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Freunde zu verlieren, ist wohl mit das Schlimmste, was einem im Leben passieren kann, aber wenn sie dazu noch urplötzlich spurlos verschwinden, gibt es nur noch eines, was man unternehmen kann - sich auf Spurensuche begeben. In dieser Geschichte sind es die besten Freunde, die bedingungslos füreinander einstehen und sich auf ein unglaubliches Abenteuer einlassen, um die Vermisste beste Freundin zu finden. Spuren Suche ist der zweite Titel der neuen Urban Fantasy Romanreihe der Autorin Ellie von der Waldlohe. Diese Geschichte entführt den Leser / die Leserin auf eine ungewöhnliche und abenteuerliche Reise durch die Welt der Märchen- und Sagengestalten des deutschsprachigen Raumes. Hier treffen sich alte und unbekannte Wesen, von denen nicht alle zu den Guten gehören und mischen sich mit einer modernen Story. Erlebe diese interessante Komposition aus dem Heute und dem Aberglauben der Vorfahren.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Gewidmet:
Meinen lieben Freunden, die in den Weiten verteilt leben, doch stets treu und tapfer da sind, wenn man sie braucht - ob zum Lachen oder zum Weinen - Danke!
Spuren Suche
Müde stellte Lotte die Kaffeemaschine an.
Über ein Jahr lang hatten sie, ihre beste Freundin Frieda, die sie seit Kindestagen kannte, und die gemeinsamen besten Freunde Michael und Martin, an dem Wiederaufbau des Fahrzeuges gearbeitet. Aber ohne die unermüdliche Hilfe von Michael, der Kfz-Mechaniker war und Martin, der als Physiker ebenfalls einen scharfen Verstand und dazu noch geschickte Hände besaß, wäre das Unterfangen sicherlich nicht geglückt.
Immerhin handelte es sich um ein waschechtes Urgestein: einen VW Käfer vom Typ 87 mit Gepäckhalter über dem Faltschiebedach und Brezelfenstern im Heck. Ein ganz besonderes Gefährt, das sich Frieda da ausgesucht hatte, obwohl sich ihre Wissbegierde für fahrbare Untersätze für gewöhnlich immer in Grenzen gehalten hatte. Zwar war sie hinter einer Kfz-Werkstatt aufgewachsen, aber vielleicht lag auch gerade darin der Grund für ihre mangelnde Leidenschaft gegenüber der Automobile. Immerhin war es für sie alltäglich, dass die unterschiedlichsten Wagen auf dem Gelände standen und wieder gerichtet wurden.
Aber dieses Ding hatte es ihr wirklich angetan! Dies Teil war schlichtweg herausragend! Es war klein, knutschkugelig und als Wehrmachtfahrzeug sogar geschichtsträchtig. Zudem hat die alte Bauweise den eindeutigen Vorteil, dass Schäden leichter selbst zu beheben sind, weil nicht alles verbaut ist, wie in den neuen Bauformen. Mehr Elektronik benötigt eben auch mehr Platz, wodurch alles enger und verwinkelter gebaut werden muss. Aus diesem Grund kommt man nur noch schlecht an fehlerhafte Teile heran und muss oftmals mehr ausbauen, als eigentlich nötig wäre. Nichtsdestotrotz würde sie die Hilfe der anderen bei jeder Ausbesserung brauchen.
Lotte, als eine sehr erfahrene Lackiermeisterin, macht so schnell niemand etwas vor. Sie ist fachlich enorm belesen und erprobt. Aber aufgrund ihrer bescheidenen Art würde sie das nie zugegeben.
Nur, über die Lackierung waren sich die beiden Frauen nicht einig.
Frieda wollte ein tiefes mattschwarz, damit der Käfer alt und abgeranzt aussah, halt, wie sie sich einen echten Einsatzkäfer so vorstellte. Und der glänzte ihrer Aussage nach, ganz und gar nicht, sondern war im staubigen Gelände unterwegs, beschmutzt mit Matsch und Schlamm.
Natürlich hatte Lotte recht, wenn sie von den vielen Vorteilen des Hochglanzlackes sprach. Frieda verstand auch, dass für Lotte der Hochglanzlack den krönenden Abschluss einer Lackierung ausmachte.
Doch für Frieda gab es da keine Widerrede: Sie wollte Mattschwarz und fertig.
Schlussendlich musste Lotte als beste Freundin nachgeben und so erfüllte sie Frieda den, in ihren Augen „unfertigen“, Farbwunsch.
Die Uhr zeigte fünf an. Wohlgemerkt, in der Früh! Lotte hatte sich bereits vor dreißig Minuten mühevoll aus dem Bett gequält.
Zumindest war jetzt der Kaffee durch. Sie goss ihn gerade in ihre große, orange-rot farbene, bauchige Keramiktasse, aus der sie so gerne trank, weil diese einen, wie sie sagte, fabelhaften „Schlabberrand“ hatte.
Das war die kleine runde Wölbung am oberen Ende der Tasse, die man an den Mund ansetzte. Nur Tassen mit dieser Art des Randes tropften nicht. Das war zumindest Lottes Meinung, die sie sich durch eine Menge Kaffeetassen-Erfahrung gebildet hatte.
