Sambanächte mit dem Boss - Maggie Cox - E-Book

Sambanächte mit dem Boss E-Book

Maggie Cox

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Beschreibung

Ich darf mich nicht in meinen Boss verlieben, beschwört Marianne sich. Vergebens: Als Eduardo de Souza sie heiß küsst, schlägt ihr Herz plötzlich im Sambatakt. Bis sie mit dem attraktiven Geschäftsmann nach Rio de Janeiro fliegt und dort eine schockierende Entdeckung macht …

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Seitenzahl: 168

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IMPRESSUM

Sambanächte mit dem Boss erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2009 by Maggie Cox Originaltitel: „Brazilian Boss, Virgin Housekeeper“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 318 - 2010 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Tina Beckmann / SAS

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2023.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751521840

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Nichts schien sie aus der Ruhe bringen zu können, nicht einmal der schneidend kalte Wind, der durch die Straße fegte.

In den vergangenen drei Wochen war Eduardo mehrmals hier vorbeigekommen. Und er hätte schon blind sein müssen, um das Mädchen zu übersehen, das am Straßenrand Gitarre spielte und dazu melancholische Folksongs sang. Anscheinend hatte es weder Eltern noch sonst jemanden, der sich um es kümmerte. Dass ein so junger Mensch gezwungen war, sich auf diese Weise das Geld für eine warme Mahlzeit zu verdienen, schockierte Eduardo.

Nach kurzem Zögern blieb er vor dem Mädchen stehen. Seit den tragischen Ereignissen vor zwei Jahren war es das erste Mal, dass ihn das Schicksal einer anderen Person mehr als nur oberflächlich berührte. Vermutlich war es eine sentimentale Anwandlung, die sich rasch wieder verflüchtigen würde. Trotzdem legte er eine Banknote in die abgetragene Tweedmütze vor ihren Füßen und beschwerte sie mit zwei Fünfzigpencemünzen, damit der Wind sie nicht davonwehte.

„Ein hübsches Lied“, murmelte er und wollte gerade wieder gehen, als die junge Sängerin zu spielen aufhörte.

„Vielen Dank, aber das ist bei Weitem zu viel.“ Zu Eduardos Verblüffung nahm sie den Geldschein wieder aus der Mütze und drückte ihn energisch in seine behandschuhte Hand zurück. „Falls Sie etwas für einen guten Zweck spenden möchten, gibt es am Ende der Straße eine Kirche, wo für die Obdachlosen des Viertels gesammelt wird. Ich bin weder ein Fall für die Wohlfahrt, noch lebe ich auf der Straße.“

Jäher Ärger stieg in Eduardo auf, dessen Intensität ihn selbst überraschte. „Und warum stehen Sie dann mit diesem Hut vor sich in der Kälte und singen, wenn es Ihnen an nichts fehlt?“, erkundigte er sich sarkastisch. Noch nie hatte jemand seine Großzügigkeit zurückgewiesen. Warum machte er sich überhaupt die Mühe, ihr zu antworten?

„Ich singe, weil ich das Bedürfnis danach habe, nicht wegen des Geldes. Haben Sie noch nie etwas allein aus Liebe zur Sache getan?“

Die schlichte Frage brachte Eduardo aus dem Konzept, und er wusste nicht recht, wie er mit seinem plötzlichen Unbehagen umgehen sollte. „Ich muss jetzt weiter“, erklärte er schroff und wandte sich ein zweites Mal zum Gehen.

„Wie Sie meinen“, sagte das Mädchen. „Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie es waren, der mich angesprochen hat.“

„Ich bin keineswegs stehen geblieben, um Sie anzusprechen“, fuhr Eduardo sie an. Der Blick aus ihren haselnussbraunen Augen ließ urplötzlich sein Temperament aufflammen.

„Den Eindruck habe ich inzwischen auch.“ Ihr Tonfall verriet, dass sie nun ebenfalls ärgerlich wurde. „Vermutlich wollten Sie mit diesem lächerlich hohen Geldbetrag Ihr soziales Gewissen beruhigen und sich in dem Gefühl sonnen, für diesen Tag Ihre gute Tat vollbracht zu haben.“

Eduardo umfasste den Elfenbeingriff seines Gehstocks so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ohne ein weiteres Wort wandte er ihr abrupt den Rücken zu und ging davon.

