich manches, wenn das Volk mit seinen Märchen auf etwas hinweist, das augenscheinlich ungereimt scheint; anderes wiederum mag der gebildete Geist als geschmacklos empfinden. Doch bei einer Volkssage, als solche betrachtet, kommt es auf jenes gar nicht an, und dieses ist nicht als was es erscheint.

Das Merkmal der echten Sage ist, daß – ebenso, wie sie selbst zu überdauern bestrebt ist – sie auch anderes, obschon entschwundenes Leben nicht sterben lassen will, sondern es zu bannen trachtet. Da starb kein Held, der nicht mindestens als Gespenst an geweihter Stätte ein Nachleben führe; da ist keine Wohnstätte erloschen oder versunken, von der sich nicht noch ein Ton oder Schatten erhalten habe. Eine Blume blüht und mahnt an einstige Schätze; eine Glocke klingt, und tönt noch unter dem Boden nach. Die Sage stemmt sich gegen Vernichtung; sie verkündet überall die Ewigkeit.

Auch wenn altes Gottestum zerstört wurde, so bleibt im Volksglauben ein Nachhall, ein überlebendes Kind zurück, das oft noch den alten Namen in sich bewahrt, aber mit entstelltem Begriff, mit verzerrten Zügen. Da wird der alte Gott ein schwer zürnender, nicht leicht sühnbarer Geist, gleichsam als ahne und fühle das Volk eine Schuld der Abwendung von ihm; da werden göttliche, einst holde Wesen zu Unholden – die früheren Ewarte und Ewalte zu bösen Zauberern. Als Aberglaube wächst in unbesonnten dunklen Tiefen nun dasjenige fort, was einst in freudigen Flammen auf Sonnenhöhen doch Gegenstand heiligster Verehrung war. Hehre Bräuche, die der neue, jetzt den Hochsitz einnehmende Glaube noch an dessen unterster Stufe bestehen ließ, alles inneren Lebens in der Gegenwart beraubt, verschrumpfen zu Leichen, werden Zerrbilder und Possen.

Nie aber vergeht gänzlich das Alte, wenn es zuvor tief ins Volkstum, tief in die Volksseele eingewurzelt war; und noch nach Jahrtausenden ruft der schlichte Mann zu alten Göttern in der Not, wenn sich neue Schutzheilige nicht zu bewähren scheinen. Dann stehen auch wir noch in germanischem Heidentum; und Allvater hilft den Enkeln wie den Ahnen. Er gebietet Ansen1 und Wanen, Menschen, Riesen und Zwergen, Elben und Nixen. Er, der All und Eine, vernehmbar im Rauschen oder Flüstern des Laubes, wie in schäumender Flut.

Auf einerlei Strom schifft der Mensch durchs Leben. Der eine im schwachen Kahn an vertrauten Küsten seines Landes; der andere auf hoch bemastetem Schiff, das mächtig mit vollen Segeln durch die Meere kreuzt.

Laß jenen das Kind der Schöpfung in seinem kindlichen Glauben sein; noch enge Bänder knüpfen es nahe an die mütterliche Erde. Wird es dann auch einmal von Ahnung und Sehnsucht getrieben, so baut es sich seinen einfachen Nachen – es meidet aber die unergründete Tiefe, fürchtet die entuferte See, wo Himmel und Fläche verschmelzen.

Der andere sitzt in prächtigem Gebäude wissenschaftlicher Lehre, oder lehnt an der Schulter großer Meinung. Wohin der Steuermann steure, da folgen Hunderte; mit klugem Verstand finden sie ungezeichnete Straßen mitten im unendlichen öden Meer. Wenn ein Sturm kommt, werfen sie ihre Götter und Güter über Bord; wenn das Schiff zerbricht, bleibt Rettung für keinen. Der einsame Fährmann in schmalem Nachen längs der Gestade dagegen erreicht bald mit starken Armen das feste bergende Ufer wieder.

Der Kompaß, von gelehrtem Geist erfunden, die Sternbilder, die man berechnet, leiten das Schiffsvolk zu fernen Ländern und machen die Menschen zu Bürgern der Welt. Der schlichte Fahrer im Kahn sucht sich am Himmel einen Leitstern, der ihn führe; er fragt die Schöpfung rings herum, belauscht ihren atmenden Geist. Nicht leicht entfernt er sich aus der Heimat; so weit er noch den Rauch des Herdes sieht, ist sein heimatliches Lebenshaus.

Ein Gleichnis ist es nur vor Erwägung ernsterer Frage. Wo soll die Grenze zwischen Glauben und Aberglauben gezogen werden? Wenn die Kirche eine Brücke über den Strom der Seele baut, so hat sie zwischen den Pfeilern doch nicht zweierlei Ströme geschaffen. Aber dämmt man den oberen Fluß ab, so wird das Bett unterhalb seicht und trocken. Die große Menge bedarf des Aberglaubens auch nebenher. Laßt den Fluß daher in breiter Fülle fließen; durch die Zuflüsse wird er nicht überfließen.