Das Gebräu sollte sie wieder zu einem Menschen werden lassen. Zwar stand sie gerne früh auf, weil der Tag dann so viele Möglichkeiten bot, aber es war ihr nicht leicht gefallen, die warmen gemütlichen Federn hinter sich zu lassen.
Kaffee half. Kaffee war gut. Und Lotte ohne Kaffee – das waren zwei Dinge, die es nicht gab. Nie.
Just in diesem Moment klopfte es an dem großen Rolltor.
Lotte hatte sich vor einigen Jahren Ihren Herzenswunsch erfüllt. Durch eine Zeitungsanzeige hatte sie erfahren, dass eine alte Werkstatt mit einer zusätzlich eingebauten Lackierkabine samt großzügigem Grundstück zum Verkauf stand. Anfangs war es nur eine Spinnerei in ihrem Kopf, als sie Frieda davon erzählte. Doch dass Frieda sie bereits Tags drauf anrief und meinte, sie hätte eine Besichtigung vereinbart, damit hatte Lotte wahrlich nicht gerechnet. Anfangs konnte sie es gar nicht fassen, dass ihre beste Freundin so etwas einfach gemacht hatte. Sie hatte sich gefühlt, als wäre ihr die Kehle zugeschnürt worden. Je mehr sie allerdings mit dem Gedanken spielte, umso wirklicher und greifbarer wurde alles.
So war gleich beim Betreten der Halle für Lotte klar, dass es genau DAS war, was sie immer gewollt hatte.
Natürlich, es gehörte einiges an Arbeit dazu, aber das Grundgerüst war genau so, wie sie es in ihren Träumen haben wollte. Also kaufte sie das Grundstück mitsamt der Halle.
Mithilfe ihrer Freunde hatte sie sich innerhalb der Werkstatt einen Bereich ausgebaut, in dem sie lebte. Es war eine fabelhafte Verbindung aus Arbeit und Leben, die sie dort mit vereinten Kräften geschaffen hatten.
Lotte drückte auf den elektrischen Toröffner.
Mit einem freudestrahlendem „Hi Lotte!“, trat Frieda ein. Sie war bepackt mit einem kleinen Rucksack und einem Schlafsack, welchen sie unter dem Arm geklemmt hielt.
Sie ging rechts vorbei an der dunkelblauen Hebebühne, unter der sich ein Loch zum besseren Arbeiten am Unterboden befand. Jetzt schlängelte sie sich an den drei orange-schwarzen, rollbaren Werkzeugwagen aus Metall vorbei.
Diese Dinger waren wirklich schwer und standen da, wie für einen Hindernislauf aufgestellt. Jeder Einzelne war hochwertig ausgestattet und nach seiner Hauptaufgabe befüllt. So gab es einen Wagen für Vorarbeiten, wie Abdeckarbeiten mit Folien und Klebebändern, Scheren und scharfen Messern mit Abbrechklingen, Schleifmaterialien und Säuberungswerkstoffen wie Entfetter, Honigtüchern, Handschuhen und Atemmasken mit dazugehörigen Filtern.
Honigtücher sind tatsächlich Tücher, die sehr klebrig sind und dadurch den Staub von dem Werkstück anziehen und an sich binden. Es sind die besten Tücher, wenn es darum geht, eine Fläche zum Lackieren staubfrei zu säubern – laut Lotte. An diesem Wagen stand ein großer Besen gelehnt, der zum Ausfegen der Halle gedacht war.
In den anderen beiden Wagen befinden sich verschiedene Schraubenzieher, Ringschlüssel und anderes Werkzeug. Halt, was man alles so braucht, wenn man Dinge wieder in Ordnung bringt.
Lotte schmunzelte, als sie sah, wie anmutig und federleicht Frieda, trotz ihrer Beladung, durch die Werkstatt tänzelte.
Die Halle war durch unzählige Fenster und Oberlichter wirklich schön hell und freundlich. Zudem war es für Lotte sehr wichtig, die Halle wirklich sauber zu halten. Kurzum, bei dem wenigen Schmutz vermutete wirklich niemand, dass hier tatsächlich und ernsthaft gearbeitet wurde.
Einige Meter weiter steht ein urig gemütliches, braunes Ledersofa an der Wand neben einem alten, hell-grünen Kachelofen. Vor dem Sofa befindet sich ein dunkler, kniehoher Holztisch.
Auf der anderen Seite der Halle befindet sich die Lackierkabine, die Farbmischmaschine, ein kleines Farblager und das Büro.
Ursprünglich war das Lager oben auf dem Boden gewesen. Doch das hatte Lotte sich liebevoll zu ihren ureigenen Gemächern ausgebaut, die nicht für jeden zugänglich waren.
Frieda war gerne bei Lotte, sie empfand die Einrichtung, wie sie sagte: „Als eine Mischung aus handfester Gemütlichkeit gepaart mit Wärme und Leidenschaft.“
* * *
Selbstverständlich ließ sich die Besucherin in das weiche Leder plumpsen und stellte ihr Gepäck auf den Boden neben die bequeme Sitzgelegenheit.
