Samurai 4: Der Ring der Erde - Chris Bradford - E-Book

Samurai 4: Der Ring der Erde E-Book

Chris Bradford

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Beschreibung

*** Band 4 der Bestseller-Reihe von Chris Bradford in neuem Look! *** Jack läuft um sein Leben, denn Japans neuer Herrscher hat seine Häscher nach ihm ausgeschickt. Dankbar nimmt Jack die Hilfe des alten Soke an. Er will den Jungen in seinem Heimatdorf verstecken. Doch als Jack herausfindet, wer Soke wirklich ist, ergreift ihn panische Angst. Ein junger Engländer. Gestrandet in Japan. Ausgebildet zum Samurai. Bereit für den Kampf seines Lebens. Entdecke alle Abenteuer der "Samurai"-Reihe: Band 1: Der Weg des Kämpfers Band 2: Der Weg des Schwertes Band 3: Der Weg des Drachen Band 4: Der Ring der Erde Band 5: Der Ring des Wassers Band 6: Der Ring des Feuers Band 7: Der Ring des Windes Band 8: Der Ring des Himmels Band 9: Die Rückkehr des Kriegers Die Kurzgeschichte "Der Weg des Feuers" ist als E-Book erhältlich und spielt zwischen den Ereignissen von Band 2 und Band 3.

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Impressum

Als Ravensburger E-Book erschienen 2020Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2011, 2020 Ravensburger Verlag GmbHPostfach 24 60, 88194 RavensburgDie Originalausgabe erschien 2010unter dem Titel »Young Samurai. The Ring of Earth«bei Puffin Books/Penguin Books Ltd, 80 Strand,London WC2R 0RL, EnglandText Copyright © 2010 by Chris Bradford

Covergestaltung: Paul YoungLandkarte: Gottfried MüllerÜbersetzung: Wolfram StröleAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-473-38438-9 www.ravensburger.de

Für Karen, die mir eine Schwester ist

Platzhalter

Prolog Der Brief

1 Gaijin und Samurai

2 Ein ungleicher Kampf

3 Das Iga-Gebirge

4 König der Tengu

5 Großvater Soke

6 Das Dorf

7 Übungsstunde

8 Shonin

9 Nächtliche Feinde

10 Miyuki

11 Im Kreis

12 Der Frosch im Brunnen

13 Wetthängen

14 Großmeister

15 Die fünf Ringe

16 Die Kunst der Heimlichkeit

17 Drachenatmung

18 Blas-Zen

19 Eine ständige Bedrohung

20 Sechzehn geheime Fäuste

21 Reispapier

22 Shuriken

23 Der unsichtbare Ninja

24 Tauchgang

25 Stumme Gedanken

26 Die Vorführung

27 Sokes Schüler

28 Das Kissen

29 Die große Prüfung

30 Der erste Einsatz

31 Mönche der Leere

32 Zur Treue verpflichtet

33 Höllengarten

34 Fingernadelstoß

35 Falsche Anklage

36 Einer der Unseren

37 Die Nachricht

38 Zauberkräfte

39 Ein bewegtes Ziel

40 Banditen

41 Warten

42 Ernte

43 Überfall

44 Der Dorfplatz

45 Feuer

46 Neun Ninja

47 Eine Unglückszahl

48 Die Nebelburg

49 Die betrunkenen Samurai

50 Kachimushi

51 Die schlafenden Samurai

52 Gemnan

53 Verräter

54 Feuer-Shuriken

55 Ninja oder Samurai?

56 Der Ring der Erde

57 Glücklicher Abschied

Japanisches Glossar

Bushido

Kurzer Führer zur Aussprache japanischer Wörter

Danksagung

Autoreninformation

Anhang

Anmerkungen zu den Quellen

Prolog Der Brief

Japan, 1614

Liebste Jess,ich hoffe, dieser Brief erreicht dich irgendwann. Bestimmt glaubst du, ich sei schon vor Jahren auf dem Meer umgekommen. Du wirst dich freuen zu hören, dass ich lebe und wohlauf bin. Vater und ich sind im August 1611 in Japan angekommen. Leider muss ich dir mitteilen, dass Vater bei einem Überfall auf unser Schiff, die Alexandria, getötet wurde. Ich habe als Einziger überlebt.Die vergangenen drei Jahre habe ich in einer Samuraischule in Kyoto zugebracht. Ihr Leiter, ein japanischer Krieger namens Masamoto Takeshi, nahm mich in seine Obhut. Aber ich hatte es trotzdem nicht leicht.Ein Auftragsmörder, ein Ninja, der sich Drachenauge nennt, sollte den Portolan unseres Vaters stehlen. Du erinnerst dich bestimmt an dieses Logbuch, es war für Vater sehr wichtig. Dem Ninja gelang es zwar, seinen Auftrag auszuführen, doch konnte ich das Buch mithilfe meiner Freunde, die ebenfalls Samurai sind, zurückholen.Eben dieser Ninja hat auch unseren Vater ermordet. Ich kann dir versichern, dass der Schurke jetzt tot ist, auch wenn dich das kaum trösten wird. Er hat seine gerechte Strafe erhalten. Nur leider erweckt sein Tod Vater nicht wieder zum Leben. Ich vermisse ihn unendlich und könnte seinen Rat und seinen Schutz zurzeit gut gebrauchen.Japan wird gegenwärtig von einem Bürgerkrieg gespalten. Ausländer wie ich sind nicht mehr willkommen. Als Flüchtling muss ich jeden Tag um mein Leben fürchten. Jetzt wandere ich in Richtung Süden durch dieses merkwürdige, fremdartige Land. Ich versuche die Hafenstadt Nagasaki zu erreichen, in der Hoffnung, dort ein Schiff zu finden, das mich zurück nach England bringt.Auf dem Tokaido, der Straße, auf der ich unterwegs bin, lauern allerdings zahlreiche Gefahren und viele Feinde trachten mir nach dem Leben. Hab aber keine Angst um mich. Masamoto hat mich zum Samurai ausgebildet und ich werde kämpfen, bis ich zu dir nach Hause zurückgekehrt bin.Eines Tages kann ich dir hoffentlich persönlich von meinen Abenteuern berichten.Möge Gott dich bis dahin schützen, geliebte Schwester.Dein Bruder Jack

1 Gaijin und Samurai

Japan im Sommer 1614»He, Fremder, du sitzt auf meinem Platz!«, raunzte der Samurai.

Jack hörte auf, seine Nudeln zu schlürfen. Zwar gab es in dem heruntergekommenen Wirtshaus von Shono, einer Raststation für Reisende des Tokaido, noch genügend freie Bänke, doch wagte er nicht, dem Samurai zu widersprechen. Ohne unter seinem Strohhut aufzublicken, rutschte er zum Nachbartisch hinüber. Dort beugte er sich wieder über die dampfende Schale und nahm den nächsten Mund voll.