So sahen wir auch beide Schiffer fahren, sehnsüchtig nach unerreichbarer Welt aufblickend unter demselben buntem Himmelsbogen. Keiner hat ihn anders denn aus der Ferne geschaut; keiner schon diesseits des Grabes die Schätze gehoben, die dichterischer Wahn an den Stellpunkten des himmlischen Gewölbes verborgen sein läßt.

1 Anse ist hochdeutsch und gotisch, Ose (Osnabrügg) ist niederdeutsch, Ase ist skandinavisch. Ganz gleichlaufend verhalten sich: Gans, Gos, Gas (anser).

I. Wueden und Frau Holle.

Frauwa, Fräua (Freya), Frigga – nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Wanin – war Wuotans Gemahlin. In Hessen meistens Frau Hulda, holde Frau genannt, woraus Frau Holle geworden ist. Den Schwaben hieß sie Prechta, Berhta, Berta, d.h. englisch: the Bright.

Die alten Chatten2 waren zumal Wuotans-Leute, welcher Anse bei ihnen, vor allen anderen, hoher Verehrung genoß. Wueden heißt er in unserer Mundart. Das hohe Ansehen dieses Ansen erhellt auch daraus, daß wahrscheinlich nicht nur die alte Hauptstadt Metze – Mattium, sondern auch der daneben liegende befestigte Wuedensberg (heute: Gudensberg) den Stern der Landesverteidigung bildete. Hier war das Stammesheiligtum.

Dementsprechend ward dann auch Wuedens Gemahlin Frau Holle bei unseren Altvorderen hoch gefeiert. Hauptsachlicher Sitz ihrer Verehrung war der herrliche Wissener, d. h. Wiesen-Berg, auf der Wasserscheide zwischen Werra (Wisera) und Fulda gelegen, welches die schmähliche Unkunde von Bergnamen und Unverstand in Meißner verhunzt hat.

2400 Fuß erhebt er sich über dem Meer, 1938 Fuß über dem nahen Tal der Werra. Die Krone ist eine völlig platte Ebene, 1 Stunde lang, ¼ Stunde breit; sie endet fast überall mit steilen Hängen und Abgründen. Üppige würzige Weiden bedecken die Hochfläche, dazwischen der Frau Holle-Teich und der Gottesborn; achtzehn namhafte Rinnsale und Bäche fließen zu Tal und bewässern die zahlreichen Wiesengründe am Abhang. Ein herrliches Panorama aber tut sich vom Berg auf die umliegende Landschaft ringsum auf.

Hier oben wohnte also Frau Holle; zumal auch unterirdisch oder vielmehr unterseeisch in ihrem Teich.

Weiber, die zu ihr ins Wasser steigen, macht sie gesund und fruchtbar; neugeborene Kinder stammen aus ihrem Brunnen, und Frau Holle trägt sie daraus hervor. In der Wetterau heißen solche Brunnen, woraus Kinder kommen sollen, Milchbrunnen.

Blumen, Obst, Kuchen, und was sie sonst unten im Teich hat, und was in ihrem unvergleichbaren Garten wächst, das teilt sie denen aus, die ihr zu begegnen und zu gefallen wissen.

Frau Holle ist selbst sehr ordentlich, und achtet daher auch bei den Menschen auf gute Haushaltung. So sagt man auch, wenn es auf der Welt schneit, Frau Holle schüttele ihre Betten aus.

Träge Spinnerinnen werden von der hohen Frau gestraft, indem diese ihnen die Wolle am Rocken besudelt, das Garn verwirrt oder auch den Flachs anzündet. Mancherlei ward in jüngerer Zeit auf die Jungfrau Marta übertragen, was ehedem von der Frau Holle erzählt ward. Im nördlichem wie in südlichem Hessen wird gar gewarnt, keinen Flachs am Rocken namentlich über Weihnachten zu behalten, damit Frau Holle gewogen bleibe. Auch das Strickzeug müsse alsdann fertig sein. Solchen Mädchen wiederum, die fleißig

Zu Ende spinnen, schenkt die holde Frau Spindeln, und spinnt selbst für sie über Nacht, sodaß die Spulen morgens voll sind. Faulenzerinnen zieht sie die Bettdecken ab und legt sie wohl gar nackt auf den Estrich; fleißige Mädchen, die schon früh Wasser zur Küche trugen und reingescheuerte Eimer hatten, finden silberne Münzen darin.

Gerne zieht Frau Holle auch Kinder in ihren Teich. Gute macht sie dann zu Glückskindern, böse aber zu Wechselbälgern.

Geweiht ihrer Verehrung galt die häusliche Katze; wogegen die Wildkatze in Wuedens luftigem Heere mithetzte.