Mit einer Tasse schwarzen Tee mit Milch in der einen und ihrem geliebten Kaffee, mit Milch, in der anderen Hand kam Lotte aus der offenen Küche.
„Du hast immer Uhrzeiten“, sagte sie noch müde.
Die Küche war absichtlich offen gehalten. So war die Halle gut einsehbar und für die Kunden war ein freundlicher Kaffee nicht weit.
„Heute ist ein aufregender Tag! Du übergibst mir heute meinen Einsatzkäfer und ich werde ihn gleich auf einer ausgiebigen Ausfahrt testen. Da muss ich doch jede Minute nutzen“, sagte Frieda breit grinsend.
„Hier hast du erst einmal deinen Tee“, sprach Lotte freundlich, als sie sich zu Frieda setzte und ihr die grüne, bauchige Teetasse reichte. Natürlich besaß auch diese einen Schlabberrand.
Frieda bedankte sich zufrieden, als sie die Tontasse entgegennahm. Sogleich pustete sie den heißen Dampf von ihrem Tee: „Du bist einfach die Beste, Lotte!“
„Wegen des Tees? Ach, den mach ich immer gern für dich, weißt du doch“, gab sie gut gelaunt zurück.
Lächelnd meinte Frieda: „Quatsch! Nicht doch, wegen des Tees – also auch, aber hauptsächlich, weil du mir so irre doll mit dem Wagen geholfen hast. Ohne dich und die Jungs wäre ich ganz sicher noch lange nicht fertig. Na ja, wenn ich mir solch eine Herausforderung überhaupt ohne euch zugetraut hätte“, erklärte sie mit einem warmherzigen Strahlen im Gesicht und ihre Augen leuchteten wie die funkelnsten Sterne.
Die beiden Frauen umarmten sich und Lotte rieb Frieda mit den Händen über den Rücken und meinte ernsthaft: „Hab ich doch gern gemacht. Wirklich gern. Wozu hat man denn Freunde, wenn nicht, damit sie einen unterstützen und helfen?“
„Trotzdem, ist das nicht selbstverständlich und ‚Danke‘ zu sagen, ist da doch wohl das Mindeste, was ich tun kann. Immerhin darf ich ja offenbar keinen von euch bezahlen“, antwortete Frieda handfest, während sie glücklich die Umarmung löste.
„Um Gottes willen, wir sind Freunde, dein breites Lächeln ist uns Bezahlung genug. Da bin ich mir mit den Jungs völlig einig“, entgegnete Lotte entgeistert.
Es krachte. Sich umsehend, bemerkte Lotte verdutzt: „Der Besen am Werkzeugwagen ist umgefallen. Seltsam. Wie das nur wieder passieren konnte?“
„Bei dir spukt’s!“, rief Frieda belustigt aus.
Lotte blickte verwundert drein.
„Nein“, sagte Frieda beschwichtigend, denn sie hatte den unsicheren Blick ihrer Freundin bemerkt, „es war sicherlich nur ein Luftzug, der den Besen umgeworfen hat.“ Sie wollte ihre Freundin auf keinen Fall beunruhigen, denn sie wusste, dass Lotte solchen Ereignissen gerne eine schaurige Note zuschrieb.
„Du hast ganz bestimmt recht“, meinte Lotte und stutzte dabei. „Aber das passiert hier öfter und nie ist vorher irgendwas gewesen. Das ist schon irgendwie ziemlich unheimlich.“
Da war sie schon, die unheilvolle Sorge, die Frieda nicht hatte auslösen wollen. Sie wollte ihre beste Freundin schleunigst auf andere Gedanken bringen. Doch diese kam ihr zuvor.
„Wo willst du überhaupt hinfahren?“, fragte Lotte gespannt.
Freudestrahlend kramte Frieda eine Straßenkarte aus ihrem Rucksack hervor.
Als sie die Karte auf dem Tisch ausbreitete, fiel ein kleiner Zettel heraus und landete auf dem Boden unter dem Tisch.
Schnell hob Lotte ihn auf und reichte ihn ihrer Freundin.
„Danke“, sagte sie und setzte mit großen Augen hinzu: „Meine Stichpunkte für die Wegbeschreibung.“
Sie legte den Zettel wieder auf die Karte.
Mit dem Finger zeigte sie auf eine, mit einem roten Klebepunkt gekennzeichnete, Stelle: „Hier sind wir.“, sie wanderte mit dem Finger weiter nach oben: „Und hier will ich hin.“ Nun deutete sie auf eine Stelle, die mit einem grünen Aufkleber markiert war. Der Aufkleber besaß ein lachendes Gesicht. Derartige kleine Spielereien waren unverwechselbar für Frieda.
Lotte staunte: „So weit willst du?“
„Eine zwei, vielleicht drei Tage Fahrt“, verkündete Frieda freudig.
„Du weißt schon, dass dir da einiges passieren kann? Immerhin ist es die erste Ausfahrt und der Wagen ist noch gar nicht getestet. Nicht, dass du irgendwo liegen bleibst“, gab Lotte ihrer Freundin besorgt zu bedenken.