»Ich sagte, du sitzt auf meinem Platz«, wiederholte der Samurai und legte drohend die Hand an den Griff seines Schwertes. Hinter ihm sah Jack die mit Sandalen bekleideten Füße zweier Begleiter. Er zwang sich zur Ruhe. Auf seiner Reise hatte er ernsthafte Zusammenstöße bisher vermeiden können. Hoffentlich gelang ihm das auch weiterhin.

Leicht würde es nicht sein, das wusste er. Ganz Japan befand sich in Aufruhr. Daimyo Kamakura hatte den Bürgerkrieg gewonnen und sich zum Shogun ausrufen lassen, dem höchsten Herrscher Japans. Viele seiner Samurai nutzten das aus. Trunken vom Sieg, vom Reiswein und von der neu gewonnenen Macht schikanierten sie die Bevölkerung und alle, die einen niedrigeren Rang bekleideten als sie.

Jack sah auf den ersten Blick wie ein einfacher Bauer oder Pilger aus. Er trug einen schlichten blauen Kimono, Sandalen und den kegelförmigen Strohhut der Reisbauern und der buddhistischen Mönche. Die breite Krempe verbarg sein Gesicht.

Wortlos rutschte er noch einen Tisch weiter.

»An dem sitzt mein Freund.«

Von den beiden Begleitern war unterdrücktes Lachen zu hören. Jack merkte, dass man ihn hier nicht in Ruhe lassen würde. Er musste gehen. Wenn die Männer erst feststellten, wer er in Wirklichkeit war, steckte er so richtig in der Klemme. Als Gaijin, Ausländer, war er allen möglichen Schikanen ausgesetzt. Der Shogun hatte als eine seiner ersten Amtshandlungen Ausländer und Christen aus dem Land verbannt. Entweder sie gingen sofort oder sie wurden bestraft. Für einige übereifrige Samurai verschwanden die Ausländer nicht schnell genug. Jack war auf dem kurzen Weg von Toba zum Tokaido bereits an der verstümmelten Leiche eines christlichen Priesters vorbeigekommen. Sie hing an einem Baum und verweste langsam in der Sonne.

»Ich bin gleich fertig und gehe dann«, sagte er in fließendem Japanisch.

Er war zu hungrig, um das Essen einfach stehen zu lassen. Hastig schlang er die Nudeln mit seinen Stäbchen hinunter. Es war die erste warme Mahlzeit, seit er sich vor vier Tagen von seinen Freunden verabschiedet hatte.

»Nein!« Der Samurai schlug mit der Faust auf den Tisch. »Du gehst jetzt gleich!«

Die Schale fiel klappernd zu Boden und ihr Inhalt verteilte sich auf der festgestampften Erde.

Auf einmal senkte sich eine bedrohliche Stille über den Gastraum. Die restlichen Gäste waren aufgestanden und bewegten sich jetzt unauffällig in Richtung Tür. Das Mädchen, das sie bedient hatte, duckte sich neben seinen Vater hinter den Tresen.

Jack musste sich dem Störenfried wohl oder übel stellen. Er hob den Kopf.

Der Samurai, ein stämmiger Bursche mit einem dicken Schnurrbart und sehr buschigen, schwarzen Augenbrauen, starrte auf Jacks blaue Augen und sein blondes Haar. »Ein Gaijin!«, rief er verdattert.

Jack stand auf. Er war mit seinen fünfzehn Jahren bereits größer als die meisten japanischen Männer. »Wie gesagt, ich gehe jetzt.«

Doch der Samurai hatte sich schon wieder gefasst und verstellte ihm den Weg. »Du gehst nirgendwohin«, schnarrte er. »Du bist ein Flüchtling und ein Feind Japans.«

Die beiden anderen Samurai traten neben ihn. Der eine war dünn und hatte eine schmale, spitze Nase und engstehende Augen, der andere war klein und feist und erinnerte an eine Kröte. Alle drei trugen die Waffen der Samurai, Lang- und Kurzschwert.

»Ich will hier nicht stören«, beharrte Jack und griff nach seinem Bündel, um jederzeit losrennen zu können. »Ich bin nur auf der Durchreise nach Nagasaki. Ich werde Japan verlassen, wie der Shogun es befohlen hat.«

»Du hättest gar nicht erst kommen dürfen«, fauchte der dünne Samurai und spuckte vor Jacks Füßen aus. »Du bist verhaftet…«

Jack warf ihm seine Essstäbchen ins Gesicht, lenkte ihn dadurch für einen Augenblick ab, und rannte zur Tür.

»Haltet ihn!«, befahl der Anführer der drei.

Der Mann, der aussah wie eine Kröte, packte Jack am Handgelenk. Im nächsten Moment lag er auf den Knien und schrie auf vor Schmerz. Jack hatte sein Handgelenk mit einem Hebelgriff gepackt, dem ersten Griff, den er an der Niten Ichi Ryu gelernt hatte, der Samuraischule in Kyoto, deren Schüler er drei Jahre lang gewesen war.

»Hilfe!«, wimmerte der Mann.

Der Anführer zog sein Schwert und stürzte sich auf ihn.

Jack lockerte den Griff, kurz bevor er dem Mann den Arm brach, und stieß ihn dem Angreifer entgegen. Zugleich griff er nach dem Langschwert, das er auf sein Bündel geschnallt hatte, und riss es aus der Scheide. Die tödliche Klinge seines Gegners sauste in einem Bogen auf seinen Hals zu.

Klirrend prallten die beiden Schwerter gegeneinander. Einen kurzen Augenblick lang rührte sich niemand.

»Ein Gaijin, der Samurai ist!«, rief der Anführer. Seine Augen waren so groß wie Untertassen.

»Das ist er!«, kreischte der Dicke und rappelte sich hastig auf. »Der Gaijin, den der Shogun sucht!«

»Auf seinen Kopf ist ein Preis ausgesetzt«, fügte der dünne Samurai hinzu und zog ebenfalls sein Schwert.

Die drei umzingelten Jack, sodass er ihnen nicht entkommen konnte.

Er hatte keine andere Wahl. Er musste sich den Weg nach draußen erkämpfen.

2 Ein ungleicher Kampf

Das Serviermädchen, ein schmächtiges Ding mit einem Schopf schwarzer Haare, lugte ängstlich über den Tresen. Unverwandt folgten seine Augen dem in die Enge getriebenen Jack.