Erst als er am Ende der Straße angekommen war, setzten das Gitarrenspiel und der Gesang wieder ein. Daraus schloss Eduardo, dass das Mädchen ihm nachgeblickt und dabei zweifellos sein Hinken bemerkt hatte. Der Gedanke, dass sie jetzt wahrscheinlich Mitleid für ihn empfand, breitete sich wie Gift in ihm aus. Er beschloss, in Zukunft einen großen Bogen um sie zu machen. Für wen hielt sie sich überhaupt, dass sie seine wohlmeinende Geste so rüde zurückwies und ihn auch noch behandelte wie einen verkorksten Spinner auf dem Wohltätigkeitstrip?

Trotz seiner Schmerzen zwang Eduardo sich zu einem zügigen Schritt, während die Frage des Mädchens gnadenlos in seinem Kopf widerhallte: Haben Sie noch nie etwas allein aus Liebe zur Sache getan? Zu seinem Entsetzen spürte er plötzlich ein heißes Brennen hinter den Augenlidern. Er murmelte einen unverständlichen Fluch und setzte grimmig seinen Weg fort, ohne Rücksicht auf sein verletztes Bein zu nehmen.

Es war lange her, dass er sich so hilflos und angreifbar gefühlt hatte. Und das nur wegen der unbedeutenden Bemerkung eines Mädchens, das sein Geld zurückgewiesen und seinen Stolz verletzt hatte.

Als die Temperaturen am späten Nachmittag unter den Gefrierpunkt fielen und Marianne ihre Finger kaum noch spürte, beschloss sie, es für diesen Tag gut sein zu lassen. Der Gedanke an eine heiße Schokolade vor einem warmen Feuer zog sie rasch heimwärts. Auf dem Weg dorthin versuchte sie, möglichst nicht an das leere Haus zu denken, das sie bei ihrer Rückkehr erwartete. Jedes einzelne Stück dort – vom kleinsten Ziergegenstand bis zu dem schönen Musikzimmer mit dem schimmernden Flügel – erinnerte sie an Donal. Ihren Ehemann und besten Freund, der ihr viel zu früh genommen worden war.

„Du musst mir versprechen, dein Leben weiterzuleben, wenn ich nicht mehr da bin“, hatte Donal sie vom Krankenbett aus beschworen. Der fiebrige Glanz, der dabei in seinen Augen lag, hatte Marianne Angst gemacht. Er verriet, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. „Schau dir die Welt an, triff neue Menschen … was auch immer, aber lebe! Tu es für uns beide.“

Das würde sie auch tun, aber so etwas ging nicht von heute auf morgen. Ohne den einzigen Menschen, dem sie je etwas bedeutet hatte, kam ihr das Leben vor, als würde sie nie wieder festen Boden unter den Füßen spüren.

Straßenmusik zu machen mochte vielleicht ein merkwürdiger Anfang sein, aber Marianne sah es als positiven Schritt. Wenn sie erst ihre Angst überwunden hatte, vor Publikum zu singen, könnte sie vielleicht in dem lokalen Folkclub auftreten – als erste Etappe auf ihrem neuen eigenen Weg. Jeden Tag gewann sie ein kleines bisschen mehr Selbstvertrauen, und wieder einmal hatte die Musik sie gerettet. Donal wäre stolz auf sie gewesen, dass sie den Mut gefunden hatte, einen so unkonventionellen Weg zu ihrer inneren Heilung einzuschlagen.

Seine beiden erwachsenen Kinder dagegen würden es als weiteres Zeichen ihrer labilen Gemütsverfassung interpretieren. Als weiteren Beweis dafür, dass Marianne einen katastrophalen Einfluss auf ihren Vater gehabt und ihn schließlich dazu gebracht hatte, seine leiblichen Nachkommen zu übergehen und stattdessen seine Frau als Alleinerbin einzusetzen.

Die Hände um den warmen Kakaobecher geschlossen, den Blick starr auf das knisternde Kaminfeuer gerichtet, verlor Marianne sich in ihren Erinnerungen an Donal … bis unvermittelt ein anderes Gesicht das vertraute Antlitz ihres Mannes überlagerte.