Doch die klopfte nur hinweisend auf ihren Schlafsack. „Dafür habe ich den Kleinen ja mit dabei. Aber ich denke, ich werde sicherlich in einem Gasthof unterkommen, der auf der Strecke liegt. Irgendwo findet sich ein gemütliches Plätzchen für mich, wirst sehen“, erwiderte die Abenteurerin leidenschaftlich.
„Aber, wenn was ist, rufst du an, ja!?“, sagte Lotte eindringlich.
Mit einem bestechenden Lächeln antwortete Frieda: „Da kannst du dich drauf verlassen. Ich werd dir auch zwischendurch immer mal eine SMS schreiben.“
Lotte fand Frieda in der Hinsicht etwas unzeitgemäß. Tatsächlich verweigerte sich Frieda beharrlich den angesagten Netzwerken, die eigentlich jeder gerne nutzte. Denn sie fand, dass man da so überwacht sei. Ein Haken als Zeichen für „gesendet“ hätte gereicht. Nein, stattdessen brauchen die Menschen noch einen Zweiten, für „gelesen“. Anschließend regen sich alle auf, wenn nicht gleich geantwortet wird. Nee, nee, das war Frieda viel zu stressig, das wollte sie sich nicht antun. Sie konnte SMS schreiben und telefonieren, das reichte ihr. Vierundzwanzig Stunden musste und wollte sie nicht erreichbar sein.
Lotte belächelte sie dafür zwar ein klein wenig, war aber zugleich beeindruckt, wie eisern Frieda ihre Ansicht ohne viel Federlesens durchzog. Sicherlich gehörte da ein trotziger Sturkopf dazu und über den verfügte Frieda – das war unbestreitbar.
„Hast du was zu essen dabei?“, erkundigte sich Lotte.
Sie erhielt als unbekümmerte Antwort: „Ich hol mir unterwegs was.“
Lotte rollte mit den Augen: „Du wieder! Warte, ich habe dir eine Kleinigkeit zurechtgemacht.“ Sie stand auf und ging rüber in die Küche. Als sie zurückkam, hielt sie vier kleine Alupäckchen in den Händen: „Hier, steck die ein“, ordnete sie die Verwunderte an.
„Was ist das?“, wollte Frieda wissen, als sie die Pakete, zusammen mit der Karte und der Wegbeschreibung, in den Rucksack gleiten ließ.
Mit einem wissenden Lächeln meinte Lotte: „Ich habe dir Brote geschmiert. Aber, was drauf ist, verrate ich nicht, das wirst du merken, wenn du sie dir schmecken lässt.“ Sie gluckste zufrieden.
Da Frieda wusste, dass Lotte ihr nur leckere Sachen mitgeben würde und da es bei Lotte stets super schmeckte, nahm sie die Überraschung gerne wortlos an. Nur ein aufrichtiges „Dankeschön“, gab sie zurück.
„Hast du etwas zu trinken dabei?“, erkundigte sich Lotte.
„Ja, eine Flasche Wasser“, antwortete die Gefragte rasch.
Beruhigt gab Lotte ein: „Gut.“, von sich. Sie war immer um ihre beste Freundin besorgt. Die konnte nämlich ganz schön kopflos sein und die Hälfte vergessen, obwohl sie selbst gerade eben noch davon gesprochen hat. So zum Beispiel war es immer, wenn Frieda aufgeräumt hatte, sie fand dann einfach nichts mehr wieder. Oder, wenn sie etwas ablegte, passierte es nicht selten, dass sie bereits dreißig Minuten später rumsuchte, wo sie es hingetan hätte.
Auf der anderen Seite war Frieda der am besten durchdachte Mensch, den sie kannte. Manchmal dachte Lotte, dass in Frieda zwei Menschen wohnen würden. Das war natürlich Blödsinn, es war einfach nur verwunderlich, dass ein Mensch zwei so gegensätzliche Seiten in sich hatte. Am erstaunlichsten dran war, dass, wenn Frieda etwas misslang oder sie etwas nicht wiederfand, sie stets ruhig blieb und es einfach so hinnahm, ohne aus der Haut zu fahren. Das war wirklich unbegreiflich für Lotte. Dennoch mochte sie diese ruhige Art an Frieda ganz besonders. Sie selbst war schnell aufbrausend, schnell begeisterungsfähig, aber auch genauso flott wieder ablenkbar.
„So, mein Tee ist leer. Es kann losgehen“, sagte Frieda, während sie zeitgleich aufstand.
Lotte schreckte aus ihren Gedanken hoch: „Ja klar, komm, ich hab deinen Einsatzkäfer noch in der Lackierkabine stehen.“
Frieda raffte ihre Sachen und gemeinsam gingen sie zur Lackierkabine hinüber.
„Warte hier, ich fahr dir dein ‚Schätzchen‘ raus“, wies Lotte ihre beste Freundin an, während sie durch die Tür verschwand.
Sie war aufgeregt, hoffentlich würde Frieda der Wagen gefallen.
Es dauerte nicht lange, bis sich das Tor öffnete und der mattschwarze Wagen langsam hindurch in die Halle rein rollte.