Alljährlich einmal zieht Frau Holle in ihrem goldenem Wagen durchs ganze Hessen Land, und segnet es.

Sie verleihet alsdann den Äckern Fruchtbarkeit, den Saaten Gedeihen, der Ernte Schutz vor Hagel. Überall sieht sie dann als guter Engel nach dem Rechten.

Aber zu anderen Seiten weilt sie an der Seite ihres Gemahles, fährt im Brausen des Sturms mit einher durch den Wald, gar an der Spitze des wütenden (hessisch: wüedenden) Heeres, der wilden Wuedens-Jagd.

Ist sie dann wiederum daheim, in ihrem Heiligtum am Wissener, so zeigt sie sich wohl gelegentlich, einmal als schöne weiße Frau inmitten des Teiches, oder wandelt am Gestade. Bald jedoch entzieht sie sich menschlichen Blicken, wird unsichtbar. Bisweilen hört man Stimmen aus den Tiefen des Teiches, oder es klingt auch bloß wie fernes Glockengeläute, oder wie finsteres Rauschen.

Heute noch immer, wie in grauer Vorzeit wallfahrten die Leute von weit her aus Hessen im Frühling zum Tanz hinauf zu den Wiesen am Frau Hollen-Teiche; und schlafen dort gerne eine Nacht: Holde Träume und Glück erhoffend fürs ganze Jahr.

Wir Hessen sind aber auch seit jeher das echte und rechte Wuedens- und Frau Hollen-Volk gewesen. Möglicherweise hat jener Anse auch dem oben beim Städtchen Gudensberg gelegenen sagenreichen und geheiligten Odenberg den Namen gegeben; so daß früher vielleicht ein großer und ein kleiner Wuedensberg genannt wäre. Wahrscheinlich haben solche Benennung aber unsere chattischen Altvorderen alsdann auch mit gen Süden genommen, und dem Gebirge zwischen Main und Neckar angehängt: dem heutigem Odenwald.

Dort nämlich, und zwar just längs der alten Grenze unserer Grafschaft Ober-Katzenelnbogen, spielen sich Sagen ab, die sowohl Wuedens wilde Jagd: das „wüedende“ Heer schildern, als auch deutliche Züge darbieten, die an jenen im Obenberg gebannten hessischen Fürsten und Landeshort: den s. g. „Quinten“ gemahnen. Im Odenwald ist die Sage an zwei Burgen geknüpft: den Rodenstein und den Schnellerts.

Wenn Not und Krieg Katzentelnbogischem Lande droht, dann zieht der getreue Warner an der Spitze des wütenden Heeres aus, vom Schnellerts, wo er ruht, nach dem alten Rodenstein; und kehrt erst bei friedlichen Zeitläufen forthin zurück. Am Rodenstein, seiner Stammburg, hält er gewissermaßen die Landes-Wacht, zusamt den Scharen, die hier gebannt schlafen.

Daß auch der Name des Odenwaldes recht wohl vom alten Wueden her genommen sein könne, dazu bedarf es nicht einmal der Beziehung auf die altnordische Namensform Odin; wie in dortiger Mundart W vor O und U als Regel immer schwindet: Ulf-Wolf, Orm-Wurm, Osk-Wunsch, waten, wuet, gewaten-wada, od, wadann usw. Solche Vermischung unterschiedlicher Mundarten wäre stammheitlich und geschichtlich ja auch unstatthaft. Aber in Hessen selbst, am Namen des Städtchens Gudensberg gewinnen wir einen Anhaltspunkt. Urkundlich erscheint jenes als Bodensberg, Wodensberg, Uldensberg. Hessische Mundart verrät also hier in sich nordischen Anklang.

Ebenso darf nicht vergessen werden, daß Namen alter Gottheiten von den christlichen Bekehrern absichtlich gewandelt wurden.

 

II. Vom Odenberg und den alten Hessen.

Eine weihevolle Stätte des ganzen alten Hessen-Landes ist die Gegend am Odenberg und Scharfenstein.

Dort lag einst die uralte Hauptstadt unserer chattischen Vorfahren: Matziachi geheißen, dann Metzach, und heute schlichtweg Metze. Gerade so wie der volle Klang des alten Namens ist aber auch der Ort geschwunden; nur ein Dorf ist geblieben, aber zur Stunde noch kündet die Sage von früherer Herrlichkeit, und ringsum wissen die Leute zu erzählen, daß dort einstmals eine große Stadt gestanden sei.

Diese lag aber vielleicht nicht auf dem Boden des heutigen Metze, sondern seitwärts, wahrscheinlich zwischen den Dörfern Ober- und Nieder-Vorschütz, und war befestigt, und beide Dörfer waren schützende Warten; daher ihr Name. Befestigt waren aber wohl auch die Höhen ringsum: die Wuedensberge.