Dies war ein Wirtshaus für das einfache Volk, ein schlichtes, hauptsächlich aus Bambus und cremefarbenen Papierwänden errichtetes Gebäude mit mehreren tragenden Holzbalken. Die Tische waren verschrammt und wackelten. Neben dem Tresen standen ein großes Fass Reiswein und einige irdene Krüge, in denen der Wein serviert wurde. Aus den Augenwinkeln sah Jack, wie der Vater des Mädchens hastig die wenigen kostbaren Porzellanschalen wegräumte, die er besaß. Ob das Wirtshaus wohl einen Hinterausgang hatte? Die Schiebetür am Eingang, durch die er ursprünglich hatte fliehen wollen, befand sich am gegenüberliegenden Ende des Raums. Dazwischen standen die drei Samurai.

»Müssen wir ihn lebend übergeben?«, fragte der Dünne.

»Nein, sein Kopf reicht dem Shogun«, erwiderte der Anführer.

Mit nur einem Schwert konnte Jack unmöglich alle drei besiegen, er zog deshalb auch sein Kurzschwert. Bereit zur Verteidigung hob er die beiden prächtigen Waffen mit den dunkelrot umwickelten Griffen. Akiko hatte sie ihm geschenkt, seine älteste und beste Freundin. Sie hatten ihrem verstorbenen Vater gehört und stammten aus der Hand Shizus, des größten Schwertschmieds aller Zeiten. Jack hatte noch nie mit ihnen gekämpft, doch waren sie perfekt ausbalanciert und lagen gut in der Hand.

Der Anführer zögerte. Dass Jack mit zwei Schwertern kämpfen wollte, verwirrte ihn. Die meisten Samurai verwendeten im Zweikampf nur das Langschwert.

»Er beherrscht die Technik der beiden Himmel!«, rief die Kröte.

»Na und?«, schimpfte der Anführer. »Wir sind zu dritt!«

Doch Jack bemerkte, dass die Spitze seines Langschwerts trotz seiner prahlerischen Worte ein wenig zitterte. Die Technik der beiden Himmel genoss unter den Samurai einen legendären Ruf; nur die besten Schüler der Niten Ichi Ryu wurden darin unterrichtet. Sie zu erlernen war nahezu unmöglich, doch wer sie beherrschte, galt als unbesiegbar. Masamoto, der Gründer der Schule und Jacks früherer Vormund, hatte von mehr als sechzig Zweikämpfen keinen einzigen verloren.

»Der gibt doch nur an. Kein Gaijin kann diese Technik erlernen.« Der Anführer schob den Dicken nach vorne. »Töte ihn!«

»Warum ich?«

»Weil ich es dir befehle!«

Widerstrebend zog der Dicke sein Schwert. Die Klinge glänzte und wies keine einzige Schramme auf. Der Mann hat bestimmt noch nie damit gekämpft, dachte Jack.

»Ergib dich, sonst passiert was!«, stotterte der Dicke.

»Was denn?«, rief Jack, um Zeit zu gewinnen. Er trat rasch hinter einen Tisch.

»Ich… schlage dir den Kopf ab!« Der Dicke klang nicht sonderlich überzeugt.

»Und wenn ich mich ergebe?«

Der Dicke sah ratlos seinen Anführer an.

»Dann schlagen wir dir den Kopf trotzdem ab«, antwortete der mit einem hämischen Grinsen. Er nickte dem Dünnen zu. »Angriff!«

Alle drei stürzten sich gleichzeitig auf Jack.

Jack trat mit dem Fuß gegen den Tisch. Der Tisch fiel um und riss den Dicken zu Boden, das Schwert glitt ihm aus der Hand. Der dünne Samurai stieß nach Jacks Hals, der Anführer nach seinem Magen. Jack duckte sich unter der ersten Klinge hindurch und wehrte zugleich den zweiten Angriff mit seinem Kurzschwert ab.

Bevor die beiden reagieren konnten, versetzte er dem Dünnen einen Seitwärtstritt gegen die Brust, sodass er an einen Stützpfosten prallte. Das Holz splitterte mit einem scharfen Knall und das ganze Gebäude erbebte. Jack wirbelte herum und schlug mit dem Langschwert nach dem Kopf des Anführers. Pfeifend fuhr die Klinge durch die Luft, dicht über den Kopf des Samurai hinweg.

»Daneben!«, rief der Samurai.

»Wirklich?«, erwiderte Jack. Der Haarknoten rutschte vom Kopf des Samurai und fiel auf den Boden.

Vor Schreck über den Verlust seines Statussymbols bemerkte der Samurai das Knacken und Reißen des Holzes erst, als es zu spät war. Jack hatte mit seinem Schlag nicht nur den Haarknoten abgetrennt, sondern auch die Querstreben gespalten, die einen Teil der Decke hielten. Ein steinharter Bambusstamm fiel dem Mann auf den Kopf und schlug ihn bewusstlos, anschließend wurde er unter einer Lawine von Bambus begraben.

Mit einem wütenden Schrei griff der dünne Samurai erneut an und drängte Jack mit einem Hagel von Schwerthieben zum Tresen zurück. Jack wehrte ihn ab, doch der Samurai führte blitzschnell einen Schlag nach seinem Bauch.

Jack konnte im letzten Augenblick zur Seite ausweichen. Die rasiermesserscharfe Klinge traf das hölzerne Sakefass und spaltete es entzwei. Reiswein sprudelte heraus. Der dicke Samurai, der immer noch kniend sein Schwert suchte, ertrank fast in dem Schwall. Er schluckte unfreiwillig etwas Sake und ein dümmliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

Der dünne Samurai holte mit hassverzerrtem Gesicht erneut zu einem Schwerthieb aus. Da tauchte plötzlich das Serviermädchen hinter dem Tresen auf und schlug ihm mit voller Wucht einen Sakekrug über den Hinterkopf. Der Samurai schwankte und brach zusammen.

Jack sah das Mädchen erstaunt an.

»Die vertragen einfach keinen Alkohol«, sagte es mit einem unschuldigen Lächeln. Der Dicke wälzte sich in dem Matsch aus Erde und Wein und stand schließlich schnaufend auf. Sake rann ihm über das Gesicht. Er sah seine am Boden liegenden Kameraden und wich taumelnd einige Schritte zurück.

»Das ist ein ungleicher Kampf«, rief er flehend. Das Schwert in seinen Händen zitterte.

»Er war von Anfang an ungleich«, erwiderte Jack und führte einen Herbstblattschlag aus. Zweimal schlug er auf das Schwert seines Gegners und schon hatte er ihn entwaffnet.

Der Samurai hob die Hände und bettelte um Gnade. »Bitte, töte mich nicht!«

Blitzschnell vollführte Jack mit seinen Schwertern zwei Schnitte. Der Samurai schrie gellend auf und verfiel in ein jämmerliches Winseln.

»Ich will niemanden töten.« Jack steckte seine Schwerter ein. »Ich will nur nach Hause.«

Der Samurai sah verblüfft an sich herab. Er war vollkommen unverletzt, doch plötzlich fiel sein Obi auseinander und rutschte von den Hüften zu den Knöcheln hinunter. Die Schwertscheiden, der Inro und eine am Gürtel befestigte Schnur mit Münzen rutschten mit.