„Wahnsinn! Ist der schön“, rief Frieda hellauf begeistert aus, „den hast du wunderschön lackiert! Genauso habe ich ihn mir vorgestellt!“
Lotte stieg zufrieden aus: „Ich freue mich, wenn er dir gefällt.“, sie überlegte kurz, „auch, wenn er unfertig aussieht“, stichelte die erfahrene Lackiererin lächelnd.
Beide lachten lautstark, während sie sich warmherzig drückten. Mit wenigen Handgriffen war der Rucksack auf dem Beifahrersitz und der Schlafsack im Kofferraum verstaut.
„Die beiden Benzinkanister habe ich dir aufgefüllt. Jetzt hast du insgesamt zwanzig Liter dabei, sollte was sein, kommst du damit wenigstens noch ein gutes Stück weit“, erklärte Lotte sachlich, allerdings mit einem Hauch von Besorgnis.
„Super! Dankeschön! Da sparst du mir einen Weg. Ich hätte die sonst jetzt auch noch an der Tanke befüllt“, sagte Frieda vergnügt.
* * *
Während die Lackiererin auf das große Rolltor zuging und es mit der Kette rasselnd öffnete, stieg die Abenteurerin zum ersten Mal in ihren Einsatzkäfer.
Was war das für ein prächtiges Gefühl? Voller Stolz saß sie am Steuer und drehte aufgeregt den Schlüssel im Schloss. Schnurrend sprang der Wagen an. Vorsichtig bewegte sie das Gaspedal und das geschichtliche Gefährt setzte sich geschmeidig in Bewegung. Vorsichtig fuhr sie durch die Werkstatthalle hinaus ins Freie, wo ihre beste Freundin bereits wartete.
Inzwischen waren die Uhrzeiger auf die sechste Stunde gerückt. Langsam erwachte der Tag, die Vögel zwitscherten und die Sonne schob sich gemächlich hinter den Wolken hervor. Die Luft war mild und kündigte wundervolles Wetter an.
Frieda kurbelte das Fenster runter.
„Hast du alles?“, erkundigte sich Lotte noch einmal mütterlich und stützte sich dabei mit den Händen am Fensterrand auf.
„Ja, danke. Ich hab alles dabei“, erklärte die Fahrerin feierlich mit hocherhobenem Haupt. „Du bist echt toll, danke, danke, für all deine Hilfe. Ich melde mich zwischendurch, versprochen.“
„Mach das. Ich wünsche dir ganz viel Spaß und dass alles gut geht!“, sagte Lotte wohlmeinend.
„Wird schon!“, entgegnete Frieda knapp und strahlte dabei von einem Ohr zum anderen, wie ein Honigkuchenpferd.
Der Himmel war in ein knalliges Orange mit dunkelroten kleinen Wolken getaucht.
Nun war es so weit, es ging wirklich los. Frieda fuhr im schönsten Morgenrot vom Hof, nicht jedoch, ohne Lotte noch aus dem offenen Fenster zu winken und dreimal zu hupen. Ach, der Käfer klang richtig herrlich und die Hupe war total süß.
Lotte schmunzelte, das hatten sie gut gemacht. Aber sie war auch besorgt. Gleich sofort so eine lange Strecke. Hoffentlich würde alles gut gehen. Aber was sollte passieren? Der Wagen war technisch einwandfrei und behördlich abgenommen. Außerdem hatte Frieda ja auch ein Mobiltelefon, sollte wirklich etwas sein.
Lotte blieb noch so lange draußen vorm Tor stehen, bis sie Frieda und den Einsatzkäfer nicht mehr sehen konnte.
* * *
Zurück in ihrer Werkstatt ließ sie das Tor runter.
Auf dem Weg zurück durch die Halle hob sie den umgefallenen Besen wieder auf und stellte ihn zurück. Dabei dachte sie, wie seltsam es war. Immer wieder kam es vor, dass etwas von alleine umfiel oder plötzlich, woanders stand. Klar, es konnte ein Windzug gewesen sein oder er war bereits länger, Millimeter um Millimeter gerutscht oder vermutlich stellte sie selbst unbewusst Dinge zur Seite. Trotzdem blieb es einfach eigenartig.
Lotte schlenderte in die Küche, um sich noch eine Tasse Kaffee zu holen und diese gemütlich auf dem Sofa in aller Ruhe zu genießen.
„Sechs Uhr, was tut man nicht alles für Freunde?“, murmelte Lotte müde lächelnd vor sich hin.
Zum Glück war Freitag und da weiter keine Termine anstanden, konnte sie sich vollumfänglich der Büroarbeit widmen. Dieser blöde Verwaltungskram machte ihr überhaupt keinen Spaß, aber es war das Übel, das sie für ihre Selbstständigkeit auf sich nehmen musste. Nach dem Kaffee würde sie sich ins Büro schwingen; je eher sie anfing, umso früher würde sie das ungeliebte Zeug hinter sich haben.
Anschließend würde sie das ganze Wochenende Zeit haben, um einfach mal nichts zu tun. Das brauchte sie auch, immerhin hatte sie die ganze Woche über bis spät in die Nacht Überstunden gemacht, um neben ihrer eigentlichen Arbeit, Friedas Einsatzkäfer fertig zu bekommen.