Verstört erkannte Marianne, dass es die Züge des Fremden waren, der die Fünfzigpfundnote in ihren Hut gelegt hatte. Noch nie hatte sie Augen von einem solchen Blau gesehen – wie ein frostiger, klarer Winterhimmel. Der warme Bernsteinton seines Haars, das von hellen Strähnen durchzogen war, bildete dazu einen reizvollen Gegensatz. Seine Kleidung – und mehr noch seine Ausstrahlung – hatten verraten, dass er einen Lebensstil pflegte, den die meisten Menschen nur aus Filmen und Zeitschriften kannten, und dass er Macht und Einfluss besaß und vermutlich nur sehr selten auf Widerstand stieß. In seinem perfekten Englisch hatte ein leichter Akzent mitgeschwungen – vielleicht südamerikanisch – und eine Autorität, die Marianne noch vor Kurzem eingeschüchtert hätte. Aber in den Wochen und Monaten, in denen sie Donal bis ans Ende seiner langen, schrecklichen Krankheit begleitet hatte, waren Stärke, Mut und ein eiserner Wille zur Selbstbehauptung in ihr gewachsen. Diese unschätzbaren Fähigkeiten wollte sie sich von nichts und niemandem wieder nehmen lassen.

Insofern schien es ihr absolut richtig, die übertrieben, ja fast beleidigend großzügige Spende ihres unbekannten Gönners abgelehnt zu haben, auch wenn sie es ruhig etwas freundlicher hätte tun können. Immerhin war es eine gut gemeinte Geste gewesen. Der Mann wusste schließlich nichts von ihrer Vorgeschichte. Doch bevor Marianne dazu kam, sich zu entschuldigen, war er bereits weitergegangen, schwer auf seinen Stock gestützt und das rechte Bein hinter sich herziehend.

Betroffen hatte sie sich gefragt, ob er einen Unfall gehabt hatte oder an einer schweren Krankheit litt. Irgendwie kam es ihr nicht richtig vor, dass ein so schöner, wohlgestalteter und noch relativ junger Mann mit einer solchen Behinderung leben musste. Allerdings tat sie seiner imponierenden Erscheinung und seinem fesselnden Gesicht keinerlei Abbruch. Im Gegenteil – auf eine unergründliche Weise schien sie seine Vorzüge noch zu verstärken.

Wie hypnotisiert hatte Marianne ihm nachgeblickt und dabei alles andere vergessen, bis die beißende Kälte ihr mit scharfen Messern ins Gesicht schnitt und sie wieder in die Gegenwart zurückholte.

„Sie haben es wieder einmal übertrieben, habe ich recht?“

Eduardo warf seinem Arzt einen grimmigen Blick zu. Er hätte gern auf Evan Powells vierzehntägige Besuche verzichtet. Aber nach seinem schweren Unfall war regelmäßige ärztliche Betreuung unerlässlich. Und sein Arzt in Rio de Janeiro hatte ihm Dr. Powell, der in London als die Koryphäe auf dem Gebiet der Orthopädie galt, ausdrücklich empfohlen.

„Mir wurde gesagt, ich könnte mein Bein nach einer gewissen Zeit wieder ganz normal belasten“, erwiderte Eduardo ungehalten. „Warum, zum Teufel, dauert es so lange?“

„Was erwarten Sie, Mr. de Souza? Ihr Oberschenkelknochen ist bei dem Unfall völlig zerschmettert worden und musste neun Mal operiert werden. Von so etwas erholt man sich nicht wie von einer Erkältung.“

Der geduldige Tonfall des Arztes machte Eduardo noch gereizter. „Ach, hören Sie doch auf mit diesen abgedroschenen Phrasen“, fuhr er den älteren Herrn scharf an.

„Nun ja, dann …“ Dr. Powell legte sich sorgfältig seinen Mantel über den Arm und ging zur Tür. „Bemühen Sie sich nicht, Ihren Diener zu rufen, ich finde selbst hinaus. Guten Abend, Mr. de Souza.“

Mit einem unterdrückten Schmerzenslaut hievte Eduardo sich von der Untersuchungsliege hoch. „Bitte verzeihen Sie mir mein schlechtes Benehmen, Dr. Powell“, bat er mit rauer Stimme. „Ich hatte einen ziemlich schlechten Tag, aber das ist natürlich kein Grund, mich so unhöflich zu benehmen. Zumal Sie an einem so grässlichen Tag den weiten Weg hierher auf sich genommen haben.“