Entsetzen über Jacks vollendete Schwertkunst packte den Samurai und er verließ fluchtartig das Wirtshaus.

3 Das Iga-Gebirge

Jack sah sich um. Die Wirtsstube bot ein Bild der Verwüstung. Tische waren umgekippt, die Hälfte der Decke war eingestürzt und auf dem Boden breitete sich ein klebriger See von Sake aus.

Der Wirt saß in der Ecke, die Hände in Verzweiflung vors Gesicht geschlagen.

Jacks Blick fiel auf die Münzschnur, die der Samurai zurückgelassen hatte. Er hob sie auf und gab sie dem Serviermädchen. »Das müsste reichen, um den Schaden reparieren zu lassen.«

Das Mädchen verneigte sich dankbar und steckte die Münzen in den Ärmel seines Kimonos.

»Warum hast du mir eigentlich geholfen?«, fragte Jack. Dass das Mädchen den Mut aufgebracht hatte zu kämpfen und darüber hinaus auch noch einem Ausländer geholfen hatte, überraschte ihn.

»Diese drei Samurai schikanieren unsere Gäste schon seit Langem«, erklärte das Mädchen. Mit einem scheuen, bewundernden Blick auf Jack fügte es hinzu: »Du bist der Erste, der sich wehrt… und sie besiegt hat.«

Der unter einem Berg von Bambus begrabene Anführer der Samurai stöhnte.

»Du musst fort«, sagte das Mädchen. »Sein Freund kehrt sicher bald mit Verstärkung zurück.«

Jack lächelte. »Wer glaubt schon einem halb nackten Samurai, der nach Sake stinkt?«

Das Mädchen kicherte, verstummte aber, als draußen die Glocke der Raststation schepperte.

»Geh jetzt!«, drängte es.

Jack schulterte hastig sein Bündel und spähte durch die Eingangstür. Draußen näherte sich ein Trupp Samurai.

»Komm mit«, sagte das Mädchen und führte ihn hinter den Tresen und durch eine kleine Küche zu einer Hintertür. Es griff nach einem mit Reis gefüllten Strohbehälter und drückte ihn Jack in die Hand. »Nimm das und folge diesem Weg nach Süden.«

Das Mädchen zeigte auf einen ungepflasterten Weg, der von der Straße abzweigte und dann in einem Wald verschwand.

»Wohin führt der?«, fragte Jack.

»Ins Iga-Gebirge.«

Jack schüttelte ratlos den Kopf. Das Gebiet der Ninja hatte er um jeden Preis meiden wollen, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig. Er hörte das Splittern von Holz; die Samurai waren offenbar dabei, die Wirtshaustür einzutreten.

»Bleib auf dem Weg und nimm dich vor Räubern in Acht«, sagte das Mädchen.

»Danke.« Jack wusste, dass es sein Leben riskiert hatte, um ihn zu retten. »Aber was geschieht jetzt mit dir?«

»Gar nichts.« Das Mädchen scheuchte ihn fort. »Ich werde sagen, du hättest mich gezwungen, dir zu helfen.«

»Wo steckt der Gaijin?«, rief eine barsche Stimme in der Stube.

Jack hörte den Wirt gehorsam antworten und begann zu laufen.

»Und hüte dich vor den Ninja!«, rief das Mädchen ihm nach.

Vor den Samurai des Shoguns in das Kernland seiner Feinde zu fliehen, kommt einem Selbstmord gleich, dachte Jack. Doch das Geschrei in seinem Rücken trieb ihn weiter. Die Samurai hatten wütend die Verfolgung aufgenommen, und das Serviermädchen zeigte in seine Richtung und schrie in einem fort: »Dieb! Dieb! Er hat meinen Reis gestohlen!«

Sie ist so schlau wie Akiko, dachte Jack.

Erleichtert darüber, dass das Mädchen die Samurai von seiner Unschuld hatte überzeugen können, rannte er weiter. Er hatte die ersten Bäume schon fast erreicht, als ihn ein heftiger Schlag zu Boden warf. Benommen kroch er weiter und blickte über die Schulter. Die Samurai kamen rasch näher. Jetzt entdeckte er, was ihn getroffen hatte: Aus seinem Rücken ragte ein Pfeil.

Das war das Ende. Die Samurai würden kein Erbarmen mit ihm haben. Doch er spürte keine Schmerzen. Da begriff er, dass der Pfeil das Bündel auf seinem Rücken getroffen hatte, nicht ihn. Sofort sprang er auf und rannte zwischen die Bäume. Ein zweiter Pfeil flog über seinen Kopf hinweg und bohrte sich mit einem dumpfen Schlag in einen Baumstamm.

Er drehte sich nicht mehr um. Stattdessen rannte er noch schneller. Sein Herz hämmerte und seine Lunge brannte. Der Weg wand sich durch den Wald, wurde schmaler und führte aufwärts in die Berge, die die berüchtigte Provinz Iga säumten. Die Samurai holten weiter auf.

Jack rannte durch ein Bambusdickicht. Er zog sein Schwert und schlug damit im Laufen auf die hohen Stängel rechts und links ein. In Kaskaden fielen sie hinter ihm über den Weg und versperrten ihn. Die Samurai mussten anhalten und sich den Weg frei hauen. Dadurch gewann er ein wenig Zeit. Doch seine Verfolger würden ihn einholen, wenn er auf dem Hauptweg blieb. An einer Kreuzung entschied er sich deshalb für den kleinsten, am wenigsten ausgetretenen Pfad. Auf ihm gelangte er tiefer in den Wald. Das dichte Laub der Bäume verdeckte den Himmel und es wurde immer dunkler.

Jack ging langsamer und lauschte. Die Rufe der Samurai waren nur noch von ferne zu hören und wurden leiser. Er war ihnen entkommen, zumindest vorerst.

Er setzte sein Bündel ab, um zu verschnaufen. Neben dem Pfeil hing das kleine, rotseidene Säckchen, das sein Zen-Meister Sensei Yamada ihm geschenkt hatte. Es enthielt ein buddhistisches Amulett, das seinen Besitzer schützen sollte: ein wirksamer Schutz, wie Jack jetzt wusste. Er packte die Tasche aus und stellte fest, dass der Portolan seines Vaters ihn gerettet hatte. Die Pfeilspitze war in dem Ledereinband des Deckels stecken geblieben. Jack musste lachen. Er hatte den Portolan mit seinem Leben verteidigt und nun hatte sich das Buch revanchiert.