* * *
Lotte reckte ihre steifen Glieder. Sie sah auf die Uhr. Schlag zwölf Uhr mittags. Ihr Magen knurrte hörbar. Wie es wohl Frieda ging? Wo sie inzwischen wohl sein mochte? Lotte stand vom Bürostuhl auf und streckte sich erneut. Herrlich, das fühlte sich so gut an. Langsam schlenderte sie in die Küche rüber. Sie warf einen Blick in den Kühlschrank. Hm, so recht fand sie nichts, worauf sie Lust hätte. Sie öffnete den Tiefkühler. Auch nicht wirklich ergiebig. Und nun?
Wie zur Antwort klopfte es an dem Tor. Wer mochte das sein? Sie erwartete niemanden. Neugierig drückte sie auf den elektrischen Türöffner. Noch bevor sich das Tor zur Hälfte geöffnet hatte, erkannte sie Martin und Michael, die sich bückten und unter dem Tor hindurchschlüpften.
Lotte drückte auf „schließen“ und das Tor fuhr wieder zu.
„Hi ihr beiden! Was macht ihr denn hier?“, rief sie ihnen überrascht entgegen.
Martin war von durchschnittlich großem Wuchs, er trug seine dunklen Haare kurz geschoren. Er war Brillenträger und hatte einen Dreitagesbart. Eine eigentümliche, Auffälligkeit zierte sein Gesicht. Über der rechten Augenbraue auf der Stirn besaß er einen kleinen Knochenauswuchs, der aussah, wie ein einzelnes Teufelshörnchen. Dies gab seinem Gesicht eine ganz eigene Note. Er hatte ein schwarz-weiß gestreiftes Hemd an und eine kurze schwarze Hose, zu der er Springerstiefel trug, die ihm knapp über die Knöchel reichten.
Michael hingegen war ein sehr großer Mann, etwa ein Meter neunzig maß er. Sein sportlicher Ehrgeiz hatte ihm eine kraftvolle Figur eingebracht. Ihm war bereits in früher Jugend der Wunsch nach einer vollen Haarpracht verwehrt geblieben und so war er zwar kahl auf dem Kopf, jedoch bärtig am Kinn. Jeden Tag zwirbelte er die Spitzen seines Bartes leicht rund nach innen. Er sah aus, wie ein Wikinger. Michael hatte ein schlicht schwarzes, ärmelfreies Hemd an und eine Hose mit aufgesetzten Taschen an der Seite. An den Füßen hatte er feste, schwarze Wanderschuhe an. Er sah sehr schneidig aus.
„Wir dachten, du magst mit uns ein gefülltes Fladenbrot essen“, sagte Martin und Michael hielt wie zur Unterstützung eine verheißungsvoll raschelnde Tüte hoch.
So seltsam wie sie vielleicht für andere Menschen aussehen mochten, diese beiden waren die liebsten und warmherzigsten Gesellen, die darüber hinaus unheimlich was im Köpfchen hatten und obendrein auch noch handwerklich begabt waren. Kurzum, sie waren die besten Freunde, die man sich überhaupt vorstellen konnte!
„Ihr kommt wie gerufen. Gerade durchsuchte ich meine Schränke nach etwas Essbaren, auf das ich Lust habe“, erzählte Lotte freimütig und nahm drei Teller aus dem Schrank.
Die drei Freunde trafen sich auf dem Sofa. Lotte verteilte die Teller und Michael die Fladenbrote.
Grinsend sagte Michael: „Mit viel Knoblauchtunke.“
„Oh, sehr gut!“, lobte Lotte ihn, während ihr Magen hörbar rumorte.
Martin lachte und meinte: „Das dachten wir uns, du kleine Knobitante. Und wenn ich so auf deinen Bauch höre, ist es allerhöchste Zeit bei dir für die Nahrungsaufnahme.“
„Das kannst du laut sagen. Das doofe Bürozeug hat mich so beschäftigt, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie rasch die Zeit vergangen ist. Der Mist klaut mir jede Menge Lebenszeit, die ich viel besser nutzen könnte“, sagte Lotte, entfernte die Alufolie und biss genüsslich in das mitgebrachte Essen.
„Da hast du wohl recht“, entgegnete Martin verständnisvoll, bevor auch er seine Zähne in das warme, weiche Brot schlug.
Michael kaute noch, als er wissbegierig fragte: „Ist Frieda schon los? Hat sie noch was gesagt?“
„Hm“, brachte Lotte kauend heraus und schob sich mit den Fingern etwas Weißkraut zurück in den Mund. „Sie war um fünf hier.“
„Um fünf?“, staunte Martin.
„Verrückt“, gab Michael geplättet dazu.
„Ja, um fünf. Aber ihr kennt Frieda, die fällt aus dem Bett und kann gleich los wirbeln“, sagte Lotte mit bewunderndem Ton.
Die Jungs mussten lachen.