Einen Moment ließ Dr. Powell den Blick durch den behaglichen Raum schweifen und trat dann an eins der großen Erkerfenster, die den Blick auf einen breiten Wassergraben und die dahinterliegenden Felder und Wälder freigaben. Eine märchenhafte Landschaft, die jetzt von einer hohen, weißen Schneedecke überzogen war. „Sie leben hier sehr isoliert“, bemerkte er vorsichtig. „Möglicherweise würde ein wenig Gesellschaft Sie auf andere Gedanken bringen.“

Eduardo kniff die Augen zusammen. „Sie meinen eine Frau?“ Zu seiner Überraschung verwarf er zum ersten Mal seit zwei Jahren die Idee nicht sofort. Was ihn jedoch noch mehr überraschte, war die Tatsache, dass dabei unversehens das Bild der hübschen Straßensängerin vor seinem geistigen Auge auftauchte. Große haselnussbraune Augen … ein hübscher weicher Mund … langes honigblondes Haar …

Im nächsten Augenblick erschrak Eduardo vor sich selbst. Wie alt mochte dieses Mädchen sein? Siebzehn vielleicht? Anscheinend hatte ihn mit allem anderen auch sein gesunder Menschenverstand verlassen. Hin und wieder ein anregendes Gespräch mit einem kultivierten Menschen zu führen war vielleicht wirklich ein guter Gedanke. Aber zu mehr war er nicht bereit. Nicht nach dem, was mit Eliana und seinem ungeborenen Kind geschehen war.

Als Eduardo nicht sofort antwortete, zuckte der Arzt die Schultern und deutete ein Lächeln an. „Es war nur ein Vorschlag, Mr. de Souza, nichts weiter. Und bitte hören Sie auf meinen Rat und gehen Sie vorsichtig mit Ihrem Bein um. Ich empfehle einen zwanzigminütigen Spaziergang pro Tag. Wenn es sein muss, eine halbe Stunde, aber auf keinen Fall mehr. Sollte irgendetwas sein, können Sie mich jederzeit anrufen. Bis zum nächsten Mal dann. Gute Nacht.“

„Gute Nacht, Dr. Powell. Danke nochmals, dass Sie an einem Abend wie diesem zu mir herausgekommen sind. Und … fahren Sie vorsichtig.“

Wie so oft, wenn er nicht einschlafen konnte, versuchte Eduardo auch in dieser Nacht, sich die kritischen Stunden bis zum Morgengrauen mit einer Komödie aus den Vierzigerjahren zu vertreiben. Ausgestreckt auf dem bequemen Ledersofa im Wohnzimmer, sah er dem Treiben der Figuren auf dem großen Flachbildschirm zu und döste vor sich hin, während ihm immer wieder brennend der Schmerz durch sein verletztes Bein schoss.

Als er erkannte, dass seine bewährte Methode diesmal nicht funktionieren würde, schaltete er den Fernseher aus. Es war, als würde er ständig in einen schwarzen Abgrund hinabstarren, vor dem es kein Entrinnen gab. Als wäre jede Hoffnung, eines Tages wieder ans Licht zu treten oder Wärme zu spüren, für immer verloren. Voller Bitterkeit erkannte er, dass selbst die kleine Straßensängerin mit ihrem Leben von der Hand in den Mund besser dran war als er mit seinem immensen Reichtum.

Seltsam, dass er so fixiert auf sie war.

Ihr Verhalten ihm gegenüber hatte an Feindseligkeit gegrenzt. Dennoch kehrten Eduardos Gedanken immer wieder zu ihr zurück. Er fragte sich, ob sie wirklich ein Dach über dem Kopf hatte. Ob sie an diesem Tag genug Geld zusammengebracht hatte, um zu essen. Ob ihr in dieser bitterkalten Winternacht wenigstens warm genug war.

Als endlich das graue Morgenlicht durch die leicht geöffneten Samtvorhänge fiel, hatte er einen Entschluss gefasst. Wenn er das nächste Mal in die Stadt käme, würde er sie nicht wie beabsichtigt ignorieren, sondern sie über ihre Lebensumstände befragen und herausfinden, ob er ihr vielleicht bei der Verbesserung ihrer Situation behilflich sein konnte.