Mit einem solchen Portolan konnte man die Weltmeere sicher befahren. Das Logbuch seines Vaters war aufgrund der genauen Angaben besonders begehrt. Doch es war noch viel mehr als ein Hilfsmittel zur Navigation. Das Land, in dessen Besitz es gelangte, würde die Handelswege zwischen den Ländern und damit die Meere kontrollieren. Sein Vater hatte ihm eingeschärft, das Buch ja nie in falsche Hände geraten zu lassen. Einmal war es trotzdem passiert. Jacks Erzfeind, der einäugige Ninja Drachenauge, hatte den Portolan im Auftrag eines portugiesischen Jesuiten namens Pater Bobadillo gestohlen. Doch mithilfe von Akiko und Masamotos Sohn Yamato hatte Jack ihn wiederbeschaffen können; Yamato hatte dafür mit seinem Leben bezahlt. Drachenauge und Pater Bobadillo waren inzwischen ebenfalls tot und nur noch wenige Menschen in Japan wussten von der Existenz des Logbuchs. Einer davon war leider der Shogun.

Vorsichtig zog Jack den Pfeil heraus. Zu seiner Erleichterung waren nur die ersten Seiten beschädigt. Mit dem Portolan konnte er nach Hause zurückkehren, Steuermann werden wie sein Vater und für seine Schwester Jess sorgen. Außerdem war das Buch die letzte Erinnerung an seinen Vater. Jack spürte auch nach drei Jahren noch eine schreckliche Leere in seinem Herzen, wenn er an ihn dachte. Sein Kummer war mit dem Tod Drachenauges, der seinen Vater ermordet hatte, nicht verschwunden, doch der Portolan linderte die Trauer zumindest ein wenig. Immerhin lebte sein Vater in den vielen handgezeichneten Karten, persönlichen Aufzeichnungen und chiffrierten Botschaften weiter.

Jack wickelte das kostbare Logbuch wieder in das schützende Öltuch und verstaute es ganz unten in der Tasche, zusammen mit einem braunen Ersatzkimono, einer Schnur Kupfermünzen und zwei leeren Reisbehältern, die Akikos Mutter ihm mitgegeben hatte. Auch den frischen Reis, den das Mädchen ihm geschenkt hatte, legte er dazu. Anschließend überprüfte er seinen Inro, den an seiner Hüfte hängenden kleinen Holzbehälter. Der Inro enthielt einen aus Papier gefalteten Kranich, einen Glücksbringer seines Freundes Yori, sowie eine seltene schwarze Perle, ein Geschenk Akikos, das Jack besonders viel bedeutete.

Jack vermisste seine Freunde. Täglich fragte er sich aufs Neue, ob die Entscheidung, sie und vor allem Akiko zu verlassen, richtig gewesen war.

Der Abschied von Akiko war ihm am schwersten gefallen. Seit seiner Ankunft in Japan war sie ein wichtiger Teil seines Lebens gewesen und er fühlte sich verloren ohne sie. Doch er hatte keine andere Wahl, er musste gehen. Seine Schwester in England brauchte ihn und außerdem galt es in Daimyo Kamakuras neuem Japan als Verbrechen, einen Ausländer bei sich aufzunehmen. Wenn Jack in Toba geblieben wäre, hätte er gewiss das Leben seiner Freunde gefährdet.

Er selbst musste zu seiner Sicherheit unbedingt die Hafenstadt Nagasaki tief im Süden des Landes erreichen. Dorthin war er unterwegs. Und noch hatte er eine lange und gefährliche Reise vor sich.

Akiko hatte ihm geraten, die großen Straßen und Städte zu meiden, doch das war nicht immer möglich. Ohne Wegweiser und auf den meist schlechten Wegen kam er nur quälend langsam voran und lief jederzeit Gefahr, eine falsche Abzweigung zu nehmen. Außerdem musste er essen und seinen Proviant auffüllen. Deshalb hatte er die Raststation Shono am Tokaido aufgesucht.

Solche Raststationen für Reisende waren allerdings zugleich staatliche Kontrollpunkte. Und jetzt waren ihm die Samurai des Shoguns auf den Fersen und es bestand kaum noch Hoffnung, dass er Nagasaki erreichen würde. Er konnte nicht damit rechnen, ungeschoren durch den Süden Japans zu kommen.

Vielleicht hätte er doch warten und Sensei Yamada und Yori auf ihrer Pilgerreise zum Tendai-Tempel in Iga Ueno begleiten sollen. Zwar war der Weg dorthin beschwerlich und führte von seinem eigentlichen Ziel weg, doch hätte er den Schutz und den Rat seines Zen-Meisters gerade besonders dringend nötig gehabt. Vor seinem geistigen Auge sah er den Alten die Bergpfade entlangschwanken. Sensei Yamada schien nur aus grauem Bart und Falten zu bestehen, doch ein angreifender Straßenräuber hätte eine schmerzhafte Überraschung erlebt. Der Sensei war ein sohei, ein Soldatenmönch, und unter seinem hinfälligen Äußeren verbarg sich ein Krieger, der in todbringenden Kampfkünsten erfahren war. Mit seinen Weisheiten hatte der Zen-Meister Jack allerdings am meisten geholfen.

Nur wer aufgibt, scheitert, hatte er einmal gesagt– und damit Recht behalten.

Jack wusste, dass er nicht gleich bei der ersten Hürde aufgeben durfte. Schließlich hatte er während der letzten drei Jahre an der Niten Ichi Ryu gelernt, mit Schwierigkeiten fertig zu werden. Er hatte immer gewusst, dass er diese Reise eines Tages antreten musste– und dass er sein Ziel mit einer Ausbildung als Samurai am ehesten erreichen würde.

Er schulterte sein Bündel und stand auf. Die Bäume um ihn herum wiegten sich knarrend und ächzend im Wind. Eine Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Fremde waren im Iga-Gebirge nicht willkommen. Drachenauge hatte Akikos kleinen Bruder Kiyoshi entführt und wahrscheinlich hierhergebracht. Kiyoshi war nie mehr aufgetaucht.

Jack beschloss, die nächste Wegstrecke möglichst rasch hinter sich zu bringen. Es war erst früher Nachmittag und vielleicht konnte er noch vor Einbruch der Dunkelheit in einem Bogen zum Hauptweg zurückkehren.

Er nahm einen Schluck Wasser aus seiner Kalebasse und setzte seinen Weg durch den Wald fort. Nach einiger Zeit gelangte er auf eine Lichtung. Plötzlich drehte sich alles um ihn. Bäume wirbelten herum, der Himmel öffnete sich unter seinen Füßen und er schlug mit dem Kopf gegen einen Stein.

Bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde ihm schwarz vor Augen.

4 König der Tengu

Jacks Kopf dröhnte und fühlte sich an, als wollte er platzen. Sein rechtes Bein schmerzte, als werde es auf einer Folterbank gestreckt, seine Arme waren schwer wie Blei.