„Sie war so süß. Sie hatte zwar etwas zu trinken, aber Essen wollte sie sich irgendwo, irgendwann besorgen. Ich bin ja manchmal eine Gute“, lobte Lotte sich selbst, „und hatte in weiser Voraussicht ein paar Brote geschmiert, die ich ihr mitgegeben habe.“
„Was hat sie zum Wagen gesagt?“, wollte Michael ungeduldig wissen.
Lotte schmunzelte: „Als ich den rausfuhr, hat sie Bauklötze gestaunt. Das Gesicht hättet ihr sehen müssen. Ganz stolz ist Frieda vom Hof gefahren.“, sie machte eine kurze Pause, „Zwei bis drei Tage will sie unterwegs sein!“
„Oh ha, ist ein wenig lang für die erste Ausfahrt, gell“, meinte Michael.
„Ach, lass sie doch, was soll schiefgehen? Das Teil ist abgenommen und wir haben alles Tipp-Top hergerichtet. Hättest du etwa Bedenken? Immerhin hast du den Motor gebaut“, warf Martin ein.
„Nein. Ich hab das alles ordentlich gemacht und von meiner Seite aus gibt es beim Motor überhaupt keine Zweifel“, entgegnete Michael fest.
„Na, seht ihr, was soll dann bitteschön passieren? Sie wird einfach unglaublich viel Spaß haben!“, setzte Martin aufmunternd nach.
„Hat sie sich denn schon mal gemeldet?“, erkundigte sich Michael.
Lotte schaute auf ihr internetfähiges Mobiltelefon. Tatsächlich war eine Benachrichtigung auf dem Bildschirm zu sehen. Sie öffnete die Nachricht und las sie laut vor:
„Hi Lotte, wollte mich mal kurz melden. Der Wagen fährt super! Die Leute schauen alle. Solch ein Gefährt haben sie sicher noch nicht gesehen: -) Ich dank’ euch allen, dass ihr mir geholfen habt, meinen Traumwagen zu verwirklichen. Ihr seid die Besten! Sag den Jungs ganz liebe Grüße und einen dicken Dank, wenn du sie siehst. Arbeite nicht so viel und gönne dir mal Ruhe! Ich braus weiter. Bis denne: -)“
„Jetzt bin ich wirklich etwas beruhigter“, sagte sie erleichtert und es war ihr deutlich anzumerken, dass ihr eine Last von den Schultern fiel.
„Na, siehste. Ist doch alles in Ordnung“, meinte Martin brüderlich und klopfte Lotte sacht auf die Schulter.
„Das war ein feines Schmäckerchen“, bemerkte Michael und ließ sich nach hinten in die Lehne gleiten, während er satt über seinen Bauch strich. Er steckte sich eine Zigarette an.
„Ich kämpfe auch schon“ gab Martin zu.
Lotte mümmelte noch gemütlich an ihrem Brot. Wie üblich war sie die Letzte beim Essen. Sie meinte ernsthaft, es läge an ihrem kleinen Mäusemund. Dabei aß sie einfach langsam.
Als Martin aufgegessen hatte, nahm er den Aschenbecher vom Tisch und stellte diesen auf seinen Oberschenkel ab. Mit einem Klack zündete auch er sich einen Glimmstängel an.
Lotte schob sich einige Minuten später das letzte Stück in den Mund. Mit einem „Uff.“ Bedeutete, auch sie satt zu sein.
„Heute Abend wird der alte ‚Nosferatu‘ im Park gezeigt. Wollen wir uns da treffen? Wir könnten grillen und uns einen leckeren Met schmecken lassen. Ich habe nämlich wieder eine kleine Menge fertig“, schlug Michael vor.
„Na, das hört sich doch gar wundervoll an“, meinte Martin begeistert und stupste Lotte mit dem Ellbogen in die Seite: „Kommst du auch?“
„Heute Abend?“, sie überlegte.
„Ach klar, da gibts doch nichts zu überlegen. Frischer, selbst gemachter Met von Michael“, säuselte Martin, frech grinsend.
Wer hätte da noch „Nein“ sagen können? „Also gut“, willigte Lotte ein. „Hoffentlich schlaf ich nicht ein.“
„Und wennschon, dann bringen wir dich auch heile wieder nach Hause. Bist doch in den besten Händen“, beruhigte Martin sie in seiner gewohnt achtsamen Art.
„Klar, da gibts doch gar keine Frage“, bekräftigte Michael, Martins Aussage.
„Auf euch kann ich mich immer verlassen“, sagte Lotte lächelnd. „So, aber dann muss ich euch jetzt echt rausschmeißen, sonst schaff ich die Zettelwirtschaft nicht. Vielen Dank für das leckere Essen und wir sehen uns dann heute Abend im Park. Ab sieben?“
Die Jungs sahen sich an. Nickend sagte Michael: „Ab sieben ist gut, da können wir schon mal den Grill an-schmeißen. Wir bringen alles mit. Du brauchst nur dazu kommen.“
„Ihr seid einfach großartig!“, sagte Lotte. Mehr fiel ihr nicht ein. Sie freute sich so sehr und war irre glücklich, solch gute Freunde zu haben.
Sie umarmten sich, bevor die beiden Männer die Werkstatt verließen.