Wahrscheinlich würde sie ihm nur ins Gesicht lachen und ihn auffordern, sich ein anderes heruntergekommenes Subjekt zu suchen, dem er sein Geld aufdrängen konnte. Trotzdem würde er es versuchen, denn er hatte ständig das Bild seines eigenen Kindes in einer ähnlichen Notlage vor sich – wenn es die Chance gehabt hätte, zur Welt zu kommen und so alt zu werden wie dieses Mädchen …

Ein heftiger Schmerz schnürte Eduardo die Kehle zu. Er drehte sich auf die Seite und starrte reglos ins Zwielicht, bis ihm irgendwann vor Erschöpfung die Augen zufielen.

2. KAPITEL

Marianne trank gerade einen Schluck von dem Milchkaffee, den sie sich im Coffeeshop geholt hatte, als sie den Fremden mit dem strengen Mund und dem elfenbeinverzierten Gehstock auf sich zukommen sah.

Ihr Magen machte einen Satz, als er vor ihr stehen blieb und die Lippen zu einer Art Lächeln verzog. „Wie ich sehe, machen Sie gerade eine Pause“, bemerkte er, wobei sein Atem kleine Dampfwolken in der kalten Luft bildete.

Sie nickte stumm und musste sich zwingen, seinem Blick nicht auszuweichen. Ob er überhaupt eine Ahnung hatte, wie intensiv er sie anstarrte? Seine Augen schienen wie Laserstrahlen direkt in ihr Innerstes zu dringen. Ganz anders als bei Donal, dessen gütiger Blick sie niemals in Bedrängnis gebracht hatte.

„Wie läuft das Geschäft?“, erkundigte er sich in beiläufigem Tonfall.

Unwillkürlich streifte Mariannes Blick die wenigen Kupfermünzen in ihrem Hut. „Wie gesagt, ich …“

„Ja, ich weiß“, unterbrach er sie gelassen. „Sie singen nicht für Geld, sondern für das Vergnügen, das es Ihnen bereitet, richtig?“

„Richtig.“ Beschämt erinnerte Marianne sich an ihr aggressives Verhalten bei ihrer letzten Begegnung und fügte rasch hinzu: „Hören Sie, es tut mir leid, wenn ich Sie neulich beleidigt haben sollte. Aber hier leben tatsächlich sehr viele Menschen, die weitaus hilfsbedürftiger sind als ich. Genau genommen bin ich überhaupt nicht hilfsbedürftig. Der äußere Eindruck kann manchmal täuschen, wissen Sie?“

Statt einer Antwort musterte Eduardo ihr abenteuerlich zusammengestelltes Outfit, das an diesem Tag aus pinkfarbenen Wollstrumpfhosen, einem cremefarbenen Pullover über einem scharlachroten Kleid, braunen Stiefeln und Donals mit Schaffell gefütterter Lederjacke bestand, in deren Ausschnitt ein riesiger beigefarbener Schal steckte.

„Nun, falls es Sie beruhigt, ich habe das Geld tatsächlich der Kirchensammlung gespendet, wie Sie es vorgeschlagen haben“, informierte er sie, nachdem er seine Inspektion beendet hatte. „Aber ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Eduardo de Souza.“

Bevor sie seine höflich ausgestreckte Hand ergriff, zögerte Marianne einen Moment. Die Berührung löste ein eigenartiges Kribbeln in ihrem Arm aus. Selbst durch die dicke Wolle ihres Handschuhs hindurch konnte sie seine Körperwärme spüren. „Ich bin Marianne“, erwiderte sie leicht befangen. „Marianne Lockwood. Sie sind nicht von hier, oder?“

„Nein“, bestätigte Eduardo. „Ich lebe zwar seit einiger Zeit in England, aber Sie haben recht. Ich komme aus Brasilien. Aus Rio de Janeiro, genauer gesagt.“

„Und Sie ziehen es vor, sich hier langsam, aber sicher in einen Eisblock zu verwandeln, anstatt sich zu Hause in der Sonne zu aalen?“, zog Marianne ihn auf. Doch seine ernste Miene zeigte nicht die geringste Regung.