Benommen öffnete er die Augen. Der Wald stand immer noch auf dem Kopf und schwankte Übelkeit erregend hin und her. Jack brauchte eine Weile, bis er begriff, dass er kopfüber an einem Baum hing. All seine Habseligkeiten, die Schwerter, die Tasche, die Kalebasse, lagen verstreut auf dem Boden unter ihm.

Er hob eine Hand an sein Gesicht und berührte vorsichtig die blutige Kruste an der Stelle, an der er mit dem Kopf gegen den Stein gestoßen war. Die Wunde war nicht groß, aber der Zusammenstoß war offenbar so heftig gewesen, dass er für einige Stunden das Bewusstsein verloren hatte. Im Wald war es dunkel geworden und die Sonne stand tief am Horizont.

Jack blickte nach oben. Sein Fuß hing in einer Schlinge und das zugehörige Seil führte zu einem Ast hoch über ihm hinauf. Er war in eine Falle gelaufen. Die bange Frage war nur: Wie kam er da wieder raus?

Sie schien für große Beutetiere gedacht zu sein, für einen Hirsch… oder einen Menschen. Das würde bedeuten, dass Räuber sie aufgestellt hatten– oder Ninja, eine Möglichkeit, an die Jack lieber nicht denken wollte. Jedenfalls durfte er nicht um Hilfe rufen. Er hätte die Räuber oder Ninja nur angelockt und dazu die Samurai, die ihn bestimmt noch suchten.

Er musste sich befreien, bevor der Fallensteller zurückkehrte. Verzweifelt streckte er die Hand nach seinem Langschwert aus und schwang an dem Seil hin und her, doch vergeblich. Sein Arm war um wenige Zentimeter zu kurz.

Er versuchte sich aufzurichten und das Seil an seinem Knöchel zu packen. Doch er hing schon so lange mit dem Kopf nach unten, dass seine Glieder gefühllos geworden waren. Mit letzter Anstrengung bekam er den Knoten zu fassen. Er warf nur einen kurzen Blick darauf und fluchte. Als Seemann erkannte er Knoten, die sich von selbst zusammenzogen, sofort. Diesen Knoten bekam er unmöglich auf, solange er mit seinem ganzen Körpergewicht daran hing. Also musste er das Seil hinaufklettern.

Er wollte sich gerade mühsam aufrichten, da hörte er ein Rascheln in den Büschen. Er erstarrte und lauschte angestrengt.

Ein Eichhörnchen rannte aus dem Unterholz und einen benachbarten Baum hinauf. Jack seufzte erleichtert und setzte seinen Befreiungsversuch fort. Da hörte er wieder ein Rascheln, diesmal in der Nähe. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.

Da kam jemand. Im Dämmerlicht betrat ein kleiner Junge die Lichtung. Jack schätzte ihn auf etwa zehn Jahre, genauso alt wie seine Schwester. Er trug einen einfachen, erdbraunen Kimono und hatte die schwarzen Haare zu einem Knoten zusammengebunden. Einen Augenblick lang starrten sie einander an. Die Augen des Jungen, die schwarz waren wie Akikos Perle, zeigten keine Furcht. Jack entspannte sich ein wenig. Mithilfe des Jungen konnte er fliehen, bevor der Fallensteller auftauchte. Er begrüßte ihn mit seinem freundlichsten Lächeln.

Der Junge erwiderte das Lächeln und stieß begeistert die Fäuste in die Luft.

»Sie funktioniert!«, rief er.

»Was funktioniert?«, fragte Jack.

»Meine Falle!«

»Du hast sie gebaut?«

Der Junge nickte stolz. Er näherte sich seinem baumelnden Gefangenen, legte den Kopf schräg und betrachtete ihn aufmerksam.

»Du siehst komisch aus. Dein Gesicht ist ganz rot.«

»Das wäre deins auch, wenn du stundenlang mit dem Kopf nach unten gehangen hättest«, erwiderte Jack gereizt.

»Und deine Haare sind ganz weiß geworden. Merkwürdig.«

»Sie sind nicht weiß, sondern blond.«

»Und deine Nase ist riesig! Bist du ein tengu?«

»Nein, bin ich nicht.« Jacks Nase war für einen Europäer nicht besonders groß, für einen Japaner dagegen schon. »Binde mich los!«

Der Junge schüttelte grinsend den Kopf. »Lieber nicht. Tengu sind gefährlich. Sie legen die Menschen herein.«

»Ich will dich nicht hereinlegen. Ich weiß nicht einmal, was ein Tengu ist.«

Der Junge lachte. »Natürlich nicht. Kein Dämonenvogel würde zugeben, dass er einer ist.«

Er hob einen Stock vom Boden auf und stieß Jack vorsichtig damit an. »Du siehst vielleicht wie ein Mensch aus, aber deine Schnabelnase verrät dich.«

Der Junge inspizierte Jacks Habseligkeiten. »Wo ist denn dein Zauberfächer?«

»Ich habe keinen Fächer.« Jack war mit seiner Geduld allmählich am Ende.

»Doch, ganz bestimmt. Alle Tengu haben einen. Damit vergrößert und verkleinert ihr doch die Nasen der Menschen.«

Der Junge legte die Tasche weg und sein Blick fiel auf die beiden glänzenden Schwerter.

»Oh! Gehören die dir?«

»Ja.«

»Wie viele Samurai hast du damit getötet?«, fragte der Junge eifrig. Er hob das Kurzschwert auf und schwang es ein paar Mal durch die Luft.

Jack musterte den Jungen so drohend, wie er nur konnte. »Sagen wir es so: Du bist der Nächste, wenn du mich nicht augenblicklich losbindest.«

Der Junge starrte ihn mit offenem Mund an und steckte das Schwert eingeschüchtert wieder in die Scheide. »Ich weiß, wer du bist«, sagte er ehrfürchtig.

Endlich,dachte Jack. Jetzt kommen wir weiter. Offenbar hat er gehört, dass ein Ausländer gesucht wird, der ein Samurai ist.

»Du bist Sojobo, der König der Tengu. Du hast den großen Krieger Minamoto in der Kunst des Schwertkampfs unterrichtet und ihm auch das Zaubern beigebracht. Du hast ihm geholfen, seine Feinde zu besiegen und den Mord an seinem Vater zu rächen. Mein Großvater sagt, du seist so stark wie tausend Tengu zusammen! Ich kann nicht glauben, dass ich dich gefangen habe.«

»Ich bin nicht…«, setzte Jack an, doch dann hatte er eine Idee. »Na gut, du hast Recht, ich bin Sojobo.«

»Ich wusste es!« Der Junge stieß wieder die Fäuste in die Luft.