* * *
Mit gut befülltem Bauch räumte Lotte die Teller und den Müll vom Tisch ab. Schnell wurde alles in der Küche verstaut, bevor sie sich wieder auf den Bürostuhl schwang. Ein Blick auf die Uhr. Um zwei. Sie hatte zwar so überhaupt keine Lust. Aber was half es? Mit einem Seufzer begann sie ihre Arbeit.
Pünktlich um vier gönnte sie sich einen Kaffee und eine Handvoll Kaffeegebäck. Was Frieda wohl gerade machte? Sie sah auf ihren Telefonbildschirm. Nichts. Keine Meldung. Aber Lotte sah Frieda genau vor sich: Sie würde bestimmt pfeifend über die Straße brettern, mit offenem Fenster und wehenden Haaren. Sie musste lächeln.
Die kleine Pause tat gut und Lotte fühlte sich wieder frischer. Weiter ging es.
Bereits um halb sechs war sie mit dem Papierkram durch. Sie lochte die letzten Blätter, klammerte sie zusammen, heftete das Bündel in den Ordner und schlug den Ordnerdeckel, mit einem überglücklichen „So!“, zu. Endlich geschafft. Und sie hatte sogar noch genügend Zeit, etwas abzuspannen und sich in aller Ruhe frisch zu machen, ehe sie zu ihrer Verabredung mit den Jungs aufbrach.
Lotte kochte sich einen Ingwer-Holunderblüten-Tee und stellte die Musik an.
Die Tasse stellte sie auf den Boden. Nun ließ sie ein dickes Kissen, welches sie vom Sofa nahm, auf den Boden vor den Tisch fallen. Mit dem Rücken legte sie sich auf das Kissen und stellte die Fußsohlen an die Tischkante und wippte im Takt mit den Zehen auf und ab.
Sie sah zur Decke hinauf und dachte … an nichts. An überhaupt nichts.
Aber allzu lange hielt Lotte dieses ins Leere starren nicht aus. So setzte sie sich auf und trank schlückchenweise das Heißgetränk.
Gegen sechs Uhr huschte sie unter die Dusche und war pünktlich um halb sieben zum Aufbruch bereit. Sie freute sich sehr auf den Abend im Park. Vor allem war das Wetter absolut herrlich.
* * *
Draußen war es noch richtig mild, die Abendsonne wärmte die Haut und die Luft schmeckte nach lieblicher Entspannung. Lotte verschloss die Tür mit einer dicken Kette und einem großen, wuchtigen Hängeschloss, das sie selbst in einem grellen Hellgelb lackiert hatte. Die Farbe leuchtete im Dunkeln nach. So konnte sie, wenn sie spät nach Hause kam, das Schloss immer auf Anhieb finden. Das war überaus nützlich, da sie ansonsten nicht sonderlich viel Licht auf ihrem Grundstück hatte. Das musste sie endlich mal ändern. Aber sie kam ja vor lauter Arbeit zu nichts.
Dies Wochenende gehörte ihr und sie wollte es einfach ganz ausgiebig genießen.
Da es noch taghell war, konnte sie alles gut sehen. So schlenderte sie gelassen am Kräuterbeet vorbei. Das hatte sie gleich in der Nähe des Eingangs in Hochbeeten und Kübeln angelegt. Dadurch war es immer ein herrlich duftendes Erlebnis, die Werkstatt zu betreten oder zu verlassen. Denn die Kräuter rochen irre gut und es hatte einen weiteren, wichtigen Vorteil: Lotte kochte unglaublich gerne mit frischen Kräutern. Der Standort schien den Pflanzen gut zu gefallen, denn jedes einzelne Kraut wucherte wie wild, was ein untrügerisches Zeichen dafür war, dass sie sich pudelwohl fühlten.
Da gab es: Liebstock, das man auch Maggikraut nennt und was jeder Suppe eine feine, würzige Note verleiht. Schnittlauch, Knoblauchkraut, Colakraut, das tatsächlich nicht nur nach dem bekannten Getränk riecht, sondern auch tatsächlich so schmeckt. Zitronenmelisse, Minze, Rosmarin, Lavendel, Thymian, Waldmeister, Salbei und leckere Kresse.
Das waren alles sehr leckere, schmackhafte Kräuter, aber es war auch nur der Anfang. Lotte wollte noch ganz viele Kräuter mehr dazu pflanzen, doch all das brauchte einfach seine Zeit. Manches dauerte halt etwas länger, wenn man selbst und ständig alles alleine machen musste. Doch sie wollte sich nicht beklagen, denn immerhin hatte sie bereits eine ganze Menge geschafft und das stimmte sie sehr zufrieden.
Als Nächstes kam rechter Hand das ganze Holz, das Sie bereits für den Winter vorbereitet hatte. Ein riesen Stapel. Dieser setzte sich zusammen aus: alten, unbehandelten Holzteilen und Holz, das sie aus dem Wald holte. Sie kaufte es vom Förster selbst, der ihr in einem nahe gelegenen Waldstück bestimmte Bäume zuwies, die sie dann selbst fällen und verarbeiten