„Selbst die perfektesten Dinge verlieren ihren Reiz, wenn man zu viel davon bekommt“, antwortete er nüchtern. „Außerdem bin ich halber Brite, sodass mir das Klima hier nicht ganz fremd ist. Und auf den Winter folgt unweigerlich der Frühling, was immerhin ein tröstlicher Gedanke ist, finden Sie nicht?“

Da sie das Frühjahr von allen Jahreszeiten am meisten liebte, stimmte sie ihm in diesem Punkt vorbehaltlos zu. „Was hat Sie denn heute hierhergeführt?“, erkundigte sie sich neugierig. „Gehen Sie einkaufen, oder treffen Sie sich mit einem Freund?“

Eduardo schüttelte den Kopf. „Weder noch. Ich habe mir gerade eine Ausstellung im Rathaus angesehen. Überraschenderweise gibt es in dieser kleinen Stadt viel Interessantes zu besichtigen.“

„Das ist wahr. Sie werden es kaum glauben, aber im Sommer wimmelt es hier von Touristen.“

„Das glaube ich sofort.“

Zu Mariannes Überraschung lächelte er, und für einen kurzen Moment leuchteten seine intensiv blauen Augen wie Sterne. Etwas in ihrem Inneren reagierte so stark darauf, dass sich ihr ganzer Körper plötzlich wie elektrisiert anfühlte.

Entschlossen stellte sie ihren leeren Pappbecher neben sich und griff nach ihrer Gitarre. „Tut mir leid, aber ich muss weitermachen.“ Sie zog ihre Handschuhe aus und schlug einige Akkorde an, um ihre Gitarre zu stimmen. Eine Gruppe junger Studenten blickte im Vorbeigehen interessiert zu ihr herüber, während Mariannes Besucher sich nicht vom Fleck rührte. Offenbar hatte er keine Eile.

„Wenn ich das nächste Mal in der Stadt bin, würde ich Sie gern zum Mittagessen einladen“, schlug er unvermittelt vor.

Mit einem verwirrten Blinzeln sah sie zu ihm. Sie hatte es schon seltsam gefunden, dass ein so attraktiver, weltgewandter und offensichtlich wohlhabender Mann wie Eduardo de Souza sich jemandem wie ihr überhaupt vorstellte. Und nun lud er sie auch noch zum Essen ein! Schon bei dem Gedanken, ihm in einem schicken Restaurant gegenüberzusitzen, wurde ihr abwechselnd heiß und kalt. Und überhaupt – was hätten sie und er schon miteinander zu reden?

„Vielen Dank, aber lieber nicht“, erwiderte sie darum rasch. „Ich esse normalerweise nicht zu Mittag, wenn ich arbeite.“

„Sie meinen, Sie gönnen sich nicht einmal eine Pause, um Ihren Körper bei Kräften zu halten?“ Zwar lächelte er nicht, aber seine Stimme klang amüsiert.

„Doch, aber nur für einen Kaffee und vielleicht ein Croissant oder einen Muffin. Ich nehme meine Hauptmahlzeit abends ein, wenn ich zu Hause bin.“

„Und wenn ich Sie stattdessen zu Kaffee und Kuchen einlade?“

Da ihr beim besten Willen kein guter Grund mehr einfiel, sein Angebot abzulehnen, nickte sie widerstrebend. „Also gut. Aber nun muss ich wirklich weitermachen.“

„Dann verabschiede ich mich jetzt.“ Eduardo nickte ihr mit unerforschlicher Miene zu, bevor er hinzufügte: „Bis zum nächsten Mal, Marianne.“

Das nächste Mal kam zwei Tage später. Marianne, die über eine Stunde tapfer unter ihrem klapprigen Regenschirm ausgeharrt hatte, wollte gerade zusammenpacken und nach Hause gehen, als die Sonne herauskam und der heftige Schneeregen plötzlich aufhörte.

Im selben Augenblick erschien wie durch Zauberhand Eduardo de Souza. Mit seinem eleganten Kaschmirmantel und dem lässig um den Hals geschlungenen Schal schien er eher für eine Theaterpremiere als für den Besuch einer Kleinstadt gekleidet zu sein.

„Hallo“, begrüßte er Marianne mit seiner volltönenden Stimme, die ihr eine Spur heiserer erschien, als sie sie in Erinnerung hatte. Gleichzeitig erkannte sie, dass sie in den letzten zwei Tagen unbewusst nach ihm Ausschau gehalten hatte – was sie ziemlich aus dem Gleichgewicht brachte.