»Wenn du schon so schlau bist, sollten wir Freunde sein«, fuhr Jack lächelnd fort. »Wie heißt du?«

»Hanzo.« Der Junge verbeugte sich tief.

»Hör zu, Hanzo, wenn du mich losbindest, zeige ich dir, wie man mit dem Schwert kämpft. So wie Minamoto.«

Der Junge sah ihn misstrauisch an. »Mein Großvater sagt, dass die Tengu kleine Jungen entführen. Und dann muss ich Käfer und Mist essen, bis ich verrückt werde!«

»Ich verspreche dir, dass ich dich nicht entführe. Ich bin der König der Tengu und will dir helfen, so mächtig wie Minamoto zu werden.«

Hanzo dachte mit gerunzelter Stirn über Jacks Angebot nach. Dann entfernte er sich, ohne sich noch einmal umzudrehen.

»Wohin gehst du?«, rief Jack ihm nach.

»Ich muss meinem Großvater erzählen, dass ich den berühmten Sojobo gefangen habe. Morgen Vormittag komme ich wieder.«

»Aber du kannst mich doch nicht die ganze Nacht hier hängen lassen!«, protestierte Jack.

Doch Hanzo war schon verschwunden.

5 Großvater Soke

»Hier ist ein Fisch, der auch auf einem Baum leben kann, wenn er will«, sagte eine Stimme, die so alt und verwittert war wie das Gebirge. »Ein Überlebenskünstler.«

Jack kam langsam zu Bewusstsein. Sein Mund fühlte sich an wie ausgedörrt und ihm war übel. Es kam ihm so vor, als sei sein Kopf in der vergangenen Nacht auf die doppelte Größe angeschwollen, und er spürte das rechte Bein nicht mehr. Seine Anstrengungen, sich zu befreien, waren gescheitert und er hatte auf die Rückkehr des Jungen warten müssen.

Er öffnete die Augen und blickte in ein runzliges, aber freundliches Gesicht. Der alte Mann war klein, hatte spindeldürre Arme und Beine und einen kahlen Kopf mit grauen Augenbrauen, die zu einem Ausdruck permanenten Erstaunens hochgezogen schienen.

»Siehst du, Großvater«, sagte Hanzo stolz. »Ich habe den König der Tengu gefangen!«

»Ich bin sehr beeindruckt«, sagte der Alte und tätschelte dem Jungen liebevoll den Kopf. »Gib dem Tengu doch etwas Wasser zu trinken. Er hat bestimmt Durst.«

Hanzo hob eine Kalebasse an Jacks Mund. Das Wasser lief Jack vor allem in die Nase statt in den Mund und er prustete.

»Danke«, krächzte er.

»Ein Tengu mit Manieren«, sagte der Großvater. »Wie ungewöhnlich. Vielleicht täuscht das Aussehen doch. Ich glaube, du kannst deinen Gefangenen jetzt freilassen, Hanzo.«

»Aber er kann zaubern.«

»Keine Angst, das können wir doch auch, weißt du nicht mehr?«

Grinsend rannte der Junge in die Büsche. Im nächsten Moment schlug Jack unsanft auf dem Boden auf. Er stöhnte vor Schmerz und Erleichterung. Vielleicht konnte er ja fliehen. Er rollte auf den Rücken und öffnete den Knoten an seinem Knöchel. Dann packte er sein Bündel und seine Schwerter, stand auf und wollte wegrennen. Sofort fiel er hin.

»Du musst das Bein erst massieren, damit das Blut wieder fließt«, riet der Alte und machte es sich auf einem umgestürzten Baumstamm bequem. Er stützte das Kinn auf seinen abgenutzten Gehstock und betrachtete Jack aufmerksam.

Hanzo kehrte zurück und setzte sich neben seinen Großvater.

»Tja, Sojobo, König der Tengu, hast du denn noch einen anderen Namen?«, fragte der Alte mit einem verschmitzten Augenzwinkern.

»Jack Fletcher«, antwortete Jack. Er trank wieder aus der Kalebasse und rieb sich das taube Bein.

»Es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen, Jack Fletcher. Ich bin Soke. Woher kommst du?«

»Aus England.«

Soke zog die Augenbrauen in Erwartung einer genaueren Erklärung noch höher hinauf.

»Es liegt auf der anderen Seite der Welt, hinter zwei Meeren«, fügte Jack hinzu.

»Dann muss er Sojobo sein!«, rief Hanzo. »Nur der König der Dämonenvögel kann in der Welt herumfliegen.«

»Nein, ich bin mit einem Handelsschiff gekommen. Als Matrose.«

»Doch du trägst die Schwerter eines Samurai.« Soke zeigte mit seinem Stock auf Jacks Schwerter.

»Ich wurde an der Niten Ichi Ryu zum Samurai ausgebildet.«

»Oh! An der berühmten Schule der beiden Himmel.«

»Sie kennen Masamoto-sama?«, fragte Jack hoffnungsvoll. Der Shogun hatte den großen Schwertmeister in ein abgelegenes buddhistisches Kloster auf dem Iawo verbannt und Jack hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Soke schüttelte langsam den Kopf. »Nur dem Namen nach– er ist angeblich der größte lebende Schwertmeister. Hat er dir die Technik der beiden Himmel beigebracht?«

»Ja, er war mein Vormund.«

Soke sah Jack überrascht an. Dass ein Ausländer adoptiert wurde, war noch nie da gewesen. »Dann bist du ein richtiger Samurai. Dein Leben scheint so viele Wendungen zu kennen wie ein Gebirgsbach. Du bist weit weg von zu Hause, junger Samurai. Wo sind deine Tengu-Freunde?«

»Tot. Ermordet von Ninja, die unser Schiff überfallen haben.«

»Und deine Familie?«

»Meine Mutter starb an einer Lungenentzündung, als ich zehn war. Mein Vater wurde von einem Ninja namens Drachenauge ermordet. Von meinen Angehörigen lebt nur noch meine kleine Schwester in England.«

Der Alte sah Jack voller Mitgefühl an und seufzte tief und bekümmert. Dann wandte er sich an Hanzo und legte ihm den Arm um die Schultern. »Hanzo geht es wie dir. Er hat auch keine Eltern mehr.«

»Dafür habe ich dich, Großvater!« Hanzo blickte strahlend zu ihm auf.

»Das stimmt.« Soke lächelte und wandte sich wieder an Jack. »Vor wem fliehst du?«

»Vor niemandem«, antwortete Jack. Der Alte machte einen harmlosen Eindruck, aber er brauchte nicht zu wissen, dass die Samurai des Shoguns hinter ihm her waren.

»Die abgebrochenen Stängel und all die Fußspuren auf dem Weg sagen etwas anderes. Lernt man auf der Niten Ichi Ryu nicht die Kunst des Verbergens?«

Jack mied den forschenden Blick des Alten. Hanzos Großvater mochte alt sein, aber er war nicht dumm und ganz offensichtlich ein scharfer Beobachter.