Gleichwohl wurde das alte Matziachi im Jahre 15 nach Christi Geburt in einem Krieg mit den Römern erstürmt und niedergebrannt; doch mußten die Feinde bald wieder weichen, und konnten sich im Hessenland nicht behaupten. Denn unsere Vorfahren waren gewaltige Helden. Doch die Bewohner der Hauptstadt waren im Sturm wahrscheinlich zu gutem Teil umgekommen, und den Überlebenden war die frühere Heimstätte verleidet, und so bauten sie sich wohl von Neuem an, wo jetzt das Dorf Metze liegt.

So darf man es vermuten; die Sage aber berichtet folgendes:

1. Metze und Maden.

Metze war vor uralten Tagen eine ansehnliche Stadt; aber durch ein Weib, das zuvor seinen Gatten ermordet hatte, ward der Ort an die Feinde verraten und zerstört. Das Weib liegt dafür in ewigem Bann, und sieht man sie zu Zeiten in dem Bach stehen, der durchs Dorf hinausfließt. Sie ist eine hohe weiße Gestalt, plätschert dort im Wasser und verfolgt die Zuschauenden; doch sie kann nicht weiter kommen, als der Bereich ihres Eigentums gegangen war. Man nennt sie die Windelswäscherin.

Zwei Häuser, so wird in der Sage noch erzählt, blieben nach dem Untergang der alten Stadt übrig, und ihre Besitzer machten sich nun groß, und wollten Herren über allen Grund und Boden sein. Da sie aber ihre Gewalt mißbrauchten, und ungebührlich schalten wollten, da wurden sie vertrieben, daß sie nicht widerkehrten, bis sie gestorben wären. Nun wanderten sie lange plagend in der Ortschaft herum; endlich sind sie von Geistlichen gebannt, zuerst in ein steiniges Feld: Kiesling genannt, sodann weiter hinweg ins Besser Wäldchen.

Und das ist gewiß, daß es nach der Zerstörung der Stadt viel Streit um Eigentum gegeben hat, und noch nach Jahrhunderten haben die Örter ringsum über die Gemarkung gehadert. So soll außerdem ein Schreiber von Gudensberg im Besser Wäldchen spuken, der falschen Eid wegen dieses Gehölzes geschworen hatte, um es Metze zu entreißen und Gudensberg zuzuwenden.

Dort liegen nämlich auch die sechs Dörfer, von denen jener sonderbare Spruch geht:

Dissen, Deute, Haldorf, Ritte, Baune, Besse Das sind der Hessen Dörfer alle sesse.

Viel Grübeln hat die rätselhafte Aufzählung schon gekostet; denn es müssen doch immer mehr als sechs Dörfer beisammen gewesen sein. Vielleicht, so haben manche gemeint, habe es auch noch eine besondere „Hessische Mark“ im engeren Verband gegeben, etwa nach einem Adelsgeschlecht so geheißen; möglich wäre aber noch eines.

Dort, unweit alter Hauptstadt, ward auch der Landtag gehalten; und wenn das Volk sich versammelte, oder wenn es seine Geschworenen und Boten sandte, um zu tagen, so nannte man solches „maden“. Daher haben der Mader Stein, die Mader Heide, und das Ort Maden seinen Namen.

Nun war aber der chattische Stamm zahlreich und mächtig, reichte nicht nur über Main und Rhein, sondern hatte auch Niederlassungen, wo der Rhein sich ins Meer ergießt; und die heutigen Holländer stammen zum Teil von den Hessen ab.

Wenn nun zu großen Versammlungen aus allen Gebieten doch weither Abgesandte kommen sollten, so war solches gewiß immer umständlich. Damals reiste man auch nicht so friedlich durch die Länder; die Männer kamen vielmehr in Kriegsrüstung, mit starkem und bewaffnetem Gefolge, mit Rossen und Wagen. Denn auch Priester und weise Frauen kamen zu den Beratungen mit, um feierliche Verehrung zuvor und wiederum hinterdrein zu halten, und Opfer zu spenden, indem viele Tiere: heilige Pferde usw. als Gabe für die Gottheit dargebracht und dann getötet wurden.

Wann also das Volk zusammen strömte: berufene Männer und unberufene Zuhörer, so war für die Menge doch Unterkunft vonnöten. Möglich also, daß im Umkreis der Hauptstadt Metze, aus Hütten-Lagern verschiedener und entfernter Gauschaften, jene sechs Dörfer allmählich erwachsen wären: also nach Anzahl der Unterabteilungen des ganzen chattischen Volks-Stammes.

Zahlreiche, teile wunderlich gestaltete Höhen finden sich in der Landschaft, z. B. der Hahn bei Holzhausen; am wichtigsten aber erscheint wohl der Odenberg als Sitz uralter Gottesverehrung.