»Für jemanden, der weiß, wonach er sucht, bist du leicht zu finden«, fuhr Soke fort. »Früher oder später werden die Samurai deine Spuren entdecken.«

Jack starrte ihn in Panik an.

Soke lächelte listig. »Ein Samurai wird also von anderen Samurai verfolgt. Interessant.«

Jack sammelte seine Habe ein, nahm seine Schwerter und humpelte auf einen Weg zu, der nach Süden von der Lichtung wegführte.

»In diese Richtung würde ich nicht gehen«, warnte Soke.

Jack blieb stehen. »Warum nicht?«

»Samurai.«

Jack machte kehrt und näherte sich einem Weg, der nach Osten in die aufgehende Sonne führte.

»In diese Richtung auch nicht. Durch das Iga-Gebirge kommt niemand ohne Führer.«

Ungeduldig wandte Jack sich einem dritten Weg zu.

Soke schüttelte ernst den Kopf. »Straßenräuber und Samurai.«

Vielleicht will mich der Alte nur veräppeln, dachte Jack. »Irgendein Risiko muss ich eingehen.« Er stolperte den hangabwärts führenden Pfad entlang und versuchte dabei etwas Leben in seine Beine zu schütteln. Zwar hatte er Glück gehabt, dass die Falle nicht einem Räuber oder Ninja gehörte, aber die Begegnung mit dem Jungen hatte ihn wertvolle Zeit gekostet. Jetzt konnte er nur hoffen, dass er der Samuraipatrouille, die ihn suchte, trotzdem entkam. Er war noch nicht weit gekommen, da hörte er Stimmen.

»In welche Richtung, Fährtenleser?«

»Sieht aus, als sei er bergauf gegangen.«

Hinter einigen Büschen unterhalb von Jack bewegte sich etwas. Der Alte hatte Recht gehabt. So schnell und so leise er konnte, kehrte er um.

»Schon wieder da«, begrüßte ihn Soke, der immer noch auf dem Baumstamm saß und offenbar mit seiner Rückkehr gerechnet hatte.

»In welche Richtung kann ich denn ohne Gefahr gehen?«, fragte Jack verzweifelt. Die Stimmen kamen näher.

Soke zeigte mit seinem knochigen Finger nach oben. Dort in den Ästen saß Hanzo und band sein Seil los. Jacks Bein war immer noch gefühllos, aber im Erklettern von Bäumen hatte er als früherer Schiffsjunge der Alexandria genügend Übung.

»Flieg doch einfach rauf!«, flüsterte Hanzo, als Jack sich hochzuarbeiten begann.

»Pst!« Soke legte den Finger an die Lippen.

Kaum war Jack bei Hanzo oben, betraten sechs Samurai die Lichtung.

»He, Alter!«, rief ihr Anführer. »Bist du in diesem Wald einem Gaijin begegnet?«

Jack erkannte ihn sofort an seinem dicken Schnurrbart und dem fehlenden Haarknoten. Es war jener Samurai, der im Wirtshaus unter der herabstürzenden Bambusdecke begraben worden war. Die Männer in seiner Begleitung wirkten abgebrüht und kampferprobt. Zwei trugen dreizackige Speere, ein dritter eine mörderische Schwertlanze. Offenbar wollten sie diesmal auf Nummer sicher gehen.

Ein vierter Samurai– offenbar der Fährtenleser– suchte aufmerksam den Boden ab. Jack saß nur wenige Meter über ihm. Wenn der Mann jetzt zu ihm hinaufblickte, war alles vorbei.

Soke legte fragend die Hand ans Ohr und der Samurai verdrehte ungeduldig die Augen. »Ob du einen Gaijin gesehen hast?«, wiederholte er laut und langsam.

»Mit diesen Augen?« Soke lachte. »Soll das ein Witz sein?«

»So eine Pleite«, sagte der Anführer und trat wütend mit dem Fuß nach Sokes Gehstock. Dann wollte er den Alten auch noch von seinem Baumstamm stoßen, aber er verfehlte ihn, da Soke sich unerwartet schnell nach seinem Stock bückte. Der Samurai verlor nun selbst das Gleichgewicht und fiel über den Stamm. Seine Begleiter unterdrückten ein Lachen.

»Ihr habt Euch doch nicht verletzt?«, fragte Soke mit gerunzelter Stirn.

Der Samurai sprang auf und klopfte wütend den Dreck von seiner Uniform. Beschämt über seine Ungeschicklichkeit, ließ er Soke links liegen und winkte seine Männer weiter. »Ich kriege diesen Gaijin, und wenn ich dabei draufgehe!«

Sobald der Trupp die Lichtung verlassen hatte, bedeutete Soke Jack und Hanzo, von ihrem Baum herunterzusteigen.

»Wenn der Fährtenleser sein Geschäft versteht, kommen sie bald wieder«, sagte er. »Außerdem suchen noch drei weitere Trupps nach dir.«

Jack sah ihn überrascht an, war aber sofort bereit, ihm zu glauben.

»Soll das heißen, ich komme überhaupt nicht mehr von hier weg?«

»Jeder Weg hat seine Pfütze. Du musst lernen, ihr auszuweichen.«

»Wie kann ich das, wenn ich nicht weiß, wo meine Verfolger sind?«

»Zum Glück weiß es jemand anders. Komm mit uns, wir führen dich durch das Gebirge.«

»Aber was wird Shonin sagen, Großvater?«, meldete sich Hanzo zu Wort.

»Vergiss nicht, dass ich Soke bin, Hanzo.«

Hanzos respektvollem Ton nach zu schließen, muss dieser Shonin eine sehr wichtige Person sein, dachte Jack.

»Außerdem ist unser Dorf der einzige Ort, an dem dein Tengu sicher ist«, fuhr Soke fort. »Und wenn wir ihm helfen, zeigt er dir dafür vielleicht, wie man mit dem Schwert kämpft.«

Jack nickte zustimmend. Er war auf die Hilfe des Alten und des Jungen angewiesen. Hanzo strahlte übers ganze Gesicht und hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere.

»Aber du darfst nicht wissen, wo das Dorf liegt.« Soke zog ein Tuch aus den Falten seines Kimonos.

Jack sah ihn unschlüssig an. Wollte der Alte ihn hereinlegen? Wollte er ihn womöglich zum Shogun bringen und die Belohnung einstreichen?

»Du musst mir vertrauen«, sagte Soke.

Ganz gegen sein Gefühl ließ Jack sich von ihm die Augen verbinden.

6 Das Dorf

Jack wurde von Hanzo geführt. Er hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Trotz der Wahrnehmungsübungen im Unterricht bei Sensei Kano, seinem bojutsu-